8

»Hallo, Ysolde. Was machst du da?«

Ich setzte meine Tasse Kaffee ab und starrte Jim an, der mit Pavel aus der Garage kam. »Ich starre dich an. Was um alles in der Welt hast du da an?«

»Einen Kilt!« Jim drehte sich einmal um sich selbst, sodass der Stoff sich bauschte. Tatsächlich, der Dämon trug einen Kilt und ein Muscle-Shirt.

»Allmächtiger! Mach das nicht noch einmal, bevor ich meinen Kaffee getrunken habe! Warum trägst du einen Kilt?«

»Pavel war mit mir in der Stadt und hat mir einen gekauft«, antwortete Jim. Er sank auf einen Stuhl am Küchentisch und nahm sich ein frisch gebackenes Scone. »Oh, Orange-Cranberry – die mag ich am liebsten. Pavel, Alter, hast du auch ein bisschen Marmelade dazu?«

Ich blickte zu Pavel, der sich gerade eine Tasse Kaffee einschenkte. »Warum hast du Jim einen Kilt gekauft?«

Er zuckte lächelnd mit den Schultern. Pavel war dunkelhaarig und dunkeläugig wie Baltic, aber ein wenig kleiner und kräftiger. Er war schon seit Jahrhunderten einer von Baltics Elitewachen, und er war Baltic treu ergeben und der beste Koch, den ich kannte. Wir konnten stundenlang über Rezepte diskutieren, sehr zu Baltics Vergnügen.

»Der Dämon meinte, in Baltics Jeans würden seine Nüsse eingequetscht. Ständig wollte er die Hose ausziehen, und ich dachte, es ist vielleicht besser, wenn er hier nicht mit frei hängendem Schwanz herumläuft.« Pavel musterte mich. »Will ich überhaupt wissen, warum der Dämon hier ist? Baltic wird nicht glücklich darüber sein.«

»Ja, aber es gibt noch etwas viel Schlimmeres, über das er so gar nicht glücklich sein wird, deshalb spielt Jims Anwesenheit nicht wirklich eine Rolle. Außerdem bleibt er nicht lange. Wir können ihn zu Hause abliefern, wenn wir Brom abholen.« Ich trank einen Schluck Kaffee, damit ich Baltic gestärkt gegenübertreten konnte.

»Ach ja?«, sagte Pavel misstrauisch.

»Es ist … äh … ein bisschen kompliziert.«

Jim schnaubte. »Das kannst du wohl laut sagen.«

»Ich warte eigentlich auf die Explosion.« Ich lächelte die beiden an.

Pavels Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an. »Was denn …«

Oben knallte eine Tür, dann brüllte Baltic: »Ysolde!«

»Es ist so weit«, sagte ich und trank schnell meinen Kaffee aus, bevor ich aufsprang. Donnernde Schritte auf der Hintertreppe kündeten von Baltics bevorstehender Ankunft.

»Auftritt des wütenden Wyvern Baltic«, murmelte Jim und nahm sich noch ein Scone.

Baltic tauchte in der Tür auf. Seine Augen glitzerten schwarz, und seine Lippen waren fest zusammengepresst, was nichts Gutes verhieß. Er kam auf mich zu, blieb aber stehen, als er Jim erblickte.

»Hallo, Baltic. Gefällt dir mein Kilt? Pavel hat ihn mir gekauft, weil es meinem Gemächt in deiner Jeans zu eng war.«

Baltic blickte mich an. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich auf der Stelle tot umgefallen.

»Du hast bestimmt Thala gesehen«, sagte ich. »Ist sie wach?«

»Kaum. Sie scheint unter schweren Drogen zu stehen. Und sie trägt Handschellen.« Er atmete geräuschvoll durch die Nase. »Sie hat von mir verlangt, dich augenblicklich von hier fortzuschaffen. Ich habe mich geweigert. Was tut dieser Dämon hier, warum ist er in menschlicher Gestalt, und was zum Teufel hast du mit Thala angestellt?«

»Jim hat mir mit Thala geholfen. Alleine konnte ich sie nicht tragen. Möchtest du gerne frühstücken? Pavel hat Scones gebacken, aber wenn du etwas Handfesteres möchtest, kann ich dir …«

»Gefährtin!«, brüllte Baltic.

Seufzend stand ich auf, legte meine Arme um seine Taille und küsste ihn aufs Kinn. »Jim ist in menschlicher Gestalt, weil meine Magie noch nicht so richtig funktioniert. Thala ist betäubt und gefesselt, weil sie nach ihrer Rettung getobt hat, als sie merkte, dass sie mit mir kommen sollte – was ich im Übrigen nicht ganz verstehe –, und ich habe den Schlüssel für die Handschellen verloren, deshalb konnte ich sie noch nicht aufschließen. Pavel, wir schulden dir übrigens auch noch ein Paar Handschellen.«

Baltic blickte mich einen Moment lang finster an, dann riss er mich hoch und küsste mich so leidenschaftlich, dass mir die Luft wegblieb, als sein Drachenfeuer in mir aufstieg. Als er mich wieder auf die Füße stellte, blickte ich ihn benommen an. »Du bist eifersüchtig«, sagte er zufrieden. »Das überrascht mich nicht. Das warst du schon immer.«

»Ich bin überhaupt nicht …«

»Du brauchst nicht zu fürchten, dass ich Thala genauso liebe wie dich. Sie ist diejenige, die für meine Wiederauferstehung gesorgt hat, weshalb ich ihr zu Dank verpflichtet bin. Das ist alles.«

»Ich habe sie nicht betäubt, weil ich …«

»Sie hat mir geholfen, mich wieder in der Welt zurechtzufinden und Pavel ausfindig zu machen, und für beides bin ich ihr dankbar, aber nicht so sehr, dass du sie unter Drogen setzen und sie fesseln musst, um sie von mir fernzuhalten.« Baltic kniff mir ins Hinterteil. »Ich bin mit dir verbunden, Gefährtin, und das kann keine andere Frau ändern.«

»Ja, das ist mir klar, aber …«

»Fein. Du wirst aufhören, auf sie eifersüchtig zu sein, da du jetzt weißt, dass meine Zuneigung nur dir allein gilt. Pavel, hast du einen Zweitschlüssel? Gut. Dann lass uns Thala befreien, damit sie uns sagen kann, was die Wyvern sie gefragt haben.«

Baltic marschierte mit Pavel im Schlepptau davon, wobei Letzterer mich angrinste, als er an mir vorbeiging.

