7

Als ich im >Königsbräu< ankomme, werde ich sofort von dem Viererklub Buddy, Thomas, Karl-Friedrich und Fred in Empfang genommen. Karl-Friedrich salutiert grinsend: »Situation well under control, Colonel! Don’t worry.«

»Augenblicklich«, berichtet Thomas, »tanzt sie mit dem Franzosen, aber auf die Dauer wird wohl der rothaarige Ami das Rennen machen.«

»In dem Moment, wo er sie anfaßt«, sagt Fred, »locken wir ihn vors Haus und machen ihn fertig.«

Das klingt unangenehm: »Ich will keine Schlägerei!« erkläre ich. »Der Mann tut ja schließlich nichts Unrechtes, wenn er ein bißchen mit ihr poussiert. Außerdem gehören immer zwei dazu. Wenn es mulmig wird, benachrichtigt ihr mich und Margot. Wo ist sie übrigens?«

»Kommt gerade«, meldet Thomas. »Was hat sie denn da?«

Margot erscheint und hat etwas unter dem Arm, was mir beängstigend bekannt vorkommt. Es ist der blau-weiße Reißverschluß-Kavalier von Susanne. Als Margot meinen Blick sieht, zuckt sie die Achseln: »Es ist wirklich ziemlich heiß. Ich bring’s nur schnell in die Garderobe.«

»Also schon Hula-Hula-Stadium? Was treibt sie denn augenblicklich?«

»Jérôme hat sie an die Bar geführt, aber dann hat er sich gedrückt, weil’s ihm zu teuer wurde. Jetzt hat sie Jimmy übernommen.«

»Wir passen beide auf sie auf«, versichert Buddy. »Sie können wirklich unbesorgt sein. Dieser Schlafrock wird Ihnen sicher auch zu heiß!«

»Schlafrock? Hm. Na, ich werde mich mal erst umsehen. Viel Spaß, Jungs.« Und damit werfe ich mich ins Gewühl. Schlafrock! Na ja, woher sollten denn die Bengels auch wissen, was ein Palastmantel ist. Bald habe ich es vergessen.

Es ist wirklich allerhand, was sich tut. Das Oberdorf scheint im ganzen Land herumtelefoniert und unseren bescheidenen Maskenball als eine Art Sensation angepriesen zu haben. Der Wirt hat sich dementsprechend gewaltig ins Zeug gelegt. Der vordere Saal ist ganz auf bayerisch abgestimmt, mit Blaskapelle, Riesenfaß und Gebirgen von Weißwürsten auf der Holztafel, die den Tanzraum umrandet. Hier tanzen und schwitzen >Ausländer< und Einheimische, manche von den Einheimischen in ihren uralten, wunderbaren Dämonenmasken aus geschnitztem Holz.

Im Nebensaal spielt eine Jukebox etwas Südamerikanisches. Mit enormer Lautstärke und bei dunkelgrünem Licht. Darunter eine dichtverschlungene Masse von Leibern, die nach dem heißen Rhythmus wackelt. Zwei süße Cowboymädchen tanzen miteinander an mir vorüber und werfen Glutblicke. Ich werfe mich dazwischen: »Darf ich dieses reizende Duett auflösen?«

Sie sehen mich an und beginnen dann mit den Nasen zu wackeln wie die Kaninchen. Die eine stößt mich mit dem Zeigefinger vor die Brust: »Aus welche Kiste ham se dir denn aus jebuddelt, Opa? Du riechst ja noch janz schön nach Mottenkugeln!« Die andere biegt sich vor Lachen: »Du bist wohl aus ‘m Wilhelm-Busch-Album? Der im Schlafrock, dem se Schießpulver in de Pfeife jetan ham?«

Opa! Wilhelm Busch! Mir wird plötzlich brühheiß unter diesem verdammten Palastmantel. Wo ist ein Spiegel? Vielleicht draußen in der Garderobe. Ich kämpfe mich dem Ausgang zu. Die Tür ist — erinnere ich mich — neben der Musikbox, und neben dieser wiederum sitzt Buddy und hat Margot auf dem Schoß. Sie bemerken mich erst, als ich vor ihnen stehe: »Ihr solltet besser auf Susanne aufpassen!« sagte ich. »Wo ist denn hier ‘n Spiegel, Margot? In der Garderobe?«

Sie springt auf und ist ganz verdattert: »Ja, Colonel. Was ist denn los?«

»Ach, dieser Palastmantel hier...«

Buddy nimmt meinen Arm und hilft mir, die letzten Meter bis zur Tür freizudrängeln: »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß Ihnen der Schlafrock zu heiß werden wird.«

»Schlafrock! Das ist ein persischer Palastmantel, du Kulturniete! Ah — da ist ja der Spiegel. Hm. Na, das ist allerdings...«

Ich drehe mich vor dem Spiegel hin und her, während mir Margot und Buddy voll diskreten Mitleids Zusehen. Im Spiegel bewegt sich eine schmuddelige Jammerfigur, der die Schweißtropfen unter der Maske vorlaufen und die — wie ich jetzt selber merke — außerdem nach Mottenpulver stinkt.

»Das ist Mamas Geschoß«, sage ich ganz ruhig. »Na warte! Schönen Dank, Kinderchen. Geht schnell wieder ‘rein und paßt auf Susanne auf. Ich ziehe mich eben drüben um, aber richtig, das kann ich euch sagen!«

»Ich würde mir diesmal wirklich Zeit lassen«, meint Buddy. »Sie versäumen ja nichts. Die Sache hier kommt erst langsam in Schwung. Und auf Susanne passen wir bestimmt auf.«

Ich sehe ihnen gerührt nach. Zwei reizende Kinder. Das mit dem Schoß-Sitzen haben sie sicher nur getan, weil sie glauben, es gehöre dazu. Wahrscheinlich habe ich ihnen selber mal so was aus meiner Jugend erzählt. Wissen noch gar nicht, was es bedeutet. Ja, Jugend kann lustig und rührend zugleich sein.

