20

»Also, ich bin ja völlig aufgelöst!« erklärt die Mama, als sie mir die Tür öffnet.

»Ich hatte was mit Brandt zu erledigen.«

»So früh am Morgen? Wo der Kerl sonst erst gegen Mittag aufsteht? Da stimmt doch was nicht!«

»Tu mir einen Gefallen, Mulleken, und bohre nicht weiter. In fünf Jahren erzähle ich dir, was los war, und jetzt falle ich gleich um vor Hunger.«

Während des Frühstücks versuche ich vergeblich, mich auf das Zeitunglesen zu konzentrieren. Als das nicht gelingt, schalte ich das Radio ein, schalte aber gleich wieder ab. Meine Gedanken rasen wie zügellose Pferde. Was ist mit Fred? Ob er sein Blitzgespräch angebracht hat? Was ist, wenn man Susanne verhört? Wieviel wußte wer wovon? Es geht immer im Kreise.

Unerträglich ereignislos schleppt sich der Tag über den Mittag hin. Obendrein ist es draußen plötzlich brühwarm, Schneelasten poltern von den Dächern, und an einem tiefblauen Himmel flattern vom Gebirge her die Föhnfahnen, zauberhafte Gebilde, wie japanische Seidenmalerei, die sich bei uns mit Kopfschmerzen, Herzbeschwerden und allgemeiner schwelender Verrücktheit äußern. Schließlich bin ich so weit, daß ich mir Cocki und Weffi greife und sie zu ihrem Entsetzen einer gründlichen Überholung unterziehe. Mit gesäuberten Augen und Zähnen verkriechen sie sich in die Bibliothek und kratzen so lange an der Terrassentür, bis ich sie hinauslasse. Der Löwe wirft mir über die Achsel noch einen langen Blick zu: >Hätte dir auch was anderes einfallen können, wenn du schon mal zufällig an uns denkst!«

Da klappt die Gartentür. Das ist Mühlner! Schritte, Doppelschritte zweier oder mehrerer Personen! Er kommt also in Begleitung. Mir werden buchstäblich die Füße kalt. Es klingelt. Im Moment ist die Mama von ihrem Mittagsschlaf hoch, aus ihrem Zimmer und sieht mich mit einem merkwürdigen Blick an: »Ich mache auf!«

Dann höre ich die Stimmen, und einen Augenblick wird mir wieder leichter: Buddy und Karl-Friedrich!

Buddy trägt einen Anzug in einer Plastiktüte über dem Arm und Karl-Friedrich ein kleines Paket am Finger.

»Hallo, Colonel«, sagt Buddy fröhlich, »wir brauchen dringend Ihre Hilfe!«

Plötzlich ist mir wieder schwach: »Wofür? Ist was los?«

»Na, allerhand ist los«, sagt Karl-Friedrich, »Tanzstundenabschlußball!«

Gott sei Dank! Ich bin so entnervt und gleichzeitig erleichtert, daß ich nur mit Mühe verstehe, was sie wollen. Thomas soll mit auf den Ball kommen, hat aber nichts anzuziehen. Was Buddy über dem Arm trägt, ist der dunkle Anzug seines älteren Bruders, und in Karl-Friedrichs Paketchen steckt ein weißes Hemd. Jetzt fehlen ihnen aber noch die Manschettenknöpfe. Ich krame ihnen welche heraus.

»Na, nun haben wir ihn ja komplett, den Bruder, den staubigen«, meint Buddy. »Dazu noch Ihr — ich meine Thomas’ Mantel — Hut braucht er nicht.« Er hält inne: »Ach, du liebe Zeit — schwarze Schuhe!« Und zu Karl-Friedrich: »Weißt du, ob er welche hat?«

»Keine Ahnung.«

Wir erwägen das eine Weile, und schließlich gebe ich ihnen für alle Fälle auch noch meine schwarzen Halbschuhe mit.

»Gibt’s sonst was Neues?« frage ich, während ich sie zur Tür bringe.

