17

Abend. Ich sitze am Schreibtisch und lese mir durch, was ich zuletzt an meinem Jugendartikel geschrieben habe. Ich lese, streiche, schreibe neu, kaue an meiner Zigarre herum, bis ich Deckblätter spucke und dann das nasse und zerflederte Ende meines Knösels mit der Papierschere abschneiden muß. Hätte ich gewußt, was in diesem Auftrag steckt, den ich so obenhin akzeptierte, dann hätte ich ihn nie übernommen. Sobald man das Thema anpackt, erweitert es sich ins Uferlose.

Ich stehe auf, recke mich und ziehe den Vorhang zurück. Drüben ist nur ein Fenster erleuchtet. Fahrräder nicht sichtbar. Oder sind das doch Fahrräder? Ich hole mir mein Nachtglas aus dem Schrank und gehe damit wieder zum Fenster. Nein, keine Fahrräder. Dann richte ich das Glas, mit dem Gefühl, etwas außerordentlich Unfeines, aber Verlockendes zu tun, auf das erleuchtete Fenster.

Bild des traulichen Friedens. Susannchen sitzt im Ohrenstuhl, hat die bestrumpften Beine auf dem Rauchtisch und näht irgend etwas. Margot liegt auf der Couch, hat ein Buch in der Hand und starrt darüber hinweg ins Nebenzimmer. Ihr Gesicht scheint eingefallen und verzweifelt. Jetzt sagt Susanne etwas, aber Margot scheint es nicht gehört zu haben. Susanne hebt den Kopf, beobachtet die Schwester einen Augenblick lang, steht dann auf, setzt sich neben sie und streichelt ihr den Kopf. So ein netter Kerl, die Susanne. Aber was ist mit Margot? Da stimmt doch etwas nicht! Werde mal hinübergehen.

Susanne öffnet mir, winkt mit den Augen und legt den Finger auf den Mund: »Dicke Luft — wegen Buddy! Ich häng’ deinen Mantel auf, Colonel, und dann drücke ich mich. Sieh doch mal zu, ob du ihr nicht helfen kannst. Sie tut mir ja so leid. Außerdem ist es toll aufregend!«

Margot steht am Fenster und starrt in das Dunkel. Als ich mich räuspere, fährt sie herum, die Hand auf dem Herzen, und starrt mich an wie ein Gespenst. Dann zucken ihre Lippen, die Augen füllen sich mit Tränen. Ich nehme sie in die Arme und streichele den Wuschelkopf, während sie sich an mich klammert wie eine Ertrinkende: »Ach, Colonel...«

»Na, setz dich erst mal. Hier neben mich, schön hinsetzen, Atemholen und Naseputzen. So. Und wo fehlt’s denn nun? Luzie?«

»Nein — Buddy.«

»Und was ist mit ihm?«

»Er will sich erschießen!«

»Erschießen — hm. Und wieso?«

»Weil... weil wir nicht weiter wissen. Wir haben uns ausgesprochen — er kann ohne mich nicht leben, sagt er. Und ich kann nicht, wenn er gleichzeitig mit Luzie... und mich will er doch schonen... was soll denn bloß aus uns werden, Colonel?«

»Na, auf keinen Fall wird er sich erschießen.«

Sie hebt den Kopf und sieht mich verwirrt an. Was das Mädel für wunderbare Augen hat, besonders jetzt.

»Warum glaubst du, daß er sich nicht erschießt?«

»Weil man nicht davon redet, wenn man es wirklich tun will. Außerdem — was ist mit der Pistole?«

Ihr Blick wird plötzlich argwöhnisch: »Was für eine Pistole meinst du?«

»Na, ich meine — hat er denn eine Pistole?«

Sie scheint irgendwie — warum, wird mir nicht klar — erleichtert: »Nein, er hat sie nicht, das heißt, ich glaube wenigstens. Man weiß ja nie, vielleicht hat sein Vater eine, ach, Colonel, vielleicht sollte ich doch...«

In mir steigt Ärger hoch. Ein paar Tage war’s ruhig, und nun geht das schon wieder los! Ich nehme sie an den Schultern: »Hör mal zu, mein Kind. Ich denke, dieses ganze Problem haben wir doch damals vollkommen geklärt und zu Ende diskutiert. Außerdem sagst du ja, er will dich schonen, und im übrigen hat er mir sein Ehrenwort gegeben.«

»Das weiß ich ja, Colonel, aber er kann das einfach nicht!«

»Was kann er nicht?«

»Damit fertigwerden!«

»Quatsch. Er ist ein kluger Kerl und wird sich morgen sagen, daß alles halb so wild ist und daß es für einen Mann viel schlimmere Probleme gibt, mit denen er auch fertigwerden muß.«

»Ich weiß nicht — ich weiß nicht —, wenn er heute nacht, bevor er wieder zur Besinnung kommt...«

»Gut, dann ruf ihn an.«

»Was soll ich ihm denn sagen?«

»Sage ihm, er soll keine Dummheiten machen, und außerdem wäre so was feige, und drittens hättest du nichts gegen die Sache mit Luzie und würdest dein Herz in beide Hände nehmen, weil du ihn lieb hast.«

»Das... das kann ich nicht.«

»Dann hast du ihn nicht lieb.«

Sie starrt vor sich hin, und ihre Finger krallen sich in das Taschentuch. Ich streiche ihr das Haar aus der Stirn: »Soll ich es für dich tun?«

Sie bricht wieder in Tränen aus: »Ach ja, ja, bitte, Colonel!«

»Na also.« Ich gehe in Teddys Arbeitszimmer und rufe Buddy an. Es dauert eine ganze Weile, bis er an den Apparat kommt: »Ja, bitte, Colonel?« Es klingt ganz erloschen, und das reizt mich: »Hör zu, Buddy. Ich bin hier bei Margot. Du solltest sehen, in welchem Zustand das arme Mädel ist.«

»Es tut mir leid, Colonel.«

»Es tut mir leid, Colonel«, äffe ich ihn nach. »Das ist keine Antwort, Buddy! Du wirst erstens keine Dummheiten machen, und zweitens läßt dir Margot sagen, daß sie dir die Sache mit Luzie nicht mehr nachträgt, weil sie dich lieb hat. Was willst du eigentlich noch mehr, du Kindskopf?«

Keine Antwort. Dann, ganz heiser: »Das hat sie gesagt?«

»Soll ich sie dir an den Apparat holen, damit sie’s dir bestätigt?«

»Nein, danke, Colonel. Vielen Dank!« Und damit hat er aufgehängt.

»Hallo — Buddy!« Stumm. Ich lege den Hörer auf: reichlich dramatisch veranlagt, der junge Mann.

Sie umklammert meinen Arm: »Was hat er gesagt?«

»Danke. Danke, hat er gesagt. Weißt du, was man eigentlich machen sollte? Ihm eine geladene Pistole schenken und ihn auffordern, sich zu bedienen. Solltest mal sehen, wie schnell er dann wieder zur Vernunft käme.«

»Colonel!!!«

»Na ja, ich tu’s ja nicht. Im übrigen geht’s euch allen einfach zu gut. Wenn ihr richtige, handfeste Sorgen hättet, würdet ihr gar nicht auf solchen Blödsinn kommen. So, und jetzt kriege ich einen Kuß, und dann gehen wir schön ins Bettchen, und morgen sieht alles anders aus.«

Sie lächelt schon wieder unter ihren Tränen, als sie mich zur Tür bringt.