»Ist da wer?« fragt die Mama, als ich an der Tür den Schnee abschüttele.

»Ja, hier ist wer. Nämlich dein Sohn, der sich jetzt erst mal ein richtiges Kostüm anziehen wird.«

»Ja, aber...«

»Gar kein Aber. Ausgelacht haben mich die Leute in diesem Mottenfrack! Wo hast du den roten Seidenschal?«

Ich brause mit dem Schal durch die unteren Räume, ziehe eine alte, dunkle Hose an, winde den Schal darum, schneide zwei Gardinenringe von der Stange, klemme sie mir in die Ohrläppchen, binde mir ein Bauerntaschentuch um den Kopf, male mir Koteletten, Schnurrbart und Spitzbart mit Wimperntusche, reiße eine alte Duell-Pistole von der Wand, ramme sie mir in die Bauchbinde, stecke noch eine Maiskolbenpfeife zwischen die Zähne, werfe den Mantel über und brause wieder ab. Dabei passiere ich den Schloßgeist, der mit seinem >Palastmantel< über dem Arm fassungslos in der Bibliothek steht und die verstümmelte Gardine betrachtet.

Ich eile durch eine Seitentür gleich in den kleineren Saal mit der Musikbox. Erst mal sehen, was meine verschiedenen Lämmerchen treiben. Da ist es plötzlich, als empfange ich einen Stich, einen feinen, genauen Florettstich mitten ins Herz. Das Radau-Instrument spielt einen Tango, einen uralten, sentimentalen Tango — aber zu seinen Klängen habe ich das letztemal mit Judith, der großen Liebe meiner Jugend, getanzt. Die Szene rückt auseinander, verwandelt sich: Berlin, Marmorsäle — auch ein Maskenball. Wir hatten uns lange nicht sehen können. Ich glühte die ganze Woche hindurch vor Aufregung — aber am Vortag des Balles bekam ich eitrige Angina. Trotzdem ging ich, mit neununddreißig Grad Fieber. Ich ging wie auf Watte und sah alle Dinge wie aus dem Innern eines Kachelofens heraus. Dann erblickte ich sie — irgendwas aus grüner Seide mit Turban, die großen braunen Augen darunter strahlend wie zwei Sonnen. Ihr leidenschaftlicher Mund, ihre Arme um meinen Hals, ihr geliebter Körper an mich gepreßt, daß wir wie ein einziges Wesen zusammenbrannten.

»Küß mich nicht«, sagte ich, »ich bin krank.«

»Dann will ich auch krank sein!« Und sie küßte mich, mitten unter tausend Leuten, auf den Mund. Wir tanzten, bis mir schwarz vor den Augen wurde und ich zu taumeln begann. Sie stützte mich, als ich die große Marmortreppe hinunter zur Garderobe wankte. Half mir in den Mantel: »Soll ich dich nicht nach Hause bringen?« Ihre tiefe, etwas heisere Stimme. Nein, sie solle sich nicht in dem schönen Vergnügen stören lassen. Nur küssen möge sie, bitte, keinen anderen.

»Das schwöre ich. Nimm dir ein Taxi, Liebster.«

Ich wandte mich an der Drehtür noch einmal um. Sie stand auf der halben Treppe wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht und winkte mir zu. Und drinnen im Saal spielte man den Tango — diesen Tango. Nie mehr im Leben habe ich mit ihr getanzt. Nie mehr...

»Colonel! Ich hab’ dich gar nicht erkannt! Schick siehst du aus! Willst du nicht mal mit mir tanzen?«

Es ist Margot. Und sie hat dieselben großen, braunen Augen. Etwas kleiner ist sie — aber der gleiche Duft heißer Jugend umhüllt sie...

»Ja, komm schnell, solange sie noch diesen Tango spielen.«

Wir tanzen. Um mich verwirren sich Zeit und Welt. Dann, mit den letzten Takten, ist der Zauber zu Ende. Was war denn — ach so, da hatte ich ja diese kleine Krabbe im Arm. Aus der Maske sehen mich zwei Augen prüfend an: »Ja, Colonel — du kannst einem ja direkt gefährlich werden!«

»Ich? Hm. Wo ist Susanne?«

»Buddy tanzt mit ihr.«

»Schön. Dann kann ich mich mal um Theo kümmern.«

»Wer ist Theo?«

»Ach, ein Freund von mir. Hast du ihn nicht gesehen, so ‘n Mephisto mit ganz dünnen, roten Trikotbeinen, schwarzes Seidenmäntelchen, Degen — ach nein, den haben wir ja weggeworfen, aber ein Barett mit Pfauenfeder. Vielleicht aber haben ihm die Frauen die Feder schon ausgerissen. Er soll es ja so toll treiben.«

»Nein, nicht gesehen.«

»Macht nichts. Paßt weiter auf Susanne auf.«

Theo finde ich im sogenannten Nebenzimmer, wo er wie eine Kreuzspinne auf einem Barstuhl hängt und ein kleines Pilsner trinkt. Ich bestelle mir auch eines und klettere auf den Nachbarhocker: »Was treibst du denn hier, Mephisto? Ich dachte, ich würde dich aus einem Gebirge von Weiberfleisch ausbuddeln müssen.«

Er bläst den Schaum vom Bier und hält es gegen das Licht: »Ich warte auf das große Erlebnis.«

»Aha. Und du glaubst, es kommt so von allein hierher?«

Er seufzt unendlich gelangweilt, wie ein Mathematikprofessor, der von einem Vorschüler interviewt wird: »Natürlich. Im übrigen machst du auch keinen sehr erfolgreichen Eindruck.«

»Hatte ‘nen Fehlstart. Weil ich mit euch allen soviel zu tun habe, daß ich mich nicht um mein Kostüm kümmern konnte. Aber jetzt, als Seeräuber, habe ich Chancen, mein Lieber! Sogar bei der jüngsten Jugend.«

Er seufzt wieder: »Vielleicht gerade bei der. Du siehst wirklich etwas nach Kinderbilderbuch aus.« Seine Haltung verändert sich plötzlich, er holt die Maske herunter, die er auf die Stirn geschoben hatte, klettert vom Stuhl und verbeugt sich nach altspanischer Etikette, mit tiefem Kratzfuß, die Kappe gegen das Herz gedrückt. Das Objekt dieser Huldigung ist etwas Kleines, Kohlschwarzes, mit Wuschelkopf, schwarzem Trikot und aufgenähten Silbersternen.