»Ich bin nicht eifersüchtig!«, schrie ich den beiden Männern hinterher. »Das war ich noch nie! Allmächtiger, dieser Mann treibt mich noch in den Wahnsinn.«

»Ja, aber der Sex zur Versöhnung ist immer wieder gut, was?«

Ich warf Jim einen strengen Blick zu. »Es war schon schlimm genug, wenn du solche Dinge in Hundegestalt von dir gegeben hast, aber jetzt ist es einfach nur ätzend. In drei Stunden müssen wir Brom abholen – wir haben also noch ein bisschen Zeit, um dich zurückzuverwandeln. Rufst du bitte Aisling an und sagst ihr, dass wir dich bei Gabriel und May lassen? Ich schaue in der Zwischenzeit mal nach, ob Baltic Thala befreit hat. Wir treffen uns dann draußen im Garten.«

»Warum im Garten?«, fragte er, als ich mich zum Gehen wandte.

»Ich glaube, draußen funktioniert es einfach am besten. Und … äh … es kann auch nichts zu Bruch gehen, wenn meine Magie wieder nicht funktioniert.«

»Nichts außer mir«, sagte Jim traurig, aber er erhob sich gehorsam und trat ans Telefon.

Während ich die Treppe hinaufging, überlegte ich, was außer dem mir erteilten Verbot meine Magie möglicherweise noch behindern könnte. Das würde auch erklären, warum ich den Ersten Drachen nicht rufen konnte. »Sie hat doch früher funktioniert. Was hat sich denn seit dem sárkány geändert?«

Der Gedanke trat wieder in den Hintergrund, als ich Baltic und Pavel sah, die die immer noch benommene Thala in den Armen hielten. Trotz Baltics selbstgefälligem Verhalten half ich ihnen, sie nach unten in die Küche zu schaffen, und als ich ging, versuchte Baltic ihr Milchkaffee einzuflößen, während Pavel sie mit Scones fütterte.

»Gott sei Dank ist sie nicht sterblich, so kann sie wenigstens nicht ersticken«, sagte ich mir, als ich sah, wie Thala wild um sich spuckte.

Ich traf Jim vor einem gelben Rosenbusch an, den er versonnen betrachtete.

»Wage es nicht!«, warnte ich ihn.

Er seufzte und ließ die Schultern hängen. »Nein, das würde ich jetzt sowieso nicht machen. Mit einem menschlichen Gemächt macht das Pinkeln auf Sachen keinen Spaß. Das ist einfach nur ordinär.«

»Komm, wir machen uns jetzt einfach mal an die Arbeit, bevor Baltic Thala so weit wach bekommt, dass sie reden kann, ohne Brotkrumen auszuspucken. Ich möchte gerne hören, was sie über ihre Gefangenschaft zu berichten hat.«

»Ja, das ist bestimmt interessant, vor allem, wenn Drake angeordnet hat, sie foltern zu lassen.« Als er meinen Gesichtsausdruck sah, fügte er hastig hinzu: »Ich bin mir sicher, dass Ash das nicht zugelassen hat. Für eine Dämonenfürstin ist sie ein ziemliches Weichei, wenn es darum geht, Leute zu verletzen.«

»Dann bin ich ja beruhigt. Na gut, setz dich. Ich muss mich konzentrieren auf das, was ich tun muss.« Ich atmete tief durch und versuchte erneut, Zugang zu der magischen Stelle in meinem Gehirn zu finden. Aber sie entglitt mir immer wieder. Das Drachenfeuer jedoch war da, aufgestaut wie immer, wenn ich mich nicht in Baltics Nähe befand, aber es glühte heiß in meinem Kopf, und ich fragte mich unwillkürlich, ob es vielleicht daran lag, dass meine Zauberkräfte mir abhandengekommen waren. »Ich muss es trotzdem einfach noch einmal versuchen.«

»Oh, Mann, das erfüllt mich nicht gerade mit Zuversicht.« Jim sah mich mit bangem Blick an. »Als Motivationstrainer wärst du völlig ungeeignet, Babe. Müsstest du nicht eher so organisiert und professionell sein wie Aisling?«

Ich starrte ihn an. »Großer Gott, nein. Magie ist nie ordentlich.«

»Ich werde sterben«, jammerte er.

»Sei still, ich chante.« Ich wandte mich nach Osten. »Luft umgibt dich.« Ich blickte nach Süden. »Feuer erfüllt dich.«

Jim hörte auf zu wimmern und beobachtete mich gespannt. »Du rufst die vier Himmelsrichtungen an, oder? Das tut Aisling auch immer, aber sie sagt andere Sachen.«

»Still.« Ich wandte mich nach Norden. »Erde nährt dich.« Schließlich wandte ich mich nach Westen. »Wasser gibt dir Leben. Dämon von Geburt und Wesen, durch meine Gnade entlasse ich dich aus dieser Gestalt.«

Jims Körper flimmerte einen Moment, verzerrte sich und bildete sich dann wieder neu.

