»Vision Face sucht …«

Jette biss in ihren Apfel und kaute bedächtig. Bloß keine übertriebenen Aktivitäten, dachte sie. Der Apfel schmeckte süß. Sie leckte sich die Lippen ab und biss gleich noch einmal hinein. Neben sich hörte sie Klara und Charlie in ihren Zeitschriften blättern. Die drei Freundinnen hatten sich direkt nach der Schule bei Charlie auf den Balkon gelegt, sonnten sich dort in den Liegestühlen – und warteten.

Heute sollte die Wohnung geräumt werden. Charlie war wild entschlossen, ihre eigenen vier Wände keinen Moment zu früh zu verlassen, und Jette und Klara hatten es ihr nicht ausreden können. Charlies Mutter und ihre kleine Schwester waren bereits ausgezogen. Sie lebten jetzt bei der Großmutter. Ab heute Abend war das auch Charlies neues Heim.

»Um den Balkon ist es wirklich schade«, sagte Jette in die Stille hinein.

»Um das Blümchenklo auch«, bemerkte Klara. »Blümchen in der Kloschüssel! Das gibt’s sonst nirgends. Können die das Klo nicht ausbauen und mitnehmen, und ihr kauft es später zurück?«

»Du redest ja wie meine Mutter«, sagte Charlie genervt. »Hat sie auch schon gesagt. Aber wie soll das gehen? Eine Kloschüssel ausbauen! Außerdem müssen wir die Räumung selbst bezahlen. Jedes Stück, das die aus der Wohnung tragen, erhöht die Rechnung. Würde mich nicht wundern, wenn auch die Lagerung kostet.«

»Wieso hat deine Mutter den Auszug denn nicht selbst organisiert?«, fragte Jette.

»Was weiß ich. Meine Schwester war krank. Und dann war der Räumungstermin auf einmal da. Sobald meine Mutter wieder Geld hat, will sie die Möbel zurückkaufen.«

»Hört ihr das auch?«, fragte Klara plötzlich unsicher. Jette und Charlie lauschten. Ein schweres Auto näherte sich dem Haus. Jette sprang auf und schaute zur Straße hinunter. »Nur ein Laster«, sagte sie. Charlie lächelte schwach.

»Noch jemand einen Apfel?«, fragte Jette. »Meine Mutter hat mir eine ganze Tüte eingepackt.«

Charlie und Klara nickten. Jette kramte die Äpfel hervor, dann schloss sie die Augen und drehte sich zur Sonne. Sie sah den hellen Gasball vor ihren geschlossenen Lidern tanzen, kniff die Augen noch stärker zu und ließ ihre Gedanken schweifen.

»Jette!!! Jetzt hör doch mal!«, rief Klara. Ihre Stimme schien von weit her zu kommen.

»Was denn?«, murmelte Jette schläfrig.

»Die Anzeige hier steht überall!«, sagte Klara. »Hör zu: ›Nutze die Chance deines Lebens! Vision Face sucht für einen großen Kunden aus der Kosmetikbranche das neue Gesicht. Du kannst es sein! Die weltbesten Fotografen und Stylisten warten auf die Gewinnerin des großen Vision Face-Wettbewerbs. Unser neues Gesicht hat eine perfekte, helle Haut, gerne mit charakteristischem Muttermal, und dunkle Haare. Bewirb dich jetzt!‹ Jette, mach das!«

Charlie hatte sich aufgesetzt. »Jette, schick ein Foto hin!«

»Was seid ihr denn für Freundinnen?«, sagte Jette und schnitt eine Grimasse. »Immer wieder kommt ihr mit so Zeugs. Ich hab darauf keinen Bock. Wahrscheinlich muss man dann zu Heidi Klum zum Adventssingen und für Paris Hilton den Chihuahua ausführen. Lasst mich mit so was in Ruhe!« Jette drehte ihren Freundinnen den Rücken zu.

»Aber Jette, Heidi wird dich nur einmal zum Singen einladen …«, zog Klara sie auf und spielte damit darauf an, dass Jette zwar Klavier spielen konnte, aber noch nie im Leben eine Melodie gehalten hatte.

»Das ist wie für dich ausgeschrieben!«, versuchte Charlie es noch einmal.

»Mir egal«, raunzte Jette.

