Kapitel 13

 

Wisteria lachte. Ich blickte mich um und sah Chase zusammengekrümmt am Boden liegen. Delilah und Morio knieten neben ihm.

»Was zum Teufel ist passiert?«

»Wir hätten sie wieder knebeln sollen«, sagte Delilah. »Anscheinend kann Wisteria auch mit Worten verzaubern. Chase ist ihr daraufhin zu nahe gekommen, und sie hat es geschafft, ihm in die Eier zu treten. Richtig fest.«

Morio versuchte, ihm aufzuhelfen, doch es war offensichtlich, dass der Tritt sehr gut gezielt gewesen war. Chase war so blass, dass ich mich fragte, ob er ernsthaft verletzt war. Sein Gesicht war ein einziger schmerzverzerrter Knoten.

Ich warf Wisteria einen Blick zu, deren Augen triumphierend blitzten. Wütend knallte ich ihren Kopf gegen den Stützpfeiler und packte sie an der Kehle.

»Versuch so etwas noch einmal, und du stirbst. Ich lasse unsere Schwester herkommen, damit sie sich mit dir amüsieren kann. Du kennst doch Menolly? Und du weißt, dass sie ein Vampir ist? Wärst du nicht ein leckeres Häppchen für sie?«

Ich sah ihr an, dass das Eindruck auf sie gemacht hatte. Wisteria schluckte – ich spürte die Bewegung unter meiner Hand –, und ich trat langsam zurück, wobei ich ihre Füße im Auge behielt. »Delilah, reiß noch mehr Streifen von dem Tischtuch ab und fessle ihre Beine an den Pfeiler.« Ich band Wisteria den Knebel wieder vor den Mund. Wenn wir mit ihr fertig waren, würde sie so fest verschnürt sein wie ein Paket.

Während Delilah das Tischtuch zerriss, winkte Morio mich zu Chase herüber. »Ich glaube, er wird wieder, aber heute unternimmt er keine längere Wanderung im Wald, das kann ich dir sagen. Was machen wir jetzt?«

Ich seufzte. »Wir lassen ihn hier, er kann Wisteria bewachen. Aber wir müssen ihn irgendwie verstecken, zu seinem eigenen Schutz. Morio, sind Fuchsdämonen nicht ziemlich gut in Illusionszaubern?«

Er nickte. »Mekuramashi. Der-Illusionen-schafft. Ich kann Chase aussehen lassen wie einen Haufen alter Kleidung. Dann kann er auf dem Sofa sitzen und sich ausruhen, während wir auf die Jagd gehen.«

»Gut. Setz ihn da hin. Ich weiß, wo wir nach Tom Lane suchen sollten, aber ich glaube, er steckt in Schwierigkeiten und braucht unsere Hilfe. Wir müssen so schnell wie möglich zu ihm.« Ich half Morio, Chase hochzuhieven und ihn vorsichtig zum Sofa zu führen. Chase versuchte, einen Rest Würde zu bewahren. Er blickte zu mir auf, und ich lächelte ihm zu.

»Bleib einfach hier sitzen und ruh dich aus. Alles kommt wieder in Ordnung. Ich habe Wisteria geknebelt. Offenbar haben Floreaden einiges mit den Sirenen gemein. Das ist nicht gut, wenn man ein Mensch ist.« Ich legte ihm ein Kissen unter den Kopf, und Delilah trat neben mich und nahm seine Hände in ihre. Diskret zog ich mich zurück, damit sie sich unter vier Augen unterhalten konnten.

