Kapitel 19

 

Was zum Teufel tust du hier?« Endlich hatte ich die Sprache wiedergefunden.

»Ah, Camille«, sagte er. »Ich freue mich auch sehr, dich wiederzusehen.«

Ich zuckte zusammen. Er kannte meinen Namen? Kein gutes Zeichen, gar kein gutes Zeichen. »Wie hast du –«

»Deinen Namen herausgefunden? Das war nicht weiter schwierig. Titania und ich haben uns ein wenig unterhalten. Sie kann sehr redselig sein, wenn sie einsam und betrunken ist. Sie vermisst ihren Tom, deshalb hat sie am Nektar genippt. Sie verträgt nicht mehr so viel wie früher«, fügte er hinzu. Ich konnte nicht einschätzen, ob er hinter diesen ausdruckslosen, eisigen Augen lachte oder nicht.

Irgendwoher kannte Titania meinen Namen, und Smoky hatte ihn natürlich von ihr erfahren. Vermutlich kannte er inzwischen alle unsere Namen, doch ich würde darauf wetten, dass er dieses Wissen nicht missbrauchte. Zumindest nicht, bis Luke endgültig aus dem Weg geschafft und wir alle in Sicherheit waren. Danach würden wir sehr vorsichtig sein müssen.

»Du willst uns helfen, Luke zu töten?«

»Wenn es nötig sein sollte – allerdings habe ich Gerüchte gehört, der Dämon, der da draußen in deinen Wäldern herumstreift, sei eine Lachnummer.« Smoky schnaubte, als ich ihm einen scharfen Blick zuwarf. »Glaub nicht, ich wüsste nicht, was in der Welt vor sich geht. Ich werde im Wald nicht meine ursprüngliche Gestalt annehmen können, nur auf einer Lichtung. Aber ich habe noch andere Tricks auf Lager, die du recht nützlich finden wirst.«

Nachdem ich ihn Menolly vorgestellt hatte, gingen wir alle zur Hintertür hinaus. Der Mond stand hoch am Himmel; die Scheibe war beinahe kreisrund, und ich spürte ihren lockenden Sog. Delilah spürte den fast vollen Mond ebenfalls; ihre Gestalt zitterte und waberte, als könnte sie sich kaum noch zusammenreißen. Heute Nacht würde sie es noch schaffen, aber morgen würde das ganz anders aussehen. Wir mussten die Sache vor dem Morgen beenden.

Der Wald, der an unseren Garten grenzte, war gut zwanzig Morgen groß, durchzogen von einem Pfad, der zum Birkensee führte. Zwischen Zedern, Tannen und Birken wucherten dichtes Unterholz, Heidelbeeren und Farn. Hier und da gedieh auch Weinahorn und hielten Eichen ihre Wache, doch zum Großteil war das Wäldchen so zugewuchert, dass es praktisch unmöglich war, sich abseits des Pfads durchzuschlagen.

»Wie weit ist dieses Vogelhäuschen entfernt?«, fragte ich. Luke konnte nicht sehr tief im Wald sein, wenn er unser Haus so gut hatte sehen können. Es war sogar wahrscheinlich, dass er jetzt beobachtete, wie wir näher kamen. Dagegen konnten wir nicht viel tun, doch jede Sekunde, die verstrich, gab ihm noch mehr Zeit, seine Kräfte zu sammeln.

»Nur ein paar Meter«, sagte Delilah. »Nicht weit. Ich hoffe, er hat sich nicht seitlich ins Gebüsch geschlagen, um sich ins Haus zu schleichen, solange wir hier draußen sind.«

Ich runzelte die Stirn. Diese Möglichkeit hatte ich gar nicht bedacht. »Wir können nur hoffen und beten, dass Bad Ass nicht so schlau ist wie du.«

Ich schloss kurz die Augen und suchte die Umgebung nach Anzeichen dämonischer Aktivität ab. Bingo! Dort drüben, in der Nähe des Gartenpavillons. Er war nicht mehr im Wald, sondern tatsächlich auf dem Weg zum Haus. Ich fuhr herum, rannte los und schrie aus Leibeskräften. Es hatte keinen Zweck, ihn überraschen zu wollen, doch vielleicht würde es uns gelingen, ihn in einen Kampf zu verwickeln, ehe er ins Haus gelangen und es dem Erdboden gleichmachen konnte.

