V.

 

»Ja, liebster Herr, das wird eine schlimme Geschichte.« Leonharts Rechtsanwalt, Isidor Knaller, klatschte sich auf sein emporgezogenes Knie. »Das giebt zwei faule Preßprozesse. Doch wie ich mir denke, ist Ihnen das ganz Recht. Macht ja Reklame.«

»Danke schön. Mir sind meine Nerven wichtiger Ich bin verzweifelt. Schon wieder eine neue Aufregung!«

»Werden zwei cause célèbre, liebster Bester. Sie sind also verklagt wegen groben Unfugs in Sache I und in Sache II ist Confiscation verfügt wegen unsittlichen Inhalts.«

»Das laß ich mir nicht gefallen!« schrie Leonhart aufgeregt. »Diese Oelgötzen! Ich appellire an alle Instanzen.«

»Sehr hübsch, liebster Bester. Kostet zwar eine Menge Geld, doch des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Wollen also mal die Corpora delicti durchgehn. Da ist also ad I Ihr Cyklus ›Russische Juchten‹. Origineller Titel. Also gedacht als Text zu Wereschagins Bildern. Lesen wir mal genau.«

Beide lasen.

 

Der Zar bei Plewna.

 

Noch labt man sich an Kirchenweihrauchdämpfen –

Da krachte draußen schon das Ungewitter.

Es toastete der Zar, der edle Ritter,

Beim Dejeuner »auf Jene, die dort kämpfen.«

 

Vierspännig fuhr er dann zum Schlachtgefilde

Und satzte sich auf einen Feldstuhl nieder.

Die Adjudanten zuckten hin und wieder

Zurück vorm grausen Bild – er lächelt milde.

 

Einmal fuhr Väterchen auch etwas näher,

Doch kehrte er bald um, es war ihm eilig.

Eine Granate flog vorüber freilich.

Dann trank er Wotka, melden freche Späher.

 

O großer Alexander, lieber wär ich

Diogenes in einer morschen Tonne,

Als solch ein Xerxes, den die liebe Sonne

Durchscheint wie einen ausgestopften Kehrig!

 

Vor dem Angriff.

 

Gelbbranstiger Nebel flort um die Redoute,

Aufwirbelt Dampf von ausgebrannten Lunten.

Stumm wird es an den Pallisaden drunten.

Erwartungsvoll nur wiehert eine Stute.

Das Herz zum bersten an die Rippen hämmert,

Am Fernrohr zittert selbst des Führers Rechte.

Rauchsäule, Hornsignal! Klar zum Gefechte!

Die schwere Stunde der Entscheidung dämmert.

 

In Linien glitzern schon die Bajonette

Entlang den Erdaufwürfen aus den Gräben.

Die Käppis schon in Reihen sich erheben.

Langsam entwickelt sich die Schützenkette.

Der Odem stockt dem Bravsten angstbeklommen.

Da schmettert's Sturm! Aufspringen alle Haufen.

In wilden Sätzen schon sie vorwärts laufen.

Der Festung Mauern sind in Dunst verschwommen.

 

Kein Schuß antwortet. Mangeln schon Patronen?

Ob schon der Feind die Außenwerke räumte?

Ob er absichtlich mit der Antwort säumte,

Dieweil er sparen will die blauen Bohnen?

Das war ein Schweigen, schaurig, ungeheuer,

Wie vorm Orkan. Stumm die Kanonen starrten,

Wo die Vertheidiger lauern, aus den Scharten.

Da schwingt der Pascha seinen Säbel: »Feuer!«

 

Das letzte Bivak.

 

Zu Tausenden liegen sie rings erstarrt.

Die Krähe forscht, wo sie verscharrt

Unter den Schneeaufwürfen.

Wo ohne Spuren ein Heer verschwand,

Zeigt kaum ein Fuß und eine Hand,

Nach denen die Krallen schürfen.

 

Ein türkischer Vater mit seinem Sohn

In eines verflackernden Feuers Loh'n

Starrten sie stumm und ergeben.

Der Junge träumte vom Houriarm,

Da wird er schlummern sanft und warm.

Mit der Flamme erlosch sein Leben.

 

Der Alter ührte und regte sich nicht,

In Schmerz versteinte sein starres Gesicht,

Vom Rauch der Asche umqualmet.

Allah Akbar! Gott ist groß

Und der Mensch ein Hund und erbarmungslos

Ihn Azrael zermalmet.

 

Skobeleff.

 

Entlang den eisgehelmten Alpenriesen

Dehnt sich der Sieger lange dünne Fronte.

Vom letzten Strahl besonnt, am Horizonte

Abheben sich Spitzmützen der Kirgisen.

 

Der neue Suvaroff mit seinem Stabe

Sprengt froh vorbei. Ihm regnet es ja Orden,

Wenn Völker um des Kaisers Bart sich morden,

Für diese prächtige Hekatomben-Gabe.

 

Hurrah! Werft hoch die Mützen, Tusch, Fanfaren!

Er selber grüßt begeistert mit dem Hute.

»Ich danke, Brüder, eurem Heldenmuthe

Im Namen Sr. Majestät des Zaren.«

 

Ich dank euch! O des unbewußten Hohnes!

Siegt oder fallt, sonst lehrt es euch die Knute!

Unmündigen Unterthanen ziemt die Ruthe

Oder Versprechen unbestimmten Lohnes.

 

Ein Seitenstück zu jenes Raben Krächzen:

»Gott und der Zarin Ruhm!« (Wie aber kommen

Die Zwei zusammen?!) »Ismail ist genommen!«

Die Nordpol-Melodie zum Todesächzen!

 

»Am Schipka Alles ruhig.«

 

Ein weißes Leichentuch bedeckt die Erde.

Wie weiße Lavawellen unaufhaltsam

Nachdrängt vom Berg der Schnee und stürzt gewaltsam,

Als ob ein Donnerkeil geschlendert werde.

 

Ein jeder Athemzug macht hier Beschwerde.

Der Odem wandelt sich zu Nadeln Eises,

Die sich zerreibend knistern. Und Gefährde

Bringt jeder Fleck des ungewissen Gleises.

 

Zelte als Mäntel brauchend, in Kaputzen

Die Wachen bei dem letzten Kienspahn kauern.

Den Kugeln zu entrinnen kann nichts nutzen,

Wer nicht verhungert, stirbt in Frostesschauern.

 

Sie liegen hier ganz einfach, um zu sterben

In Myriaden, wie's dem Zar gefällig,

Die Posten einsam, Bivouaks gesellig.

Doch massenhaft hinrafft sie das Verderben.

 

»Am Schipka-Paß ist's ruhig« hieß die Kunde,

Die angenehm das Ohr des Zaren kitzelt.

»Am Schipka Alles ruhig« mit dem Munde

Des Todes rings der Erde Echo witzelt.

 

Der Todtenacker.

