6. Kapitel

 

Es war, als wäre ein unsichtbarer Meuchelmörder in ihrem Palast Amok gelaufen. Tenel Ka rannte an einer Gruppe von Höflingen vorbei, die sich um eine offene Tür drängten; dahinter sah sie eine uniformierte Gardistin mit aufgeschlitzter Kehle, die blauen Augen starr und aufgerissen, während sich ihr Blut in einer Pfütze neben ihr sammelte. Einige Meter entfernt hielt ein Musiker den Vorhang einer Nische auf, in der sich für gewöhnlich Liebende und Verschwörer tummelten. Nun enthüllte er jedoch nur den Leichnam eines Höflings, der mit unnatürlich abgeknicktem Hals auf dem Boden lag.

Tenel Ka gewahrte ein Kräuseln in der Macht, das von der nächsten Nische dahinter ausging. Sie riss den Vorhang beiseite. Zwar bot sich ihren Blicken keine weitere Gräueltat, doch dafür entdeckte sie ein in etwa kreisrundes Loch im Boden, ein Meter im Durchmesser, mit rauchenden Rändern.

Eine Sicherheitsbeamtin, die ihr auf dem Fuße folgte, keuchte: »Königinmutter, lasst uns vorausgehen!« Ohne auf sie zu achten, ließ sich Tenel Ka durch das Loch fallen.

Sie sauste zehn Meter in die Tiefe und konzentrierte sich auf die Macht, um den Aufprall abzuschwächen. Schließlich landete sie auf dem harten, teppichlosen Bodenbelag eines Dienstbotenkorridors. ein trister Gang mit grauen Wänden, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Neben ihr lag das Trümmerstück, das aus der Decke über ihr geschnitten worden war.

Auf beiden Seiten des Korridors standen Küchenangestellte und Kellner, deren farblich dezente Kleidung ihren niederen Rang preisgab, wie von Entsetzen gelähmt da. Es gab keine Anzeichen dafür, dass der Attentäter hier entlanggekommen war. Allerdings stieß ein Servierjunge von vielleicht sechzehn Jahren, dessen Augen wachsamer wirkten als die der meisten um ihn herum, seinen Daumen über die Schulter ... um dann demütig den Blick zu senken, als die Königinmutter an ihm vorbeischoss.

Weiter vorne, hinter einer Biegung des Korridors, waren weitere Arbeitskräfte, die im Kreis dastanden und auf die Leiche eines Kochs in ihrer Mitte starrten.

Eine Minute später ließ sich Tenel Ka nochmals zehn Meter nach unten fallen, diesmal aufs Dach eines angehaltenen Turbolifts. Sie kletterte durch die Wartungsluke und landete zwei Meter tiefer auf dem Boden des Aufzugs.

Die Lifttüren waren offen. Dahinter befand sich der Besucherhangar, in dem nichts so Zurückhaltendes wie ein melodisches Warnsignal auf den Sicherheitsverstoß hinwies; stattdessen heulten schrille Alarmsirenen. Sicherheitsbeamte und Wartungspersonal liefen auf sie zu, von ihr weg; einige eilten zu den Posten, die sie in Alarmsituationen zu besetzen hatten, andere waren einfach bloß in Panik.

Mindestens zwei Schiffe waren startklar. Nicht weit entfernt hatte eine weiß lackierte Raumfähre mit dem Wappen der Galaktischen Allianz auf den Seiten ihre Repulsorlifts aktiviert. Das Shuttle setzte sich in Bewegung, aber bloß, um noch dichter an die Steinmauer der Landebucht heranzugleiten. in der es parkte. Ein Sicherheitsteam war hinter Stein- und Permabetonpfeilern rings um die Fähre in Position gegangen; einige zielten mit Blastergewehren auf das Schiff, während der Anführer der Gruppe in ein an seinem Handgelenk befestigtes Feldkomlink sprach, zweifellos, um dem Piloten Anweisungen zukommen zu lassen.

Allerdings konnte Tenel Ka durch die vorderen Sichtfenster des Shuttles keinen Piloten ausmachen. Sie streckte ihre Machtfühler nach dem Schiff aus und registrierte etwas an Bord; aber diese Präsenz fühlte sich träge an. beinahe leblos.

Ein Ablenkungsmanöver. Wieder dehnte sie ihren Wahrnehmungsbereich aus und suchte mit zunehmender Verzweiflung nach Allana.

Da. Vierzig Meter hinter der Landebucht des Shuttles liefen auch noch die Triebwerke eines anderen Schiffs, das ebenfalls von einem hinter Säulen in Stellung gegangenen Sicherheitsteam umzingelt war.

Tenel Ka lief an dem Shuttle vorbei, ignorierte den Salut einer verwirrt dreinblickenden Gardistin und erhaschte einen guten Blick auf das andere aktive Schiff.