Die anderen, die meinen plötzlichen Richtungswechsel nicht erwartet hatten, folgten ein paar Schritte hinter mir. Ich konnte die Tritte ihrer Schuhe auf dem nassen Gras hören, während ich mich dem Pavillon näherte. Und dann trat Luke hinter der verzierten Pagode hervor. Schlitternd kam ich zum Stehen, und Smoky prallte gegen mich. Ich spürte seine Hand auf meinem Po, hatte aber keine Zeit, ihn zu maßregeln.

Bad Ass Luke war ein völlig unpassender Name. Bad Ass Luke – da dachte man an einen betrunkenen Football-Spieler oder einen hitzköpfigen Biker. Lucianopoloneelisunekonekari war kein menschlicher Rowdy. Luke war gut zwei Meter vierzig groß, und seine Gestalt mochte annähernd menschlich aussehen, doch damit endete jegliche Ähnlichkeit. Er war auch kein gewöhnlicher Dämon. Leere Augen spiegelten die Feuer der untersten Tiefen, seine Arme und Beine waren von geschwollenen Adern überzogen und mit Muskeln bepackt, von denen anabolikasüchtige Bodybuilder nur träumen konnten. Er trug keine Kleidung, und dass er männlich war, stand stocksteif außer Zweifel. Ebenso offensichtlich war, dass er stark genug war, einem Ochsen den Kopf abzureißen. Der arme Jocko hatte nicht den Hauch einer Chance gehabt – was sollten wir da erst sagen?

Ich erstarrte, gelähmt von einer Woge eisiger Angst. Smoky wich zurück, und ich fragte mich, ob er etwa davonlief, doch dann sah ich, dass er nur etwas Abstand gewinnen wollte, um seine Drachengestalt annehmen zu können.

Morio schob sich an mir vorbei und wich zur Seite aus, ohne das Monstrum aus den Augen zu lassen, das langsam auf uns zukam.

»Was tun wir jetzt? O Große Mutter, wie sollen wir den besiegen? Der ist ja riesig!« Delilah hörte sich an, als sei sie der Panik nahe. Sie quietschte vor Angst, als Luke den Mund öffnete und eine Gaswolke ausrülpste.

»Gift!«, rief Morio. »Er kann Gift ausstoßen – das rieche ich bis hierher. Versucht, von hinten an ihn heranzukommen, damit er euch nicht anhauchen kann!«

Heilige Mutter der Berge. Das hatte uns gerade noch gefehlt. Nicht nur Arme, die stark genug waren, uns einfach zu zerquetschen, sondern auch noch Giftgas. Ich riss mich aus meiner Starre und rief die Mondmutter an.

»Ich brauche dich in dieser Nacht, Mutter Mond. Gib alle deine Kraft in mich, und wenn es mich dabei zerreißen sollte. Herrin, leih mir deine Macht!« Ich reckte die Arme gen Himmel, und die Wolken, die sich vor den Mond geschoben hatten, teilten sich. Silbrige Strahlen schossen herab und berührten meine Fingerspitzen, und ein Strom knisternder Energie floss durch meine Arme und in mein Herz, so wild, dass ich taumelte.

Chase zückte sein Nunchaku, hielt den einen metallenen Kampfstab in der Hand und wirbelte den anderen an der Kette herum, die die beiden Stücke verband. Er schlug einen Bogen nach links.

»Wenn wir uns verteilen, kann er uns nicht alle auf einmal töten«, sagte er, und ich hörte, wie seine Stimme vor Angst zitterte. Ich fand es erstaunlich, dass ein VBM einem solchen Feind überhaupt gegenübertreten konnte, statt sich schlotternd hinter dem nächsten Busch zu verstecken.

»Du hast recht – verteilt euch!« Es blieb kein Raum für Zweifel, kein Raum mehr für Angst. Wir hatten einen Auftrag und mussten unsere Pflicht der Erde wie der Anderwelt gegenüber erfüllen.