»Na toll!«, sagte er und blickte an sich herunter. »Jetzt muss ich mir einen neuen Kilt kaufen.«

Ich drehte mich um und schaute zum Haus. »Warum bist du schon wieder nackt?«

»Die Frage ist doch eher, warum ich hier nicht in meiner prachtvollen Hundegestalt stehe. Was ist los mit deiner Magie? Warum kannst du mich nicht zurückverwandeln? Versuchst du es überhaupt? Ich glaube nicht.«

»Doch, ich versuche es, und ich weiß selber nicht, was los ist. Der Spruch hätte es eigentlich bringen müssen.« Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe. »Anscheinend bringt Baltics Feuer alles durcheinander. Ich versuche es noch einmal, ohne es in Anspruch zu nehmen.«

Mit Märtyrermiene ließ Jim sich auf dem Rasen nieder. »Meinetwegen. Verwandle mich bloß wieder zurück. Dieses Gras kitzelt, und ich glaube nicht, dass du sehen möchtest, wie ich mich da kratze, wo es juckt.«

Ich machte meinen Kopf frei und versuchte den Zauber noch einmal. Dabei zog ich Energie aus allen Dingen um mich herum, aber nichts geschah. »Es ist das Drachenfeuer. Es hindert mich daran, mich zu konzentrieren«, sagte ich zu dem Dämon und versuchte im Geiste, das Feuer zu vertreiben. »Wir probieren es noch einmal.«

»Ich glaube, ich bin gerade in den Hintern gestochen worden«, tat Jim kund und verrenkte sich den Hals, um sein Hinterteil in Augenschein zu nehmen. »Leben Bienen im Gras? Vielleicht war es ja eine Schlange! Gibt es in England giftige Schlangen? Feuer von Abaddon, du musst mir das Gift aus dem Hintern saugen!«

»Das werde ich keineswegs tun. Beruhige dich! Du lenkst mich ab.«

»Ich werde sterben! Na, zumindest ist nicht meine fabelhafte Gestalt vergiftet worden. Ysolde, es wird ein bisschen dunkel. Ich sehe Punkte und Flecken vor den Augen. Ich glaube, ich muss kotzen. Wird einem schlecht von Schlangengift?«

Ich ignorierte den hysterischen Anfall des Dämons, während ich sanft, aber nachdrücklich Baltics Drachenfeuer in mir dämpfte. »So, jetzt können wir es noch einmal versuchen«, sagte ich. Ich krempelte die Ärmel hoch und zeichnete den Zauber in die Luft. Ich sprach die Worte und wartete auf das vertraute Prickeln der Magie.

»Lebe wohl, grausame Welt. Sag Cecile, ich habe sie geliebt.« Ein lauter Plumps folgte auf diese Erklärung, und dann lag Jim flach auf dem Rücken, die Arme dramatisch ausgestreckt.

»Du bist immer noch nackt. Und immer noch in menschlicher Gestalt. Und um Himmels willen, schnapp dir ein paar Zweige mit Blättern oder so was – ich will das nicht sehen!«

»Ich hatte ja Kleider an, bis du sie mir ausgezogen hast«, murrte Jim und setzte sich auf. »Hey, die Flecken sind weg. Das Schlangengift wirkt vermutlich bei Dämonen nicht.«

»Schlangengift?«

»Ja, von der Schlange, die mich gebissen hat.« Er stand auf und drehte sich um. »Hier, auf meinem Hintern.«

»Da liegt nur ein Stein, keine Schlange, du Idiot.« Ich zog mein T-Shirt aus und reichte es Jim. »Hier, bind dir das als Lendenschurz um.«

Jim beäugte mich. »Ich kann die Sippentätowierung auf deiner Brust sehen.«

Ich zog die Spitze an meinem Hemdchen hoch und warf dem Dämon einen finsteren Blick zu. Dann drehte ich mich um und marschierte aufs Haus zu.

»Hey!«, rief Jim mir nach. »Du willst mich doch nicht etwa in menschlicher Form zurücklassen, oder? Ich dachte, du wolltest mich zurückverwandeln?«

»Ich habe es ja versucht. Aber Baltics Feuer kommt mir immer in die Quere, und solange ich nicht weiß, was ich dagegen tun kann, musst du eben so bleiben.«

»Was?«, kreischte Jim. Seine Stimme schreckte die Vögel auf, die in den Büschen saßen und ihr morgendliches Gezwitscher erschallen ließen. »Das geht gar nicht! Ich kann nicht so bleiben! Ich bin schon seit einer ganzen Woche in menschlicher Gestalt, und es war ein Alptraum! Ich werde ganz brav sein, ich verspreche es. Du brauchst auch nicht auf meinen Schlangenbiss zu gucken. Nur, bitte, verwandle mich, bitte, bitte wieder in Hundegestalt!«

Ich blieb an der Küchentür stehen. »Ich würde es ja tun, Jim, wenn ich es könnte, aber im Moment scheint in meinem Leben so viel los zu sein, dass es Auswirkungen auf meine Magie hat. Wenn ich ein paar Dinge geregelt bekomme, dann kann ich mich vielleicht besser darauf konzentrieren, was bei dir falsch läuft. Aber bis dahin wirst du, so leid es mir tut, in menschlicher Gestalt bleiben müssen. Es wird dich schon nicht umbringen.«

»Das glaubst du«, murmelte er düster und folgte mir ins Haus. »Ich glaube ja, du kannst mich sehr wohl zurückverwandeln, du willst es nur nicht. Mann, ich erzähle Baltic, dass du ganz scharf auf meinen nackten Körper bist!«

»Wenn du das tust, dann ist der Kilt nicht das Einzige, was dir fehlt«, warnte ich ihn.