Ich geseilte mich zu Morio, der am Tisch saß. »Ich denke, wir sind dann so weit«, sagte ich. »Was brauchst du für deinen Zauber?«

Er schüttelte den Kopf und sagte leise: »Ich brauche nur meinen Talisman, aber ich will nicht, dass sie ihn sieht. Was sie nicht weiß, kann sie nicht gegen mich verwenden. Könntest du ihr die Augen verbinden?«

»Kein Problem.« Ich seufzte. »Sie ist viel gefährlicher, als ich dachte. Ich hatte keine Ahnung, dass Floreaden derartige Kräfte besitzen.«

»Sie ist jedenfalls kein gewöhnlicher Waldgeist«, sagte er. »An der ist mehr dran, als man auf den ersten Blick meint. Ich sage dir, Camille, wir täten gut daran, sie zu töten. Dies ist ein Krieg, und sie steht auf der Seite des Feindes. Ich glaube, sie kann noch wesentlich mehr Schaden anrichten, als sie es bereits getan hat, und das möchte ich nicht mit ansehen.«

Ich biss mir auf die Lippe. Er hatte recht. Das wusste ich, aber trotzdem... sie war kein Dämon, kein abtrünniger Vampir oder eine Harpyie. Sie war eine Fee. Böse, ja, aber es fiel mir schwer, die Hand gegen meinesgleichen zu erheben.

Andererseits – war sie wirklich meinesgleichen? Sie hasste mich, weil ich zur Hälfte Mensch war, das war offensichtlich, doch selbst wenn ich eine reinblütige Sidhe gewesen wäre, hätte sie einen Grund gefunden, sich mir entgegenzustellen. Vielleicht zögerte ich auch deshalb, weil ich nicht wusste, wie viel Gewalt ich noch würde ertragen können. Seit der Fellgänger Trillian fast getötet hatte, war das Maß beinahe voll.

»Ich weiß, dass du recht hast, aber... ich weiß nicht, ob ich das fertigbringe.«

»Ich kann es tun«, sagte er, und ich wusste, dass das ein Angebot war.

Hin- und hergerissen biss ich mir auf die Unterlippe. Verdammt, ich war Agentin des AND, und meines Vaters Tochter. Wenn wir beschlossen, die Floreade zu töten, dann war es meine Verantwortung, diese Tat auszuführen. Ich schüttelte den Kopf. »Lass mich noch ein bisschen überlegen. Vielleicht können wir von ihr mehr darüber erfahren, was die Dämonen vorhaben. Wenn wir sie mit Eisen fesseln und knebeln, wird sie niemandem mehr etwas tun können.«

»Wenn du versuchst, sie in Eisen zu wickeln, tust du dir nur selbst weh.« Er war frustriert, das merkte ich ihm an, doch dann zuckte er mit den Schultern. »Na gut. Wir überlegen uns, was wir mit ihr anstellen, wenn wir diesen Lane gefunden haben. Abgemacht?«

»Abgemacht«, sagte ich und war erleichtert, weil ich mir noch ein wenig Zeit hatte erkaufen können. Ich verband Wisteria die Augen. Morio konzentrierte sich auf Chase und erschuf die Illusion, dass anstelle des Detectives ein Stapel sauberer Wäsche auf dem Sofa lag. Obwohl ich das zweite Gesicht besaß, konnte ich nicht erkennen, was sich unter dieser Illusion befand.

»Du bist gut«, sagte ich mit einem Blick zu Morio.

Er neigte den Kopf zur Seite und betrachtete seine Illusion. »Nicht schlecht, wenn ich das sagen darf.«

Dann stahl sich ein verschlagenes Lächeln auf sein Gesicht. »Ich bin auch in anderen Dingen gut, falls du je geneigt sein solltest, das herauszufinden. Sehr gut sogar. Weißt du, Svartaner sind nicht die einzigen Champions, was die Leidenschaft angeht.«

Ehe ich ein Wort sagen konnte, winkte er Delilah herbei und ging zur Tür. Ich fragte mich noch, ob er damit das gemeint hatte, was ich verstanden hatte, und ob ich mutig genug wäre, das herauszufinden, als ich ihnen nach draußen folgte.

