15

 

 

 

Der Sadist im Seidenhemd und sein Freund, der Killer, waren gar nicht so übel, wie ich angenommen hatte. Sie hatten Henks Wohnung nicht durchwühlt. Auch hatten sie nicht die Fische krepieren lassen, die Bilder mit Farbe besprüht und den Bildhalter kaputtgemacht. Das war Babsi gewesen.

Henk konnte schon seit Tagen zurück sein. Er konnte längst qualmend in seinem Büro sitzen und mich mit seinen endlosen Vorträgen über Kalt- und Warmwasserfische von der Arbeit abhalten. Wenn Babsi, seine geliebte Schlange, dem skrupellosen Killer nicht einen Tipp gegeben und ihm Henk auf dem Tablett serviert hätte.

Barbara Bonnek hatte ihm das alles eingebrockt.

Das war Grund genug, ihr Bett augenblicklich zu verlassen und keinen Pfifferling mehr auf ihre schwarze, seidene Unterwäsche zu geben, auf ihre aufregende weiche Haut und die prickelnde Wärme ihres Körpers. Aber ich war Profi genug, um zu wissen, dass ich einen Fall nur lösen konnte, wenn ich mir Informationen verschaffte und dafür auch bereit war, schon mal eine Fünf gerade sein zu lassen. Henks Überleben konnte schließlich davon abhängen, dass ich endlich erfuhr, in welcher Klemme er steckte.

Und das, was sie wusste, erzählte mir Babsi eben nicht währenddessen, sondern erst nachher.

Demnach war Henk auf dem Weg zum Flughafen damit herausgerückt, dass er sich in eine gewisse Ariana di Maggi verknallt hatte. Er hatte sie bei seinen morgendlichen Joggingrunden im Grüngürtel kennen gelernt. Und jetzt hatten sie sich irgendwo in Italien verabredet.

»Ob es mir etwas ausmache, wollte er wissen.« Babsi grinste böse, während sie im Schneidersitz auf dem Bett hockte und qualmte. »Was sollte mir das ausmachen? Ich habe keine Besitzansprüche an Henk. Wir beide sind schließlich erwachsene Menschen.«

Daraufhin hatte sie ihm sein Gepäck vor die Füße geworfen und gesagt, er solle sich nicht einbilden, dass sie in zwei Wochen wieder hier aufkreuze, nur um ihn und sein kleines Flittchen in ihr kuscheliges Liebesnest zu kutschieren. Damit war die Sache für sie erledigt gewesen.

Im wahren Sinn des Wortes ließ sie die armen Fische ausbaden, was Henk sich in ihren Augen geleistet hatte. Und als die kleinen, unschuldigen Dinger bereits seit Tagen mit ihren silbernen Bäuchlein nach oben im Wasser trieben, drang Babsi in Henks Haus ein, tobte sich mit der Sprühdose wie eine pubertierende Studentin an seinen Bildern aus und stöberte in seinen Schubladen herum. So fand sie Namen und Adresse ihrer Rivalin und dank ihrer Kontakte zur Kripo war es ein Leichtes, in Erfahrung zu bringen, dass Arianas Mann, der so genannte Milano, ein italienischer Yachtbesitzer mit Wohnsitz in München war, der seine Kohle mit Nachtclubs im Amsterdamer Rotlichtviertel machte. An ihn schickte sie ein paar harmlose Zeilen:

 

Falls Sie Ihrer Frau mal nicht so recht trauen sollten, kann ich Ihnen einen gewissen Henk Voss als Detektiv empfehlen. Er ist mit dem Objekt seiner Beschattung bereits bestens vertraut.

 

»Du willst schon gehen?«, fragte Babsi.

