Kapitel 14

 

Als ich die Schlafzimmertür hinter mir schloss, sah Chase mich mit einem glühenden Blick an. Mein Herz machte einen Satz, und plötzlich konnte ich an nichts anderes mehr denken als daran, dass wir uns das Hirn aus dem Kopf vögeln sollten. Normalerweise übernahm er die Führung, aber diesmal wollte ich die Initiative ergreifen.

Mit zwei schnellen Schritten war ich bei ihm, und ehe er etwas sagen konnte, stieß ich ihn rücklings auf mein großes Himmelbett. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, als ich mich auf ihn setzte, und er schenkte mir ein lüsternes Grinsen, das mir sagte, dass er überhaupt nichts dagegen hatte, zur Abwechslung mal unten zu liegen.

Ich öffnete sein Hemd, einen Knopf nach dem anderen, beugte mich vor und zog eine Spur aus Küssen über seine Brust, während ich den Stoff teilte. Ich ließ meine Zunge auf seiner salzigen Haut kreisen und arbeitete mich Kuss für Kuss weiter abwärts. Als ich seinen Gürtel öffnete, wurden meine Bemühungen auf beeindruckende Weise belohnt. Er stöhnte leise, als ich ihm die Hose auszog.

»Delilah –«, begann er, doch ich brachte ihn zum Schweigen und leckte langsam seinen Schwanz, nur mit der Zungenspitze, von der Wurzel bis zur Spitze. Ich konnte ihn nicht richtig in den Mund nehmen – das hatten wir versucht, aber meine Zähne machten es unmöglich –, aber ich reizte ihn, indem ich die Zunge leicht an seinem harten Schaft auf- und abwärts zucken ließ. Der Duft seiner Lust war berauschend, und er streckte die Hände aus und fuhr sacht mit den Fingern durch mein Haar.

Ich richtete mich auf und zog mir den Rollkragenpulli aus. Chase starrte mich mit unverhohlener Begierde an und beobachtete jede meiner Bewegungen, jedes Hüpfen und Wackeln meiner Brüste, während ich meinen BH auszog. Ich stieg vom Bett, öffnete rasch meine Jeans und ließ sie fallen. Chase verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah stumm zu, wie ich mir das Höschen von den Hüften schob.

Irgendwie begriff er, dass ich heute das Tempo vorgeben musste, denn er wartete einfach ab. Ich kniete mich vor seine Füße und zog ihm die Schuhe aus, dann half ich ihm aus seinen Shorts. Als er sich aufrichtete, setzte ich mich rittlings auf seinen Schoß, und er schlang die Arme um mich und schloss die Lippen um meine Brustwarze. Die Wärme seiner Zunge auf meiner Haut hallte wie ein Echo durch meinen Körper, und ich seufzte leise, als er eine Hand zwischen meine Beine schob und mich liebkoste. Die Spannung baute sich in mir auf und flutete meinen Körper, bis sie sich zu einer gewaltigen Woge aufgeschaukelt hatte.

Sein Anblick, ganz verschwitzt und keuchend, war zu viel für mich. Ich wand mich, ließ mich auf seine Hüften sinken und nahm seinen Schaft leicht und seidig in mich auf, so tief ich konnte. Dann stieß ich ihn aufs Bett zurück und beugte mich vor, um ihn zu küssen.

Chase schlang die Arme um meine Taille und hielt mich fest. Als wir einen gemeinsamen Rhythmus fanden, vergaß ich den Herbstkönig, ich vergaß den Krieg, ich vergaß alles bis auf unsere schwankenden Körper.

 

Als wir uns danach ausruhten, wechselte Chase sein Nikotinpflaster und klebte sich ein frisches auf die Schulter, während ich Birkenbier aus der Flasche trank. Nur widerstrebend zwang ich mich, in die Gegenwart und zu unseren anstehenden Problemen zurückzukehren.

»Chase, weißt du noch, was ich dir vorhin erzählt habe – was der Herbstkönig über den Jägermond-Clan gesagt hat?« Ich kramte in meiner Nachttischschublade nach einem Schokoriegel. Treffer! Ein Snickers versteckte sich unter dem Notizblock, den ich stets bereithielt, falls mir im Schlaf irgendwelche guten Ideen kamen.

