Lauschangriff

Jonah lag im Dachgeschoss der saalfeldschen Villa auf dem Bett. Sein Kumpel, der Sohn des Hausherrn, hockte neben ihm auf der Bettkante und tippte ungeduldig auf einem kleinen Funkempfänger herum. Dukie, wie alle ihn nannten, war völlig in seine Arbeit vertieft. Hin und wieder hörte Jonah ein »Scheiße« oder ein »Das gibt’s doch nicht«. Er machte sich nicht die Mühe zu antworten. Mit der Technik von Dukie klappte es nie auf Anhieb. Aber wenn er genug geflucht, gedreht und getippt hatte, konnten sie schließlich doch alle Gespräche, die in der Villa geführt wurden, mithören. Und zwar wirklich alle.

»Ich musste heute Morgen alle Wanzen aus dem Speisesaal rausholen«, sagte Dukie nach einer Weile. »War ziemlich knapp. Mein Vater hat das Zimmer persönlich gefilzt. Hatte ich irgendwie im Gefühl, dass er das tun würde. Das macht er manchmal, wenn er mit Wim heikle Sachen besprechen will. Die beiden essen da unten jetzt zu Abend. Als er mit dem Durchsuchen fertig war, bin ich aber rein und hab mein Handy hinter ein paar Bücher gelegt und die Abhörfunktion aktiviert. War absolut simpel. Die hatten den Raum nicht mal abgeschlossen. Jetzt muss ich das nur noch zum Laufen bringen, und zwar schnell.« Dann verfiel er wieder in Schweigen.

Seit einem halben Jahr hörte Dukie die Villa ab. Nach und nach hatte er alle Räume mit Wanzen, Parabolmikrofonen oder ferngesteuerten Handys versehen. Nichts, was die Bewohner und deren Gäste sagten, entging ihm.

Erstens war Dukie ein Technikfreak, und zweitens war das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater Kai Saalfeld, dem Vorstandsvorsitzenden des Pharma- und Kosmetikkonzerns Stayermed, völlig zerrüttet.

Solange Jonah denken konnte, hatten Dukie und sein Vater sich bekämpft. Die beiden Jungen waren praktisch zusammen aufgewachsen, denn Jonahs Eltern gehörten zum Personal: Sein Vater kochte für die Saalfelds, und seine Mutter organisierte den Haushalt. Je älter Dukie wurde, desto schärfer wurden die Auseinandersetzungen mit seinem Vater. Als Kindergartenkind hatte er über Monate hinweg immer wieder Klebstoff auf dem Parkett der Villa verteilt. Am Tag seiner Einschulung hatte er die teuren Koi-Karpfen aus dem Gartenteich geangelt. Später hatte er bei Geschäftsessen in der Villa den Strom abgestellt. Jetzt waren sie beide sechzehn Jahre alt und beim Abhören angelangt. Was wohl danach kommen würde? Jonah hatte Dukies Aktionen manchmal etwas übertrieben gefunden. Aber Dr. Saalfeld war ja auch nicht sein Vater. Vielleicht musste man so reagieren, wenn einen der eigene Vater konsequent mit Nichtbeachtung strafte. Jonah konnte sich nicht daran erinnern, dass Dr. Saalfeld sich je mit ihnen beschäftigt hätte, als sie klein gewesen waren. Sein eigener Vater hingegen hatte mit ihnen Fußball gespielt, Baumhäuser gebaut und natürlich gekocht.

»Es klappt!« Dukie klopfte triumphierend auf die Anlage.

»Du hattest einen klaren Auftrag«, war die wütende Stimme Dr. Saalfelds zu hören.

»Ja, stimmt.« Ein kleinlauter, missmutiger Wim Tanner.

»Du solltest nur herausfinden, was das Mädchen macht, wie sein normaler Tagesablauf ist. Es gab keinen Grund, dass du deine Fledermaus auf sie loslässt.«

»Ja.«

»Und wenn das Mädchen dich gesehen hat?«

»Hat sie nicht.«

»Ich will keine Alleingänge mehr! Hast du mich verstanden?!«

»Ja.«

»Warte mal, ich krieg den Empfang bestimmt noch besser hin«, sagte Dukie.