»Nix«, meint Karl-Friedrich.

»Ja — bis auf Fred«, sagt Buddy, während mir das Herz stockt. »Der mußte plötzlich weg, hat ‘n Telegramm gekriegt, irgendwas mit seiner Familie. Schade, es ging so schnell, daß ich ihn gar nicht mehr erwischt habe. Sonst hätte er uns mit den dunklen Klamotten für Thomas aushelfen können.«

Gerade will ich wieder ins Haus zurück, da sehe ich Mühlner hinter der schneebedeckten Hecke auftauchen. Die beiden grüßen ihn, er grüßt zurück und starrt ihnen nach. Dann kommt er mit einem Grinsen, das sehr zur Vorsicht mahnt, auf mich zu: »Na, ist ja mal wieder lebhafter Umsteigeverkehr bei Ihnen!«

»Ja. Augenblicklich stehe ich ziemlich gut im Kurs bei der Jugend.«

Er streift sich den Schnee von den Schuhen: »Darf ich eintreten?«

»Bitte sehr, immer herein.«

»Was wollten denn die beiden?« erkundigt er sich, während er seine Mütze aufhängt und den Mantel auszieht.

»Ach, die haben Kleider gesammelt für den Thomas. Er soll mit ihnen auf den Abschlußball und hat doch keinen dunklen Anzug.«

»Nett von den Jungs.« Dann läßt er sich in den Sessel nieder. Ich glaube zu bemerken, daß er reichlich bekümmert aussieht. Vielleicht ist das aber auch eine Falle. Sicherheitshalber verpasse ich ihm eine Zigarre, die er dankbar nimmt, dagegen will er durchaus keinen Schnaps. Dafür nehme ich mir einen, einen doppelten. Er bläst einen Rauchring und sieht ihm mit halbgeschlossenen Augen nach: »Also, zunächst gibt’s große Neuigkeiten.«

»Neuigkeiten?«

»Sie werden das natürlich längst vergessen haben, aber mir liegt’s immer noch am Herzen — diese Brieftaschengeschichte — wissen Sie noch?«

Ich denke angestrengt nach: »Brieftaschen — Brieftaschen — meinen Sie die, die auf dem Kostümball verschwunden sind?«

»Ja. Und geklaut hat sie dieser Kerl, der immer mit dem Frankenfeld aus dem Internat drüben ‘rumzog.«

»Was Sie nicht sagen! Glauben Sie, daß der Frankenfeld auch geklaut hat?«

»Möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich. Dazu bedarf’s langer Übung.«

»Ganz recht, langer Übung. Dann schaltet also der Frankenfeld aus, Ihrer Ansicht nach?«

»Nicht unbedingt. In letzter Zeit hat der ziemlich viel Geld ausgegeben.«

»Ich glaube, er kriegt reichlich von zu Hause, unverantwortlicherweise. Haben Sie ihn schon verhört?«

»Nein, leider nicht. Er ist gerade nach Hause gerufen worden, wegen irgendeiner Familiensache.«

»Hm. Pech. Na, vielleicht brauchen Sie ihn gar nicht mehr, wenn Sie erst den anderen haben.«

Mühlner streift die Asche ab, dann sieht er mich triumphierend an: »Ich habe ihn!«

»Donnerwetter, herzlichen Glückwunsch! Dann kommen Sie wohl jetzt gerade aus Biederstein?«

Er runzelt die Stirn: »Biederstein — wieso Biederstein?«

»Na, das ist doch der Walter Dengler aus Biederstem!«

Mühlner ist ganz lächelnde Überlegenheit: »Kennen Sie den Dengler?«

Ich mime eisern weiter den Ahnungslosen: »Natürlich, er war doch hier, mit dem Auto, Sie kamen doch auch noch dazu!«

»Und vorher kannten Sie ihn nicht?«

»Nein. Wieso — sollte ich? Soviel ich weiß, ist das ‘n ganz angesehener Geschäftsmann. Sind Sie sicher, daß der die Brieftaschen gestohlen hat?«