»Ja«, antwortete ich. »Was dagegen?«

»Ist was mit dir? Du bist so – anders…«

»Du wiederholst dich.«

Ich stand auf und zog mich an, denn ich hatte genug gehört. Keine Sekunde länger hielt es mich in diesem Bett. Möglich, dass Babsi Recht hatte. Dass Männer wie ich, die wie Henk waren, nur auf äußerliche Dinge schauten, auf Brüste, Hintern und Beine. Innere Werte – jene obskuren Dinge also, die den Frauen angeblich einen wohligen Schauer über den Rücken jagten, interessierten sie nicht, und deshalb fiel ihnen auch nicht auf, wenn sie überhaupt nicht vorhanden waren.

Frauen wie die Bonnek wurden ihnen so zum Verhängnis.

 

 

Für den Fall, dass Henk sich doch zu unserem Büro trauen sollte, ging ich am nächsten Morgen kurz dort vorbei und hinterließ einen Zettel an der Tür: Bin bis nachmittags bei Zeltinger.

Kaum, dass ich im Laden war, knallte Olga Öllisch mir ein Buch vor die Nase: Kalte Hand im blauen Wasser.

»Der neue Hendrix«, erklärte sie, als hätte ich das Buch bestellt.

»Was ist das?«, fragte ich. »Eine Horrorgeschichte oder ein Bericht über abartige Vorlieben einzelner Körperteile?«

»Das ist Gegenwartsliteratur«, schnappte Olga schlecht gelaunt.

Es war wieder laut im Buchladen. Lämmerhirt, der Chef, war von seiner Tagung zurück und schleimte sich bei den Stammkunden ein. Er sparte nicht mit billigen Komplimenten und das konnte bei ihm nur heißen, dass er sie irgendwo umsonst bekommen hatte.

Für mich hatte er nur Belehrungen übrig, die er von seinem metaphysischen Seminar mitgebracht hatte.

»Das Mindeste, was ich von einem Detektiv erwarten kann«, erklärte er, »ist, dass er ein Gefühl für seine Kundschaft entwickelt. Er muss jemandem ansehen, ob er der Typ ist, der ein Buch klaut oder nicht.«

»Nicht nur das«, bestätigte ich. »Er muss ihm sogar ansehen, ob er das Buch als Geschenk klaut oder weil er es selbst lesen will.«

Sein Mund verzog sich zu einem säuerlichen Lächeln. »Ich möchte Ihnen eine kleine Übung vorschlagen. Sie, Kittel, sagen mir bei jedem Kunden, der den Laden betritt, zu welcher Kategorie er gehört. Liegen Sie richtig, gewinnen Sie fünf Mark. Irren Sie sich, verlieren Sie den Betrag.«

Lämmerhirt überraschte mich. Leute wie er wetteten, wenn überhaupt, dann nur auf todsichere Dinge wie auf den Sonnenaufgang, die Geltung von ehernen Naturgesetzen oder den Abstieg des FC.

»Ich spiele nicht um Geld«, weigerte ich mich.

»Nehmen wir zum Beispiel diese Kundin.« Lämmerhirt deutete auf eine ältere Dame vom Typ nette Oma auf der Suche nach einem Märchenbuch für ihre Enkel.

»Nun?«, wartete der Chef ungeduldig. »Ihr Gebot, wenn ich bitten darf.«

»Vorsicht!, würde ich sagen. Ein altes Mütterchen, das kein Wässerchen trübt und seine Tage mit Kuchenbacken und Stricken verbringt.« Ich winkte fachmännisch ab. »Eine uralte Masche.«

Lämmerhirt grinste spitzbübisch. »Und wenn ich Ihnen jetzt sage, Kittel, dass sie eine Stammkundin ist, die seit zwanzig Jahren bei uns einkauft und bisher nicht einmal ein Buch umgetauscht hat?«

»Ich würde sagen, dass sie vielleicht noch eine Portion cleverer ist, als wir beide annehmen«, sagte ich. »Aber jetzt sind Sie dran.«

Kurz darauf betrat Tilo Martens den Laden. Das war meine Chance.