∗∗∗ Wir brachen in die Richtung auf, die mir gezeigt worden war. Delilah blickte besorgt zum Haus zurück. »Glaubst du wirklich, Chase ist da drin sicher?« Regentropfen rannen ihr übers Gesicht, und sie zog die Kapuze an ihrer Jacke hoch. Sie mied nicht nur Seen, Teiche und Meere, von Regen hielt sie auch nicht allzu viel.

»Ich will’s hoffen«, brummte ich und glitt durch das dichte Gebüsch. »Wenn er Wisteria in Ruhe lässt und niemand ins Haus eindringt, dürfte ihm eigentlich nichts passieren. Morios Illusion war verdammt gut.«

Das Unterholz war so dicht, dass wir trotz unserer Vorteile in solchem Gelände eine Weile brauchten, um uns durchzuschieben. Ich war nicht begeistert davon, voranzugehen, aber da ich diejenige war, die wusste, wo es langging, brauchte man kein Genie zu sein, um das für das Klügste zu halten.

»Morio, du hast dein ganzes Leben auf der Erde verbracht. Wie hast du es geschafft, deine wahre Natur vor den Menschen zu verbergen?«, fragte ich, als ich mich gerade zwischen einem Heidelbeerstrauch und einem großen Farn hindurchschob. Wasser spritzte mir in die Augen, als mir ein Farnwedel ins Gesicht klatschte, doch im strömenden Regen bemerkte ich das kaum.

»Ich bin in einem kleinen Dorf auf die Welt gekommen – es gibt tatsächlich noch Dörfer in Japan – und habe fast mein ganzes Leben dort verbracht. Mein Großvater hat mich zu Hause unterrichtet, und kürzlich habe ich meinen Abschluss an einer Fernuniversität gemacht.«

»Habt ihr euch geoutet, nun, da die Sidhe aus der Anderwelt aufgetaucht sind?« In gewisser Weise hatte unser öffentliches Erscheinen den erdgebundenen Feen und anderen Kryptos das Leben erleichtert. Es hatte ihnen ermöglicht, sich offen zu erkennen zu geben. Jetzt galt es als exotisch, anders zu sein, und Menschen auf der ganzen Welt suchten plötzlich nach geheimnisvollen Vorfahren, die ursprünglich aus der Anderwelt gekommen sein könnten. Natürlich waren die Vampire und anderen Untoten noch nicht ganz so gefragt, aber das war ja irgendwie verständlich.

Er zuckte mit den Schultern. »Einigen habe ich mich offenbart, aber ich verkünde es nicht der ganzen Welt.«

»Tut es dir leid, dass wir aufgetaucht sind?«, fragte ich.

Dicht hinter mir antwortete er: »Das ist eine zweischneidige Angelegenheit. Nein, es tut mir nicht leid, weil es an der Zeit war, dass die Menschen von unserer Existenz erfuhren. Und ja, es tut mir leid, weil es alles, was magisch und mystisch ist, in einen Konsumtrend verwandelt hat.«

Ich schnaubte. »Als wäre das vorher anders gewesen. Die Menschen sehnen sich schon seit Urzeiten nach Magie. Ich glaube, es gibt so etwas wie ein universelles Gedächtnis, das sich an die Tage erinnert, als die Anderwelt nur einen Schritt von dieser entfernt lag, bevor Avalon in den Nebeln verschwand. Der Herr der Ringe, Harry Potter... all diese Bücher sagen mir, dass das Volk meiner Mutter uns braucht. Sie müssen das Staunen über die Welt wieder entdecken und ihre eigenen angeborenen Kräfte entwickeln, die alle Sterblichen besitzen. Und vielleicht brauchen wir die Menschen, damit sie uns daran erinnern, was es bedeutet, schwach, zerbrechlich und verletzlich zu sein.«

»Ich glaube, von den VBM können wir eine Menge lernen. Mitgefühl ist ein Charakterzug, den man eher bei den Menschen findet als bei den Sidhe. Das musst du zugeben«, mischte Delilah sich ein.