Eine Stunde später, nachdem ich in der Stadt gewesen war und Jim einen neuen Kilt und ein neues Hemd gekauft hatte sowie ein Paar Schuhe und Unterwäsche, ließ ich den Dämon mit einer großen Schüssel Popcorn und einem Stapel von Pavels DVDs allein. Einen Augenblick lang stand ich vor der Tür zu Baltics Arbeitszimmer und lauschte. Aber außer leisen männlichen Stimmen konnte ich nichts hören. Ich klopfte an und trat ein, alles andere als überrascht, Thala wieder bei Bewusstsein anzutreffen.

Sie fuhr herum, als ich eintrat, und blickte mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Pavel sagt, du seiest jetzt ein Mensch und kein Drache mehr.«

Ich blinzelte über ihre unerwartete Äußerung. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, sie würde mir vorwerfen, dass ich sie betäubt und gefesselt hatte, aber anscheinend hatte sie entweder gar nicht mitbekommen, was passiert war, oder sie zog es vor, es zu ignorieren. »Ja, das stimmt.«

»Nein, das stimmt nicht. Du bist meine Gefährtin, und deshalb bist du ein Lichtdrache«, korrigierte Baltic mich. Er blickte auf von dem Bauplan, den er gerade studiert hatte.

Ich enthielt mich jeglichen Kommentars. Neugierig musterte ich Thala. Sie war etwa so groß wie ich, wenn auch ein bisschen kräftiger, hatte kupferfarbene Haare und dunkelbraune Augen. Sie war umgeben von einer Art schwarzblauer Aura, als Zeichen dafür, dass sie dunkle Macht besaß. Baltic hatte mir erzählt, dass sie ein Nekromant und die Tochter seiner früheren Freundin Antonia von Endres war. Beunruhigender fand ich jedoch die Tatsache, dass sie auch die Schwester der Frau war, mit der mein angeblicher Ehemann in Wahrheit verheiratet war. »Hat Ruth dir nicht von mir erzählt?«

»Ruth?« Verächtlich kräuselte sie die Lippen. »Die Angeberin. Ich habe nicht mehr mit ihr gesprochen, seit Baltic erschlagen wurde.«

Ich zog die Augenbrauen hoch. »Ich wusste gar nicht, dass du auch auf Dauva warst, als es passiert ist.«

»Ich war nicht da.«

»Dann finde ich es aber merkwürdig, dass du von diesem Zeitpunkt ab rechnest.«

Sie wandte mir den Rücken zu, als sei ich gar nicht anwesend, und sagte zu Baltic: »Wenn Kostich das Lichtschwert hat, dann bewahrt er es bestimmt in der Schatzkammer von Suffrage House auf. Sie ist der am besten gesicherte Ort in ganz Frankreich. Wir holen es uns einfach wieder. Wir sollten sofort nach Paris fahren und uns ansehen, mit welchem Schutzzauber er es belegt hat.«

»Das wäre wahrscheinlich das Beste«, antwortete Baltic seltsam zögerlich. »Später. Jetzt, wo Ysolde hier ist, können wir über deine Erfahrungen im Weyr sprechen.«

Thala umklammerte die Kante des Schreibtischs. »Das hat doch sicher Zeit, oder? Was kümmert es deine Frau, was man dort zu mir gesagt hat?«

»Alles, was mich betrifft, geht auch meine Gefährtin etwas an«, korrigierte Baltic sie und warf Thala einen strengen Blick zu. Liebe durchflutete mein Herz. Ich wäre ihm am liebsten jubelnd um den Hals gefallen, aber das hätte die Frau, die offensichtlich mehr als nur ein bisschen eifersüchtig auf mich war, bestimmt nur wütend gemacht.

»Ach, zum Teufel«, sagte ich und trat zu Baltic. Ich zog seinen Kopf zu mir herunter, damit ich ihn küssen konnte. Thala zog zischend die Luft ein, als Baltic mich umschlang und in sein Drachenfeuer einhüllte.

»Wofür war das?«, fragte er, als ich mich von ihm löste.

»Für nichts Bestimmtes. Ich hatte nur Lust, dich zu küssen.«

»Das gefällt mir«, sagte er mit einem Anflug von Erheiterung in seinen schwarzen Augen. »Obwohl ich vermute, dass die Situation, über die wir vorhin gesprochen haben, keineswegs geklärt ist.«

»Ich bin nicht diejenige, die hier eifersüchtig ist«, flüsterte ich ihm ins Ohr. Ich knabberte an seinem Ohrläppchen, dann drehte ich mich in seinen Armen um und lächelte Thala an.

Wenn Blicke töten könnten, wäre alles in einem Umkreis von zehn Kilometern radioaktiv verseucht gewesen.

Mein Lächeln wurde noch breiter. »Ich würde schrecklich gerne hören, was die Drachen dir angetan haben, aber leider haben Baltic und ich einen Termin. Wir müssen Brom abholen.«

»Brom?« Sie blickte mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Wer ist Brom?«

»Mein Sohn. Er war über das Wochenende bei Gabriel und May.«

»Du hast einen Sohn.« Sie schwieg einen Moment, dann breitete sich langsam ein Lächeln über ihr Gesicht. »Großartig. Du kannst ihn gerne abholen. Wir brauchen deine Hilfe bei unseren Plänen nicht.«

Pavel, der hinter Thala stand, schüttelte den Kopf.

Hinter mir erstarrte Baltic. Er hielt mich fest, als ich einen Schritt auf Thala zumachen wollte.

»Oh, das hast du jetzt doch nicht im Ernst gesagt«, sagte ich zornig.