 

Ein ungeheurer Kirchhof ist der Acker,

Dort modern sie in ungezählten Scharen,

Bluthunde, die sich würgten flink und wacker,

Die ebenbürtigen Bestien-Barbaren.

 

Das heilige Rußland und die heilige Knute –

Der Sultan, der den Paschas, die nicht siegen,

Die seidne Schnur verehrt – vereinigt liegen

Des Molochs Opfer hier in ihrem Blute.

 

Wie eine Ampel schwebt im düstern Dome,

Hängt hoch ein Geier an der ernsten Wolke.

Ein Pope steht bei diesem Todtenvolke,

Sprengt darüber aus dem Weihgefäß Arome.

 

Ein rohes Nothkreuz, wo der Berg sich lichtet,

Ist eingerammt den dichten Leichenhügeln.

Ein Crucifix der Pfaffe hier errichtet

Als Vogelscheuche, Rabengier zu zügeln.

 

Und Geier auch und Wölfe, wilde Hunde,

Sie nahen rings zum Leichenkarnevale.

Sie zehren all von unserem Verfalle.

Der Luft und Erde Raubzeug steht im Bunde.

 

Wer aber kann den inneren Wurm verscheuchen,

Der schon im Leben heimlich an uns bohret?

Fort, Unsinn, mit des Aberglaubens Bräuchen!

Kein blauer Weihrauch-Dunst den Tod umfloret.

 

Er grinst dich an aus Schädelpyramiden.

Und lacht der Tod – was sollten wir nicht lachen

Ob all den Nichtigkeiten, die im Frieden

Das Glück und Elend unsers Lebens machen?

 

O Krieg, du bist der Menschheit Dornenkrone.

Durchzuckt von ewigen Wehen der Geburt,

Geheftet an des Todes Eisengurt,

Hängt sie am Kreuze gleich dem Gottessohne.

 

Die Hunnenschlacht.

I.

 

Ich träumte jüngst von einem wilden Walde,

Voll alten Bäumen, die vom Sturm entlaubt,

Der von Sibiriens Strömen niederschnaubt.

Schon färbt der Herbst den Blätterschmuck der Halde.

Matt klomm empor der Sonne Gluth,

Sturm prophezeiend, roth wie Blut,

Durch Nebel sie verdrossen kam,

Wie ein Gefangner voller Scham,

Ein Mörderaug' mit irrer Wuth

Verstohlen lugt durch Kerkergitter.

Es wälzte nahendes Gewitter

Dicht übern nackten Boden dieser Steppen

Die Wolkenschaaren hin, wie Riesenschlangen,

Die sich von Ast zu Ast nun weiterschlangen,

Wie Geister mit langwallend-blassen Schleppen.

Der Regen schoß herab in schweren Bächen.

Der schmerzlich-grüne Todtenfluß des Hades

Schien sich zu wälzen durch die feuchten Flächen.

Mir schnitt durchs Hirn das Drehn des Weltenrades,

Schwerfällig knirschend über blutigen Leichen

Von schwachen Völkern, überlebten Reichen.

 

II.

 

Und da ich also sann, da ballten sich

Aus diesem Nebelmeere drei Gestalten

Sie wuchsen auswärts ernst und feierlich.

Den Ersten sah zu Roß ich vor mir halten,

Wie er hinausstrebt einen Felsenstrich.

Der ehrnen Stirne tödtlich düstre Falten,

Das Wechsellose seines Blickes schien

Durchbohrend mir die Seele zu zerspalten.

Tartaren und Kosaken vor ihm knien

Und all die heimischen Mongolenhorden.

Die Schweden und die Türken vor ihm fliehn.

Die ehrne Kiefer schnappt nach stetem Morden,

Entsetzlich sträubt sich sein Gorgonenhaar –

Er ist der Baal, des Molochs Bild im Norden,

Ein unersättlich gieriger Barbar.

 

Und wie einst Iwan that vor Nowgorod,

So seine Kiefer knirschend sich bewegt,

Als fräße unsre Welt sein Machtgebot,

Die sich ihm hülflos selbst zu Füßen legt.

 

Ich ward zu Stein. Doch Grausen mir durchraun

Aufs neu die Adern, als ich vor mir da,

Langsam herschleichend neben jenem Mann,

Ein greises welkes Schemenwesen sah.

Die Krallenhand sich hin nach Süden spreizt.

Die Krim, das schwarze Meer, die Donau reizt.

Nach Westen stürzt die geiergleiche Gier

Und Polen's Kraft verblutet unter ihr.

Ihr Kuß ist tödtlich wie des Vampyrs Biß,

Des Nordens schreckliche Semiramis!

 

Doch jetzt sah ich erheben süßlich fad ein Angesicht,

Amoretten es umschweben, Grazie es sanft umflicht.

Alexander, parfümirter Ritter für Europas Recht,

Du lebendig balsamirter Lügenpopanz, Pfaffenknecht!

Ja, das Widerlichste scheinet mir ein fürstlicher Tartuffe,

Der den Dandy-Chie vereinet mit dem Diplomatenkniff.

Während Polen wird vernichtet, tanzt sich die Quadrille gut.

Doch im Innern selbst sich richtet frömmelnde Despotenwuth.

»Heilige Schwermuth« oder besser: Neue hat sein Herz zerfleischt!

Denn am stygischen Gewässer andre Tugenden man heischt.

Keine Fürstengroßmuth, keine Heilige Allianz, o nein!

Gottesgnadenthum ist eine leere Fabel dort allein.

»Liebenswürdig« warst Du? Braten sollst Du, heuchelnder Despot,

In der Hölle Dantes. Platen hat Dir das vorausgedroht.

Triffst den »guten Kaiser Franzel«, den gemüthlichen, auch dort,

Während frech man auf der Kanzel euch canonisirt sofort.

Du, der trieb wie Alexander (wohl damit ihr Beide so

Etwas ähnlich säht einander!) Vatermord incognito!

St. Georg, der gern erdrücken will den »Robespierre-à- Cheval«

Und doch hinter Preußens Rücken mit ihm theilt den Erdenball!

Held von Erfurt, sanfter Schmeichler, der mit einem Judaskuß

Selbst den größesten der Heuchler übertölpelte zum Schluß!

Gecken-Zar und Großmuthsschwätzer, Haupt der Heiligen Allianz,

Frommer Buhler, Polenhetzer – Heil sei Dir im Siegerkranz!

 

III.

 

Schon keimt der nordische Upasbaum

Und eine Boa von Ketten

Zuschnürt den ächzenden Weltenraum –

Wer wird Europa retten?

Schon ist die Sonne des Gerichts

Am Horizont entglommen,

Ein Held entsteigt der Zukunft Nichts –

Du Heiland, sei willkommen!

Und Geister der Vergangenheit,

Sie nahen vielgestaltig.

Sind wir noch wie in alter Zeit

Ueber alle Völker gewaltig?

