20

»Gefährtin, hör auf, um mich herumzuwuseln.«

»Gabriel sagt …«

»Mir ist egal, was der silberne Wyvern sagt. Du hörst jetzt auf, mich ins Bett drängen zu wollen, und gibst mir meine Hose.«

»Du hast dich noch nicht genug ausgeruht!« Ich stopfte die Hose, die einer von Baltics Männern gebracht hatte, in den Schrank und stellte mich vor die Tür. »Gabriel hat deutlich gesagt, deine Verletzungen seien so ernst, dass du dich eine Zeitlang schonen musst, damit sie ausheilen können. Das bedeutet nicht, dass du ein paar Stunden, nachdem du in die Luft geflogen bist, wieder aufstehen kannst!«

»Ich lasse mich doch nicht von Gabriel Tauhou herumkommandieren!«, schnaubte Baltic empört und marschierte in all seiner prachtvollen Nacktheit auf mich zu. Er streckte die Hand aus. »Gib mir die Hose!«

»Wenn du wieder ins Bett gehst, wasche ich dich mit dem Schwamm«, sagte ich und klimperte mit den Wimpern.

Das ließ ihn innehalten, aber nach kurzem Überlegen schüttelte er den Kopf. »Im Haus des silbernen Drachen kann ich dich nicht lieben. Gib mir die Hose!«

»Wie wäre es damit?«, gurrte ich und ließ meine Hände über seinen muskulösen Brustkorb gleiten. Ich knabberte an seiner Unterlippe und schmiegte mich an ihn. »Du gehst wieder ins Bett, und ich massiere dich, um deine armen, geschundenen Muskeln wieder geschmeidig zu machen. Ich kann bestimmt Massageöl auftreiben – die Sorte, die man ablecken kann, weißt du?«

Leidenschaft flammte in seinen Augen auf, und eine Minute lang dachte ich, er würde sich dafür entscheiden, aber schließlich schüttelte er doch den Kopf und versuchte, die Schranktür aufzureißen. »Ich weiß, dass du mich ebenso sehr begehrst wie ich dich, Ysolde, aber dies ist nicht der richtige Ort, um solche Akte zu vollführen. Wir werden nach Hause zurückkehren, und dort kannst du Öl von meinem Körper lecken.«

Geschrei drang an meine Ohren, gefolgt von dumpfen Schritten.

»Unser Haus ist nur noch ein Scheiterhaufen«, sagte ich und seufzte, als er die Hose anzog. »Dank deiner verrückten Ex-freundin. Es klingt so, als bekämen wir Besuch.«

Er nahm ein Hemd aus dem Schrank und knöpfte es gerade zu, als Jim ins Zimmer platzte, mit vor Aufregung aufgerissenen Augen. »Gut, Baltic ist auf. Das willst du sicher sehen!«

»Was?«, fragte ich, aber der Dämon hatte schon wieder auf dem Absatz kehrtgemacht und war die Treppe hinuntergerannt.

»Ist mein Sohn hier?«

»Ja. Aisling hat ihn hiergelassen, als sie sich aufgemacht haben, um uns zu retten. Ich habe gar nicht damit gerechnet, aber sie sagte, sie habe sich Sorgen gemacht, weil ich gemeint habe, Thala wolle dir etwas antun, und deshalb hat sie Drake überredet, mit ihr zusammen nach dem Rechten zu sehen.«

Baltic gab einen unverständlichen Laut von sich und schnürte sich die Schuhe zu, die seltsamerweise bei der Explosion nicht zerstört worden waren. »Hol deine Sachen. Wir gehen.«

Ich glättete das Kleid, das Aisling mir geliehen hatte. Mays Kleider waren zu klein für mich. »Sachen? Was für Sachen? Mehr habe ich nicht.« Als ich aufblickte, verließ er bereits das Zimmer. »Warte, Baltic. Du bist noch nicht vollständig wieder …«

Im Treppenhaus waren laute Stimmen zu vernehmen. Baltic blieb einen Moment lang stehen und lauschte, dann seufzte er und ergriff meine Hand, um mit mir ins Erdgeschoss zu gehen.