»Habe ich etwas verpasst? Wer hat hier was gesagt? Hey, das Mädchen, das ihr gefesselt habt, ist ja wach. Hallo. Wir sind uns schon begegnet, aber wahrscheinlich erinnerst du dich nicht an mich. Ich bin Jim. Effrijim eigentlich, aber niemand nennt mich so, außer Aisling, wenn sie sauer auf mich ist. Lass dich durch diese menschliche Gestalt nicht abschrecken – normalerweise sehe ich viel besser aus. Du bist also Baltics frühere Freundin, was? Habe ich gerade einen Ringkampf zwischen zwei Frauen unterbrochen? Ja, was? Pavel, kannst du mir dein Handy leihen? Es hat doch bestimmt eine Kamera, oder? Kann man damit auch Filme drehen? Mann, warum habe ich nicht daran gedacht, meine Digitalkamera mitzubringen?« Jim kam mit seiner Schüssel Popcorn ins Zimmer marschiert. »Das entschädigt mich ja beinahe für die menschliche Gestalt.«

Thala blickte Jim an, als ob auf seinem Kopf eine Miniaturherde von Rhinozerossen Ballett tanzen würde.

»Du hast nichts verpasst, Jim, weil Thala gar nichts gesagt hat. Oder?«, sagte ich ruhig.

Pavel wich ein paar Schritte zurück.

Jim zog scharf die Luft ein und wich ebenfalls zurück. »Äh … klar. Ich verstehe. Verwandle mich jetzt bitte nicht in eine Banane. Da ist menschliche Gestalt doch besser.«

»Ich habe seit dem sárkány niemanden mehr in eine Banane verwandelt«, erwiderte ich mit einem vielsagenden Blick auf Thala, den diese jedoch ignorierte.

»Hast du überhaupt eine Ahnung, wer ich bin?« Sie antwortete auf meine Drohung, indem sie auf mich zutrat. Ihre Augen glitzerten in einem unheilverkündenden roten Schimmer.

»Ja. Du bist die Frau, die offensichtlich völlig aus der Fassung geraten ist, weil ich wieder in Baltics Leben getreten bin. Kapier es endlich, Thala. Ich mag zwar ein Mensch sein, aber ich bin auch unsterblich, und Baltic und ich sind sehr eng miteinander verbunden. Und daran kannst du auch nichts ändern. Wenn du also nicht willst, dass ich Tod und Zerstörung auf dich regnen lasse, dann zieh weiter.«

Baltic seufzte. »Gefährtin, du solltest Thala nicht drohen.«

»Wenn es Tod und Zerstörung regnen soll, bin ich wohl eher diejenige, die das bewirkt«, knurrte sie mich an. Mit geballten Fäusten trat sie noch einen Schritt auf mich zu. Drohung und Wut lagen spürbar in der Luft, aber ich würde ihr schon standhalten.

Ich versuchte, mich loszureißen, aber Baltic hielt mich fest. »Thala, drohe meiner Gefährtin nicht!«

Jim trat zu Pavel, der die Szene beobachtete. »Die beiden Frauen prügeln sich bestimmt gleich, und ich habe keine Kamera. Leih mir doch dein Handy, Kumpel! Wir könnten viel Geld mit einem Video verdienen, vor allem, wenn sie sich beide in Drachen verwandeln. Ich mache halbe-halbe mit dir.«

»Es wird keinen Kampf geben«, sagte Baltic. Er blickte Jim einen Moment lang finster an, dann wandte er sich an Thala. »Oder?«

Sie presste verärgert die Lippen zusammen, verzog sie dann jedoch wieder zu einem Lächeln, bei dem mir das Blut in den Adern gefror. »Ich habe stets nur dein Bestes im Sinn, Baltic. Wenn du wünschst, dass ich die Beleidigungen deiner Frau ignoriere, dann werde ich das tun.«

Er seufzte. »Es gab einmal eine Zeit, als ich glaubte, meinen Frieden zu finden, wenn nur Ysolde wieder an meiner Seite wäre. Ich sehe jetzt, dass ich mich geirrt habe.«

Ich drehte mich in seinen Armen um und runzelte die Stirn. »Ich bin nicht diejenige, die das hier angefangen …«

»Genug.« Er gab mir einen kurzen, harten Kuss, dann schubste er mich sanft zur Tür. »Du wirst sicher das Auto selbst nach London fahren wollen. Du behauptest doch immer, meine Fahrkünste würden dich Jahre deines Lebens kosten. Wir holen jetzt unseren Sohn …«

Ich bemerkte, mit welchem Nachdruck er die letzten beiden Worte betonte, und lächelte.

»Thala kann nach Paris fliegen, um zu überprüfen, welche neuen Sicherheitsmaßnahmen Kostich ergriffen hat, um das Lichtschwert zu schützen.«

Thala blinzelte. »Kommst du denn nicht mit?«

»Nein. Ich muss mich um meine Angelegenheiten in Dauva kümmern, und Ysolde hat mir das Versprechen abgenommen, dass ich mit dem Weyr zusammenkomme, was sicher bald geschehen wird. Wenn du dir die Sicherheitsmaßnahmen angeschaut hast, kommst du zurück, und wir machen unsere Pläne.«

Ich wollte gerade fragen, warum Baltic denn schon wieder nach Lettland musste, obwohl er doch gerade von dort zurückgekehrt war, doch als ich seinen Gesichtsausdruck sah, schluckte ich die Frage lieber hinunter. »Ich fahre mit dem Auto vor. Jim, hole deine Sachen. Pavel, kommst du mit uns?«

Er schüttelte den Kopf und warf Baltic einen Blick zu, bei dem in meinem Kopf sämtliche Alarmglocken schrillten. »Ich muss mich um ein paar Dinge kümmern. Ihr könnt den silbernen Wachen gerne freundliche Grüße von mir bestellen. Allerdings nicht zu freundliche und auch erst, wenn ihnen meine Abwesenheit aufgefallen ist. Wir sind schließlich die älteren Drachen, und deshalb müssten wir als Erste gegrüßt werden.«

»Ihr seid manchmal wirklich richtig altmodisch«, sagte ich kopfschüttelnd und trieb den protestierenden Dämon samt seiner Popcornschüssel aus dem Zimmer.