Tahiris StealthX-Jäger. Die Kälte in ihren Eingeweiden nahm zu. Sie musste nicht eigens auf das Visier des Pilotenhelms spähen, um zu wissen, wer ihre Tochter in seiner Gewalt hatte. Das konnte bloß Jacen sein.

Sie war auf halbem Wege zu dem StealthX, als ihr bewusst wurde, dass sich der Sternenjäger nicht rührte, obwohl die Repulsorlifts des Schiffs mit voller Kraft liefen und die Luft mit schier animalischem Geschrei erfüllten. Auch die Schutzschilde waren oben, obwohl kein Mitglied des Sicherheitstrupps feuerte. Tenel Ka hörte, wie eine der Gardeoffizierinnen über das Heulen der Repulsorlifts hinweg kaum vernehmlich rief; »Nicht schießen! Er hat das Mädchen bei sich!«

Noch zwei Schritte, und dann konnte Tenel Ka Allanas Haarschopf sehen. Ihre Tochter saß auf Jacens Schoß; das Gurtgeschirr heftete sie an ihren Vater. Ihr Kopf war nach vorn geneigt, als würde sie schlafen oder sich auf eine Bruchlandung vorbereiten.

Tenel Ka gewahrte ein flüchtiges Flackern in der Macht - hinter ihr, nicht aus Jacens Richtung. Sie blieb stehen und wirbelte herum, während sie gleichzeitig ihr Lichtschwert einschaltete.

Es erfolgte kein Angriff aus dieser Richtung, doch das Diplomatenshuttle drängte sich jetzt dicht gegen die Steinmauer des Hangars. Und Tenel Kas Gefühl der Bedrohung, ihre Vorahnung eines bevorstehenden Angriffs, wuchs.

»Zurück!« Es war kaum vorstellbar, dass ihre Worte bis zu den Sicherheitsbeamten drangen, die die Raumfähre umzingelten, daher ließ sie ihre Besorgnis und Warnung in die Macht strömen, um den Befehl auf emotionaler Ebene zu übermitteln. »Geht in Deckung!«

Sie ließ den Worten Taten folgen und sprang mit einem Satz hinter eine der natürlichen Steinsäulen, die die Hangarbucht säumten, und presste sich mit dem Rücken dagegen. Sie drehte den Kopf, um einen Blick hinüber zu Jacen zu werfen.

Er sah sie unverwandt an, schenkte ihr ein knappes Lächeln und hielt dann ein Komlink in die Flöhe. Er drückte den Knopf darauf.

Das Universum wurde weiß, und die Säule krachte gegen Tenel Kas Rücken ...

 

Tenel Ka hörte, wie ihre Tochter nach ihr rief. Doch die hapanische Königin stand bis zu den Knien in rotem Matsch, ohne dass Allana irgendwo zu sehen gewesen wäre. Zertrümmerte Steinsäulen neigten sich in seltsamen Winkeln zur Seite, und abgetrennte Arme und Beine ragten so hoch wie öffentliche

Transportgleiter aus dem blutigen Schlamm hervor - in jeder Himmelsrichtung, so weit das Auge reichte.

»Mami... «

Tenel Ka öffnete die Augen und richtete sich auf. um sich hektisch nach ihrem Kind umzusehen.

Ihr Kopf schmerzte, und ihre Ohren klingelten, als würde jemand mit Kesselpauken gegen einen Gong donnern. Sie erkannte, wo sie sich befand - in einem der zahllosen Warteräume oben in der königlichen Residenzetage. Dieser hier, in dezenten Lila- und Grauweißtönen gehalten, grenzte an Allanas Spielzimmer. Sie musste geträumt haben.

Tenel Ka saß auf einem Wandlungsdiwan, der die Form eines Ruhebetts angenommen hatte. Isolder erhob sich vom Stuhl ihr gegenüber, auf dem er gesessen hatte. »Bleibt liegen. Ihr seid verletzt.« Seine Worte klangen dumpf, durch das Klingeln in ihren Ohren schwer zu verstehen,

Stattdessen stand sie auf und wankte, als sie plötzlicher, flüchtiger Schwindel überkam. »Wo ist Allana?«

»Jacen Solo hat sie.« Isolders Gesicht war blass, so aschfahl wie an dem Tag, als seine Frau starb. »Die Explosion der Raumfähre hat ausgereicht, ein Loch in die Außenwand des Hangars zu reißen, das groß genug für seinen Sternenjäger war. Er hat es in seinem X- Flügler bis in die Umlaufbahn geschafft und konnte entkommen.«

Die Kälte in Tenel Kas Eingeweiden breitete sich aus, um den gesamten Körper zu umschließen. Die Beine zitterten. Ihr Vater legte seine Hände auf ihre Schultern, um sie zu stützen. »Bitte, setzt Euch. Wir haben Kampfkreuzer und Schlachtdrachen losgeschickt, um die Routen zwischen hier und Coruscant zu überwachen. Allerdings hat er höchstwahrscheinlich einen Fluchtweg genommen, mit dem wir nicht rechnen.«

