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Wagenwaschen im Winter ist ein Problem. Wäscht man ihn draußen vor der Garage, selbst in der Sonne, so ist das Wasser auf der Seite, die der Sonne abgewandt ist, gleich wieder vereist. Wäscht man ihn in der Garage, bekommt man Krach, weil der Fußboden naß wird und man angeblich nicht weiß, wie man die Nässe wieder wegbringen soll, da das Genie von Baumeister seinerzeit den Abfluß vergessen hat. Ich habe mich entschlossen, ungeachtet aller Meckerei in der Garage zu waschen und mir gerade einen Eimer warmen Wassers gemacht, als die Mama den Kopf durch die Kellertür steckt und mit der Amplitude eines Großfeuer-Alarms schreit:
»Das Telefon!«
»Ja. Nimm’s doch ab«, sage ich.
»Das Telefon!« schreit sie noch mal und macht die Kellertür zu.
Ich schmeiße den Schwamm ins Wasser, wische mir die Hände an den Jeans ab und renne nach oben. Es ist Luise.
Luise war die Tochter meines früheren Zeichenlehrers. Äußerlich ein scheues Reh mit einer dicken braunen Haarkrone und ebenso braunen Kulleraugen. Nach der Schule verloren wir uns aus den Augen, aber später tauchte sie wieder auf, weil sie einen Architekten geheiratet hatte, der zufälligerweise einen Artikel über Architektur bei mir unterbringen wollte, als ich noch Redakteur war. Theo hieß er. Wir kamen ebenso zufällig auf unsere Frauen zu sprechen, und dabei ergab sich die alte Beziehung. Aus der Beziehung wiederum ergab sich die entsprechende Rührung und aus dieser schließlich eine sehr nette Freundschaft. Nach dem Kriege zogen Theo und Luise in dasselbe Dorf wie ich, aber in das sogenannte Oberdorf, wo es von feinen Leuten wimmelt, als da sind pensionierte Ministerialdirektoren, erfolgreiche Porträtmaler, Filmkaufleute und moderne Architekten wie Theo, deren supermoderne Heime dann in der »Eleganten Frau< oder in »Wohnen und Lebern erscheinen.
»Hör mal zu«, sagte Luise jetzt am Telefon, »du gehst doch heute auf diesen Kostümball von den Schützen...«
»Woher weißt du denn das?«
»Woher! Alle gehen doch hin. Also, hör zu! Ich muß leider für drei Tage nach München. Und Theo möchte plötzlich auf diesen Ball, angeblich um Anregungen zu sammeln. Na, du kennst ihn ja! Ich habe ihm ein nettes Kostüm zurechtgemacht und dachte mir, du könntest ihn vielleicht im Wagen abholen und wieder nach Hause bringen. Damit er sich nicht erkältet.«
»Ja, gewiß — aber euer Wagen...«
»Den nehme ich natürlich. Und paß auf ihn auf, du weißt, wie die Weiber hinter ihm her sind!«
»Ja, sicher, gern. Aber ich habe da schon die beiden Mädchen von Bentlers zum Aufpassen...«
»Das kannst du sowieso nicht. Außerdem, wenn da was vorkommt, geht wenigstens keine Ehe kaputt.«
»Ja, ist es denn mit Theo dermaßen schlimm bei solchen Gelegenheiten?«
»Noch schlimmer! Er wirkt auf Frauen schlechthin dämonisch.«
»Ach, du lieber Gott, auch das noch. Na schön, ich hole ihn ab.«
»Bringst du ihn auch wieder heim?«
»Wenn ich noch fahren kann, ja. Sonst kann er ja bei mir schlafen.«
»Gut. Aber paß auf, daß er nicht aus Versehen mit Absicht bei deinen Mädchen landet. Solche jungen Dinger... warum sagst du denn gar nichts?«
»Ich?«
»Ja, du!«
»Na, ich dachte gerade nach. Ich werde ihm meine Couch geben und ihn einschließen.«
»Und wenn er nun durchs Fenster steigt?«
»Dann kann auch nicht viel passieren. Er bricht sich höchstens das Genick. Darunter liegt nämlich die Garageneinfahrt.«
»Ich habe immer gewußt, daß du eine Seele von Mensch bist. Da bin ich also unter Umständen morgen früh Witwe.«
»Unter Umständen. Übrigens hat dir Schwarz immer gut gestanden. Sonst noch was?«
»Ja. Paß auch auf dich gut auf!«
»Dazu werde ich gar keine Zeit haben.« Ich hänge auf. Und steige wieder in die Garage hinab. Als ich eben den Wagen geschwammt habe und mit dem Ledern anfangen will, klingelt wieder das Telefon. Es ist Theo: »Ich wollte nur wissen, ob du mich abholst?«
»Ja, ich hole dich ab. Warum kannst du eigentlich nicht die zehn Minuten bis hier zum >Königsbräu< laufen?«
»Im Kostüm? Wie stellst du dir das vor?«
»Na, zieh dir doch ‘n Mantel drüber, dummes Luder.«
»Dann friere ich trotzdem unten ‘rum.«
»Als was gehst du denn?«
»Als Mephisto. Im schwarzen Trikot, mit dem >Mäntelchen aus starrer Seide< und Degen.«
»Na schön, ich hole dich ab.«
Als ich wieder in die Garage hinunterkomme, steht dort Buddy und ledert den Wagen.
