Kapitel 10

 

Um genau halb fünf wachte Menolly auf. Sie brachte Maggie mit herauf, setzte sich mit ihr in den Schaukelstuhl und spielte mit der Kleinen, während Iris und ich ihr berichteten, was passiert war. Camille und Morio waren immer noch unterwegs, hatten aber eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, dass sie später kommen würden und wir uns keine Sorgen machen sollten.

»Dann musst du mich wohl zu meinem Treffen begleiten«, sagte Menolly. Zu den Spinnen und Cromwell sagte sie nicht viel, aber ich sah ihr an, dass sie aufmerksam zuhörte und über alles nachdachte, was wir ihr erzählten.

Ich nickte. »Ich will mich nur schnell umziehen. Ich habe immer noch ein paar Federn von diesem Truthahn an mir.«

»Truthahn?«, fragte Menolly und warf Iris einen kurzen Blick zu, die ein Kichern unterdrückte.

Ich streckte den Rücken und nickte. »Na los, Iris, erzähl es ihr schon. Bevor du platzt.« Ich verließ die Küche und konnte auf dem ganzen Weg die Treppe hinauf Iris und Menolly schallend lachen hören. Zweifellos über mich.

Ich warf meine schmutzigen Sachen in den Wäschekorb und beschloss, noch schnell zu duschen. Das Meeting begann um acht. Im Frühling und Sommer fingen sie gegen elf Uhr abends an, damit die Sonne auch wirklich niemanden in Gefahr brachte, aber jetzt, an den späten Winterabenden, vor allem im Dezember, wenn alle mit ihren Plänen für die Feiertage beschäftigt waren, hielten die Anonymen Bluttrinker ihre Treffen am frühen Abend ab. So konnten die Mitglieder noch ihre Angehörigen und Freunde sicher nach Hause begleiten, ehe sie loszogen, um zu trinken.

Bis ich wieder herunterkam, hatte sich auch Menolly umgezogen – sie trug einen langärmeligen Pulli und einen wadenlangen Leinenrock in Blaugrün und braune Lederstiefel mit hohen Absätzen. Ihre rostroten Locken kamen vor dem Blaugrün gut zur Geltung, und sie hatte versucht, ihren Wangen etwas Farbe zu verleihen – leider war dies nicht ihr gelungenster Look. Selbst das blasseste Rouge wirkte auf ihrer Alabaster-Haut grell wie Clownsschminke. Sanft hob ich die Hand, spuckte darauf und begann ihre Wangen abzuwischen. Sie verdrehte die Augen.

»Schon gut, schon gut, verstanden. Ich gehe und wasche es ab«, stöhnte sie.

»Der Lipgloss sieht toll aus, aber das Rouge...  «

Sie schob Maggie in meine Arme und ging ins Bad. Als sie zurückkam, sah sie wieder normal aus. Ich gab Maggie an Iris weiter, und Menolly und ich machten uns auf den Weg.

Die Nacht war klar und kalt, und die Temperatur fiel weiter ab. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke hoch, aber die eisige Brise riss jede Wärme von meinem Körper fort. Menolly machte sich nicht die Mühe, Jacken zu tragen. Das Wetter berührte sie nicht. Wenn es nicht gerade regnete oder die Jacke toll zu ihrem Outfit passte, verzichtete sie auf so etwas.

Sie bestand darauf, selbst zu fahren, also ließ ich mich auf dem Beifahrersitz nieder, lehnte mich zurück und dachte an Cromwell den Kater, an Zachary und den Jägermond-Clan. Das Letzte, worauf ich jetzt Lust hatte, war ein Treffen einer Selbsthilfegruppe für Vampire. Das Blut eines Happy Meal auf zwei Beinen zu trinken, schien mir irgendwie nicht allzu viel besser, als seinen Opfern die vorverdauten inneren Organe auszusaugen, aber da Menolly unsere Unterstützung und die der Gruppe tatsächlich annahm, wäre ich nicht im Traum darauf gekommen, deswegen irgendwelche Wellen zu schlagen.

»Okay«, sagte sie, als sie sich anschnallte. »Es geht los.«

Sie legte den Gang ein, und wir bogen aus der Einfahrt auf die nächtliche Straße ein.

 

Das Meeting war schon in vollem Gange, als wir ankamen, und meine Laune besserte sich ein wenig. Die meisten Vampire, die an Wades Gruppe teilnahmen, gaben sich wirklich Mühe, friedlich mit den Lebenden zu koexistieren. Obwohl es eigentlich ihrer neuen Natur zuwiderlief, hatten sie sich dafür entschieden, ihr Leben – na ja, ihr Dasein – so gut wie möglich zu führen.

Einige hatten einen festen Job, ein paar waren verheiratet, andere setzten ihr gesellschaftliches Leben fort oder engagierten sich weiterhin für ihre sozialen Projekte. Die meisten waren ursprünglich VBM. Und ja, sie alle tranken Blut, aber sie bemühten sich, vorsichtig zu sein – der Großteil ihrer Mahlzeiten spazierte relativ unversehrt von dannen, nur eben um ein, zwei Tassen leichter.

Während der vergangenen zwei Monate hatte Menolly gemeinsam mit Sassy Branson, einer Society-Lady, die zum Vampir geworden war, hart daran gearbeitet, der bunten Mischung von Untoten, die zu diesen Meetings kamen, ein bisschen Ordnung und Manieren beizubringen. Die Goths, die früher schmuddelig und mit getrocknetem Blut besudelt zu den Treffen gekommen waren, erschienen nun sauber und ordentlich gekleidet, wenn auch immer noch in ihrem obligatorischen Schwarz.

In der Gruppe gab es auch ein paar Computer-Freaks, aber jetzt wuschen sie sich das Haar und zogen frische T-Shirts an. Tad Radcliffe war ein besonders niedlicher, mit einem Pferdeschwanz, der ihm bis zum Po reichte. Er hatte seine äußerst lebendige Freundin mitgebracht, die etwa so nervös wirkte wie eine Katze in einem Hundezwinger. Der andere Computer-Freak, Albert, war ein pummeliger junger Mann, der mich immer an den Comicladen-Besitzer aus den Simpsons erinnerte, und er jammerte permanent über sein böses Schicksal.

