Kapitel 18

 

Als wir das Gespräch beendeten, waren wir alle so erschöpft, wie Vater ausgesehen hatte. Chase war offensichtlich erschüttert. Er war ein normaler, sehr korrekter Polizist gewesen, bis er in den AND eingetreten war, und nun wurde ihm gesagt, dass seine neue Behörde korrupt war und ein Bürgerkrieg alles zu zerstören drohte, was er in den vergangenen paar Jahren auf der Erde mit aufgebaut hatte.

Während Delilah und Chase Sandwiches für alle machten, berichtete ich Morio und Iris, was wir gehört hatten. Wir schleiften Wisteria ins Wohnzimmer, um sie im Auge zu behalten; da wir uns in die Küche setzten, würde sie uns trotzdem nicht belauschen können.

Tom war ein weiteres Problem. Er hatte kaum ein Wort gesagt, nur leise vor sich hin gesummt. Doch als er Maggie entdeckte, hellte sich seine Miene auf, und er fragte, ob er sie auf den Schoß nehmen dürfe. Ich sah zu, wie er mit ihr auf dem Schaukelstuhl kuschelte, den wir in die Küche gestellt hatten. Er spielte mit ihren kleinen Händen und lächelte, als sie die winzigen Krallen um einen seiner Finger schlang. Ich wischte mir die Augen, müde und traurig. Das Böse, dem wir gegenüberstanden, drohte die Toms und Maggies dieser Welt zu überrennen. Es würde sie zerreißen und roh und blutig wieder ausspucken, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden. Und genau deshalb würden wir bleiben und kämpfen.

»Wir werden Großmutter Kojote zur Kooperation bewegen müssen. Wir brauchen ihr Portal, um Tom hinüber in die Anderwelt zu bringen.« Ich trommelte mit den Fingern auf dem Tisch herum und überlegte, wie wir das praktisch anstellen sollten. »Dann spüren wir Luke auf und schalten ihn so schnell wie möglich aus.«

Morio schüttelte den Kopf, und Sorge schimmerte in seinen Augen. »Ich habe das Gefühl, dass Luke zu uns kommen wird, ehe wir auch nur Großmutter Kojotes Wald erreichen. Sein Kumpel hätte sich vermutlich längst bei ihm melden sollen, stattdessen liegt er tot in eurem Wohnzimmer. Außerdem ist Luke inzwischen sicher dahintergekommen, dass wir Tom haben.«

»Kannst du dich aus der Stadt schleichen und Großmutter Kojote dazu überreden, uns zu helfen – uns ihr Portal benutzen zu lassen?« Ich starrte ihn an, und Bilder von unserer hitzigen Vereinigung draußen bei dem Grabhügel standen mir vor Augen. Sobald Trillian zurück war, würde ich einen Drahtseilakt zwischen diesen beiden Männern vollführen müssen, denn ich wollte eigentlich keinen von beiden aufgeben.

Er blickte zur Arbeitsfläche hinüber, wo Delilah letzte Hand an unser Abendessen legte. »Sobald ich etwas gegessen habe. Ich schlage vor, du versuchst erst mal mit einem Findezauber, Luke aufzuspüren. Ich wette, er ist auf dem Weg hierher. Das Letzte, was passieren darf, ist, dass er euch überrascht.«

»Oh, das ist genau das, was wir bräuchten«, sagte ich. »Wenn der Findezauber so gut klappt wie der letzte, den ich auf die Harpyie gesprochen habe, dann sind alle unsere Probleme mit einem Schlag gelöst, denn dann wird der gute alte Luke plötzlich in unserem Wohnzimmer stehen.«

Chase schnaubte, und Delilah lachte. Aber Morio hatte recht, dachte ich. Wir konnten nicht einfach herumsitzen und darauf warten, dass Luke zu uns kam. Ich nahm das TruthahnSandwich, das Delilah mir reichte, und biss niedergeschlagen hinein.

»Ja, ja, freut mich, dass ich euch zum Lachen bringe«, sagte ich. »Aber Morio hat recht. Ich werde es versuchen, aber wir müssen gut vorbereitet sein, denn falls mein Zauber schiefgeht und er tatsächlich im Wohnzimmer erscheint, müssen wir ihn auf der Stelle erledigen. Hier geht es um Leben und Tod, Leute.«

Chase ließ sich auf dem Stuhl neben mir nieder. »Camille, wie lange schwelt diese Bürgerkriegsgeschichte in Y’Elestrial schon vor sich hin?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Womöglich Hunderte von Jahren. Lethesanar ist ein Opium-Junkie, das wussten wir schon als Kinder.«

»Wir sollten Wisteria losbinden«, bemerkte Delilah. Sie hatte sich auf die Arbeitsfläche gesetzt und ließ die langen Beine baumeln.