»Ja, Buddy, du bist wohl nicht gescheit? Wie kommst du denn darauf?«
Er scheint verlegen, ein bei ihm gänzlich unbekannter Zustand: »Ich — ich — die Margot hat mir nämlich erzählt, daß Sie so viele englische Bücher haben. Krimis. Und ob Sie mir vielleicht mal einen leihen würden! Englisch, das fällt mir nämlich ziemlich schwer, und da dachte ich mir, wenn ich so ‘n paar Krimis lese, die mich auch interessieren, dann geht’s vielleicht besser.«
»Ausgezeichnete Idee«, sage ich. »Am besten ist, du gehst ‘rauf in die Bibliothek und suchst dir selbst was aus.«
Mein schnelles Einverständnis scheint ihn zu bestürzen: »Nein — bitte, beeilen Sie sich doch nicht so, es hat ja Zeit! Erst möchte ich den Wagen fertigmachen, wenn’s Ihnen recht ist, um mich für das Leihen zu revanchieren.«
»Na schön. Bleib da vorn. Ich nehme mir das Hinterteil vor. Ich wäre längst fertig, wenn mich nicht gerade ein Freund angerufen hätte.«
Er widmet sich mit besonderer Sorgfalt der Stoßstange: »Ich habe es zufällig gehört — Sie wollen auch auf den Kostümball gehen?«
»Wollen? Muß, mein Junge, muß! Vatersorgen, sozusagen, haha! Aber wenn’s nur das wäre! Jetzt hat mir eine Freundin auch noch ihren Mann aufgehalst, der sich auf Kostümbällen angeblich in einen Erotomanen verwandelt.«
Buddy studiert mich einen Moment, greift dann in die Tasche und bietet mir eine Zigarette an: »Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, indem ich vielleicht ‘n bißchen auf die Mädchen achtgebe...«
»Nett gemeint, Buddy, aber — hm — na ja, wenn du wirklich ‘n bißchen auf die Mädchen aufpassen würdest? An sich kann ich das ja gar nicht von dir verlangen, du willst ja schließlich auch auf deine Kosten kommen!« Ich sehe ihn mir bei dieser Gelegenheit zum erstenmal bewußt an. Ein drahtiger Bursche, wenig über mittelgroß, mit dunklem gewelltem Haar, anständigem Profil, tiefblauen Augen und langen Wimpern, um die ihn jedes Mädchen beneiden konnte. Schon vorstellbar, daß er beim weiblichen Geschlecht eine erhebliche Durchschlagskraft beweist.
»Ich mach’s gern!« sagt er. »Auf welche soll ich denn besonders aufpassen?«
Ich lachte: »Als ob du das nicht wüßtest, du Stromer! Auf Susanne natürlich. Margot macht sich ja Gott sei Dank noch nichts aus euch. Wenn du dich nun vielleicht mit Margot an dem Abend zusammentätest, daß ihr gemeinsam auf Susanne aufpaßt? Ich meine — ich kann’s wirklich nicht verlangen, daß du...«
Er richtet sich mit dem Leder in der Hand auf und legt die Hand an die Schläfe: »Wird als Befehl entgegengenommen, Colonel! Ich tu mich mit Margot zusammen, und wir beide bringen Ihnen die Susanne pünktlich heim. Wann soll sie denn da sein?«
»Hm — na, an sich um zehn. Ich weiß, was du sagen willst, es fängt ja erst um neun richtig an. Also schön — sagen wir, halb zwölf. Abgemacht?«
»Okay, Colonel, abgemacht.«
Wir waschen schweigend den Wagen zu Ende. In mir beginnt es dabei zunehmend zu summen. Da gehe ich also auf einen Kostümball. Dumdideldei, dumdideldei!
»Sagten Sie was?« fragt Buddy.
»Ich — wie? Nein, das heißt, komm mal jetzt mit ‘rauf, damit ich dir den englischen Krimi gebe.«
Er bekommt seinen Kriminalroman und zieht damit ab. Scheint es ernst zu nehmen mit seinem Abitur.
Wieder klingelt das Telefon. Es ist Artur Brandt, Bildhauer aus dem Oberdorf. Er trägt eine Ponyfrisur ä la Bert Brecht, ist aber sonst ganz normal.
»Gehst du auch hin?« fragt er.
»Wohin denn?« reizt es mich zu antworten.
»Na, auf den Ball im >Königsbräu<, Idiot!«
»Ja, ich gehe auch hin.«
»Ich auch! Mit drei Schülern. Ein Amerikaner, ein Franzose und eine junge Schwedin. Es wird ganz groß, sage ich dir!«
»Nicht für mich.«
»Warum nicht?«
»Ich muß auf zwei junge Mädchen aufpassen und auf einen Don Juan, dessen Frau verreist ist.«
»Na, Mensch, ist doch großartig! Dein Freund kriegt die Schwedin, und die beiden Jungens kriegen die Mädchen!«
»Ich habe gesagt, daß ich auf die Mädchen aufpassen muß! Sie sind mir von ihren Eltern anvertraut, und ich bin für sie verantwortlich. Was willst du eigentlich von mir?«
»Na, ich wollte bloß sagen — deine Frau ist doch verreist.«
»Und deshalb rufst du mich an?«
»Nein, ich meine, es wird doch wahrscheinlich ziemlich kalt heute abend, und hinterher ist man erhitzt, und da dachte ich, wir könnten auf jeden Fall bei dir schlafen!«
»Aber ich muß doch den Theo...«
»Richte dich jedenfalls drauf ein, daß du auf der Couch schläfst. Wir Männer können bei deiner Frau schlafen, sozusagen, haha, und das Mädel werden wir auch noch irgendwie unterbringen. Also — bis abends!« Damit hängt er auf.
»Wer war denn das?« fragt die Mama von oben her über das Geländer.
»Ach, der Brandt, der Bildhauer.«
»Der Verrückte? Was will er denn?«
»Gar nichts. Du mußt nicht immer alles wissen.«
In diesem Augenblick hupt es draußen. Es ist Werner Müller, Großgaragenbesitzer aus der Kreisstadt Biederstein. Ich habe zwei gebrauchte Wagen bei ihm gekauft. Seit dem zweiten duzen wir uns.
Als ich die Haustür öffne, kommt er schon durch den Schnee den Gartenweg heraufgestampft, breitschultrig, untersetzt, blondhaarig und unruhig wie immer. Er hat eine kurze Pelzweste an, vorn aufgeknöpft.
»Tag!« sagt er. »Ich hab’ nicht viel Zeit!« Er sieht die Mama, grient mit unechter Freundlichkeit und stößt mich gleichzeitig mit der Stiefelspitze vors Schienbein: »Ich hab’ draußen ‘nen Wagen, der dich interessiert. Komm mal mit!«
»Es ist wegen heute abend!« sagt er, als wir am Wagen stehen.