Ich dachte darüber nach. Unsere Mutter war feurig und temperamentvoll gewesen, doch sie hatte ein Herz aus Gold gehabt. Unser Vater unterschied sich von der Mehrheit des Hofes dadurch, dass er diese Eigenschaft ebenfalls besaß. »Da könntest du recht haben, kleine Schwester.«

In diesem Moment brachen wir aus dem Unterholz hervor auf eine Wiese. Sie war von einem Kreis großer Zedern umringt und trug typische Zeichen der Magie. Eine Lichtung – und zwar eine, die einer bestimmten Gottheit oder sonst einem übernatürlichen Wesen geweiht war. Ich kam mir vor wie ein Eindringling, als wir in den Kreis der Bäume traten. Giftige Schirmpilze bildeten einen inneren Kreis, und in der Mitte erhob sich ein grasbewachsener Hügel.

»Ein Hügelgrab?«, fragte Delilah mit gerunzelter Stirn. »Ich dachte, die wären gar nicht mehr üblich, und ich hatte keine Ahnung, dass man auf diesem Kontinent überhaupt welche findet.«

»Nach allem, was ich gelesen habe, wurden die meisten seit der Großen Spaltung aufgegeben. Doch dieses hier – es hat die Energie eines Portals. Aber kein Portal in die Anderwelt. Wo sind wir hier? Was ist das für ein seltsamer Ort?« Langsam ging ich auf den grasbewachsenen Hügel zu und suchte nach einem Eingang. »Ich bilde mir ein, eine Panflöte zu hören.«

Und als ich angestrengt lauschte, hörte ich tatsächlich Musik. Da – wie ein Flüstern im Wind... eine liebliche Melodie, so voller Magie, dass jede Note in der Luft bebte, lebendig und schwingend, und mich zum Tanzen aufforderte. Meine Füße drängten mich, Schuhe und Jacke abzulegen und über die Lichtung zu hüpfen. Ich holte tief Luft, warf den Kopf zurück und lachte unbekümmert – auf einmal war mir ganz leicht ums Herz.

Ich drehte mich um mich selbst und sah, wie Delilah in die Luft sprang und sich in eine rotgolden getigerte Katze verwandelte. Sie raste auf der Wiese herum und jagte Regentropfen und eingebildete Mäuse. Ich hatte das vage Gefühl, dass ich sie aus irgendeinem Grund aufhalten sollte, doch die Musik war so betörend, dass ich mich wieder dem Hügel zuwandte. Wenn ich nur den Eingang finden könnte – dann könnte ich sehen, wer so schön Flöte spielte.

»Camille – Camille! Kannst du mich hören?« Morio erschien an meiner Seite, einen wilden Ausdruck auf dem Gesicht. Ich musterte ihn von oben bis unten. Er sah ziemlich gut aus, das war mal sicher, und ich spürte plötzlich ein Kribbeln irgendwo unterhalb meines Bauchnabels. Nein, mein ganzer Körper summte, und mir wurde klar, dass es nur eines gab, was dieses Verlangen stillen würde... Ich leckte mir die Lippen und streckte die Hand aus.

»Ich will dich. Gleich jetzt und hier.« Ich griff nach ihm, mein Atem beschleunigte sich, mein Herz raste im Stakkato vor Begehren, das in meinen Brüsten, meinem Bauch, meinen Oberschenkeln bebte. Sein dunkles Haar und diese rätselhaften Augen zogen mich unwiderstehlich an, und am liebsten hätte ich ihn auf den Boden geschleudert, um ihn auf der Stelle zu besteigen.

