30. Kapitel

 

WALDMOND ENDOR, JEDI-AUSSENPOSTEN

 

Jag lag auf dem Bett der Krankenstation. Wäre da nicht das sehr langsame Heben und Senken seiner Brust gewesen, hätte man ihn irrtümlicherweise für einen Toten halten können.

Jaina, die auf einem Stuhl am Fußende des Bettes saß, hatte einen guten Eindruck davon, wie nahe Jag dem Tod gewesen war. Er hatte Wunden am Hals davongetragen, einen gebrochenen linken Ellbogen, mehrere Brüche im rechten Oberschenkel, innere Verletzungen ... Da er den direkten Sprung aus dem Asteroidensystem nach Endor im Cockpit eines Sternenjägers niemals überstanden hätte, hatten sie einen kurzen Abstecher nach Bimmiel gemacht. Jag auf den Falken verladen und seinen X-Flügler mit Tarnnetzen und Sand bedeckt in einem frostigen Tundratal zurückgelassen.

Aber jetzt, nach einer erholsamen Zeit in einem Bacta-Tank, nach Medikamenten und Ruhe, sagten die Ärzte, dass sich sein Zustand sehr verbessert habe; bald würde er vollends genesen sein.

Jaina hingegen war sich da nicht so sicher. In der Macht fühlte sich Jag nicht wie ein Mann an, der zusehends an Gesundheit und Lebenskraft gewann.

Jag öffnete die Augen. Er bewegte sich nicht, nicht einmal, um seinen Kopf zu drehen, bis er alles gesehen hatte, das er von seinem Blickwinkel aus sehen konnte - ein Überlebenstick, den er sich auf Tenupe angeeignet hatte.

Schließlich wandte er den Kopf und sah sie. Er schenkte ihr kein Lächeln, aber dafür sagte er: »Hallo.«

»Selber hallo. Erinnerst du dich daran, was passiert ist?«

»Ja.« Er wollte nicken, überlegte es sich jedoch anders, als sich seine halb verheilten Verletzungen meldeten. »Ich erinnere mich an alles. Außer daran, wo wir hier sind.«

»Auf Endor. Du warst bewusstlos, als wir hier ankamen.«

»Aha. Und Zekk?«

»Ihm geht's besser. Als war den Asteroiden verließen, war er ziemlich hinüber. Er hat genauso viel abbekommen wie du ... allerdings emotional, nicht körperlich.«

»Was für ein Jammer. Sichtbare Narben sind einfach besser dazu geeignet, auf Partys ins Gespräch zu kommen.« Er wandte seine Aufmerksamkeit der Decke zu und studierte sie lange Sekunden. »Tja. Mission erfolgreich abgeschlossen.«

»Das stimmt, Mission erfolgreich abgeschlossen. Und du hast getan, was du tun musstest. Um deine Familienehre wiederherzustellen.«

»Ja.« In dem Wort lag keine Zufriedenheit, bloß Bestätigung.

Jaina wünschte, sie hätte das Thema - seine Familie - nicht zur Sprache gebracht. Obwohl die Fels eine Familie corellianischer Abstammung waren - Jags Mutter war Wedges ältere Schwester, die erste Syal Antilles -, lebte sie jetzt im Reich der Chiss, nach den Gesetzen dieses blauhäutigen Volks.

Und diese Gesetze verlangten, dass Jag aufgrund der Fehlet und Entscheidungen, die andere Leute getroffen hatten - da runter auch Jaina -. nie wieder nach Hause zurückkehren konnte. Alema zur Strecke zu bringen, war die letzte der Aufgaben gewesen, die sein Clan ihm aufgetragen hatte. Indem er sie erfüllt hatte, hatte er gleichzeitig die letzten Bande zu seiner Familie gekappt.

Tatsächlich - diese Erkenntnis traf Jaina wie ein Hieb beim Kampftraining - bedeutete der Umstand, dass sie der Bedrohung, die Alema dargestellt hatte, ein Ende bereitet hatten, womöglich sogar, dass auch seine Verbindungen zu allen anderen jetzt der Vergangenheit angehörten.