Menolly ging einfach an mir vorbei. »Also, mir kann sein Gift nichts anhaben«, sagte sie, ohne stehenzubleiben. Ich packte sie am Arm, ließ aber gleich wieder los, als sie mich abschüttelte. Sie stürmte auf ihn zu.

Luke hielt an und starrte auf die zierliche, blasse Frau hinab, die mit gesenktem Kopf vor ihm stehengeblieben war.

»Ihr schickt mir die Schwächste vorweg... zum Aufwärmen?« Seine Stimme hallte durch den Garten, doch als Menolly den Kopf hob, verging ihm das Lachen. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, doch ich wusste, wie sie aussah, wenn das Jagdfieber sie gepackt hatte. Ich hatte es gesehen, als sie über den Psychoschwafler hergefallen war. Glühende Augen. Gebleckte, glitzernde, lange Reißzähne. Luke trat schwankend einen Schritt zurück, und ich hörte ihn nach Luft schnappen; unsicher beäugte er sie.

»Vampir?« Mit verwirrter Miene neigte er für einen Sekundenbruchteil den Kopf zur Seite. Mehr brauchte Menolly nicht. Sie warf sich mit atemberaubender Geschwindigkeit in die Luft und flog auf ihn zu. Luke brüllte und versuchte auszuweichen, doch meine Schwester war schneller. Sie landete auf seiner Brust und grub die Klauen in seine Haut. Dann riss sie den Kopf zurück, ließ ihn vorschnellen und schlug die Zähne mitten in sein Gesicht.

Gut so, dachte ich. Sie versuchte ihn daran zu hindern, sein Giftgas auszustoßen, damit wir anderen ihn angreifen konnten. Er packte sie an der Taille und versuchte, sie von sich wegzuzerren, doch sie krallte sich fest, die Zähne immer noch in seiner Wange versenkt. Dann fuhr sie ihm mit den Klauen ins Auge, und er brüllte erneut.

Ich rannte los und schlug einen Bogen nach rechts. Während ich die Blitze in meinen Händen vorbereitete, sah ich, dass Smoky endlich eine freie Stelle gefunden hatte, die groß genug war, damit er sich verwandeln konnte. Ein majestätischer weißer Drache donnerte nun durch unseren Garten und zertrampelte die Rosenbüsche.

Er zielte auf Luke, und Rauch entwich unter Druck aus seinen Nüstern, doch statt Feuer zu speien – was überhaupt nichts genutzt hätte – stieß er ein gewaltiges Brüllen aus und stampfte mit den Füßen, dass die Erde bebte. Alle schwankten.

Ich fand das Gleichgewicht wieder, zielte auf Luke, ließ die Blitze aus meinen Händen hervorschießen und traf ihn in den Rücken. Der Angriff, kombiniert mit dem kleinen Erdbeben, das Smoky mit einem Schlag seines Schwanzes auslöste, zwang Luke, Menolly loszulassen. Sie fiel zu Boden und taumelte zur Seite, um sich zu übergeben. Mal wieder zu viel Dämonenblut getrunken.

Sobald Menolly aus der Schusslinie war, ließ Morio sein »Kitsune-bi!« erschallen, und ein Blitz aus Fuchsfeuer traf Luke ins Gesicht. Er brüllte auf und schüttelte den Kopf, während das blendende Licht die Nacht erhellte.

Während Luke sich die Augen rieb, griff Delilah an. Ich dachte, sie wollte mit dem Messer auf ihn losgehen, doch stattdessen zog sie eine große Flasche hervor und bespritzte ihn mit Wasser. Lukes Haut zischte und warf Blasen, wo die Flüssigkeit ihn traf – das musste das gesegnete Tygeria-Wasser sein! Er stieß ein zorniges Brüllen aus, schlug wild um sich, traf sie in die Seite und schleuderte sie gut sieben Meter weit. Delilah drehte sich in der Luft herum und landete geduckt auf allen vieren. Dazu musste man schon eine Katze sein.

Im selben Augenblick drehte Luke sich um, und ich sah mich seinem geballten Zorn gegenüber. Entsetzen packte mich, denn offenbar konnte er wieder klar sehen, und nichts hinderte ihn mehr daran, mir Giftgas ins Gesicht zu blasen oder mich mit einer dieser ungeheuren Fäuste zu erschlagen; stolpernd trat ich die Flucht zum Waldrand an.

