Epilog
1835, Kabetogama, die Hütte der Fallensteller mitten im Wald
Sie erreichten die Hütte und traten durchgefroren ein. Parker entzündete das Feuer im Kamin, um Kälte und Dunkelheit zu vertreiben, und setzte Wasser für Kaffee auf. Lieutenant Stafford hatte sie zähneknirschend ziehen lassen. Schließlich lag gegen sie nichts vor. Stafford hatte seinen Verdacht nicht erhärten können. Erst recht nicht, nachdem auch Parker noch seine Aussage gemacht hatte, zumindest soweit er sich noch erinnern konnte. Das Fieber hatte ihm das Gedächtnis vernebelt. Aber jetzt war er wieder völlig gesund.
Froh, wieder in ihrem bescheidenen Reich zu sein, verriegelte Lacroix die Tür, und die Trapper zogen ihre dicken Winterjacken aus.
„Two-Elk, was hast du denn da?“, hörte Parker den Frankokanadier hinter sich fragen, und drehte sich zu seinen Freunden um. Er sah, dass der Chippewa den Inhalt seines Lederbeutels auf dem Tisch entleert hatte. Obenauf lag ein kleines Buch.
„Buch von Lieutenant. Ich habe es gestohlen, Ritual muss geheim bleiben.“
„Oh, darüber wird Stafford aber nicht erfreut sein, wenn er feststellt, dass es ihm entwendet wurde. Dabei hat er sich doch solche Mühe mit seinen Untersuchungen gegeben.“ Lacroix lachte schadenfroh.
„Kitchie Manitou mag Schriftzeichen vom Weißen Mann nicht. Ich werde Buch vernichten.“ Two-Elk wollte es in die Flammen werfen.
„Halt!“ Lacroix nahm dem Indianer das Buch aus der Hand und blätterte eine Weile darin herum. „Ich behalte es lieber, mon ami. Wer weiß, vielleicht brauchen wir es nochmal. Der Große Geist wird sicher großmütig darüber hinwegsehen, wenn ich es verwahre.“
Two-Elk nickte schließlich, und während Parker den frisch aufgebrühten Kaffee in drei Emaillebecher einschenkte, zückte Lacroix den Bleistift, der im Buchrücken steckte und schrieb etwas auf die letzte Seite.
Parker beobachtete ihn dabei und trank schlürfend sein Gebräu. Vielleicht sollte er das Buch auch einmal lesen, damit er wusste, was eigentlich genau geschehen war, nachdem ihn das Fieber gepackt hatte. Aber vielleicht sollte er es auch einfach lassen. Die Erzählungen seiner Freunde, dass sie ihn aus den Klauen einer schrecklichen Kreatur gerettet hatten, waren schon beunruhigend genug. Parker beließ es dabei und blickte sinnend in die Flammen. Bald würde der Frühling kommen und dann würde er seinen Bruder und dessen Familie im nicht weit entfernten Fort Snelling besuchen. Der würde Augen machen. Ein wenig Sippenpflege konnte gewiss nicht schaden. Dem Wald jedoch würde er niemals den Rücken kehren können. Dafür liebte er die herbe Schönheit und menschenlose Weite einfach zu sehr. Leise in sich hinein lächelnd trank er den starken, wärmenden Kaffee.
Als Parker mitten in der Nacht aufwachte, war es ihm, als hätte er eine Stimme gehört. Er lauschte eine Weile, doch es blieb still. Kopfschüttelnd stand er auf und tapste durch den dunklen Raum zum Kamin. Das Feuer war heruntergebrannt und gab kaum noch Wärme ab. Parker schürte es an, und es wurde wieder etwas hell im Raum. Auf dem Tisch neben dem Kamin entdeckte er das Buch des Lieutenants. Es war auf der letzten Seite aufgeschlagen, Lacroix‘ Schrift glomm dunkel auf dem knochenweißen Papier. Das flackernde Licht des Feuers ließ die Buchstaben lebendig erscheinen.
Eis.
Schnee.
Der Wald.
Sei auf der Hut,
Wenn er kommt.
Die Angst isst dein Herz.
Du spürst deinen erkalteten Körper.
Er ist unersättlich, der Geist des einsamen Waldes.
Unersättlich wie die Angst.
Der Wendigo.
Hungrig,
Eiskalt.
Das ewig Böse.
Seltsame Zeilen. Und das ausgerechnet von Lacroix. Parker goss sich den Rest des kalten Kaffees ein, der noch in der Kanne war, und nahm nachdenklich einen Schluck. Langsam drehte er sich zu seinen schlafenden Freunden um.
Mit einem lauten Scheppern fiel der Blechbecher zu Boden, und die kalte Flüssigkeit ergoss sich über die Holzdielen. Parkers Hand begann zu zittern, immer stärker, so dass der Tremor bald seinen ganzen Körper erfasste und ihn durchschüttelte wie bei einem Erdbeben. Was seine Augen im trüben Licht der Glut sahen, ließen ihn glauben, er befände sich noch im Traum.
Einem Alptraum!
Vor ihm lagen Lacroix und Two-Elk mit aufgeschlitzten Kehlen. Ihre wächsernen Gesichter starrten ihn vorwurfsvoll an. Aus ihren Bäuchen quollen ihre Eingeweide und ihr Blut war ein rotes Laken, auf dem sie ruhten. Lacroix‘ rechter Arm war aus dem Gelenk gerissen, und bei Two-Elk fehlten Ohren und Lippen. Mit Schrecken erkannte Alan Joel Parker die Bissspuren im Fleisch seiner Freunde. Plötzlich spürte er etwas von seinem Kinn tropfen und fuhr mit seiner bebenden Hand darüber. Lange betrachtete er die rote Flüssigkeit an seinen Fingern.