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Wie — was — was ist denn?

Ach so, Morgen. Im Halbdunkel meines Zimmers bewegt sich eine schattenhafte Gestalt. Sie ist von etwas Dunklem umwallt und sagt »Au!«, als sie sich am Ablagetisch stößt, der vor meiner Couch steht. Jetzt reißt sie das Fenster auf, schlägt die Läden zurück und ist die Mama. Die Mama in ihrem ältesten Wintermantel, der in der Familie >Sack und Asche< genannt wird und ihr zu tragen von Frauchen streng verboten ist, weil sie die Familie damit blamiert.

Sie hat bereits zwei neue Wintermäntel als Ersatz bekommen, versteht es aber immer wieder, den alten Mantel vor unseren Verfolgungen zu retten, um heimlich damit ihre Lieblingsrolle zu spielen: arme Frau muß arbeiten und leichtsinnige Kinder vor dem Verkommen retten, verkommt aber dabei selbst.

Ich gähne laut, dito Weffi, der neben mir liegt und dabei die vier Beine in die Luft reckt. Von nebenan kommt Cocki — ebenfalls noch total verpennt — und macht hinter dem Rücken der Mama Kniebeugen. Die rafft ächzend ein Paar Strümpfe vom Teppich auf.

»Laß doch«, sage ich, »das mache ich nachher.«

»Ja — du! Das kenne ich. Die liegen übermorgen noch da.«

Ich gähne nochmals: »Sehr unwahrscheinlich. Da ich ja schließlich nicht ohne Strümpfe ‘rumlaufen kann und sie nachher anziehen muß. Was ist denn für Wetter?«

»Es hat wieder geschneit. Ich habe schon Schnee geschippt. Frau Seldes (Inhaberin des Lebensmittelladens am Ortseingang) kam vorbei und sagte: >Mein Gott, Mami Bentz, daß Sie das mit Ihren zweiundachtzig Jahren noch machen müssen! Und elend ausschauen tun’s, zum Umblasen!<«

Ich schwenke die Beine aus dem Bett und kratze mir den Kopf: »Erstens hätte ich jetzt gleich den Eingang freigeschippt...«

»Hätte — wenn ich das höre!«

»... und zweitens ist das kein Wunder, wenn du wieder in Sack und Asche läufst! Zieh das sofort aus, oder ich zerschneide es zu Polierlappen!«

Ich wanke ins Bad und höre noch hinter mir, wie sie die Tür zur Veranda aufreißt. »Raus mit euch beiden!« Kurz darauf Wef-fis gellendes Morgengebell.

Als ich zum Frühstück nach oben komme, stelle ich fest, daß der Frühstückstisch auf irgendeine mysteriöse Weise trostlos aussieht. Butter im Papier, Marmelade in einem angeklopften Finkennäpfchen, der Kaffee selbst: Original Bliemchen. Die Mama davor in der feuchten Schürze, seufzend und tragischen Blicks in das schneeleuchtende Alpenrund starrend, das man vor dem Fenster sieht. Nur Weffi und Cocki, die mit erwartungsvoll angelegten Ohren zu ihren beiden Seiten sitzen, sehen optimistisch aus und haben Bäuche wie Trommeln.

Ich hole die Butterdose und haue die Butter aus dem Papier ‘rein, organisiere aus der Speisekammer noch ein Glas Gelee und feuere einen Löffel pulverisierten Kaffee ins Bliemchen. Dann stelle ich eine Blumenvase auf den Tisch, binde der Mami die Schürze ab und gebe ihr einen Kuß: »Grüß Gott, geliebte Trauerweide!«

Sie muß grinsen, verbirgt es aber schleunigst: »Was soll denn all dieser Pflanz? Kommt etwa Besuch?«

»Ist schon da!«

Ihre Augen werden ganz rund vor Entsetzen. Eine ihrer schlimmsten Angstvorstellungen ist es, daß uns jemand unangemeldet in irgendeine Mahlzeit fällt: »Wer denn?«