Charlie drehte sich zu Klara und zuckte mit den Schultern. War eigentlich klar gewesen. Charlie kannte ihre Freundin. Jette hatte noch nie bei einem dieser Castings mitgemacht. Und dabei war sie verdammt hübsch. Aber sie schien sich nichts daraus zu machen. Liebesbriefe, die sie erhielt und bei denen ihr Name nicht ausdrücklich draufstand, steckte sie anderen Mädchen in die Tasche und hatte so schon mehrmals Leute miteinander verkuppelt. Sie trug einfach irgendwelche Klamotten, oft sogar Sachen, die Charlie nicht mehr haben wollte. Sie würde eh nicht gern einkaufen gehen, sagte Jette immer. Und Charlie war bereit zu schwören, dass sie Jette noch nie länger als eine halbe Minute vor dem Spiegel gesehen hatte. Jette schien sich für ihr Aussehen überhaupt nicht zu interessieren.

Es klingelte. Die Freundinnen fuhren senkrecht in die Höhe und schauten sich an. Charlie räusperte sich und sagte betont gelassen: »Ich gehe dann mal.«

Jette sprang auf. »Nein, ich mach das schon.« Sie zog sich schnell ihre Jeans und ein Sweatshirt über den Bikini und lief zur Tür. Durch den Spion war niemand zu sehen. Sie drückte auf den Türöffner und hörte, wie unten im Hausflur die Tür ging. »Post!«, rief jemand. »Puuh!«, machte Jette erleichtert und merkte, dass sie vor Aufregung die Luft angehalten hatte. Sie ging langsam zurück auf den Balkon. »Nur die Post«, sagte sie und stellte sich ans Geländer. Sie ließ ihren Blick über die Straße schweifen. Von einem Umzugswagen war nichts zu sehen. Vielleicht kommen sie ja gar nicht, dachte sie. Gegenüber auf der Straßenseite wusch ein blonder Mann sein Auto. Jette schaute genauer hin. Den Mann hatte sie doch schon einmal gesehen. Gestern Nachmittag im Schwimmbad. Er hatte sich die ganze Zeit in ihrer Nähe aufgehalten. In der Straßenkleidung sah er etwas anders aus, aber sie erkannte ihn trotzdem wieder. Der Mann guckte kurz zu ihr hoch, widmete sich aber dann wieder seinem Auto. Jette wunderte sich. Normalerweise versuchten die Leute, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Manche wurden auch rot und wandten sich tonlos ab. Dieser aber wirkte völlig desinteressiert.

Jette drehte sich wieder zu ihren Freundinnen um. »Charlie, sollen wir das nicht endlich sein lassen? Wir könnten in die Stadt gehen, ein Eis essen, und heute Abend sehen wir dann nach, ob sie da waren.«

»Ihr könnt ja gehen, wenn ihr wollt«, sagte Charlie kurz angebunden.

»Aber findest du es nicht komisch, hier so zu warten?«, wandte Jette ein. »Erinnert mich irgendwie an das Orchester auf der Titanic. Die haben auch bis zum bitteren Ende gespielt.«

»Aber auf der Titanic sah es etwas anders aus als hier«, sagte Charlie bitter und machte eine Handbewegung in Richtung der Zimmer. Alles, was irgendwie wertvoll war, hatte der Gerichtsvollzieher bereits vor Wochen mitgenommen. Auch Sachen von Charlie. »Wir bleiben. Bis die Titanic untergeht, okay?«, sagte Charlie.

Jette nickte und ließ sich wieder in ihren Liegestuhl fallen. Wenn Charlie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie nur schwer davon abzubringen.

Sie erinnerte sich noch gut daran, wie Charlie ihr das erste Mal aufgefallen war. Sie waren damals in der fünften Klasse gewesen und hatten in der ersten Stunde eine Biologiearbeit geschrieben. Jette gab als Erste ab und ging aus dem Klassenzimmer. Draußen vor der Tür stand ein schmales Mädchen mit glatten blonden Haaren und einem fein geschnittenen Gesicht. Charlie, ihre Klassenkameradin. Sie hatte verschlafen und war gerade erst gekommen. Für die Klassenarbeit war es natürlich viel zu spät, und Charlie weinte. Jette hatte sie gefragt, ob ihre Mutter sie denn nicht geweckt habe. Charlie hatte den Kopf geschüttelt und fand die Frage offensichtlich ziemlich blöd. Aber dann hatte Jette ihr breit und ausführlich erzählt, wie unglaublich missraten der Regenwurm aussah, dessen Körperteile sie in der Arbeit beschriften sollten und den der Lehrer eigenhändig gemalt hatte. Sie hatte immer noch einen draufgesetzt, bis Charlie schließlich lachen musste. Und seit diesem Tag waren sie Freundinnen.