»Das ist leicht«, freute sich Lämmerhirt. »Ein junger Mann, fahrig und orientierungslos. Ohne feste Beschäftigung. So genanntes psychosoziales Strandgut. Geben Sie dem Kerl ein paar Minuten und er greift sich ein beliebiges Buch aus dem Regal, nur um es drüben auf der Domplatte zu verramschen und sich eine Spritze dafür zu kaufen.«

»Ich halte dagegen«, gab ich kühl zurück, »und erhöhe auf zehn Mark.«

Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. »Fünfzehn«, sagte er trotzig.

»Ihre fünfzehn«, antwortete ich und gab mir Mühe, unbeteiligt auszusehen, »und noch zehn dazu. Der Mann ist sauber.«

Lämmerhirt begann zu schwitzen. Er war Geschäftsmann bis ins Mark und hatte es geschafft, selbst seinen Verdauungsapparat dazu zu bringen, nichts zu verschenken, damit jedes Geschäft, das er machte, den Namen auch wirklich verdiente. Sämtliche Energiesparkonzepte der Umweltschützer wirkten gegen Lämmerhirt üppig und verschwendungssüchtig. Er war stolz darauf, Papiertaschentücher mehrmals zu benutzen, und vielleicht der einzige Mensch auf der Welt, der sparen konnte, indem er konsumierte. Darin war er ein Ass. Aber Poker war nicht seine Stärke.

»Na schön«, stieß er hervor. »Sie wollen es ja nicht anders.«

Es ging mir nicht um die paar Kröten. Aber Lämmerhirt wollte mir meine Unfähigkeit vor Augen führen, und das sollte er bereuen. Außerdem war ich mir sicher, dass die paar Kröten für ihn alles bedeuteten.

Noch hatte mich Tilo nicht bemerkt, aber das war nur eine Frage der Sekunden. Damit er mir nicht alles verdarb, musste ich ihm zuvorkommen.

Als Lämmerhirt ein Telefongespräch entgegennahm, nutzte ich die Gelegenheit, mich hinter einem Regal an Tilo heranzuschleichen.

»Suchen Sie mich?«

Er fuhr herum und starrte mich an. Tilo sah bleich aus, als sei er der leibhaftige Tod, der neuerdings nicht mehr mit der Sense, sondern mit einem Buch-Mitbringsel bei den Menschen aufkreuzt.

»Kittel! Ich fand Ihren Zettel an der Tür…«

»Was wollen Sie von mir?«

»Sie müssen mir helfen. Dringend!«

»Geht aber nicht. Nicht jetzt. Kommen Sie heute Nachmittag in mein Büro.«

»Nein, jetzt. Bitte! Bei mir zu Hause liegt ein Toter.«

»Nicht schon wieder!«, winkte ich entschieden ab. Auf seine Spielchen hatte ich jetzt keine Lust.

»Diesmal ist wirklich einer da!«, beharrte Tilo.

»Benachrichtigen Sie Kommissar Mattau. Wenn der einen Toten findet, rufen Sie mich an und ich komme.«

»Ich will aber Sie!«

Drüben an der Kasse legte Lämmerhirt gerade den Hörer auf. Ich musste zurück, meine Wette gewinnen.

»Das ist mein letztes Angebot«, zischte ich Tilo zu. »Und es gilt nur, wenn Sie mich jetzt in Ruhe lassen. Und klauen Sie bloß nichts!«

Ich ließ ihn stehen.

»Hat er Sie angesprochen?«, wollte Lämmerhirt wissen.

»Er hat sich nach den teueren Kunstbänden erkundigt.«

»Na, was habe ich gesagt?«, triumphierte er. »Sieht der etwa so aus, als könne er sich die leisten?«

Mit unverhohlener Vorfreude starrte er Tilo Martens hinterher und verfolgte jede seiner Bewegungen in der Hoffnung, dass er zuschlug. Und ich starrte Lämmerhirt an und freute mich an seiner vergeblichen Vorfreude.

Bevor Tilo das Geschäft verließ, machte er einen kurzen Abstecher zur Kasse.

