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Kim Martens hatte Recht gehabt. Ihr Vater hatte mich gemietet, damit ich ihm den Beweis für das erbrachte, wovon er schon immer überzeugt gewesen war: dass Tilo ein nicht ernst zu nehmender Spinner war. Er war so sehr davon überzeugt, dass er sich mit meinem oberflächlichen Eindruck zufrieden gegeben hatte. Leider konnte ich es mir nicht so leicht machen wie Melanie, die sämtliche fünf Sinne mit dem Sinn für die gute Sache gleichgeschaltet hatte und jede Frage nach stichhaltigen Beweisen für kleinmütige Kompromisslerei hielt.

Ich hatte einen Berufskodex und danach galt jemand so lange nicht als Spinner, bis erwiesen war, dass er einer war. Und als Henk am Dienstagabend immer noch nichts von sich hören ließ, beschloss ich, Tilo eine Chance zu geben.

Offenbar ließ seine Krankheit nicht zu, dass er ans Telefon ging, oder aber er war nicht zu Hause. Mir fiel noch eine andere Möglichkeit ein, Licht in das Dunkel zu bringen.

 

 

Das Theater Die Weinstube lag in einem der winzigen Gässchen mitten in der Altstadt. Mit dem Auto kam man nicht hin und zu Fuß schon gar nicht, wegen der Touristenmassen. Die Erfinder der Altstadt hatten es mit dem Idyllischen, Lieblichen und altertümlich Gemütlichen zu gut gemeint und sich zu stark dem breiten Publikumsgeschmack angepasst. Jetzt konsumierte hier das breite Publikum so ausgiebig, dass gar nichts alt werden konnte. Als Einziger versuchte der Rhein alle zwei Jahre, etwas gegen den Kommerz zu unternehmen und sich das Viertel einzuverleiben, aber ihm erlaubte man längst nicht, was man den Touristen großzügig zugestand.

Ich wollte den Wagen irgendwo am Heumarkt abstellen und mich dann zu Fuß durchschlagen. Aber eine Baustelle, mit der ich nicht gerechnet hatte, zwang mich zur Kursänderung, und ehe ich’s mich versah, war ich auf der anderen Rheinseite. Einfach zurückfahren ging nicht, denn in dieser Richtung gab es einen Stau. Also fuhr ich weiter nördlich über die Deutzer Brücke und verhedderte mich schließlich in einem Labyrinth aus Straßen, die allesamt in ein einziges Parkhaus führten. Endlich gab ich mich geschlagen, stellte den Wagen irgendwo in einem stinkenden, aber kostenpflichtigen Kellergewölbe ab und machte mich auf den Weg.

»Dat is janz einfach«, erklärte mir ein dicker Mann zwei Straßenecken weiter, während er sein Hemd in die Hose steckte und die Zigarre in seinem Mundwinkel als Zeigestock benutzte. »Sie jehen hier jradeaus un dann die zweite links. Nä, Moment, die dritte is dat, jlaub ich. Also die links un dann kommen Se auf ‘en Platz. Da jehen Se schräch drüber un auf der anderen Seite sehen Se dann so ‘n Durchjang. Da durch, un dat isset schon.«

Ich nickte. »Also noch mal: Da drüben links und dann auf einen Platz…«

»Die dritte. Wennse die zweite jehen, dat ist janz falsch. Vor dem Platz jehen Se noch ‘ne Treppe runter, so drei oder vier Stufen. Un dann…«

»Am besten is«, mischte sich ein Zweiter ein, »wenn Se janz andersrum jehen. Hier zurück un dann direkt um de Ecke. Da kommen Se an einer Toreinfahrt vorbei. Können Se nit verfehlen. Da is ein jelber Abfalleimer neben.«

»Danke«, sagte ich und wollte los. Die Ortskenntnis der Einheimischen war auf der ganzen Welt berüchtigt und ihre Hilfsbereitschaft gefürchtet.

Der Dicke hielt mich fest. »Verjessen Se dat mit der Toreinfahrt. Dat is en Umweg. Meilenweit.«

»Umweg?«, entrüstete sich der andere. »Ich sach Ihnen was: Sie können natürlich auch so jehen. Aber dann sin Se locker ‘ne Viertelstunde unterwegs.«

»Hören Se mal, juter Mann«, meldete sich mein erster Informant höflich, »so können Se dat aber jetzt nich sagen. Wissen Se, was ich jlaube? Sie sin jarnit von hier.«

»Also noch mal, vielen Dank«, verabschiedete ich mich und wollte mich losmachen.

