Kapitel 19

 

Kyokas Augen glommen rot wie die eines tollwütigen Hundes im Lichtkegel von Scheinwerfern. Er blickte zu Smoky auf und sagte dann zu dem Jansshi: »Er kann uns nichts anhaben, ohne seine Freunde zu verletzen.«

Der Jansshi-Dämon nickte. Er war groß und dürr mit aufgedunsenem Bauch und sah aus wie die Karikatur eines Menschen; seine Haut war grünlich, und von den langen Klauen tropfte etwas, von dem ich nur annehmen konnte, dass es Gift war. Als er den Mund öffnete, sah ich seine scharfen, gezackten Zähne schimmern. Er bewegte sich torkelnd, mit tiefgebeugten Knien. Kein Wunder, dass die Werspinnen ihn mochten – er passte wunderbar zu ihnen.

Mir stockte der Atem. Der Jansshi machte mir eigentlich weniger Sorgen als Kyoka. Tausend Jahre in den U-Reichen mussten ihm völlig neue Perspektiven eröffnet haben, wie man jemandem das Leben schwermachen konnte. Seine Macht war während dieser Zeit vermutlich noch gewachsen, und seine Gesellschaft war nicht die beste gewesen. Zweifellos hatte Lianel ihn noch obendrein inspiriert.

Camille, Trillian und Morio waren dem Jansshi am nächsten. Sie bildeten einen Halbkreis und warteten darauf, dass er den ersten Zug tat, während Chase, Menolly und ich uns widerstrebend Kyoka gegenüberstellten. Smoky bewachte den Zugang zur Höhle. Da draußen waren eine Menge Spinnlinge, aber sie wussten, was ein Drache mit ihnen anstellen konnte, und blieben außerhalb seiner Reichweite, was bedeutete, dass er uns außerhalb ihrer Reichweite hielt.

In jeder Schlacht kommt irgendwann dieser eine Augenblick der Ruhe. Diese Stille dauert nur Sekundenbruchteile, während die Gegner einander einzuschätzen versuchen. Dann fällt die Startflagge, und die Reise in die Hölle nimmt ihren Lauf. So standen wir also am Rand des Abgrunds und warteten auf diesen unergründlichen Augenblick, wenn die Muse flüstert: »Jetzt.«

Kyoka hob die Arme, und als erwachte ich aus einem langen Traum, stürmte ich vor, die Klinge in der Hand. Neben mir zückte Chase seine Waffe und schoss, doch es nützte nichts. Kyoka bediente sich des Körpers eines Menschen, der bereits tot war. Es gab kein Herz, das zu schlagen aufhören konnte. Als Chase sah, dass nichts passierte, griff er zu seinem Nunchaku.

Rechts von mir trat Menolly in Aktion. Kyoka wirbelte zu ihr herum und murmelte etwas. Sie erstarrte mitten in der Bewegung, als hätte sie sich in Porzellan verwandelt. Scheiße – er kannte Zauber, die bei Untoten wirkten! Ich hieb mit dem langen Dolch nach ihm und traf ihn am Oberarm, aber er lachte nur, trat aus der Drehung zu und traf mich so heftig in den Bauch, dass ich gut drei Meter rückwärts flog. Ich prallte hart auf und rappelte mich gerade rechtzeitig hoch, um Chase angreifen zu sehen.

Camille und Morio beschworen zusammen irgendeine Macht. Sie hielten sich an den Händen und konzentrierten sich auf den Jansshi. Der Dämon versuchte Trillian anzugreifen, doch der wich tänzelnd aus, zog drei Wurfsterne hervor und schleuderte sie rasch nacheinander. Einer traf die Bestie in die Stirn. Der Jansshi jaulte laut auf, riss den Wurfstern aus seinem Kopf und ließ ihn zu Boden fallen. Camille und Morio nutzten diesen Augenblick, um abzufeuern, was immer sie da auch beschworen hatten. Ein Funkenregen zischte aus ihren Händen hervor wie Dolche aus Licht, direkt auf den Jansshi gezielt. Der kreischte, rieb sich die Augen und taumelte wild herum.

»Er ist geblendet!«, schrie Morio. Trillian riss sein Schwert aus der Scheide, sprang vor und schlitzte die Kreatur vom Bauch bis zur Kehle auf. Ein grotesker Haufen Eingeweide quoll heraus und flog durch die Luft, als der Dämon um sich schlug und rücklings umkippte.