»Du kommst doch nicht etwa auch?«
»Wie? Ja, natürlich komme ich auch! Warum sdmeidest du denn so’n Gesicht?«
»Also, das verstehe ich einfach nicht! Hier in unserem kleinen Kaff ist ‘n simpler Kostümball, und plötzlich interessiert sich Gott und die Welt dafür! Jetzt kommst du sogar aus Biederstein...«
»Und das erstaunt dich? Das erstaunt mich aber ganz gewaltig, daß dich das erstaunt! Wie stellst du dir eigentlich mein Liebesleben vor? Hm? In Biederstein ist es doch am nächsten Morgen in der ganzen Stadt ‘rum, wenn man da mal über die Stränge haut. Bei euch kräht kein Hahn danach. Womit wir übrigens beim Thema wären. Ich bringe nämlich zwei tolle Weiber mit! Bloß weiß ich noch nicht, welche ich mir heute abend nehme. Auf jeden Fall, die, die übrigbleibt, kannst du haben. Du bist doch Strohwitwer.«
»Vielen Dank. Ist das alles?«
»Natürlich nicht. Ich habe mir gedacht, wenn du wirklich mein Freund bist, schläfst du heute nacht auf der Couch.«
»Das tue ich sowieso.«
»Warum?«
»Erstens schlafe ich immer auf der Couch und zweitens, weil in den übrigen Betten der Artur Brandt mit Amerikanern, Franzosen und jungen Schwedinnen schläft.«
»Schmeiß ihn ‘raus!«
»Kann ich nicht, er hat sich zuerst gemeldet.«
Werner Müller kratzt sich das Kinn: »Hm — sag mal — da drüben, der dicke Bentler, der ist doch auch verreist mit seiner Frau. Dann könnte ich doch vielleicht da drüben — den Töchtern ist das doch bestimmt wurscht!«
»Da drüben kommt mir überhaupt keiner hin, außer den Mädchen, die da hingehören.«
»Nun sei doch nicht kindisch! Ich mach’ dir einen anderen Vorschlag. Wenn du auf die Mädels aufpassen mußt, dann schlaf doch du drüben! Da kannst du am besten achtgeben! Der Brandt könnte dann in euer Schlafzimmer mit seinem Verein, und ich könnte auf deine Couch.«
»Da schläft doch die Schwedin!«
»So, die Schwedin — kennst du die? Ist sie hübsch?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist sie flachsblond und ein Eiszapfen.«
»Du hast keine Ahnung, mein Junge! Schwedinnen im Urlaub sind wie wilde Tiere.« Er knabbert an seiner Unterlippe und sieht wieder sehr unruhig aus: »Vielleicht wäre die Schwedin was für mich? Müßte mal bei Brandt vorbeifahren —. Na, jedenfalls, bis heute abend!« Und damit klettert er in seinen Wagen und startet.
»Was wollte er denn?« fragt die Mama, als ich zurückkomme.
»Gar nichts. Alles wegen dem blödsinnigen Ball. Jetzt lege ich mich erst mal ‘n bißchen hin und schlafe Vorrat.«
»Du hast anscheinend ganz vergessen, daß wir noch nicht zu Mittag gegessen haben?«
»Wirklich nicht?«
»Ich habe alles warm stellen müssen, bis du dich mit deinem Busenfreund ausgetratscht hast.«
Es wird ein schnelles und einsilbiges Mahl. Dann stehe ich auf: »So, jetzt lege ich mich hin.«
In diesem Augenblick rasen Cocki und Weffi mit Gebrüll nach unten. Es sind die Mädels. Beide fallen mir um den Hals: »Ach, Colonel, wir sind ja so aufgeregt! Es wird toll! Gegessen haben wir in der Stadt, und gleich probieren wir die Kostüme! Ich sage dir — ganz toll!« Sie winken über mich hinweg gegen das Treppengeländer: »Huhu, Omi! Bitte, kommt doch gleich ‘rüber!«
»Aber Kinderchen — eigentlich wollte ich...«, beginne ich. Da sind sie schon wieder weg, um die Ecke. Die Hunde hinter ihnen her.
Die Mama bindet die Schürze ab: »Ich geh’ ‘rüber. Du kannst ruhig hierbleiben. Dazu bist du gar nicht nötig. Im Gegenteil — wenn sie sich umziehen, oder wenn noch was zu nähen ist...«
»Ich gehe trotzdem mit. Schließlich bin ich es ja, der sie ausführt. Ich will wissen, was sich da so tut.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Das kannst du dir gar nicht vorstellen! Also, komm.«
Als wir drüben auftauchen, haben sich die beiden in ihrem Zimmer eingeschlossen: »Einen Augenblick, bitte!« schreien sie hinter der Tür. »Setzt euch solange ins Wohnzimmer!«
Also gehen wir ins Wohnzimmer. Dort fährt die Mama mit dem Finger die Möbelkanten entlang und hebt den Teppich hoch.
»Sie sind sicher gestern und heute noch nicht zum Saubermachen gekommen«, meine ich vorbeugend.
»Es ist gar nicht so schlimm. Zwei sehr brave Kinder, gut erzogen. Hätte ich Addi gar nicht zugetraut.«
»Meinst du nicht, daß Teddy auch ‘n bißchen daran mitgewirkt hat?«
»Töchter werden nur von den Müttern erzogen!«
»Verzeihung.«
Da tut sich die Tür auf, und die beiden erscheinen. Es verschlägt einem ja immer ein bißchen den Atem, wenn man vertraute Menschen plötzlich ganz verändert und geschminkt im hellen Tageslicht sieht. Susanne hat sich aus etwas blau-weiß Gestreiftem eine Art Männer-Pyjama zurechtgemacht, zu dem sie einen blau-weißen Papierzylinder und einen Spazierstock trägt, an dem eine rote Papierrose angebunden ist. Margot hat sich einen Mop als Perücke über den Kopf gestülpt, die Augen mit Schminke langgezogen, das Gesicht ist gelb bemalt. Sonst ist sie etwas spärlich bekleidet: Büstenhalter, um den linken Oberarm ein paar Messingringe, blaues, kurzes Röckchen und um die Fußgelenke ein paar Bijouterie-Armbänder der Mutter.