Die Eingangshalle von Gabriels und Mays Haus war groß und voller Pflanzen. In der Mitte befand sich ein schwerer runder Tisch, auf dem eine elegante Vase mit einem wunderschönen Blumenarrangement stand. Jetzt jedoch lag die Vase in Scherben auf dem Marmorboden, das Glas war zersprungen, und Wasser tropfte auf einen prachtvollen handgeknüpften Teppich. Pavel bewachte eine der Türen, und hinter ihm spähte Brom hervor. Dahinter wiederum hatte Nico schützend Stellung bezogen. Gabriel wurde von Drake und Tipene zurückgehalten, während Aisling und May die Szene ungläubig beobachteten. Auf dem Tisch stand ein korpulenter Mann, der mit volltönender Stimme erklärte: »Mir ist egal, wie dein Name oder der deines Vaters ist, du bist nicht mehr länger Wyvern! Ich habe diese Sippe gegründet, und ich werde niemand anderem erlauben, Wyvern zu sein, solange noch Atem in meinem Körper ist!«

»Constantine«, sagte ich und stimmte in Baltics Seufzer ein. »Ich hätte wissen müssen, dass er den Weg hierher findet.«

Baltic sagte nichts. Er ließ meine Hand los und trat vor. Constantine fuhr herum, und seine Augen leuchteten vor Freude auf, als er Baltic erblickte. Offensichtlich wollte er ihm die Meinung sagen.

Er kam jedoch nicht dazu. Baltics Faust schoss vor, und Constantine flog ein paar Meter rückwärts und schlug mit einem lauten rums auf dem Fußboden auf.

May grinste. Aisling applaudierte, und Jim pfiff anerkennend durch die Zähne. »Ausgegangen wie ein Licht. Gut gemacht, Baltic.«

»Ja, gut gemacht«, stimmte Gabriel zu. Er schüttelte Tipene und Drake ab und baute sich vor uns auf. »Ich nehme an, wir haben es dir zu verdanken, dass Constantine wiedererweckt wurde?«

»Ja, weil es noch nicht genug ist, dass ich eine Stellvertreterin habe, die meine Gefährtin vernichten möchte, und einen früheren Nachfolger, der mir das nimmt, was ihm nicht gehört. Jetzt muss ich dem auch noch den verräterischen Bastard hinzufügen, der Ysolde erschlagen hat«, antwortete Baltic mit grimmiger Miene.

Gabriels Wut ließ ein wenig nach, doch bevor er etwas erwidern konnte, sagte eine schwache Stimme vom Fußboden her: »Ich habe dir doch gesagt, dass ich Ysolde nicht getötet habe. Wie hätte ich sie denn töten können, wo ich doch mein Leben für sie gegeben habe?« Stöhnend setzte Constantine sich auf und rieb sich das Kinn.

»Was?«, fragte ich kopfschüttelnd. »Nein, du hast mich getötet. Baltic und ich haben es beide in der Vision gesehen. Du standest mit dem blutigen Schwert über meiner Leiche.«

»Ich habe das Schwert gefunden«, sagte er erschöpft und erhob sich. »Es lag neben dir. Ich wusste, dass dich jemand erschlagen hatte und ich deinen Verlust nicht überleben konnte.«

»Sie ist nicht deine Gefährtin!«, brüllte Baltic und wollte sich erneut auf ihn stürzen. Pavel und Drake waren sofort neben ihm, um ihn aufzuhalten. »Sie gehört mir. Ich bin gestorben, als du sie getötet hast!«

»Ich habe sie nicht getötet!«, schrie Constantine zurück. »Bist du eigentlich nicht nur blöd, sondern auch noch taub?«

»Hey!«, sagte ich und schob Pavel zur Seite. »Ich dulde keine wüsten Beschimpfungen.«

Baltic zog mich einfach hinter sich. Ich kniff ihn in den Hintern.

»Ich habe mein Leben für deins gegeben«, wiederholte Constantine. »Ich habe mich für dich geopfert. Frag doch den Ersten Drachen.«

Meine Haut prickelte. Ich trat an Baltics andere Seite und schmiegte mich an ihn. »Ja? Das warst du? Der Erste Drache sagte, dass jemand … Aber ich dachte, du hättest mich getötet. Wenn nicht du, wer war es dann?«

»Das weiß ich nicht. Ich fand das Schwert neben deinem Körper, und da waren auch Spuren, aber ich habe niemanden gesehen.« Constantine schniefte und blickte Baltic von oben herab an. »Ich hatte keine Zeit, ihn zu verfolgen. Ich wusste, dass ich dich retten musste. Ich konnte nichts weiter tun. Nur noch mein Leben für deins geben.«

Zu meiner Überraschung stieß Baltic ein kurzes Lachen aus. »Du konntest nichts weiter tun. Glaubst du, ich habe die Vergangenheit vergessen, Constantine? Ich weiß, warum du dich geopfert hast. Es hatte nichts mit deiner angeblichen Liebe für meine Gefährtin zu tun.«

Constantines Blick glitt zu Gabriel. Ich hatte auf einmal das Gefühl, dass ihm die Situation äußerst unbehaglich war. »Die Vergangenheit ist lange begraben. Mich interessieren nur die Gegenwart und das Wohlergehen meiner Sippe.«

An Gabriels Kinn zuckte ein Muskel, aber aus Respekt vor dem Gründer seiner Sippe schwieg er. May trat zu ihm und ergriff seine Hand. »Hat es jemals den Fall gegeben, dass ein Wyvern wiederauferstanden ist?«, fragte sie.