»Ist doch völlig in Ordnung …«

»Das ist ja eine ganz schöne Abreibung.« Dukie lachte zufrieden, während er auf seinen Armaturen herumtippte. Weder Jonah noch Dukie mochten Wim Tanner besonders. Der Mann war Chefgärtner bei der Familie Saalfeld wie auch beim Konzern. Außerdem war er der persönliche Assistent von Dr. Saalfeld. Seit Jonah denken konnte, ging Wim Tanner im Haus ein und aus. Dabei benahm er sich, als gehörte die Villa ihm. Und wenn man ihm über den Weg lief, konnte man froh sein, wenn er einen nicht mit einem fiesen Tier ärgerte. Irgendeins trug er immer mit sich herum: Schlangen, Echsen, Insekten, Würmer und was man sich sonst noch alles nicht wünschte.

»… und dann dieser Falke!«, blaffte Dr. Saalfeld. Er hatte sich in Rage geredet. »Was sollte diese Nummer mit dem Falken?«

»Ich verstehe das auch nicht.«

»Falken jagen nachts nicht!«

»Dieser schon.«

»Eben.«

»Wie ›eben‹?«

»Vielleicht hat er jemandem gehört. Vielleicht ist er für so etwas trainiert worden«, überlegte Dr. Saalfeld gereizt.

»Kann sein.«

»Vielleicht hat jemand den Falken extra auf die Fledermaus angesetzt.«

»Kann sein.«

»›Kann sein, kann sein‹«, äffte Dr. Saalfeld ihn nach. »Ich hoffe nur …« Er verstummte abrupt.

Das Scheppern von Geschirr war zu hören. »Carmen ist mit dem Essen reingekommen«, flüsterte Dukie. Dann erklang die Stimme der Hausangestellten: »Als Vorspeise serviere ich Wolfsbarsch mit Garnele in Vanilleduft. Ich wünsche guten Appetit!« Eine Tür klappte. Carmen war wieder draußen.

»Worum geht’s denn da?«, fragte Jonah.

»Keine Ahnung. Wäre besser gewesen, mein Vater hätte Wim Tanner als Zoodirektor eingestellt«, lästerte Dukie. »Jetzt macht er also auch noch in Falken. Seine Fledermäuse vermehren sich wie die Karnickel, dann die Babypuffotter für meinen Vater, und gestern kam eine Lieferung tropischer Ameisen an. Na super. Aber wenigstens funktioniert das hier.« Dukie klopfte auf einen seiner Apparate. »Nicht schlecht, was?«

»Was?«

»Wie ich das verwanzt habe!«

»Wir haben nicht mal gehört, wie Carmen reingekommen ist.« Jonah wusste, wie er Dukie ärgern konnte.

»Sehr witzig.« Eine Weile sagte Dukie nichts. Aber dann fragte er versöhnlich: »Hast du Hunger?«

Jonah nickte.

Dukie stand auf, drückte am Telefon eine Taste und bat Carmen, ihnen das Abendessen hochzubringen. Jonah setzte sich langsam in Bewegung. Er rutschte zur Bettkante, erhob sich und ging vorsichtig zu dem kleinen Esstisch am Fenster. Dort setzte er sich hin und wartete.

Jonah war blind. Seit etwas über einem Jahr. Es war ein Unfall gewesen. Ein vorbeifahrender Laster hatte Jonah auf seinem Fahrrad gestreift. Er war mit voller Wucht durch die Luft geflogen und hatte sich schwer verletzt. Die Ärzte hatten ihn nach allen Regeln der Kunst wieder zusammengeflickt, nur die Augen hatten sie nicht mehr hinbekommen. Jetzt trug er eine Sonnenbrille. Er hatte auch Narben im Gesicht. Auf jeder Seite eine. Sie waren lang und schmal und führten von den Schläfen gerade nach unten. Dukie hatte ihm gesagt, sie sähen aus, als rahmten sie sein Gesicht mit den blonden Haaren ein. Sie seien okay, er sei nicht entstellt. Auf Dukie war in dieser Hinsicht Verlass. Seine Eltern hatte er lieber nicht gefragt. Seit dem Unfall verbrachte er so viel Zeit wie möglich bei Dukie im Dachgeschoss. Mit seinem alten Kumpel war es einigermaßen entspannt. Er nervte ihn nicht damit, dass er die Brailleschrift oder andere Sachen dieser Art lernen sollte. Wie seine Eltern es taten oder, genauer gesagt, seine Mutter.