»Moment!«, hielt mich der Dicke energisch zurück. »Haben Se dat denn jetzt verstanden? Die dritte links und…«

»Wie soll der dat verstehen?«, konterte der andere. »Dat is doch der reinste Kuddelmuddel, so wie Sie dat dem erklären.«

»Kuddelmuddel?!«

Ich verdrückte mich und zog damit sofort die einmütige Missbilligung beider auf mich. Sie schimpften hinter mir her, dabei hatte ich keine der vorgeschlagenen Richtungen gewählt, um nicht Partei zu ergreifen. Eine Zeit lang irrte ich umher und versuchte gegen die anströmenden Stadtbummler meinen Weg zu behaupten. Fast zufällig stand ich schließlich direkt gegenüber dem Theater Die Weinstube.

Der Name stand auf einem vergilbten Plastikschild, das schief in einer Glasvitrine lehnte. Darunter, wie die Speisekarte eines Restaurants, der Spielplan, ein mit Schreibmaschine getipptes Blatt:

 

WEIHNACHTSVORSTELLUNG 21.12.98:

A. HITCHCOCKS DIE VÖGEL

WEGEN ÜBERWÄLTIGENDER NACHFRAGE

WIEDER AUF DEM SPIELPLAN:

DIE RÜCKKEHR DER REITENDEN LEICHEN

DEMNÄCHST IN DIESEM THEATER:

BASIC INSTINCT

EIN EROTICTHRILLER DER SUPERLATIVE

 

Falls die bombastischen Titel den Versuch darstellten, dem Haus etwas Hollywood-Glamour zu verpassen, was ihm zweifellos gut getan hätte, so war er misslungen. Blutrünstig, wie sie waren, bildeten die Titel einen komischen Kontrast zur urbürgerlichen Fassade des windschiefen Häuschens, das mit seinen Buntglasfenstern eher wie eine langweilige, verräucherte Gaststätte aussah.

Dieser Eindruck änderte sich auch drinnen nicht. Es gab einen Tresen, gelbe Funzeln aus Plastik, die Kerzen imitierten, und Holztische mit grünen Aschenbechern drauf.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte ein Mädchen mit kurzem, rotem Haar und tropfenförmigem Ohrschmuck, die hinter dem Tresen Gläser ordnete. »Wir machen nämlich erst in einer halben Stunde auf.«

»Ich wollte eigentlich nur wissen, wann die Aufführungen sind.«

Sie lächelte und schüttelte bedauernd den Kopf. »Die nächste ist wieder am Freitagabend. Heute wird nur geprobt. So gegen zehn gibt’s hier noch Livemusik und Kabarett.«

Ich beschloss, mein Glück zu versuchen. »Ist Tilo auch da?«, fragte ich freundlich.

Sie nickte. »Klar ist er da. Er ist schließlich unser Michael Douglas.«

Völlig unmöglich, dass wir den gleichen Mann meinten.

»Tilo Martens?«, versicherte ich mich.

Sie war etwas irritiert. »Wer sonst?«

Vielleicht handelte es sich um eine Inszenierung, in der alles verfremdet wurde und die so genannten Stars von ihrer schwachen, verletzlichen Seite gezeigt wurden. Michael Douglas, der an einer schleichenden, unheilbaren Krankheit litt…

Die Rothaarige kaufte mir ab, dass ich ein guter Freund von Tilo war, und wies mir den Weg zur Bühne. »Aber nicht stören«, schärfte sie mir ein. »Nur zugucken.«

Das eigentliche Theater bestand aus einem Raum, der für einen Hobbykeller riesig, aber für eine Bühne winzig war. Die Darsteller spielten ebenerdig, während die hinteren Ränge dank eines abenteuerlich genagelten Holzgerüsts höher lagen. Die ungemütlichen Klappstühle befanden sich nicht an ihrem Platz, sondern standen, lehnten oder lagen einzeln oder in Gruppen über den ganzen Zuschauerbereich verteilt, als wollten sie ihre Freizeit vor Dienstbeginn ausnutzen.

Die Truppe bestand aus zwölf Schauspielern, die aber nicht spielten. Momentan war auf der Bühne ein erbitterter Disput darüber im Gange, ob die zu probende Szene aus Basic Instinct prickelnd war oder bedrohlich, genauer gesagt, ob sie prickelnd zu sein habe, während sie aber bedrohlich war, oder umgekehrt.