»Nein …«, wollte Drake antworten, aber Baltic unterbrach ihn.

»Er ist nicht lebendig. Er ist nur ein Schatten. Hört auf meinen Rat und holt einen Exterminator.«

Constantine riss empört die Augen auf. Er stieß einen Fluch auf Zilant aus, bei dem sogar Jim schockiert wirkte.

»Deine Meinung interessiert mich nicht«, sagte Baltic zu ihm und legte den Arm um mich. »Wir gehen jetzt nach Hause.«

»Ich habe dir doch gesagt, dass wir kein Zuhause mehr haben. Außerdem ist da draußen immer noch Thala und stellt Gott weiß was an.«

»Thala?«, fragte Constantine. »Von Endres’ Tochter?«

»Ja. Sie hat zwar Baltic wiedererweckt, aber anscheinend hat sie ihn nur benutzt, um das Drachenherz wieder zusammenzufügen.«

»Wirklich«, sagte Aisling leise und stupste Drake an. »Ich habe dir doch gesagt, dass es so in etwa gewesen sein muss. Wenn Baltic die blauen Drachen nicht getötet hat, dann muss es Thala sein.«

Wir blickten sie überrascht an. »Du glaubst, Thala hat die blauen Drachen getötet und nicht Fiat?«

»Sicher. Es ergibt Sinn, wenn sie wirklich das Drachenherz wollte.« Sie blickte in die verwirrten Gesichter ringsherum und fuhr fort: »Du hast doch gesagt, sie hat Baltic für ihre eigenen Zwecke missbraucht, oder? Was tut man als Erstes bei einem guten Angriffsplan? Spalten und die Macht ergreifen. Deshalb hat sie im Weyr den Eindruck erweckt, dass Baltic der Gefürchtetste aller Wyvern ist.«

»Das bin ich auch«, sagte Baltic mit einem grimmigen Blick auf Constantine.

»Baltic ist mit Fiat befreundet, weil er ihm Zuflucht gewährt hat, also machte sich Thala die Tatsache zunutze und ließ es so aussehen, als ob Baltic mit Fiat zusammen den Weyr angreifen wollte. Ich wette, hinter deiner Entführung hat auch Thala gesteckt«, sagte Aisling zu Tipene. »May meinte doch, es seien Ouroboros-Drachen gewesen, die euch entführt haben, oder? Ich wette, sie hat mit Fiats blauen Exdrachen zusammengearbeitet.«

»Das brauchte sie gar nicht«, sagte ich versonnen und schaute Baltic an. Er wirkte nachdenklich.

»Warum nicht?«

»Sie hatte ihren eigenen Stamm.«

»Oh. Das funktioniert natürlich genauso gut. Sie tut also, was sie kann, um Chaos und Vernichtung im Weyr anzurichten, einschließlich des Mordes an den blauen Drachen, und lässt es so aussehen, als sei Baltic es gewesen. Ich glaube, der Weyr muss sich bei euch entschuldigen, stimmt’s, mein Süßer?«

»Wohl kaum«, erwiderte Drake gepresst. »Wir haben jedoch auf dem sárkány sicher viel zu besprechen.«

»Zumindest könnt ihr diesen albernen Krieg beenden.«

Drake funkelte Aisling aus seinen smaragdgrünen Augen an. »Albern?«

»Entschuldigung. Beklagenswerten Krieg.«

»Das klingt schon besser.« Er wandte sich zu uns, dabei glitt sein Blick kurz über Constantine. »Ich weiß nicht, was deine Stellvertreterin bewogen hat, euch alle drei töten zu wollen, aber es wird wohl kein Problem sein, die Kriegserklärung des Weyr zurückzuziehen. Was das Thema angeht, das Constantines Schatten aufgebracht hat …«

Constantine richtete seine Aufmerksamkeit von Baltic auf Drake. »Ich erinnere mich an dich. Du bist der jüngere Bruder meiner Patentochter, die der Vogt für die grüne Sippe beansprucht hat. Du hast dieselben genetischen Züge wie sie, aber du bist offensichtlich kein Vogt. Interessant.«

»Natürlich ist er kein Vogt«, sagte Aisling und lächelte Drake an. »Das würde ja bedeuten, dass er mehr als eine Gefährtin beanspruchen könnte, und das würde er nie tun.«

Allein schon der Gedanke schien Drake zu erschrecken.