»Auf Wiedersehen«, sagte er freundlich und wandte sich dann an mich. »Übrigens habe ich etwas geklaut. Sie wollten mich ja nicht anhören, also mache ich Sie auf diese Art auf mich aufmerksam.«

Ich verzog das Gesicht zu einem dämlichen Grinsen.

Lämmerhirt legte den Kopf schief und grinste blöd. »Was hat der Mann da gerade gesagt?«, erkundigte er sich leise.

Ich lachte auf. »Er hat gesagt, er hätte etwas eingesteckt. Aber nur, damit ich…«

»Worauf warten Sie dann noch, Kittel?«

»Er hat das nur so gesagt. Weil er meine Aufmerksamkeit erzwingen will. Genauso wie er in seiner Wohnung ständig über Leichen stolpert. Aber das kann er sich abschminken.«

»Absolut nicht, Kittel!« Lämmerhirts Stimme war nahe daran, sich zu überschlagen, obwohl er gar nicht laut geworden war. »Der schminkt sich überhaupt nichts ab. Los, schnappen Sie ihn, bevor er mit dem Buch abhaut!«

Ich zögerte und der Chef rannte selbst los. Zwei Minuten später kehrte er keuchend in den Laden zurück. Über seinem Kopf schwenkte er ein in Leinen gebundenes Exemplar Kalte Hand im blauen Wasser von H. Hendrix.

Er hielt es mir unter die Nase. Aber noch näher kam er mit seinem Gesicht und sein abgestandener Atem leckte wie eine Zunge über meine Nase.

»Er hat das nur so gesagt, was?«

»Also gut, Sie haben gewonnen«, lenkte ich zerknirscht ein. »Die fünfundzwanzig Mark gehören Ihnen.«

»Fünfundzwanzig Mark?« Lämmerhirt schüttelte den Kopf. Er hätte aufgelacht, wenn die Sache nicht so ernst gewesen wäre. »Oh nein, Kittel, so leicht kommen Sie mir nicht davon. Jetzt nicht mehr. Hier geht es nicht um lausiges Kleingeld. Hier geht es darum, dass ein Dieb unbehelligt aus dem Laden spaziert, während der Ladendetektiv grinsend zuschaut. Er findet es nicht einmal für nötig einzuschreiten, nachdem der Mann immerhin den Anstand hatte, nach seiner Tat ein umfassendes Geständnis abzulegen.«

»Aber das ist doch Unsinn! Ich habe Ihnen doch gesagt, dass…«

»Unsinn? – Ich werde Ihnen sagen, was Unsinn ist. Unsinn ist, einen Mitarbeiter dafür zu bezahlen, dass er herumsteht und große Reden schwingt. Dass er, nur um ein armseliges Spiel zu gewinnen, dem Geschäft erheblichen Schaden zufügt.«

»Erheblichen Schaden, aber ich bitte Sie…«

»Nein! Bitten Sie mich nicht, es wäre zwecklos.« Lämmerhirt rückte einen Schritt von mir ab, als sei er sich plötzlich der Ansteckungsgefahr bewusst geworden. »Erst einmal schminken Sie sich jetzt etwas ab, und zwar Ihren Job als Ladendetektiv.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

»Wegen dieses Missgeschicks«, mischte sich Olga ein, »wollen Sie ihn wirklich feuern, Chef?«

»Halten Sie sich aus der Sache heraus, Frau Öllisch. Außerdem war das kein einfaches Missgeschick.«

»Ihr letztes Wort?«, fragte ich.

»Allerdings.«

Ich wollte ihm noch an den Kopf werfen, dass ich mich schon morgen in ein neues Spezialgebiet einarbeiten würde: Buchhandlungen, die harmlosen Kunden Bücher in die Manteltaschen schmuggelten und sie des Diebstahls bezichtigten, weil sie ihre Ware auf normale Weise nicht loswurden. Aber ich beließ es dabei, wortlos den Laden zu verlassen und mich nicht mehr umzusehen.

»Einen Augenblick!«, stoppte mich Lämmerhirts Stimme. »Sie schulden mir noch fünfundzwanzig Mark.«