»So, hast du mich nicht vergessen, holde Königin der Nacht? Darf ich dir meinen Freund vorstellen, Sindbad der Seefahrer, der für einen Augenblick hier vor Anker gegangen ist.«

Er betont den »Augenblick« sehr deutlich, aber das Schwarze demaskiert sich, schüttelt die Locken und ist niedlich-frech. Sie nimmt auch mir die Maske ab und mustert mich: »Ich kaufe nicht gern die Katze im Sack!« erklärt sie mit der Nüchternheit einer Obsthändlerin. »Du kannst auch hierbleiben.« Sie stellt sich zwischen uns und zieht uns auf sich zu: »Ihr seid beide flotte Jungens. Bestellt ihr mir was zu trinken?«

»Natürlich«, sagt Theo. »Bestell mal was, Hannes.«

»Gern.« Ich wende mich zum Seiler-Max um, der in diesem abgelegenen Winkel als Barmädchen fungiert, weil er für die Bedienung in den großen Sälen zu dusselig ist. Er hat eine niedrige Stirn, engstehende Augen und eine Riesenkinnlade und wird alltags damit beschäftigt, den Hof zu fegen, Holz zu hacken und Fässer zu rollen. »Eine Flasche Sekt für den Herrn hier!« sage ich.

Theos Adamsapfel fährt einmal auf und nieder. Ich fasse die Kleine um die Hüfte: »Die zweite Flasche zahle ich!« Sie schlingt die Arme um meinen Hals und küßt mich glühend. Sie entwickelt dabei eine bemerkenswerte Technik, und es dauert ziemlich lange. Als wir endlich fertig sind, hat der Seiler-Max die Flasche schon geöffnet und die Gläser hingestellt. Bei Theo muß er gleich nachfüllen, weil der seinen Sekt schon hinuntergestürzt hat. Ich weiß nicht, ob aus Zorn, oder weil er die Flasche bezahlen muß.

»Du mußt Mephisto auch küssen«, sage ich zu ihr.

»Komm her, Mephi!« schreit sie, stürzt den Inhalt ihres Glases hinunter und wirft Theo die Arme um den Hals. Es dauert wieder ziemlich lange.

Im Saal wälzt sich hundertfarbig und tausendgliedrig immer der Tanz. An den Seiten sind schon viele ermattet auf Stühlen und Bänken niedergesunken. Jetzt kommt ein Tusch (mit einigen unverkennbar falschen Blechtönen). Die stampfende Menge erstarrt wie Weingelee, dann explodiert sie in Riesengebrüll. Rings um mich herum reißt man sich die Masken herunter, fällt sich in die Arme. Ich habe plötzlich etwas Blondes, Dickes um den Hals, das mein Gesicht überschwemmt und mich zum Schluß in die Nase beißt.

»Prost Neujahr!« sage ich gerührt.

Sie schreit vor Lachen: »Och, bist du süß, du Jeck! Komm, jib Klein Elsie dein Händken, ich nehm’ dich mit!«

»Moment«, sage ich, »wewewewenn nicht Silvester ist, warum nimmst du denn dann die Maske ab?«

Sie stemmt die Arme in die Seiten: »Mitternacht, du Döskopp, Demaskierung!« Dann macht sie wieder auf Mutter mit Baby: »Nu komm man mit Muttern mit, Kleiner, ich paß schon jut auf dich auf. Wat is denn, wat jlotzt de denn wie ‘ne tote Hering aus de Wäsch?«

»Mitternacht«, wiederhole ich dumpf, »ich muß meine Töchter suchen...«

Ich steige wie der Storch auf der Wiese durch ein Labyrinth von Beinen, Busen, Köpfen und Armen, rudere durch das Tanzgewühl, werde an einen Tisch gerissen, wo ich mitschunkeln muß, löse Heiterkeit aus, weil ich die Tischdecke hochhebe, um drunterzuschauen, ich beginne nicht nur vor Hitze, sondern allmählich auch vor Angst zu schwitzen und verfluche meine Vaterschaft. Von den Mädchen keine Spur. Endlich entdeckte ich Buddy. Er hat sein Cowboyhemd aufgerissen, und er ist nicht nur am Mund, sondern auch an Hals und Brust total mit Lippenstift verknutscht.

»Gott sei Dank, Buddy! Wo sind die Mädels?«

Er sieht mich dienstlich ernst an: »Margot habe ich Punkt halb zwölf nach Hause gebracht. Mit Susanne ist es etwas schwieriger. Ich will’s jetzt noch mal versuchen.«

»Wo ist sie denn?«

»Das letztemal sah ich sie oben auf der Galerie, ganz in einer Ecke. Immer noch mit diesem rothaarigen amerikanischen Bildhauer.«

»Na, servus. Wenn ich mir vorstelle...«

»Keine Sorge. Fred paßt auf.«

Als wir oben ankommen, finden wir folgende Situation: Fred (mir nach wie vor unsympathisch — auch als Torero) wacht vor einer seltsamen Konstruktion. Sie besteht aus vier Tischen, die so umgekippt sind, daß die Beine alle nach außen ragen. Die Platten bilden auf diese Weise eine Art Koje, aus der ein Besen mit einem darübergestülpten Hemd ragt. In der Koje sitzt mit schimmernden Augen Susanne und — ohne Hemd — Jimmy. Ihr Kopf ruht an seiner mit wilden Tätowierungen bedeckten Brust.

»Hello, Colonel!« begrüßt mich Jimmy. »How do you like meine Jolle?« Er greift neben sich, setzt eine Sektflasche vor den Kopf, säuft den Rest aus und betrachtet mich dann, die Flasche als Fernrohr benutzend. Ich kombiniere, daß er sich als Segler vorkommt und den Besen als Mast und das Hemd als Segel betrachtet.