»Hört ihr das?«, fragte Klara auf einmal.

Jette fuhr erschrocken hoch. Der Lärm kam von der Straße. Sie sprang auf und blickte über das Geländer. Unten vor der Wohnung parkte ein Umzugswagen. Charlie saß wie versteinert in ihrem Liegestuhl.

»Sie kommen«, sagte Jette. Aus dem Wagen stiegen drei Männer. »Da sind noch mehr Leute in einem anderen Auto.«

»Vielleicht der Gerichtsvollzieher?«, sagte Klara.

Jette zuckte mit den Schultern. Charlie sagte immer noch nichts.

»Charlie, zieh dir was an. Die klingeln gleich«, sagte Jette. Charlie streifte sich mechanisch T-Shirt und Rock über.

»Wie auf der Titanic!«, sagte Jette und hakte sich bei ihr ein.

»Okay.« Charlie lächelte schwach.

Die drei Mädchen gingen in den Flur und lauschten. Nichts. Dann klingelte es. Das schrille Geräusch kam den Mädchen lauter vor als sonst. »Ich mach schon«, sagte Jette.

Charlie sah ihre Freundin dankbar an. Jette nahm die Dinge in die Hand. Sie hatte etwas Furchtloses an sich. Wie in der Nacht am See, als sie allein in den dunklen Wald gegangen war. Sie stand an der Tür, sehr aufrecht, eine Augenbraue spöttisch in die Höhe gezogen. Sie würde die Tür öffnen und stolz und schön im Eingang stehen. Wer auch immer auf der anderen Seite Einlass begehrte, würde sich als Bittsteller fühlen und sich erst einmal gründlich verhaspeln. Jette war ihr ein Rätsel. Woher nahm sie dieses Selbstvertrauen? Immerhin war sie, wenn man so wollte, ein Findelkind. Ihre Mutter hatte sie ein paar Tage nach der Entbindung in der Klinik zurückgelassen. Im Alter von wenigen Wochen war Jette dann zu neuen Eltern gekommen.

»Du siehst aus wie eine Königin«, war es Charlie einmal rausgerutscht. Jette hatte gelacht und gesagt: »Nein, wie eine Prinzessin. Wie die Tochter einer Königin!« Und sie hatte den Kopf noch etwas höher getragen, obwohl das kaum noch möglich war. Ihre leibliche Mutter war eine drogenabhängige Frau, von der niemand wusste, wo sie war und ob sie überhaupt noch lebte. Und Jette bezeichnete sie glatt als »Königin«.

Es klingelte wieder. Doch irgendetwas stimmte nicht.

»Halt!«, rief Charlie. »Das war nicht bei uns! Die klingeln nicht bei uns.«

»Wie, nicht bei uns?«, fragten Jette und Klara fast gleichzeitig.

»Das ist die Klingel vom Nachbarn«, sagte Charlie und zuckte die Achseln.

Dann war es still.

»Der ist nicht da«, sagte Charlie.

Nach einer Weile hörten die Mädchen, wie es überall im Haus klingelte, auch bei ihnen. Irgendjemand drückte den Türöffner. Mehrere Leute kamen die Treppe hoch und blieben auf Charlies Etage stehen.

Jette spähte durch den Spion. Ein Mann klingelte an der Tür nebenan. Keine Reaktion. »Öffnen Sie bitte!«, sagte der Mann nach einer Weile zu einem seiner Begleiter.

»Die bauen das Schloss aus«, flüsterte Jette, ohne die Augen vom Spion zu lassen. Jetzt hörten die Mädchen ein Klopfen. Dann etwas, das wie ein Schlag gegen Holz klang. Danach war alles still.

»Die Tür ist offen. Sie gehen rein«, fragte Jette leise.