»Der sympathischste Mensch, den ich kenne.«

»Ja, wer denn?«

»Ich.«

»Hanswurst. Und dafür der Aufwand!«

»Für uns ist mir nichts zu schade. Apropos Hanswurst — ist da nicht noch Wurst und Schinken?«

»Ah — englisches Frühstück für den Herrn? Bitte sehr, wir haben’s ja — bis wir pleite sind.«

Sie steht auf, rumort in der Küche und erscheint mit Wurst und Schinken auf einer Silberplatte mit Petersilie garniert: »Bitte sehr, Mylord.«

Ich lasse mich nicht lumpen, springe auf und schiebe ihr den Stuhl unter. Dann gehe ich ans Radio: »Was wünschen Mylady, Volkslieder, Tänze, Haydn?« Setze mich hin, nehme ihr die Semmel vom Teller, auf die sie einen dünnen Butterfilm gekratzt hat, schmiere nach und lege ihr eine Schinkenscheibe drauf: »So!«

Sie schaut erschüttert auf die Semmel: »Eine Sünde, morgens schon Schinken. Und am Ersten fehlt’s dann!«

Ich sehe von der Zeitung auf: »Ha? — Ich will dir mal was sagen: Es gab da gegen Ende des letzten Krieges einen Tag, an dem du weintest, weil du noch eine Scheibe Brot haben wolltest und keine mehr da war. Wir haben’s überlebt, aber ich hab’s mir gemerkt, und damals habe ich mir geschworen, das Gute zu genießen und dafür zu sorgen, daß du es genießt, solange wir’s haben! Willst du die Unterhaltungsbeilage?«

Wir frühstücken in ungestörter Harmonie zu Ende. Die Mama stopft die Hunde, bis es ihnen hochkommt, und ißt, tief in Gedanken, zwei Schinkensemmeln und einen Toast mit Gelee. Dann stehe ich auf und gehe nach unten.

»Was machst du denn?« ruft sie hinter mir her.

»Ich schippe dir erst mal ‘n richtigen Weg bis zur Straße.«

»Zieh dir die warmen Schuhe an!«

»Mach’ ich.«

Ich schaufele den Weg und die Garageneinfahrt frei. Die beiden Kavaliere immer um mich herum. Sie sind offenbar heute morgen ausgesprochen häuslich eingestellt. Weffi hat am Zaun eine Riechstelle gefunden, über die er völlig tiefsinnig wird, und Cocki hat die tote Krähe aus dem Schnee gegraben und trägt sie wichtig in die andere Gartenecke, wo er sie eingräbt und mit der großen Pappnase sehr umständlich frischen Schnee darüber schiebt.

Dann stütze ich mich auf den Schneeschieber und sehe auf die Berge. Sie sind silbern und nah, ein fast giftiges Blau darüber. Wird wohl Föhn geben. Der See ist erneut gefroren, und der Wind hat den frisch gefallenen Schnee auf ihm zu seltsamen Zeichen geformt. So, als habe eine Riesenhand eine gewaltige Schiefertafel vollgeschrieben.

»Hallo!« ruft es von drüben. Teddy hat seinen Wagen, der auf den Namen Poldi hört, herausgefahren und steht, nur mit einem dünnen Pullover über dem Hemd, daneben. Zu seinen Füßen ein Eimer, aus dem es dampft. Es gehört zu unseren Gepflogenheiten, unsere Wagen drüben bei ihm zu waschen, weil er nämlich einen Schlauch mit Gummibürste besitzt und ich nicht. Wagenpflege ist für uns beide eine rituelle Handlung.

Ich drehe denn auch sofort um, ziehe meinen Overall an und fahre meinen Wagen, der Boxi heißt, nach drüben.

Nun stehen sie beide nebeneinander, genau wie wir. Wir heben die Nasen in den Wind und kontemplieren das Wetter.

