9

»Wir haben schon geglaubt, ihr kommt nicht mehr«, sagte May lächelnd, als sie uns an der Tür zu Gabriels Haus empfing. »Brom war schon fertig, aber dann flog ein Vogel gegen eine der Fensterscheiben, und er lief hinaus, um nachzusehen, ob er nur betäubt oder tot war. Es ist bestimmt absolut gegen die Abmachung, die Baltic mit Gabriel getroffen hat, aber wollt ihr nicht ein paar Minuten hereinkommen? Ich kann euch versprechen, dass euch niemand gefangen nimmt oder euch sonst etwas zuleide tut.«

»Ich möchte das Haus des silbernen Wyvern nicht betreten, nein«, antwortete Baltic steif. Er blickte mich an. »Sprichst du wieder mit mir?«

»Nein.«

Er seufzte. »Meine Gefährtin versucht, mich zu bestrafen, aber sie wird meinem Wunsch wie immer Folge leisten und auch nicht ein… Ysolde!«

Ich drängte mich an ihm vorbei ins Haus und blickte mich in der kühlen Diele um. »Ich möchte gerne noch ein bisschen mit dir plaudern, May. Hallo, Gabriel. Wir sind zu Besuch gekommen.«

»Nein, das sind wir nicht! Heiliger Bimbam, Frau, ich habe doch gerade der silbernen Gefährtin erklärt, dass wir nicht hereinkommen möchten!« Baltic kam mir nachgerannt. »Warum rede ich überhaupt mit dir, wenn du nicht auf meine Worte hörst?«

Ich blickte ihn nur mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Nein«, beantwortete er meine stumme Frage. »Ich bin ein Wyvern. Ich brauche dir, meiner Gefährtin, die sagt, dass sie mich über alles liebt, und die versprochen hat, mir zu gehorchen, nicht jeden einzelnen meiner Schritte zu erklären.«

»Gehorchen?« May riss verwundert die Augen auf. »Ach, du liebe Güte!«

Gabriels Mundwinkel zuckten, obwohl er ein finsteres Gesicht machte.

Ich lächelte freundlich, wenngleich ich einem gewissen Drachen nur zu gerne eins über seinen gut aussehenden, wenn auch erschreckend sturen Schädel gezogen hätte. »Wir haben eine kleine Auseinandersetzung. Baltic glaubt, er könne in der Weltgeschichte herumgondeln, ohne mir auch nur einen Ton davon zu sagen, und ich finde, er kann sich seinen Kopf sonst wohin …«

»Ysolde!«

»Ihr seid trotz der gegenwärtigen Situation zwischen dem Weyr und euch in unserem Heim willkommen«, sagte Gabriel, der offenbar nur mit Mühe ein Grinsen unterdrückte. Er wies auf den Raum, aus dem er gerade gekommen war. »Wollen wir uns nicht setzen?«

Baltic öffnete schon den Mund, um abzulehnen, aber ich warf ihm einen so bösen Blick zu, dass er wahrscheinlich spürte, dass er dieses Mal zu weit gegangen war und ich kurz vor der Explosion stand.

»Wo ist Jim?«, fragte May, nachdem sie ein paar Worte mit ihrer Haushälterin gewechselt hatte.

»Wir haben ihn an Drakes Haus abgesetzt«, sagte ich und warf Baltic erneut einen bösen Blick zu.

»Ach ja?« Sie blickte von mir zu Baltic, der damit beschäftigt war, Gabriel finster anzustarren. »Gab es Probleme?«

»Nein, überhaupt nicht, wenn man davon absieht, dass Baltic nicht zu bremsen war, sodass ich weder Aisling Hallo sagen noch mich von Jim verabschieden konnte.«

»Dämonen können sich nicht verletzen, wenn sie aufs Pflaster fallen«, warf Baltic ein.

May riss die Augen auf. Gabriel schien eine Art Hustenanfall zu haben.