Chase zog die Bettdecke – einen dicken blauen PatchworkQuilt – höher über seine Brust. »Verdammt, ist das kalt. Hat der Schnee schon nachgelassen?«

»Weiß nicht, ich sehe mal nach.« Ich tapste zum Fenster und bibberte in der Kälte. Draußen schneite es noch heftiger, und ich schätzte, dass der Schnee inzwischen gut zehn Zentimeter hoch lag. »Nein, und es sieht auch nicht danach aus. Ich glaube, uns steht noch ein richtiger Schneesturm bevor. Also, weißt du noch?«

»Weiß ich was? Ach, du meinst die Werspinnen. Nein, nicht so richtig. Ich habe irgendwie den Faden verloren, als diese Sache mit den Todesmaiden zur Sprache kam.« Er drückte das frische Nikotinpflaster fest und warf das alte in den Mülleimer. »He, morgen wechsle ich zur niedrigeren Dosis. Vielleicht schaffe ist es tatsächlich, das Rauchen ganz aufzugeben – dank dir, Süße.«

Ich schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Zigarettenrauch störte mich dermaßen, dass ich ihn um jeden Preis mied. Und für Chase war es auf jeden Fall gesünder, mit dem Rauchen aufzuhören.

»Freut mich für dich! Ich bin stolz auf dich«, sagte ich, packte den Schokoriegel aus und wollte das ganze Ding auf einmal verdrücken. Chase betrachtete den Schokoriegel mit diesem Hundebaby-Blick, den er manchmal draufhatte, und ich gab nach und reichte ihm die Hälfte. »Ich habe aus einem bestimmten Grund gefragt. Der Wasserfall, den der Herbstkönig erwähnt hat, müsste irgendwo östlich von Seattle liegen. Kennst du die Wasserfälle hier in der Gegend?«

Ich schluckte den letzten Bissen Snickers herunter und sprang aus dem Bett, um meinen Schlafanzug anzuziehen. Im Gegensatz zur allgemeinen Überzeugung stieg die Wärme in unserem Haus ganz gewiss nicht nach oben. Sie sickerte einfach durch die Ritzen nach draußen. Meine Zimmer waren immer am kältesten.

Chase überlegte einen Moment lang. »Ja, ich glaube, ich weiß, welchen er meint. Snoqualmie ist eine Kleinstadt östlich von Issaquah, da gibt es die Snoqualmie Falls. Ein wunderschöner Wasserfall – kam vor ein paar Jahren sogar in Twin Peaks vor. Absurde Fernsehserie; allerdings kommt sie mir jetzt beinahe langweilig vor im Vergleich zu meinem eigenen Leben, seit ihr hier aufgekreuzt seid. Da gibt es ein großes Hotel, sehr schön gelegen. Wenn man nach Snoqualmie weiterfährt, ist man schon im Vorgebirge der Cascades. Wilde Hügel, eine Menge unerschlossenes Land da draußen.«

»Hügel...  das passt. Der Herbstkönig hat gesagt, wir würden ihr Nest in den Hügeln in der Nähe des Wasserfalls finden. Das ist perfekt. Nah genug bei Seattle, so dass sie mal eben in die Stadt fahren können, aber trotzdem so weit draußen, dass sie niemand bemerkt.« Ich dachte darüber nach. »Chase, wir müssen sie aufspüren. Zachary wird Tyler im Auge behalten. Wenn er in die Sache verwickelt ist, sucht er vermutlich ab und zu das Nest auf, zumindest so lange, wie er keinen Verdacht schöpft, dass ihn jemand beobachten könnte.«

Chase zuckte zusammen, als ich Zachs Namen erwähnte, gab aber keinen Kommentar dazu ab. »Am liebsten würde ich mich ins Revier des Puma-Rudels schleichen und mich an diesen Kerl dranhängen, sobald er die Siedlung verlässt.«

Ich warf ihm einen Seitenblick zu. »Ich könnte das tun. Oder Morio. Oder wir beide. In meiner Katzengestalt, oder für Morio als Fuchs, wäre es nicht schwer, sich dort zu verstecken.«

»Aber sie wissen, dass du eine Werkatze bist, nicht?« Chase schüttelte den Kopf. »Dann wäre es vielleicht besser, Morio hinzuschicken. Ich mag mir nicht vorstellen, wie du versuchst, einen tobenden Puma abzuwehren. Morio kann in seiner Superhelden-Gestalt viel schneller rennen als du, oder?«