»Was? Warum zum Teufel sollten wir das tun? Dieses Miststück ist gefährlich.« Ich musterte meine Schwester und fragte mich, wo sie ihren Kopf hatte.

»Sie ist jetzt seit Stunden gefesselt. Bestimmt bekommt sie schon Krämpfe.«

Immer ein weiches Herz, meine Schwester. Ich seufzte. Sie meinte es zwar gut, aber das war zu gefährlich. »Delilah, Süße, denk mal darüber nach. Wisteria hat versucht, uns zu töten. Sie steht mit den Dämonen im Bunde. Sie hasst uns. Und du willst, dass wir sie losbinden? Denk daran, was sie Chase angetan hat.«

»In dieser Sache gebe ich Camille recht, Delilah.« Chase sah nicht aus, als freue er sich, mit mir einer Meinung zu sein. »Wir können es nicht riskieren. Es geht alles durcheinander, und es wäre sehr gefährlich, sie loszubinden – und sei es nur für ein paar Minuten.«

Delilah warf Menolly einen Blick zu, die bloß den Kopf zu schütteln brauchte, um ihre Meinung kundzutun. »Das verstehe ich ja, aber es kommt mir so grausam vor, sie ohne Pause gefesselt zu lassen. Können wir sie wenigstens fragen, ob sie etwas trinken möchte?«

Ich presste die Lippen zusammen – ich wollte nicht den bösen Bullen spielen. Chase warf mir einen Blick zu, und ich sah, dass er die Rolle auch nicht haben wollte.

Menolly schlug nach einer Mücke. »Sie ist keine Prinzessin, Kätzchen. Sie ist ein blutrünstiger Waldgeist, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat«, stellte sie fest. »Sie würde dir mit Vergnügen den Kopf abreißen.«

Delilah sah sie mit großen Unschuldsaugen und diesem mädchenhaften Blick an, den sie draufhatte. Schließlich zuckte Menolly mit den Schultern. »Na schön, aber gebt mir nicht die Schuld, falls irgendetwas schiefgeht. Komm, ich helfe dir. Wir bringen ihr Wasser, aber falls sie auch nur einen Finger rührt, breche ich ihr das Genick.«

»Ich weiß nicht so recht, ob ich mich jetzt besser fühlen soll«, brummte Delilah, und die beiden standen auf und gingen hinaus.

Iris stand auf einer Trittleiter am Spülbecken und spülte Geschirr. Ich wollte ihr sagen, sie brauche das jetzt nicht zu tun, überlegte er mir aber anders. Hausgeister genossen es, jenen zu helfen, die sie mochten. Das lag in ihrer Natur, genauso wie Jockos Grobheit oder Trillians Sarkasmus in deren Natur lagen.

Sie drehte sich um, wischte sich die Hände am Geschirrtuch ab und fragte: »Was soll ich tun, solange ihr gegen diesen Dämon kämpft?«

»Versteck dich mit Maggie und Tom. Du wirst die beiden beschützen müssen. Aber wir werden euch so gut wie möglich sichern.« Ich spielte mit dem Rest meines Sandwiches herum und ließ mir unser Dilemma durch den Kopf gehen. Wenn Vater nur herüberkommen könnte, um uns zu helfen, hätte ich mich viel sicherer gefühlt, aber das war nicht möglich.

Ich fragte mich, ob die Königin herausgefunden hatte, dass Trillian bei dieser Angelegenheit eine Rolle spielte – wie auch immer die aussehen mochte. Ich versuchte mir zu überlegen, wie wir nach Hause kommen sollten, nachdem wir Tom sicher hinter die Mauern der Elfenstadt gebracht hatten. Wenn wir nach Y’Elestrial zurückkehrten, würde der AND uns befehlen, gegen Tanaquar zu kämpfen. Und wenn ich mir meine Gefühle offen eingestand, hoffte ich, dass Tanaquar gewinnen würde.

Die jüngere Schwester der Königin war brillant und stark, und sie hatte zwar eine grausame Seite – wie die meisten Sidhe –, doch sie besaß auch Gerechtigkeitssinn, und ich vertraute ihrem Urteil viel mehr als dem der vom Opium benebelten Lethesanar. Aber noch waren wir ja gar nicht zu Hause. Wir mussten uns auf die bevorstehende Schlacht konzentrieren.