Sie ließ ihre Stimme sanft klingen - eine ungewohnte Herausforderung für sie. »Was hast du als Nächstes vor?«

Er zuckte die Schultern und zuckte zusammen, als die Bewegung einige seiner Verletzungen schmerzen ließ. »Da ist ein Krieg im Gange. Ich bin sicher, irgendwer braucht einen Piloten.«

»Bleib bei den Jedi.«

»Klar.«

Mit einem Mal war sie ungeduldig mit ihm. »Ich meine nicht als Zivilangestellter. Ich meine als Freund.«

Endlich sah er sie wieder an. »Ich war nicht sonderlich gut darin, mir Freunde zu machen. Ich würde meine Erfolgsquote mit annähernd null angeben.«

»Zekk betrachtet dich als Freund.«

»Ja. Nun, ohne ihn wäre meine Erfolgsquote gleich null. Und um ehrlich zu sein, aus Gründen, die du sicherlich verstehst, würde er es vermutlich vorziehen, dass ich nicht so viel Zeit hier verbringe.«

»Ich bin deine Freundin.«

»Bist du das?«

Sie stieß ein verzweifeltes Seufzen aus. »Oh, bitte, dieses Gespräch hatten wir doch schon.«

»Ja, hatten wir. Hierbei geht es allerdings um etwas anderes. Ich bitte dich nicht darum, deine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden oder davon abzusehen, für deine nächste Mission zu trainieren. Ich bitte dich nicht darum, dein Chrono fünfzehn Jahre zurückzudrehen, auf damals, als wir noch Teenager waren.« Trotz der Beschwerden, die es ihm bereitete, zog er sich nach hinten, sodass er sich am Kopfende des Betts gegen die Kissen aufsetzen konnte. »Ich bitte dich darum, mir zu sagen, ob für mich in deinem Leben Platz ist. Für jemanden, zu dem du kommst, wenn du dir selbst gegenüber jemals eingestehen solltest, dass du Hilfe brauchst. Für jemanden, den du nicht bloß hin und wieder vermissen würdest, wenn er fortginge. Bin ich dein Freund?«

Jaina kannte die Antwort, die er hören wollte, die Antwort, die

dafür sorgen würde, dass es ihm wieder besser ging, und sie öffnete den Mund, um sie ihm zu geben. Dann schloss sie ihn wieder. Er hatte etwas Besseres verdient. Er verdiente die Wahrheit. Sie war sich bloß nicht sicher, was die Wahrheit war.

Sie brauchte lange Sekunden, um ihre Gefühle aus der verwirrenden, isolierenden Schicht von Entscheidungen und Verhaltensregeln herauszufiltern. die sie für sich selbst geschaffen hatte. Um sie zu finden, musste sie über das hinaussehen, was sie zu tun und wer sie zu sein hatte; sie musste zu dem Ort vordringen, wo sie das unter Verschluss hielt, was sie tun und sein wollte.

Aber sie fand die Antwort. »Ja. Das bin ich.«

»Gut.« Er streckte seine Hand aus.

Sie legte ihre hinein.

Er entspannte sich. »Also, was hast du als Nächstes vor?«

»Eine Mission. Einfache Sache. Eine Prinzessin retten - eine SoloFamilientradition. Eine große Raumstation in die Luft sprengen.«

»Auch eine Solo-Familientradition.«

»Du kannst mitmachen, wenn du rechtzeitig wieder in Form kommst.«

»Das werde ich. Und falls du je wieder jemanden brauchst, der in ein schwarzes Kostüm schlüpft und dich vermöbelt... «

Jaina lächelte. »Halt einfach die Klappe.«

 

 

CORELLIA, CORONET, KOMMANDOBUNKER

 

So spät in der Nacht und ohne feindliche Streitkräfte im Orbit war der Kommandobunker beinahe verwaist, und normalerweise war das Brummen der Atmosphärenaufbereiter das Einzige, das in den meisten Stockwerken und Kammern zu vernehmen war.

Im Hauptkommunikationsraum jedoch - nicht in dem eleganten Studio, wo die meisten Übertragungen initiiert oder empfangen wurden, und auch nicht in der gesicherten Kammer des Premierministers, in der Sadras Koyan den Großteil seiner Unterredungen führte - waren die Reihen von Holocam-Gerätschaften in Betrieb, um die Geräuschkulisse mit ihrem Summen zu ergänzen.

Informationsminister Denjax Teppler sah zum tausendsten Mal auf, um sicherzugehen, dass die Tür in die Kammer noch immer verriegelt war, dass auf den Geräten, in die er sieh eingeklinkt hatte, um die Holokamera über der Tür zu überbrücken, keine Warndioden leuchteten. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der vor ihm liegenden Aufgabe zu. Er hatte die Abdeckung einer Holokom-Kontrollkonsole vor sich entfernt, und es erforderte nur noch einige Sekunden mehr Arbeit, um die Überbrückungskarte, die er mitgebracht hatte, fertig zu verdrahten - das Gerät, das verhindern würde, dass eine Kopie der Übertragung, die er gleich erhielt, automatisch an die Büros des Corellianischen Sicherheitsdienstes ging.

Denn er war drauf und dran, einen weiteren Akt des Hochverrats zu begehen, und das musste er geschickt anstellen.