 

Zum ersten ein unabsehbarer Zug

Mit schleppenden Hermelinen –

Den Reif des Kaisers Jeder trug

Mit majestätischen Mienen.

 

Die Schwarzen aus salischem Herrschergeschlecht,

Rothblonde Hohenstaufen –

Weltgebieter nach ewigem Recht

Nahten in hellen Haufen.

 

Verächtlich zuckte der stolze Mund.

Den Speer hob Otto der Große,

Als sollte ein neuer Ottensund

Als Grenzmal ihn bergen im Schoße.

 

Das baltische Meer schon ahnend zuckt

Bis an die östlichsten Ränder –

Grimmhastig Jeder am Gurte ruckt

Der schleppenden Kaisergewänder.

 

Dort stack das Schwert des Reichs und wild

Ausholten sie alle zum Streiche

Und schlugen an des Reiches Schild

Am Zweig der Walser-Eiche.

 

Der sechste Heinrich stolz und starr

Wuchs auf vor des Ostens Dämonen.

Er lachte heiser: »Wer bist Du, Narr,

Der den Kaiser will überthronen?

 

Wer ist's? Des Nordens kleiner Zar,

Der neben den Ungarn und Polen

Als Lehnsmann mir zu eigen war,

Er will den Tribut sich holen?

 

Hoiro! Alle Ritter, auf!

Der Bär hat schlechte Sitten.

Versöhn' Dich mit dem Hohenstauf,

O Löwenherz der Britten!

 

Mit dem Adler jage der Leopard!

Im tobenden Weltgedränge

Sei deutscher Longmuth nicht bewahrt –

Ich lehre euch die Strenge!«

 

Da stiegen empor zwei Recken frisch,

Der eine ein derber Bauer.

In ihm vereint ein seltsam Gemisch'

Weltlust und entsagende Trauer.

Eine neue Götterdämmerung

Weissagen muß er bange.

Er droht wie Tor mit Hammerschwung

Der römischen Midgardschlange.

Der Andre war ein lustiger Fant,

Ein scharfer Gedankenspalter

Er liebte Minne und Vaterland,

Wie der Minnesänger Walter.

Sonst schonte er nichts und fürchtete nichts

Und haßte Philister und Kutten – –

An eurem Wesen uns gebricht's,

O Luther und o Hutten!

 

Da aus dem Nebel des Traumes stieg

Eine Dreizahl von Heroen:

Ich sah des deutschen Geistes Sieg

Im Anblick dieser Hohen.

Sie schwebten auf wie Adlerflug

Vereint zur Morgenröthe.

Ihr Genius sie aufwärts trug,

Lessing, Schiller, Göthe!

 

Jetzt hob sich aus dem Nebelmeer

Eine riesenhafte Erscheinung.

Er war allein und um ihn her

Der Feinde Völkervereinung!

Der kleine Mann und der kleine Staat

Drückten allein sie nieder.

Zorndorf war nur eine Nebenthat

Im Kampf mit dieser Hyder

Und gegen die östlichen Nebel zu

Hob er drohend die Krücke

Und scheucht mit herrischem »Du, Du!«

Sie in sich selbst zurücke.

 

Nun aber langsam mächtig wuchs

Wie der steinerne Gast zur Höhe

Eine ernste Gestalt, ich erkannte flugs

Den Stein vom Haupt zur Zehe.

Er kannte den treuen Bundesgenoß,

Den theuern Moskowiter,

Der unsern hündischen Dank genoß.

Der Freiherr lächelte bitter.

Das war ein Freiherr jeder Zoll,

Ein Herr und auch ein Freier!

O Judasküsse tückevoll

Bei Deutschlands Freiheitsfeier!

Europas Herz durchbohrt, verkauft

Von lauernden falschen Beschirmern!

Der Einheit Blüthe, mit Blut getauft,

Zernagt von schmarotzenden Würmern!

 

Das Herz schwoll mir vor Kummer an.

Da sah ich Ihn auferstehen

Aus der Gruft von Deutschlands Ehre – ein Mann,

Fest von Haupt zu Zehen.

Einen Flamberg hielt er vor sich stracks,

Fest in den Stiefeln stand er.

Den Trotz des Slaven- und Wälschenpacks

Zertreten die miteinander.

Er ist gar schreckbar anzuschaun,

Gleich wie ein Götze der Wenden,

Mit dem Wodanaug' unter düstern Braun

Und immer das Schwert zu Händen.

 

Und da er einen Blick nun warf

Nach dem gährenden tobenden Osten,

Scholl dort ein Lärmruf grell und scharf:

»Laßt nicht die Waffen rosten!

Was schwingen wir gegeneinander das Beil,

Wie einstmals die Strelitzen?

Für uns liegt dort das wahre Heil,

Im Westen zu stibitzen.

Den Deutschen Erbfeind in den Bann!

Er ist der große Verschlinger.

Er wuchs aus kriechender Ohnmacht an

Zu einem Weltbezwinger.

Entscheidungskämpfe schwer und scharf

Erwarten euch, Teutonen.

Denn nur das heilige Rußland darf

Als Weltenherrin thronen.

Stets weiter unsers Reichs Polyp

Den ehrnen Fangarm dehnte.

Siebirien rastlos vorwärts trieb,

Bis sich's an China lehnte.

Nach China gings vom Kaukasus!

Von dort zum Himalaya!

Am Ganges und am Bosporus

Erwartet uns der Raja.

Afghanen-Emir, Perser-Schah,

Ihr werdet uns Vasallen!

Am Donau-Ufer fern und nah

Der Ukas Donner schallen.«

 

IV.

 

Sind das Lithauens unendliche Strecken?

Ein Schlachtfeld sah ich in ahnendem Schrecken.

 

Die Flamme beleuchtet im öden Raume

Mit bläulichem phosphorartigem Schein

Die reifen Früchte am Pflaumenbaume

Und wandelt in Golddukaten die Birnen.

Hoch über dem Feuer in stillem Verein

Schweben die Raben mit finstern Stirnen,

Wie schwarze Kreuze auf goldenem Grunde.

Still wird es in der unendlichen Runde.

Die Welt der Insekten brummt und summt,

Das Zirpen der Heimchen nie verstummt.

Das trockene Schilf als Wachtfeuer lodert.

Der einsame Schwan, der sanfte Störer,

Wie eine silberne Glocke fodert

Gebet und Andacht von jedem Hörer.

Und rauscht er empor zur nördlichen Fahrt,

So wird er plötzlich, eh er's gewahrt,

Von rosigsilbernem Licht übergossen.

Und dann erscheint das Wolkengewimmel,

Als flögen rothe Tücher am Himmel.

Durchsichtige Lämmerwölkchen flossen

Am Äther hin, rothgoldene Streifen

Den blauen Horizont umreifen,

Wie von einem Riesenpinsel gezogen.