»Hör mal«, sagte ich zu Baltic. »Ich gebe ja zu, dass es ein Fehler gewesen sein mag, dass ich ihm die Erlaubnis gegeben habe, wieder zu hören, was wir sagen, zumal wir gerade in diesem Moment nicht miteinander gesprochen haben und er das sofort begriffen hat. Ich gebe auch zu, dass seine ständigen Zwischenbemerkungen und Peitschenknall-Imitationen nervig, um nicht zu sagen beleidigend waren, und nein, ich hätte ganz bestimmt nicht sagen dürfen, dass du genauso gut seinen Kilt tragen könntest, weil ich offensichtlich in unserer Beziehung die Hosen anhabe – was überhaupt nicht stimmt, und ich hatte auch keineswegs die Absicht, dich mit dieser Bemerkung in deiner Männlichkeit zu kränken –, aber du hättest mich wirklich erst anhalten lassen sollen, bevor du Jim aus dem Auto geworfen hast, als ich das Tempo drosselte, um zu parken. Das war zum einen ausgesprochen rüde und zum anderen unappetitlich, denn bei Jims Aufprall auf dem Asphalt legte der Kilt sein Gemächt frei, und bei Gott, ich würde wer weiß was darum geben, wenn ich nur einen einzigen Tag erleben dürfte, an dem ich von diesem Anblick verschont würde.«

May gab den Kampf auf und brach in lautes Gelächter aus, in das Gabriel einstimmte.

»Ich wusste doch, dass du der Versuchung nicht widerstehen kannst, wieder mit mir zu sprechen.« Baltic lächelte selbstgefällig.

»Pah!«, schrie ich und marschierte aus dem Zimmer. Über die Schulter sagte ich: »May, kann ich mit dir sprechen?«

»Über Ysoldes Vereinbarung mit May hinsichtlich ihrer Hilfe bei der Befreiung deiner Stellvertreterin …«, erklärte Gabriel, als wir hinausgingen.

»Was für eine Vereinbarung?«, fragte Baltic.

Ich schloss die Tür hinter mir. Das würde Baltic bestimmt die Augen öffnen. Dann wandte ich mich an May. »Ich würde gern noch rasch nach Brom schauen, aber können wir uns danach kurz unter vier Augen unterhalten?«

»Ja, sicher. Ins Arbeitszimmer kommt niemand.« Sie öffnete eine Tür. »Ich warte hier auf dich.«

»Danke, May.« Ich eilte den schmalen, dunklen Gang entlang, der in den winzigen Garten führte. An der Tür blieb ich stehen und beobachtete, wie Brom dem verletzten Vogel über den Kopf strich. Neben ihm stand Maata, die lächelnd aufblickte, als sie mich bemerkte.

»Sullivan! Maata hat einen Vogel gefunden, der gegen die Scheibe geflogen ist. Aber er ist nicht tot. Sie sagt, es ist eine Amsel, und in ein paar Minuten kann sie wieder fliegen. Müssen wir gleich fahren, oder kann ich noch warten, bis der Vogel wieder zu sich kommt?«

»Wir haben noch ein paar Minuten Zeit. Guten Tag, Maata. Wie geht es deiner Mutter?«

Einen Moment lang blickte sie mich verblüfft an, dann antwortete sie höflich: »Danke. Hast du sie … äh … kennengelernt?«

»Sozusagen. In fünf Minuten, Brom, okay?«

»Okay.« Er beugte sich wieder über den Vogel, und in mir flackerte eine kurze Hoffnung auf, dass er jetzt vielleicht sein Interesse von toten Tieren – die er mumifizierte – lebendigen zuwenden würde. »Bei ihm weiß man nie«, sagte ich, als ich ins Arbeitszimmer trat.

»Bei Baltic?«

»Nein, bei Brom. Ist es unrealistisch zu hoffen, dass er vielleicht Tierarzt wird? Das ist doch ein netter, normaler Beruf. Mumifizierungen sind heutzutage nicht mehr so oft gefragt.«

Sie lächelte. »Wir haben uns über seinen Besuch jedenfalls gefreut, obwohl er so fasziniert von Mumien ist. Worüber wolltest du denn mit mir sprechen? Hat es etwas mit Baltic zu tun?«

»Nur am Rande. Ich möchte gern noch einmal versuchen, den Ersten Drachen zu rufen.«

Sie blinzelte überrascht.

»Ich habe ja versucht, es alleine zu machen, aber meine Magie … na ja, du weißt ja.«

»Ja, ich weiß.« Ihre Lippen zuckten.