»Gibt bald Sonne!« erklärt Teddy. »Also erst mal schnell oben ‘rum und gleich hinterher ledern, damit’s keine Flecken gibt. Hast du warmes Wasser?«

»Nein. Ich muß schnell ‘rüber und Mami...«

Über uns ertönt Addis Stimme: »Ach, laß man! Ich habe für dich auch warmes Wasser. Hol deine Eimer.«

Ich sause ‘rüber und hole die Eimer. Dann fangen wir an. Ich wasche die Räder, er die Karosserie; dann, bis sie trocken ist, macht er die Gepäckklappe auf. »Die beiden großen Koffer kriege ich bestimmt hinten ‘rein«, sagt er. »Alles, was wir für die Nacht brauchen, kommt nach vorn.«

»Sicher — wieso? Willste verreisen?«

Er zündet sich eine Zigarette an: »Ich nicht — wir. Vielleicht.« Ich bin erst verblüfft, dann haue ich ihm auf die Schulter: »Na, Junge, das ist aber gescheit! Das hast du dir schon lange verdient! Wo wollt ihr denn hin?«

Er pafft heftig und wirft mir einen schrägen Blick zu: »Na — so’n bißchen nach Süditalien vielleicht. Da soll man ja Anfang März schon baden können.«

»Sicher kann man da schon baden.« Dann fällt mir etwas ein: »Ja — aber die Mädels haben doch gar keine Ferien?«

Teddy schnauft schwer: »Die bleiben hier. Addi und ich wollen uns mal wirklich erholen.«

»Na sieh mal! Das finde ich noch viel vernünftiger!«

Teddy reicht mir den Schlauch: »So, jetzt kannst du oben ‘rum waschen, ich ledere, und nachher poliere ich.«

Wir machen uns wieder ans Werk. Die Welt ist voller Harmonie. Oben am Fenster erscheint wieder Addis Kopf. Ich rufe hinauf: »Du! Addi! Teddy hat mir eben erzählt, ihr haut ab, ohne die Mädels!«

Sie zwinkert nervös: »Ja — wie findest du das?«

»Na prima! Sehr vernünftig!«

Teddy ledert mit verbissenem Gesicht vor sich hin: »Sage mal — dir macht’s doch nichts aus, so’n bißchen auf die Mädels aufzupassen?« Und als ich verblüfft innehalte: »Weißt du, Addi und ich haben gestern abend noch miteinander gesprochen. Du verstehst sie doch so großartig. Und sie haben dich doch so gern und hören auf dich.«

»Ja — ja, natürlich. Macht euch keine Sorgen.« Mir wird plötzlich flau, aber ich habe das Gefühl, daß ich nicht mehr zurück kann: »Wann fahrt ihr denn?«

»Na, morgen.«

»Was sagen denn die Mädels?«

»Die sind natürlich glücklich.«

Im gleichen Augenblick erscheinen sie wie auf ein Stichwort, Susanne und Margot. Sie fliegen mir um den Hals: »Ach, Colonel, das wird schick!« Und dann erbieten sie sich, meinen Wagen innen zu säubern, mit Staubsauger und allen Schikanen. Mir wird zunehmend schwächer, und ich lasse alles wie im Traum geschehen.

»Die Mama«, sagt Addi, besorgt mein Gesicht beobachtend, »wird auch froh sein! Endlich hat sie mal wieder Kinder zu betreuen! Wie in der Jugend...«

»Na, Kinderchen«, sage ich zu Susanne und Margot, »dann nehmt ihn euch mal vor, auch die Gummimatten. Ich komme gleich wieder.«

»Wo gehste denn hin?« fragt Teddy.