Die Zieselmäuse der Steppe pfeifen.

Die Gräser, von frischer Brise gebogen,

Rauschen zusammen wie Meereswogen.

Die grüne jungfräuliche Oede strahlet,

Dies goldiggrüne Meer sich bemalet

Mit tausend Farben. Wollüstig badet

Die Steppenmöve im Sonnenstrahl.

Den Habicht zu reichlichem Raube ladet

Die Musik des Tages im Steppenthal,

Wo alle Würmer der Erde erwachen,

Wo das Rebhuhn hinhuscht am feinen Stengel

Der Weizenähre, wo aus den flachen

Steppenstrecken, ein schüchterner Engel,

Die hellblaue Kornblume sich erhebt

Und pyramidenförmiger Ginster.

Leuchtkäfer erblassen, der Schatten verschwebt,

Hellgrün ist Alles, was schwarz und finster.

 

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und dieses Land der Zukunft trug

Des Deutschen Colonisten Pflug.

 

»Hm, hm,« urtheilte der Rechtskundige, nachdem die Lectüre beendet, bedenklich. »Das steht schlimm. Zweifellos ›Grober Unfug‹! Sehn Sie, der Paragraph wird jetzt so gedehnt nach Belieben, daß Sie ja ganz unrettbar verloren scheinen. Beleidigung verschiedener Zaren, speziell des verstorbenen, eines engbefreundeten Souverains – o, o! Und dann überhaupt die ganze aufreizende Tendenz! Dieser Haß gegen das engbefreundete Rußland! Ihre Dichtung ist geeignet, Zwietracht zwischen verbündeten Völkern zu schüren. Nein, lieber Herr, vom Standpunkt eines königlich preußischen Richters aus muß man Sie ja wegen, Groben Unfugs', begangen durch die Presse, verdammen. Kommen wir nun zu Punkt. Zwei!«

Er las.

 

Messalina.

 

I.

 

O welch ein Wechsel! Neidische Fortuna, du

Willst hemmen meinen sieggekrönten Frevellauf

Und wähnst, statt Süßes müss' ich Herbes kosten nun?

Doch hierin irrst du. Denn des Unglücks Aschenfrucht

Schmeckt jetzt erfrischend mir und gaumenreizend nur,

Da ich der Hesperidenfrucht zu viel genoß.

Und hat der Wechsel selbst nicht manches Reizende?

Des Zufalls ungeahnte schlaue Wendungen,

Das neue Ungewohnte, das Aufregende

Der Furcht und Ahnung und der Hoffnung andrerseits,

Der angestrengte Kampf um Leben und Besitz –

All' dies ergötzt mich, wie ein fremdes Drama schier.

Der Erdballs Herrin gestern, heut auf Tod verklagt,

Gestern in sichrer Burg und heut im Haftgemach!

Ha, Gestern: meines Lebens wonnevollster Tag!

 

Wir feierten das Winzerfest im Bacchanal

In süßer Raserei in des Vergnügens Arm,

Mänadisch toll, wie in verschwiegner Mitternacht

An Lesbos' Strand in Thraciens Kluft Trybadenschwarm

Evoë-kreischend feiert lüsterne Mysterien.

Wir aber tobten offen unterm Sonnenlicht.

Die Kelternbäume knarrten und vom süßen Most

Die Kufen überströmten. Frauen, nackt an Bauch und Brust,

Vom Pantherfell umflattert ihre Schultern nur,

Das ihre Lenden los umgürtet, tanzten rings.

Und Allen ich voran, des Festes Königin,

Ich der Mänaden Tollste und Verführendste,

Cäsarin aller Lüste auf dem Weltenrund.

Als Scepter, Zeichen meiner unumschränkten Macht,

Den Thyrsus schwingend überm Haupt bacchantisch wild.

 

Zur Seite mir, den Epheukranz im blonden Haar,

Herwankend auf Kothurnen, einem Trunknen gleich,

Im Chor der Zecher, er, mein Liebling Silius,

Mein Buhle, mir auf offnem Forum angetraut,

Mit dem die Hochzeit ich im Kaiserhaus beging

Bei Lebzeit meines Schwachkopfgatten – hahaha!

Doch mitten in der allerfrohsten Lustbarkeit

Erklomm der Gäste Einer einen Palmenbaum

Und als wir riefen: »He, was siehst da oben Du?«

Schrie er voll Angst: »Gewitter naht von Ostia!«

War's eine Ahnung, war's ein Scherz, weißsagend halb?

Genug, einschlug es wie ein Blitzstrahl unter uns

Und horch! Durchs Evoë der Gäste klirrte Stahl.

Enteilend dem Verderben, auseinander stiebten wir,

Doch rings umschlossen uns die Garden, mordgewohnt.

 

Mein bärtiger stiernackiger Calpurnius

Wird hier durchbohrt, dort Plautius, mein Herkules,

Dort Bettius, mein lieblicher Narciß, dort windet sich

Cäson, der feiste Zotenreißer, Lehrer aller Gräu'l

Und Schüler aller Laster. Reizt uns niemals mehr

Zu wieherndem Gelächter Dein gewagter Witz?

Weh, Mnester, schonten sie nicht Deinen schlanken Bau,

Der dem Caligula, dem Kenner, wohlgefiel?

Ich ehre meines Vortyrannen Kunstgeschmack,

Obwohl mein Blick für schöne Männer noch geübter ist:

Drum, feiler Tänzer, übernahm ich Dich von ihm,

Lustknabe einst des Cäsars, liebte die Cäsarin Dich.

Haha, er sträubte sich, der vielerfahrne Frauenheld,

Der Abentheuer fast für jedes Löckchen zählt:

Er wußte, daß verhängnißvoll ich immer ward

Für Jeden, den ich liebte. Widerstand er mir,

Erreichte ihn mein Gift. Und lieferte er aus

Sich meiner Gier, so räumte ich ihn selbst hinweg,

Ward er mir lästig, oder meines Gatten Beil

Traf seinen Nacken. Ha, er weigerte sich drum,

Mein schlauer Mnester. Und was that ich? Holte mir

Von meinem Ehe-Esel einen Staatsbefehl,

Daß er mir ausgeliefert werde, sintemal

Der Knecht nicht tanzen wolle auf der Fürstin Wunsch!

Der Spröde tanzte nun, doch in viel feinrer Art.

Auch er ward hingeschlachtet, mir zur Freude fast:

So straft ihn das Geschick, weil er mich schmachten ließ.

Doch Du – das war ein harter tiefempfundner Schlag,

Auch Du, mein Silius, mein Pseudo-Ehgespons,

Sankst hin zu meiner Seite pfeil- und speerdurchbohrt,

Die blonden Locken mischten blutig sich dem Staub.

Wann werd' ich wiederschaun Dein frisches Angesicht,

Die Rosenflur, auf der mein Mund sich weidete?

