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Da haben sie mich also doch erwischt — die Gangster. Sie drängen mich in eine Mauernische. Der Große mit der niedrigen Stirn gibt mir einen Kinnhaken, während der Kleine mit dem Mausgesicht mir die Pistole in den Rücken drückt.
Ich hole aus, bekomme aber sofort wieder von dem Gorilla einen Schlag — und bin wach.
Dicht vor meinem schweißbedeckten Gesicht ist ein Löwenkopf mit langen Ohren und goldenen Augen. Cocki sitzt vor meinem Bett und holt eben wieder mit der Tatze aus. Er läßt sie sinken, als er sieht, daß ich die Augen aufmache.
Hinter der Tür rumort es, etwas Hölzernes, anscheinend ein Kleiderbügel, fällt klappernd auf den Boden, und die Stimme der Mama sagt: »Schläft denn Hans immer noch?«
»Weck ihn auf«, erwidert Frauchens Stimme, »er soll schon die Koffer in die Diele tragen.«
Ich setze mich mit einem Ruck auf: Sie verreist ja! Einen flüchtigen Moment fällt mir der Gorilla ein, Spuk aus dem angeritzten Unterbewußtsein, psychoanalysiere ich. Aber warum angeritzt? Weil Frauchen verreist? Was ist man doch für ein Gewohnheitstier! Oder ist da noch etwas anderes — etwas mehr?
Da ist schon die Mama. Sie bemüht sich, streng auszusehen. »Na, alter Faulpelz, bist du noch nicht auf?«
Ich gähne: »Psychoanalyse.«
Als ich nach einer halben Stunde angezogen aus meinem Zimmer komme, tritt Frauchen gerade aus ihrem Schlafzimmer, das heißt, genauer gesagt, sie hinkt. Bekleidet ist sie mit Schlafrock, unter dem ein Stück Nachthemd vorschaut: »Komm schnell nach oben, frühstücken«, sagt sie, »es ist ja schon neun Uhr!«
»Es ist sogar Viertel zehn«, sage ich, während wir die Treppe hinaufsteigen. »Außerdem — warum hinkst du?«
»Weil ich den zweiten Pantoffel nicht gefunden habe.« Sie bleibt stehen und sagt mit gedämpfter Stimme: »Achte darauf, daß die Mama beim Essen nicht so schmatzt und nicht alle Türen offenläßt, damit ihr nicht nur für das Treppenhaus heizt. Vor allem soll sie die Hunde nicht überfüttern und ihnen nicht wieder das Betteln angewöhnen.«
»Mach’ ich.«
»Und achte darauf, daß sie nicht zuviel trinkt, ein Gläschen Vermouth am Abend ist genug.«
Im großen Zimmer oben hat die Mama schon den Frühstückstisch gedeckt und rumort in der benachbarten Küche. Frauchen geht zu ihr. Die Herren Hunde sind auch schon zur Stelle, aber sie belagern nicht wie sonst den Frühstückstisch. Weffi sitzt mit zitternden Fellbeinchen an der Tür, den Ball neben sich. Cocki hat sich in seinen Schmollwinkel neben dem Kamin zurückgezogen. Ein hellblauer Gegenstand schaut unter seiner Flappe hervor. Als ich ihn mir näher betrachte, sehe ich, daß es Frauchens Pantoffel ist. Ich greife danach, worauf er die Flappe hochzieht und mir den Eckzahn zeigt. Worauf er von mir eins hinter die Ohren und den Pantoffel weggenommen bekommt. Er reicht mir eine dicke Knudelpfote und seufzt.
Ich streichele ihm über die langen Ohren und die hohe Stirn: »Frauchen kommt ja bald wieder!« Und dann starren wir beide auf die Küchentür.
Dahinter höre ich Frauchens Stimme: »Und vor allem, Mami, achte darauf, daß er nicht zuviel trinkt. Eine Flasche Bier am Abend genügt. Und er soll nicht die Füße auf den Schreibtisch legen.«
»Er hört ja nicht auf mich«, sagt die tiefe Stimme der Mama düster.