Er hatte nicht ganz unrecht, wenn ich so darüber nachdachte. Nie wieder würde er sein Lieblingsessen – Whopper und Nachos – mit einem Budweiser herunterspülen können; aber er würde auch niemals die Plauze loswerden, die er sich vor seinem Tod mit anschließender Wiedergeburt angefressen hatte. Auch er hatte seine kostbarste Verbindung zum Leben dabei: seinen besten Freund, einen knorrig aussehenden Kerl in einem Red Dwarf -Sweatshirt.

Wieder andere drückten sich in den Schatten herum: eine junge Frau, die furchtbar unsicher wirkte, ob sie hier überhaupt richtig sei; ein Vampir der alten Schule, der es genoss, seinen Opfern eine Heidenangst einzujagen, und darauf bestand, in voller Dracula-Aufmachung herumzulaufen – mitsamt dem schwarzen Cape und allem Drum und Dran; und eine bemerkenswert schöne Frau, die aussah wie ein skandinavisches Skihäschen. Keiner von ihnen redete viel, und alle sahen entweder wütend oder gelangweilt aus, aber sie kamen Woche für Woche, angezogen vom Hauch eines gesellschaftlichen Lebens, das sie in der gewöhnlichen Welt nicht mehr haben konnten.

Sassy Branson war auch jedes Mal da. Sie warf uns schon Küsschen zu, als wir zur Tür hereinkamen. »Ihr habt doch meine Weihnachtsparty nicht vergessen, oder?«, fragte sie mit ihrer klingenden, leicht rauchigen und berauschenden Stimme.

Sassy war eine schicke Society-Lady aus den besten Kreisen von Seattle; ihre Freunde wussten nichts von ihrem UntotenLeben. Sie blieb tagsüber natürlich zu Hause, pflegte ihr Image als zurückgezogen lebende Exzentrikerin, und nachts ging sie dann aus oder gab Partys.

»Steht schon im Kalender«, erwiderte ich lächelnd. »Am zweiundzwanzigsten, in der Nacht nach der Sonnenwende, richtig?« So würden wir sogar Zeit haben, sowohl ihre Party als auch das Julfest zu genießen.

Menolly begrüßte Sassy mit einem Lächeln, doch noch während sie ein paar Worte mit ihr wechselte, suchte sie den Raum ab. Ich wusste, nach wem sie Ausschau hielt: Wade Stevens, der die Anonymen Bluttrinker auf die Beine gestellt hatte. Er und Menolly waren ein paarmal miteinander ausgegangen, seit sie sich hier kennengelernt hatten.

Ihre Miene hellte sich auf, und ich folgte ihrem Blick zum Podium. Da stand er, mit für immer stacheligem, für immer blondgebleichtem Haar. Wade war etwa eins fünfundsiebzig groß und kräftig, aber fit. Er trug eine Brille – die er natürlich gar nicht mehr brauchte – und saubere Jeans mit einem weißen T-Shirt und einem offenen Hawaii-Hemd darüber.

»O-oh«, sagte Menolly leise.

»Was ist denn?« Ich blickte mich um. Alle schienen sich gut zu benehmen. Ich sah nirgends ein Handgemenge, Fauchen oder ausgefahrene Reißzähne. Da dies der eine Abend im Monat war, an dem alle Angehörige und Freunde mitbringen sollten, benahmen sich sämtliche Vampire – sogar der MöchtegernVlad – vorbildlich.

»Schau mal da rüber. Neben Wade.« Sie starrte finster hinüber.

Ich folgte ihrem Blick. Neben Wade stand eine Frau, die offensichtlich ebenfalls ein Vampir war, aber so einen Vampir hatte ich noch nie gesehen. Ihr Haar war streng zu einem riesigen, aufgebauschten, kupferroten Dutt hochgesteckt. Sie war klein und stämmig und trug einen Polyester-Hosenanzug. Ihre Handtasche war groß genug, um einen Straßenräuber damit zur Strecke zu bringen. Und Wade hatte ihre Nase und ihre Augen.

»Ihr guten Götter, ist das seine Mutter?«, fragte ich und konnte den Blick nicht mehr von den beiden losreißen. »Bitte sag jetzt nicht, dass sie auch –«

»Ein Vampir ist? Ja, ist sie. Ich hatte sehr gehofft, sie nie kennenzulernen, aber offenbar hat sie beschlossen, dass es an der Zeit ist, sich mal anzusehen, was Wade hier so treibt.« Menolly runzelte die Stirn.

Wade sah auch etwas genervt aus. Seine übliche Fröhlichkeit wirkte bemüht, und er war noch blasser als sonst. Aber als er aufblickte und uns entdeckte, verschwand der düstere Ausdruck aus seinem Gesicht, und er winkte uns zu sich herüber. Menolly seufzte tief, während wir uns durch die Stuhlreihen nach vorn arbeiteten.

»Bringen wir es hinter uns«, sagte sie. »Dies könnte mein letzter Abend mit Wade sein.«

»Ich bin hier diejenige, die befürchten muss, dass seine Mutter beißen könnte. Was hast du denn?«, zog ich sie auf.

»Du verstehst das nicht«, sagte sie. »Du hast noch nie gehört, wie Wade über seine Mutter spricht. Nicht zu fassen, dass jemand sie tatsächlich in einen Vampir verwandelt hat. Dem Vollidioten, der das getan hat, würde ich am liebsten die Eier abreißen.«

Ich erstickte an meinem unterdrückten Lachen, und Menolly klopfte mir kräftig auf den Rücken, aber es war schon zu spät. Wades Mutter hatte mich husten gehört und drehte sich nach uns um. Binnen Sekunden war sie bei uns und wühlte in dieser gigantischen Handtasche herum. Schließlich fand sie, was sie gesucht hatte – ein Hustenbonbon – und hielt es mir ungeduldig hin.