Sie ließ sieh von Isolder zurück zu dem Diwan führen. »Wie lange war ich ...«

»Zwei Stunden. Die Diplomatengruppe wurde verhaftet und wird augenblicklich verhört.« Isolders Stimme klang grimmig. »Das Entsetzen, das sie zum Ausdruck bringen ... Auch wenn wir uns dessen momentan nicht sicher sein können, denke ich. dass sie aufrichtig sind. Alles deutet daraufhin, dass sie tatsächlich glaubten, sich auf einer Verhandlungsmission zu befinden, während Solo sie in Wahrheit, nur zur Ablenkung benutzt hat.«

»Hat er Kontakt zu uns aufgenommen? Hat er Bedingungen für ihre Freilassung gestellt?«

Isolders Miene wurde noch verdrießlicher. »Er hat eine Botschaft hinterlassen. Einen Datenchip, den mir das kleine Mädchen gegeben hat, das er als Allanas Doppelgängerin missbraucht hat.« Er stand auf und ging zu einem Tisch, um den Monitor darauf einzuschalten.

»Wer ist das Mädchen?«

»Eine Coruscanti-Waise namens Tika. Solo hat ihr versprochen, sie zu einem Planeten mit Tausenden wunderhübscher Frauen zu bringen, von denen eine ihre neue Mami werden würde, wenn sie diese eine Sache für ihn tat.«

Tenel Ka schlug sich die Hand vor den Mund. Das war bloß ein weiterer Schock - und noch der geringste angesichts der Neuigkeiten, mit denen sie in den wenigen Minuten seit Wiedererlangen ihres Bewusstseins konfrontiert worden war -, aber irgendwie war das ein noch größerer Beleg für Jacens Unmenschlichkeit als all die Morde, die er begangen hatte, um Allana in seine Gewalt zu bringen.

Isolder trat vom Monitor zurück. Jacen Solo tauchte auf dem Bildschirm auf; er trug seine Colonel-Uniform der Garde der Galaktischen Allianz und blickte finster drein.

»Ich grüße Euch, hochverehrte Königinmutter des Hapes- Konsortiums.« Seine Stimme troff nicht unbedingt vor Sarkasmus, doch die übertriebene Förmlichkeit, die er an den Tag legte, und dass er Tenel Ka wie irgendeine beliebige Herrscherin behandelte und alles ignorierte, was sie einander bedeutet hatten, war nicht minder schmerzvoll. »Bei Kuat habt Ihre mich in eine unhaltbare Position gebracht. Meinen Feinden überlassen zu werden, von Euch im Stich gelassen zu werden, für die ich einstmals größte Gewogenheit und Respekt empfand, war, wie einem Mordanschlag zum Opfer zu fallen ... und zu überleben.

Daher werde ich Euch jetzt dasselbe durchleiden lassen. Ich muss eine Entscheidung treffen, wie jene, die Ihr mir aufzwingen wolltet. Ihr werdet sämtliche hapanischen Militärstreitkräfte meinem Kommando unterstellen, während die Galaktische Allianz zudem die ranghöchsten Schiffsoffiziere stellen wird ... oder Eure Tochter stirbt.«

Jacen lehnte sich vor, sodass sein Gesicht den Monitorschirm fast zur Gänze ausfüllte. Seine Augen leuchteten, unmenschlich in ihrer Intensität und Konzentration. Selbst die Farbe der Iris schien heller als gewöhnlich. »Durch das, was Ihr mir angetan habt, habt Ihr mich zu jemandem gemacht, der nicht zögern wird, seine Worte in die Tat umzusetzen. Die ist keine leere Drohung, und falls es zum Äußersten kommt, ist das allein Euer Werk. Vielleicht solltet Ihr das im Hinterkopf behalten, wenn Ihr das nächste Mal das beliebte hapanische Spielchen von Verrat und Blutvergießen spielt.«

Der Schirm wurde dunkel.

Tenel Ka stieß den Atem aus, den sie anhielt, seit Jacen auf dem Monitor erschienen war. Isolder sagte nichts.

Schließlich wandte sie sich an ihn. Sie mühte sich, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen, was jedoch nicht einfach war; ihr Atem sollte als gequältes Keuchen über ihre Lippen kommen. »Prinz Isolder, ist er Eurer Meinung nach imstande, seine Drohung wahr zu machen?«

»Ich kenne ihn nicht annähernd so gut wie Ihr, Königinmutter. Aber ... ja.« Er warf einen Blick auf den Monitor. »Ich habe mir diese Aufnahme ein Dutzend Mal angeschaut, und jedes Mal sehe ich einen Mann vor mir, der jeden Funken Menschlichkeit eingebüßt hat.« Tenel Ka traten Tränen in die Augen. »Er hat recht, wisst Ihr.

Es ist tatsächlich, als würde man ermordet - und überlebt.«