Als ich die ersten Bäume erreichte, spürte ich eine gewaltige Hitzewelle hinter mir und hörte Flammen knistern. Ich hatte keine Zeit, zurückzublicken, doch ich wusste, dass Luke sein Feuerschwert gezückt haben musste. Ich setzte über einen Brombeerstrauch hinweg und landete knöcheltief in einem Schlammloch.

Während ich mich aus dem Matsch zu befreien versuchte, sagte mir das Knarren von Bäumen, dass der Dämon mich verfolgte. Ich schlug mich in eine andere Richtung durchs Unterholz, wich umgestürzten Bäumen und Dornenranken aus, bis ich plötzlich vor einem gefallenen Baumstamm stand, der über einen Meter zwanzig hoch sein musste. Er war mit Moos bedeckt und glitschig, und als ich versuchte, darüber hinwegzuklettern, hörte ich, wie Luke fluchend hinter mir durchs Unterholz brach.

Was sollte ich nur tun? Vater hatte uns gewarnt, dass Feuer gegen den Dämon nichts nützte, ebenso wenig wie Talismane oder Waffen. Wenn wir nicht noch irgendwo einen Panzer oder eine richtig große Kanone herumstehen hatten, die ich in alldem Durcheinander vergessen hatte, dann war’s das bald für uns. Endlich fand mein Fuß Halt, und ich krabbelte über den umgestürzten Stamm hinweg und duckte mich dahinter auf den Waldboden. Nicht das tollste Versteck, aber besser als gar nichts.

Plötzlich herrschte Stille. Ich beruhigte mich so weit, dass meine Atemzüge flach und gleichmäßig wurden und möglichst unbemerkt blieben. Einen Augenblick später hörte ich ihn – ein Schritt, noch einer. Er hatte offenbar nicht gesehen, wie ich hinter den Baumstamm geschlüpft war, und das dicke Holz hinderte ihn daran, meine Körperwärme wahrzunehmen. Ich duckte mich noch tiefer und ging die verfügbaren Möglichkeiten durch.

Ich konnte ihm einen weiteren Energiestoß entgegenschleudern, doch der würde ihn nicht außer Gefecht setzen. Was konnte das Feuer eines Dämons löschen? Wasser... gesegnetes Wasser. Aber davon bräuchten wir schon einen ganzen Swimmingpool voll. Was könnte Luke sonst noch zu schaffen machen? Ich zermarterte mir das Hirn – und dann fiel es mir ein.

Der Dämon hatte eine einzige Schwäche.

Mein Vater hatte als Einziger von einer ganzen Division der Garde überlebt, die Luke attackiert hatte. Der Dämon hatte die Reihen mit seinem Giftgas gelichtet, und mein Vater hatte das Glück gehabt, außer dessen Reichweite zu stehen. Er hatte uns erzählt, dass er nur entkommen war, weil er es geschafft hatte, Luke mit seinem Schwert zu treffen. Der Dämon wollte ihn gerade erschlagen, als Vater blindlings zustach. Die Klinge traf den Dämon und fuhr tief in Lukes Seite.

Luke ließ Vater fallen, und der konnte entkommen, während der Dämon sich krümmte. Vater hatte sich nie recht erklären können, warum eigentlich, denn die Klinge hatte keine lebenswichtigen Organe getroffen oder sonst großen Schaden angerichtet; doch er war nicht geblieben, um es herauszufinden. Er war gerade noch mit dem Leben davongekommen.

Als Kind war es meine Aufgabe gewesen, Vaters Schwert zu polieren. Dazu trug ich sorgfältig eine Mischung aus Bienenwachs und Öl auf die Klinge auf und polierte, bis sie blinkte. Sie lief leicht an, denn sie war aus Silber. Und das war es, was dem Dämon geschadet hatte – nicht Vaters Treffer an sich, sondern das Silber in der Klinge.

Luke reagierte auf Silber so empfindlich wie die Sidhe auf Eisen! Da war ich mir ganz sicher. Wir brauchten also silberne Waffen. Oder Silberkugeln. Ein Treffer verursachte ihm große Schmerzen. Wenn wir genug Hiebe anbringen konnten, müsste es uns gelingen, Luke zu töten.