»Also schön, wir machen das jetzt einfach noch mal, wie ich mir das gedacht habe. Vertraut mir, Leute, ich sehe alles schon genau vor mir…«

Der Regisseur war ein kleiner, quirliger Mann mit wehendem, langem Haar, weißen Turnschuhen und Schwitzflecken auf seinem T-Shirt, das in Farbe und Form an ein Messgewand erinnerte. So konnte man sich vielleicht den Heiligen der Waldgeister vorstellen. Wie ein Wirbelwind fuhr er zwischen die eher müde wirkenden Darsteller und ich glaubte ihm aufs Wort, dass er die Szene genau vor sich sah.

Es ging um die Stelle, in der Sharon Stone, die bekannte Psychologin und Hauptverdächtige in einem bestialischen Mordfall, bei der Polizei aufkreuzte, um sich von den versammelten Beamten befragen zu lassen. Wie sie diesen Auftritt nutzte, um die blöden Kerle blöd aussehen zu lassen, natürlich mit Ausnahme von Michael Douglas. Unverfroren steckte sie sich eine Zigarette an, obwohl sie genau wusste, dass Rauchen nicht erlaubt war. Und noch unverfrorener ließ sie die Typen unter ihren Rock sehen, obwohl sie genau wusste, dass sie nichts darunter trug.

Die Truppe begann wieder mit der Probe. Endlich bemerkte ich Tilo, der auf der Bühne wie verwandelt war. Er wirkte cool und lässig und ich hätte jede Wette darauf abgeschlossen, dass er nicht einmal seine Nasentropfen dabei hatte. Er war Michael Douglas und der hatte mit Nasentropfen nichts im Sinn. Wo war der ständig leicht gebückt daherschleichende, schniefende und in seine Kränklichkeit verliebte Zögling meines Auftraggebers, der mir vorgestern noch ins Gesicht geniest hatte? Hätte man Tilo Martens, den echten, auf die Bühne bringen wollen, dann bezweifelte ich stark, ob Tilo Martens, der Schauspieler, dafür die richtige Besetzung gewesen wäre.

Zu seiner Rechten und Linken hatten zwei Police-Detectives mit vor der Brust verschränkten Armen Position bezogen, die mit ihrer steinernen Unbeweglichkeit das düstere, bedrohliche Element der Szene ausmachen sollten. Für meine Begriffe nicht gerade die beste Idee des Regisseurs, weil es auf mich den gegenteiligen Effekt hatte. Anstatt düster und bedrohlich zu wirken, machten die beiden alles vertraut und heimelig. Ich brauchte eine ganze Weile, um den Grund dafür zu begreifen: Einer der beiden Bedrohlichen kam mir bekannt vor. Die entschlossene, unverrückbare Art, mit der seine beiden Füße auf dem Boden ruhten. Seine Unbeweglichkeit, die in jeder Sekunde aktiv und lebendig war. Dann verlagerte er sein Körpergewicht von dem einen auf den anderen Fuß…

Er musste es sein. Der schwarze Mann, der sich Mühe gab, Guido Martens’ guten Ruf zu beschädigen, war ein Schauspieler-Kollege seines Sohnes! Völlig umsonst hatte ich mich mit der Polit-Missionarin angelegt.

Ich beugte mich ein wenig vor, um den Unbeweglichen weiter im Auge zu behalten. Allerdings auch, um Sharon Stone, die Tilo Martens und den beiden Detectives gegenüber Platz genommen hatte und jetzt ihre Beine übereinander schlug, besser im Blick zu haben. Immerhin war sie die Wortführerin derjenigen gewesen, die die Szene eher prickelnd auffassten als bedrohlich. Dummerweise hatte ich mich weit hinten im Saal auf eine der Holzemporen gesetzt und mein Blickwinkel von hier oben aus war, was Sharon anging, denkbar ungünstig. Weil ich aber nun mal neugierig war, wie detailgenau sich die Umsetzung der Story an der Vorlage orientierte, beugte ich mich vor und stützte mich auf die Lehne eines Klappstuhls vor mir. Der Stuhl rutschte weg, warf seine Vorderfüße in die Luft und klappte zusammen, bevor ich auf ihm landete.

Im nächsten Augenblick stand das Ensemble um mich herum und sah auf mich herunter wie auf eine seltene Schabenart.

»Heh, wer ist das denn?«, fragte der Waldgeist aus der zweiten Reihe.