Die Mama ist sichtlich beeindruckt, besonders von Susanne: »Sehr nett, Susannchen, sehr nett! Hast du denn unten ‘rum was an? Bißchen dick um die Hüften!«
»Ja, ich hab’ was drunter«, sie schießt einen keuschen Blick auf mich, »damit man in der Hose die Formen nicht so sieht.«
Margot bläst die Lippen auf und macht: »Pöh!«
»Du brauchst dich über deine Schwester gar nicht zu mokieren«, sagt die Mama. »Schließlich seid ihr schon erwachsene Mädchen, mit allerhand vorn und hinten. Könntest du nicht wenigstens den Nabel mit irgend was so ‘n bißchen zumachen, Margot? Was soll eigentlich dieses Kostüm vorstellen?«
Margot dreht sich einmal um ihre Achse, wobei das duftige blaue Röckchen hochfliegt und ein ganz abnorm kurzes Höschen enthüllt: »Ich bin Amen Heteb, die Ägypterkönigin. Vielleicht kann ich mir einen Rubin in den Nabel kleben — irgend so ‘n Stück rotes Glas natürlich nur. Ich glaube, so was trug man damals auch im alten Ägypten, stimmt das, Colonel?«
»Wie — ach so, ja, möglich. Ich muß mal drüben in meiner Steinsammlung nachsehen, vielleicht finde ich was Geeignetes.«
Die Mama sieht nun zunehmend bedenklich aus, aber bevor sie etwas sagen kann, ist draußen ein Hupen, und die Hunde, die derweilen mit ihren schneenassen Füßen auf der Couch in Teddys Arbeitszimmer gepennt haben, fahren mit Gebrüll ans Fenster.
»Ach, um Gottes willen, die Kohlen!« schreit die Mama. »Ich gehe schon ‘rüber«, sage ich.
»Nein, das mache ich! Das kannst du nicht. Ich muß die Säcke zählen und aufpassen, daß die Männer mir nicht alles volltrampeln.« Sie hastet in die Diele und kämpft mit ihrem Mantel. Susanne hilft ihr dabei.
»Lieb von dir, mein Kind«, sagt die Mama. »Sehr lieb von dir. Was soll eigentlich dein Kostüm vorstellen?«
»Kavalier aus Nymphenburger Porzellan.«
»Sehr schön — sehr schön. Margot, bei dir weiß ich allerdings nicht...«
»Paß auf«, unterbreche ich, »daß du draußen nicht ausrutschst. Und gib den Kohlenmännern nicht wieder soviel Vermouth zu trinken. Das letztemal haben sie den halben Zaun mitgenommen, als sie abfuhren.«
Sie hat die Tür aufgerissen und eilt den engen Schneepfad entlang. Cocki fährt so dicht an ihren Beinen vorbei, daß er sie um ein Haar umwirft. Weffi hoppelt mit gellendem Gebell hinterher, traut sich aber nicht an ihrem Mantel vorüber. »Und trink du selber auch nicht soviel!« rufe ich hinter ihr her.
Aber sie hört gar nicht mehr. Ich sehe, wie sie drüben von einem der Kohlenleute mit einer galanten Verbeugung begrüßt wird. Es ist der schöne Alfred, Mamas ebenso stiller wie später Schwarm. Sie findet, daß er ein >ausgesprochen schöner Kerl< sei, >besonders, wenn er gewaschen ist<. Sie hat ihn einmal in diesem Zustand auf der Straße getroffen und ist seitdem hingerissen von ihm. Ich drehe mich grinsend um und finde, daß auf der Diele eine heftige Diskussion zwischen den Mädchen im Gange ist.
Die Königin Amen Heteb erklärt: »Der Colonel wird schon was für meinen Nabel finden. Und wenn er nichts findet, gehe ich eben so.«
»Ich würd’ mir auf jeden Fall was ‘reinmachen«, meint der Nymphenburger Kavalier spitz, »so schön ist er nicht.«
Die verlängerten Augen flammen: »Du hast’s nötig, du Schraube, du saublöde! Du falscher Tugendpinsel! — Ich werde dir mal was zeigen, Colonel!« Und ehe es Susanne sich versieht, springt Amen Heteb wie eine Katze auf sie zu, packt einen kleinen Haken an Susannes Hals und reißt einen Reißverschluß auf. Der Nymphenburger Kavalier sinkt in zwei Hälften rechts und links an ihr herunter, und vor mir steht ein Hulamädchen im roten Büstenhalter und Schilfröckchen. Margot reißt ihr eine Handvoll Schilf aus und hält es mir entgegen: »Das war’s, was sie drunter hat! >Damit sich die Formen nicht so markieren!< Die Gans, die scheinheilige!«
Susannes langsameres Gehirn ist allmählich in Gang gekommen. Ein böses Glitzern ist in ihren blauen Augen: »So — scheinheilig! Ich! Na, dann will ich dir auch mal was erzählen, Colonel! Der Buddy...«
Sie verstummt. Aus den Augen Amen Hetebs ist etwas gefahren, wie ein dunkler Blitz, der selbst mich erschauern läßt. Ich schaue zwischen den beiden Gestalten hin und her, und es wird mir erschreckend klar, wie wenig sich die Gattung Mensch seit den Zeiten des seligen Neandertalers geändert hat, besonders die lieben Weibchen. Man braucht diesen beiden halben Nackedeis nur ein paar Feuersteinmesser in die Hand zu geben...
