19. Kapitel

 

Luke spürte, wie die Woge des Hasses ihn durchströmte, mit solcher Wucht, dass es sich anfühlte wie ein Tritt in den Magen, und einen Moment lang fragte er sich, ob Jacen womöglich irgendeinen neuen Macht-Angriff perfektioniert hatte.

Aber nein, unterschwellig spürte er vielmehr Frustration und Hilflosigkeit, sogar Furcht. Das war kein Angriff. Es waren die Gefühle eines Mannes in den letzten Sekunden seines Lebens, in denen er sich über diese Tatsache klarwurde.

Und Luke ... verspürte keinen Hass. Er feuerte wieder, und seine Laserkanonen rissen Fetzen oben von Jacens Rumpf weg, als sein Ziel durch brillante Ausweichmanöver dafür sorgte, dass seine Attacken keinen wichtigeren Bereich des Sternenjägers erwischten.

Luke blieb ruhig, abwartend, bereit, sich zur Wehr zu setzen, bereit zu töten. Er spürte, wie sich die beiden anderen StealthX-Flügelpartner seiner Position näherten. Bald würden sie in Feuerreichweite sein. Bald würde dies hier vorüber sein.

 

Dann eben die Schilde.

Caedus schaltete die elektronischen Abwehrsysteme aus und aktivierte seine Schilde. Da er nicht verhindern konnte, dass seine Gegner ihn entdeckten, musste er sie sich zumindest eine Weile vom Hals schaffen.

Auch gab es keinen Anlass, weiterhin Kom-Stille zu halten. »Solo an Anakin Solo. Stehe unter Beschuss. Schicken Sie mir sofort Sternenjäger-Unterstützung her. Und bringen Sie die Anakin Solo ebenfalls hierher.«

Tebuts ruhige, kontrollierte Stimme antwortete ihm. »Unverzüglich, Sir.«

Caedus schwenkte herum, um mit Maximalgeschwindigkeit zur Formation der Schlachtschiffe zurückzufliegen. Gleichwohl spürte er, wie Kyp und Corran Kurs nahmen, um ihm den Weg abzuschneiden, während Luke dicht hinter ihm blieb.

Caedus unterdrückte einen Fluch. Verdammt, die waren gut; geschickt genug, ihn von seinem sicheren Hafen wegzutreiben. Sein Zorn wuchs noch weiter, wenn das überhaupt möglich war.

Und mit jeder Zunahme seiner Wut wurde Allanas Schluchzen lauter; er spürte, wie ihr Körper zitterte.

Doch konnte er sie nicht trösten. Sie jetzt zu trösten bedeutet zu sterben.

Seine Fähigkeiten und Macht-Visionen machten ihn zu einem unberechenbaren Ziel, das sich nun - getrieben von seinen Verfolgern - mit halsbrecherischen Ausweichaktionen von der Allianz-Formation entfernte, und seine Flugmanöver zehrten so an seiner Geschwindigkeit, dass er keine Chance hatte, ihnen zu entkommen. Lukes Lasersalven, zuweilen unterstützt von Kyps oder Corrans. kamen ihm gefährlich nahe: hin und wieder leuchteten seine Schilde hell auf. wenn er getroffen wurde, um seinen Schemen durchzurütteln.

Er verlor jedes Zeitgefühl, verlor sich in seinem Zorn, existierte nur für den Augenblick. Er konnte sich nicht an seinen Namen erinnern, bloß daran, dass er fliegen musste, dass er seine Tochter beschützen musste. Er war schweißgebadet. Sein Pilotenoverall hatte schon lange aufgehört, seinen Schweiß zu absorbieren, sodass der sich jetzt in seinen Stiefeln sammelte und den Pilotensitz durchnässte.

Dann waren da ... Eindringlinge. Weitere Präsenzen. Mit einem Mal waren Kyp und Corran weiter weg, was die Zahl der unmittelbaren Angriffe reduzierte.

Caedus riskierte einen Blick auf sein Sensorbord, das ein verändertes Schlachtfeld zeigte.