Niemand dachte daran, mir aufzuhelfen. Dafür hatte ich endlich einen günstigen Blickwinkel und nahm enttäuscht zur Kenntnis, dass Sharon Stone Unterwäsche trug. Mein Sturz hatte sich nicht einmal gelohnt.

Ich stand auf. »Ich, eh, wollte zu Herrn Mar-, ehm, zu Tilo.«

»Ach Sie!« Tilo Martens drängte sich an seinen Kollegen vorbei. Sobald er mich sah, verwandelte er sich. Er war wieder der Alte, unsicher und ängstlich. »Woher wissen – wie kommen Sie hierher?«

Der Regisseur klatschte schallend in die Hände. »Na schön, Leute. Schluss für heute. Es ist spät genug. Also dann, übermorgen in alter Frische…«

Der Menschenauflauf um uns löste sich auf.

»Wie kommen Sie hierher?«, verlangte Tilo zu wissen. Er schien wütend zu sein, als hätte ich mir, ohne zu fragen, Zutritt zu seiner Intimsphäre verschafft.

»Scheiße!«, fluchte ich. »Ich glaube, ich habe mir den verdammten Finger geklemmt.«

»Zeigen Sie mal… Ich glaube, das wird richtig blau. Es gibt dafür eine Salbe…«

»Vergessen Sie die Salbe. Ich muss mit Ihrem Kollegen ein paar Worte wechseln.«

»Mit wem denn?«

»Dem Polizisten, der links neben Ihnen gestanden hat. Und mit Ihnen werde ich auch ein paar Worte wechseln müssen.«

»Aber wieso denn?«

»Das wissen Sie doch ganz genau. Was bezwecken Sie damit? Wollen Sie Ihren Dad mit Theaterdonner beeindrucken?«

»Ich weiß ehrlich nicht, wovon Sie reden, Kittel.«

Fünf Minuten später saßen wir im Café. Die Rothaarige brachte mir ein Bier und Tilo ein stilles Mineralwasser.

»Ehrlich gesagt, das kann ich nur zurückgeben«, schimpfte ich. »Auf Sie wäre ich nie gekommen. Sind Sie darauf aus, seinen Ruf als smarter Geschäftsmann zu ruinieren? Wollen Sie sich an ihm rächen? Ich verstehe einfach nicht, welchen Sinn das machen soll.«

»Ich auch nicht. Aber Sie dürfen ihm auf keinen Fall etwas davon erzählen.«

Ich lachte gequält auf. »Soll das ein Witz sein? Er bezahlt mich dafür, dass ich ihm was davon erzähle.«

»Aber ich dachte…« Sein fassungsloser Blick war auf mich gerichtet, während er in seinen Taschen vergeblich nach einem Taschentuch fischte. »Was haben Sie denn davon, mir hinterherzuspionieren?«

»Genau das. Ich kann Ihrem Vater den Mann präsentieren, den ich für ihn finden sollte. Beinahe hätte ich ihm eine nervtötende, aber harmlose Studentin zum Fraß vorgeworfen.«

»Was für eine Studentin? Spielt sie auch Theater?«

»Nein, die kämpft gegen Unterdrückung und Unrecht aller Art. Eins davon ist ihrer Meinung nach Ihr Vater. Aber sie war’s nicht, sondern sein Sohn.«

Endlich begriff er. Und das Komische daran war, dass ihn das zu beruhigen schien. Es amüsierte ihn geradezu. Tilo riss die Mundwinkel auseinander und grinste. »Aber das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Kittel. Sie glauben doch nicht, dass ich was mit diesem Mann zu tun habe.«

»Doch.«

Er lachte. »Aber das ist – Unsinn!«

»Und Ihr Kollege?«

»Bennie Glocke? Kittel, ich sage Ihnen, Sie sind auf dem falschen Dampfer.«

»Warum sollte er nicht…«

»Er ist Oberarzt in der Uniklinik!«

»Was heißt das schon heutzutage?«, fragte ich unbeeindruckt.

»Das heißt, dass er keine Zeit für solche Scherze hat.«

Wenn das stimmte, was Tilo mir auftischte, hieß es das vielleicht. Aber ich brauchte ihm ja nicht unbedingt zu glauben.

»Ich werde das überprüfen«, behielt ich mir vor.

»Tun Sie das, Kittel.«

»Es ist mein Job«, fügte ich düster hinzu, »Menschen wieder zu erkennen. Ich irre mich nicht so leicht.«

Ich stand auf und hielt den geschwollenen Zeigefinger gegen das Licht.