»Nur mal ‘rüber.«

Stimme Addis aus dem Fenster: »Sage der Mami, daß wir mal nachmittags ‘rüberkommen, um alles zu bereden!«

»Ja — bitte schön.«

Drüben flüchte ich mich in die Bibliothek. Auf dem Teppich liegt Weffi und kaut im Zeitlupentempo an einem Knochen. Als ich eintrete, wedelt er und sieht mich aus seinen braunen Nußaugen freundlich an. Er ist ganz glücklich, daß er auch mal was gefunden hat und noch dazu so was Großes. Unmittelbar vor ihm liegt Cocki mit gerunzelter Stirn. Er wirft mir einen kurzen, sachlichen Blick zu: Entschuldige, daß ich nicht auf stehe, aber ich muß aufpassen, bis dieser Idiot den Knochen fallen läßt. Viel zu schade für ihn!<

Ich gehe an den Schrank und hole meine Cognacflasche, die Schale gleich dazu. Dann setze ich mich in den Ohrensessel und nehme zunächst mal zwei Schalen voll, um das innere Gleichgewicht wiederherzustellen. Weffi steht auf, läßt den Knochen fallen, kommt zu mir und steckt mir den Kopf zwischen die Knie. Cocki kassiert sofort den Knochen, schiebt mit der Tatze die Terrassentür auf und verschwindet im Garten. Er wirft mir nur noch einen Blick über die Achsel zu: >Na siehste — was habe ich gesagt?<

Ich kraule Weffchen hinter den Ohren: »Ach, mein kleines Pappferd! Ich glaube, ich bin dabei, eine Riesendummheit zu machen. Mit euch beiden allein war alles so einfach.«

Schritte die Treppe herunter, Tür auf, die Mama: »Was ist denn das für ‘n Stilleben? Ist dir nicht gut?«

»Wie kommst du denn darauf? Einfach kleine Feierstunde.«

»Da stimmt doch was nicht! Hast du dich mit Bentlers gezankt?«

»Gezankt?« sage ich mit Emphase. »Wenn es zwei Menschen gibt, mit denen ich mich bestimmt nie im Leben zanke, sind es die beiden.«

Sie scheint zufriedengestellt und beginnt auf den Bücherregalen Staub zu wischen. Ich beobachte sie eine Weile, dann sage ich möglichst unbefangen: »Es ist doch eigentlich ein Segen, daß wir die Bentlers zu Nachbarn haben. Ebensogut könnten wir ja auch eine ganz ekelhafte Bande da neben uns haben.«

Die Mama bleibt mit dem Staubtuch in der Hand an der Terrassentür stehen und blickt nachdenklich hinüber: »Ja, nette Leute, sie und er. Er besonders. So was Bescheidenes von Mann! Jetzt putzt er schon wieder den Wagen! Ein rührender Mann — und so ordentlich!«

Das geht auf mich, aber ich schlucke es ohne jede Anstrengung: »Ja —und so fleißig! Was der Mann arbeitet!«

»Viel zuviel! Er sollte wirklich auch mal ausspannen.«

Das ist das Stichwort! Ich stehe auf, stelle mich neben sie und lege ihr den Arm um die Schulter: »Da hast du vollkommen recht! Aber leider war ja mit ihm nicht zu reden, bisher.«

»Bisher?«

»Na ja — er hört jetzt endlich auf mich und fährt mal ‘n bißchen weg.«

»Wohin denn?«

»Nach Italien. Addi fährt mit.«

»Ja, und was wird aus den beiden Hühnern? Die lassen sie allein?«

»Warum nicht? Die sind doch groß genug, für sich selbst zu sorgen.«

Sie kneift die Augen zusammen: »Für sich — na, das wird ‘ne nette Sache geben.«

»Wir werden eben ‘n bißchen aufpassen.«

»Ein bißchen... Wann fahren denn die beiden?«

Ich gähne ostentativ: »Morgen. Sie kommen natürlich noch ‘rüber, um sich zu verabschieden. Heute nachmittag. Ich werde Kuchen holen, für dich die Cremetorte, die du so gern ißt.«