Ich schnaubte. »Superheld? Das ist mal ein guter Witz – ich muss ihm unbedingt erzählen, dass du ihn so genannt hast. Aber du hast recht. Morio ist in Fuchsgestalt schnell wie ein geölter Blitz. Wir schicken ihn ins Revier, und er kann uns benachrichtigen, wenn Tyler das Gelände verlässt.«

Chase lehnte sich gähnend ans Kopfende des Bettes und spielte mit der Kette aus Schmeichelsteinen, die ich ihm gekauft hatte. Er benutzte diese sogenannten Worry Stones dazu, seine Hände mit etwas zu beschäftigen und sich davon abzulenken, wie es wäre, jetzt eine Zigarette in der Hand zu halten.

»Das wollte ich dich schon längst fragen. Was glaubst du, wo die Verbindung zwischen den einzelnen Mordopfern ist? Ich weiß, dass sie alle zu dem Puma-Clan gehören, damit brauchen wir gar nicht erst anzufangen, aber was noch? Warum gerade sie? Warum wurden diese Leute getötet und nicht irgendjemand anderes?« Er runzelte die Stirn. »Das kommt mir irgendwie willkürlich vor.«

Ich zog die Knie an die Brust und gab ein kurzes, nachdenkliches Schnurren von mir. Chase war sehr gut darin, die Fragen zu stellen, auf die ich gar nicht kam. Natürlich war er Detective, das war sein Job, während meine Agententätigkeit für den AND für mich eher ein Hobby war. Ich hatte zwar viel darüber gelernt, wie das Privatdetektiv-Geschäft funktionierte, aber zu Hause hatten meine Aufträge vor allem so ausgesehen: Ich wurde irgendwo reingeschickt, um jemanden zu retten, oder ich sollte Verbrecher aufspüren und ausschalten. Der AND war weniger für seine zahlreichen Festnahmen bekannt als vielmehr für seine Vernichtungs-Rekorde.

»Ich weiß nicht. Einige von ihnen gab es offiziell gar nicht, schon vergessen? Sie haben nicht einmal versucht, in der menschlichen Gesellschaft durchzugehen, sondern sind unter ihresgleichen geblieben.«

Chase seufzte leise. »Klingt für mich nach einem einsamen Leben. Die Übernatürlichen auf der Erde müssen es sehr schwer gehabt haben, ehe ihr die Portale geöffnet habt. Sie mussten sich verstecken oder als Menschen durchgehen. Sie tun mir richtig leid.«

»Menschen regieren diese Welt, zumindest glauben sie das, aber es hat in der gesamten Menschheitsgeschichte immer Minderheiten und Randgruppen gegeben, Chase. Irgendwer ist immer an der Macht, und allzu oft sind sie dorthin gelangt, indem sie über die Schultern derjenigen, die zu schwach oder zu wenige waren, um sich dagegen zu wehren, nach ganz oben kletterten.« Ich schlüpfte unter der Bettdecke hervor. »Einen Moment; bin gleich wieder da.«

Ich eilte in mein Arbeitszimmer, holte den Laptop und krabbelte zurück ins Bett. Ich verband ihn mit der Steckdose neben meinem Nachttisch, schaltete ihn ein, wartete, während er hochfuhr, und gab mein Passwort ein.

»Was machst du da?«, fragte Chase und rückte näher heran, so dass er mir über die Schulter gucken konnte.

»Ich will mir meine Notizen zu den Opfern noch einmal ansehen.« Ich öffnete mein Notizbuch-Programm und klickte auf den Tab mit dem Titel »Rainier-Rudel«, dann auf den Abschnitt, in dem ich die Notizen über die Opfer abgelegt hatte. »Sie hatten zwei Dinge gemeinsam. Erstens waren alle Mitglieder des Puma-Rudels.«

»Nicht alle«, wandte Chase ein. »Vergiss nicht diesen Klempner, Ben Jones.«

»Das stimmt, okay. Aber Ben scheint die einzige Ausnahme zu sein. Vielleicht hat der Mörder ihn für ein Rudelmitglied gehalten? Jedenfalls ist die zweite Gemeinsamkeit, dass sie in der Nähe der Arrastra im Pinnacle Creek gefunden worden. Direkt unterhalb des Pinnacle Rock, wo wir die Höhle entdeckt haben, die offensichtlich von Werspinnen benutzt wurde.«