Nie lehn' ich schmachtend an der glatten Schulter mehr –

Nein, Alles ist nun Raub und ekler Würmerfraß.

 

Ich selbst entrann und schleppte durch den Markt mich hin

Durchs halbe Rom. Zuletzt ich einen Karren fand,

Den rief ich an und setzte mich als Fracht hinauf.

So fuhr ich, die Cäsarin, in die Nacht hinein

Wie ein erbärmlich Hökerweib. Und als ich mir

Den Wagenlenker recht ins Auge faßte jetzt,

Sieh da! So war's ein Wohlbekannter, doch von wo?

Mit so unzähl'gen Männern pflog ich ja Verkehr!

Bald brachte die Erinnrung mir sein Bild zurück:

Ein ausgedienter Gladiator war der Bursch.

Doch in Arena und Theater nicht mein Aug' ihn traf,

Nein, in der nächtigen Taverne, jenem Lupanar,

Wo als Lycisca selbst als Dirne ich gedient.

Ha! süßer Dienst, nur war er mir nicht schwer genug.

Denn nimmer konnte ich befriedigt seufzen: »Gut!

Ich kann nicht mehr.« – Ach wie behaglich war es doch

Fortschlich ich mich vom ehelichen Thalamus,

Wenn mein kahlköpf'ger Schlottrer schnarchte neben mir

In tücht'gem Rausch, von Trunk und Völlerei beschwert.

Manchmal macht' ich den Spaß mir, den erquicklichen,

Zwei Gassenmetzen zuzuführen ihm im Rausch,

Calpurnia und Kleopatra, an meiner Statt!

Haha! dämonisches Vergnügen labte mich,

Weil so das Kaiserlager doppelt ward entehrt.

Denn bester Kitzel für den Lüderlichen ist

Das Uebermaß der stinkenden Ruchlosigkeit.

Ich aber schlich als Priest'rin der Vulgivaga

Durch Höf' und Gassen, bot mich jedem Strolche an

Und kehrte endlich in der Morgendämmerung

Erschöpft, doch ungesättigt zum Palaste heim.

(Weh' mir! Was kühlte jemals meine sieche Brunst?)

 

Und sieh, der alte Zechcumpau erkannte mich,

Erinnerte sich gern der drallen Buhlerin,

Die jeden nervigen Bootsknecht schwelgen ließ im Schooß,

Und grüßte mich: Lycisca. – War's ein Schicksalshohn?

Ich ließ den Mann im Wahn, der ihn ermuthigte

Mich derb zu drücken in verliebter Possenreißerei,

So daß die Langeweile eben noch bewältigt ward

Und ich mich tröstete in meinem Ungemach.

Der Arme, hätt' er mich erkannt, so starb er ja!

Gleich jenen Höflingen, die einst im Lupanar

Mich trafen und erkannten, und sich weigerten,

Um keine »Gottesschändung« zu begehn, wofür als Lohn

Ich ihre Töchter schänden und verführen ließ!

 

II.

 

O Höhe meiner Allmacht! O mein tiefer Sturz!

Die Diebin Agrippina stiehlt mein Diadem.

Ich sehe sie vor mir im Geist, die Schmeichlerin,

Im heimlichen Gemach bei meinem Schattenmann.

Wie sie den abgebrauchten Lüstling kitzeln wird

Durch schlaues Zeigen und Verhüllen, Bieten und Verwehren auch

Wie sie mit schlauem Honigwort ihn reizen wird

Der Güte Taubensanftmuth bald im feuchten Blick,

Bald edlen Zornes Löwenmuth im Feueraug'!

Bald süßlich lächelnd, abgefeimte Buhlerin,

Zweideutige Späße lispelnd und gemeinen Scherz!

Bald ernst und stolz, der Frauenwürde hehres Bild,

Mit majestät'schem Faltenwurf der Tunika,

Die leider sich in jedem Augenblick verschiebt,

Wenn sie in plastisch schöner Stellung Arm und Bein

Heroisch von sich streckt! Wie wird in hohem Ton

Vor ihm sie deklamiren aus dem Aeschylus,

Zur Lyra singen den Catull, feinsinnig gar

Ihm den Horaz erläutern und zuguterletzt

Tiefschmerzlich feufzen über den Euripides,

Weil er die Frauen so abscheulich schwarz gemalt,

Denn unsre schönen Seelen, ach! verstand er nicht.

Dann giebt es Ziererei, wenn er sie trösten will

Und ihr versichert, heilig sei für ihn das Weibliche.

Dann wechselt schroffe Kälte, strenge Züchtigkeit

Mit heißem Ausbruch gut gespielter Leidenschaft –

Lukretia, Cornelia, Antigone

Verwandeln plötzlich sich in die Semiramis,

Vampyrisch lüstern und bacchantisch liebeheiß.

Wohl, Agrippina, gleichst Du der Assyrerin:

Im Herzen Völkermord, im Auge Sinnenbrand,

Staatsweisheit auf der Lippe, die von Küssen brennt,

Vom Thron sich wälzend in der Unzucht Lotterbett.

Ha, dessen rühm' ich mich: Ich war zu stolz dafür,

Von Pallas mir zu borgen ihren Tugendschild,

Deß glatter kalter Stahl die Blöden blenden soll.

Ich war der Sünde offenste Verkörperung,

Mein Fleisch und Blut verläugnete durchaus den Geist,

Nie heuchelte ich höher'n Sinn. Ich bin die Lust,

Denn weiblich ist die Sünde und ich bin ein Weib.

 

III.

 

Des Fatums Netz hält mich umstrickt, das unentrinnbare:

Entweder trifft mich des Kroniden Racheblitz

Oder die Himmelsfürstin Juno drückt

Das Scepter voller Macht aufs neu mir in die Hand.

Versucht hab ich, was möglich, und ich hoffe noch.

Bittschriften und Fürbitter bot ich sämmtlich auf,

Um unablässig zu bestürmen meines Gatten Sinn.

Der Dickbauch hat kein Herz von Stein, ist schnell erweicht

Und glaubt am Ende, daß ich schuldlos angeklagt,

Denn dumm genug dafür ist der Vortreffliche.

Ich selber warf mich ja ihm weinend in den Weg

Bei Ostia, vor seiner Sänfte knieend bat

Gehör ich für die Mutter des Brittannicus.

(Als dessen Vater sich der Geiferer berühmt,

Mir selbst ist der Erzeuger nicht so ausgemacht!)

Da überschrie mich zwar sein feiger Kämmerling,

Erstickend meiner Klagen süß beredtes Fleh'n.

Auch hielt er eine Rolle von Papyrus vor

Dem Weltbeherrscher, wo verzeichnet meine Schuld:

Natürlich konnte dem der Tropf nicht widerstehn,

Ihm hat ja stets besondern Reiz Geschriebenes.