Auf unserer Seite des Kampfes rückte Chase gegen Kyoka vor, indem er sehr geschickt sein Nunchaku durch die Luft wirbeln ließ. Wäre dies kein Kampf auf Leben und Tod gewesen, hätte ich innegehalten, um ihm fasziniert zuzuschauen.

Kyoka runzelte die Stirn und hob die Hände. Er machte sich bereit, einen weiteren Zauber loszulassen. Ich schnappte mir einen Stein, zielte und traf ihn hart an der Schulter. Mehr brauchte es nicht, um seine Konzentration zu brechen, und er fuhr verblüfft herum. Was auch immer er vorgehabt hatte, konnte er jetzt vergessen, denn Chase nutzte die Chance für einen Schlag, der Kyoka am Kopf traf.

Der Schamane torkelte rückwärts, doch plötzlich erregte ein Geräusch unsere Aufmerksamkeit, und wir alle drehten uns zu dem Podium um, auf dem Smoky hockte. Das Ei hinter ihm begann aufzubrechen, und ehe wir ihn aufhalten konnten, rannte Kyoka dorthin und landete mit einem Satz neben dem Ei, als es in einer Wolke aus Staub und Rauch vollends auseinanderbrach. Mit einem lauten Kreischen sank er langsam zu Boden, und sein Körper verfaulte vor unseren Augen wie ein ZeitrafferFilm aus einer Forensik-Doku.

Was zum Teufel...  ? War er tot? So einfach konnte es doch nicht sein, oder?

Und dann legte sich der Staub, und ein Wesen trat aus den Überresten des Eis hervor. Ein Alptraum, der mir nur allzu bekannt vorkam. Mit dem Oberkörper eines Mannes und dem Unterleib einer Spinne war er ein prachtvoller, schreckenerregender Anblick. Sein Haar, schwarz wie die Nacht, fiel ihm bis über die Schultern, und seine Augen glitzerten, doch der Rest seines Körpers war aufgedunsen und riesig, mit langen Gliederbeinen, die in messerscharfen Spitzen endeten. Sein Lachen hallte von der Decke wider, und ein irrer Glanz trat in seine Augen. Kyoka war wahrhaftig in all seinem ursprünglichen Glanz zurückgekehrt. Und mehr.

»Scheiße, die haben einen neuen Körper für ihn gezüchtet!« Ich wich taumelnd zurück, entsetzt und verängstigt – und doch wusste ich, dass wir jetzt nicht aufgeben durften.

Smoky stieß ein Brüllen aus, als der wahnsinnige Schamane ihn ansah und etwas sagte, das ich nicht verstand. Binnen Sekunden nahm der Drache wieder seine menschliche Gestalt an und schrumpfte zum Mann zusammen. Verflucht! Kyoka besaß die Macht, einen Drachen zu bannen?

»Toto, ich glaube, wir sind nicht mehr in Kansas«, flüsterte Chase. Ich blickte zu Menolly zurück, die sich inzwischen aus dem Statuen-Zauber gelöst hatte. Sie warf einen einzigen Blick auf Kyoka und wich hastig zurück.

Camille flüsterte Morio etwas zu, der heftig den Kopf schüttelte. »Das ist unsere einzige Chance«, sagte sie. »Tu es einfach. Uns bleibt nichts anderes übrig.«

Sie fassten sich wieder an den Händen und begannen den Zauber zu sprechen, den Camille gegen Lianel benutzt hatte. »Mordentant, mordentant, mordentant...  «

Trillian und Menolly traten vor sie, um Kyokas Angriffe abzuwehren, während die beiden die nötige Energie aufbauten. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Jetzt wusste ich, was für einen Zauber sie da wirkten: Todesmagie, einer der ältesten Zweige der Magie, mit die gefährlichste Art von Zauber für den, der ihn wirkte. Langsam baute sich die Energie auf, während Kyoka mit ungerührter Miene vorrückte. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass seine Krieger – die Werspinnen – nun die gleiche Gestalt angenommen hatten wie er. Sie drangen in die Höhle vor. Wir mussten etwas tun, und zwar sofort.

Schwindel überkam mich wie eine Woge, die aus den Tiefen meiner Seele anschwoll. Eine uralte Regung erwachte. Sie hatte schon einmal zu erwachen versucht, aber diesmal würde sie sich durch nichts aufhalten lassen. Ich ließ los und gab mich der Verwandlung hin, nur war es nicht meine TigerkätzchenGestalt, die ich annahm. Was auch immer diese neue Gestalt sein mochte, sie war riesig und wild und von einer Macht beseelt, die über die natürliche Welt hinausreichte.