Ich dachte einen Moment lang nach. »Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, es gibt gar kein Muster, außer dass die Werspinnen alle Opfer für Mitglieder des Puma-Clans gehalten haben. Ich glaube, sie waren nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber jetzt ist auf diesem Land niemand mehr sicher. Der Jägermond-Clan muss bemerkt haben, dass ihre Höhle entdeckt wurde – vor allem, falls Tyler tatsächlich mit denen unter einer Decke steckt. Sie werden nicht mehr lange warten, ehe sie sich die Häuser vornehmen. Sie werden auf der Suche nach irgendeinem Hinweis auf das zweite Geistsiegel noch den ganzen Clan auslöschen. Ich vermute, dass Kyoka das Rainier-Rudel aus Rache tötet. Wenn er das Puma-Rudel auslöscht und dabei das Geistsiegel findet, hat er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.«

»Schattenschwinge hat diesen Kyoka also als Werpuma wiederauferstehen lassen?« Chase blickte verwirrt drein. »Ich verstehe nicht, wie das funktioniert.«

»Ich auch nicht, aber ich würde darauf wetten, dass Kyoka nicht reinkarniert wurde. Ich glaube, er hat sich einen Körper gestohlen. Schamanen können das, wenn sie stark genug sind, und Kyoka muss unglaublich stark sein, wenn er seinen ganzen Stamm in Werspinnen verwandeln konnte. Da die beiden anderen Neuzugänge im Rudel sauber sind, wette ich zehn zu eins, dass es Tyler ist. Und Tyler ist vermutlich der richtige Name desjenigen, dem der Körper früher gehörte, bevor Kyoka ihn übernommen hat – als Kuckucksseele.«

Ein solcher Kuckuck war eine Seele, die sich buchstäblich einen anderen Körper nahm. Dessen ursprüngliche Seele wurde vernichtet oder beherrscht, indem die Kuckucksseele ihr ihren Willen aufzwang. Das war eine beängstigende Fähigkeit, und sehr selten, aber ab und zu kam sie schon vor. Tyler musste sehr willensschwach oder krank gewesen sein – oder sich freiwillig damit abgefunden haben, sich benutzen zu lassen. Oder Kyoka war ein ungeheuer starker Schamane.

»Kuckucksseelen«, sagte Chase nachdenklich. »Davon habe ich schon gehört, aber ich habe nie daran geglaubt, dass es so etwas tatsächlich gibt. Allerdings habe ich eine Menge Dinge nicht geglaubt, bis ihr Mädels hier angekommen seid.« Er lachte bitter. »Mann, ich hatte vielleicht viel zu lernen. Habe ich wohl immer noch. Aber das macht meinen Job ja so unterhaltsam.«

»Da wir gerade davon sprechen, hast du überhaupt noch einen Job bei der Erdenpolizei, nachdem der AND sich zurückgezogen hat?«

»Ja, obwohl Devins seinen rechten Arm dafür geben würde, mich wieder Streife laufen zu lassen. Aber ich habe zu viel für unser Department getan. Sie werden mich vermutlich in irgendeine normale Abteilung versetzen. Morddezernat wahrscheinlich.«

»Hm«, sagte ich nachdenklich. »Wer ist in deiner Abteilung der offizielle Ansprechpartner des AND?«

Chase runzelte die Stirn. »Ich. Warum?«

Ich grinste. »Gut. Und mit wem haben sie da sonst noch Kontakt?« Meine Idee gefiel mir immer besser. Wir konnten unseren eigenen AND aufbauen und trotzdem weiterhin Zugriff auf die Akten und Möglichkeiten von Chases Department haben.