»Tja, ich muß schon sagen, Susanne«, beginne ich. Sie klappert mit den Augen und legt mir die Arme um den Hals: »Das ist ja nur für den Notfall, Colonel. Falls mir zu heiß wird! Ach, bitte, bitte, Colonel, sag nichts der Omi...«
Ich löse ihre Arme: »Mir ist jetzt schon zu heiß. Ich muß aber trotzdem sagen...«
Da habe ich plötzlich auch Amen Heteb am Hals: »Ach, Colonel, du wirst ihr doch den Spaß nicht verderben!«
»Nanu — jetzt seid ihr ja mit einemmal wieder einig?«
Zwischen den beiden fliegt ein merkwürdiger Blick hin und her, dann sagt die Ägypterin, immer noch an meinem Hals hängend: »Wir erzählen auch niemandem, was du heute abend treibst!«
Es gelingt mir endlich, auch sie loszubekommen: »Das ist Erpressung, ihr Schlingpflanzen. Was ich treiben werde! Ich muß auf meinen Freund Theo aufpassen und auf euch, und der verrückte Brandt kommt mit einem jungen Amerikaner und einem Franzosen und will bei mir schlafen, und eine Schwedin hat er auch...«
Das Hulamädchen, das gerade aus der weiß-blauen Hose gestiegen ist, die ihr um die Fußgelenke baumelte, hält inne, mit der Hose in der Hand: »Ein Ami und ein Franzose? Auch Bildhauer?«
»Ja. Und der Garagen-Müller...«
Sie schlägt die Hände zusammen: »Colonel — das ist ja toll! Der Ami besonders! Du mußt mich gleich mit ihm bekannt machen! Bitte, ja?«
»Und was machst du mit deinem Fredi?« fragt Margot trocken.
Das Hulamädchen wischt den Einwand mit einer großzügigen Handbewegung fort: »Ein Bildhauer — himmlisch!«
Mir wird schwach: »Ich geh’ mal ‘rüber zu den Kohlenmännern«, sage ich.
Draußen an der Hauswand lehnen vier Fahrräder. Die dazugehörigen Herren stehen im ernsten Gespräch und grüßen mich mit familiärer Vertrautheit, als ich an ihnen vorübergehe. Unter ihnen ist Fred, der eine der beiden Fremden, die wir neulich vom Fenster aus gesehen haben, als sie zu den Mädels kamen. Der andere war so eine Art Gorilla, den ich aber jetzt nicht sehe. Dafür sehe ich Fred jetzt zum erstenmal in der Nähe, ein käsiger, arroganter Brillenspargel. Gefällt mir gar nicht. Er zieht mit ironischem Lächeln sein Taschentuch heraus: »Sie haben da etwas Lippenstift im Gesicht. Wenn Sie mal ‘raufspucken wollen...« Er zaubert auch einen Taschenspiegel vor, und ich beseitige unter allseitigem Schmunzeln die Spuren der beiden Circen. »Danke sehr«, sage ich und gebe ihm seine Utensilien zurück. »Im übrigen — hm — was das Susannchen betrifft, es kommen da zwei junge Künstler mit dem Brandt mit, ein Amerikaner und ein Franzose. Susanne will sie natürlich unbedingt kennenlernen.«
»Natürlich«, sagt Fred. Seine Wangenmuskeln spielen, und er wechselt einen kurzen Blick mit den drei anderen. »Schönen Dank für den Tip, Colonel.«
Jetzt nennt der mich auch schon Colonel! Dabei hat er sich noch nicht mal vorgestellt. Immerhin wird er nun auch auf Susanne aufpassen. Sicher sogar mehr als Buddy.
Ich gehe zu den Kohlenmännern und stelle fest, daß meine mit so viel Mühe konstruierte Garageneinfahrt bis auf den Grund von dem Kohlentraktor aufgewühlt ist und daß außerdem der eine der Eckpfosten der Ausfahrt frische Splitternarben aufweist. In der Garage kehrt Frau Schleußner den Kohlenstaub zusammen, und oben aus der Küche höre ich ein schmetterndes >Glühwürrmchen, Glühwürrmchen, schimmrre, schimmrre<.
Ich gehe in den Kohlenkeller und weide mich an der Fülle der Preßkohlen und des Kokses. Als ich mich umwende, quietscht Weffi, dem ich auf die Pfote getreten bin.
»Ja, Kerl«, sage ich, »wenn du mir aber auch so dicht nachschleichst!« Ich knie mich nieder und untersuche die Pfote: »Na, ist ja nichts kaputt. Pfötchen ist noch dran.« Cocki drängt sich dazwischen und will auch die Pfote sehen. Weffi schiebt mir den Kopf zwischen die Knie. Ich kraule ihn: »Ja, ihr habt ganz recht, Jungs. Herrchen hat gar keine Zeit mehr für euch. Alles wegen der Weiber. Herrchen ist ein ganz schlechtes Herrchen.«
Cocki drängt mir die große Pappnase unter die Hand und wirft sie damit hoch. Ich kraule ihn mit der anderen Hand, und ein paar Minuten lang ist es so wie früher: schön und friedlich.
Schließlich tun mir die Knie weh, und meine Arbeit fällt mir ein. Ächzend richte ich mich auf, während vier braune Hundeaugen diesen jämmerlichen Vorgang aufmerksam beobachten. »Ja, schaut euch das nur an«, sage ich. »Faul, fett und steif — euer Herrchen! Keine Spaziergänge mehr, keine Arbeit mehr. Nur noch diese beiden Hühner und ihre Bürstenköpfe auf Fahrrädern. Aber damit ist morgen Schluß. Von da an rege ich mich nicht mehr so auf. Schlimm genug, daß ich mir die halbe Nacht um die Ohren schlagen muß wegen dieses Gehopses. — Kommt ‘rauf. Wollen mal sehen, was unser Glühwürmchen macht.«
Das Glühwürmchen hängt sich von oben über das Geländer, als wir zu ebener Erde auftauchen: »Bist du es?«
»Nein.«
Sie kichert: »Du, weißt du, was der Alfred gesagt hat?«
»Danke schön, vermute ich.«
»Er hat gesagt, ich sehe aus wie eine flotte Sechzigerin!«
»Na, so was. Ist noch was in der Vermouthflasche drin?«
»Was geht dich denn das an? Es war meine Flasche!«
»Ich meine ja nur. Weil sie wieder den Zaunpfosten angefahren haben.«
»Das kommt von deinem Weg, den du da gebaut hast!«
»Glühwürmchen, du wirst ausgesprochen impertinent. Ich gehe jetzt arbeiten.«
»Ja, tu auch mal was! Glühwürrmchen, Glühwürrmchen...«
Und damit verschwindet sie in der Küche.