Als er seine Aufgabe erledigt hatte, trat er an die Hauptkontrolltafel, überprüfte sein Chrono und aktivierte die Apparatur. Er setzte sich in Bewegung, um sich vor die leere Wand der Kammer zu stellen, auf einen Reserveübertragungsplatz, der seit Jahren nicht mehr benutzt worden war.

Dreißig Sekunden später tauchte in der Luft vor ihm ein Glühen auf, das sich zu einer holografischen Gestalt klärte - General Turr Phennir, narbenübersät und imposant ... und bloß etwas über einen Meter groß. »Guten Tag, Minister Teppler.«

»Dort, wo ich mich befinde, ist zwar Nacht, aber ganz meinerseits.« Teppler runzelte die Stirn. »Wie groß - ach, egal, an meinem Ende der Verbindung stimmt irgendetwas nicht. Bleiben Sie dran.« Er ging zur Kontrolltafel zurück, bemerkte, dass der Maßstab für den Bildempfang dieser Verbindung auf lediglich 60 Prozent der Originalgröße eingestellt war und setzte ihn vorübergehend auf 100 Prozent hoch.

Phennir flackerte, ehe er abrupt Tepplers eigene Größe annahm.

Teppler kehrte zur Wand zurück und hatte den General jetzt auf Augenhöhe vor sich. »So ist es besser.«

»Ein weiteres Anzeichen für die geistigen Defizite Ihres Anführers.«

Teppler tat das Thema mit einem Winken ab. »Ich habe nicht um diese Unterredung gebeten, um über die Marotten des Premierministers zu diskutieren. Ich habe darum ersucht, damit wir über Ihr inoffizielles Embargo gegen Corellia sprechen können. Sie halten Vorräte und Material zurück, das wir dringend benötigen.«

»Und ich habe mich zu dieser Unterhaltung bereit erklärt, weil Koyans Inkompetenz unser Hauptgesprächsthema sein muss. Da seine Inkompetenz der Grund für dieses Embargo ist.«

Teppler zog eine Miene. »Wir sind Ihre Verbündeten, und Sie haben uns gefährlich verwundbar gemacht.«

»Gestatten Sie mir zu erklären, warum. Weil Sie Politiker sind, werde ich dabei Gleichnisse und andere Redemittel verwenden.«

»Ganz zu schweigen von Beleidigungen.«

Phennir zögerte. »Sie haben recht. Mein Ärger auf den Premierminister hat auf Sie abgefärbt. Dafür entschuldige ich mich. Stellen Sie sich trotzdem einmal vor, Sie wären ein mächtiger Krieger. Wenn Sie nun einen Ihrer Arme verlören, wären Sie nicht mehr ganz so mächtig.«

»Stimmt.«

»Entsprechend wären Sie darauf bedacht zu vermeiden, dass Sie einen Ihrer Arme einbüßen. Trotzdem spazieren Sie in den Dschungel und werden von einem giftigen Tier ins Handgelenk gebissen. Das Gift wird sich von Ihrem Arm aus in Ihrem restlichen Körper ausbreiten und Sie in weniger als einer Minute umbringen. Was tun Sie?«

»Nun, wenn man sich anständig auf diese Expedition vorbereitet hat. holt man das Gegengift heraus und injiziert es sich.«

»Korrekt. Aber wenn wir davon ausgehen, dass Sie kein Gegengift haben? Wenn Sie bloß eine große Vibroklinge haben?«

»Dann legt man eine Aderpresse an, schneidet sich den eigenen Arm ab ... und hofft, dass man sich die Schmerzmittel verabreichen kann, bevor man das Bewusstsein verliert.«

»Auch richtig. Denn um ein mächtiger Krieger zu sein, ist eins noch viel wichtiger, als beide Arme zu besitzen.«

»Dein Leben.«

»Ja.«

Teppler dachte darüber nach. »Sie wollen damit also sagen, dass die Konföderation der Krieger ist, und Corellia sein Arm.«

»Ja. Und Sadras Koyan ist das Gift. Sein Einsatz der Centerpoint-Station hat uns selbst im Hinblick auf die Moral und die Gewährleistung der Zusammenarbeit unserer Streitkräfte einen beinahe ebenso tödlichen Schlag versetzt wie dem Feind. Und es ist klar, dass, falls wir diesen Krieg gewinnen - und ich meine falls, nicht wenn -, seine erste Amtshandlung darin bestehen wird, die Station auf einen seiner Alliierten auszurichten, um die Bedingungen für Frieden und Reparationszahlungen zu bestimmen.«

»Was wollen Sie damit, andeuten?«

»Dass Sie ihn besser seines Amtes entheben sollten.«

»So einfach ist das nicht. Wir haben eine Koalitionsregierung, deren Vertreter sich unermüdlich um die Macht balgen.«