Susanne winkt mir mit ausrutschenden Bewegungen: »Hallo, Colonel! Es ist himmlisch! Wir fahren gerade nach Hawaii!«

Ich sehe mir die beiden an, besonders Susanne. Sie ist das Betrachten ausgesprochen wert, und ich frage mich, alkoholisch gerührt, ob ich das Recht habe, dieses bezaubernde Kind der Aphrodite aus seinen Südseeträumen zu reißen. Wenn ich nun aber nachgebe? Dann wäre wahrscheinlich kein Halten mehr. Eine erneute, diesmal sehr besorgte Musterung des weiblichen Corpus delicti ergibt, daß es sich um ein voll erblühtes junges Weib handelt, dessen Manometernadel bedenklich über der Gefahrenmarke zittert. Und der Mann? Er sieht einerseits nicht unsympathisch, andererseits aber beängstigend männlich und überdies keineswegs so aus, als ob man eine Alimentenklage gegen ihn mit Erfolg durchsetzen könnte. Geschweige denn eine Eheschließung.

Fred neben mir zeigt auf Jimmy und sagt dann zu Buddy: »Wenn der glaubt, daß er mir so ‘nen steilen Zahn abschrauben kann, ist er schief gewickelt. Den puste ich doch glatt aus der Hose.«

Buddy übersetzt, als ich ihn ratlos ansehe: »Das ist Jazzdialekt. Zahn heißt Mädchen, steil heißt prima und abschrauben heißt wegnehmen. Alles veraltet übrigens. Kein Mensch redet mehr so — außer Fred.«

Jimmy scheint keinen Übersetzer zu brauchen. Er betrachtet den Torero Fred, wobei sich ein gefährliches Grinsen über sein Gesicht verbreitet. Dann zieht er seine Arme so plötzlich unter Susanne weg, daß sie hintenüberkippt, steht auf, streift das Hemd über und steigt aus der Jolle: »Come on, sunny boy, let’s get it over with!«

Fred wird blaß, aber er weicht nicht zurück: »Was sagst du da?«

»Komm ‘raus, ich mach’ dich fertig«, übersetze ich nicht ganz genau, aber mit Vergnügen. Plötzlich ist auch Karl-Friedrich neben mir: »Wir gehen mit, als Sekundanten«, sagt er mit einem Blick auf Buddy.

»Also gut«, meint Fred. Er schwitzt, aber in seinen Augen brennt ein böses Licht. Sie schieben zu viert in Richtung auf den Ausgang ab. Susanne hockt mit glitzernden Augen in ihrer Traumjolle: »Wir müssen auch mit, Colonel!«

»Einen Schmarrn müssen wir! Los, komm ‘raus, steiler Zahn, es ist ein Uhr. Nichts wie in die Falle.«

»Aber sie schlagen sich doch meinetwegen!«

»Stimmt. Und dafür sollte man dich schlagen.«

Sie steigt über die Tische, klappert mit den Augen und legt mir die Arme um den Hals: »Ach, Colonel, lieber Colonel!«

Ich binde mir die Arme wieder ab: »Marsch, ins Bett!«

»Er hat gesagt, er will mich modellieren, als Venus!«

»Die Sorte Venus, die der zustande kriegt, kann er aus jedem Schrotthaufen zusammenschrauben. Hier lang geht’s zur Garderobe.«

»Moment, Colonel, ich muß mal hier ‘rein, ich verliere meinen Rock!«

»Das möchte dir so passen. Du hast ja hoffentlich noch was drunter.«

»Ich muß aber sowieso mal!«

»Das kannst du zu Hause erledigen. Marsch, weiter. Wo hast du die Garderobenmarke?«

»Ich weiß nicht...«

»Aber ich. Die Strippe guckt ja da aus deinem lächerlichen Büstenhalter. Na, wird’s bald? Ich möchte nämlich auch noch was von diesem Abend haben.«

Sie merkt, daß es mir Ernst ist, holt die Marke vor und zieht eine Schippe. Plötzlich ist sie gar nicht mehr verführerisches Weib, sondern trotziges Kind: »Margot muß aber auch gehen!«

»Deine Schwester ist im Gegensatz zu dir ein braves Kind, das sein Wort hält. Sie ist seit halb zwölf im Bett. Hier, schlupf in den Mantel.«

»Woher weißt du denn, daß sie im Bett ist?«

»Weil Buddy sie selber ‘rübergebracht hat.«

Nun ist sie wieder Weib mit tanzenden Koboldlichtern in den Augen: »Na, dann glaube ich’s! Ist er nicht rührend, der brave Buddy?«

»Du solltest dich schämen, nimm dir ein Beispiel an ihr. Klapp den Kragen hoch und mach den Mund zu. Draußen ist es kalt.«

Als wir ins Freie treten, merke ich sofort, daß die Kälte weiter angezogen hat. Ein Dreiviertel-Mond, unter dem die letzten Wolkenschleier dem Gebirge zujagen, scheint durch das eisenstarre Wintergeäst. Die Lichtquadrate, die aus den hohen Fenstern auf den Schnee fallen, lassen ihn bläulich-golden aufflimmern. Rings um den verglasten Mauerwürfel, in dem die Zweibeiner toben und lärmen, stehen ihre vierrädrigen Sklaven, geduldig wartend, mit bizarren Schneegebilden auf ihren Dächern, Kotflügeln und Motorhauben. Mit den Augenöifnungen der von den Scheibenwischern freigelegten Löcher sehen sie aus, als hätten sie sich der närrischen Stunde entsprechend maskiert.

Ich merke, wie Susanne an meiner Seite schaudert. Sie kuschelt sich — trotz Wut — eng an mich.