Sie setzt sich in den Schreibtischsessel und hat ganz rote Bäckchen vor Aufregung: »Also wir haben die Bälger auf dem Hals! Ja, bist du denn ganz von Gott verlassen?«

Ich beschließe, zum Angriff überzugehen: »Nun will ich dir mal was sagen, ganz im Ernst: Die da drüben sind unsere Freunde. Deine auch! Die ganzen Jahre sind sie nur hilfsbereit gewesen und nett. Jetzt kommt mal so eine kleine Bewährungsprobe — und da wollen wir uns in die Büsche schlagen? Im übrigen reg dich nicht auf, ich übernehme das Aufpassen selbst.«

»Haha! Willst du dich etwa drüben vors Fenster setzen oder jeden Abend unter die Mädelbetten kriechen, um zu sehen, wie viele Bürstenköpfe da versteckt sind? Oder das Wirtschaftsgeld nachzählen? Das ist doch nach der ersten Woche alle! Und was machst du, wenn’s alle ist? Du pumpst. Und wer hat dann kein Geld mehr? Wir!«

Ich verzichte darauf, dieser sehr bedrohlichen Argumentation zu folgen, und sage obenhin und väterlich: »Außerdem mußt du dir eins überlegen, mein Kind: Den Stoff für meine Bücher bekomme ich nicht daher, daß ich hier herumsitze und am Federhalter kaue. Ich brauche Erlebnisse, verstehst du?«

»Na, erleben wirst du was! Da bin ich ganz sicher.«

»Also, wie gesagt, reg dich nicht auf. Ich muß jetzt ‘rüber, den Wagen weiter waschen.«

Während ich hinausgehe, höre ich sie sagen: »Da hast du ja mehr Verstand, Weffi!«

Am Nachmittag kommen Addi und Teddy. Ich habe aufgepaßt, daß die Mama einen richtigen Kaffee macht. Aber sie hat es doch fertiggebracht, unten in der Diele den Teppich aufzurollen und oben einen Besen an die Wand zu lehnen. Addi sieht es natürlich sofort: »Nanu, Mamichen, beim Aufräumen? Heute am Sonntag?«

Die Mama ist ganz Königin-Mutter: »Es sind Vorbereitungen für morgen, mein Kind, da kommt Frau Schleußner zum Saubermachen.«

Addi spürt gleich, was los ist: »Wir bleiben ja auch nicht lange, Mamichen, nur einen Augenblick, um auf Wiedersehen zu sagen.«

»Jetzt redet keinen Quatsch«, schalte ich mich ein, »kommt ‘rauf, und wir trinken alle zusammen gemütlich Kaffee.«

Oben, als sich alle gesetzt haben, enthülle ich das Kuchenpaket. Ich habe zwei große Stücke Cremetorte für die Mama mitgebracht. Sie zwinkert mit den Augen: »Ich habe gar keinen Hunger.« Dabei zieht sie den Mund herunter, läßt die Wangen einfallen und bekommt eine ganz spitze Nase. Es ist eins ihrer Talente, daß sie mit einem Ruck so aussehen kann, als habe sie die letzten vierzehn Tage nichts gegessen. Teddy und ich wechseln einen kurzen Blick, er nimmt ihren Teller und legt ihr beide Tortenstücke darauf: »Los, Mami, du siehst ja ganz verhungert aus!«

Sie wirft einen tragischen Blick in die Runde: »Das ist nicht der Hunger. Das ist die viele Arbeit. Jetzt, wo unser Frauchen weg ist, besonders. Mein Herr Sohn schwebt ja meist in höheren Regionen.«

Addi macht ein ganz verzweifeltes Gesicht, geht aber tapfer zur Attacke über: »Die Mädels werden dir bestimmt helfen können, Mama! Sie haben ja nicht viel zu tun, wenn sie aus der Schule kommen. Das bißchen Essen machen sie sich schnell, und sie werden froh sein, wenn sie dann noch irgend etwas anderes machen können außer Schularbeiten.« Die Mama stößt einen krähenden Laut aus und verschluckt sich.