»Hier, meine Liebe, Sie hören sich an, als hätten Sie sich erkältet. Nehmen Sie das – na los, nehmen Sie schon!«, beharrte sie, als ich den Kopf schüttelte. »Ich habe reichlich davon, und Sie – Sie weilen noch unter den Lebenden. Wenn Sie das nicht nehmen, bekommen Sie am Ende noch eine Lungenentzündung, und eines sage ich Ihnen, ein hübsches Mädchen wie Sie will doch bestimmt nicht krank werden. Sie besitzen schließlich nicht unseren natürlichen Schutz gegen Krankheiten, wissen Sie? Nun nehmen Sie schon, das wird Ihren Husten beruhigen. Nehmen Sie es!«

Sie drückte mir das Hustenbonbon in die Hand, wandte sich Wade zu und klopfte ihm strafend auf den Arm. »Nun steh doch nicht einfach da herum. Stell mir die Damen endlich vor!«

Wade schloss kurz die Augen, als versuchte er es mit dieser alten Ich schlafe nur, und wenn ich die Augen wieder aufmache, ist alles vorbei-Nummer. Als er blinzelte und sah, dass sie immer noch da war, lächelte er gezwungen.

»Mutter, das ist Delilah D’Artigo. Und das ist ihre Schwester Menolly. Ich habe dir von Menolly erzählt, weißt du noch? Mädels, das ist meine Mutter, Mrs. Belinda Stevens.«

Wades Mutter musterte uns von oben bis unten, als wären wir zwei streunende Katzen, die ihr Sohn mit nach Hause geschleppt hatte. Vor allem Menolly. Sie lächelte uns strahlend an, aber ihre Augen blieben kalt. Ob diese Reserviertheit etwas damit zu tun hatte, dass sie ein Vampir war, wusste ich nicht recht. Sie streckte langsam die Hand aus, beinahe so, als wollte sie uns eigentlich lieber nicht anfassen.

Menolly nahm die Hand und schüttelte sie mit einem Druck, der Mrs. Stevens nach Luft schnappen ließ. Ich nickte ihr nur zu.

»Ich freue mich ja so, euch kennenzulernen, Mädchen.« Sie beäugte uns unverhohlen. »Wade hat mir erzählt, dass Sie beide Halbfeen sind.« Das Wort Feen sprach sie dermaßen gedehnt und nasal aus, dass es sich anhörte wie eine grauenhafte Krankheit. »Sie haben noch eine weitere Schwester, nicht wahr? Das ist doch die mit den engen Korsetts, bei denen man sich immer wundert, dass ihr nicht alles oben herausfällt, nicht wahr?«

Menolly hüstelte, als wollte sie etwas dazu sagen, doch ich stieß ihr den Ellbogen in die Rippen, und sie wandte den Kopf ab.

Belinda Stevens gehörte zu jenen Frauen, die am meisten gefürchtet werden, erdseits wie in der Anderwelt, ganz gleich, ob man eine Fee war, ein Vampir, Werwesen oder ein Mensch: die Mutter des Freundes.

»Camille ist einmalig«, sagte ich, damit Menolly den Mund hielt. »Sie ist so energisch und lebhaft, und ohne sie wären wir verloren.«

Wade trat näher an seine Mutter heran und berührte sie am Ellbogen. »Zieh die Reißzähne ein, Mutter. Das sind meine Freundinnen.«

»Und Menolly hier ist mehr als nur irgendeine Freundin, behauptest du jedenfalls.« Mrs. Stevens zog die Augenbrauen hoch – eine gelungene Imitation von Mr. Spock – und legte ihre Handtasche auf dem nächsten Stuhl ab. »Dann erzählt mal, Mädchen, wie lange seid ihr schon auf der Erde?«

»Wir ziehen die Bezeichnung erdseits oder Erdwelt dem Ausdruck auf der Erde vor. Schließlich sind wir keine Außerirdischen von einem fremden Planeten«, erklärte Menolly kühl. »Die Anderwelt und die Erdwelt waren in der Vergangenheit eng miteinander verbunden. Vor langer Zeit.«

»Ich verstehe«, sagte Mrs. Stevens. Ganz offensichtlich tat sie das nicht. »Und wie lange sind Sie nun schon erdseits

»Etwa sieben...  acht Monate.« Menollys Augen bekamen einen Glanz, der mir gar nicht gefiel. Ich hatte diesen Blick schon früher bei ihr gesehen, wenn sie etwas anstarrte, das sie als Schandfleck im Universum betrachtete. Trillian zum Beispiel, oder Weinschorle oder Kakerlaken.

»Und seit wann sind Sie ein Vampir, meine Liebe?« Honig wäre flüssiger gewesen als die klebrige Süße, die von der Zunge dieser Frau troff.

Menolly seufzte laut. Offensichtlich hatte Wade seine Mutter nicht vorgewarnt, welche Themen sie lieber nicht ansprechen sollte, denn sonst wäre sie nicht so aufdringlich gewesen. »Seit zwölf Erdenjahren, Mrs. Stevens. Und Sie? Wie lange ist es her, dass Sie getötet und wieder auferweckt wurden?«

Mrs. Stevens blinzelte, als wäre sie überrascht, dass man ihr eine so intime Frage zu stellen wagte. »Zwei Jahre. Im Grunde bin ich ja dankbar dafür. So kann ich für immer auf meinen kleinen Jungen aufpassen«, sagte sie und tätschelte Wades Arm.

Er verzog das Gesicht, und ich hörte, wie Menolly scharf den Atem einsog – das war purer Reflex, denn sie musste ja nicht mehr atmen. Ich packte ihre Schulter und grub die Finger hinein. Sie erstarrte und entspannte sich dann sichtlich.

»Na, ist das nicht lieb?«, sagte sie, als Wade ihr einen hoffnungslosen Blick zuwarf. Nichts, was er tat, würde seine Mutter jemals von ihrer Berufung abhalten, persönlichste Informationen zu sammeln und zu horten.