Ich rüttelte mich aus meinen Gedanken und stand auf. »Chase, würdet du und Morio bitte die Küche verlassen? Ich will Iris, Tom und Maggie verstecken. Dann spreche ich den Findezauber, um Bad Ass Luke aufzuspüren.«

»Ich muss ohnehin los, wenn ich mit Großmutter Kojote sprechen soll«, sagte Morio und küsste mich rasch. »Gebt gut auf euch acht, bis ich zurück bin.« Er eilte zur Tür. Ich sah ihm durchs Küchenfenster nach, und in einer Sekunde stand er noch da, in der nächsten huschte ein schlanker roter Fuchs in den Wald.

Chase verließ den Raum, und ich ging hinüber zu Tom. »Nimmst du Maggie, bitte?«, flüsterte ich Iris zu. Sie kam herbei, und Tom blickte aus dem Schaukelstuhl zu mir auf, mit dem lieblichsten Lächeln, das ich seit langem gesehen hatte.

»Sie waren sehr nett zu mir, Miss. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« Dafür liebte ich ihn noch mehr. Allmählich wurde mir klar, warum Titania ihn so lange bei sich behalten hatte.

»Glauben Sie mir, Tom, Sie helfen uns bereits, auch wenn Sie es nicht wissen. Jetzt möchte ich, dass Sie sich zurücklehnen und die Augen schließen. Es wird Zeit für ein Nickerchen.« Ich ging den Spruch durch und hoffte bloß, dass ich ihn richtig hinbekommen würde. Als er gehorchte, legte ich eine Hand auf seine Stirn, die andere auf die Schulter. »Höre, doch vergesse. Folge, doch im Schlafe, Mutter Mond.«

Die Worte hingen einen Augenblick lang in der Luft und senkten sich dann wie ein Tuch auf ihn herab, das seinen Körper einhüllte. Diesmal war alles glattgegangen. Binnen Sekunden atmete Tom ruhig und gleichmäßig. Ich beugte mich vor und flüsterte ihm ins Ohr: »Kommen Sie mit mir, Tom, und passen Sie auf, wo Sie hintreten.«

Er stand auf. Ich nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu dem geheimen Eingang, den Iris bereits geöffnet hatte. Sie hielt Maggie fest auf einem Arm, ließ mich mit Tom die Treppe hinab vorangehen und folgte mir dann nach unten. Wir erreichten Menollys Zimmer, und ich half Tom auf den gemütlichen Lehnsessel. Iris deckte ihn mit einer Wolldecke zu.

»Er wird mehrere Stunden schlafen«, sagte ich. »Was auch passiert, bring ihn nicht hinauf, bevor wir wieder da sind. Falls etwas schiefgeht und du Gefahr witterst, nimm seinen Anhänger und Maggie und versteckt euch, wenn ihr könnt. Falls wir nicht zurückkehren, geh zu Großmutter Kojote und bring den Anhänger durch das Portal zur Elfenkönigin.« Ich umarmte sie und den schnarchenden Gargoyle-Welpen, kehrte dann in die Küche zurück und schloss das Regal hinter mir.

Ehe ich es bis ins Wohnzimmer geschafft hatte, kam Menolly in die Küche geschossen und stieß wüste Flüche aus. Sie war stinksauer, das stand fest. Ihre Augen leuchteten rot, und ihre Reißzähne waren ausgefahren.

»Oje, was ist passiert?«

»Wisteria wollte wohl mal Vampir spielen«, sagte Menolly und warf einen finsteren Blick über die Schulter.

Delilah betrat langsam die Küche. Mit einer Hand hielt sie sich den Hals, und ich sah Blut zwischen ihren Fingern hervorrinnen.

»Was unter den sieben Sternen ist denn mit dir passiert?« Ich eilte zu ihr und riss die Hand von der Wunde. Menolly hatte recht. Offensichtlich hatte Wisteria sich tatsächlich auf Delilahs Hals gestürzt, denn das hier war kein Knutschfleck. Blut sickerte aus der Wunde, und an den Rändern sammelte sich bereits merkwürdiger grüner Eiter.

»Der Kohlkopf wollte nur etwas zu trinken – na klar. Dann hat sie Delilah angegriffen, die ihr den Becher hingehalten hat.« Menolly ließ sich mit empörtem Schnauben auf einem Stuhl nieder und schlug anmutig ein Bein über.

»Lebt sie noch?« Nachdem ich meine Schwester in Aktion gesehen hatte, machte ich mir keine großen Hoffnungen, doch Menolly überraschte mich.