Morio stieß ein leises Knurren aus und trat einen Schritt näher. »Überleg dir gut, worum du bittest«, sagte er mit heiserer Stimme. »Denn ich werde es dir geben. Ich treibe keine Spielchen. Wenn du mich willst, sollst du mich haben, aber es gibt kein Zurück mehr, wenn wir einmal begonnen haben.«

Ich konnte seinen Moschusduft riechen. Er war steinhart und bereit; ich brauchte ihn nicht erst nackt zu sehen, um das zu wissen. Bei der Vorstellung, wie er sich auf mich stürzte, erbebte ich vor Verlangen. Mein Verstand mischte sich stammelnd ein und fragte mich, was zum Teufel ich da tat, doch mein Körper stachelte mich weiter an. Ich entschied, dass mein Gehirn mal eine Pause brauchte, und schob die letzte Zurückhaltung beiseite. Nicht, dass davon noch sonderlich viel übriggeblieben wäre.

»Ich will es nicht zärtlich. Nimm mich hier. Auf der Stelle. Von vorn, von hinten, wie auch immer du willst«, flüsterte ich. Ich war bereit zu explodieren und erschauerte, als ein primitiver Hunger in seinen Augen glitzerte.

»Dann wollen wir sehen, wie weit du zu gehen bereit bist«, sagte er, und dann packte er mich am Handgelenk und presste die Lippen auf meine. Ich ließ mich begierig in seinen Kuss fallen und schmolz in dem tosenden Feuer, das zwischen uns aufloderte. Er hielt mich um die Schultern, umschlang meine Taille und zog mich fest an sich.

Ich kämpfte mit meinen Kleidern, doch Morio schlug meine Hand beiseite, stieß mich zu Boden, schob mir den Rock hoch und zerrte seinen Reißverschluss herunter. Er riss mein Hemd nach oben, stürzte sich auf meine Brüste und bedeckte meine Haut mit Küssen, die meine Begierde nur noch mehr anstachelten. Seine Augen wurden zu gefährlichen Schlitzen, und ich spürte, wie ich von der Woge der Leidenschaft, die über die Lichtung rollte, begraben wurde.

Dann war Morio bereit, und ich öffnete mich ihm und sank in den satten Lehmboden, als er tief in mich eindrang und einen Rhythmus von langen, kraftvollen Stößen fand. Ich gab mich ihm hin, der Musik, meiner eigenen Leidenschaft. Der Fuchsdämon ließ sämtliche Verkleidung und Zurückhaltung fallen, seine Augen glitzerten, er warf den Kopf zurück und stieß ein triumphierendes »Yip« aus.

Die Musik wurde lauter, Morio lächelte, und seine Zähne wurden scharf und nadelspitz, während seine Fingernägel sich zu Krallen formten. Er biss mir spielerisch in die Schulter, und ein Hauch von Angst durchfuhr mich, als die Tatsache, wie anders er war, zu meinem von Sex umnachteten Verstand vorstieß. Eine Fee? In gewisser Weise, aber erdgebunden und mit der ursprünglichen Energie verbunden, die diese Welt durchdrang.

Plötzlich fragte ich mich verängstigt, worauf ich mich da nur eingelassen hatte, und begann mich zu wehren, doch je mehr ich mich wand, desto härter wurde er. Während ich noch darum kämpfte, mich zu befreien, traf mich ein Energiestoß, und ich ergab mich und stieg höher empor, als Trillian mich je gebracht hatte. Ich schwebte über mir, unfähig einen Atemzug zu tun, und fragte mich, wer und was ich war. Der Duft regennasser Rosen strich über mich hinweg, als ich langsam in meinen Körper zurücksank und mit einem Gefühl von Macht, das ich schon sehr lange nicht mehr empfunden hatte, darin landete. Sogleich wollte ich mehr. Morio musste das gesteigerte Begehren ebenfalls gespürt haben, denn er keuchte mir ins Ohr.

»Halt«, sagte er, und seine Stimme brach. »Wir müssen aufhören, sofort – das ist ein Glamour, und er ist gefährlich.« Er zwang sich sichtlich, von mir wegzurollen, und rang darum, die Hände von mir zu lassen. »Geh weg von dem Hügel, raus aus dem Pilzkreis.«

Erschrocken über sein zorniges Bellen, rappelte ich mich hoch.

