Ein Baum, ein Schild und ein Junge

Drei Tage später ging Jette wieder zum Kiosk. Sie brauchte unbedingt etwas Nervennahrung, denn sie musste noch Chemie lernen. Jeden Tag saßen sie inzwischen am Schreibtisch. Vor den Ferien ließen die Lehrer noch jede Menge Arbeiten schreiben. Jette war Stammkundin in »Annas Büdchen«, wie sie den Kiosk nannte. Es verging kaum ein Tag ohne ein Eis oder ein paar Brausebonbons. Nur gestern und vorgestern hatte sie sich nicht bei ihr blicken lassen. Sie hatte bei Klara geschlafen.

Genau an der Stelle, wo sie vor ein paar Tagen wegen der Enten fast einen Unfall verursacht hätte, sah sie an einem Baum einen Jungen sitzen. Er trug eine Sonnenbrille und hatte ein großes Schild vor sich aufgestellt. Darauf stand: »Ich suche das Mädchen, das hier am Montagnachmittag eine Entenmutter mit ihrem Küken über die Straße geführt hat.«

Jette blieb stehen. Damit konnte nur sie gemeint sein. Sie betrachtete den Jungen genauer. Er schien in ihrem Alter zu sein und hatte blonde glatte Haare und feine Gesichtszüge. Er bewegte sich nicht. Jette war sich nicht sicher, ob er sie sehen konnte. Sie ging näher, und der Junge fragte: »Hallo?« Er schien blind zu sein.

»Hallo«, sagte Jette.

»Bist du das Mädchen?«, fragte er und zeigte auf das Schild.

»Ja«, sagte Jette.

»Endlich!«, sagte er. »Und du heißt Lina Sandwey?«

Der Name kam von weit her. Als hätte ihn jemand über ein weites Meer geschickt.

Jette sagte nichts.

»Bist du noch da?«, fragte der Junge.

»Ja«, sagte Jette.

»Bist du die Lina Sandwey?«

»Ja.«