»Ja, ich habe unsere kostbare Geisel am Leben gelassen. Aber ohne Hilfe wird sie sich nie befreien können«, sagte sie, und ein boshaftes Grinsen breitete sich über ihr Gesicht. »Ich weiß, wie man Knoten knüpft, und glaub mir, sie wird noch tagelang jeden einzelnen Muskel spüren.«

Delilah gab nach und ließ sich von mir die Wunde waschen, reinigen und verbinden. Der Biss sah hässlich aus, doch ich stäubte einen antibakteriellen Universal-Puder darauf, den die Heiler uns aus der Anderwelt mitgegeben hatten, und bedeckte die Wunde mit einer Mullbinde.

»Ich könnte jetzt sagen: Ich hab’s dir ja gesagt«, brummte ich. »Wann lernst du endlich, auf mich zu hören?«

»Ach, halt die Klappe«, sagte Delilah, doch ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Keine Sorge, mein Mitgefühl hat sie verspielt«, fügte sie hinzu. »Nicht zu fassen, dass sie versucht hat, mir ein Stück aus dem Hals zu beißen.«

»Du klingst überrascht.«

»Ich dachte nur... Ich hätte nie gedacht... « Delilah warf mir einen kurzen Blick zu, und ich wusste, was ihr so zu schaffen machte.

»Süße, du spielst vielleicht fair, aber Wisteria ist ein Feind. Vergiss das nie«, sagte ich und klebte vorsichtig das Ende der Mullbinde fest. »Diese Dämonen gieren nach Blut. Sie haben es darauf abgesehen, diese Welt und unsere Welt zu unterwerfen, und sie werden sich nicht an irgendwelche netten Regeln halten und Frauen und Kinder verschonen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie ihren Plan umsetzen.«

Ihre Lippen zitterten. Meine weichherzige Schwester, die immer das Beste glauben wollte, sich auf das Positive konzentrierte, das Negative eliminieren wollte, indem sie es einfach nicht zur Kenntnis nahm – sie begann, nicht nur die heldenhafte, sondern auch die hässliche Seite, die Schattenseite des Krieges zu sehen. Eine harte Lektion, aber eine, die sie lernen musste.

»Da hast du wohl recht«, sagte sie. »Ich kann nur nicht verstehen, dass sich eine von uns, aus unserer eigenen Welt, mit ihnen verbündet. Begreift Wisteria denn nicht, dass die Dämonen sie töten werden? Ich habe versucht, ihr das zu sagen, und sie hat mir ins Gesicht gelacht.«

»Bevor sie dich in den Hals gebissen hat?« Ich packte die Verbände und den Wundpuder wieder weg und wusch mir die Hände. »Hör mir zu. Leute – Menschen und Feen und Sidhe eingeschlossen – hören, was sie hören wollen, und glauben, was sie glauben wollen. So ist das Leben. Und jetzt müssen wir Wisteria irgendwo verstauen, bevor ich den Findezauber spreche, mit dem wir feststellen können, wo Luke steckt. Vorschläge werden gern entgegengenommen.«

»Ich glaube nicht, dass wir sie nach draußen bringen sollten. Falls Luke hier auftaucht, könnte er sie befreien, und dann hätten wir es mit zwei Irren zu tun.« Menolly blickte sich stirnrunzelnd um. »Wie wäre es mit dem Besenschrank? Du könntest sie mit einem deiner magischen Schlösser darin einsperren.«

»Unbedingt – weil die bei mir immer so prima funktionieren.« Die Versuche meines Mentors, mich das Anbringen von magischen Schlössern zu lehren, waren eine ungeheure Zeitverschwendung für uns beide gewesen. Bis heute hatte ich es bei hundert ernsthaften Versuchen genau dreimal geschafft. »Ich kann es probieren, aber ich garantiere für gar nichts.«

»Wie beruhigend. Ach, verdammt, es ist immerhin eine Chance, und wir würden dabei nicht viel Zeit verlieren.« Sie stand auf. »Ich melde mich freiwillig dafür, das Monster in den Schrank zu stecken, wenn du bereit bist, es zu versuchen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Menolly, entweder hast du ungeheuerliches Vertrauen zu mir, oder du hältst dich für stark genug, allem standzuhalten, was ich dir möglicherweise gleich an den Kopf werfen werde. Also schön, hol sie her, ich versuche es. Aber versprechen kann ich gar nichts.«

Als sie die gefesselte und geknebelte Wisteria in die Küche trug, runzelte Delilah finster die Stirn, öffnete aber nur zu gern die Tür zum Besenschrank. Menolly schleuderte Wisteria unsanft hinein. Sie wollte gerade die Schranktür zuknallen, als ein Klopfen an der Küchentür sie innehalten ließ.