Er war jetzt weit von der Allianz Formation entfernt. Tatsächlich gab es gar keine Allianz-Formation mehr. Die Schlachtschiffe der Allianz und der Konföderation hatten sich zu einer einzigen gewaltigen Masse vermischt. Die antiquierten corellianischen Schiffe steckten eine entsetzliche Abreibung ein. kämpften jedoch weiter. Die meisten Sternenjäger auf dem Schlachtfeld hielten sich von diesem Bereich fern, während die Corellianer die Allianz in der Ferne noch weiter weglockten.

Dichter bei, ganz in Jacens Nähe, lieferten sich Sternenjäger mit Allianz-Markierung ein Feuergefecht mit den StealthX-Jägern, die sie anhand ihrer Laserstrahlen orteten.

Während Caedus hinschaute, stellten die StealthX das Laserfeuer ein. Ab jetzt würden sie sich ausschließlich auf Schattenbomben verlassen, die sie mithilfe der Macht abschossen und deshalb von gewöhnlichen Sensoren nicht registriert werden konnten.

Abgesehen von Luke. Er blieb Caedus unbeirrt auf den Fersen und beharkte den Schemen ebenso unermüdlich mit Laserfeuer wie seine Flügelmänner. Allerdings wurden Caedus' Verfolger jetzt von einem Trio von Allianz-Jägern - zwei XJ7-X-Flüglern und einem dieser plumpen Aleph-Jäger - aufgemischt.

Ein rotes Echozeichen auf seinem Sensorbord zeigte in einiger Entfernung ein feindliches Schiff von der Größe eines kleinen Raumfrachters, das Kurs auf ihn genommen hatte. Das Sendesignal besagte, dass es sich dabei um die Liebeskommandant handelte. Dahinter zeichnete sich die Anakin Solo ab, die ebenfalls auf dem Weg hierher war.

Caedus nickte. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder seiner Fliegerei zu. Sich jetzt auch nur eine Sekunde lang ablenken zu lassen, bedeutete den sicheren Tod. doch das Ende dieses Gefechts war in Sicht. Gleich würde die Anakin Solo hier sein, um die Jedi mit ihren Turbolasern und Ionenkanonen in die Flucht zu schlagen, und dann war er wieder in Sicherheit.

 

Luke blieb Jacen auf den Fersen, doch die Lage spitzte sich zu. Sanola Ti ließ sich zurückfallen, um den feindlichen X-Flüglern und dem Aleph die Stirn zu bieten, doch wenn die gegnerischen Piloten gut waren, würde es ihr nicht gelungen, sie aufzuhalten. Und ohne die beiden anderen Meister, die ihm dabei halfen. Jacen in die Enge zu treiben, war Jacen früher oder später in der Lage, umzudrehen und zur Anakin Solo zurückzukehren. Luke musste diesem Gefecht jetzt ein Ende bereiten.

Er öffnete sich der Macht noch weiter, in der Hoffnung, dass ihm das nicht bloß verriet, wo sich Jacen gerade aufhielt, sondern auch, wo er in der nächsten Sekunde sein würde. Jacen gab sich augenblicklich keine Mühe, sich in der Macht zu verbergen. Er war ... Er war ...

Er war mit einem kleinen Mädchen zusammen.

Luke erstarrte. Er nahm seinen Daumen vom Abzug der Laserkanonen und sondierte Jacens Schiff erneut.

Da war tatsächlich ein kleines Mädchen mit Jacen im Cockpit. Ihre Präsenz war von dem Hass überschattet worden, den

Jacen in die Macht strömen ließ, doch jetzt beruhigte sich Jacen allmählich, und der Kummer des kleinen Mädchens machte sie zu einer heller leuchtenden Präsenz.

Lukes StealthX erbebte. In dem Moment, den er brauchte, um seine Überraschung zu verarbeiten, hatte ihn eine Vierlingslasersalve des Aleph gestreift, der ihn verfolgte.