»Was ist denn eigentlich ein Vogt?«, fragte Jim.

»Jemand, der besonders nahe mit dem Ersten Drachen verwandt ist«, antwortete Constantine.

Baltic neben mir erstarrte.

»Nahe?«, fragte ich. Mir wurde kalt. »Wie nahe?«

»Wir gehen jetzt, Ysolde«, erklärte Baltic und zerrte mich hinter sich her.

»Na, biologisch nahe eben«, antwortete Constantine achselzuckend. »Frag Baltic. Er weiß es – als Sohn des Ersten Drachen ist er auch ein Vogt.«

Baltic fluchte unterdrückt und ergriff meinen Arm.

»Baltic ist der Sohn des Ersten Drachen?«, keuchte Aisling. Ich blickte in das Gesicht des Mannes, dessen Liebe mir alles bedeutete.

»Du bist ein Vogt?«, fragte ich ihn.

»Boa, er ist ein Sohn der ersten Generation. Damit habe ich nicht gerechnet«, sagte Jim erstaunt.

»Nun, chérie …«, setzte Baltic an und warf mir einen gefühlvollen Blick zu.

»Du kannst mehr als eine Gefährtin haben? Und was sollte das ganze Gerede davon, dass du sterben musstest, weil er mich getötet hat?« Meine Stimme wurde immer lauter, und ich stach mit dem Zeigefinger in Constantines Richtung.

»Ich glaube, ich habe meine Unschuld in diesem Punkt bereits hinreichend …«, begann Constantine.

Ich wirbelte herum und schoss eine feurige Kugel mit weißer Magie auf ihn ab.

»Äh … Entschuldigung, dass ich dich unterbrochen habe. Schrei du nur weiter Baltic an«, sagte er rasch und beäugte das Loch in der Wand, das die Kugel geschlagen hatte.

Ich wandte mich wieder an Baltic.

»Ysolde …«

»Still!« Ich hob die Hand. »Beantworte mir nur eine Frage, Baltic. Kannst du dir eine weitere Gefährtin nehmen?«

»Es gibt auf der ganzen Welt keine andere Frau für mich.«

»Danach habe ich nicht gefragt.«

Er zog mich an seine Brust und blickte mir tief in die Augen. »Es gibt keine andere Frau außer dir. Und es wird auch nie eine geben.«

»Aber du könntest …«

Sein Feuer hüllte uns ein und mischte sich mit dem Feuer, das in mir schlummerte. »Du bist mein Leben. Du bist meine Seele. Du bist mein Anfang und mein Ende. Das wird immer so sein.«

Ich hörte auf, mich gegen seine Umarmung zu wehren, und nahm die Liebe an, die so deutlich in seinen Augen stand, die ich im Schlag seines Herzens spürte, in allem, was er war. Wir waren zusammen, und nichts konnte das ändern, noch nicht einmal der Tod.

»Das ist so romantisch«, sagte Aisling schniefend.

»Ja, ein denkwürdiger Augenblick«, stimmte Jim ihr zu.

»Warum sagst du so etwas nie?«, fragte May Gabriel.

»Aber er ist trotzdem ein Vogt«, sagte Constantine und trat zu uns. »Wohingegen ich …«

Baltics Faust traf ihn erneut. Ich blickte in seine schönen, dunklen Augen und ließ mich von der Liebe und dem Verlangen in ihnen einhüllen. Wieder krachte ein schwerer Körper hinter mir zu Boden. »Ich liebe dich auch.«

»Komm, Gefährtin.« Baltic reichte mir die Hand und nickte Brom auffordernd zu. Er trottete gehorsam hinter uns her. Pavel bildete die Nachhut.

Als Baltic an Gabriel vorbeikam, blieb er stehen und sagte mit einem Blick auf Constantine, der sich auf dem Boden wand: »Er ist jetzt dein Problem.«

»Um Himmels willen«, entgegnete Gabriel entsetzt.

»Du wirst noch von mir hören, Baltic«, rief Constantine, der unter den Überresten des zusammengebrochenen Tisches lag. »Ich werde Ysolde weiter den Hof machen. Oh, verdammt, ich glaube, ich habe mir etwas gebrochen. Hilf mir auf, Gideon. Ich habe eine Sekunde lang meine körperliche Gestalt verloren, und jetzt bin ich mit dem Holz dieses Tisches verbunden …«