»Was hat sie denn?« fragt Teddy. »Ist sie erkältet?«

»Nein«, sage ich boshaft. »Mit diesem Kräher meinte sie die Verehrer-AG und vergißt ganz, was sie selber für ‘ne dolle Motte war.«

Die Mama würgt so heftig ein Viertel Cremetorte hinunter, daß man es wie bei der Schwanenfütterung in ihrem Hals hinunterrutschen sieht: »In dem Alter noch nicht!«

»Na«, sage ich, »du hast es später aber sehr nachgeholt.«

Addi nimmt sie um die Schulter: »Ach, Mami, sei doch nicht so! Wie freuen uns doch so sehr auf die Reise, Teddy und ich!«

Die Mama sieht sich in der Runde um: »Wie lange bleibt ihr denn weg?«

»Drei bis vier Wochen.«

»Hrn.. Und was habt ihr den Mädels als Wirtschaftsgeld dagelassen?«

Addi sieht, daß sie freie Fahrt bekommt, und schaltet sofort um: »Ja, das wollte ich dich eigentlich fragen, Mami. Du wirtschaftest doch so großartig. Meinst du, daß zweihundert Mark genug sind?«

Das Gesicht der Mama rötet sich. Sie ist glücklich, um Rat gefragt zu werden, und versucht vergeblich, es zu verbergen: »Tja — zweihundert Mark — ach, das müßte eigentlich reichen. Allerdings...«

»Ich gebe dir noch hundert Mark«, sagt Addi, »als Reserve, für alle Fälle. Außerdem müssen die Mädels dir jeden Tag vorrechnen, was sie ausgegeben haben.

Und wegen der Jungs brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Margot interessiert sich noch gar nicht für sie und verkohlt sie nur. Susanne ist, wie du weißt, immer in mehrere gleichzeitig verliebt, und das ist besser, als wenn’s nur einer wäre. Außerdem habt ihr beide natürlich nicht die geringste Verantwortung! Es ist unser Risiko. Abgesehen davon aber hast du, Mami, absolut das Kommando! Sie können ein bißchen tanzen, aber um neun Uhr abends ist Zapfenstreich. Du schmeißt sie alle ‘raus!«

»Das mache ich«, sage ich.

Die Mama sieht mich nur kurz an, und zu Addi: »Wie oft dürfen sie ins Kino?«

»Zweimal in der Woche, das heißt, wenn sie sparsam sind. Sonst nur einmal.«

»Wie ist das mit der Wäsche?«

»Ich habe alles gewaschen, die großen Stücke sollen sie aus dem Haus geben, die kleinen Sachen, die sie unbedingt brauchen, waschen sie sich selbst.« Die Unterhaltung verwuzelt sich immer mehr ins Hausfrauliche. Teddy und ich stehen leise auf und schleichen uns in die Bibliothek. Dort sieht mich Teddy besorgt an: »Erst war sie ziemlich böse, was?«

»Sie scheut vor allem Ungewohnten, wie’n alter Droschkengaul.«

»Laß man. Die Mami ist in Ordnung.«

Am nächsten Tag, gegen Mittag, fahren Addi und Teddy ab. Wir winken, bis der rote Wagen um die Ecke ist. Die Mädels können nicht winken, weil sie in der Schule sind. Als sie nachmittags heimkommen, laden wir sie zum Abendbrot ein. Sie sind sanft und nachdenklich, essen bescheiden und machen schon um dreiviertel neun drüben das Licht aus. Mami ist ganz enttäuscht, nichts monieren zu können. Mir ist etwas unheimlich. Die ganze Sache scheint mir stark überspielt. Susanne sah aus wie die fromme Helene von Wilhelm Busch. Na, mal sehen...