»Außerdem soll er beim Essen nicht lesen und die Hunde nicht mit ins Bett nehmen, und wenn Frau Schleußner zum Aufräumen kommt, soll er ihr keine unanständigen Witze erzählen. Sie lacht zwar darüber, aber sie trägt uns im ganzen Ort herum. Außerdem bezahle ich sie nicht fürs Lachen, sondern fürs Aufräumen.«
Ich stehe auf und gehe in die Küche: »Hier ist dein Pantoffel.«
»Danke. Da, nimm das Tablett, bitte. Wo war er denn?«
»Cocki hat ihn sich ‘raufgetragen und lag mit dem Kopf drauf.«
Das Wasser schießt ihr in die Augen. Sie eilt — immer noch hinkend, weil Pantoffel noch in Hand — ins Zimmer, kniet sich neben Cocki und zieht seinen Kopf an ihre Brust: »Ach, mein Dickerchen!«
Weffi kommt von der Tür und bohrt ihr den Kopf unter die Achsel. Sie umklammert ihn mit dem ändern Arm: »Du auch, mein Liebling!«
Die Mama, in der Küchentür stehend, gräbt das Taschentuch aus und heult wie ein Schloßhund. Ich fühle, verdammt noch mal, einen Kloß in meiner Kehle, räuspere mich und sage: »Neun Uhr fünfundzwanzig!«
Frauchen erhebt sich und hinkt zum Tisch: »Ich bin ja fix und fertig. Warum sitzt du nicht längst? Mami, setz dich auch!«
Die Mama steckt das Tuch weg und setzt sich.
Als wir gerade bei der zweiten Tasse Kaffee sind, ertönt unten eine Fanfare. Eine sehr prominente und auffordernde Fanfare. Der Mama bleibt die Hand mit dem dritten Brötchen darin in der Luft hängen: »Um Gottes willen, da ist er schon!«
»Was heißt um Gottes willen«, sagt Frauchen, »der Mann kann doch warten. Er ist schließlich kein Zug, der abfahren muß.« Sie hat Weffi auf dem Schoß, Cocki neben sich und füttert beide abwechselnd.
Ich stehe hastig auf: »Gehe mal ‘runter...«
»Ja, und sage ihm, ich komme gleich.«
Ich renne die Treppe hinunter. Die Hunde hinter mir. Es gelingt mir gerade noch, Cocki, der die Widersetzlichkeit eines Elefanten entwickelt, mit dem Fuß zurückzuschieben und rasch die Haustür vor seiner großen Nase zu schließen.
Und dann, als ich mich draußen umwende, bleibe ich mit offenem Mund stehen. Der Cadillac! Sooo lang und sooo breit und ganz niedrig! Es ist ein dunkelrotes Kabriolett mit einer Zürcher Nummer und einem livrierten Chauffeur am Steuer. Als er mich sieht, steigt er aus und nimmt die Mütze ab. Er hat ein markantes, braungebranntes Gesicht mit silbernen Schläfen. Wir schütteln uns die Hände und sind uns vom ersten Augenblick an sympathisch.
Ich frage ihn, ob er gefrühstückt habe und wenn nicht, ob er nicht wolle. Er wisse ja, die Frauen... Er sagt, er wolle nicht, und im übrigen sei auch er verheiratet. Allerdings sei die amerikanische Dame etwas ungeduldig... Das, erwidere ich, sei sie schon seit fünfundsiebzig Jahren, und man werde es kaum ändern können.
Aus dem Nebenhaus kommt Teddy und gesellt sich zu uns. Ich stelle die beiden Herren einander vor, dann biete ich dem Chauffeur eine Zigarre an und ermuntere ihn, die Motorhaube zu öffnen.