»Schnell ‘rüber«, sage ich, »du hast ja nicht mal Strümpfe an!«

Da kommen Stimmen und Schatten durch das bläuliche Mondlicht auf uns zu. Es sind zwei, die einen dritten in der Mitte führen. Mit dem dritten ist irgend etwas nicht in Ordnung. Dann sehe ich, daß es Buddy und Karl-Friedrich sind, die den Fred zwischen sich schleppen. Wir hören, wie er mit etwas undeutlicher Stimme murmelt: »Aber mein Magenhaken war nicht schlecht, das müßt ihr zugeben!«

»Nimm mir’s nicht übel«, meint Buddy, »aber das war ein Tiefschlag, ein ausgesprochenes Foul.«

»Foul!« murmelt Fred empört. »Hast du das gehört, Karli?«

»Na ja«, kommt die ruhig-diplomatische Antwort, »er saß ‘n bißchen tief, ist schon wahr.«

Nun stehen wir uns gegenüber. Susanne schreit auf: »Fred — wie siehst du denn aus?«

Fred hat ein dunkelblaues linkes Auge, das schon halb zugeschwollen ist, eine aufgespaltene Lippe, die sein Torerokostüm vollgeblutet hat, und eine Beule an der linken Kinnladenseite, ziemlich genau am richtigen Punkt.

»Kleinigkeiten«, murmelt er. »Wir gehen jetzt ‘rein und saufen’s weg. Au!«

Er hält sich den Mund, und ein paar Tropfen Blut rinnen durch seine Finger.

»Du mußt ja auch dauernd quasseln«, sagt Buddy. »Davon wird’s nur schlimmer.«

»Wie ist es denn ausgegangen?« frage ich.

»Knockout in der ersten Runde«, erklärt Karl-Friedrich wichtig.

»Aber mein Magenhaken...«, wiederholt Fred, »au!«

»Wo ist denn dieser Amerikaner?«

»Der ist erst an ‘n Baum gegangen, weil ihm nach dem Tiefschlag übel war«, sagt Buddy, »und dann, glaube ich, zu Ihnen ‘rüber, Colonel.«

»So. Na, ich werde mich mal um ihn kümmern. Aber erst bringe ich dich nach Hause, Susanne.«

»Soll ich sie bringen?« bietet sich Buddy an.

»Nee, laß man, Junge. Du hast genug von deinem Abend geopfert.«

»Ich bring’ sie aber gern!«

»Nehm’s für geschehen. Kümmert euch um eure Boxleiche da.«

Susanne reißt sich von mir los, stürzt sich auf Fred und gräbt in ihrem Mantel nach einem Taschentuch. Mit dem Tuch tupft sie seine Lippe ab: »Ich gehe mit! Wir müssen ihn doch verbinden!«

Ich befördere sie mit einem an Cocki weidlich ausprobierten Ruck wieder an meine Seite: »Das können die beiden anderen viel besser. Wenn Sie wollen, Fred, rufe ich den Arzt an.«

Er lächelt schief: »Danke, nicht nötig!« Und dann triumphierend zu den beiden anderen: »Na, jedenfalls habe ich dem Penner seinen Zahn abgeschraubt!« Und damit verschwinden sie im Lokal.

Susanne preßt meinen Arm, und im Mondlicht sehe ich, wie ihre Augen glänzen: »Er hat sich für mich geschlagen! Ist das nicht aufregend?«

»Ich habe dir schon gesagt, was ich davon halte, du steiler Zahn. Wo hast du denn deinen Hausschlüssel?«

»Den hat Margot.«

»Na, servus. Die schläft doch wie ein Murmeltier.«

»Die schläft nicht.« Sie klopft an die Scheibe, und drin ist auch gleich Licht hinter den Gardinen. Dann macht Margot auf, im Schlafanzug: »Wie ist es ausgegangen?«

»Ach toll!« sagt Susanne. »Fred hättest du sehen sollen! Mit seinen Wunden! Wie im Film! Aber der Jimmy hat auch was abbekommen, so, daß ihm übel wurde!«

»So, und jetzt Tür zu und ins Bett!« kommandiere ich. »Vor allen Dingen du, Margot, sonst holst du dir noch was. Ich komme gleich wieder vorbei und sehe nach, ob das Licht auch aus ist.«

Ich muß mir einen Pfad durch den Garten hinüber zu meinem Haus stampfen. Unten liegt die verdämmernde Fläche des Sees mit den schattenhaften Linien der Landungsbrücke, der Schnee knirscht, und die Sterne flimmern grün und blau. Wie tröstlich, daß das alles unbeirrt neben dem Getobe da hinten weiterexistiert.

Dann wundere ich mich, woher eigentlich Margot gleich wußte, daß dieser Boxkampf stattgefunden hat — na ja, wahrscheinlich haben es ihr Buddy und Karl-Friedrich erzählt, sind schnell mal ‘rübergelaufen. Der Dorftelegraf hat jedenfalls mal wieder gut gearbeitet. — Und woher wußte Susanne, daß Margot noch nicht schlief? Sonderbar.

Daheim mache ich einen Rundgang durch das Erdgeschoß. In Frauchens Bett liegen Brandt und dieser Jérôme. In der Bibliothek hat sich Jimmy zwei Sessel zusammengerückt, hängt dazwischen und stöhnt im Schlaf. Die Sensation aber finde ich in meinem Zimmer. Bei voll aufgedrehter Heizung liegt die Schwedin im königlich-schwedischen Badekostüm. Das heißt, sie hat nur die Heizung an. Dazu brennt die Tischlampe. Die Decke hat sie — wohl wegen der Hitze — weggeworfen, und über die Stühle verteilt hängt ihre sehr dürftige Garderobe. Neben ihr liegt, die dicken Fellbeinchen starr in die Luft gereckt, Weffi, dieser alberne Opportunist. Aus dem Badezimmer kommt Cocki und sieht mich fragend an. Als ich den Kopf schüttele, watschelt er seufzend zurück. Die Schwedin macht ein Auge auf und sagt: »Hello!« Dann wirft sie sich auf die Seite, so daß mir nunmehr wenig zu erraten übrigbleibt. Ich befehle meinen Füßen, die durchaus auf dem Teppich Wurzeln schlagen wollen, sich wieder zur Tür zu bewegen. Vorher knipse ich noch die Lampe aus.