Baltic behauptet immer, er könne hervorragend Auto fahren, aber die Erfahrung hat mir gezeigt, dass er keine Ahnung von Verkehrsschildern und den allgemeinen Regeln des Straßenverkehrs hat. Ihm ist das völlig egal, und deshalb fahren entweder Pavel oder ich, wenn wir mit dem Auto unterwegs sind. Zum Glück fahre ich gerne Auto, selbst auf den Straßen in England, die manchmal wirklich verwirrend sein können.

»Jim«, sagte ich, als wir durch London fuhren, »kann ich dir direkte Anweisungen geben, die du nicht verweigern kannst?«

»Oh, oh, das höre ich gar nicht gerne«, sagte er und blickte von dem erotischen Magazin auf, das er Pavel stibitzt hatte. »Was für einen Befehl?«

»Ich will, dass du nicht hörst, was ich jetzt sage.«

Baltic warf mir einen erschrockenen Blick zu.

Jim seufzte. »Ja, das kannst du. Aber ich möchte dich darauf hinweisen, dass ich auch Stillschweigen bewahre, wenn es sein muss, deshalb brauchst du mir eigentlich nicht zu befehlen, nichts zu hören.«

Ich dachte einen Moment nach, dann schüttelte ich den Kopf, Letzteres zum einen wegen des Fahrers vor mir, der ohne Grund plötzlich gebremst hatte, zum anderen an den Dämon gerichtet. »Effrijim, ich erteile dir das Verbot, zu hören, was ich sage, bis ich es wieder aufhebe.«

Jim seufzte erneut und vertiefte sich wieder in seine Zeitschrift.

»Oh, guck mal, da gibt es Hamburger. Komm, wir halten an und essen dort etwas.«

Trotz des verlockenden Angebots blickte er nicht einmal auf.

»Was willst du denn vor dem Dämon nicht sagen? Willst du mir eine neue Art, Liebe zu machen, vorschlagen? Gehört dazu etwa so ein phallisches Gerät, wie Pavel es besitzt? Ich warne dich, Gefährtin, ich schätze diese phallischen Vorrichtungen nicht. Ich möchte nicht, dass sie bei mir zur Anwendung kommen, und der einzige Phallus, den ich bei dir …«

Ich hob die Hand, um Baltics Redefluss Einhalt zu gebieten. »Nein, danke, ich will keinen Vibrator. Obwohl diese kleinen, kugeligen Dinger irgendwie … ach, vergiss es. Du bist für mich phallisch genug, danke.«

Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Ich bin mir zwar nicht sicher, ob das ein Kompliment ist, aber ich nehme mal an, du hast es so gemeint.«

»Ja, habe ich. Vielleicht sollte ich es besser so formulieren: Du befriedigst alle meine sexuellen Wünsche aufs Vorzüglichste. Besser?«

»Viel besser.« Zufrieden lehnte er sich zurück. »Du kannst mir jetzt von deiner neuen Fantasie erzählen«, forderte er mich auf.

»Es geht um keine Fantasie. Was hast du eigentlich in Dauva gemacht?«

Sein Gesicht wurde einen Augenblick lang ausdruckslos, dann warf er mir einen lüsternen Blick zu. »Möchtest du gerne Liebe in Dauva machen? Im Freien vielleicht? Mittlerweile ist dort überall Wald, und die Einheimischen meiden den Ort, weil sie glauben, dort spukt es, deshalb könnten wir dort ohne Weiteres neue Gipfel der Lust erklimmen.«

»Wenn das ein versteckter Hinweis darauf sein soll, dass du mir voyeuristische Neigungen unterstellst …«

Er hob die Hand und blickte aus dem Fenster. »Ich sage das völlig wertfrei, Gefährtin. Ich habe dir einfach nur angeboten, deinen seltsamen neuen Neigungen ein wenig Freiheit zu lassen. Wenn du jedoch wünschst, dass ich dich in der Schatzhöhle liebe, so ist dies viel vernünftiger, auch wenn wir vielleicht eine Decke brauchen, weil der Boden nach all den Jahren ziemlich steinig ist. Vielleicht auch eine Matratze.« Er schwieg und dachte nach. »Wenn dir etwas daran liegt, könnten wir eigentlich dort ein Schlafzimmer einrichten, auch wenn Kostya alle meine Schätze gestohlen hat, sodass ich deinen Körper nicht mit Gold einreiben könnte.«

»Nein, ich stehe ganz und gar nicht auf ein unterirdisches Liebesnest – mich mit Gold einreiben?« Meine Augen wurden glasig, als ich über diesen Vorschlag nachdachte. Obwohl der Drache, der in mir schlummerte, sicher ebenfalls eine Vorliebe für Gold haben musste, hatte ich noch nie so heftig darauf reagiert. Jetzt jedoch erschauerte ich vor Erregung bei dem Gedanken, dass Baltic meinen nackten Körper mit Goldketten umschlang. »Vielleicht wäre das wirklich ganz nett. Wie viel Gold hast du denn noch?«

Er lächelte mich selbstgefällig an. »Dank Kostya zwar nicht mehr so viel wie früher, aber genug, um deine lustvollen Forderungen zu erfüllen. Es befindet sich an einem sicheren Platz in meinem Pariser Tresor.«

»Vielleicht …« Erotische Schauer überliefen mich. »Wir sind irgendwie vom Thema abgekommen.« Ich warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Das hast du absichtlich gemacht, oder?«

»Was? Dass ich das Thema aufgebracht habe, mit dir Liebe zu machen? Ich diskutiere doch häufig mit dir über mein Verlangen, mich mit dir zu paaren, Ysolde«, sagte er, aber er konnte mir nicht in die Augen sehen. Er schaute angeblich interessiert aus dem Fenster, und erneut schrillten alle meine Alarmglocken.