Mein Kopf fiel zurück und rollte auf dem Hals hin und her, als Knochen wuchsen und Haut sich streckte und Fell aus jeder Pore spross. Ich fiel auf alle viere, meine Arme wurden länger, die Beine kürzer. Hände und Füße wurden zu Pranken, groß und schwarz mit dicken Ballen, stark vom vielen Laufen im Dschungel. Ein scharfer, ziehender Schmerz, und meine Wirbelsäule verlängerte sich. Klauen und Zähne wurden lang und scharf, und mein ohnehin schon hervorragender Geruchssinn intensivierte sich.

Das Mal auf meiner Stirn brannte, und ich konnte ihn ganz in der Nähe spüren. Er stand da, in einer Wolke aus Rauch und Feuer, und der Kranz aus Blättern um seinen Kopf flackerte wie die Kerzenkrone der Lucia. Sein Umhang streifte seine Stiefel, und mit jedem Schritt hinterließ er eine Spur aus Frost und Flammen.

Ich blickte auf und sah mich in seinen Augen gespiegelt, ein mächtiger schwarzer Panther, geschmeidig und muskulös, mit Augen so smaragdgrün wie der schimmernde Wald.

Der Herbstkönig beugte sich vor und berührte mich am Kopf. »Vollbringe den Auftrag, den ich dir erteilt habe«, sagte er. »Vernichte den Schamanen und schicke ihn und alle seine Kinder für immer ins Grab. Ich verleihe dir die Macht, dich dieser Gestalt zu bedienen.«

Und dann war ich wieder in der Höhle, doch außer mir war nur noch Kyoka da. Alle anderen waren verschwunden. Kyoka kam auf mich zu.

»Er hat dich also hergeschickt, damit du die Drecksarbeit für ihn machst?«, fragte Kyoka. »Beim ersten Mal hat er einen Wikinger ausgesandt, und jetzt einen Panther? Dann komm, Miez, Miez. Lass uns spielen.« Er forderte mich zum Angriff auf.

Ich stieß ein Gebrüll aus, das die Höhle erbeben ließ, und duckte mich zum Sprung.

Kyoka schoss einen Energiestrahl auf mich ab. Er traf mich an der Seite, ging aber glatt durch mich hindurch, harmlos wie Wasserdampf. Verblüfft schrie er auf. »Was zum Teufel – warum bist du nicht –«

Ehe er den Satz beenden konnte, stürzte ich mich auf ihn und versuchte, diesen Dolchen auszuweichen, die er anstelle von Füßen hatte. Ich schlug mit meinen Klauen nach ihm. Kyoka taumelte und fiel auf die Seite. Es war so leicht, wie eine Spinne mit einem Schuh zu erschlagen.

Flash. Ich erwischte ihn an der Brust, und er blutete stark, als ich sein Fleisch zerfetzte. Der Geruch seines Blutes weckte einen so tiefen Hunger in mir, dass ich wusste, ich würde ihn niemals stillen können.

Flash. Er packte mich, bekam meine Kehle zu fassen, und seine Hände wurden zu Schraubstöcken. Er verrenkte mir den Hals und versuchte, mir das Genick zu brechen.

Flash. Ich bäumte mich auf, biss dann zu und schlug die Zähne in sein Gesicht. Der Geschmack seines Blutes füllte meinen Mund, warm und köstlich, und heizte mich an.

Flash. Er schaffte es, eines seiner Gliederbeine an mir vorbei zu heben. Schmerz durchfuhr mein linkes Hinterbein, als er zustach, und ich jaulte laut auf. Rasend vor Zorn, erhitzt vom Feuer des Herbstkönigs, nahm ich all meine Kraft zusammen und biss noch einmal zu. Diesmal drangen meine Zähne in seine Schulter, in das weiche Fleisch an seinem Hals, und ich schloss blitzschnell die mächtigen Kiefer. Der tödliche Biss.

Kyoka schauderte, und der Raum drehte sich um mich.

 

Ich blinzelte und fand mich in einem dichten Nebelfeld wieder, in meiner gewohnten menschlichen Gestalt. Mein linkes Bein blutete, und ich stand vor Kyokas Geist, der über seinem toten Körper schwebte.