Er sprang mit glühenden Augen auf. »Ich sagte, lauf – los!«

Und ich lief. Ich rannte auf den Kreis aus Zedern zu. Sobald meine Füße den Ring der Pilze passiert hatten, hatte ich das Gefühl, mich aus einer Art hedonistischem Kokon herausgerissen zu haben. Stolpernd blieb ich stehen und fiel auf die Knie, denn mein Kopf pochte, als hätte jemand mit einem Vorschlaghammer darauf eingeschlagen. Mein Körper war ebenfalls hart rangenommen worden, allerdings auf andere Art und Weise. Während sich die Welt um mich herum drehte, holte ich ein paarmal keuchend Luft, atmete durch, und allmählich nahm die Realität wieder ihren gewohnten Platz ein.

»Was zum Teufel... ?«, murmelte ich.

Von da aus, wo ich unter den Bäumen hockte, konnte ich sehen, wie Morio Delilah jagte. Plötzlich verschwand er, und eine Maus erschien an der Stelle, wo er eben noch gewesen war. Delilah begann sich mit zuckendem Schwanz an das Nagetier heranzuschleichen; ihre Pfoten rückten langsam vor, die Schnurrhaare bebten. Als sie sprang, brach die Illusion, Morio stand plötzlich da und packte sie im Nacken. Er rannte zu mir herüber.

Sobald er den Ring aus Pilzen überquert hatte, begann Delilah zu schimmern, und er setzte sie hastig ein paar Schritte entfernt auf den Boden, weiter in Richtung der Bäume. Als sie sich zurückverwandelte und ich ihren Gesichtsausdruck sah, hätte ich beinahe laut gelacht. Beinahe. Wer auch immer diese Barriere errichtet hatte, hatte seine Sache verdammt gut gemacht.

»Okay... was ist hier gerade passiert?« Immer noch erhitzt, griff ich nach Morios ausgestreckter Hand und ließ mir von ihm auf die Beine helfen. Als seine Finger meine berührten, schlugen wir Funken, und ich erkannte, dass wir es geschafft hatten, uns allzu sehr miteinander zu verwickeln. Wir würden die größten Schwierigkeiten haben, dieses Netz wieder zu lösen, da war ich sicher. Vor allem, da wir uns vorher schon zueinander hingezogen gefühlt hatten.

Morio hielt meinem Blick einen Moment lang stand und schaute dann zu dem Hügel zurück. »Sidhe-Magie, aber anders als deine. Wie viele Sidhe sind auf der Erde zurückgeblieben, als die Anderwelt sich abgespalten und in die Nebel zurückgezogen hat?«

Ich schüttelte den Kopf. »Das ist so lange her, dass es keiner mehr weiß. Es gibt hier eine Menge Naturgeister, und viele Kryptos wurden zurückgelassen – oder sind freiwillig geblieben. Wir sind miteinander verwandt, aber diese Spaltung liegt lange zurück. Meinst du, Wisteria könnte hier wohnen?«

Er schüttelte den Kopf. »Da sie im Wayfarer arbeitet und dem AND untersteht, hat sie vermutlich einen Baum irgendwo in der Nähe von Seattle. Außerdem ist diese Magie viel zu stark für sie. Die Musik lässt mich an Pan denken, aber es heißt, der Alte Bock bliebe dieser Tage lieber zu Hause in Griechenland.«

Ich trat einen Schritt auf ihn zu, und wir sahen einander tief in die Augen. Morio breitete die Arme aus, und ich ging zu ihm. Er umarmte und küsste mich, lang und zärtlich, ohne die Raserei, die uns vorhin getrieben hatte.

»Darüber werden wir später reden müssen«, sagte ich. Ich musste an Trillian denken, doch obwohl ich um sein Leben bangte, hatte mein Körper einen eigenen Willen; ich hatte so heftig auf den Fuchsdämon reagiert, dass es mir Angst machte. Außerdem mochte ich Morio. Trillian erregte mich bis ins Mark. Ich liebte und hasste ihn, aber eigentlich mochte ich ihn nicht. Was auch immer aus dieser Dreiecksgeschichte entstehen mochte, würde jedenfalls sehr interessant sein.