»Ich sage Ihnen ja nicht, wen Sie stattdessen einsetzen sollen. Ich sage Ihnen bloß, dass es besser ist, Koyan aus dem Weg zu räumen, was ganz genauso einfach ist. wie es klingt. Man könnte es mit einer kleinen Gruppe von Experten bewerkstelligen, die ihn eines Nachts verschleppen und ihn wieder freilassen, wenn der Krieg vorüber ist. Man könnte es hinkriegen, indem man ihm einen Miniblaster gegen die Nieren presst und abdrückt. Man könnte es mit fingierten Beweisen machen, die weiter keinen Schaden anrichten, als zu belegen, was für ein Schwachkopf er ist.« Phennir lehnte sieh weit vor. »Ich spiele hier nicht den Königsmacher. Ich habe nicht vor zu bestimmen, wer Corellia regiert. Ich will bloß, dass Sie einen Anführer auswählen, mit dem ich zusammenarbeiten kann. Bis Sie das getan haben, bleibt Corellia die Behaglichkeit unseres Lagerfeuers verwehrt.«

»Ich werde mir das, was Sie gesagt haben, durch den Kopf gehen lassen.«

»Gut.« Unversehens zappelte Phennir unruhig herum, und sein Tonfall wurde verschwörerisch. »Hören Sie. Ich muss zu geben, dass ich euch Corellianer nicht verstehe. Bei euch hat die Freiheit einen viel höheren Stellenwert als die Pflicht, was für mich unbegreiflich ist. Ich bin mit den und gegen die Besten geflogen, gegen die diszipliniertesten Piloten, die Corellia zu bieten hatte - Soontir Fel, Wedge Antilles -, und nicht einmal die begreife ich. Möglicherweise ist das meine Schuld, aber die Konföderation wird auseinanderfallen, wenn Koyan weiter im Amt bleibt. Beschaffen Sie mir jemanden, der mich verstehen kann.«

Teppler nickte. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«

Phennir verneigte sich halb vor ihm. Dann verschwand sein Hologramm.

Teppler zog rasch die Karte heraus, die er zuvor so minutiös in die Holokom-Konsole eingebaut hatte. Er drückte einen Knopf auf dem Gerät, um einen Stromstoß durch den empfindlichen Apparat zu schicken, der den Speicher und die Schallkreise verbrannte und so den Großteil der Beweise für seine Taten hier vernichtete.

Phennir hatte recht. Und obgleich Teppler selbst kurzzeitig FünfWelten-Premierminister gewesen war, wusste er nicht, ob er sich in diesem Amt in dieser Phase des Krieges besser machen würde als Koyan. Auch vermochte er nicht zu sagen, ob irgendein Militäroffizier mit dem nahezu alles beherrschenden Streben nach Aufmerksamkeit und Ruhm wetteifern konnte, das die corellianischen Planetenstaatschefs kennzeichnete, mit denen er sich auseinandersetzen müssen würde.

Er schlug die Abdeckung der Holokom-Konsole zu und begann damit, in der Kammer herumzuhantieren, um mit einem chemikaliendurchtränkten Filzlappen alle Oberflächen abzuwischen. die er berührt hatte. Mit jedem Wisch wurden Fingerabdrücke und genetische Spuren gleichermaßen zerstört.

Moment mal - das Amt des Staatschefs bei der Allianz hatten derzeit auch zwei Kollaborateure inne, einer davon ursprünglich ein Zivilist, die andere eigentlich vom Militär. Womöglich funktionierte diese Konstellation auch für Corellia.

Admiralin Delpin war intelligent, verantwortungsbewusst und - im Gegensatz zu Koyan - ehrenwert. Sie konnte ihnen die Unterstützung der corellianischen Verteidigungsarmee sichern, während sich Teppler mit den zivilen Staatschefs herumplagte.

Es konnte klappen. Wenn es ihnen gelang, sich Sadras Koyan vom Hals zu schaffen, und das bald.

Auf der Türschwelle der Kammer blieb Teppler stehen und begutachtete sein Werk. Nichts deutete darauf hin, dass er hier gewesen war - nichts außer den Drähten, die von seinem Holocam-Überbrückungsapparat zu dem Aufzeichnungsgerät über der Tür führten. Er packte das Gerät und riss ruckartig daran, um das Datenkabel aus der Holokamera zu ziehen und die Vorrichtung zu der ausgebrannten Karte in seiner Tasche zu stecken.

Ja, Admiralin Delpin. Vielleicht war sie ungeachtet ihrer Haltung und ihrer Reputation bereit, genau so einen gewaltigen Hochverrat zu begehen wie Teppler selbst.