Der Argwohn in Mühlners Blick hat sich verflüchtigt: »Das war ja gar nicht der richtige Dengler, den Sie kennengelernt haben! Und der Ausweis stammt aus einer der gestohlenen Brieftaschen, nämlich aus der vom richtigen Dengler, und das Bild war mit Tinte übergossen, um es undeutlich zu machen, und der, der das alles gemacht hat, dieser Gorilla, wie Sie ihn sehr richtig nannten, ist ein gewisser Walter Sedlazek, von Beruf Ladeneinbrecher, augenblickliche Tätigkeit Insasse der Strafanstalt Waldersee. Fünf Jahre Zuchthaus wegen des dritten Rückfalls. Gell, da staunen Sie?«

»Ja, da muß ich wirklich staunen! Donnerwetter noch mal! Also, herzlichen Glückwunsch! Haben Sie ihn schon verhört?«

»Natürlich. Aber das Verhör war äußerst einseitig. In Biederstein haben sie ihn sich auch noch vorgenommen, und ich war dabei. Eine richtige alte Zuchthauswanze. Das einzige, was er zugibt, ist, was er sowieso nicht abstreiten kann, daß er nämlich von einem Außenarbeitskommando getürmt ist. Alles übrige müssen wir ihm erst beweisen.«

»Na, das wird Ihnen ja nicht schwerfallen.«

Mühlner seufzt: »Da irren Sie sich! Darf ich vielleicht jetzt doch einen Schnaps...?«

»Da steht die Flasche. Also, wo liegt der Hase im Pfeffer, und was kann ich für Sie tun?«

Er gießt den Doppelcognac mit einem Ruck hinunter: »Ah — gut! Tja, also — Sie werden es nicht glauben, ich hab’s auch nicht glauben wollen.«

»Was denn, Mensch? Machen Sie’s nicht so spannend!«

»Warum sollen Sie nicht auch mal ein bißchen zappeln, nachdem man mich so zappeln läßt! Stellen Sie sich vor: Keinen der bestohlenen Kerls kann ich dazu bringen, daß er zugibt, bestohlen worden zu sein.«

»Was ist das? Sagen Sie das noch mal!«

»Ja, das muß man wirklich zweimal sagen, eh’s einem jemand glaubt. Als ich sie angeschrieben hatte, um den Diebstahl zu Protokoll zu nehmen, wissen Sie, wer da gekommen ist? Keiner! Dann hab’ ich sie angerufen, und was stellt sich ‘raus? Alle haben Angst! Angst vor Muttern oder sonstwem, daß sie so viel Geld in der Tasche hatten, und sie hätten sie wahrscheinlich überhaupt woanders verloren oder nur verlegt, sie würde sich schon wieder finden! Ein paar behaupten sogar schlankweg, sie hätten sie schon gefunden, darunter auch Herr Dengler! Als ich ihn darauf hinweise, daß ich seinen Führerschein in der Hand hätte, sagt er, daß er den >extra< verloren haben müsse, seine Brieftasche sei jedenfalls da, und er wüßte gar nicht, was ich wollte!«

»Jammerlappen!« erkläre ich großartig.

Er nickt: »Ja, wirklich. Eine andere Bezeichnung ist für diese Herren kaum angebracht. Auf alle Fälle habe ich jetzt einen Täter, aber keine Tat, eine geradezu lächerliche Situation, wie Sie zugeben werden!«

»Gebe ich zu.« In mir jubiliert es. Damit ist Fred zunächst aus dem Schneider. »Aber was kann ich Ihnen helfen?«

»Sie könnten mir schon etwas helfen. Ich habe diesen Herrn Brandt, den Bildhauer, noch nicht aufgefordert. Mir kam nämlich die Idee, daß Sie ihn in meiner Gegenwart anrufen könnten. Da würde er vielleicht nicht so kneifen wie die anderen! Außerdem ist er ja, soviel ich weiß, geschieden und hat keine Frau, vor der er sich fürchten muß. Also — wenn Sie ihn vielleicht von sich aus anrufen würden, und ich könnte mithören... Ist es Ihnen nicht recht? Ich kann verstehen — aber es hängt doch so viel dran!«

»Jaja, natürlich — warten Sie. Kommen Sie mit ‘rüber zum Telefon und nehmen Sie den Mithörer. Ich ruf’ ihn gleich mal an.«

Meine Hoffnung ist, daß Brandt im Café säße, aber selbstverständlich meldet er sich, als habe er meinen Anruf erwartet.