Es klopfte. Dukie schaltete den Empfänger aus und rief: »Herein!« Es war Carmen mit dem Essen. »Dein Vater hat klasse Garnelen bekommen«, sagte sie zu Jonah. Sie trug ihm auf und erklärte, wie sie es für ihn als Blinden gelernt hatte, wo was lag: »Die Garnele ist gepult und liegt auf zwölf Uhr. Der Barsch ist auf drei, die Soße auf sechs und der Vanilleduft …« – Jonah hörte, wie sie schnupperte – »… liegt in der Luft.« Sie lachte. »Guten Appetit!« Und weg war sie.

Jonah tastete mit der Gabel nach der Garnele. Als er sie gefunden hatte, spießte er sie auf und schob sie in den Mund. Sie war fest und saftig und schmeckte nach Meer. Jonah ließ seine Gabel über den Teller gleiten und hoffte, etwas Vanillesoße zu ergattern. Keine Frage, sein Vater konnte kochen. Er nahm noch einen Bissen und schloss die Augen, um sich ganz auf den Geschmack zu konzentrieren. Komische Angewohnheit, die Augen zu schließen, dachte er; wo er doch schon blind war.

»Es geht weiter«, sagte Dukie mit vollem Mund. »Ich stell laut.«

»Was soll ich als Nächstes machen?« Die niedergeschlagene Stimme Wim Tanners war wieder zu hören.

»Was du schon die ganze Zeit machen solltest«, herrschte Dr. Saalfeld ihn an. »Herausfinden, wie wir am besten an eine saubere Genprobe von ihr kommen. Haare, Haut, was auch immer. Aber bitte ihre Haare, ihre Haut. Also hundertprozentige Sicherheit. Keine Haare von irgendeiner Bürste, sondern direkt von ihr. Such nach einer günstigen Gelegenheit. Möchte mal wissen, warum du nicht gleich am See ein paar Haare von ihr mitgebracht hast.«

»Ging nicht.«

»Du warst doch ganz nah an ihr dran, als sie schlief. Du hast ja sogar das Aufnahmegerät vor sie gestellt, hast du gesagt.«

»Ich hatte Angst, dass sie wach wird, wenn ich an ihren Haaren rummache.«

»Wahrscheinlich waren dir die Fledermäuse wichtiger«, sagte Dr. Saalfeld. »Außerdem brauche ich eine Blutprobe von ihr. Für einige Untersuchungen ist Blut besser. Mach mir einen Vorschlag, wie wir das hinkriegen. Aber eine saubere Probe. Nichts mit bluttrinkenden Fledermäusen und so. Ist das klar? Das ist kein sauberes Material. Keine Pannen mehr mit Schneewittchen.«

»Ich unterbreche nur ungern Ihre Märchenstunde …« Carmens amüsierte Stimme.

»Die hat den letzten Satz mitgekriegt«, raunte Dukie.

»Freuen Sie sich jetzt auf Entenbrust mit Apfel-Trauben-Kraut und Röstkartoffeln.«

Eine Weile war aus dem Speisesaal nur noch das leise Geklapper von Besteck zu hören.

»Weißt du, warum dein Vater eine Genprobe von dem Mädchen will?«, fragte Jonah.

»Nein«, antwortete Dukie knapp.

An der Tür klopfte es. Carmen kam herein, und Jonah hörte es kurz darauf knirschen. Er musste grinsen. Carmen war wieder einmal auf eines der Muschelfelder getreten, die Dukie in seinem Zimmer ausgelegt hatte.

»’tschuldigung«, murmelte Carmen. Sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, dass der Boden nicht nur zum Laufen da war.

Seitdem Dukie vor drei Jahren ins Dachgeschoss gezogen war, hatte er es nach und nach in eine »Seen- und Ozeanlandschaft« verwandelt, wie er es nannte. An der Decke hingen Fischernetze, von denen unförmig ausgestopfte Tintenfische herunterbaumelten. Harpunen und Fischmesser schmückten die Wände. In einer Ecke stand eine Babybadewanne, in der sich lebende Krebse im Schlick suhlten. Dukie hatte den Schlamm eigenhändig aus einem Urlaub mitgebracht, was insofern beachtlich war, als er es hasste, sich die Hände schmutzig zu machen. Nicht einmal als Kind hatte er im Sand gespielt. Dies brachte ihm auch den Spitznamen Duke ein, zu Deutsch Herzog, den ein englischsprachiges Kind eines Tages auf dem Spielplatz eingeführt hatte. Nach kurzer Zeit war daraus Dukie geworden, und sein richtiger Name, Alexander, fiel seither kaum noch.