Die drei Freundinnen schauten sich verdutzt an.

»Versteht ihr das?«, flüsterte Jette.

»Da wohnt ein Musiklehrer«, sagte Charlie. »Der ist ganz neu hier eingezogen.«

Nach ein paar Minuten hörten die Mädchen schwere Schritte im Hausflur und ächzende Männerstimmen.

»Die tragen ein Sofa runter«, sagte Jette am Spion.

»Wisst ihr, was ich glaube?«, sagte Charlie langsam. »Die räumen die falsche Wohnung aus. Der Nachbar heißt auch Schmidt. Aber mit ›dt‹, nicht mit ›tt‹ wie wir.«

»So blöd kann man doch nicht sein«, sagte Klara.

»Meine Mutter hat unser Namensschild schon abmontiert. Wahrscheinlich haben die an der Tür nebenan nur ›Schmidt‹ gelesen und sind rein.«

»Ist denn da keiner von der Wohnungsgesellschaft dabei?«, fragte Jette.

»Keine Ahnung«, antwortete Charlie. »Die wissen vielleicht auch nur, dass die Wohnung irgendwo im zweiten Stock ist.«

Charlie grinste, und Klara musste so sehr lachen, dass sie sich verschluckte.

»Mädels, ich schlage vor, wir legen uns wieder auf den Balkon«, sagte Jette. Sie stolzierte nach draußen, streifte sich die Kleidung ab, schaute ihre Freundinnen triumphierend an und fragte: »Wie war der neue Nachbar denn so?«

Jette und Charlie legten sich wieder auf die Liegestühle. Klara stellte sich ans Geländer und verfolgte das Treiben unten auf der Straße. Hin und wieder brach eine der drei Freundinnen in Gelächter aus.

»Jetzt bringen sie das Klavier«, sagte Klara.

Jette sprang auf. Tatsächlich. Auf dem Bürgersteig stand ein hellbraunes Klavier. »Bin gleich wieder da«, sagte sie ohne weitere Erklärung und lief die Treppe hinunter.

Nach dem schweren Klavier hatten die Möbelpacker eine Pause eingelegt und sich auf ein paar herumstehende Stühle gesetzt. Die drei Männer waren kräftig, aber auf ihren Stirnen glänzte der Schweiß.

»Ein schönes Stück«, sagte Jette und ließ ihre Hände über das edle Klavier gleiten.

»Räumungsklage«, sagte einer der Männer. »Wir schaffen alles raus. Schon komisch. Die Leute haben ein teures Klavier, können aber die Miete nicht zahlen. Kommt öfter vor, als man denkt.«

Jette drückte vorsichtig eine Taste. Ein klarer Ton erklang, der sich auf der anderen Straßenseite verlor. Ein Vogel antwortete.

»Haben Sie vielleicht einen Stuhl?«, fragte sie.

»Natürlich«, sagte der Mann und rückte ihr einen Stuhl zurecht.

Jette setzte sich, ließ die Finger sacht über die Tasten gleiten und sagte mit lauter Stimme: »Für Charlie!« Dann schlug sie die ersten Akkorde aus »The Sinking« an, der Musik, die das Orchester im Titanic-Film beim Untergang des Schiffes gespielt hatte. Gleich zu Beginn kamen die hämmernden, bedrohlichen Töne, dann die dramatische Melodie des letzten Aufbäumens, schließlich die schrägen Klänge, als das Schiff barst. Jette hatte die Klavierversion vor längerer Zeit einmal gelernt und fast nichts vergessen. Nicht dass sie eine besonders gute Klavierspielerin war. Aber ihre Mutter war Opernsängerin und spielte leidenschaftlich gern, und so hatte Jette zwangsläufig ein bisschen spielen gelernt. Nachdem der letzte Ton verklungen war, stand sie auf, deutete eine Verbeugung an und ging zurück ins Haus.

Charlie und Klara waren nicht mehr auf dem Balkon. Jette fand sie im Wohnzimmer auf dem Sofa. Charlie hatte ihr Gesicht in ein Kissen vergraben und weinte.

»Was ist denn los?«, fragte Jette bestürzt.

»Das war zu viel«, flüsterte Klara, und ihre Stimme klang vorwurfsvoll.