»Nur mit den Elfen-Sanitätern – Moment mal, ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst. Ich soll weitermachen, als wäre nichts geschehen!« Er rollte sich aus dem Bett und ging in Richtung Bad. »Das ist lächerlich. Sie würden uns sofort erwischen.«

»Wie denn?«, rief ich, eilte ihm nach und blieb neben der geschlossenen Badezimmertür stehen. »Devins erkundigt sich doch nicht mal bei dir, was so läuft. Du hast mir selbst gesagt, dass deine Fälle ihm völlig egal sind, außer er kann sich selbst irgendwie als Held darstellen. Die Sanitäter unterstehen dir, und sie sind sämtlich Elfen. Sie werden nicht einfach hinschmeißen. Es ist perfekt. Wir können den AND neu aufbauen, so, wie er sein sollte. Wenn wir erst Kontakt zu den anderen Agenten aufgenommen haben, die auch hierbleiben, können wir sie mit einbeziehen. Da alle, die bleiben, für Tanaquar sind, werden sie uns nur zu gern helfen. Da bin ich ganz sicher!«

Chase betätigte die Spülung und kam heraus, wobei er sich noch die Hände an einem Handtuch abtrocknete. Es gefiel mir, dass er so sauber war. Er roch nach der Wiesenblumen-Seife auf der Ablage über meinem Waschbecken.

»Du meinst das wirklich ernst, oder?« Er starrte auf das Bett und runzelte konzentriert die Stirn. »Glaubst du, wir können das durchziehen?«

»Wenn nicht, ist die Erde verloren«, entgegnete ich düster. »Und die Anderwelt auch. Die Dämonen werden durchbrechen, und dann wird nichts übrig bleiben.«

Chase seufzte tief. »Ich halte dich ja für verrückt, falls du meine Meinung hören willst. Aber wenn es funktioniert...  vielleicht könnten wir ein improvisiertes Team auf die Beine stellen. Wir bauen uns eine eigene Basis in Seattle auf und heuern Agenten an, Übernatürliche und interessierte Menschen.«

»Das Problem ist nur, wie sollen wir sie bezahlen? Wir müssten die Tatsache, dass sie nicht aus der Anderwelt hergeschickt werden, vor Devins verschleiern. Und wir müssen das Portal im Wayfarer umstellen, damit es nicht mehr nach Y’Elestrial führt – das könnte Verdacht erregen, außer wir machen das so, dass es aussieht, als wäre es kaputt.« Ich seufzte. »Das wird ein gewaltiger logistischer Aufwand, aber ich sehe keine Alternative für uns.«

»Vielleicht finden wir ja Freiwillige«, sagte Chase. »Leute, denen wir die Wahrheit sagen können und die dann bereit wären, ein wenig von ihrer Zeit zu opfern, um Schattenschwinge aufzuhalten. Wir könnten noch ein paar Sanitäter und Ärzte brauchen, vor allem solche, die sich mit der Körperchemie von Feen auskennen. Und jemanden, der richtig gut mit Computern umgehen kann, damit wir jederzeit wissen, wer wo erreichbar ist.«

Ich lächelte. Einen Computerfachmann, ja? »Ich glaube, darum kann ich mich kümmern. Ich kenne genau den Richtigen.«

»Schlafen wir noch mal darüber.« Chase kuschelte sich unter die Decke und streckte den Arm nach mir aus. Ich schmiegte mich an ihn und lächelte. Er hatte schon wieder eine Erektion – der Mann war unermüdlich. »Wie wäre es mit einer weiteren Runde?«

Ich sollte nicht enttäuscht werden.

 

Die lärmenden Vögel verstummten, wo ich durch den Dschungel schlich. Regen klatschte vom Himmel herab und hinterließ diamantene Tröpfchen an dem Blätterdach, das sich über mir zu einem Tunnel schloss und den Pfad und alles andere unter sich verbarg.

Die Sonne ging unter, und bald würde mein Feind zur Jagd ausziehen. Ich lauschte jedem Huschen, jedem Rascheln der Geschöpfe, die sich durch das Dickicht bewegten. Der Boden, auf dem ich lautlos meinen Weg zurücklegte, roch scharf nach verrottenden Blättern, vermischt mit dem modrigen Geruch der Schimmelpilze, die in feinen Adern den Boden durchzogen, und der Giftpilze, die aus dem Moos hervorlugten.

Meine Schritte waren lautlos, und ich orientierte mich allein durch meinen Geruchssinn. Ich witterte meine Feinde ganz in der Nähe, obwohl ich mich nicht genau erinnern konnte, wer sie waren oder warum ich sie verfolgte. Aber es war meine Aufgabe, sie aufzuspüren, zur Strecke zu bringen, auszulöschen, durch den Tod zu reinigen und in die wartenden Arme meines Herrn zu treiben.