Töte Jacen ... töte eine Unschuldige,

Luke ließ von seinem Ziel ab und sandte den anderen Jedi lautlos den Befehl, sich ihm anzuschließen. Er spürte ihre Verblüffung und ihre Bestürzung, doch er verlieh seiner Anweisung mehr Kraft, mehr Nachdruck.

Die StealthX-Jäger drehten bei und hielten auf das leere All zu.

Die Sternenjäger, mit denen sie sich gerade duelliert hatten, jagten sie weiterhin, gaben es aber nach etwa einer halben Minute auf. Sie machten kehrt, um Jacens TIE-Prototyp zu umringen und als sein Geleitschutz zu fungieren.

 

Caedus sackte zusammen, als die Erschöpfung überhandnahm. Er ließ eine Hand auf dem Steuerknüppel liegen, während er den Schemen zurück zur Anakin Solo dirigierte, und hielt mit der anderen Allana an sich gedrückt. Sie schaute mit geröteten Augen zu ihm auf, ohne dass ihre Tränen versiegt wären, und ihr Kummer bescherte ihr einen Schluckauf.

»Colonel Solo an Sternenjäger-Eskorte. Wer fliegt den Twee?«

Sogleich antwortete eine Frauenstimme: »Tänzer Eins, Sir.«

»Ich will wissen, wie Sie heißen.«

»Ja, Sir. Leutnant Syal Antilles, Sir. Von der Blue Diver.«

Caedus verzog das Gesicht. Die älteste Tochter eines Feindes war ihm zur Hilfe gekommen, eines weiteren Verräters an der Allianz.

Andererseits hatte er stets versprochen, Loyalität und Leistung zu belohnen, und vor wenigen Sekunden hatte er beschlossen, dass sich der Pilot des Aleph etwas Anerkennung redlich verdient hatte. »Ab sofort Captain Antilles.«

»Äh.« Es war eher ein Ausatmen als ein richtiges Wort. Caedus vermochte nicht zu sagen, ob sie eher erfreut oder gequält klang. Durch die Macht fühlte er. dass sie vollkommen überrascht war. obgleich die andere Präsenz bei ihr im Cockpit - zweifellos ihr Schlitze - freudig erregt wirkte. Syals Stimme war kühl, professionell. »Vielen Dank. Sir.«

»Und lassen Sie sich sagen, dass der StealthX-Pilot, den Sie gerade verjagt haben, selbst ein ziemlich guter Pilot ist. Antilles, Sie haben soeben Luke Skywalker in die Flucht geschlagen.«

Vor ihm. weit in der Ferne, hinter der Anakin Solo, in der Nähe der Schlacht schiffe, wurde der Weltraum unversehens von einer Lichtsäule von mehreren Kilometern Durchmesser durchbohrt, die zuckte und tanzte wie ein lebendiges Wesen.

 

Der Weltraum wogte und waberte, als würde ein rachsüchtiges Kind mit der Steuerung eines Monitors spielen, um alles im mittleren Drittel des Bildschirms zu strecken und unnatürlich zu verzerren. Caedus sah, wie Schiffe, deren Umrisse sich im Innern des Lichtstrahls abzeichneten, in die Länge gezogen wurden. als bestünden sie aus Gummi. Turbolaserstrahlen beschrieben unmögliche Kurven: eine Salve beschrieb eine vollständige 180-Grad-Drehung und krachte in die Schilde des Kreuzers, der sie abgefeuert hatte. Raumschiffe wurden zu winzigen Punkten zusammengequetscht und verschwanden dann gänzlich.

Mit der gleißenden Helligkeit und Raumverzerrung ging ein gewaltiger Hieb in der Macht einher, der Caedus wie ein Hammerschlag traf - der ungeheuerliche, augenblickliche Verlust Zehntausender Leben.

Allanas Schluchzen brach ab. Sie sackte auf Caedus' Schoß zusammen, gnädig von der Bürde des Bewusstseins befreit.

Dann verfinsterte sich der Weltraum und nahm wieder seine normale Gestalt an. Wo eben noch zahllose Schiffe schwebten und kämpften, war jetzt bloß noch Leere - oder womöglich auch verdrehte Wrackteile, die nur nicht von zerstörerischen Laserstrahlen oder Positionslichtern erhellt wurden.