»Ich habe also überlegt, was anders war, wenn ich ihn früher gerufen habe, und nach allem, was du gesagt hast über Stress und das Elend mit dem Weyr und so, habe ich gedacht, dass du den Unterschied ausmachst.«

»Warum gerade ich?«, fragte sie mich verblüfft.

»Du hast eine Verbindung zum Ersten Drachen.«

»Ja, aber du auch.«

»Genau. Wir haben beide einen Bezug zum Ersten Drachen, und vielleicht musst du ja dabei sein, wenn ich eine Verbindung zu ihm herstellen will. Bist du bereit, es zu versuchen?«

»Jetzt?«

»Wenn du Zeit hast, ja.«

Sie zögerte einen Moment, dann nickte sie. »In Ordnung. Aber wir müssen schnell machen. Dein Wyvern ist nicht gerade … der gesprächigste von allen Drachen, die ich kenne.«

»Das ist die Untertreibung des Jahres«, sagte ich. Ich stand auf und schüttelte meine Hände, um meinen Geist freizumachen.

»Was soll ich tun?«

»Stell dich einfach neben mich, wie auf dem sárkány«, sagte ich und schloss die Augen. »Du kannst dir vielleicht den Ersten Drachen im Geiste vorstellen.«

»Ich bin bereit«, sagte sie.

Ich holte tief Luft und zog an Baltics Feuer, als ich die erforderlichen Worte sprach. »In mir ist Licht, die Dunkelheit habe ich hinter mir gelassen, auf meiner linken Hand ist das, was gemacht wurde, auf meiner rechten Hand, was vergangen ist. Lass uns deiner Gnade teilhaftig werden, damit wir … beim Kreuz! Das ging aber schnell. Äh … hallo.«

Noch bevor ich den letzten Satz zu Ende sprechen konnte, flimmerte die Luft vor uns und formte sich zur Gestalt eines Mannes, der trotz seiner menschlichen Erscheinung offensichtlich kein Mensch war.

»Tochter des Lichts«, sagte er und blickte sich leicht verwirrt um. Er schaute zu May, die ihn strahlend vor Freude anstarrte. »Tochter der Schatten«, sagte er, als er sie erkannte. »Warum hast du mich gerufen?«

May warf mir einen Blick zu.

»Ich habe dich gerufen.« Ich wand mich ein bisschen unter seinem Blick, der bis in die tiefsten Tiefen meiner Seele zu dringen schien. »Ich habe ein paar Fragen zu dem, was du letztes Mal zu mir gesagt hast, als wir uns … äh … begegnet sind.«

Er wartete schweigend und schaute mich nur aus seinen unheimlichen Augen an. »Du hast gesagt, ich hätte dich schon einmal enttäuscht, und das solle ich nicht wieder tun. Es tut mir leid, wenn ich ungewöhnlich begriffsstutzig bin, aber ich verstehe einfach nicht, was du von mir willst. Wenn du es mir einfach sagen könntest, wäre ich dir sehr dankbar.«

Er schloss die Augen und drehte sich um, als ob er gehen wollte, aber in diesem Moment verschmolz das ganze Haus zu einem weißen Nichts.

Einem kalten, weißen Nichts.

»May?«, fragte ich und rieb mir fröstelnd die Arme, als ein starker, arktischer Windstoß mich zurücktaumeln ließ.

»Ich bin hier. Es ist schon wieder eine Vision, nicht wahr? Wie beim sárkány?«

»Ja, ich glaube … ja, da oben. Das bin ich.«

»War das nicht, als der Erste Drache dich wiedererweckt hat?«, fragte May bibbernd. Wir beobachteten, wie mein vergangenes Ich einen Hügel hinuntertaumelte, plötzlich stehen blieb und nach oben schaute.

»Ja, ich glaube schon. So schrecklich sehe ich gar nicht aus, oder?«

»Na ja, ich könnte mir schon vorstellen, dass es anstrengend ist, wiedererweckt zu werden«, sagte sie.

»Was wünschst du von mir?«, fragte mein vergangenes Ich. May und ich blickten in die Richtung, in die es sich wandte.