Die Pflanzen, die ich streifte, schwankten sacht, Lebewesen ihrer eigenen Art. Ich konnte sie beinahe flüstern hören, in einer geheimnisvollen Sprache, die nur Naturgeister gebrauchten. Aber ihre Seelen waren dunkel, und ich blieb nicht stehen, um zu lauschen oder mich ihnen aufzudrängen. Sie waren nicht wie die Bäume der nördlichen Wälder und die Blumen auf den weiten Wiesen – Venusfliegenfallen und Kadaverlilien würden einen bei lebendigem Leib auffressen, wenn man in ihrem Schatten verweilte.

Und da war sie – die Abzweigung zu ihrer Höhle. Ich wandte mich nach rechts, schob mich durchs Unterholz und sah vor mir ein schimmerndes Feld aus Licht. Als ich die leuchtende Barriere durchschritt, verschwand der Dschungel hinter mir, und ich fand mich vor einem glitzernden Wasserfall wieder, der von einer Felsenklippe stürzte. Hier gediehen Zeder, Tanne und Ahorn.

Das Wasser fiel tosend in den Fluss darunter, eine weiße Wasserfläche, die schillerte wie Eis; die felsigen Ufer der Schlucht waren mit Schnee bestäubt. Ich hielt inne und fragte mich, wohin ich von hier aus gehen sollte. Ich schnupperte, wobei die Kälte in meiner Lunge nachhallte, und dann erfasste ich sie, ganz schwach im Wind: die Witterung meiner Beute. Die Duftspur führte jenseits des Wasserfalls zu einer geteerten Straße, die sich durch den Wald schlängelte.

Ich folgte ihr und sah mich gründlich um, doch nirgends war jemand zu sehen. Während ich dahintrabte, fielen mir einige Feldwege auf, die in den Wald abzweigten. Der Schnee fühlte sich kalt an, und ich erzitterte mit jeder Pranke, die auf den eisigen Asphalt traf.

Nachdem ich scheinbar stundenlang umhergestreift war, wurde der Geruch nun so stark, dass ich meine Feinde schmecken konnte. Ich öffnete das Maul, ließ die Brise meine Zunge küssen und schmeckte Blut, metallisch und süßlich. Frisches Blut. Sie hatten erst kürzlich etwas erlegt.

Ich bog auf eine der Seitenstraßen ab, doch etwas ließ mich innehalten. Ich blickte auf und entdeckte ein metallenes Hinweisschild, über dem ein goldener Stab hing.

Der Drang zur Eile war jetzt stärker, und ich rannte weiter, immer den Biegungen der unbefestigten Straße nach, die sich zwischen schneeschweren Tannen hindurchwand.

Eine Weggabelung tat sich auf, und ich bog ab. Der Pfad stieg an, auf einer Seite von einem Abhang flankiert, auf der anderen von einer Schlucht. Ich spähte über den Rand. Unten toste ein Bach entlang, in schäumenden Stromschnellen, die mich an die Schneeschmelze an der Tygeria erinnerten – ein Fluss in der Anderwelt, der den schmelzenden Schnee aus den Bergen ins Tiefland trug.

Die schroffen, steilen Wände der Schlucht waren mit dornigen Ranken bewachsen. Winterlich kahl ohne ihre Blätter, zeichneten sich die Dornen vor dem Schnee ab und versprachen jedem, der das Pech hatte, zu Fall zu kommen, eine schmerzhafte Landung. Meine Nase zuckte, und ich wandte mich wieder dem Weg zu und der Spur, die ich verfolgte.

Während ich dahintrottete, ließ der Schneesturm nach, die Wolken teilten sich und ließen den Mond hervorscheinen. Eine Stimme, unerwartet und unbekannt, flüsterte: »Unser Volk hat auf diesem Land gelebt. Wir waren das Volk des Mondes.«

Verblüfft sah ich mich um und entdeckte eine schimmernde Gestalt. Der Mann war nicht groß, aber muskulös und fit, und sein schwarzes Haar war zu zwei langen Zöpfen geflochten, die ihm bis zur Taille reichten. Er trug ein seltsames Gewand, und ich erkannte ihn als Ureinwohner Amerikas. Er war ein Indianer – und obendrein ein Geist.

»Meine Freundin, wohin gehst du?«, fragte er mich.