Doch jetzt zum Gnadenbitten habe ich bestimmt

Die älteste Vestalin. Diese Fürsprach' muß

Erretten mich. Haha, ein schönes Bild auch dies

Und möglich nur in dieser Weltkloake Schlund,

Daß die Vestalin für die – Messalina fleht!

Natürlich fielen zwar die Meisten von mir ab:

Der Mensch vergiebt der Macht der Frevel Uebermaß,

Dem Fallenden verzeiht er Nichts. Das tröstet mich,

Daß ich den Lumpen rechten Grund zum Hasse gab:

Dreihundertfünfzehn Ritter, Dreißig vom Senat,

Und von Quiriten eine ungezählte Menge noch,

Ließ ich vernichten: Theils weil abhold meiner Macht

Und meine Frevel tadelnd, theils aus Eifersucht

Und Rachsucht den, der meinen Schlingen sich entzog.

So räumte den Vicin ich aus dem Wege mir,

Den Gatten von der Nichte meines Hahnreimanns.

Die Nichte war gefällig, näherte dem Cäsar sich,

Und mir gefiel Vicin. Der Geck hat mich verschmäht,

Und sprach von Treu' und Tugend – Beide starben drum.

Silan auch starb, der blöde Held. (Stiefvater mir,

Denn meine Mutter gab ihm Claudius zur Frau.)

Ich war nach seiner Liebe lüstern und umarmte ihn

Einst etwas zu verwandschaftlich. Das merkte er

Und deutete mir drob sein Mißbehagen an,

Blies auf die Freundschaftsflöte, sprach von Unnatur!

Pah, Unnatur! Natur ist alles, was Natur erlaubt,

Was ich begehe, ohne grad zu sterben dran.

Naturinstinkt ist jeder Trieb im Menschenblut:

Was ich besitzen will, ist mir auch drum gewährt,

Gestattet ist, was mir gefällt. Pasiphaë

Verliebte sich in einen Stier. Und fühle ich

Verlangen, mich zu paaren einem Krokodil –

Wer schreit da Unnatur, da mir's Natur gebeut?

 

Ja, Sinnlichkeit war meines Lebens Lust und Qual:

Verzehrend And're, hab' ich so mich selbst verzehrt.

Um den zu fangen, der sich meiner Macht entzog,

Verlieh ein Gott mir Schönheit – schnell bestrickend wie

Medea's Zaubertrank und Paphos' Sommernacht.

 

IV.

 

O süße tolle Orgien, wo in dem Kreis

Geliebter Frechheit, von Begierde wild zerfleischt,

Becher nach Becher lachend ich hinabgestürzt

Von honigduftendem Falerner rauschgewohnt.

– Nie sah ich so verlockend meiner Schönheit Bild

Vor Augen, als da ich mich heimlich spiegelte

In dem geschliff'nen Erzschild an der Marmorwand

Einst im Zenith des Sinnentaumels, wild verzückt.

Mein wallend Haar, in krausen Locken ringelnd sich,

Wie einer Furie oder Gorgo Schlangenhaar,

(Die Furie der Begierde hauste ja in mir,

Selbst hetzend den Genuß, von innerem Fluch gehetzt)

Blauschwarz wie Ebenholz, von Wollustthränen feucht,

Gleich wie ein perldurchwirkter dunkler Seidenflor,

Peitschte den weichen Nacken und des Rückens Schnee,

Sich schmiegend um des Busens makellose Form

Bis zu geschwellter Hüften üppiger Fülle hin.

– Des Unterkörpers Stellung war nicht minder schön.

Die kleinen Füße in goldfranzigem Pupurschuh

Zerstampften ruhelos des Estrichs Mosaik

Zum Tact der Flöte, die verlockend girrte rings.

Die runden glatten Kniee bebten im Genuß,

Matt ausgeglitscht. Wie göttlich hingegossen lag

Der Leib, der schmachtend hingeglitt'nen Glieder Pracht,

Die Grazie der Wollust jedem aufgeprägt!

Durch der zurückgebogenen Schenkel rosige Haut

Pulsirte schimmernd Scharlach des erhitzten Bluts

Im Blau der Adern, wie der Freude Morgenroth.

Purpurgesäumt, schneeweiß, die seidne Tunika

War abgestreift, der goldne Gürtel losgelöst,

Die blüh'nden Arme nackt und voll emporgestreckt.

Und nur des Purpurvorhangs rosiges Dämmerlicht,

Der Weihrauchampel matter Schein nun fiel

Auf die weißrosigen Formen, lüstern hingedehnt

Auf Kissen von Tyrrhenerpurpur perlbestickt.

Das goldne diamantbesetzte Diadem,

Symbol der Weltmacht, kollerte vergessen dort

Auf Perserteppich. Palmzweig, grüner Epheu war,

Ihr Weiß zu zeigen, auf die Schulter hingestreut –

Durch's schwarze Haar schlang sich der Rosen rother Kranz.

Das Auge brauchte keine farbige Zierde, traun!

So glühend, wie der Sonne Gold, des Blutes Roth

Brach durch die schwarzen Wimpern schwarzer Augen Gluth

Im ungezähmten Feuer herrschender Begier,

Durch Wollustthränen süß gedämpft, wie durch

Des Tropenregens Schleier der Canopus brennt.

Die rothen Lippen – heiß geöffnet waren sie,

Doch nicht wie eine Rose, die den Kelch erschließt –

Wie eine aufgeriss'ne Wunde dürstend stets

Nach Balsam für die Qualen einer innern Gluth.

Doch kühlt und lindert nicht der Küsse Feuerthau:

Drum sog mein Busen ewig unter Seufzern ein

Die schwüle Ambraluft, gleich wie den Wüstenwind

Des Berberrosses Nüster saugt, zum Ritt bereit.

 

V.

 

Und welch' ein Götterspaß, welch' witziger Frevel war's,

Wenn ich die Jungfrau'n und Matronen, die zum Fest

Ich lud und die aus Furcht zum Pallatin gefolgt,

Preisgab den Lüsten abgefeimter Lüstlinge.

Unwürdig Deiner nicht, o Göttin Aschera,

War dieser Einfall. Denn wie Deinem nächtigen Dienst

Man unberührte Mädchenblüthe opferte,

So fordert' meine Gottheit auch der Keuschheit Raub.

Welch greller Angstschrei, welch verzweifelt Wehgestöhn,

Welch wildes Weinen der erzwungnen Wollustpein

Erscholl da, lieblich meinem Ohr – zu bald erstickt

Von meinen nervigen Buhlen vor dem Hochaltar

Der Göttin Unzucht, die in Saales Mitte stand.

Ja, all die bittern Thränen, die vergossen dort –

Auffangen hätt' ich mögen sie im Goldpokal

Und schlürfen nimmersatt ihr bittres Salz,

Damit der Hunger meiner Grausamkeit gestillt.