»Ja, das stimmt, und das weiß ich auch sehr zu schätzen, aber ich weiß auch, dass du mir meine Frage nicht beantwortet hast und mich stattdessen abgelenkt hast mit der Vorstellung, wie Goldketten über meine Brust und meinen Bauch gleiten und …« Meine Stimme versagte, und ich wimmerte leise, als erneut eine Welle der Lust über mir zusammenschlug. »Was habe ich gerade gesagt?«

Seufzend schüttelte er den Kopf. »Du hättest mich niemals das Risiko eingehen lassen«, murmelte er. »Es wäre genauso gewesen wie in Mailand, als Antonia mich zu sich gerufen hat, aber ich es dir nicht sagen konnte, weil du sofort wieder eifersüchtig gewesen wärst. Nur damit du mir nicht folgst, habe ich dir erzählt, ich sei in Angelegenheiten der Sippe unterwegs.«

»Ich gehöre nicht zu den Leuten, die andere bespitzeln, ohne Grund dazu zu haben«, begann ich, aber dann wurde mir klar, was er gerade gesagt oder vielmehr nicht gesagt hatte. »Warte mal – heißt das, du hast dich mit deiner früheren Freundin getroffen, als wir bereits wieder zusammen waren?«

»Nicht so, wie du denkst«, sagte er.

»Woher willst du denn wissen, was ich denke?«

Er zeigte auf das Lenkrad. »Du hast die Fingernägel tief ins Leder eingegraben.«

Ich lockerte meinen Todesgriff und konzentrierte mich aufs Fahren, weil ich uns beinahe in die Leitplanke befördert hätte. »Warum wollte Antonia dich denn unbedingt sehen?«

Er schwieg.

Ich blickte ihn an. Er verzog keine Miene.

»Ich verstehe.«

»Ich bin überrascht, dass du keine Vision über diese Episode hattest«, sagte er nach einer Weile. »Du hast immerhin beinahe einen Erzmagier getötet. Es würde sich doch lohnen, eine solche Vision zu erleben.«

In meinem Kopf hörte ich auf einmal das Echo einer Stimme. Ich blinkte und fuhr an den Straßenrand. Jim blickte fragend auf, vertiefte sich jedoch sogleich seufzend wieder in seine Zeitschrift. Ich wandte mich zu Baltic.

»Gefährtin?«, fragte Baltic und zog eine Augenbraue hoch.

»Sei still. Es ist da, ganz hinten in meinem Kopf. Ich kann das Echo hören. Ich will wissen, was passiert ist. Ich möchte es sehen. Ich möchte mich wieder erinnern können. Ich will …«

Das Echo tanzte quälend nahe an den Rändern meines Bewusstseins entlang, wo ich es sehen, aber nicht greifen konnte. Ich schloss die Augen und versuchte, mich darauf zu konzentrieren, aber die Echos blieben zusammenhanglos und unvollständig.

»… soll nicht sein! Ich werde nicht …«

»Du hast nicht das Recht, Drache …«

»Gefährtin, du kannst nicht …«

Kopfschüttelnd versuchte ich, die Erinnerung zurückzuholen. »Ich habe sie verloren, Baltic. Ich kann mich noch nicht einmal mehr an meine eigene Vergangenheit erinnern.«

Ich hörte ihn seufzen, und plötzlich lag ich in seinen Armen. Sein Körper war warm und fest, und er hielt mich zärtlich umfangen. Ich öffnete die Augen und blickte in die dunklen, endlosen Tiefen der seinen, die mich in seine Seele hineinzogen.

»Tu das nicht, Ysolde. Du bist meine Liebe, mein Leben. Du bist der Atem in meinen Lungen und der Schlag meines Herzens. Ohne dich könnte ich nicht sein.«

»Sie hat versucht, dich mir wegzunehmen«, hörte ich mich sagen und stellte fest, dass ihm gelungen war, was ich nicht vermocht hatte – er hatte die Vision aus meinen verborgenen Erinnerungen herausgeholt.

»Nein«, sagte der Baltic aus der Vergangenheit. Sein Gesicht war anders und doch vertraut. »Das kann niemand. Du brauchst sie nicht zu töten. Riskiere nichts, was du dir nicht leisten kannst, Geliebte. Sie ist es nicht wert.«

Ich drehte mich zu der Frau um, die von meinem Feuer an einer steinernen Mauer gefangen gehalten wurde. Am Rand der Schatten standen Drachen und andere Gestalten in respektvollem Abstand zu uns. Es war Nacht. Die Luft war warm und duftete nach Jasmin und Orangenblüten. In der Ferne kündeten gedämpfte Geräusche von einer Stadt.

Das Feuer brannte still, wie Drachenfeuer das so an sich haben, aber mit einer Helligkeit, die den gesamten Bereich um uns herum in gleißendes Licht tauchte. Aber nicht nur das Drachenfeuer umgab sie; ein Gefühl von Macht erfüllte mich und floss ebenfalls zu Antonia. Am liebsten hätte ich sie mit meiner Macht überwältigt, aber Baltics Liebe hüllte mich in ein so dichtes Netz ein, dass ich es nicht fertigbrachte. Mit nur einem einzigen Gedanken hätte ich es zerreißen können, aber dann hätte ich auch unsere Liebe zerstört, und nichts auf dieser Welt konnte mich zu so einem großen Opfer bewegen.

»Es freut mich, dass ich mich in dir nicht geirrt habe«, sagte eine ruhige Stimme von der Seite.

Ein Mann trat durch die Menge, die sich vor ihm teilte, als würde er durch fruchtbare Erde pflügen. Hinter ihm ertönte unterdrücktes Murmeln, als er vor mir stehen blieb. Sein Gesicht und seine Augen waren alterslos, alles sehend, alles wissend, als ob es ihm mit völliger Klarheit bewusst sei, dass ich dabei war, einen Akt zu begehen, der meinen Lebensweg für immer verändern würde.