Als hätte ich das schon tausendmal getan, streckte ich die Hand aus und berührte die geisterhafte Präsenz. Visionen von Feuer und Zorn drangen in meine Gedanken. Männer, die unter der Folter starben, Frauen, die vergewaltigt und als Gebärmaschinen benutzt wurden, Kinder, deren Gestalt den neuen Wünschen nicht entsprach und die deshalb den jungen Spinnlingen zum Fraß vorgeworfen wurden. All diese Bilder spulten sich vor meinem inneren Auge ab wie ein Stummfilm, der auf der Leinwand eines verlassenen Kinos flackerte. Kyokas Erinnerungen – an sein Leben als Schamane, als er die widernatürlichen Werwesen erschaffen und ihre neue Gestalt perfektioniert hatte.

Es drehte mir den Magen um, und ich glaubte, mich übergeben zu müssen, aber eine Kraft, stärker als mein eigener Wille, verlieh mir Härte, und ich straffte die Schultern.

»Kyoka, im Namen des Herbstkönigs belege ich dich mit dem Fluch der Todesmaid: dem endgültigen Tod. Du wirst aus dieser und aus allen anderen Welten getilgt – geh. Kehr zurück ins Nichts. Kehr zurück in den See aus Feuer und Eis, aus dem wir alle einst hervorgingen. Du bist nicht mehr.«

Die Worte kannte ich gar nicht, und doch wusste ich, dass es die richtigen waren. Während ich sprach, gefror mir das Herz, und ich lenkte den Pfeil aus Frost direkt in seinen Geist. Wie eine Schneeflocke auf Asphalt schwand er dahin.

Kyoka war tot. Wahrhaftig und auf ewig tot, dem Nichts überantwortet.

Als die Präsenz des Herbstkönigs zu verblassen begann, hörte ich ihn sagen: »Du hast deine Sache gut gemacht. Du wirst meine erste lebende Abgesandte sein. Meine Tochter des Grabes.«

Damit verschwand auch er, und ich stand plötzlich mitten in der Höhle – meine Freunde liefen hektisch herum und schrien nach mir. »Delilah? Wo bist du? Gütige Götter, da ist sie ja!« Chase war mir am nächsten, und als ich zusammenbrach, fing er mich auf und legte mich sacht auf den Boden. Mein Bein brannte höllisch. Blinzelnd beobachtete ich, wie sie sich um mich drängten.

»Geht es dir gut?« Camille fiel neben mir auf die Knie. »Delilah, sag doch was. Wo warst du? Was ist passiert? Wo ist Kyoka?«

Ich blickte mich um. Von dem Schamanen war nichts zu sehen. Sein Leichnam war verschwunden. Smoky war wieder zu sich gekommen und bewachte die Tür, obwohl die übrigen Spinnlinge offenbar hastig den Rückzug angetreten hatten.

»Wie lange war ich weg?«, brachte ich mühsam hervor.

»Eine gute Viertelstunde. Kyoka ist im selben Moment verschwunden wie du.« Camille musterte mich aufmerksam. »Große Mutter, das Mal auf deiner Stirn!«

»Was? Was ist damit?«

Menolly kniete sich zu ihr. Die Männer hielten sich zurück, wohl eher aus Respekt denn aus mangelnder Neugier. »Es dreht sich im Kreis – und es schimmert, golden, schwarz und rot.«

Ich hob die Hand und berührte meine Stirn leicht mit den Fingern. Sie kribbelte, und ich spürte die Anwesenheit des Herbstkönigs, gerade so außerhalb meiner Reichweite. »Ich glaube, was gerade passiert ist, hat die Macht seines Mals aktiviert.«

»Erzähl uns alles«, sagte Camille mit besorgter Miene.

Also erzählte ich.

 

»Venus braucht ärztliche Hilfe«, sagte Camille schließlich, nachdem ich fertig war. »Und wir müssen Rhonda...  Rhondas Leichnam nach Hause zu ihrer Familie bringen.«

Ich nickte stumm. Trillian ging hinüber in die andere Höhle und kehrte mit Rhonda auf den Schultern zurück. Smoky hob Venus hoch, so vorsichtig, als trüge er ein Kind auf den Armen, und Menolly sammelte den Jansshi-Dämon und Lianel ein. Wir würden ihre Leichen nach Elqaneve bringen, genau wie die der ersten Höllenspäher.

Morio und Camille verbrannten die Eier und Spinnennetze in dem anderen Tunnel. Ich stützte mich auf Chases Schulter, und wir verließen die Höhle. Niemand griff uns an. In der ganzen Höhle war nichts von anderen Lebewesen zu hören oder zu sehen, und ich fragte mich, wohin sich die restlichen Feinde verstreut haben mochten. Vielleicht hatte der Herbstkönig sie getötet. Vielleicht hatten sie ihre Niederlage erkannt und waren geflohen. Wie auch immer, fürs Erste waren sie weg.