Ich musste den anderen diese Information zukommen lassen, aber wie? Sollte ich versuchen, mich zu verwandeln oder mich unsichtbar zu machen? Eine Bewegung vor mir erregte meine Aufmerksamkeit. Eine Katze, eine goldene Tigerkatze, um genau zu sein, kroch auf meinen Schoß. Sie trug ein blaues Halsband.

Ich wusste, dass Delilah mich in ihrer Tiergestalt verstehen konnte, also beugte ich mich dicht über ihr Ohr und flüsterte so leise wie möglich: »Silberne Waffen werden Luke töten, wenn wir ihn oft genug damit treffen.« Delilah blinzelte, leckte mir das Gesicht, schlich durch die Bäume davon und verschwand in der Nacht.

Ein polternder Schritt sagte mir, dass Luke allmählich ungeduldig wurde. »Komm heraus, und ich bereite dir einen schnellen Tod«, sagte er.

Ich entschied, seine reizende Einladung abzulehnen. Vielleicht konnte ich mich in einen Käfer oder so etwas verwandeln – irgendetwas, das klein genug war, um unbemerkt davonzukrabbeln. Aber was, wenn es nicht funktionierte? Was, wenn ich mich stattdessen in eine riesige Zielscheibe verwandelte oder nur eine Rauchwolke aufsteigen ließ? Dann wäre ich tot.

In diesem Moment erbebte der Wald, Bäume ächzten, Äste knackten. Was zum Teufel... ?

»Grrmpf?« Luke hörte sich an, als hätte er einen hässlichen Schlag in den Rücken bekommen.

Ich richtete mich halb auf, als die Hölle losbrach. Der Wald war auf einmal so hell erleuchtet wie Washington D. C. am vierten Juli, und zu meinem großen Schrecken landete ein brennender Ast direkt neben mir. Ich rappelte mich auf und wirbelte herum.

Luke war in einen Kampf mit Smoky verwickelt, der es geschafft hatte, sich in den Wald zu schieben, wobei er mehrere Bäume umgeknickt hatte. Luke hatte offenbar einen Feuerstoß losgelassen, der Smokys ledrige Haut lediglich mit einer Ascheschicht überzog, und nun hieb Smoky mit seinen Klauen nach Luke – die Szene erinnerte ganz eindeutig an Godzilla gegen King-Kong.

Nun stürzten Morio, Chase und Delilah sich ins Getümmel, mit den silbernen Schwertern aus der Vitrine im Wohnzimmer. Chase und Morio griffen den Dämon von hinten an. Smoky wich zurück, als Delilah von vorn attackierte, das blinkende Schwert in der Hand.

Ich krabbelte über den Baumstamm und rief die Blitze zu mir herab. Luke brüllte, während die drei auf ihn einhieben, und die scharfen, aber kurzen Schnittwunden ließen ihn kaum bluten, doch das Silber tat seine Wirkung.

Und dann wusste ich, was ich tun konnte. Statt gewöhnliche Blitze zu schleudern, vereinigte ich sie zu einem gigantischen Pfeil aus silbernem Licht und zielte auf seine Augen. Der Pfeil schnellte los, traf ihn mitten in die Stirn und bohrte sich tief in den Schädel. Luke kreischte, geriet ins Wanken und krachte rücklings zu Boden. Delilah stürzte sich auf ihn und stieß ihm das Schwert ins Herz. Luke bäumte sich auf, heulte und brach dann zusammen. Es war vorüber.

 

»Ist er wirklich tot?«, fragte Delilah und stupste ihn mit dem Schwert an.

Smoky schimmerte und stand plötzlich wieder in seiner menschlichen Pracht vor uns. Er beugte sich über Luke und führte mehrere Untersuchungen durch, an denen ich mich gewiss nicht beteiligen wollte.

»Er ist tot.« Er richtete sich auf und wischte sich die Hände am moosigen Boden ab.