Mrs. Stevens überlegte einen Moment lang und sagte dann: »Zwölf Jahre? Sie müssen noch ein junges Mädchen gewesen sein, als es passiert ist. So wenig Lebenserfahrung; welch ein Jammer.«

Da wurde es Menolly zu viel. »Ich bin vermutlich fast so alt, wie Sie waren, als Sie gestorben sind, nur dass ich verdammt viel besser aussehe. Ich bin die Jüngste meiner Schwestern, und zurzeit bin ich – inklusive meiner zwölf Jahre als Vampir – etwa fünfundfünfzig Jahre alt, nach Ihrem Kalender gerechnet. Möchten Sie sonst noch etwas wissen? Mit wie vielen Männern ich schon geschlafen habe oder vielleicht meine Körbchengröße?«

O-oh. Ich wollte nicht zwischen die Fronten geraten und verdrückte mich zu Sassy Branson. Sie mochte mich. Sie würde mich beschützen, falls irgendetwas passierte. Denn ich wusste, dass ich nicht den Hauch einer Chance hatte, mich aus einem ganzen Raum voll gereizter Vampire hinauszukämpfen.

Aus Versehen machte ich einen Schritt zu viel und landete auf Sassys Schoß – sie saß direkt hinter mir. Prompt schlang sie die Arme um mich und zog mich noch dichter an sich, um mir ins Ohr zu flüstern: »Ich wette, Menolly wünscht, sie könnte seiner Mutter auf der Stelle einen Pflock durchs Herz rammen. Ein Jammer, dass das nicht geht. Jedenfalls nicht hier. Hör mal, falls es Ärger gibt, bleib einfach dicht bei mir, ja?« Dann stieß sie einen zittrigen Seufzer aus. Mir wurde klar, dass sie meinen Pulsschlag hören konnte, und obwohl ich mich sofort losreißen und weglaufen wollte, wusste ich, wie dumm das gewesen wäre. Also nickte ich nur.

Die kleine Versammlung schien zu erstarren, und die anderen – lebenden – Gäste wichen erschrocken zu den Ausgängen zurück. Das Letzte, was wir jetzt brauchten, war ein handfester Streit, der den Vampiren die Sicherungen durchbrennen ließ. Mrs. Stevens hatte zwar nicht gerade Model-Maße, aber der Anblick von zwei Frauen, die hier ein kleines Wrestling-Match ausfochten und auf dem Boden herumrollten, könnte genügen, um die Männer durchdrehen zu lassen, und die Tatsache, dass hier ein paar wandelnde Mahlzeiten wie ich unterwegs waren, würde ihre Erregung nur anheizen.

Wade drängte sich zwischen Mrs. Stevens und Menolly. Sanft schob er die beiden auseinander. »Mutter, Menolly, das reicht. Wir wollen hier keinen Streit.« Er sah eine nach der anderen ernst an.

Sprich für dich selbst, Psycho-Fuzzy, dachte ich. Menolly liebte einen handfesten Streit. Und es sah ganz so aus, als sei Mrs. Stevens einer Prügelei auch nicht abgeneigt, obwohl ich darauf wetten würde, dass sie das niemals zugegeben hätte.

»Bitte, Mutter«, flüsterte er so leise, dass ich ihn kaum hören konnte. Ich verstand ihn nur dank meiner scharfen Katzensinne. »Das ist meine Gruppe. Bring mich vor diesen Leuten nicht in Verlegenheit.«

Sie bedachte ihn mit einem dieser eisig-starren Blicke, die nur erzürnte Mütter draufhaben, seufzte dann und setzte sich kopfschüttelnd auf einen Stuhl. »Wie du willst. Sieh einfach über die Tatsache hinweg, dass ich dich geboren und zweiunddreißig Stunden lang in den Wehen gelegen habe. Sieh darüber hinweg, dass ich dir das Medizinstudium ermöglicht habe, nachdem dein nichtsnutziger Vater uns sitzengelassen hat, und dass ich dafür gesorgt habe, dass du immer genug zu essen und saubere Kleidung zum Anziehen hattest. Du bist ja jetzt erwachsen. Aber ich wollte doch nur, dass du glücklich wirst. Ich versuche nur, ein wenig mehr über dieses Mädchen herauszufinden, in das du dich verliebt hast, und ihr beide bringt mich beinahe um wegen ein paar harmloser Fragen. Nein, nein, kümmere dich nicht um mich – ich bin nur eine alte Frau, was zählen schon meine Gefühle –«

Wade presste die Lippen zusammen und blickte kopfschüttelnd zur Decke auf. »Es tut mir leid, Mutter. Du weißt, wie sehr ich alles schätze, was du für mich getan hast –«

»Und was ich weiterhin für dich tue, und jetzt sieht es so aus, als würde ich auf ewig deine Mutter sein oder zumindest so lange, bis du mich mit deiner Herzlosigkeit in die Sonne hinaustreibst!«

Menolly biss sich so heftig auf die Lippe, dass ich Zahnabdrücke sehen konnte. Sie berührte Wade am Arm. »Wie wäre es, wenn wir jetzt das Meeting eröffnen?« Sie ignorierte Mrs. Stevens vollständig, wandte sich ab und ging – ebenso gut hätte sie der Frau ins Gesicht schlagen können.

Ich drehte mich um und suchte verzweifelt irgendetwas, womit ich mich ablenken konnte, damit ich nicht in hysterisches Gelächter ausbrach. Sassy bemerkte meinen Gesichtsausdruck und tat das Letzte, womit ich je gerechnet hätte. Sie packte mich, küsste mich herzhaft auf den Mund und liebkoste gleichzeitig mit beiden Händen meine Brüste.