»Ich weiß.« Morio seufzte tief. »Aber jetzt müssen wir uns auf unsere Aufgabe konzentrieren und dafür sorgen, dass wir nicht wieder in diesen verrückten Zauber hineingeraten.«

»Entschuldigt mal«, meldete Delilah sich zu Wort, »was zum Teufel tut ihr beiden da?«

Ich wich von Morio zurück und wies mit einem Nicken auf den Grabhügel. »Während du dein Kitkat-Päuschen gemacht hast, sind wir in einer Umarmung gelandet, die ganz definitiv nicht jugendfrei war. Ist dir nicht aufgefallen, dass ich mein Outfit mit einer Schicht Matsch aufgepeppt habe?« Leider war das kein Witz. Dank des wilden Ritts mit Mr. Fox waren meine Jacke und mein Rock hinten mit Tau, Matsch und nassen Blättern verziert.

»Ich hatte mich schon gewundert, aber ich war eben zu höflich, um dich darauf anzusprechen«, erwiderte Delilah hüstelnd. »Oje. Ich kann es kaum erwarten, was das für Folgen haben wird«, sagte sie, und ein höhnisches Grinsen breitete sich über ihr Gesicht. »Na, jedenfalls bin ich froh, dass ihr mich eingefangen habt, ehe ich in den Wald abgedüst bin und mich verlaufen habe.«

»Danke, du Wildkatze. Zurück zu unserem eigentlichen Problem. Wenn das hier nicht Wisterias Lichtung ist, wem gehört sie dann? Das ist Sidhe-Magie, aber sie ist mit der Erde verbunden, nicht mit der Anderwelt.«

Morio kniete sich hin und untersuchte die Pilze. »Camille hat recht. Das ist sehr mächtige Magie, und es ist gefährlich, sie unbewacht zu lassen.«

Stirnrunzelnd starrte Delilah den Hügel an. »Dann lautet die Frage doch, wie brechen wir die Illusion? Ich will wissen, was da drunter ist.«

Ich betrachtete den Grabhügel. »Wahrscheinlich könnte ich sie durchbrechen, aber leider besteht die Möglichkeit, dass ich irgendeine Art Implosion verursache, wenn meine Magie in Kontakt mit den magischen Barrieren kommt. Ich weiß nicht, ob es das Risiko wert ist. Vielleicht könnten wir einfach außen herumgehen?«

Morio neigte den Kopf zur Seite. »Ich kann versuchen, das Kraftfeld zu bannen, aber ich weiß nicht, ob ich stark genug bin. Das Ding besteht nicht nur aus Illusion. Wie wäre es, wenn wir es zusammen versuchen? Vielleicht kann ich irgendwelche Fehlzündungen deiner Magie auffangen, Camille.«

»Du bist echt mutig, was?« Ich rieb mir den Rücken. Morio hatte mich wirklich ganz schön rangenommen. Er war stärker, als ich ihm zugetraut hätte. Ich würde eine Menge Dehnübungen machen müssen, um meine verkrampften inneren Oberschenkel locker zu bekommen. »Bist du sicher, dass du das riskieren willst? Wenn etwas schiefgeht, kann ich nicht für deine Sicherheit garantieren.«

Er bemerkte meine schmerzhafte Grimasse. »Brauchst du eine kleine Massage nach dieser akrobatischen Einlage?«, fragte er zwinkernd. Als ich empört nach Luft schnappte, fügte er hinzu: »Keine Sorge. Ich glaube, ich kann mich vor allem schützen, was du an Fehlleistungen zustande bringst.«

»Na, herzlichen Dank. Ich liebe dich auch.« Ich runzelte die Stirn. Mein Rücken fühlte sich an, als steche jemand mit einer heißen Nadel hinein. »Was zum... ? Delilah, habe ich was unter dem Hemd?« Ich hob das Trägertop an, damit sie nachsehen konnte. Morio begaffte mich unverhohlen. Ich streckte ihm die Zunge heraus, während Delilah meinen Rücken untersuchte.