»Ich hatte schon befürchtet, wir wären alle Hackfleisch.« Delilah ließ sich auf den nächsten Baumstamm fallen und betrachtete das Schwert. »Gott sei Dank hat Vater uns förmlich gezwungen, die mitzunehmen, als wir auf die Erde gezogen sind.«

Ich taumelte zu den anderen hinüber und sank neben dem Drachen auf die Knie. »Vaters Schwert war aus Silber. Wisst ihr noch, dass er uns erzählt hat, wie er Luke entkommen ist? Ich habe darüber nachgedacht, und die einzige logische Erklärung, die mir einfiel, war, dass es am Metall liegen musste. Der Hieb an sich war es ganz sicher nicht, nicht nach den vielen Attacken, die diesem Wesen nichts anhaben konnten.« Plötzlich fiel mir etwas ein, und ich blickte zu Morio auf. »Das Schwert, bitte.«

Mit einem wissenden Ausdruck auf dem Gesicht reichte er mir das Schwert. Ich breitete Bad Ass Lukes hässliche Hand aus, ließ die Klinge herabsausen und schlug ihm vier Finger ab. Chase verzog das Gesicht, und sogar Smoky warf mir einen befremdeten Blick zu.

»Man kann nie wissen, ob man nicht mal einen in Reserve braucht«, bemerkte ich und steckte sie ein. »Einer ist für Großmutter Kojote und drei für den Zutatenschrank.«

»O Mann, ich wünschte, das hätte ich nicht gesehen«, brummte Chase. Delilah rutschte neben ihn, und er schlang instinktiv den Arm um ihre Taille.

Ich grinste. »Warte nur ab, bis du siehst, wie Delilah eine Maus fängt. Das wirst du einfach lieben.«

»Was tun wir jetzt mit seiner Leiche – und der des Psychoschwaflers?«, fragte Morio.

»Ich würde sagen, wir nehmen sie mit durch das Portal, zur Elfenkönigin. Wenn Lethesanar zu beschäftigt ist, um sich um die heilige Pflicht des AND, den Schutz der Portale, zu kümmern, dann müssen wir eben jemand anderen davon überzeugen, dass es hier ziemlich heiß wird.«

»Aber wir haben die Dämonen getötet und das Siegel gefunden«, wandte Chase ein.

»Eines von neun.« Angst durchfuhr mich, doch ich schob sie beiseite. Diesen Kampf hatten wir überlebt; es war Zeit, das zu feiern. »Chase, wir sind noch längst nicht fertig. Wir haben verhindert, dass Schattenschwinge das erste Siegel an sich nimmt, aber es gibt noch acht weitere davon, und jedes einzelne würde ihm einen gefährlichen Vorteil gegenüber der Erde und der Anderwelt verleihen.«

»Also schön. Wer schleift den da ins Haus?« Chase stupste Luke mit den Zehen an. »Ich glaube, den kriege ich nicht vom Fleck.«

»O Große Mutter«, stöhnte Menolly. »Weg da.« Einen Augenblick später hatte sie sich Luke über die Schulter geworfen und stapfte lautlos aus dem Wald aufs Haus zu.

Chase warf mir einen verblüfften Blick zu. »Sie ist stark.«

»Sie ist ein Vampir«, sagte ich.

»Sind alle Vampire so stark?«, fragte er, ein wenig grün im Gesicht.

Ich lächelte ihn an. »Chase, mein Bester, Menolly ist noch jung und schwächlich. Sie wird im Lauf der Jahrhunderte immer stärker werden. Im Moment ist sie eine blutige Anfängerin. Und deshalb solltest du dich nie mit einem Vampir anlegen, außer du hast Knoblauch in der Tasche oder trägst Silber um den Hals.«

»Was ist mit Kreuzen?«, fragte er.

»Ein nettes Ammenmärchen, mehr nicht.« Damit drehte ich mich um und folgte ihr.

Wir mussten noch das Portal durchschreiten, und solange wir den Hof der Elfenkönigin nicht erreicht hatten, würde ich mich nicht sicher fühlen. Als wir am Haus ankamen, hatte Menolly Iris schon Bescheid gegeben, dass alles in Ordnung war, und die Talonhaltija saß mit Maggie auf dem Schoß im Schaukelstuhl und wartete mit großen Augen darauf, die Geschichte unseres Kampfes zu hören.