Während ich durch den Schnee zurückstampfe, komme ich mir gleichzeitig heroisch und blöde vor.

Als ich durch die Schwenktür in den kleinen Saal komme, ist das Fest sichtlich im Welken. Schon in der Garderobe habe ich allerhand Volk gesehen, das sich in Schals und Mäntel wickelt, trällernde Töchter einfängt und bleiche Jünglinge fürsorglich in Empfang nimmt, wenn sie von der Toilette oder aus dem Garten kommen.

Mir ist nicht besonders. Der >Spözielle< des Seiler-Max vertrug sich offenbar nicht mit der frischen Luft. Anscheinend bin ich sogar so durcheinander, daß ich Visionen habe. So bilde ich mir ein, ich hätte am Ende des Saales, neben der Musikbox, Susanne mit Fred gesehen. Als ich mir die Augen reibe und noch mal hinschaue, ist die Erscheinung verschwunden.

An der Bar treffe ich einen äußerst selbstsicheren Theo, der, mehr denn je einer Vogelspinne gleichend, auf seinem Stuhl hockt.

»Komm, setz dich doch zu mir«, fordert mich Theo mit einer Freundlichkeit auf, die mir verdächtig scheint. Er greift hinter sich und nimmt eine neue Moselflasche vom Eis, aus der er mir eingießt.

»Na, wie geht’s?« fragt er.

»Großartig. Endlich habe ich meine Gören eingefangen und zu Bett gebracht, worauf man hier die Läden ‘runterläßt. Und du? Bist du zu Stuhl gekommen?«

»Natürlich.«

»Natürlich — dein Natürlich macht mich noch wahnsinnig! Außerdem — wieso?«

»Sie fährt mich in ihrem Wagen zu sich nach Hause. Da kommt sie übrigens!« Er rührt sich nicht von der Stelle und sieht >ihr< mit der lässigen Sicherheit eines Paschas entgegen, vor dem die Lieblingsfrau sogleich in die Kissen sinken wird.

Dann bemerke ich, daß seine Augen sich verengen, und entdecke die gelenkige Schwarze. Aber sie kommt nicht allein, sondern hat einen ziemlich versaubeutelten Pierrot mit Hängebacken und Glatze im Schlepptau.

»Helft mir doch mal, Jungs«, sagt sie. »Das ist mein Mann. Ihm ist ziemlich übel.« Sie dreht sich mit zärtlichem Augenaufschlag zu Theo: »Du nimmst ihn zu dir nach hinten, ich fahre.«

Mephisto blickt wild und hilfesuchend um sich. Ich aber lege ihm den Arm um die Schulter: »Theo ist ein großartiger Kavalier. Außerdem war er im Krieg Sanitäter. Er tut es sehr gern — natürlich!«

»Das hast du schön gesagt«, antwortet sie, legt den in diesem Moment stark rülpsenden Pierrot in Mephistos Arme und gibt mir einen glühenden Kuß: »Vergiß mich nicht!«

»Nie!«

Theo wirft mir einen Blick zu, der es mich als Glück empfinden läßt, daß wir seine Plempe in den Vorgarten geworfen haben. Dann schwanken sie zu dritt ab.

Ich sehe ihnen nach. Sic transit gloria, Don Juan! Gleich darauf tut er mir leid, und ich schäme mich meiner Schadenfreude.

Jemand packt mich am Arm: »Sie — Herr Dokta...« Es ist der Seiler-Max. »So schaun S’ doch amal, Herr Dokta!«

Der >Dokta< ist ihm nicht abzugewöhnen, solange ich meine Brille aufhabe und Bücher schreibe. Jetzt dreht er mich mit sanfter Gewalt um, daß mir die Nase fast auf dem Rücken steht. Ich sehe aber nichts anderes als die gute, rundliche Frau Bachmeier, Flüchtlingswitwe mit zwei Kindern, die ihr Geld mit Aufwartungen verdient. Sie beginnt gerade mit dem Saubermachen. Während in den Ecken noch einige Paare aufeinander einreden, hat sie den Putzeimer wie ein Menetekel mitten in die Bar gestellt und setzt den Besen in Bewegung, der eine Bugwelle von Konfetti, Papierschlangen, Masken, Papiernasen, Zigarettenstummeln und Glasscherben vor sich herschiebt.

»Dös is a Weiberl, gel?«, fragt mich der Seiler-Max. »B’sonders wann s’ si so buckt, wie jetza!« Er dreht meinen Kopf wieder zu sich herum: »Wann i mir bloß trauen tät, würd’ s’ pfeilgrad heiraten, glauben S’ des?« Er hat blutunterlaufene Augen wie ein alter Bernhardiner.

»Ich mach’ dir ‘nen Vorschlag, Maxi«, sage ich. »Du hörst auf, mir den Kopf abzuschrauben, und ich geh’ hin und sag’ ihr’s.«

»Dös wann S’ täten, Herr Dokta...« Er gießt rasch noch einen Spöziellen hinunter, worauf sich seine Augen verschleiern. Ich bin ganz milde Würde, als ich mit einer nur unbeträchtlichen Rechtsabweichung auf die fleißige Witwe zuschlingere. Sie schaut mich mitleidig an: »Na, Sie sollten auch Schluß machen, Herr Doktor!«

Ich lege ihr eine Hand auf die Schulter: »Frau Bachmeier, ich bin nicht Doktor, sondern Amor, der Liebesbote.«

»Ja, schon gut, schon gut, Herr Doktor. Soll ich Ihnen den Mantel aus der Garderobe holen?«

»Frau Bachmeier, wenn Sie mir nicht glauben, werden Sie das Ihr ganzes Leben bereuen! Ich komme im Auftrag vom Seiler-Max, um Sie um seine Hand zu bitten — ich meine, ihn um seine Hand — auch nicht richtig, na, Sie wissen schon!«

Sie scheint zu wissen, denn sie steht auf ihren Besen gestützt und starrt gegen die Bar: »Das hat er gesagt?«

»Das hat er gesagt. Er ist nur zu schüchtern, aber er liebt Sie seit seiner Geburt.«

Sie steht noch immer unbeweglich, aber durch die komischen Punkte, die vor meinen Augen herumkullern, sehe ich, daß ihr Gesicht sich verändert hat: »Also, er hat’s gesagt«, murmelt sie. »Wo ist er denn?«

Ich wende mich um, als ich ihre Verwirrung bemerke: Der Seiler-Maxl ist weg! Wir eilen zur Bar — er liegt dahinter, den Kopf auf einer Schnapskiste, und schnarcht. Das Gesicht von Frau Bachmeier ist plötzlich wieder hager und grau.