»Wer bist du?«, fragte ich den Mann. Er war ein Drache, da war ich mir sicher, aber ich erkannte ihn nicht und wusste auch nicht, von welcher Sippe er war.

Er blickte mich aus seinen dunklen Augen amüsiert an – zumindest, bis sein Blick auf Baltic fiel. Da kniff er die Augen zusammen und seine Lippen wurden schmal. Wer auch immer er sein mochte, erfreut war er nicht.

»Baltic«, sagte er und wandte seinen Blick wieder mir zu, »deine Gefährtin ist die Quelle großer Probleme, scheint mir.«

Baltic zog mich fest an sich. »Mir macht sie keine Probleme.«

Die Lippen des Drachen zuckten, aber er drehte lediglich den Kopf, um Antonia von Endres zu betrachten, die bewegungslos an der steinernen Turmwand der Villa stand. Er zog die Augenbrauen hoch. »Willst du die Magierin vernichten, Tochter der Nacht?«

Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, ihm zu antworten, aber etwas an seiner Frage bewog mich zu sagen: »Sie hat versucht, mir meinen Gefährten wegzunehmen. Das lasse ich mir von niemandem gefallen, auch nicht von einer Erzmagierin.«

»Sie ist deines Zorns nicht wert.« Wieder ruhte sein Blick auf mir. Er beugte sich vor und sagte leise: »Enttäusche mich nicht, meine Kleine. All meine Hoffnungen ruhen auf dir.«

»Hoffnungen?«, fragte ich begriffsstutzig. Ich verstand nicht, was er damit sagen wollte. »Was für Hoffnungen?«

Er erwiderte nichts, sondern drehte sich um und ging den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. Als er wieder in den tiefen Schatten verschwand, wurde mir klar, dass die Menge, die im Halbkreis um uns herumstand, keinen Laut von sich gegeben hatte, als ob sie alle die Luft angehalten hätten.

»Wer war das?«, fragte ich Baltic und berührte ihn am Arm. Er blickte dem Mann nach, einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. »Warum hat er mich Tochter genannt? Er ist doch nicht mein Vater.«

»Das, Geliebte, war unser aller Vater«, sagte Baltic. Dann wandte er sich wieder Antonia zu. »Lass dein Feuer erlöschen und lass sie gehen. Sie hat Neuigkeiten über Constantine. Das ist alles, was ich von ihr will.«

Geistesabwesend trat ich das Feuer aus und ließ den seltsamen Energiestrom, der sie umgab, in der Erde versickern. »Unser aller Vater? Nein … beim Kreuz, das war der Erste Drache?«

Die Worte hallten in meinem Kopf, als Baltic auf die wütende Antonia zutrat. Ich war völlig benommen. Der Vorfahr aller Drachen, die jemals waren und jemals sein würden, hatte mit mir gesprochen. Und nicht nur mit mir gesprochen …

»Er hat mir gesagt, er setzt Hoffnungen in mich«, sagte ich blinzelnd, als die samtige Nacht einem bewölkten Tag wich. Ich blickte Baltic an, der mir sanft über den Rücken strich. Sein Atem glitt über meine Haare, und an uns vorbei rauschte der Verkehr. »Hast du das auch gesehen?«

»Deine Vision? Nein. Aber ich kann mich daran erinnern.« Seine Lippen zuckten. »Antonia drohte fast ein Jahrhundert lang, dich zu vernichten. Nur die Tatsache, dass sie es dann mit dem Ersten Drachen zu tun bekommen würde, hielt sie davon ab. Und jetzt wirst du mich wochenlang mit Fragen löchern, was der Erste Drache gemeint hat, und ich kann nur immer wieder wiederholen, dass ich es nicht weiß. Es ist die Wahrheit, Gefährtin; ich wusste es damals nicht, und ich weiß es heute nicht. Und es interessiert mich eigentlich auch nicht besonders.«

Ich löste mich von ihm und blickte ihn forschend an. »Du magst den Ersten Drachen nicht, oder?«

Er verzog das Gesicht. »Meine Gefühle ihm gegenüber spielen keine Rolle.«

»Oh, oh. Und was ist mit Antonia? Worum ging es in deinen Geschäften mit ihr?«

»Wie du schon sagtest, es ging um Geschäfte. Sie war an Constantine interessiert, und ich versuchte herauszufinden, wo er war.«

»Hmm. Und das Wasser?«

Er blickte mich überrascht an. »An Wasser kann ich mich nicht erinnern. Du hast versucht, Antonia bei lebendigem Leib zu verbrennen, nicht zu ertränken. Das hättest du natürlich auch nicht gekonnt, aber mit deinem Drachenfeuer bist du schon ziemlich weit gekommen.«

»Ich habe noch eine andere Art von Energie gespürt. Es fühlte sich an, als ob ich in einem Strom stünde, der um mich herum- und durch mich hindurchfließen würde.«

Er zuckte mit den Schultern und blickte betont auf seine Armbanduhr. »Wenn du nicht endlich weiterfährst, kommen wir zu spät, um Brom abzuholen. Soll ich lieber fahren?«

»Nein«, sagte ich rasch. Ich rutschte wieder auf meinen Sitz und schnallte mich an. Bevor ich losfuhr, warf ich ihm noch einen letzten Blick zu. »Aber ich möchte gerne, dass du mir eines sagst.«

»Was?«

Mit grimmiger Entschlossenheit umfasste ich das Lenkrad. »Wenn du in den letzten Tagen nicht in Dauva warst, um die Renovierungsarbeiten zu überwachen, wo zum Teufel warst du dann?«