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Ina Martens konnte es sich leisten, einen Bikini zu tragen, der bis auf zwei dünne, wie mit Filzstift gezogene Linien im Profil praktisch gar nicht vorhanden war. Sie hatte immer noch die Figur dafür, aber die hatte ihr niemand zu ihrem dreißigsten geschenkt. Im Gegensatz zu ihrer Konkurrentin und Stieftochter, die ihren Body leichtfertig durch Leistungssport ruinierte, hatte Ina frühzeitig begriffen, dass Aussehen nicht nur eine Einstellung, sondern auch eine Tätigkeit war. Glücklicherweise konnte sie es sich leisten, Tag und Nacht für ihren Körper da zu sein und ihre Zeit ausschließlich auf dem Tennisplatz, in der Sauna und im Fitnesscenter zuzubringen. Und Privatdetektive, die sie sprechen wollte, in Restaurants einzuladen, in denen es weiße Kerzen gab auf Tischdecken ohne jeden Wachsflecken und keine Studenten, die ständig nur das Billigste bestellten, oder Eltern mit Kindern, die sich nicht benehmen konnten. Denn die konnten sich das nicht leisten.

»Sie haben den Falschen ermordet.«

Deshalb hatte sie darauf bestanden, die lärmende Öffentlichkeit des Schwimmbadbistros gegen die diskrete Intimität dieses Lokals einzutauschen.

»Ermordet?«, stellte ich richtig. »Ich habe niemanden ermordet.«

»Na schön. Es war Notwehr. Ich meine Klemens. Den Mann, den Sie gestern in Ihrer Wohnung…«

»Er war schon mausetot, als ich kam. Dabei hätte ich ihn gerne noch das eine oder andere gefragt.« Ich lächelte. »Um ein paar Dinge zu klären, die Ihr Mann uns aufgetischt hat.«

Ina winkte ab. »Sie glauben, der schwarze Mann vor unserem Haus klagt meinen Mann dafür an, dass er einen Erpresser aus dem Weg geräumt hat.«

»Durchaus möglich.«

»Haben Sie sich nicht gefragt, ob davon jemand profitieren könnte? Ich meine, davon, dass dieser Demonstrant glaubt, dass Guido schuldig ist?«

»Und wer?«

»Derjenige natürlich, der es wirklich war.«

»Wer könnte das sein?«

Der Kellner platzierte eine weiße Kanne auf dem weiß gedeckten Tisch, dann folgte eine Untertasse mit einem hauchdünnen blauen Rand und dieser eine Tasse mit tiefschwarzem Kaffee darin. Ina bekam eine besondere Teemischung mit Kräutern und Essenzen, die ihrem Körper nützten.

»Heino beispielsweise hat auch das eine oder andere zu verbergen.«

Ich lachte. »Heino, der Dichterfürst? Er soll den Mann auf meinem Klo ausgeknipst haben?«

Mit ihrem Blick bat sie mich, leiser zu sprechen. Der Herr Ober hatte sichtlich Mühe, sich nicht um Sachen zu scheren, die ihn nichts angingen.

»Natürlich nicht. Schrader tat alles, was Heino von ihm verlangte.«

Im selben Moment fiel mir schlagartig das Bild ein, das ich in Melanie Storcks WG am schwarzen Brett entdeckt hatte. »Also doch«, sagte ich.

»Also doch, was?«

»Ich hatte mir schon so etwas gedacht. Aber dann sagte mir Hendrix ausdrücklich, dass Schrader der Laufbursche Ihres Mannes sei. Und da…«

»Ich hatte angenommen, Sie sind Profi.« Inas Stimme kam von oben herab und hatte denselben Tonfall, mit dem sie eine zusätzliche Zitronenscheibe zum Tee verlangt hatte. »Ist es Ihnen noch nie vorgekommen, dass Sie den Mörder gefragt haben und der hat gelogen, nur damit Sie nicht rauskriegten, dass er’s war?«

»Wenn Sie schon so genau über meinen Job Bescheid wissen, dann erzähle ich Ihnen wohl auch nichts Neues damit, dass man Gründe braucht, wenn man jemanden beschuldigt. Und ich frage mich, wieso ausgerechnet Sie wissen wollen, was ich nicht…«

»Ganz einfach«, unterbrach sie mich. »Ich war seine Geliebte.«

»Ich dachte, Ihre Tochter Kim ist mit ihm zusammen.«

Urplötzlich hatte sich ihre Miene verdüstert. Zum Glück sah sie mir nicht ins Gesicht, sondern fixierte ihren tödlichen Blick auf einen Punkt unterhalb meines Halses.

»Ich war zuerst da«, verkündete sie eisig. »Ich habe ihn in den Tennisclub eingeführt, in den er sonst niemals hineingekommen wäre. Da hat er dann den Star gespielt, der die Frauen um den Finger wickelt.«

»Darunter auch Kim?«

»Ohne mich hätte er sie überhaupt nicht kennen gelernt. Und ohne sie hätte ich sein wahres Wesen nie kennen gelernt. Ein alternder Playboy, der ständig neue Miezen braucht, die ihm sagen, wie toll er ist, bis sie herauskriegen, was wirklich mit ihm los ist.«

»Und was?«, fragte ich neugierig.