Schockiert darüber, wie gut sich ihr Kuss anfühlte und welch himmlische Empfindungen ihre Berührung auslöste, ließ ich mich von ihr küssen und fragte mich halb ohnmächtig, ob sie mich mit zu sich nach Hause nehmen und die ganze Nacht lang so himmlische Dinge mit meinem Körper anstellen würde. Doch trotz des langen Kusses und der dadurch ausgelösten Phantasien erkannte ich, dass ich in Gefahr schwebte. Ich versuchte, meine Panik im Zaum zu halten und Sassy sacht von mir zu schieben. Menolly hatte mir die Warnung eingetrichtert: Bei Vampiren bist du niemals sicher. Lass dich nicht mit den Untoten ein. Biete dich nicht als willigen Saftspender an.

Damit wir uns nicht falsch verstehen, die Vorstellung, Sex mit einer Frau zu haben, war nicht das Problem – auf die Idee war ich schon ein paarmal gekommen, und ich nahm an, dass ich es eines Tages auch ausprobieren würde. Nein, Sassy war ein Vampir, kein VBM mehr, und ihre Zunge in meinem Mund war ein bisschen mehr, als ich im Augenblick verkraften konnte. Abgesehen von meiner unwillkürlichen Erregung hatte ich keinerlei Absicht, mich zu ihrer Gespielin zu machen.

Als ich schon fürchtete, nicht schnell genug protestiert zu haben, brach Sassy den Kuss ab. Sie starrte mich mit glitzernden Augen an, packte meine Hand und zerrte mich an die hintere Wand des Raumes.

»Entschuldige bitte«, murmelte sie. »Ich wollte nur verhindern, dass du lachst. Das hätte Ärger geben können. Die meisten Vampire nehmen sich selbst viel zu ernst, und so ein Lachen trifft sie tief.«

»Dich nicht?« Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen.

»Himmel hilf, nein.« Sie grinste mich an und strich sich das Haar zurecht. »Meine Liebe, ich habe nicht dieses stolze Alter erreicht, indem ich mich selbst ernst genommen habe. Man muss loslassen und lachen können. Das ist eine Lektion, die ich im Leben auf die harte Tour gelernt habe, und ich hoffe, dass ich sie auch im Tod nie vergessen werde. Na ja, Untod

»Danke« flüsterte ich, immer noch ganz durcheinander wegen der Art, wie ich auf sie reagiert hatte. »Glaube ich.« Sobald ich mich vergewissert hatte, dass wir genug Abstand zu der melodramatischen Szene um Wade und seine Mutter hatten, fügte ich hinzu: »Ich war schon fast sicher, dass zwischen Menolly und Mrs. Stevens Blut fließen würde.«

Sassy unterdrückte ein Lachen. »Ich finde das todkomisch. Menolly versucht nur, von Wades Familie akzeptiert zu werden, und ihre Art, das anzupacken, ist eben die, sich den Respekt seiner Mutter zu verschaffen, indem sie sich ihr gegenüber behauptet.«

Irgendwie glaubte ich nicht, dass es Menolly einen Scheißdreck kümmerte, ob Belinda Stevens sie akzeptierte oder nicht, aber ich hielt den Mund.

»Nur der arme Junge tut mir leid«, fuhr Sassy fort. »Ich nehme an, irgendjemand war sauer auf ihn und hat seine Mutter in einen Vampir verwandelt, um sich an ihm zu rächen. Wade und seine Mutter sind im Leben schon nicht gut miteinander ausgekommen. Jetzt hat er sie auf ewig am Hals, denn eines kann ich dir garantieren: Frauen wie die hören niemals auf, ihre Söhne kontrollieren zu wollen.«

Ich warf über die Schulter einen Blick zu dem Trio und schauderte. Ein weiterer Grund, weshalb ich nie heiraten würde. Meine Familie war schon merkwürdig genug – wenn da noch die Familie von jemand anderem dazukäme, könnte das der reinste Alptraum werden. Ich wandte mich wieder Sassy zu. »Also, wir freuen uns wirklich auf deine Party nächste Woche«, sagte ich, um wieder so etwas wie Normalität herzustellen.

Sie strahlte. »Meine Liebe, das wird das Ereignis der Saison! Es freut mich, dass ihr kommt«, fügte sie hinzu, und dann hob sie die Hand, um mir den Pony aus den Augen zu streichen. »Du bist wirklich ein reizendes Mädchen«, sagte sie mit rauher Stimme, und ich erkannte, dass Sassy mehr verbarg als nur die Tatsache, dass sie ein Vampir war. Sie stand definitiv auf Frauen. Mir wurde ganz anders, als sie den Blick über meinen Körper schweifen ließ. Richtig Angst machte mir die Tatsache, dass ich unwillkürlich auf die Einladung eingehen wollte. Vampire konnten Feen bezaubern, aber nicht so leicht, wie ihnen das bei Menschen gelang.

»Das findet mein Freund auch«, sagte ich und befand, dass Chase Vorteile hatte, auf die ich noch gar nicht gekommen war. Interessierte Vampire von mir abzubringen war womöglich einer davon.

Sassy musterte mich neugierig, schüttelte dann den Kopf und wandte sich ab. »Sieht so aus, als wollten sie das Meeting gleich eröffnen«, bemerkte sie. »Ach, wenn ihr auf meiner Party seid, denkt bitte daran: Die meisten meiner alten Freunde wissen nicht, dass ich tot bin, also verplappert euch bitte nicht.«

Kichernd steckte sie eine graue Strähne, die sich aus ihrem ordentlichen Chignon gelöst hatte, wieder fest. Sassys leuchtend pflaumenblaues Kleid und die Zobelstola wirkten in diesem Kellerloch prächtig fehl am Platze, doch als ich ihr in die Augen sah, erkannte ich, wie einsam sie sich fühlen musste – so lange schon verbarg sie ihre wahre Identität. Sie war eine einsame Frau, und es war offensichtlich, dass sie immer noch ein starkes, menschliches Gewissen hatte. Sassy Branson war ein Sonderling, ein Außenseiter, so wie wir drei. Und vielleicht war das der Grund, weshalb ich sie so mochte.