 

Luke, der gerade die Hyperraumkoordinaten für ihren ersten Sprung an die anderen übermitteln wollte, sackte nach vorn, als ihn eine Woge der Qual und des Grauens traf. Die Wucht der Gefühle war nicht stark genug, um ihn außer Gefecht zu setzen, doch er konnte spüren, wie dasselbe Entsetzen in den anderen im Kampfgeflecht nachhallte.

Er schaltete das Bild einer Heckholokamera auf seinen Cockpitmonitor. Es zeigte die Anakin Solo und die winzigen Lichtblitze der stetig weiter zurückbleibenden Hauptsternenjägerschlacht... und Leere, wo eigentlich die ganzen Kampfschiffe sein sollten.

Benommen wog er die verschiedenen Möglichkeiten gegeneinander ab. Sollten sie umkehren, um zu helfen ... wem zu helfen? Mit sechs StealthX-Jägern? Oder sollten sie nach der Ursache suchen ... ohne ein Korps von Wissenschaftlern oder angemessene Sensorausrüstung?

Jacen war am Leben. Luke konnte ihn wahrnehmen. Er konnte auch Leia fühlen, nicht allzu weit entfernt, und Jaina und Zekk. Sie waren in Sicherheit. Was auch immer das Gebiet getroffen hatte, es schien ein Alles-oder-nichts-Angriff gewesen zu sein, der jetzt vorüber war.

Mit trockenem Mund aktivierte er seine Kom-Konsole und übermittelte den anderen die Sprungroute. »Lasst uns verschwänden.«

Sämtliche Annäherungsalarme auf der Brücke der Liebeskommandant heulten gleichzeitig los. Leia spürte, wie sich eine gähnende Leere auftat, um sie zu verschlingen. Sie zwang sie zurück und sah. wie sich Jaina mit bleichem Gesicht zu ihr umdrehte.

Es war wie an jenem lag, vor so langer Zeit, als sie die Zerstörung von Alderaan mit angesehen hatte. Damals wusste sie nicht, dass sie machtsensitiv war: ihr war nicht klar gewesen, dass sie nicht bloß ihre eigenen Gefühle von Verlust und Entsetzen fühlte, sondern auch die Erschütterung, die der Tod von Millionen Menschen mit sich brachte.

Dieser emotionale Hieb, den sie durch die Macht erhielt, war wesentlich schwächer, doch dafür war ihre Empfänglichkeit gegenüber solchen Dingen inzwischen um ein Vielfaches größer. Sie stand mit wackligen Beinen auf. »Was ist gerade passiert?«

Han sah zwischen ihr und Jaina hin und her, ehe er seine Aufmerksamkeit den Sensoren zuwandte. »Hinter uns ist eben irgendetwas aufgetaucht, hinter - Colonel Solos Schiff. Irgendetwas Großes, der Gravitationssignatur nach zu urteilen. Dann ist es wieder verschwunden. Die Annäherungssensoren dachten, wir befänden uns zu dicht bei einer Planetenmasse.« Er warf einen neuerlichen Blick auf die Anzeigen und schnaubte überrascht. »Die beiden Kampfverbände sind weg.«

»Wie weg? Einfach weg?«

»Einfach weg. Die meisten Sternenjäger sind allerdings immer noch da draußen. Abseits der Stelle, wo sich die Schlachtschiffe

befanden.«

»Centerpoint.« Jainas Stimme klang gedämpft. »Jemand muss die Centerpoint-Station eingesetzt haben.«

»Ja.« Han drehte scharf nach Backbord und beschleunigte. »Colonel Solos Schiff ist hinter uns. und von vorne kommen Sternenjäger auf uns zu - es wird Zeit zu verduften.«

Leia tauchte in die Macht ein und nahm Lukes Präsenz deutlich wahr, während die von Jacen allmählich verblasste.

Sie waren am Leben. In Jacens Fall erfüllte sie das gleichermaßen mit Erleichterung wie mit Schrecken.