Wir erzählten sie ihr, und ich warf einen Blick auf die Uhr. Die Hexenstunde war längst vorbei. »Menolly, wenn du durch das Portal reist, riskierst du es, bei Tageslicht wieder hier anzukommen. Ich glaube, das ist zu gefährlich für dich.«

»Kein Problem. Nehmt bloß diese Floreade mit, sonst verputze ich sie als Vorspeise.«

»Sag mal, hast du Wade eigentlich schon zurückgerufen?«

»Das ist mal eine zusammenhanglose Bemerkung«, sagte sie, doch ich konnte sehen, wie es in ihrem Kopf zu rattern begann. »Ich rufe ihn an, bevor ich heute Morgen ins Bett gehe. Er scheint ganz nett zu sein, und es kann nicht schaden, ein paar der Vampire in der Gegend zu kennen.«

Sie lehnte sich an den Tisch und sah auf die Uhr. »Ich brauche etwas Appetitlicheres als diesen dämlichen Psychoschwafler. Von dem und seinem Kumpel wird mir schlecht. Und ich will im Wayfarer vorbeischauen. Vielleicht kann ich die Situation noch retten.«

»Dann beeil dich lieber. Du hast nur noch ein paar Stunden bis zum Morgengrauen. Und sei vorsichtig, es gibt noch eine Menge offene Fragen.«

Sie nickte und schlüpfte grabesstill zur Tür hinaus. Als sie gegangen war, wandte ich mich Delilah zu. »Wir müssen uns überlegen, wie wir diese Dämonen transportieren sollen. Wir können sie nicht einfach wegtragen, so wie Menolly.«

»Nein, aber ich kann das«, meldete Smoky sich zu Wort. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. »Ich habe die Anderwelt noch nie gesehen«, sagte er. »Obwohl ich natürlich viel darüber gehört habe. Ich denke, ich werde euch begleiten. Ich kann die beiden toten Dämonen tragen, wenn ihr euch um die Floreade kümmert.«

Ich sah ihm an, dass die Sache für ihn schon beschlossen war. »Also gut, dann ist dieses Problem gelöst. Chase und Iris, ihr bleibt hier, bis Menolly zurück ist. Morio, ich würde dich bitten, uns zu Großmutter Kojote zu begleiten und dann wieder hierherzukommen und auf das Haus aufzupassen. Delilah, Smoky und ich liefern Tom und das Siegel ab.«

Das Letzte, wonach mir jetzt zumute war, war ein weiterer Marsch durch den Wald, aber je länger wir Tom bei uns behielten, desto wahrscheinlicher wurde es, dass irgendwer aus den U-Reichen versuchte, sich ihn zu schnappen.

Iris eilte davon, um ihn zu holen, während Delilah und ich nach oben gingen, um uns präsentabel genug für den Besuch bei einer Königin zu machen. Als ich ein Kleid aus gesponnenem Silber und einen pfauenfederfarbenen Mantel aus dem Schrank zog, kam mir der Gedanke, dass dies eine völlig andere Reise in die Anderwelt werden würde, als ich sie mir erhofft hatte.

Ich hatte mich darauf gefreut, Vater wiederzusehen, doch da alles im Chaos versank, würden wir gut daran tun, Y’Elestrial zu meiden wie die Pest. Stattdessen sollten wir direkt nach Elqaneve reisen, der Stadt der Elfen. Es war einfach zu gefährlich, jetzt nach Hause zu gehen. Und falls Lethesanar dahinterkam, was wir trieben, würden wir in ihren Kerkern landen – ein Schicksal schlimmer als der Tod.

Delilahs Miene sagte mir, dass sie ganz ähnlichen Gedanken nachhing. Sie zog ihre beste, engste Seidenhose an, darüber eine glitzernde goldene Tunika und einen mit Türkisen besetzten Gürtel. »Die Pistole lasse ich wohl besser zu Hause«, sagte sie und befestigte ihr Silberschwert am Gürtel.

»Bist du so weit?«, fragte ich. Sie nickte, und wir eilten nach unten. Zusammen mit Smoky, der die toten Dämonen trug, und Morio, der uns half, Wisteria im Zaum zu halten, schlüpften wir wieder hinaus in die nächtlichen Wälder.