Dukies Vater haderte mit der Einrichtung des Dachgeschosses dermaßen, dass er es seit mindestens einem Jahr nicht mehr betreten hatte. Die übrigen Etagen der Villa waren vollkommen anders eingerichtet. Hier erinnerte alles eher an ein französisches Schlösschen als an Seen und Ozeane, denn Frau Dr. Saalfeld liebte echte und unechte Louis-quinze-Möbel.

Auch von außen war die Villa ein Prachtbau. Sie hatte einen weißen Anstrich, hohe Fenster und viel buntes Mosaik an der Fassade. Es gab Balkone und Erker, von denen die meisten mit schmiedeeisernen Gittern in Form von Schmetterlingsflügeln geschmückt waren. Die Attraktion im Innern war eine sechseckige, holzvertäfelte Eingangshalle, die sich über alle Etagen in die Höhe zog und oben von einem großen, bunt verglasten Dachfenster begrenzt wurde. Das Fenster zeigte eine prachtvolle Blumenlandschaft mit ineinander verschlungenen Pflanzen. Eine breite Wendeltreppe verband die Etagen des Hauses miteinander. Das Pflanzenmotiv tauchte auch an anderen Stellen im Haus auf: auf dem Bodenmosaik in der Eingangshalle, am Treppengeländer und an den Wänden.

An der Westseite der Villa schloss sich über einen kleinen Flur ein separater Trakt an, der das persönliche Refugium des Hausherrn war. Er bestand aus einem Arbeitszimmer mit Zugang zu einer Veranda, einem Bad und einem Schlafzimmer. Direkt an das Haus angrenzend hatte Dr. Saalfeld eine kleine Tiefgarage bauen lassen, sodass keine parkenden Autos den Blick auf den Garten störten.

Es klopfte, und im selben Moment ging die Tür auf.

»Jonah, ich geh in die Stadtbibliothek. Möchtest du mit?« Es war seine Mutter. Mindestens einmal am Tag kam sie ins Dachgeschoss, um ihn zu irgendeiner Aktivität zu überreden. Meistens zog sie unverrichteter Dinge wieder ab.

»Nein, danke«, sagte Jonah auch jetzt.

»Aber du kannst doch nicht den ganzen Tag hier herumsitzen!«

Doch, das kann ich sehr gut, dachte Jonah, aber er sprach es nicht laut aus.

»Du leihst dir ein paar Hörbücher aus, und danach gehen wir Eis essen!« Ihre Stimme hatte jetzt einen drängenden Ton angenommen. Jonah hörte die bekannten Nuancen heraus: Unsicherheit, Verzweiflung, ihren Wunsch, alles richtig zu machen.

»Lass mich in Ruhe«, knurrte er.

Sie blieb noch eine Weile im Zimmer stehen; dann ging sie. Dukie, wie immer bei solchen Szenen, sagte nichts.

Die Entenbrust war inzwischen kalt geworden. Jonah probierte trotzdem ein Stück. Die Haut war knusprig und mit Honig bestrichen. »Da sind sie!«, rief Dukie auf einmal aufgeregt. »Mitten im Gespräch.«

»Ich habe noch eine Idee.« Dr. Saalfelds Stimme. »Aber das braucht ein bisschen Vorlauf. Und vielleicht klappt es auch nicht. Aber wir werden es als Plan B in petto haben. Ich lasse einen Schönheitswettbewerb ausschreiben. Direkt auf sie zugeschnitten: ›Großer Kosmetikkonzern sucht neues Gesicht: dunkle Haare, helle Haut, gerne mit charakteristischem Muttermal …‹ Vielleicht springt sie drauf an. Wir lassen sie dann gewinnen. Wenn wir bis dahin noch keine zuverlässige Genprobe haben, kriegen wir sie bei der Preisverleihung. Du kannst ihr dann ja die Haare frisieren.« Kai Saalfeld lachte über seinen eigenen Witz. »Und Blut abnehmen können wir ihr dann auch. Wir machen einfach einen Allergietest, ob sie die Kosmetika verträgt … Und eins noch: Ich will, dass du das Mädchen ab sofort rund um die Uhr überwachen lässt.«