Der Schneesturm ließ einen Augenblick nach, und die Umrisse zweier Männer waren zu sehen.

»Der Tod der Unschuldigen hat meinem jüngsten Sohn die Ehre genommen«, sagte einer der beiden Männer. »Du musst sie ihm zurückgeben.«

Die frühere Ysolde blickte ihn ein paar Sekunden lang trüb an, dann drehte sie sich einfach um und ging weiter den verschneiten Hang hinunter. May und ich starrten den Ersten Drachen und den Mann neben ihm an, bis uns ein weiterer eisiger Windstoß zurücktaumeln ließ.

Ich schlug die Hände vors Gesicht und wischte die Tränen weg, die der Schneesturm hervorrief. Als ich wieder aufblickte, standen May und ich wieder in ihrer Bibliothek. Es tröstete mich, dass auch sie einen Ausdruck von Ungläubigkeit im Gesicht hatte, da ich völlig außer Fassung war.

»Das war … das war Constantine, oder nicht?«, fragte sie mich schließlich.

Ich nickte. »Ich habe den Ersten Drachen richtig verstanden, oder? Er hat doch gesagt, sein jüngster Sohn?«

»Ja.« May blinzelte und schüttelte verwirrt den Kopf. »Constantine Norka war der jüngste Sohn des Ersten Drachen? Ich wusste gar nicht, dass er Kinder hat. Er redet andere Drachen grundsätzlich mit Sohn oder Tochter an.« Sie musterte mich. »Dich scheint er besonders gerne Tochter zu nennen. Ob du wohl wirklich seine Tochter bist?«

Ich schüttelte den Kopf. »Meine Eltern waren zuerst schwarze Drachen, dann silberne, als sie die Sippe mit Constantine verließen. Da ist etwas …« Ich biss mir auf die Lippe, um mich an etwas zu erinnern, das mir kürzlich erst jemand erzählt hatte. »Kaawa hat mir, glaube ich, gesagt, dass die Drachensippen ursprünglich vom Ersten Drachen geschaffen worden sind. Seine Kinder waren die ersten Wyvern.«

»Ich glaube, das habe ich mal in einem der Geschichtsbücher im Weyr gelesen«, sagte May nachdenklich. »Er hatte eine Tochter und drei Söhne, und sie bildeten die ursprünglichen vier Sippen. Aber ich kann mich nicht erinnern, Constantines Namen dort gesehen zu haben, obwohl es Sinn ergibt, wenn alle anderen ersten Wyvern Kinder des Ersten Drachen waren. Warum hat Gabriel das wohl nie erwähnt?«

»Das ist eine gute Frage. Und ich frage mich auch, was ich tun soll. ›Der Tod der Unschuldigen hat meinem jüngsten Sohn die Ehre genommen.‹ Das ist bestimmt, weil Constantine mich getötet hat. Wie soll ich denn meinem Mörder die Ehre zurückgeben? Spielt das überhaupt noch eine Rolle? Er ist doch tot!«

May zögerte, dann erwiderte sie: »Er ist der Sohn des Ersten Drachen, Ysolde. Für ihn spielt es bestimmt eine Rolle.«

»Ja, natürlich.« Ich dachte einen Moment nach. »Wie gibt man denn einem toten Mann seine Ehre zurück? Ich könnte ihm ja formell vergeben, dass er mich getötet hat, aber darüber hinaus fällt mir auch nichts ein.«

In der Nähe knallte eine Tür. Ich lächelte kläglich.

»Anscheinend ist mindestens einer von beiden mit seiner Geduld am Ende«, sagte ich. Wir verließen die Bibliothek. Baltic stand mit verschränkten Armen an der Haustür und sah mit finsterer Miene zu, wie Brom mit Gabriel plauderte.

»Ich hoffe, er hat euch nicht völlig zugetextet«, sagte ich und bedachte meinen Sohn mit einem Lächeln.