»Ja, wen höre ich, du alter Armleuchter«, sagt er. »Falls du die Absicht hast, mich anzupumpen...«

Jetzt kommt’s drauf an. Ich muß ihn warnen: »Darum handelt sich’s nicht«, sage ich, »das Gegenteil, möchte ich sagen.«

»Du willst doch nicht etwa was von mir kaufen?«

»Nur, wenn du den Hintern dahin malst, wo er hingehört. Aber hör mal zu: Es ist eine einerseits ziemlich scheußliche, andererseits eventuell für dich erfreuliche Geschichte. Hier bei mir ist der Herr Mühlner, unser Ortspolizist, und er hat den Kerl gefaßt, der...«

Mühlner stößt mich an und rollt verzweifelt die Augen.

»Welchen Kerl?« fragt Brandt. Gott sei Dank ist er schon mißtrauisch.

»Na, der die Brieftaschen mit dem vielen Geld geklaut hat auf dem Ball, du weißt doch!«

»Hm«, macht Brandt unverbindlich.

»Na, und die anderen, deren Brieftaschen geklaut wurden, haben alle gekniffen, weil sie Angst vor ihren Frauen haben. Während du...«

»Ich habe auch eine Frau«, unterbricht mich Brandt scharf, »und zwar eine geschiedene, und das ist viel schlimmer als zehn richtige. Außerdem habe ich Ellen im vorigen Monat durch meinen Anwalt schreiben lassen, daß ich ihr nur die Hälfte von den Alimenten schicken könnte, wegen des schlechten Geschäftsganges. Wenn die jetzt erfährt — und sie erfährt alles! —, nein, mein Lieber, koch dich sauer mit deinen sogenannten Geschenken und Ortspolizisten und überhaupt! Ich habe keine Brieftasche verloren, ich habe sie in meiner Unterhose wiedergefunden, und sie liegt hier vor mir auf dem Tisch. Basta!«

Der Hörer wird mit einem Ruck aufgelegt.

»Na, was sagen Sie nun?« frage ich Mühlner.

Er starrt mich an: »Bitte, nehmen Sie’s mir nicht übel, aber ich hatte mehr von Ihnen erwartet! Sie haben ihn doch direkt dadurch gewarnt, daß Sie mich erwähnten und ihm erzählten, daß die anderen alle gekniffen haben! Wie konnten Sie das bloß machen?«

Ich kratze mir den Kopf: »Ja, das war vielleicht wirklich nicht geschickt — tut mir leid, Donnerwetter, ja!«

Mühlner läßt sich wieder in den Sessel fallen: »Jetzt kann ich diesem Kerl tatsächlich nichts nachweisen, als daß er ausgebrochen ist.« Er seufzt geradezu herzzerbrechend: »Wenn ich wenigstens noch die Pistole nachweisen könnte!«

Um ein Haar hätte ich mich verraten: »Ach, die, die er...« Soviel habe ich schon ausgesprochen, den Rest kann ich eben noch unter einem Räuspern begraben. Mühlner zieht die Augenbrauen hoch: »Ja, bitte?«

»Ich meine, die, die Sie bei mir gesucht haben?«

»Ganz recht. Jetzt scheinen Sie wieder besser in Form zu sein. Könnten Sie mir einen Tip geben?«

»Hm. Lassen Sie mich nachdenken — also, bei der Verhaftung hatte er sie nicht bei sich? Wo hatte er sie denn überhaupt her?«