»Das sieht böse aus«, sagte Tilo mitfühlend. Bei Schmerz aller Art kannte er sich aus.

»Es gibt Schlimmeres«, gab ich zurück. »Also dann…«

»Was ist mit meinem Vater?«

»Werden Sie ihm etwas davon erzählen?«

»Wovon?«

Die Angst war in seinen Blick zurückgekehrt. Tilo umfasste mit einer hektischen Geste den Bühnenraum. »Von dem hier.«

Endlich dämmerte es bei mir. »Weiß er denn gar nichts davon, dass Sie hier spielen?«

»Wenn er das wüsste, würde er mich…« Er schluckte. »Er hätte dafür keinerlei Verständnis.«

Daher also rührte Tilo Martens’ Panik. Sein Geheimnis war nicht die schwarze Gestalt, die interessierte ihn überhaupt nicht, sondern das Theater. Vielleicht das Einzige in seinem Leben, das sein überheblicher Vater nicht mit seiner Allmacht zertrampelte, über das er nicht seine Abfälligkeit ausgoss.

»Keine Sorge«, lächelte ich. »Es gehört zu meinem Job, Geheimnisse zu bewahren.«

»Danke«, stieß er mit einer Erleichterung hervor, als hätte ich ihm Stillschweigen über einen Mord zugesichert.

»Übrigens habe ich Sie spielen sehen«, sagte ich.

»Ach ja…?« Ein verlegenes Grinsen verzerrte sein Gesicht, es war nicht sein Grinsen, sondern das seines Vaters, der sich über ihn lustig machte.

»Sie sind ganz anders auf der Bühne«, versicherte ich. »Wirklich überzeugend. Sie sollten auf jeden Fall damit weitermachen.«

Es war noch nicht besonders spät am Abend, als ich aus der Weinstube auf die Straße trat, aber ich wollte die Parkgebühren für den Wagen nicht so hoch steigen lassen, dass sie mich finanziell überforderten. Außerdem würde es einige Zeit brauchen, den Weg zurück zu finden, obwohl ich mich jetzt orientieren konnte, ohne von Einheimischen unter dem Vorwand der Wegbeschreibung in endlose Gespräche verwickelt zu werden.

Ich machte ein paar Schritte und atmete ausgiebig ein, um die feuchte Nachtluft zu genießen. Ausatmen konnte ich nicht mehr, denn daran hinderte mich jemand. Er umklammerte mich von hinten. Viel zu spät und nur für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich seinen Schatten hinter mir bemerkt. Ein großer, dunkler Schatten. Tilos Kollege, die Spukgestalt.

Er hinderte mich daran, die Nachtluft wieder freizugeben. Ich wollte mich losmachen, aber der Riese hob mich hoch, dass meine Beine hilflos strampelten. Ich japste und er warf mich in die Ecke zwischen ein paar Mülleimer. Trotz des Lärms kam mir kein Mensch zur Hilfe.

Ich rappelte mich hoch und schnappte nach Luft, die jetzt nicht mehr frisch und feucht roch, sondern stickig und verschwitzt wie in einer Umkleidekabine. Mein Widersacher ließ mir keine Zeit aufzustehen, sondern packte mich an der Jacke und zog mich hoch. Er roch nach Arbeit, nach langer, anstrengender Probe. Nach Schweiß. Mir wurde übel.

»Wenn ich dir ‘n juten Rat jeben darf«, zischte der Mann, während er mein Ohr wie ein Mikro vor seinen Mund drehte, »dann nimm deine Schnüfflernase und schnüffel irjenzwo anders rum. Sons kann ich janz schön unjemütlich werden.« Sein fauliger Atem ließ mein Bewusstsein schwinden. »Wennze verstehs, wat ich mein.«

Bis zur Ohnmacht waren es höchstens noch zwei Sekunden, aber es war Zeit genug, um mir klarzumachen, dass mich noch niemals zuvor ein Rat so überzeugt hatte. Nicht weil der Bursche so ungemütlich geworden war, sondern weil ich genau wusste, dass ich sterben würde, wenn meine Nase auch nur noch ein Milligramm von dem einatmen musste, was er absonderte.

Dem Mann schien das nicht zu entgehen und offenbar war er nicht gekommen, um mich umzubringen. Also hievte er mich noch mal hoch, holte weit nach hinten aus und warf mich in den Müll zurück, wo ich befreit aufatmete. So und nicht anders musste es im Paradies duften.