»Oh nein, das wollte ich nicht.« Jette kniete sich erschrocken vor ihrer Freundin auf den Boden. »Ich dachte, das freut dich.« Charlie schluchzte noch etwas lauter. Jette streichelte ihr vorsichtig über den Kopf. »Na komm.« Doch Charlie weinte nur noch mehr. »Du hättest die Männer unten sehen sollen«, versuchte Jette es weiter. »Sahen selbst aus wie drei kleine Schränke …« Charlie musste ein bisschen lachen. »Und bald müssen sie den ganzen Kram wieder hochtragen«, fügte Jette grinsend hinzu. Charlie weinte und lachte jetzt gleichzeitig.

»Soll ich Eis für uns kaufen gehen?«, fragte Jette.

»Ja, gute Idee«, sagte Klara.

Eine Viertelstunde später saßen die drei Mädchen erneut in den Liegestühlen, jede mit einem Schokoladeneis in der Hand. Der Umzugswagen war wieder weggefahren.

»Charlie will in der Wohnung bleiben«, sagte Klara. »Ich übernachte heute bei ihr.«

»Die kommen doch sicher wieder«, gab Jette zu bedenken.

»Ja, aber nicht heute«, sagte Charlie. »Wahrscheinlich brauchen die erst einmal ein paar Wochen, um einen neuen Termin festzulegen. So sind Behörden.« Charlie grinste.

Ein Sonnenbad später verabschiedete Jette sich. Sie hatte noch etwas Dringendes zu erledigen.

Als sie zu Hause ankam, lag ihre Mutter in der Badewanne und las. Um sie herum wogten Berge von Schaum. »Bleib ruhig liegen, Mama«, sagte Jette. Ihre Mutter hatte die nervige Angewohnheit, sich ständig in Jettes Leben einzumischen. Jette wusste, dass das nicht böse gemeint war, aber bei dem, was sie jetzt vorhatte, war sie nicht scharf auf neugierige Nachfragen.

»Wie fändest du es«, fragte ihre Mutter, »wenn Papa und ich ein Wochenende nach Venedig fahren? Du kannst auch mitfahren, wenn du willst.« Sie hielt einen Venedig-Reiseführer in der Hand.

»Nein, fahrt nur allein«, sagte Jette und setzte ihrer Mutter eine Schaumkrone auf den Kopf.

»Aber du schläfst dann bei Klara, okay? Oder sie bei dir? Oder Charlie.«

Jette machte ein unbestimmtes Gesicht.

Ihre Mutter tauchte unter, und Jette nutzte die Gelegenheit, um aus dem Bad zu flüchten.

Aus dem geschlossenen Arbeitszimmer drang laute Musik. Jette öffnete die Tür. Ihr Vater saß bei weit geöffnetem Fenster mit einer Zigarette in der Hand am Schreibtisch und arbeitete. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Jette trat auf ihn zu und klopfte ihm auf die Schulter. Er drehte sich erschrocken um, doch als er sah, dass es seine Tochter war, lächelte er. »Mach bitte die Tür zu«, sagte er, wie immer, wenn Jette reinkam, während er rauchte. Eine Opernsängerin und ein rauchender Lehrer: In regelmäßigen Abständen krachte es in Jettes Elternhaus. Dann meinte ihre Mutter, sich den Rauch nun wirklich nicht mehr zumuten zu können. Und Jettes Vater versprach, mit dem Laster aufzuhören, wozu es allerdings nie kam. »Hast du Hunger?«, fragte er jetzt.

Jette schüttelte den Kopf. »Arbeite ruhig weiter«, sagte sie und ging wieder aus dem Zimmer. »Die Tür!«, rief er ihr nach.

Im Wohnzimmer lagen mehrere Tageszeitungen. Gut, dass ihre Eltern beschäftigt waren. Jette schaute sie durch und fand auf Anhieb die Anzeige, die Klara ihnen vorgelesen hatte. »Vision Face sucht …« Die Anzeige stand wirklich überall. Jette schrieb eine Bewerbung, legte ein aktuelles Foto bei und ging direkt zum Briefkasten. Vielleicht hatte sie ja tatsächlich gute Chancen zu gewinnen, würde damit etwas Geld verdienen und konnte Charlie dann die Miete für die Wohnung bezahlen.