»Ja, du hast es geschafft, dir eine Brombeerranke einzufangen.« Mit einer plötzlichen Bewegung riss sie sie heraus, und ich jaulte auf, als sich der Dorn aus meiner Haut löste. »So viel zu Sex im Wald«, brummte ich. Bis auf die ganz wilden Gegenden blieben Dornenranken in der Anderwelt hübsch ordentlich da, wo sie hingehörten.

»Also, packen wir’s an. Chase wird sich fragen, was zum Teufel aus uns geworden ist, wenn wir uns nicht beeilen.« Ich musterte den Grabhügel. »Ich konzentriere mich darauf, die Barriere einzureißen, und du schaffst uns sämtliche Illusionen aus dem Weg, die vielleicht damit verbunden sind. Stell dich da drüben hin und halte eine gute Armeslänge Abstand.«

Wir brachten uns in Position, und Delilah gab uns Rückendeckung. Als ich die Arme hob und die Macht der Mondmutter herabrief, schimmerte die Energie auf der Lichtung. Der Regen ließ plötzlich nach, und ein kalter Wind kam auf, der die Bäume schüttelte. Ich konzentrierte mich darauf, ein Loch in dem Kraftfeld zu schaffen, und verwandelte mich in eine Art magischen Schlagbohrer. Morio arbeitete an meiner Seite, zerstreute die Illusionen, die den Hügel umgaben, und brach ihre Macht über das Land.

Als die Barriere schwächer wurde und es uns gelang, einen Keil in die Mauer zu treiben, begann ein dumpfes Grollen in der Luft zu vibrieren; die Erde bebte und schlug Wellen unter unseren Füßen. Ich schwankte und versuchte, mich auf den Beinen zu halten, doch das Beben wurde stärker und schleuderte Morio und mich zu Boden. Das Kraftfeld zersprang in tausend unsichtbare Scherben, und dann war die Lichtung wieder still.

»Shake, rattle and roll«, sagte ich und kam schwankend auf die Beine.

»Was zum Teufel war denn das? Sind wir hier vielleicht in einem Kriegsgebiet?«, fragte Delilah.

Die bezaubernde Lichtung mit dem grünen Hügel war nun ein schwarzer Buckel, umgeben von einem Ring kränklicher Bäume, die von finsteren Gedanken und Begierden murmelten. Der Boden war versengt, und zu Kohle verbrannte Baumstämme lagen überall verstreut.

»Heilige Scheiße. Seht euch das an.« Delilah sog scharf den Atem ein und blickte sich mit großen Augen um.

»Das sagt ja wohl alles.« Ich blickte mich nach Morio um, der sich die Schulter rieb – offenbar war er bei dem Erdbeben schmerzhaft gestürzt. »Was ist hier passiert?«

»Schau«, sagte er und deutete auf ein schwarzes Loch in dem dunklen Hügel. Es führte tief in die Erde hinein. »Ist das eine Höhle?«

Ich kniff gegen den Regen – der nun wieder auf uns herabprasselte – die Augen zusammen und sah, dass er recht hatte. Es war eine Höhle. Die Höhle. Und ich wusste, dass sich irgendwo da drin Tom Lane versteckte.

»Da müssen wir rein. Das ist sie, Leute. Gehen wir.« Doch als ich vortrat, erregte das leise Rauschen von Schwingen meine Aufmerksamkeit. Ehe wir einen Schritt weitergekommen waren, erhob sich ein Schatten hinter dem Hügel. Schlangengleich, riesig und milchweiß ragte ein Drache vor uns auf. Und er sah hungrig aus.