Tu auch mal was! Ich setze mich grollend hinter den Schreibtisch. Als ob ich sonst nichts täte! Da springt die Tür auf, und es erscheint Cocki, der Weffi am Ohr führt. Weffi legt sich auf den Rücken, und sie fechten einen Scheinkampf aus, mit viel Fauchen und Zähnefletschen. Schließlich wird ihnen auch das zu langweilig, und sie beginnen sich gleichzeitig zu kratzen. Ich lese das zuletzt Geschriebene durch. Ganz ordentlich. Aber jetzt kommt der Schluß mit der Pointe. Diese jedoch fällt mir absolut nicht ein. Ich reiße den Mund auf und habe vom Gähnen so viel Wasser in den Augen, daß ich das Manuskript gar nicht mehr entziffern kann. Hat keinen Zweck. Hau dich lieber noch ‘n bißchen auf die Couch und schlaf Vorrat für heute nacht. Schließlich bin ich ja mein freier Herr, nicht wahr? Dafür kriege ich auch weder Gehalt noch Pension.
Ich stehe auf. Die Hunde verstehen das miß und drängen zur Terrassentür. Ich öffne sie: »‘raus mit euch!«
Sie sausen in den Schnee hinaus. Ich hole mir Kissen, werfe mich hin und ziehe mir die Decke über die Ohren.
Wie spät ist es denn eigentlich? Ich knipse das Licht an: halb sechs. Gerechter Strohsack, jetzt aber los! Ich gehe ans Fenster. Bei den Mädchen drüben ist in ihrem eigenen und im Eltern-Schlafzimmer Licht. Da hängt nämlich der große Spiegel —! Die Fahrräder sind verschwunden. Drüben im >Königsbräu< ist auch schon überall Licht.
Jetzt über mir ein Poltern: die Mama steht auf. Offenbar hat der Kohlenmänner-Vermouth ihren Mittagsschlaf gewaltig verlängert. Jetzt knipst sie nebenan Licht an, und gleich darauf steht sie in der Tür: »Ja, sage mal — es ist halb sechs, und du schläfst immer noch? Was willst du denn essen? Du mußt doch vorher was essen!«
»Ja, was möglichst Fettes, damit mir nachher das Trinken besser bekommt. Weißt du was — mach eine Büchse Ölsardinen auf. Die esse ich und trinke das öl hinterher. Was ist eigentlich mit dem Palastmantel?«
»Den mache ich dir nachher zurecht.«
»Das willst du schon den ganzen Tag. Hoffentlich ist er in Ordnung. Ich gehe jetzt mal ‘raus und schippe die Einfahrt frei. Mach du derweilen das Abendbrot.«
Um halb sieben habe ich die Einfahrt so weit freigeschaufelt, daß ich denke, ich könnte. Ich kann aber nicht, wie sich sehr schnell herausstellt. Der Wagen fährt ungefähr fünf Meter geradeaus, dann fällt es ihm ein, mit dem Po zu wackeln und mit den extra angeschafften Winterreifen (»...ziehen Sie garantiert auch aus dem tiefsten Schnee heraus!«) einen Schneehaufen umzupflügen. Ich steige aus und überdenke die Situation. Wie aus dem Nichts sind dann plötzlich wieder die vier Kavaliere um mich, diesmal aber ein Clown, ein Charlie Chaplin, etwas Undefinierbares mit schwarzem Papierzylinder und beschmiertem Gesicht — vielleicht ein verunglückter Kaminkehrer — und ein Matrose.
»Nanu«, sage ich, »schon in voller Kriegsbemalung?«
Man ist etwas verlegen, erklärt sich aber sofort bereit, mir zu helfen. Drei schieben, einer schaufelt, und ich gebe ab und zu Gas. Nach einer weiteren halben Stunde stehe ich endlich auf der Straße.
»Wollt ihr nicht ‘n bißchen ‘reinkommen, Jungs«, schlage ich vor, »ihr seid doch so heiß geworden!«
Aber man will offensichtlich nicht und erkundigt sich statt dessen, wann die Mädchen weggingen.
»Na, auf keinen Fall vor acht«, sage ich. »Aber geht mal schon ‘rüber und wartet, bis sie fertig sind.«
Sie machen auf der Hinterhand kehrt und stampfen zum anderen Haus. Das heißt, drei stampfen. Der vierte, Fred, geht langsam, damit man sieht, daß es nichts Besonderes für ihn ist.
»Essen fertig!« sagt die Mama über den Balkon. Es gibt außer den Sardinen drei Spiegeleier für mich. Dazu hole ich aus dem Keller eine Flasche Rotwein: »Dann brauche ich drüben nicht soviel zu trinken.«
Wir teilen sie uns, und als sie leer ist, herrscht eine ausgesprochen gemütliche Stimmung.
»Wie schön wäre es«, meine ich, »wenn ich jetzt zu Bett gehen und mir die Decke über die Ohren ziehen könnte.«
Die Mama hat rote Bäckchen und glitzernde Augen: »Sei nicht so ein Mummelgreis!«
In diesem Augenblick hupt es draußen. Das ist Brandt mit seiner Fuhre. Diese Fuhre — die gleich darauf, Schneeklumpen und Pfützen verbreitend, in das Haus bricht — besteht aus Brandt selbst (als Küfer mit Lederschürze), dem französischen Schüler, der als Jérôme vorgestellt wird (Existentialisten-Sauerkohl ums Kinn, schwarze Russenbluse), dem amerikanischen Schüler (Vorname Jimmy, knallroter Bürstenkopf, Cowboy-Kostüm mit zwei echten Colts) und der Schwedin Svea (etwas Semmelblondes, ziemlich flachbrüstig, mit breiten Backenknochen und Ponyschnitt). Sie hat die Wahnsinnsidee gehabt, sich als bayerisches Dirndl anzuziehen.