Wie manche Unschuld, manche Herzensreinheit ward

Von mir geknickt und faulig in den Koth gestampft!

Doch bei Matronen (ehrbar keusche wählt' ich nur)

War sorgsam ein besondrer Reiz von mir erdacht.

Denn ihre Gatten lud ich alle ein zu gleicher Zeit:

Die zwang ich nun vor ihren Ehgesponsen selbst

Mit siechen Freudenmädchen sich genugzuthun.

Die armen Weiber aber, die vor Gram und Eifersucht

In Ohnmacht fielen, lieferte den Meinigen

Ich aus vor ihrer Männer Aug' zum Ehebruch! –

So ließ ich sich ergießen, einen Unflathstrom

Von namenlosen Gräueln, bis im eklen Sumpf

Der Sinnlichkeit, im Pestpfuhl der Verderbtheit ganz

In Schlamm getreten alle Tugend, Würde, Sittsamkeit.

Ha, welch homerisches Gelächter schallte hell

Aus dem Gehege meiner Perlenzähne dann,

Wenn der Entehrten Fluch zu mir heraufgetönt.

»So geh es Jedem!« rief ich triumphirend aus

Und drückte wild aus Herz den Allerschändlichsten

»Wer albern sich der Sinnenlust entziehen will

Und meines Wandels spottet durch Anständigkeit!«

Ha, Beifall wieherte mir der verruchte Schwarm,

Noch siedet froh mein Blut bei der Erinnerung –

O wie behaglich war's im Pandämonium!

– Abscheulich führte sich nur eine Dirne auf,

Vestalin war sie: Diese gab sich selbst den Tod

Vor meinen Augen – hu, wie sie so bleiern lag,

So steif und still! Und langsam rann der Lebenssaft.

Ja, er verrinnt und dann ist Alles, Alles aus.

Getrost. Noch kocht mein Blut in voller Sinnenkraft

Und schleicht nicht siech durch altersschwache Adern hin.

 

Auch jene Arria empörte mich mit Fug,

Die standhaft frech im Tod beschämte meine Wuth.

Doch welche Lust hinwieder bot der Augenblick,

Wenn in der Leidenschaft Umarmung festverstrickt,

Wie eine Schlange ihn umgürtend, heimlich ich

Auf einen Buhlen, deß ich überdrüssig ward,

Den Dolch gezückt und ihm durchbohrt das trunk'ne Herz,

Der ahnungslos an meinen Lippen festgesogen hing.

 

Ja, Grausamkeit und Wollust, süße Zwillinge!

Erzarmiger Büttel mit dem stumpfen stieren Blick

Erbarmungsloser Roheit – welch bezaubernd Bild!

Braunfette Dirne mit der schweißig feuchten Hand

Und lüstern blinzelnd wie ein Geier – mein Idol!

 

Ein Brief? – Von wem? Von meiner Mutter Lepida?

Sie räth, anständigen Tod zu wählen? – Rast die Frau?

Warum? – Anständiger Tod? Meint sie freiwilligen?

Ich willig aus dem Leben scheiden? Nimmermehr! –

 

VI.

 

In ungewissem Jugendbrüten, als mein Geist

Noch nicht zur nackten Klarheit der Erkenntniß kam,

Daß Alles Rauch und Unsinn, außer Sinnlichkeit,

Daß Scham und Scheu nur Dummheit, Frechheit Größe ist –

Da blättert' ich in faden Philosophen oft,

Nach einem Etwas suchend, das ich würfe froh

Der Langeweile in den nimmersatten Schlund.

 

Die faselten nun ewig von Unsterblichkeit,

Von Seelenleben. Seele? Was ist Seele denn?

Ausfluß des Blutes und Gehirns, so ahne ich,

Abhängig völlig von des Leibes Regungen,

Bethätigung des Körperlebens in Gedank' und Wort

Durch ihn geboren, sterbend mit dem Leibe auch.

O süßer Leib, du der Genüsse Zeugerin!

Dich schmähen sie und nennen ein Gefängniß Dich,

Das nur die Seele hemme in dem freien Schwung.

Was soll das heißen? Dunkel ist mir dieser Spruch.

Hab' je von freiem Schwung ich einen Hauch verspürt?

Nichts da! Auf sogenannte Seele habe ich

Nie viel geachtet, nur den Sinnen unterthan.

Der Leib ein morsch Gefängniß? – Dies ist leider wahr,

Daß er höchst unvollkommen für Genuß gebaut

Und daß ich oft der Thiere Loos beneidete.

Des Löwen Stärke und des Affen Leistungskraft,

Des Elephanten Magen ist wohl neidenswerth.

Insofern hab' ich allerdings gar oft gestrebt,

Mich auszudehnen, diese schwächliche Natur

Hätt' mit des Nashorns dickem Leib ich gern vertauscht.

Doch sonst schien grad' die Seele mir ein Folterknecht,

Ein dummer Richter, der mit frostiger Mahnung stets

Durch das Gewissen uns die Lust vergällen will.

Wenn wirkliche eine künftige Unsterblichkeit,

Wo von dem Leib die Seele, wie man's nennt »befreit«,

Verzicht' ich gern darauf, darf ich nur länger hier

Im Erdenkothe waten. Ohne Leib – was nützt

Mir weit'res Dasein noch? Giebt's drüben Straf' und Lohn,

Für meiner Sünden Rechnung müßt' ich zittern dann.

Doch Sünde – was ist Sünde? Sünde giebt es nicht an sich.

Gesetz und Menschenbrauch erschuf nur diesen Wahn,

Ein Freier höhnt der blöden Menge Formelzwang.

Und jene Götter, (diese Dichter-Spottgeburt

Sie sünd'gen wie die Menschen, übermenschlich fast.

 

Der Göttervater, prachtvoll ist er nach dem Bild

Der Künstler, die zwar lügen wie die Dichter auch.

Die Locken, die ambrosischen, die Stirn, das Aug'

Vor allem seine majestätisch breite Brust,

Die mächt'gen Knie, der massige gewölbte Arm –

Ach, ein Phantom, ein unerreichter Weibertraum,

Ein Mann in jedem Zoll! Wie gerne wär'

Ich seine Jo-Kuh und schmiegte tastend mich

Europa gleich an ihn in brünst'ger Stiergestalt!

Und wahrlich, wenn der Tod nun einmal droht,

Den würd ich wählen, zu vergehn in seinem Arm,

Semelegleich im Gipfel des Genusses grad'.

Ach, all die prächtigen Götter lieb' ich sehnsuchtsvoll,

Nur Amor nicht, obwohl ich ihm verpflichtet bin.

Er ist ein Kind und kost und schmeichelt mir zu zart:

Ich will kein Spielen unter Blumen, keinen Scherz,

Nein grimmen Ernst und brünst'gen Kampf der Leidenschaft,

Der strammen Mannheit Ringen nur befriedigt mich.