»Warum?«

»Diese Geschichte mit dem Falken stört mich. Kann sein, dass noch jemand Drittes die Finger im Spiel hat. Ich will genau wissen, mit wem das Mädchen Kontakt hat. Wir legen jetzt mal einen Gang zu.«

»Sie gehen raus!« Dukie war entsetzt. »Verdammt! … Jetzt sind sie an der Garderobe … Die gehen in den Garten. Ich komme einfach nicht dazu, den Garten zu verwanzen.«

»Reg dich nicht auf«, sagte Jonah. »Die sind gleich wieder da.«

»… und haben dann alles Wichtige draußen besprochen. Morgen kümmere ich mich direkt um den Garten.« Dukie tippte verzweifelt auf seinen Armaturen herum.

Es klopfte schon wieder. Carmen brachte den Nachtisch. Orangenblütensorbet. Jonah ließ seine Hände über das kalte Glas gleiten, griff nach dem Löffel und kostete. Das Eis schmeckte nach Strand, Licht und Farben. Er musste an seine Mobilitätstrainerin denken, die ihm in der Zeit nach dem Unfall beibringen sollte, wie er als Blinder allein zurechtkam. Er hatte sich nicht sehr für ihre Tipps interessiert und war immer froh gewesen, wenn sie wieder ging. Eines Tages hatte sie ihn gefragt, was er denn am liebsten mache. Und er hatte »Nachtisch essen« gesagt und es auch so gemeint. Den Desserts seines Vaters gelang es immer irgendwie, ihn etwas mit der Welt auszusöhnen. Auch jetzt wich seine Anspannung. Er verputzte alles bis auf die Orangenschale und lehnte sich zufrieden zurück. »Was machst du jetzt?«, fragte er seinen Freund.

»Wie meinst du das?« Dukie klang gelangweilt.

»Vielleicht solltest du das Mädchen warnen«, sagte Jonah.

»Wieso?«

»Würdest du wollen, dass jemand heimlich eine Genprobe von dir nimmt?«

»Was soll’s? Außerdem wissen wir ja nicht einmal, wer sie ist. Wie willst du sie da also warnen?«

»Vielleicht kann man ja ihren Namen herausfinden«, überlegte Jonah.

»Kann man. Muss man aber nicht.« Dukie klang genervt. »Wenn ich mich um alles kümmern würde, was mein Alter so anrichtet, käme ich zu nichts mehr. Er macht sein Ding und ich meins. So ist das.«

»Dukie …«

»Ich hab wirklich keine Zeit. Nächste Woche soll die Titanenwurz blühen, und dann gibt mein Vater wieder ein Fest. Wäre toll, wenn der Garten dann fertig ist.«

»Vielleicht ist sie in Gefahr.«

»Rette du sie doch.«

»Ich bin blind.«

»Auch ein blindes Huhn …«

Jonah lehnte sich etwas nach rechts, spürte Dukie neben sich und rammte ihm den Ellbogen in die Seite. Dukie schnappte nach Luft.

»Idiot!«, keuchte er.

»War nicht persönlich gemeint.«

»Jonah, komm, entspann dich. Setz dich aufs Bett und sperr einfach die Ohren auf. Das Leben ist hier!« Dukie tippte auf seine Apparate. »Ich bring es zu dir. Du brauchst nicht einmal vor die Tür zu gehen. Und alles in erstklassiger Qualität!« Dukies Stimme klang fast zärtlich, als er über seine technische Ausstattung sprach. »Sag mir, gibt es einen Satz, den du nicht verstanden hast? Hat das Mikrofon auch nur einmal geknistert?«

»Nun ja. Der Garten ist natürlich ein Totalausfall.« Jonah grinste.

»Jetzt mal im Ernst«, sagte Dukie. »Bei mir sitzt du in der ersten Reihe. Ich zähl auf dich.«

Jonah machte es sich wieder auf dem Bett bequem. Er spürte dem Orangengeschmack im Mund nach und merkte, dass die Sache ihm letztlich egal war. Dukie hatte eben nichts als seine Technik und die Fehde mit seinem Alten im Kopf. Sollte er tun, was er nicht lassen konnte. Und mit ihm selbst hatte es das Schicksal ja schließlich auch nicht gerade gut gemeint.