Das Telefon klingelt, es ist Theo: »Ja, wo bleibst du denn?«
»Wieso bleiben? Es ist doch gerade erst Viertel nach acht.«
»Ich friere aber!«
»Was machst du?«
»Ich friere! Ich hab’ die Heizung schon um sieben ausgehen lassen, und ich habe doch unten ‘rum nur Trikot!«
»Und ich habe deinetwegen eine Stunde Schnee geschaufelt, dämlicher Hund. Zieh zwei Paar Unterhosen drüber, bis ich komme. Warum hast du denn überhaupt die Heizung ausgehen lassen?«
»Sie ist von allein ausgegangen«, erklärt Theo kläglich. »Luise besorgt sie nämlich immer. Und jetzt ist sie weggefahren! Ich werde überhaupt bei dir übernachten müssen, ich kann doch morgen früh nicht in das kalte Haus kommen!«
»Ja, komm ruhig her«, sage ich. »Unser Haus ist ganz leer. Kein Mensch außer dir übernachtet hier. Nur Brandt, ein Franzose, ein Amerikaner, eine Schwedin und der Garagen-Müller mit zwei Geliebten. Du siehst, es geht tadellos. Ich lege euch schichtweise in die Garage, einmal längs, einmal quer. Und jetzt komm’ ich ‘rauf und hole dich. Kannst ja Kniebeugen machen, bis ich bei dir bin.«
»Ja — Moment mal, du glaubst wirklich nicht, daß ich bei dir schlafen kann?«
»Ich weiß sogar, daß du nicht kannst. Such dir gefälligst ein warmes Gretchen, Mephisto. Also, zieh dir Unterhosen an — und mach Kniebeugen!«
Als ich bei Theo Vorfahre, steht er schon in der erleuchteten Haustür: Mephisto mit dem Mäntelchen aus starrer Seide, den Degen um die Hüfte gegürtet, Kragen hochgeschlagen, schwarze Kappe mit Pfauenfeder — und die Beine im Trikot! Mir bleibt die Spucke weg. Ich selbst habe gewiß keine dicken Beine, aber diese beiden Spinnen-Aggregate — du großer Gott! Ich kenne ihn doch nun schon so lange, aber ich bin noch nie mit ihm baden gegangen. Dieses Kostüm ist sicher Luises Geschoß!
Er kommt auf den Wagen zugerannt: »Schnell, schnell, ich bibbere!«
Er hat eine gewaltige Cognacfahne, ich merke es, als er sich hineinzwängt. Aber mit dem Zwängen klappt es nicht, wegen des Degens. Es ist ein ungeheurer Degen, mit großem Korb und Lederscheide. Einmal steht er quer, einmal steht er längs, und immer ist er im Wege.
»Was machen wir mit dem verdammten Ding?« fragt Theo klappernden Gebisses. »Im übrigen könntest du dir deine Türen ruhig ‘n bißchen breiter machen lassen!«
»Breiter machen lassen! Paß auf, du zerkratzt mir den ganzen Lack mit dem dämlichen Ding, du alberne Spinne. Hak es ab und schmeiß es in den Vorgarten.«
»Da verschwindet’s im Schnee und verrostet!«
»Hoffentlich.«
»Es ist ein friderizianischer Degen!« erklärt er. »Von meinem Ur-Urgroßvater, der war General!«
»Du bist schon so besoffen, daß du nicht mehr weißt, was du mir erzählt hast. Daß du ihn nämlich für elf Mark fünfzig beim Antiquar gekauft hast, voriges Jahr, als Wanddekoration. Und jetzt hak diesen Bratspieß los und wirf ihn in den Garten.«
Er hakt den Degen ab, feuert ihn in den Vorgarten und steigt ein. Drinnen klappt er die Sonnenblende herunter, frisiert sich im Make-up-Spiegel und ist gleich wieder auf der Höhe: »Deine Couch brauche ich auch nicht! Gedenke diese Nacht im Hotel zu verbringen, falls sich irgendwo ein einigermaßen erträgliches Schmaltier auf dieses Dorfgehopse verirren sollte.«
»Das natürlich sofort meinem Charme erliegt!«
Ich biege um einen riesigen Schneehaufen herumschlitternd, in den Hof des >Königsbräus< ein. Der Parkplatz ist schon jetzt mit eingezuckerten Wagen halb gefüllt.