»Nein, keineswegs. Wir haben uns ja gefreut, dass er hier war, und ich weiß, dass Maata wirklich gerne mit ihm ins Museum geht, um Mumien anzuschauen. Es freut mich auch, dass Baltic den Besuch erlaubt hat, trotz aller Probleme mit dem Weyr. Und apropos, ich nehme an, wir sehen uns morgen?«

»Äh …« Ich musterte meinen reizbaren Gefährten missbilligend. Er schien wirklich mit seiner Geduld am Ende zu sein. »Ich habe Baltic noch gar nicht gesagt, dass es morgen ist, aber er weiß ja, dass er teilnehmen muss, deshalb werden wir auch kommen. Ich freue mich schon darauf, das Haus wiederzusehen, obwohl es mich ehrlich gesagt ein bisschen überrascht, dass Kostya uns überhaupt hineinlässt.«

May blieb stehen, als wir die Eingangshalle betraten. »Ich glaube, er braucht ein bisschen Hilfe bei Cy«, sagte sie langsam. In ihre blauen Augen trat ein unglücklicher Ausdruck.

»Mir kam es schon beim letzten Mal so vor, als sei bei ihnen nicht alles in Ordnung.«

»Nein«, gab sie zu. Ihre Miene hellte sich auf, als sie Gabriel anblickte. »Vermutlich ist das passiert, was immer passiert, und Cy hat eine neue Liebe gefunden. Allerdings hatte ich dieses Mal geglaubt, sie hält es wirklich durch …«

Baltic blickte mich stirnrunzelnd an. »Gefährtin, wir waren jetzt lange genug hier. Ich habe so viele Beleidigungen über mich ergehen lassen, wie ich aushalten kann. Wir gehen jetzt. Brom, bring deine Sachen zum Auto.«

»Danke, dass Brom das Wochenende bei euch verbringen durfte«, sagte ich zu Gabriel, als ich an Baltics Seite trat. »Wenn ich mir anschaue, was er alles mit nach Hause bringt, dann habt ihr ihn sicher zu sehr verwöhnt, aber anscheinend hat es ihm großartig gefallen.«

»Die Freude war ganz auf unserer Seite«, erwiderte Gabriel und legte den Arm um May. »Ich hoffe, ihr erlaubt ihm, uns wieder zu besuchen.«

Ich blickte Baltic auffordernd an. Er presste die Lippen zusammen. Ich stieß ihn mit dem Ellbogen an.

»Nein«, sagte er.

»Doch.«

Er seufzte. »Ysolde, eines Tages wirst du zu weit gehen. Muss ich dich noch einmal daran erinnern, dass ich der Wyvern bin und …«

»Ja, ich weiß, ich bin nur deine Gefährtin, aber als Wyvern musst du wenigstens einen Ansatz von guten Manieren haben, also lass sie einmal zum Vorschein kommen.«

Er bedachte mich mit einem finsteren Blick, dann straffte er die Schultern und machte eine dieser eleganten Verbeugungen, die allen männlichen Drachen angeboren zu sein scheinen. »Meine Gefährtin und ich danken euch, dass ihr unseren Sohn als Wochenendgast aufgenommen habt.«

Gabriel, der schon wieder ein Lächeln zu unterdrücken schien, neigte höflich den Kopf. »Das haben wir nur zu gerne getan.«

»Bis morgen dann«, sagte May und winkte uns nach. »Tschüss, Brom.«

»Morgen?« Baltic blickte mich fragend an, als er mir die Autotür aufhielt.

»Was ist morgen?«, fragte Brom vom Rücksitz.

»Eine Sitzung, auf die Baltic und ich gehen müssen.«

»Ach, das mit dem Weyr.« Brom verlor sofort das Interesse. Auf der Heimfahrt erzählte er uns von den vielen wundervollen Mumien, die er gesehen hatte, und den Dingen, die mit Mumien zu tun hatten. Ich war mir die ganze Zeit über bewusst, dass Baltic wegen des Treffens mit den Wyvern wütend neben mir saß, aber wir wussten beide, dass er nicht darum herumkam.

»Worüber hast du denn mit der silbernen Gefährtin gesprochen? War es so wichtig, dass ich die ganze Zeit mit Gabriel allein bleiben musste?«, fragte Baltic, als Brom mit seinen Schilderungen fertig war.