»Nun, nehmen Sie’s ihm nicht übel«, sage ich. »Der letzte Spözielle hat ihn umgeworfen. Selbst einen alten Seemann wie mich hat das erschüttert.«

»Was mache ich jetzt?« fragt sie.

»Furchtbar einfach«, erkläre ich großartig. »Neh — nehmen Sie Ihren Putzeimer und stecken Sie den Maxi mit dem Kopf ‘rein. Und wenn er wieder da ist, geben Sie ihm Ihr Jawort. Sa-sagen Sie ihm, der Herr Doktor hat’s verordnet, und damit basta — tatata...«

Ich steuere die Tür der Garderobe an, und es gelingt mir tatsächlich, sie zu erreichen. Als ich mich noch einmal umwende, sehe ich, wie Frau Bachmeier gerade den Eimer hochhebt und auf die Bar zugeht. Ihr Gesicht ist nachdenklich — aber fest entschlossen.

Drüben, am Bentlerschen Hause, entdecke ich, daß das Fenster des Elternschlafzimmers (es liegt zu ebener Erde neben dem der Mädchen) halb offensteht. Ich drücke es an. Das kann ja eine nette Temperatur für meinen Gastschlaf dort werden! Leise schließe ich auf. In der Diele sehe ich, daß das Licht im Mädchenzimmer einen Moment an- und gleich wieder ausgeht. Ich öffne die Tür und knipse wieder an: »Ich bin’s, Kinderchen. Alles in Ordnung? Wundert euch nicht, ich... nanu, wo ist denn Susanne?« Margot, von der ich nur eine Deckenrolle mit dunklem Haarschopf sehe, fährt hoch: »Colonel? Hab’ ich mich erschrocken! Ich hab’ ganz fest geschlafen.«

Das hätte sie nicht sagen sollen. Es weckt selbst in meinem benebelten Hirn einen unbestimmten Argwohn. Ich schaue mir den Fratz genauer an: die Augen sind ganz klar und nicht die Spur verschlafen. Außerdem: Wer hat eben das Licht aus- und angeknipst? Ein Geist vielleicht? Und daß sie sich jetzt wie ein junges Pantherweibchen dehnt, wirkt ausgesprochen überspielt.

Sie rückt gegen die Wand: »Setz dich doch und erzähl mir, was noch alles los war?«

»Wo ist Susanne?«

Sie klappert mit den Augen: »Susanne — ach, die hat sich ins Elternschlafzimmer gelegt! Sie wollte endlich mal allein schlafen.«

»Tut mir leid, das kann sie meinetwegen morgen machen. Heute muß ich da schlafen. Drüben bei mir habe ich die ganze Bude voll.«

Ich wende mich zur Tür, aber mit einem Satz ist Margot aus dem Bett und steht mit ausgebreiteten Armen davor: »Das — das kannst du nicht machen, Colonel — das — es geht nicht!«

»Nicht? Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«

»Weil... weil... es ist möglich, daß...« (sie schlägt züchtig die Augen nieder) »... daß Susanne — ganz ohne alles daliegt!«

»Soso. Und warum sollte das liebe Kind wohl so ganz ohne alles daliegen?«

»Weil... es wird ihr zu heiß sein — sie sagte...«

Ich lange ihr unter das Kinn und hebe das Gesicht hoch. Ihre Lippen zucken, die Augen weichen mir aus.

»Du hast Pech«, sage ich grimmig. »Das Fenster drüben war offen, und im Elternschlafzimmer sind mindestens zehn Grad Kälte. Willst du mir einreden, daß eine so verfrorene Wurscht wie Susanne in dieser Temperatur ohne alles schläft? Und jetzt ziehst du dir einen Schlafrock über und kommst mit. Ich möchte mir diese holde Schläferin mal ansehen.«

Die Farbe ist aus ihrem Gesicht gewichen. Plötzlich kann ich mir vorstellen, wie sie als Frau von dreißig oder vierzig aussehen wird: »Ich hab’ dich belogen, Colonel. Sie ist weg. Sie wollte drüben schlafen, das ist wahr, aber dann — ich hörte das Fenster, gleich nachdem du vorhin weggegangen bist. Ich...«

Da bin ich schon draußen und wieder unterwegs zum >Königsbräu<. Also war es keine Vision, daß ich die Range und den Fred gesehen habe, da an der Säule —. Na, warte!

Ich fege durch den großen Saal. Die meisten Lichter hat man schon gelöscht. Nur auf der Bühne, wo die Musik gespielt hat, tanzt noch ein Paar. Es sind Susanne und der mehrfach bepflasterte Fred. Ein Dritter mit breiten Schultern und in einem gestreiften Sweater sitzt im Schatten und spielt Mundharmonika. Susanne hat ihr Gesicht an Freds Schulter gelegt, es ist von Hingabe völlig aufgeweicht.