Theo mustert die Autos mit einem kühlen Blick: »Ich überlege mir natürlich, ob es nicht praktischer wäre, wenn ich mir irgendeine motorisierte Strohwitwe nähme, die mich zu sich nach Hause fährt. Dann würde ich mir das Taxi und das Hotel sparen.« Er klettert aus dem Wagen: »Sollte ich irgend so was Kleines, Bescheidenes, Anschmiegsames für dich finden, stelle ich es kalt.«
»Ich bin gerührt.«
Ich fahre Boxi wieder zurück in die Garage, wische ihm den Schnee ab und gehe nach oben. Dort finde ich die Mädchen, denen Jimmy und Jerome Vorträge über die Wiedergabe des weiblichen Körpers in der modernen Bildhauerei halten. Susanne sitzt zwischen ihnen und mehreren meiner Schnapsflaschen auf der Couch und hat den Reißverschluß schon halb offen. Margot lehnt an der Wand, hat eine Zigarette im Mundwinkel hängen und bemüht sich, blasiert zu lächeln. Susanne sieht — finde ich — geradezu gefährlich dämlich aus. Und obendrein leider auch bildhübsch. Dann fällt mir auf, daß Margot etwas Rotes im Nabel hat. Ich gehe hin und sehe es mir an: »Was ist denn das?«
Die braunen Augen werden ganz sanft aufgeschlagen: »Das hat Jimmy gemacht. Kaugummi, in rote Tinte getaucht. Ist das nicht genial?«
»Hm. Und was, zum Teufel, habt ihr beiden überhaupt hier zu suchen?«
Erstaunter und leicht gekränkter doppelter Augenaufschlag; in Braun und Blau: »Aber Colonel, wir haben doch auf dich gewartet!«
Brandt hält meine kostbare und nunmehr leere Whiskyflasche gegen das Licht: »Du hast anscheinend schlechte Laune. Wir gehen ‘rüber und nehmen die jungen Damen mit.«
»Ihr werdet ‘rübergehen, aber die Gören bleiben hier, bis ich mich umgezogen habe.«
Brandt steht auf: »Na gut.« Er mustert mich milde: »Im übrigen kann ich deine Nervosität verstehen. Nicht jeder kommt gleich mit zwei erwachsenen Töchtern nieder. Wo hast du euren Tisch bestellt?«
»Unseren...?«
Die beiden Mädchen starren mich erschrocken an und sagen dann zweistimmig: »Ach, Colonel, haben wir — hast du denn überhaupt einen bestellt?«
»Ich — äh — wie? Nein, ich dachte... Na, es wird ja wohl jetzt noch einen freien Tisch geben!«
»Es wird keinen freien Tisch mehr geben«, sagt Brandt sanft, »nicht mal einen freien Stuhl, und du könntest mit deinen Küchlein ein Standesamt gründen, wenn wir nicht einen Tisch reserviert hätten, du Hanswurst.«
»Dann muß ich euch wohl noch dankbar sein?«
»Selbstverständlich!« Er macht eine imperiale Handbewegung. »Macht, daß ihr ‘rüberkommt. Alle!«
Ich vergesse nur zu gern mein eben ausgesprochenes Verbot, atme auf, als sich die Tür hinter dem Schwarm geschlossen hat, und steige die Treppe hinauf. Oben sitzt die Mama in ihrem Zimmer und näht an etwas, das weiß und golden über ihren Schoß fließt. Ihre alten, von der Gicht verkrümmten Hände mit den dicken Adern bewegen sich mit der Präzision eines Uhrwerkes. Ich bleibe im Türrahmen stehen und sehe ihr zu. Dieses Gesicht — es ist wie eine vertraute Landschaft, in die man nach vielen Jahren heimkehrt. Die Bäume haben Moosbärte bekommen, einige von ihnen sind im Sturm zersplittert, die Scheune, in der man spielte, ist eingefallen... Und trotzdem: Es ist die Heimat, doppelt liebenswert, da sie nun bedeckt ist mit den Narben der Zeit und vieler Stürme. Und diese Hände — sie haben meine Windeln gewaschen, meine Hemden gebügelt, meine Knöpfe angenäht. Wie viele tausend Male? Sie haben mir die ersten Buchstaben vorgemalt, Umschläge auf die fieberheiße Stirn gelegt...
Sie schneidet einen Faden ab, blickt auf und nimmt die Brille herunter: »Na, zieh ihn mal an.«
Ich tue es, sie zupft an den Schultern, tritt zurück, mustert mich von oben bis unten: »Bißchen muddelig. Ich hab’s gar nicht gemerkt, als ich ihn aus der Rumpelkammer holte. Sonst hätte ich ihn gestern noch gewaschen. Sieht aber keiner an so ‘nem Abend.«
Ich schaue in den Spiegel: »Laß man, Mulleken, er ist wunderschön. Ist er nicht ‘n bißchen zu warm?«
»Du brauchst ja nicht so ‘rumzutoben. Hier habe ich auch eine Maske. Daran hast du sicher nicht gedacht.«
»Nein.«
»Verlier sie nicht. Die hab’ ich getragen, auf meinem letzten Maskenball. Und nun mach, daß du zu deinen Mädchen kommst!«
Ich gebe ihr den Gutenachtkuß und steige die Treppe hinunter. »Mach, daß du zu deinen Mädchen kommst!« Wie lange ist es her, seit sie das zum letztenmal zu mir gesagt hat? Vierzig Jahre — mindestens. Damals war sie eine Frau auf der Höhe des Lebens, ich Primaner, der seine ersten Novellen schrieb und sich vor dem Spiegel im blasierten Herabziehen der Mundwinkel übte. War es nicht wie gestern, daß sie mich mit ihrer Jugend beglückten, die Blonden, die Dunklen, mit denen ich tanzte und die ich küßte, mit denen ich Tolstoj diskutierte und vom Portier auf der Kellertreppe erwischt wurde?
Ich stehe auf der hell erleuchteten Treppe in meinem Palastmantel und starre zum erstenmal meinem Alter ins Antlitz. Verdammt kalt, dieses Treppenhaus. Man friert direkt. Draußen höre ich einen Wagen. Jemand reißt fast die Klingel ab. Der Werner Müller wahrscheinlich. Er kommt mir plötzlich sehr gelegen. Ich öffne, und er bricht herein: »Gut, daß du schon angezogen bist! Du mußt mir gleich helfen, das Ding aus dem Wagen zu holen!«
»Was für ‘n Ding?«
»Na, das Kostüm.«
»Warum muß ich dir denn dabei helfen? Und wo sind die tollen
Frauen?«
»Nicht mitgekommen — wegen der Schwedin.«
»Verstehe ich alles nicht!«
»Brauchst du auch nicht, komm mit.«
Am Wagen stellt sich heraus, daß er tatsächlich Hilfe braucht. Eine höchst geheimnisvolle Sache jedenfalls, dieses Kostüm. Zwei runde, steife Schalen, ungefähr einen Meter lang und sorgfältig verpackt. Dazu noch ein kleineres Paket, etwas Rundes, Flaches, ziemlich schwer.
»Was ist denn das für ein fabelhaftes Kostüm?«
»Ich gehe als Ofen.«
»Als...?«
»Als Ofen! Und nun schramm bloß ab. Die Montage mache ich allein. Große Sensation. Davon werdet ihr in eurem Kuhdorf noch nach hundert Jahren reden.«