»Wir haben den Ersten Drachen gerufen.«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Warum?«

»Weil ich es leid war, mir ständig Gedanken darüber zu machen, was er von mir will.«

»Und was hat er gesagt?«

Ich warf ihm einen raschen Blick zu. »Er will, dass ich Constantine die Ehre zurückgebe.«

»Er hatte keine Ehre!«, erklärte Baltic.

»Ich rede nicht von seinen Taten, sondern gebe einfach nur wieder, was der Erste Drache gesagt hat. Er hat May und mich in eine weitere Vision der Ereignisse direkt nach meiner Wiedererweckung gezogen. Er sagte, der Tod der Unschuldigen habe Constantine der Ehre beraubt, und ich solle sie ihm zurückgeben. Aber wie soll ich jemandem die Ehre zurückgeben, wenn er tot ist? Hast du eine Ahnung?«

Sein Blick war undurchdringlich. »Ja. Versuch es gar nicht erst.«

»Der Erste Drache hat mich aber darum gebeten, Baltic. Ich halte es für keine gute Idee, es nicht wenigstens zu versuchen.«

Achselzuckend wechselte er das Thema. »Warum hast du mir denn nicht gesagt, dass das Treffen mit den Wyvern schon morgen ist?«

»Warum hast du mir nicht gesagt, dass Constantine der jüngste Sohn des Ersten Drachen ist?«, konterte ich.

»Was für eine Rolle spielt es für dich, wer die Kinder des Ersten Drachen waren? Als Dauva zerstört wurde, waren sie alle tot«, wich er mir aus.

»Wenn du in dieser Stimmung bist, dann unterhalte ich mich lieber nicht mit dir«, sagte ich gereizt, verstand jedoch auch, warum er das Thema nicht vertiefen wollte. Es war ein wunder Punkt, dass er aus seiner eigenen Sippe hinausgeworfen worden war und sich den Zorn des Ersten Drachen zugezogen hatte, deshalb sagte ich ihm einfach nur, dass wir mit den anderen Wyvern über diesen albernen Weyr-Krieg sprechen würden.

»Wenn wir den morgigen Tag mit diesem Wahnsinn verschwenden, dann muss ich jetzt arbeiten«, sagte er zu mir, als wir zu Hause ankamen. »Später, wenn unser Sohn zu Bett gegangen ist, kannst du gerne all diese erotischen Dinge machen, die du mit mir vorhast.«

Ich blickte ihn überrascht an. Brom brachte alle seine Neuerwerbungen in den Keller, wo Baltic ihm ein kleines Labor eingerichtet hatte. »Woher weißt du, dass ich schmutzige Gedanken über dich hatte?«

Lächelnd zog er mich an sich. »Das sehe ich dir an. Deine Augen werden feucht vor Verlangen, und dein Atem geht schneller. Und du wirfst mir wiederholt fragende Blicke zu. So wie es aussieht, hast du wahrscheinlich mehrere erfindungsreiche Fantasien gehabt.«

Ich biss ihn in die Schulter und genoss einen Augenblick lang seinen Duft, den ich tief in mich einsog. »Du bist es, der diese Fantasien liebt, ich habe an nichts dergleichen gedacht.«

Er kniff mich ins Hinterteil.

»Na gut, ein bisschen vielleicht, aber es ging nur um eine kleine Verfolgungsjagd, das kann man ja wohl kaum als erfindungsreich bezeichnen.«

»Verfolgungsjagd?« Seine samtschwarzen Augen leuchteten auf.

»Kaawa hat gesagt, das täten Drachen manchmal.«

»Ja, das stimmt.« Er holte tief Luft. »Du hast mir früher immer kleine Notizen hinterlassen, die mir Hinweise darauf geben sollten, wo du dich versteckt hattest. Du warst sehr gut im Verstecken, aber ich habe dich immer gefunden. Möchtest du dieses Spiel wieder spielen?«

»Vielleicht«, sagte ich und setzte das Verfolgungsjagd-Szenario im Geiste ganz oben auf meine Liste. Ich bedachte ihn mit einem langen Blick, als ich mich zum Wohnzimmer wandte. »Bis später dann.«

Er grollte leise, ein seltsam erotischer Laut, der mir Schauer über den Rücken jagte. Ich musste Kaawa unbedingt fragen, welche anderen Drachenspiele ich wohl sonst noch so vergessen hatte.