»Nichts.«

Ich goss Milch in den Kaffee, um ihn trinkbar zu machen. Sie verschwand spurlos darin wie in einem schwarzen Loch. Ich rührte, aber sie blieb verschwunden.

»Kurz gesagt, Sie hassen ihn.«

»Er hat mich erniedrigt. Ich bin ihm nichts mehr schuldig.«

»Na schön, Sie haben mir erklärt, warum Sie ihn am liebsten umbringen würden. Aber eigentlich wollten Sie mir etwas über die Leichen erzählen, die er im Keller hat.«

Ina hob ihr Teeglas an die Lippen, aber sie trank nicht, roch nicht einmal an dem Getränk. Sie sah es lediglich an und stellte das Glas wieder zurück. »Vor ein paar Jahren noch war Heino ein Niemand. Irgendeiner von Tausenden durchschnittlichen Reportern, die den Traum von der goldenen Story träumen. Ein Niemand. Mölling sorgte für die Storys und Heino betätigte sich als erfolgloser Möchtegern-Schriftsteller. Eines Tages schwätzte er einem ehemaligen Strafgefangenen aus seiner Therapiegruppe dessen biographische Aufzeichnungen ab und schickte sie aus Jux an eine Hand voll Verlage. Angeblich nur, um zu beweisen, wie dämlich die sind. Alles wurde schön verpackt und mit einem Vertrag versehen, der neben dem eigentlichen Honorar auch teuere Reisen und einen schicken Sportwagen einforderte. Die Notizen wurden über Nacht zum Kultroman.«

»Der Suff ist grün wie der Morgen rot.«

»Genau der. Und der Verfasser und Therapiegruppen-Genosse von Heino war Klemens Schrader.«

»Also hätte Schrader einen Grund gehabt, Hendrix umzubringen, und nicht umgekehrt?«

Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Klemens war froh, dass er den Leibwächter für Heino spielen durfte und von den Millionen, die der scheffelte, ein bisschen was abbekam.«

»Und Marius Mölling, sein alter Kumpel, war alles andere als froh, dass von allem nicht eine müde Mark für ihn abfiel.«

Ina lächelte zufrieden. »Endlich begreifen Sie.«

»Schön und gut, aber das ist nicht mehr als ein Motiv. Ich habe außerdem gehört, dass Marius Mölling ein aufrechter Mann war, den man nicht bestechen konnte. Wenn ich mal ins Gras beiße, organisiert keine Solidaritätsgruppe eine Mahnwache für mich.«

»Er war eigentlich meistens pleite. Und schließlich hat er begriffen, dass seine Skandalgeschichten mehr Geld bringen, wenn er sie den Betroffenen präsentierte als den Zeitungsredaktionen.«

»Wie steht eigentlich Ihr Mann zu dem großen Hendrix?«

Ina nahm ihre weißen Handschuhe, die noch schlanker aussahen als ihre Hände, und legte sie peinlich genau übereinander. »Er weiß nichts davon. Und ich warne Sie, wenn er auch nur ein Wort davon erfährt, dass ich und Heino…«

»Keine Sorge. Ich möchte nicht, dass Sie auch noch sein wahres Wesen kennen lernen.«

»Im Grunde genommen führen wir eine intakte Ehe.« Sie verzog den Mund, ohne zu lächeln. »Wäre ich sonst hier, um die Dinge zurechtzurücken?«

Ina wollte mir etwas vormachen, aber das war mir egal. Sie tat so, als wollte sie ihren Mann entlasten, dabei ging es ihr nur darum, ihren Lover in die Pfanne zu hauen, den ihr die eigene Tochter ausgespannt hatte.

Sollte Mattau doch seine alte Rechnung begleichen. Falls man den Lover tatsächlich in die Pfanne hauen konnte, würde das weder Melanie Storck noch Mattau zufrieden stellen. Guido Martens hatte eine reine Weste und sein Sohn brauchte vielleicht eine, die man nicht alleine an- und ausziehen konnte. Die Dinge lösten sich nicht gerade so auf, wie ich mir das vorgestellt hatte.

Aber dafür bekam ich vielleicht doch noch mein Honorar.

Bis zum Abend wartete ich im La Mancha darauf, dass Henk sich meldete. Dann verzog ich mich nach Hause und begann, meine Wohnung in das zu verwandeln, was sie vor dem Überfall der Spurensicherung einmal gewesen war. Beim Aufräumen fiel mir ein Brief in die Hände:

 

Was ist los mit dir? Wieso meldest du dich nicht? Wenn du eine Tussi hast, könntest du wenigstens den Mut aufbringen, es mir zu sagen. Schließlich sind wir erwachsene Menschen, B. B.