Ich konnte nicht sprechen – nicht mit Worten –, aber ich sandte ihm ein geistiges Bild, einen Eindruck von dem Geruch, dem ich folgte, und dem Drang zu jagen. Er schien mich zu verstehen, denn er nickte und deutete auf eine Kluft in der Hügelflanke links von mir.

»Dort drin wirst du sie finden, aber du kannst nicht allein zu ihnen gehen, nicht so. Diese abscheulichen Kreaturen besudeln unser Land, deshalb freuen wir uns über deine Hilfe, aber du musst wieder hierherkommen, wenn du dich in deinem Körper befindest. Verstehst du mich, Mädchen? So kannst du ihnen unmöglich gegenübertreten.«

Er sah besorgt aus, und ich überlegte. Ich musste im Astralraum sein, weit entfernt von meinem Körper. Ich reiste nur selten auf diese Art – das war eher etwas für Camille –, aber aus irgendeinem Grund war ich hierher gebracht worden, und ich musste sehen, was ich sehen sollte. Ich beschloss weiterzugehen.

Ich sandte ihm einen wortlosen Dank, den er nickend annahm, und eilte auf die Felsspalte zu. Sie war hoch genug für einen erwachsenen Mann und so breit, dass drei Menschen nebeneinander hineinpassten. Ich zögerte einen Augenblick lang. Der Duft des Blutes war hier sehr stark, und meine Instinkte befahlen mir: »Folge ihm, folge ihm!«

Die Spalte schien zu einer Höhle zu führen.

Ich zögerte und versuchte abzuschätzen, wie gefährlich das für mich sein könnte. Dann tapste ich langsam vorwärts, alle Sinne offen und gespannt. Als ich mich der Öffnung näherte, starrten hundert rotglühende Augen mich aus den Bäumen zu beiden Seiten an. Ich hielt inne, eine Pfote noch in der Luft. Da kam etwas aus der Höhle.

Ein Mann erschien. Er sah menschlich aus, und doch spürte ich bis in die Knochen, dass dies kein gewöhnlicher Mann war. Er war groß und schlaksig und hatte glimmende Augen, und als er vortrat, war seine Bewegung eher ein Huschen und Krabbeln. Als er sprach, in unverständlichen Klick- und Zischlauten, löste seine Stimme einen Alarm in mir aus, der mich warnte: Böse. Dieser Mann ist böse.

Die roten Augen in den Bäumen rückten vor, sie blinkten und leuchteten wie Glühwürmchen. Ich war froh, dass ich mich im Astralraum befand, wich aber trotzdem unwillkürlich einen Schritt zurück – doch da blickte der Mann in meine Richtung. Gemächlich lächelnd kam er auf mich zu.

O Scheiße! Er konnte mich sehen! Was zum Teufel sollte ich jetzt tun?

»Wir haben Besuch«, sagte er, und diesmal klang seine Stimme viel zu laut.

Verdammt, er befand sich nicht vollständig auf der physischen Ebene; er war teilweise im Astralraum! Ich wich noch weiter zurück und fragte mich, ob ich ihn besiegen könnte, doch in diesem Moment sah ich die ersten von scheinbar Hunderten langer, dürrer Beine aus dem Wald kommen, und ich wusste: Was immer das sein mochte, auch sie befanden sich auf der Astralebene. Der Geistführer hatte mich gewarnt, aber ich hatte die Warnung nicht verstanden.

»Wie wäre es mit einem Festmahl, Jungs?«, sagte der Mann, und plötzlich entstand Bewegung, als mindestens ein Dutzend schattenhafter Gestalten zwischen den Tannen hervortraten. Ihre Leiber hatten die Form dicker brauner Spinnen, aber ihre Oberkörper waren die von Männern – dünn und kränklich. Ihre Gliederbeine krümmten sich unheilverkündend, und sie rückten vor.

Ich stieß ein Brüllen aus, fuhr herum und raste den Weg zurück, den ich gekommen war. Vor mir erschien der Geistführer, und er bedeutete mir weiterzulaufen; dann ließ er hinter mir ein gleißendes Licht aufflammen. Ich hetzte den Pfad entlang, so schnell meine vier Beine mich trugen. Die Schreie hinter mir sagten mir, dass die Lightshow den Spinnen nicht sonderlich gefiel, doch ich blieb nicht stehen, um mich nach ihnen umzuschauen. Ich rannte, bis ich das Schild mit der goldenen Rute darüber erreicht hatte. Keuchend und schliddernd kam ich zum Stehen und sah mich um.