»Er hat sie seinem Aufseher gestohlen.«

»Gestohlen?«

»Na ja, der Unglücksrabe war eingenickt. In seiner Haut möchte ich auch nicht stecken. Jedenfalls hatte Sedlazek die Pistole, und als ich ihn festnahm, hatte er sie nicht mehr.«

»Aha. Nun, dann muß er sie irgendwo versteckt haben.«

»Wahrscheinlich.« Das ist blanke Ironie, aber ich lasse mich nicht beirren. Ich will ihm helfen, sozusagen als Tribut an das Schicksal, weil ich ihm den anderen Triumph kaputtgemacht habe.

»Nein«, überlege ich, »nicht versteckt, das wäre zu gefährlich für ihn, wenn man sie dann doch fände. Ich an seiner Stelle würde sie beseitigen, so, daß man sie nicht so leicht wiederfindet. Moment mal — lassen Sie mich mal laut überlegen — eingraben, nein, sieht man sofort, weil alles verschneit ist. Aber in den See würde ich sie werfen!«

»Ausgezeichnet. Zumal der See zugefroren ist.«

Ich sehe ihn herausfordernd an, mit einem Blick, der, wie ich hoffe, an Sherlock Holmes erinnert: »Überlegen Sie sich Ihre Behauptungen ganz genau!«

»Wieso?«

»Ist der See wirklich überall vereist?«

Mühlner stutzt: »Donnerwetter — Sie meinen — hier, der Ausfluß vom Krebsbach?«

»Genau das. An Ihrer Stelle würde ich zum Fischer gehen, der hat doch sicher so ‘n Netz am Stiel, vielleicht sehen Sie das Ding auch schon im Wasser liegen. Wenn Sie wollen, komme ich mit.«

Mühlner seufzt: »Verehrtester — selbstverständlich, ich werde Ihrer Anregung nachgehen, aber... solche logischen Schlüsse stimmen nur in Kriminalromanen.«

Ich stehe auf: »Na, wollen mal sehen. Vielleicht hat ein Kriminalschriftsteller auch mal eine richtige Idee. Obwohl die Londoner Kriminalpolizei seinerzeit eine Pleite nach der anderen erlebte, als sie nach Sherlock-Holmes-Methoden arbeitete.«

»Wenn Sie’s für nötig halten«, meint Mühlner ohne jede Überzeugung. Er muß sich anstrengen, höflich zu sein.

Der Fischer hingegen zeigt mehr Vertrauen in die Theorie. Er zieht sich seine Gummistiefel an und erklärt, er würde mitmachen, oder, genauer gesagt, sei das eigentlich sowieso seine Sache, denn der See wäre schließlich sein Gewässer. Mühlner und ich protestieren nur schwach. Die Aussicht, von einer wackligen Eisscholle aus im Bach herumzurühren, lockt uns wenig, und was mich betrifft, so bin ich mir noch dazu im unklaren, welche Temperaturen innerhalb von Gummistiefeln herrschen, wenn man damit in winterlichem Eiswasser steht.

Der Bach erweist sich als tiefer, als wir Laien angenommen haben. Er reicht bis zum oberen Rand der Gummistiefel, das heißt, dem Fischer bis nahezu an den Bauch. Ihn hält das aber nicht davon ab, mit Feuereifer im Wasser herumzufuhrwerken. Er fördert alles mögliche zutage, alte Stiefel, einen Nachttopf, Konservenbüchsen, auch zwei Angelhaken, über die er besonders heftig flucht, und eine erstaunliche Menge von zerschnittenen Fahrradreifen. All das stülpt er auf das Eis. Ich frage mich, von einem Bein auf das andere tretend, warum ich eigentlich diese ganze Aktion unternommen habe. Sentimentalität ist immer eine zweischneidige Sache, besonders Polizisten gegenüber.