Schweigend stapften wir durch den Schnee zurück zu dem Waldweg. Als wir zwischen den Tannen hindurchgingen, die neben dem Pfad aufragten, stand der Geistwächter respektvoll da und nickte stumm, als wir an ihm vorbeigingen. Ich warf ihm einen Blick zu, und ein wissendes Lächeln breitete sich über sein Gesicht, doch er sprach kein Wort.

Wir beluden die Autos und packten den Dämon in einen Kofferraum und Lianels Leiche in den anderen. Rhonda hüllten wir in eine Decke, und ich setzte mich mit ihr nach hinten und überließ Chase das Lenkrad. Smoky und Trillian nahmen hinten in Morios Jeep Platz und betteten Venus quer über ihre Beine. Als alle eingestiegen waren, fuhren wir los in die eisige Nacht.

Ich betrachtete Rhondas Leichnam. Was sollte ich Zach sagen? Inzwischen war ich so erschöpft, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Ich lehnte den Kopf zurück, schloss die Augen und driftete weg, als wir den Freeway erreichten. Nach allem, was wir durchgemacht hatten, nach allem, was wir gesehen und getan hatten, gab es nichts mehr zu sagen.

∗∗∗ Bis wir das Haus erreichten, war Venus wieder zu sich gekommen. Seine Wunden waren schrecklich, aber er würde durchkommen. Smoky trug ihn ins Badezimmer.

»Chase und Morio, würdet ihr Venus helfen? Ihn waschen und seine Wunden versorgen?«, bat ich. Die beiden nickten und folgten Smoky ins Bad.

Menolly lud den Dämon und Lianel aus und lagerte sie vorerst auf der hinteren Veranda, während Camille und Trillian eine Runde drehten, um nach dem Grundstück und den Schutzbannen zu sehen. Mein Bein blutete nicht mehr. Die Wunde musste gesäubert und das Bein ein paar Tage geschont werden, aber falls Kyoka versucht haben sollte, mich zu vergiften, hatte das nicht funktioniert. Mir fehlte weiter nichts.

Ich ging zu Zach ins Wohnzimmer und schloss die Tür hinter mir. Er lag auf dem Sofa. Ich setzte mich zu ihm und nahm seine Hand. »Ich muss dir etwas sagen«, begann ich und wusste dann nicht, wo ich anfangen sollte. »Wir haben Venus gefunden. Er ist verletzt, aber er wird es überleben. Aber es hat einen heftigen Kampf gegeben. Wir haben jemanden verloren...  «

Zach blickte zu mir auf, und in seinen Augen glänzten Tränen. »Rhonda?«

Ich nickte und kam mir vor, als hätte ich ihm ein Messer in den Bauch gerammt. »Sie ist gestorben, um Camille zu retten. Sie war eine wahre Kriegerin, bis zum Schluss. Wir haben ihren Leichnam mitgenommen, damit du sie nach Hause bringen kannst.«

Sein Gesicht verzerrte sich. Ich wünschte verzweifelt, ich könnte ihm die Schmerzen nehmen – es hatte schon so viel Schmerzen gegeben –, beugte mich hinab und küsste ihn sacht auf den Mund. Er schlang die Arme um mich und zog mich an sich, und ich ließ ihn gewähren. Er hatte in den letzten Wochen so viel durchgemacht, dass ich es nicht über mich brachte, ihn zurückzuweisen.

»Sie war gut...  zu gut für mich. Wir waren einfach noch nicht bereit für eine Ehe, aber ich habe nie aufgehört, sie zu lieben«, sagte er, und seine Stimme brach.

Ich wollte seinen Schmerz lindern, wollte seine Verwirrung ebenso besänftigen wie die Furcht in meinem eigenen Herzen. So viel war geschehen, so viel geschah immer noch. Es würde viel Zeit kosten, das alles zu verstehen, und ich war nicht sicher, ob wir diese Zeit haben würden. Das zweite Siegel war noch immer irgendwo da draußen, und wir mussten es vor Schattenschwinge finden.

Zach richtete sich halb auf, schob die Hand unter meine Bluse und tastete nach meiner Brust.

»Ich bin völlig verdreckt und mit Blut beschmiert«, flüsterte ich, aber er wischte meinen Protest beiseite. Ich wollte ihn nicht zurückweisen und ließ ihn den Reißverschluss meiner Jeans öffnen und sie mir von der Hüfte ziehen. Er rollte mich herum und schob sich zwischen meine Beine.