Nichts. Noch nicht. Aber meine Intuition sagte mir, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb, bis diese Kreaturen mich einholen würden. Als ich zum Wasserfall zurücklief, bebte der Boden unter mir, und der Himmel färbte sich pechschwarz.

∗∗∗ »Delilah! Delilah! Wach auf, Süße. Delilah?«

Chases Stimme drang durch den Nebel, der meine Gedanken als Geiseln genommen hatte, und ich versuchte mühsam, die Augen zu öffnen. Ich blinzelte und sah sein Gesicht über mir; hinter ihm brannte Licht. Ich kämpfte mit der Decke, und er half mir und stützte mich, als ich mich aufrappelte.

»Geht es dir gut? Das muss ja ein höllischer Alptraum gewesen sein.« Er beugte sich an mir vorbei und griff nach der Wasserflasche, die ich immer auf dem Nachttisch stehen hatte. »Hier, trink etwas.«

Ich kippte die kühle Flüssigkeit gierig hinunter, denn meine Kehle fühlte sich heiß und trocken an. Mein Herz hörte allmählich auf zu rasen, und ich schüttelte den Kopf. Die Ereignisse des Traums waren verschwommen, aber noch da.

»Große Mutter Bast, das war übel.« Ich wischte mir den Mund ab und rutschte rückwärts, bis ich mich ans Kopfende lehnen konnte. Dann zog ich die Beine an, schlang die Arme darum und legte das Kinn auf die Knie.

»Was hast du denn geträumt, wenn ich fragen darf?« Chase hüllte uns in die Decke, damit wir nicht erfroren – inzwischen war die Temperatur in meinem Schlafzimmer auf etwa zwei Grad über Eiszapfen gesunken –, schlang den Arm um meine Schultern und streichelte sanft meinen Rücken.

»Ich glaube, ich weiß jetzt, wo wir nach dem JägermondClan suchen müssen«, sagte ich und versuchte, den Traum zu verstehen. Im Traum war ich ein schwarzer Panther gewesen, kein Tigerkätzchen. Wunschdenken, zweifellos, aber ich wusste, dass alles andere vollkommen richtig war. »In der Nähe des Wasserfalls müsste es eine Straße geben. Snoqualmie Falls hast du gesagt, nicht?«

Er nickte.

»Okay, wir suchen nach einer Straße in den Wäldern ganz in der Nähe, und da ist eine Abzweigung mit dem Namen...  etwas mit einer goldenen Rute...  Goldenrod Road...  oder Goldenrod Drive...  oder Avenue. In einem der Hügel ist eine Höhle, und da hat der Jägermond-Clan sein Nest. Und Chase, dieser Mann, dessen Foto aus der Verbrecherkartei du uns gezeigt hast? Geph...  «

»Geph van Spynne, der Typ, mit dem Zachary sich angelegt hat?« Er gähnte, kramte sein Notizbuch hervor und schrieb sich etwas auf.

»Den meine ich«, sagte ich. »Er ist ihr Anführer. Oder zumindest steckt er mit ihnen unter einer Decke, und glaub mir, er ist gefährlich.«

»Wenn man dann noch Kyoka und den Rest des DegathKommandos dazuzählt...  «

»Haben wir eine absolut tödliche Kombination.« Ich schlüpfte unter der Bettdecke hervor und holte mir die Maischips von der Kommode. Normalerweise würde ich Jerry Springer einschalten, wenn ich mitten in der Nacht aufwachte, aber mein Traum war so lebhaft gewesen, die Gefahr so real, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte als diese roten Augen, die mich aus dem Wald angestarrt hatten. Und an den Geistführer. Wer war er? Und warum hatte er mir geholfen?

Mit mehr Fragen, als ich beantworten konnte, ging ich zu meinem Sitzplatz auf der tiefen Fensterbank. Chase kam zu mir, und ich küsste ihn auf die Wange. Er ging zum Bett zurück und knipste das Licht aus, während ich es mir gemütlich machte und zusah, wie der Schnee weich herabrieselte und die Welt in sein winterlich weißes Tuch hüllte.