Chase und Delilah zogen ihre Waffen. Menolly blieb beim Schrank, während ich zum Fenster schlich und durch die Vorhänge spähte. Es war Morio. Vorsichtig öffnete ich die Tür, und er huschte hinein, blieb aber mit verwunderter Miene stehen, als er den offenen Besenschrank, die erzürnte Floreade und Delilahs verbundenen Hals sah.

»Was ist passiert?«

»Wisteria wollte sich mal als Blutsaugerin versuchen. Wir schließen sie gerade in den Schrank ein, du kommst genau richtig. Danach werde ich den Findezauber sprechen, um Bad Ass Luke aufzuspüren.« Ich schloss die Küchentür und verriegelte sie sorgfältig. »Hast du schon mit Großmutter Kojote gesprochen? Was hat sie gesagt?«

»Als Fuchs bin ich ziemlich schnell«, sagte Morio. »Ja, ich habe sie gefunden. Sie ist bereit, uns durch das Portal zu lassen. Ich nehme an, einer von euch kennt sich mit der Prozedur des Übertritts aus?«

Menolly hob die Hand. »Ich. Das habe ich im Wayfarer gelernt. Wobei mir einfällt, dass ich diesen Job vermutlich vergessen kann, wenn der AND erfährt, dass ich heute Nacht nicht aufgetaucht bin.«

»Das bezweifle ich, immerhin... « Ich unterbrach mich, als ich merkte, dass Wisteria interessiert zuhörte. »Psst. Feind hört mit.«

Menolly knallte die Schranktür zu und trat zurück. »Feuer frei.«

»Danke sehr.« Nicht zu fassen, dass ich das tatsächlich noch einmal versuchen würde. Ich hatte es schon aufgegeben, diesen Zauber je zu meistern. »Wie gesagt, meistens geht das schief, also schlage ich vor, ihr geht alle in Deckung, damit ihr nicht getroffen werdet, falls mir der Spruch gleich um die Ohren fliegt.«

Als alle sich im Wohnzimmer in Sicherheit gebracht hatten, konzentrierte ich mich auf die Magie, mit der man Situationen erstarren lassen, Türen verschließen, Tore verbarrikadieren und Geheimnisse versiegeln konnte. Erst strömte sie klar durch mich hindurch und floss dick wie Honig in meinen Adern. Mein Vater beherrschte diesen Zauber meisterlich – das war bei ihm eine angeborene Fähigkeit, und ich hatte diese Kraft geerbt, bedauerlicherweise mit einem kleinen Haken.

Ich versuchte, nicht daran zu denken, was alles schiefgehen konnte, sondern mich auf den Erfolg zu konzentrieren, doch da war wieder dieses vertraute Holpern – als hätte die Energie einen gewissen Punkt überschritten und wäre dann abgewürgt worden. Ehe ich mich versah, hüllte die Kraft, die aus meinen Händen hervorschoss, die Schranktür ein, die Angeln explodierten, und ein Splitter traf mich wie ein Schrapnell am Arm.

»Zur Hölle!« Mein Arm brannte fürchterlich. Ich packte den Unterarm, in den sich ein fünf Zentimeter langes Stück Metall gebohrt hatte. Die Tür, aus den Angeln gesprengt und von sämtlichen anderen Schließmechanismen befreit, wackelte und kippte auf mich zu, und ich schaffte es gerade noch, beiseite zu springen, ehe sie mit lautem Krachen auf den Boden knallte. Das war’s dann wohl mit meiner Hoffnung, Wisteria magisch im Wandschrank einzuschließen.

Die anderen eilten herbei. Als Morio das Blut sah, packte er meinen Arm und untersuchte ihn. Er bedeutete mir, mich an den Tisch zu setzen, und Delilah holte den Verbandskasten wieder hervor, den ich eben erst weggeräumt hatte.

»Du konntest es wohl nicht ertragen, dass ich so einen schicken Verband trage und du nicht, oder?«, neckte sie mich.

Ich schnaubte. »O ja, das ist dieses Jahr der letzte Schrei bei Hofe. Wie ich gehört habe, wird die Königin auch so einen tragen, wenn Tanaquar mit ihr fertig ist.« Ich seufzte niedergeschlagen. »Meine Magie hat in den letzten paar Tagen prima funktioniert. Ich werde richtig gut darin, Leute magisch umzupusten. Aber das konnte ja nicht ewig halten.«

Menolly zerrte Wisteria aus dem Besenschrank. Die Augen der Floreade glänzten triumphierend; am liebsten hätte ich ihr eine geknallt, doch ich beherrschte mich.