In diesem Augenblick jedoch geht die Haustür auf, und Frauchen erscheint, den Mantel zur Hälfte angezogen. Ein Koffergebirge türmt sich im Hintergrund. Das Ganze ein Bild rührender weiblicher Hilflosigkeit. Bevor ich mich noch in Gang setzen kann, sind schon Teddy und der Chauffeur auf sie zugesteuert und keuchen mit Koffern in jeder Hand zum Wagen zurück. Auch Addi ist von irgendwoher aufgetaucht und hilft Frauchen in den Mantel. Mami steht im Hintergrund und hat schon wieder das Taschentuch vor dem Gesicht. Mir bleibt nichts, als einige symbolische Bewegungen in Richtung Mantel und Gepäck zu vollführen. So gebe ich mich denn männlich rauh, küsse sie energisch, klopfe ihr die Schulter und sage: »Halt dich senkrecht, old girl!«
Frauchens Blick streift mich mit einem ätherisch-zarten Augenaufschlag, der offenbar schon für den Schilehrer in St. Moritz geübt wird. Dann küßt sie sich mit Addi, und dann wird sie von Teddy übernommen, der aus dem Abschied eine gewaltige Veranstaltung macht. Er hebt sie hoch, klopft sie auf den Rücken, erst oben, dann weiter unten und küßt sie mit der Inbrunst eines Matrosen nach zwei Jahren auf hoher See.
»Hau ihm doch eine ‘runter, dem frechen Kerl!« sagt Addi. Teddy setzt die süße Last auf die Erde und fragt, wie sie das gefunden habe. Frauchen klopft ihm mütterlich auf die Brust und sagt, sie wisse ja, was er für ein toller Kerl sei. Ob er nun mit dem Abschied fertig sei, denn sie müsse noch mal ins Haus und sich den Kopf nebst Hut in Ordnung bringen.
Teddy versichert, daß er total fertig sei, der Chauffeur grinst diskret. Frauchen geht, von Addi begleitet, noch mal zurück: »Nun hör auf zu heulen!« höre ich sie in der Tür streng zur Mama sagen.
Ich packe Teddy am Arm: »Jetzt komm aber und sieh dir den Motor an!« Im nächsten Augenblick hängen wir beide unter der Haube und staunen. Dann hole ich schnell einen alten Sack aus der Garage, wir legen uns Seite an Seite darauf und studieren die Luftfederung.
Addi erscheint, öffnet die Wagentür und wirft eine Decke hinein. Dann stellt sie sich mit eingestemmten Armen neben uns: »Ja, ihr seid wohl nicht gescheit!«
Wir stehen, ohne sie weiter zu beachten, auf und krabbeln auf die vordere Sitzbank. Dort wird uns ganz feierlich. Unsere Blicke kosen die Instrumente und die gewaltige Haube. Teddy fingert ehrfürchtig über das Steuerrad. Dann seufzen wir im Duett, während der Chauffeur geschmeichelt zum Fenster hereinschaut.
Frauchen kommt wieder aus dem Haus. Wir klettern schweren Herzens aus dem Wagen, alles küßt sich noch mal, die Mama beginnt wieder zu heulen, der Chauffeur schließt die Haube, setzt sich ans Steuer und dreht den Zündschlüssel um. Unter der Haube ist ein seidenweiches, unerhört aufregendes Purren von vierhundert PS, der Chauffeur grüßt, Frauchen winkt mit geröteten Wangen, dann setzt sich der Koloß mit breitem Wiegen in Bewegung und ist wie ein Schatten um die Ecke. Wir vier Zurückgebliebenen sehen uns unbeholfen an.
»Na also!« sage ich schließlich. Dann gehen wir, je zwei, in unsere Häuser.
Drinnen schauen die Mama und ich einander in die Augen, dann sagt sie: »Jetzt brauch’ ich erst mal einen!«
»Ich auch.«
Cocki und Weffi erscheinen Seite an Seite, schnüffeln in das Chaos und drängen sich eng an uns, als wir nach oben gehen. Dort greift jeder von uns zu seiner Flasche, sie zum Vermouth, ich zum Cognac. Wir stoßen auf glückliche Reise an. Dann gehe ich mit meiner Flasche nach unten, die Mama behält ihre in der Hand. Unten nehme ich noch einen, zünde mir eine Zigarre an, setze mich hinter den Schreibtisch und lege die Füße darauf: Strohwitwer!
Oben höre ich erneutes Gläserklirren und nach einer Weile — als Begleitung zu den üblichen Haushaltsgeräuschen — Mamis Lieblingslied: »Glühwürrmchen, Glühwürrmchen, schimmrre, schimmrre...« mit hartem Bühnen-R.