Mühlner hat den Kragen hochgeklappt und gähnt: »Ja mei, Xaver«, meint er schließlich, »magst net Schluß machen?«

Der aber entgegnet grimmig unter seinem Walroß-Schnurrbart: »Die Eck’n da räum i noch aussa. Die wollt’ ich schon immer aussaräuma. Ham s’ mir wieder all’s vollg’schmiss’n, die Luder, die damischen.«

Am Ufer hat sich allmählich eine ganze Reihe von Leuten angesammelt. Mühlner erwacht, rückt das Koppel zurecht und sagt: »Weitergehen, bitte!«

Der Wurzelsepp placiert einen Strahl Kautabak haarscharf neben Mühlners Fußspitze und fragt: »Warum? I hob mei Steuern zohlt, du Depp!« Worauf Mühlner sich umdreht und nur seufzt. Dann tritt ein Ausdruck stählerner Entschlossenheit in seine Augen: »Wannst jetza no was findst, Xaver, nachher bringst mir’s aufs Revier. Ich krieg nämli feuchte Füß, und des vertrag i net.«

In diesem Augenblick stülpt der Fischer eine neue Fuhre auf das Eis und schiebt sie mit dem Netzstiel auseinander: »Ja, da schau her! Da ham’ mer’s ja!« Er sieht zwischen Mühlner und mir hin und her, die wir beide mit offenem Mund auf die Pistole starren. Sie liegt — neckisch eingewickelt in eine Girlande von Tang — auf dem grauen Eis. Der Fischer fährt sich mit der Hand unter der Nase durch: »Hilfst mir mal?« Und während wir ihn hochwuchten, sagt er: »Wer is denn Überhaupts auf die Idee kumma? Alle Hochachtung!«

»Der Mühlner natürlich!« sage ich. »Ich hab’s selber nicht glauben wollen. Aber... da schau her.«

»Alle Hochachtung«, sagt der Fischer noch mal. »Da muß man sich ja direkt vor dir in acht nehma, Schorsch!«

Der Wurzelsepp nickt bestätigend: »Ja, des is a ganz g’scherter Hund, und dabei schaugt er so bleed aus. Aber dee san d’ Schlimmsten.«

Mühlner räuspert sich, zieht sein Taschentuch vor und hebt damit vorsichtig die Pistole hoch: »Ich weiß zwar nicht, ob sich Fingerabdrücke im Wasser halten...«

»Bestimmt nicht«, sage ich hastig. »Da brauchen Sie sich gar nicht vorzusehen!« (Das wäre was, zu guter Letzt! Meine Abdrücke und die von beiden Mädels. Eine reizende Kollektion.)

»Glaube, Sie haben recht«, sagt Mühlner, wischt die Pistole mit dem Tuch ab und steckt sie ein.

Wir gehen noch bei mir vorbei und nehmen einen weiteren Cognac. Mühlner druckst herum: »Schönen Dank auch! Alle Achtung!« Er reicht mir die Hand: »Wenn ich mal was für Sie tun kann...«

»Das können Sie, ohne Ihre Pflicht zu verletzen. Lassen Sie meine Mädels — ich meine, die Bentler-Schwestern — wenn möglich aus dem Spiel und die Lausbuben auch.«

Er räuspert sich und betrachtet geflissentlich seine Stiefelspitzen: »Na ja — die haben ja auch eigentlich nichts damit zu tun. Der Fall ist ja jetzt ziemlich klar.«

Gerade, als ich die Tür hinter ihm zugemacht habe, kommt die Mama von oben herunter. Mit feuchter Schürze. »Gestatten, Herr Baron, das Essen ist fertig! Wenn der Herr Baron uns zwischendurch mal flüchtig die Ehre geben und vielleicht sogar ein paar Worte mit uns reden würden... Was ist denn nun schon wieder los?«

Ich habe mir, während sie spricht, den Mantel angezogen: »Wird alles nachgeholt. Frau Baronin. Aber jetzt muß ich noch mal wegfahren. Ich esse in Biederstein — falls ich überhaupt was esse.«