»Ich bringe unseren Besuch in die Rumpelkammer«, sagte Menolly. »Sie hat keine Fenster, und wir schließen die Tür einfach ganz normal mit dem Schlüssel ab und hoffen das Beste.« Sie trottete davon, die Gefesselte über eine Schulter gelegt wie einen Besenstiel.

»Gute Idee«, brummte ich. »Ich hoffe nur, dieser Flop bedeutet nicht, dass ich bei der Suche nach Mr. Bad Ass ebenso versagen werde.«

Morio hielt eine fies aussehende, lange Pinzette hoch. »Tief Luft holen und fest ausatmen, wenn ich das Ding aus deinem Arm ziehe.«

Ich gehorchte und kreischte, als er den Metallsplitter aus meiner Haut rupfte. »Du hättest schon etwas sanfter sein können«, klagte ich, doch er schüttelte den Kopf.

»Dann hätte es noch mehr wehgetan. Ich muss die Wunde säubern, das wird brennen, aber wir müssen sicherstellen, dass da keine Metallsplitter mehr drin sind.«

Als er Wasser über die Wunde goss, biss ich die Zähne zusammen und schwor mir, nicht zu schreien. Doch als er die Wunde trockentupfte und den antiseptischen Puder daraufstäubte, beschloss ich, meine Würde zu vergessen.

»Große Mutter, willst du mich foltern?«

»Atmen, atmen«, sagte er und streichelte mit einem Finger meine Handfläche. Seine Berührung lenkte mich von dem Schmerz ab, und als er sacht über mein Handgelenk strich, hatte ich den Schmerz schon völlig vergessen, so genoss ich das seidige Gefühl seiner Haut an meiner.

»So ist es richtig. Folge meiner Stimme, atme den Schmerz aus, empfinde nur Genuss.« Sein Blick begegnete meinem, und am liebsten hätte ich ihn auf der Stelle besprungen. Nur mühsam konnte ich mich wieder von ihm losreißen.

»Fühlst du dich besser?«, fragte er. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, und die Wärme seines Körpers zog sich aus meiner Aura zurück.

Ich blickte mich um. Delilah und Chase beobachteten mich, und ich fragte mich, ob sie wussten, wie kurz davor ich gestanden hatte, gleich hier in der Küche einen Orgasmus zu bekommen. Morio hatte offensichtlich seine Mekuramashi Kräfte auf mich wirken lassen.

»Du solltest das in Flaschen abfüllen und es verkaufen«, sagte ich heiser. »Ich würde eine ganze Kiste davon nehmen.«

»Ich freue mich, wenn ich dir helfen konnte. Später helfe ich dir gern noch mehr.« Seine Stimme war so leise, dass nur ich ihn hören konnte.

Ich schluckte schwer und dachte, dass es für die Spannung zwischen uns nur ein Ventil gab – wenn wir mit Luke fertig waren. »Wenn wir Zeit dazu haben«, sagte ich, und er beugte sich vor und küsste mich auf den Mund.

In diesem Moment kam Menolly zurück. »Wisteria ist weggesperrt, und ich werde den Schlüssel sicher verwahren.« Sie hielt ihn hoch, damit wir ihn sehen konnten, und schob ihn dann in ihre Tasche. »Also, was ist jetzt mit Luke?«

Ja, was war mit Luke?

»Es hat wohl keinen Sinn, das hinauszuzögern.« Ich zeigte ins Wohnzimmer, und wir versammelten uns vor dem Kamin. »Wenn das funktioniert wie bei der Harpyie, dann stecken wir in Schwierigkeiten.«

Delilah zog ihr langes Messer. Schusswaffen würden gegen Luke nichts nützen, außer es hätte zufällig jemand eine Kalaschnikow dabei, und so etwas fand sich nicht einmal in Chases Arsenal. Menolly fuhr ihre Klauen aus. Morio schloss die Augen, und ich spürte die Energie um ihn anwachsen, als er seine Magie herbeirief. Chase zog ebenfalls eine Waffe aus der Jacke, eine, die ich bei ihm noch nie gesehen hatte – ein Nunchaku. Allerdings waren die beiden mit einer Kette verbundenen Stäbe nicht aus Holz, sondern aus Stahl. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu.

Er lächelte. »Ich habe durchaus eine Ausbildung in Selbstverteidigung erhalten, die sich nicht auf das Betätigen eines Abzugs beschränkt, Camille. Vertrau mir, ich kann mit den Dingern umgehen. Du hast gesagt, Kugeln würden gegen einen Dämon von Lukes Kaliber nichts nützen, und irgendwie glaube ich nicht, dass ich mit einer Ohrfeige viel ausrichten könnte – oder?«

Ich lachte. »Chase, du bist schon in Ordnung. Okay, wir sind so weit. Ich wünschte nur, Trillian wäre hier – wir könnten seine Fähigkeiten gebrauchen. Also, mal sehen«, sagte ich und blickte mich um. »Ich brauche meine Kristallschale und eine Flasche Quellwasser.«

»Ich hole sie«, sagte Delilah und sprang die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal.