»Du darfst dich nicht anstrengen«, flüsterte ich, doch er schüttelte nur immer wieder den Kopf, und schließlich öffnete ich mich ihm, während er mich mit Küssen bedeckte. Ich sehnte mich danach, einen Hauch von Leben inmitten von so viel Tod und Zerstörung zu finden, und als er sanft in mich eindrang und mit jedem Stoß tiefer rührte, erschauerte ich und stieß Gedanken, Erinnerungen und düstere Visionen beiseite.

»Delilah, ich brauche dich«, flüsterte er. »Du bist die erste Frau, die ich begehre, seit Rhonda und ich uns getrennt haben. Liebe mich. Lass mich dich lieben.«

Ich hielt ihn fest, bewegte meine Hüfte mit seiner, und meine Brüste schmerzten vor Sehnsucht, dass ich glaubte, ich würde explodieren. Er senkte den Kopf, nahm eine Brustwarze in den Mund und saugte daran, und das flackernde Feuer seiner Zunge trieb mich dem Höhepunkt entgegen. Wohin ich auch blickte, ich war umgeben von Feuer und Eis, Flammen und Gletschern, Leidenschaft und Tod.

»Ich kann dich nicht lieben«, keuchte ich und passte mich seinem Rhythmus an. »Sosehr ich dich auch mag, meine Liebe kann ich dir nicht geben.« Noch während ich das sagte, brach ich endlich aus dem Nebel hervor und vernahm, was mein Herz mir zuflüsterte. Irgendwie, so unerklärlich das auch sein mochte, hatte ich mich in Chase verliebt. Ich fühlte mich geborgen bei ihm. Ich fühlte mich heimisch. Meinem Körper war es in diesem Augenblick gleich, wer Schmerz und Erschöpfung wegwischte, aber mein Herz gehörte dem VBM, der mir so etwas wie Wurzeln geschenkt hatte, und seien sie noch so frisch und verletzlich.

»Dann gib mir das hier«, sagte Zach. »Diese eine Nacht.« Und mit einem letzten, kraftvollen Stoß drang er in mein Innerstes vor und katapultierte mich über den Rand des Abgrunds. Ich schwankte noch einen Augenblick, dann ließ ich mich fallen, ergab mich der Leidenschaft, überließ mich der wilden Energie, die zwischen uns aufwallte – Puma und Panther, Puma und Hauskatze, Werwesen und Fee. Ich biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien, und bäumte mich auf, als ich kam; ein Funkenregen knisterte an meinem ganzen Körper entlang und brachte mir die köstliche Erlösung.

Als es vorbei war, wartete ich einen Moment, bevor ich ihn sanft von mir schob. »Ich muss aufstehen, Zach. Ich muss mich anziehen.« Rasch stand ich auf, brachte meine Kleidung in Ordnung und versuchte verzweifelt, mich zu sammeln, ehe Chase so über uns stolpern konnte.

»Es ist dein Detective, nicht wahr?«, fragte Zach, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Du hast dich in ihn verliebt, und du befürchtest, er würde das hier nicht verstehen.«

Ich nickte, verblüfft über seine Einsicht und Klugheit. »Wir haben zwar darüber gesprochen, aber wenn es wirklich zur Sache geht, weiß ich nicht, ob er damit klarkäme, dass ich mit jemand anderem schlafe. Bitte sag nichts. Ich werde es ihm sagen, aber...  lass es mich auf meine Weise tun.«

Zachary nickte. »Wie du willst. Aber, Delilah«, sagte er, »glaub ja nicht daran, dass du wirklich eine Beziehung mit ihm führen könntest. Hoffe nicht einmal darauf. Es wird auf die Dauer nicht funktionieren. Du brauchst mehr, als er dir geben kann, auch wenn du das jetzt nicht glauben willst. Ich bin vielleicht nicht derjenige, den du brauchst, aber er ist es ganz gewiss nicht. Glaub mir.«

Ich wischte mir den Mund ab und verzog das Gesicht, als die Wunde an meinem Bein wieder aufriss. »Ich bin verletzt. Ich muss nach meinem Bein sehen«, war alles, was ich dazu sagte.

Als ich die Tür hinter mir zuzog, graute mir bereits vor den nächsten Tagen; sobald sich alles halbwegs beruhigt hatte, würde ich Chase sagen müssen, was ich getan hatte.