 

Als Menolly und ich vor dem Haus hielten, war sie wieder bereit, mit mir zu reden. Sobald wir das Meeting verlassen hatten und ich etwas sagen wollte, war sie mir über den Mund gefahren und hatte gesagt, ich solle die Klappe halten. Sie kochte während der ganzen Heimfahrt vor sich hin und fuhr fast hundert, obwohl ich sie immer wieder bat, nicht so zu rasen. Sie merkte es nicht einmal, als ich CCR in ihren CD-Spieler schob, eine Band, die sie nicht ausstehen konnte.

Morios Subaru stand in der Einfahrt und daneben Trillians Harley. Wir waren schon ausgestiegen und auf dem Weg ins Haus, als sie mich zurückhielt.

»Kätzchen, es tut mir leid, dass ich auf dem Heimweg so barsch zu dir war. Ich habe nur eine Weile gebraucht, um mich zu beruhigen. Ich hätte nie damit gerechnet, dass Wades Mutter so ein Miststück ist.«

»Bei der kommt man sich vor wie in einer miesen Talkshow, was?«, bemerkte ich kichernd.

Das entlockte ihr ein Lächeln, und sie schlang mir einen Arm um die Taille. »Ja, genau so ist es, Kätzchen«, sagte sie. »Und deshalb werden Wade und ich auch nie mehr als Freunde sein. Ich glaube nicht, dass ich regelmäßigen Besuch von seiner Mutter ertragen könnte, selbst wenn er der beste Liebhaber auf der Welt wäre. Und das ist er nicht. Ich mag ihn, und ich werde ihm weiterhin mit der Gruppe helfen, aber mit ihm ausgehen? Ich glaube nicht. Und jetzt komm, sehen wir nach, was für schlechte Neuigkeiten unser Trio Infernale ausbuddeln konnte.«

Camille und ihre Liebhaber kuschelten zusammen auf dem Sofa. Trillian saß zu ihrer Linken, einen Arm über ihren Oberschenkel drapiert, und Morio zu ihrer Rechten, einen Arm um ihre Schultern gelegt.

»Kleine Orgie gefeiert, während wir weg waren?« Die Worte waren aus mir herausgeplatzt, ehe ich es verhindern konnte.

Camille warf mir einen höhnischen Blick zu, doch unter ihrem Grinsen wirkte sie so bedrückt, wie ich sie selten gesehen hatte. Morio und Trillian runzelten die Stirn. Genaugenommen runzelte Morio die Stirn, während Trillians finstere Miene den Raum verdunkelte.

Menolly zog sich den Fußschemel heran, und ich ließ mich in den Sessel fallen. »Also schön: Vater – der Krieg – der Schild – Smoky...  Raus damit«, sagte ich.

Trillian schnaubte und entgegnete: »Euer Vater ist in Sicherheit, soweit ich feststellen konnte. Er hat sich in die Wälder geschlagen, ganz in der Nähe des Ortes, wo eure Tante jetzt lebt. Lethesanar hat tatsächlich ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, aber bisher haben sie ihn nicht erwischt. Auch eure Tante ist sicher, zumindest für den Augenblick.«

Man sah mir die Erleichterung offenbar an, denn er fügte hinzu: »Mach dir aber keine allzu großen Hoffnungen. Der Krieg ist in vollem Gange. Y’Elestrial hat Svartalfheim angegriffen, die große Schlacht hat bereits begonnen.« Trillian seufzte tief, und mir wurde klar, dass er über die Situation ebenso unglücklich war wie wir.

»Was ist mit dem AND?«, fragte Menolly.

»Der gesamte AND wurde dem Militär unterstellt. Ihr könnt ihn praktisch vergessen. Glaubt ja nicht, die Kavallerie würde kommen und euch retten, falls irgendetwas passiert.«

Das waren schlechte Neuigkeiten, aber wir hatten damit gerechnet, und zumindest waren unser Vater und unsere Tante in Sicherheit. Ich sah Camille an. »Und dieser Schild, den wir in der Höhle gefunden haben? Und Smoky?«

Bei meiner Frage huschte ein Schatten über Trillians Gesicht, und irgendetwas sagte mir, dass der Drache der Grund für seine gereizte Miene war.

Camille biss sich auf die Lippe. »Wie wir schon vermutet hatten, steckt auch dämonische Energie in dem Schild. Ich würde darauf wetten, dass er einem der Höllenspäher gehört. Wir haben ihn draußen bei Smoky gelassen, da ist er sicher versteckt. Ich will ihn nicht hier im Haus haben.«

Ich starrte auf meine Hände, denn an die Antwort auf meine nächste Frage wollte ich eigentlich gar nicht denken. Aber ich musste fragen. »Was hat Smoky zu alldem gesagt?«

Camille stand vom Sofa auf, trat ans Fenster und starrte in die Winternacht hinaus. »Es weht ein böser Wind, und er flüstert unsere Namen. Ich kann es fühlen, so deutlich wie meinen eigenen Herzschlag.« Sie drehte sich um. »Smoky wird uns helfen, aber er hat gesagt, wir bräuchten nicht in die Nordlande zu fliegen; er kann ein magisches Tor öffnen und den Herbstkönig beschwören, darin zu erscheinen. Er ist der Meinung, den Herbstkönig zu befragen sei die richtige Entscheidung und das Einzige, was wir tun könnten.«

»Welchen Preis verlangt er?«, fragte Menolly. »Er muss etwas dafür verlangt haben. Wir haben es mit einem Drachen zu tun, mit einem sehr alten noch dazu.«

Trillian sprang auf und stürmte in die Küche. Es hörte sich an, als wühlte er im Kühlschrank herum. Das war seltsam. Trillian bekam nie Wutanfälle. Er konnte einem mit seiner eiskalten Beherrschung eine Scheißangst machen, und er erlaubte es sich höchst selten, Gefühle zu zeigen. Menolly und ich wechselten einen erstaunten Blick und sahen dann Camille an.