»Kann ich irgendetwas tun?«, fragte Chase und blickte sich im Wohnzimmer um. »Soll ich irgendwelche Möbel beiseite rücken oder so?«

»Nein, danke. Normalerweise würde ich noch ein paar Kerzen anzünden, aber Luke ist ein Feuerdämon, und falls er in unserem Wohnzimmer erscheint, möchte ich hier kein offenes Feuer haben. Er könnte es für seinen Angriff benutzen und das Haus umso leichter niederbrennen.« Stirnrunzelnd sah ich mich um und überlegte, was wir noch brauchen könnten. »Ah, ich weiß was. Du könntest den Feuerlöscher aus der Küche holen. Damit können wir ihn vielleicht blenden. Zumindest kurzfristig.« In Wahrheit hatte ich keine Ahnung, wie der Schaum auf einen Dämon wirken würde, aber ein Versuch konnte nicht schaden.

Chase trottete in die Küche und kam gleich darauf mit dem Feuerlöscher zurück. Als er ihn neben mir abstellte, griff ich nach seiner Hand.

»Chase, ich hoffe, du und Delilah genießt das, was ihr da laufen habt – solange es eben hält«, sagte ich mit leiser Stimme. Soweit ich wusste, konnten Menolly oder Morio uns belauschen. Wir alle hatten ein besseres Gehör als ein VBM, aber das brauchte Chase nicht zu wissen.

»Ich war nicht immer nett zu dir«, fuhr ich fort. »Aber Delilah mag dich, und anscheinend hast du auch deine Angst vor ihr abgelegt.«

Seine Augen schimmerten. »Ich weiß, dass ich dir auf die Nerven gehe, schon von Anfang an. Du bist eben so... ich weiß auch nicht. Lebendig? Vital? Aber neulich, als Delilah und ich allein zusammengearbeitet haben, da ist irgendetwas passiert. Ich habe sie noch nie so gesehen, aber weil du nicht dabei warst, konnte ich sie auf einmal so sehen, wie sie ist.«

Ich hätte ihm am liebsten gesagt, dass er keine Ahnung hatte, wer sie wirklich war – dass er gerade mal die Oberfläche angekratzt hatte. Das wäre nur die Wahrheit gewesen. Aber ich wusste auch, dass er das selbst herausfinden musste und es Delilahs Entscheidung war, was sie ihm wann enthüllte.

»Vergiss nur nicht, dass auch sie halb Sidhe ist. Und Sidhe sehen vielleicht aus wie Menschen, aber das sind wir nicht.« Seine Miene sagte mir, dass ich im Begriff war, zu weit zu gehen, also räusperte ich mich und wechselte das Thema.

»Schön, ich will den Couchtisch vor dem Sessel und – ah, da ist Delilah mit der Schale.«

Delilah eilte herein, meine Kristallschale in der einen Hand, in der anderen eine Flasche Wasser aus der Tygeria, einem Fluss in unserer Heimat.

Der Brunnen der Tygeria war eine heilige Quelle, die hoch in den Bergen aus dem Gestein sprudelte. Das Wasser floss so reichlich und schnell, dass es zu einem Fluss wurde. Wasser und Quelle wurden beständig von einer Gruppe Priester gesegnet, die hoch oben an der Flanke des Tygeria-Berges in einem uralten Kloster lebten. Der Orden des Kristallenen Dolches war eine der ältesten spirituellen Bruderschaften der Anderwelt, und die Mönche waren ebenso einsiedlerisch wie tödlich. Sie hatten jedoch nichts dagegen, dass die Leute das gesegnete Wasser benutzten, solange nur niemand dem Fluss, dem Kloster oder dem Berg schadete oder sie besudelte.

Ich goss das Wasser in die Schale, stellte sie auf den Tisch und wartete einen Moment, bis sich die Oberfläche beruhigt hatte. Ein paar Lichtfunken tanzten darüber hinweg. Ich bedeutete den anderen, sich zu setzen. »Wenn ich anfange, seid bitte still. Falls Luke durch irgendein Portal aus der Hölle hier hereingestürmt kommt, müsst ihr ihn sofort angreifen, denn ich werde einen Augenblick brauchen, meine Trance abzubrechen. Seid ihr bereit?«

Alle nickten.