Mit einem Satz bin ich auf dem Podium, packe sie am Arm und reiße sie weg: »Schluß jetzt. Du kommst mit ‘rüber. Das Weitere verhandeln wir dort.«

Ihre Augen öffnen sich nur einen Spalt: »Colonel — was ist denn — ich habe doch nur...«

Fred fletscht die Zähne: »Ich muß doch bitten...«

»Einen Dreck müssen Sie. Ihr Verhalten ist unverantwortlich!«

Da ist der Breitschultrige neben mir: »Langsam, langsam, Herr!«

Plötzlich fühle ich Gefahr. Sie liegt in der Luft, so dick wie ein Nebel, der aus dem Boden aufsteigt. Dieser Gorilla — das war ja der, den Fred neulich im Schlepptau hatte — sieht unangenehm aus. Auf den enormen Schultern ein kurzer Hals, darüber ein Rundschädel mit niedriger, tief gefurchter Stirn, engstehende Augen, breite Nase. Es entströmt ihm ein merkwürdig unsympathischer Geruch. Er ruft in mir irgendeine trostlose Gedankenassoziation hervor, die ich aber im Moment nicht unterbringen kann.

Ich sehe mich um. Aus dem Dunkel des Saales kommen der Wirt und zwei Kellnerinnen.

»Wer sind Sie überhaupt?« fauche ich den Gorilla an. »Wollen Sie sich nicht wenigstens vorstellen? Was geht Sie das hier an? Ich werde Sie feststellen lassen!«

Als ich das vom Feststellen sage, erlischt das tückische Glimmen in seinen Augen, und statt dessen sehe ich für einen Moment etwas ganz anderes darin: Furcht. Er hebt die Hand, eine breite, kurzfingerige Hand mit abgeknabberten Nägeln: »Nichts für ungut, Herr!« Er schaukelt zu Fred hinüber: »Wir gehen.«

Der wirft die Unterlippe auf: »Ich denke gar nicht dran! Ich...«

Da packt ihn der andere mit einem Griff, daß Fred das Gesicht verzieht: »Wir gehen!« Und sie gehen.

Ich nehme Susannes Mantel, der über einem Stuhl baumelt, und ziehe ihn ihr an: »Los!«

Sie stolpert neben mir von der Bühne: »Das finde ich aber gar nicht nett, Colonel!«

»Halt den Mund.«

Aber sie gibt sich noch nicht geschlagen: »Woher weißt du denn überhaupt, daß ich hier war?«

»Woher ich das weiß? Paß auf die Stufe auf, sie ist glatt. Ich werde nämlich heute nacht im Zimmer eurer Eltern schlafen. Als ich ‘rüberkam, war Margot noch wach...«

Sie bleibt in aufsässiger Trunkenheit stehen, reißt sich los und stemmt die Arme in die Seiten: »Ach, sieh mal an! Margot, mein liebes, braves Schwesterchen! Da hat sie sich wohl wieder mal auf meine Kosten beliebt machen wollen!« Ihre Augen glühen: »Aber ich sage dir eins, Colonel, sie macht dir was vor, dir genau wie den Eltern! Sie liebt Buddy schon seit einem Jahr, und sie ist mit ihm so dicke, wie ich noch nie mit einem Jungen gewesen bin, jawohl! Sie hat euch alle an der Nase ‘rumgeführt, so raffiniert ist sie! Beide sind so raffiniert, der Buddy auch!«

Es läuft mir kalt über den Rücken. Aber vielleicht ist es auch Verleumdung? Das Mädel hier ist ja völlig außer sich, weil ich sie, die junge Dame, vor ihrem im Kampf verwundeten Galan blamiert habe. So nehme ich wieder ihren Arm: »Komm.«

Sie scheint ihre Munition verschossen zu haben und trottet mit. Je näher wir aber dem Hause kommen, desto langsamer wird sie, bleibt plötzlich stehen: »Das war gemein von mir, Colonel! Bitte, vergiß es doch!«

Also stimmt es! Das ist ja eine schöne Bescherung!

»Ich denke nicht daran«, sage ich.

»Bitte, vergiß es! Ich hab’ nicht gewußt, was ich rede!«

»Dein Pech. Weiter.«

»Nein! Ich gehe nicht weiter, wenn du mir nicht versprichst...«

»Ich verspreche gar nichts. Aber wenn du hier noch lange Theater machst, lege ich dich schlicht übers Knie und haue dich durch, das ist das einzige, das ich dir verspreche. Es genügt, daß ihr mir den ganzen Abend versaut habt mit euren Verrücktheiten. Wer ist eigentlich dieser Gorilla?«

»Das ist ein Freund von Fred, sein Stellvertreter in der Blase.«

»Ach, Fred ist also der Chef.«

Sie wirft den Kopf hoch: »Jawohl, das ist er!«

»Na, den werde ich mir morgen mal vorknöpfen! Los, ‘rein. Im übrigen hat Margot dich gar nicht verpetzt. Im Gegenteil.«

Die Tür öffnet sich von innen, als ich den Schlüssel ins Schloß stecke. Margot im Pyjama. Susanne fällt ihr um den Hals:

»Margot, ich hab’s ihm gesagt, von dir und Buddy! Ich war so wütend, ich dachte, du...«

Margot schiebt die Schwester von sich, sieht sie einen Moment an, und dann klebt sie ihr eine, daß es nur so knallt. Susanne hält sich das Gesicht und stürzt ins Mädchenzimmer.

»Es stimmt also?« frage ich.

Ihre Augen sind groß und dunkel: »Ja.«

»Warum hast du’s nicht wenigstens deiner Mutter gesagt?«

»Sie hätte mir nur ‘reingeredet. Es geht niemanden was an.«

»Darüber läßt sich streiten, mein Kind. Ist es ein Flirt? Oder mehr?«

»Mehr.«

»Hm. Soll das heißen...«

»Nein. Ich passe schon auf mich auf.«

Ich sehe sie an, wie sie da vor mir steht und ihre Liebe verteidigt, dann aber sage ich nur: »Geh schlafen, Mädel. Du erkältest dich.«

Sie tritt an mich heran, dreht an meinem Mantelknopf:

»Böse?«

»Bißchen traurig.«

»Warum?«

»Früher hast du mir immer alles erzählt.«

»Colonel?«

»Hm?«

»Na schön. Aber morgen. Jetzt geh ins Bett und kümmere dich um dieses lächerliche Küken da drinnen. Wenn sie noch mal aus dem Fenster will, holst du mich, verstanden?«

»Okay, Colonel. Danke!«