Sie räusperte sich. »Im Tausch für seine Hilfe habe ich mich bereit erklärt, für eine Woche seine Gefährtin zu werden. Die Einzelheiten werden wir später arrangieren, wenn das Problem mit dem Puma-Rudel geklärt ist. Ich habe versprochen, alles zu tun, was er will, solange es nicht gegen meine Treueide und Verpflichtungen gegenüber euch und der Elfenkönigin verstößt.«

Konkubine. Sie sprach das Wort zwar nicht aus, aber es hallte trotzdem durch meinen Kopf. O ja, Smoky hatte von Anfang an vorgehabt, sich Camille zu willen zu machen, und jetzt hatte er den perfekten Vorwand dafür gefunden. Schlau von ihm, aber schließlich war er ein Drache, und diese Kleinigkeit durften wir niemals vergessen.

Ein Scheppern aus der Küche, gefolgt von »Bei allen Göttern, wo ist hier der verdammte Ketchup?« sagte uns, dass Trillian wahrhaftig stinkwütend war.

Morio schüttelte den Kopf. »Das ist ein hoher Preis, aber es ist deine Entscheidung. Es ist bestimmt nicht leicht, die Mätresse eines Drachen zu sein, aber ich glaube, dass er ehrenhaft genug ist, sein Wort zu halten. So gut er eben kann. Allerdings hat er ziemlich unmissverständlich klargemacht, was für Dienste er von dir erwartet. Ich würde mich vor dieser Woche hübsch ausruhen, Camille«, sagte er mit einem leisen Lächeln. »Du wirst eine vielbeschäftigte Frau sein.«

Verblüfft drehte ich mich um. Morio hörte sich beinahe so an, als fände er das komisch. Als unsere Blicke sich trafen, zwinkerte er mir zu, und ich wandte meine Aufmerksamkeit hastig Menolly zu, die Camille nur zunickte, als sei die Sache abgehakt – weiteres Nachdenken nicht erforderlich.

»Und was genau hat er dir dafür versprochen?«, fragte Menolly.

»Dafür wird er ein Tor in der Barriere der Nordlande öffnen und den Herbstkönig herbeirufen. Menolly, du kommst besser nicht mit. Der Zauber muss am Nachmittag gewirkt werden. Smoky hat darauf bestanden, dass Delilah, Zachary, Morio und ich zu ihm hinauskommen. Trillian hat er allerdings nicht eingeladen.« Camille gestattete sich ein kleines Grinsen. »Ihm gefällt der Gedanke nicht, dass –«

»Ihm gefällt die Tatsache nicht, dass du mir gehörst und ich dich ihm nur ausleihe. Und dass ich mich damit nur abfinden werde, wenn er dich auch heil und ganz zurückgibt«, sagte Trillian, der wieder ins Wohnzimmer gestapft kam. Er hielt ein großes Sandwich in der Hand, das wirklich unappetitlich aussah.

Ich marschierte zu ihm hinüber; er hielt sein Riesensandwich über den Couchtisch und versuchte, den herabtropfenden Senf aufzufangen. »Jetzt mal ehrlich, ich verstehe, dass du wütend bist, aber das ist lächerlich. Gib mir das Ding, ich gehe in die Küche und mache dir ein neues. Iris ist wohl schon im Bett, sonst hätte sie das für dich gemacht.«

Trillian warf mir einen stockfinsteren Blick zu, übergab mir aber seinen Monstersnack, und ich rannte in die Küche, wobei ich das Ding von mir abhielt, damit ich mich nicht bekleckerte. Ich warf die Sauerei in den Mülleimer und wusch mir die Hände. Bevor ich ein neues Sandwich für ihn machte – und auch eines für mich –, warf ich einen Blick in Iris’ Zimmer, um mich zu vergewissern, dass sie und Maggie es sich schon für die Nacht gemütlich gemacht hatten.

Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, lästerte Trillian über Smoky und beschimpfte Morio, weil er zugelassen hatte, dass Camille auf den Handel einging.

»Was hätte ich denn tun sollen?«, erwiderte Morio. »Sie ist nicht mein Eigentum. Wenn sie sich von einem Drachen ficken lassen will, werde ich sie nicht davon abhalten. Und um ehrlich zu sein – nach dem, was wir heute an diesem Schild gespürt haben, würde ich das auch gar nicht wollen. Wenn jemand mit Smoky ins Bett steigen muss, um uns ein paar dringend benötigte Informationen zu beschaffen, dann ist das eben der Preis dafür. Und da es Camille nichts ausmacht – warum sollten wir uns darüber aufregen?«

Camille sah überhaupt nicht so aus, als machte ihr das etwas aus. Im Gegenteil, sie errötete, und ich hatte das Gefühl, dass meine Schwester sich sogar darauf freute. Wie ich Smoky kannte, würde er dafür sorgen, dass auch sie diese Liaison genoss.

Trillian stieß ein Knurren aus. Menolly warf ihm einen genervten Blick zu. »Oh, bei allen Göttern, würdest du dich bitte einfach damit abfinden? Dir ist es doch egal, ob er ihr wehtut, du hast nur Angst, dass ihr seine Ausstattung besser gefallen könnte als deine. Und offen gestanden glaube ich, dass Smoky sogar in seiner menschlichen Gestalt ziemlich üppig – und beeindruckend – bestückt sein dürfte. Mach dich also besser auf harte Konkurrenz gefasst.«

»Ich kann mich nicht erinnern, dich um deine Meinung gebeten zu haben, Fangzahn.« Seufzend nahm er das Sandwich, das ich ihm gemacht hatte. Menolly fauchte ihn an und wich kein Stück zurück.

Ich schüttelte den Kopf. »Hört auf damit. Wir müssen das durchziehen. Uns bleibt keine andere Wahl, und da Camille nun mal der Schlüssel zu der ganzen Sache ist, müssen wir uns damit abfinden. Meint ihr, wir sollten Chase mitnehmen?«

Camille schüttelte den Kopf. »Nein, Smoky hat ausdrücklich betont, wen er dabeihaben will. Er hat darauf bestanden, dass Zach mitkommt – er hat gemeint, da es Zachs Leute sind, die abgeschlachtet werden, wäre er es ihnen schuldig, seinen Teil beizutragen.«

Das brachte mich zu Cromwell und der Drohung auf dem Zettel. »Ehe wir weiter darüber diskutieren, wer mitfährt, müsst ihr noch etwas erfahren. Hat Iris euch schon davon erzählt? Als wir heute nach Hause gekommen sind –«

»Sie hat von dem Kater und der Botschaft berichtet«, sagte Morio. Seine Augen glänzten. »Das mit Cromwell tut mir leid«, fügte er hinzu.