Ich holte tief Luft und schloss die Augen. Da ich nichts besaß, das Luke gehörte, würde ich eine Abwandlung des Findezaubers benutzen müssen. Ich versenkte mich in den Strudel der Energie, und flüssiges Silber strömte durch meine Adern, während ich im Geiste eine Frage formulierte.

»Wo ist der Dämon Lucianopoloneelisunekonekari? Wo ist er jetzt, in diesem Augenblick?« Ich öffnete die Augen und schaute ins Wasser. Gleich darauf bildete sich Nebel über der Oberfläche, der sich zu wirbelnden Strängen formte, wie eine DNSHelix. Minitornados fegten über die Schale hinweg, der Nebel brodelte, wuchs und formte einen ovalen Rahmen über dem Couchtisch. In diesem Rahmen tanzte ein schwindelerregender Flammenreigen – Feenfeuer.

Langsam stand ich auf, mein gesamter Körper bebte. Diesen Spruch hatte ich schon ein paarmal verwendet, aber noch nie eine solche Wirkung gesehen, und ich war nicht sicher, was mich jetzt erwartete. Sollte ich den anderen zuschreien, sie müssten sich in Sicherheit bringen, oder würde ich nun endlich behaupten können, eine großartige magische Leistung vollbracht zu haben, auf die mein Mentor wahrhaft stolz sein konnte?

Fünf Sekunden vergingen, zehn, eine halbe Minute. Noch immer brodelte der Nebel und spiegelte das hellerleuchtete Oval. Als ich das Ganze gerade als hübsche Show und weiter nichts abschreiben wollte, kam Bewegung in das Feenfeuer. Die Funken formten sich zu einer Szene, deren Darstellung bemerkenswert der eines Fernsehbildschirms ähnelte, doch wir sahen hier keine Talkshow.

Ein Haus ragte ganz in der Nähe auf, das ich sofort als unser eigenes erkannte; im Licht des Vollmonds sah es beeindruckend groß aus. Dicke Wolken ballten sich zusammen und drohten, den Himmel zu erobern. Ein Wäldchen aus Zedern, Tannen und Birken begrenzte den Garten. An einer der großen Tannen an dem Trampelpfad, der vom Zaun zu den Bäumen führte, hing ein Vogelhaus.

Ich schnippte mit den Fingern. »Bingo. Wir sehen das Haus vom Wald aus. Von hinten.« Während ich sprach, durchfuhr mich plötzliche Wut, die rasch wieder verflog – das musste Luke sein. Er war irgendwo da draußen.

»Ich weiß, was das soll! Statt uns zu zeigen, wo er ist, zeigt uns der Zauber, was Luke sieht.« Vor lauter Aufregung verlor ich die Konzentration, und der Nebel löste sich auf. »Er ist hinten im Wald.«

»Er versteckt sich im Zedernhain«, fügte Delilah hinzu. »Und ich weiß genau, was er vorhat. Kennt ihr den Pfad, der zum Birkensee hinunterführt? Das ist der Weg auf dem Bild. Ich habe ihn an dem Vogelhaus erkannt.« Ein schuldbewusster Ausdruck huschte über ihr Gesicht, und ich hatte das Gefühl, dass sie sich in Katzengestalt in diesem Wäldchen herumtrieb. Sie bemerkte meinen Blick und grinste. Jawohl – als Katze wusste sie Vogelhäuschen durchaus zu schätzen.

»Wir stellen uns ihm draußen entgegen«, sagte ich. »Ich will nicht, dass er nah genug ans Haus herankommt, um es zu zerstören.«

»Vergiss das Haus. Ich mache mir viel mehr Sorgen um uns«, brummte Menolly. Sie streckte den Rücken und bog ihn durch. »Also schön, tragen wir den Kampf zu ihm.«

Ich fand mich mit dem bevorstehenden Unheil ab und nickte. »Gehen wir.«

Wir wollten gerade das Haus verlassen, als es an der Tür klingelte. Vorsichtig spähte ich durch den Spion. Bad Ass Luke würde doch gewiss nicht höflich an der Tür klingeln wie die Avon-Beraterin aus der Nachbarschaft? Verblüfft riss ich die Tür auf. »Was zum –?«

Smoky grinste mich breit und strahlend an. »Ich dachte, du könntest Hilfe brauchen«, sagte er. »Ich hatte das Gefühl, dass sich hier irgendetwas anbahnt, und möchte dir meine Dienste anbieten.«

Sprachlos starrte ich den Drachen an. Äh, den Mann. Den... Drachen-Mann? Er ließ mich nicht aus den Augen, während ich ihn hereinbat und ins Wohnzimmer führte.