»Den Göttern sei Dank, dass Maggie unten bei Menolly war«, flüsterte Camille und brachte mich damit auf eine Sorge, die ich mir noch gar nicht gemacht hatte. »Wir dürfen sie nie allein lassen, selbst wenn das bedeutet, dass sie manchmal den ganzen Tag unten bei Menolly oder bei Iris in der Buchhandlung verbringen muss.«

»Was sollen wir jetzt machen? Zachary benachrichtigen, dass er uns begleiten soll?« Menolly sah Camille an, dann mich. »Müssen wir sonst noch etwas wissen, ehe wir zu unserer Verabredung mit dem Herbstkönig losziehen?«

Camille runzelte die Stirn. »Ich werde die Mondmutter fragen. Bin gleich wieder da.« Sie ging hinaus. Wie ein Mann standen Morio und Trillian auf und folgten ihr, aber sie schafften es nicht einmal bis zur Tür, denn Menolly stieß sie zurück aufs Sofa. »Ich sorge dafür, dass ihr nichts passiert«, sagte sie und schlüpfte hinaus in den Flur, gefolgt von finsteren Blicken. Die beiden waren aber nicht so dumm, irgendwelchen Unsinn zu versuchen, den Göttern sei Dank.

Das Telefon klingelte, während wir warteten, und ich ging dran; es war Chase. Rasch brachte ich ihn auf den neuesten Stand. Er war nicht begeistert davon, dass Zachary uns bei dem Ausflug zu Smoky begleiten sollte, während er selbst zurückbleiben musste, aber er versuchte, sich cool zu geben. Ehrlich, dachte ich, Männer machten manchmal mehr Ärger, als sie wert waren, seien sie VBM, Svartaner, Drache oder Erdwelt-ÜW.

»Ich melde mich bei dir, sobald wir mehr wissen. Ach, und du brauchst dir vorerst nicht die Mühe zu machen, Kontakt zum AND herzustellen. In der Anderwelt herrscht ein ziemliches Chaos. Wenn wir Hilfe von zu Hause brauchen, müssen wir uns an Königin Asteria wenden.«

»Wen?«, fragte er.

»Die Elfenkönigin. Ich habe dir von ihr erzählt, weißt du nicht mehr?« Ich verabschiedete mich mit einem schmatzenden Kuss und legte auf, als Menolly und Camille das Wohnzimmer betraten.

Camille ging auf und ab. »Die Mondmutter spricht nicht zu mir, aber ich weiß, dass es richtig ist, was wir vorhaben. Wir werden dabei etwas erfahren...  und etwas gewinnen, aber ich kann nicht erkennen, was.«

Ich schloss die Augen und suchte die Tiefen meiner Seele ab. Und da war es: dasselbe Flüstern im Wind. Wir mussten gehen. Ich musste dorthin gehen. Dies mochte Zacharys Geschichte sein, aber wir waren nun auf Gedeih und Verderb darin verstrickt. »Du hast recht«, sagte ich. »Ich rufe Zach an.« Ich griff zum Telefon.

»Warte«, sagte sie, »da ist noch etwas.«

Ich legte den Apparat wieder hin.

»Derjenige, der Cromwell getötet hat, hat die Banne um unser Grundstück aufgehoben. Ich war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um es gleich zu bemerken, als ich vorhin nach Hause gekommen bin, aber jetzt spüre ich, dass sie aufgehoben wurden. Nicht ausgelöst, sondern eliminiert, was erklärt, warum es keinerlei Warnung gab. Wer auch immer hier war, hat mächtige Magie zur Verfügung. Nach Mitternacht, wenn der Mond am stärksten ist, werde ich sie wieder aufbauen und versuchen, mehr darüber herauszufinden, wie das passieren konnte.«

»Eliminiert? Das bedeutet mächtig Ärger.«

Wenn jemand Camilles Banne einfach so wirkungslos machen konnte, musste derjenige wirklich sehr machtvolle Magie beherrschen. Sie mochte ihre guten und schlechten Tage haben, was Zauber und Sprüche anging, aber wenn sie eines richtig gut konnte, dann Haus und Land mit Bannen sichern. Plötzlich musste ich an Zacharys Besuch in meinem Büro denken. Er hatte erwähnt, dass sein Schamane die Banne nicht hatte aufheben können – wer auch immer sie deaktiviert hatte, musste also stärker sein als Venus. Was gewaltigen Ärger für uns bedeutete, denn Venus’ Magie schien mir schon verdammt mächtig zu sein.

Ich griff wieder zum Telefon. »Da Menolly ohnehin nicht mitkommen kann, sollten wir so früh wie möglich aufbrechen. Was hat Smoky denn gesagt, wann wir da sein sollen?«

»Morgen gegen drei«, antwortete Camille. »Ich wecke Iris und sage ihr, dass sie die Buchhandlung morgen allein übernehmen muss. Und Maggie sollte sie lieber mitnehmen. Wenn du Chase bitten könntest, im Lauf des Tages mal nach ihnen zu sehen, wäre ich dir sehr dankbar.«

Ich nickte und wählte Zachs Nummer. Das Bild von Cromwell, in diesem Netz aufgehängt und total ausgesaugt, ließ mich nicht mehr los. Zacharys Freunde waren natürlich wichtig, aber ich hatte sie nicht gekannt. Cromwell hingegen war ein unschuldiges Opfer, das in ein gefährliches Spiel hineingeraten war. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Und ich würde alles tun, um dafür zu sorgen, dass niemand – kein Mensch, kein Werwesen und auch kein Tier – je wieder so endete wie er.