 

Den sonnenlockigen Apoll, so schön er ist,

Lieb' ich am mind'sten: Zu erhaben ist er mir.

Der Mann, den ich begehre, habe wenig Herz

Und gar kein Hirn – so paßt er mir zur Liebelei.

Der listige Merkur, den auch sein Gold empfiehlt,

Ist mir schon theurer. Ueppig schöner Bacchus gar,

Wie möcht' ich dankbar pressen Deiner Lenden Rund,

Weil Du den Wein, der Liebe Bruder, uns verliehn!

Viel Reize hat der grimmig finst're Pluto auch:

Er ist so süß gewaltsam, greift so unverzagt

Mit Fäusten zu und wirbt nicht lange, stürmt sogleich;

Vielleicht darf ich im Hades seinem Lager nahn,

Abschmeichelnd als Proserpina ihm manche Gunst.

Neptun, der sehnige Seemann, er gefällt mir sehr

Mit seiner Muskeln strotzend rauher Ueberkraft,

Ich denk' ihn mir ein wenig grob, er schimpft und schlägt,

Ist sonst gemüthlich, kurz ein Muster-Ehebär.

 

Doch ganz besonders, Mars, verehr' ich Deinen Reiz,

Starkschenkliger Anbeter der Kythera Du!

Wie oft genoß ich dieser Episode Kunst

Im langweiligen Epos, das Homer geschmiert,

Wo euch Vulkan in traulichster Zusammenkunft

Verkettete! Wie lüstern das geschildert ist! – –

Nun, wenn Du so der Venus huldigst, holder Gott,

Ist nicht mein Mund gleich schwellend und gleich weich mein Schooß

Gleich üppig nicht mein Busen wie der ihrige,

Wenn meiner Wang' gesunde Röthe auch verblüht

Im Fieberroth und schwülen Blaß der Leidenschaft? –

Man sagt, das Roma's Stamm erzeugt, weil Du bezwangst

Im Tiberhain die Rhea Silva, deren Kind

Nachher die Wölfin säugen mußte. Nahtest Du

Auch mir doch überraschend ungeladen so!

Denn hier der Park Lukulls hat manche Rasenbank,

Weich-warm und dunkle Lauben voll Verschwiegenheit:

Besuche mich, ich lade Dich als Gast zu mir.

Und brauchst Du eine Wölfin, dien' ich selbst dafür:

Der Wölfin Brunst verglich man mit der meinen oft!

 

Doch leider ist dies Alles Fabel und Phantom –

Nicht Götter sind noch Dauer nach dem Tode, nein!

Und dennoch möcht' ich's glauben, täuschend die Vernunft,

Denn Nichtsein scheint mir doch das Allerschrecklichste.

O wär' doch Seelenwandrung uns bescheert!

Macht mich zur Wildsau oder Natter, tückisch geil,

Zur Tigerkatze, wühlend in dem Eingeweid

Der Unschuld mit der Kralle, die sie sonst verbirgt

In Sammet-Pfötchen, dürstend nach der Opfer Blut!

Nur, nur nicht Nichtsein! Dies allein ist fürchterlich!

Macht zum verworfensten Geschöpf, zum niedrigsten,

Zum wehrlos unterm Tritt gekrümmten Wurme mich!

Nur laßt mir das Gefühl des Seins im Sonnenlicht,

Des Athmens, sich Bewegens, Schlafens, laßt mir noch

Des süßen Nichtsthuns Wonne, den Ernährungstrieb,

Des Fressens Nothdurft und der Zeugung süße Qual,

Laßt kriechen, brüten, paaren, wühlen mich im Staub! –

Ja, selbst des Hades Marterstrafen zög' ich vor

Dem ewigen Schlaf: Der Schmerzen Wollust lernt' ich dann.

Der Probe werth auch dies für Unersättliche.

 

VII.

 

Wer kommt? Wer seid Ihr? Ein Tribun – und Du erscheinst

Ein Freigelassner? Evodus, so nennst Du Dich?

Nun denn, was willst Du? (Jung und hübsch ist dieser Knecht,

Vielleicht will er mich trösten in der Einsamkeit.)

Willst zur Gesellschaft dienen und als Zeitvertreib,

Nicht wahr? Wir wollen sehn. Nun, Du gefällst mir wohl.

Ich mag Dich. Doch gewöhn' Dir ab den stieren Blick!

Was starrst Du mich so an? – Komm her, ganz leise Freund!

Schick' den Tribun doch fort, den Kerkermeister hier:

Der alte Griesgram stört uns im Beisammensein.

Wir wollen plaudern. – He, Tribun, was weilst Du noch?

Ungnädig bin ich übrigens. Mein Lager dort

Ist mir nicht weich genug. Hol' Pantherfelle her

Und Wolle, Linnen, Lammvließ, seidne Kissen auch.

Vale. – Mein Schooß ist um so weicher, Evodus.

Komm, laß uns kosten, was uns Venus hier bescheert.

Komm! – Nein, was grinsest Du so schauerlich?

Das ist kein Wollustgrinsen, das ist Henkerhohn.

Was packst Du so mich an? Das ist kein Liebesgriff.

Ich mag Dich nicht. – Tribun! Noch stehst Du auf dem Platz?

Ich hieß Dich gehn. Gleichviel! Jag' diesen Burschen fort,

Er ist betrunken. – Keine Antwort? Hörst Du mich?

Tribun, gehorche der Cäsarin! Furchst die Stirn,

Ein finstres Lächeln huscht um Deinen bärtigen Mund?

Was kündet das? Weh, sprich ein Wörtchen! Bist Du stumm?

Riß aus dem Hals man Dir die Zunge? Ha, wenn nicht,

So will ich's jetzt gebieten, daß Du künftig lernst

Zu reden, wenn ich will. – O Zeus, noch immer stumm?

Weh mir! Tribun, Du süßer treuer Römerheld,

Du Säule unsers Staates, kannst Du weinen sehn

Die gnädige Herrin und noch länger foltern sie?

Ah! – Rette mich! Zu Hülfe, heda! – Ueber mir

Ein Schwert?! – Du trunkner Sclav, wagt Deine Hand zu nahn

Den heiligen gesalbten Locken? Wehe Dir!

Das ist Verrath, Verschwörung! Fürchterlich soll meine Wuth

Euch treffen, falls Du nicht die Klinge senkst sofort.

Wie wagst Du's nur auf eigene Verantwortung?

Was sagst Du da? Welch schrecklich Wort vernahm mein Ohr?

»Auf das Geheiß des Cäsars, hier sein Siegelring!«

'S ist wahr! O Grausen, namenlose Todesangst!

So muß ich sterben – noch so jung? Ich habe kaum

Zur Hälfte den Pokal geleert. Genuß, Genuß!

Entgleitest meinen Händen Du, o Zaubertrank?

Ich schreie – höre mich! – O Leben, bleibe mir

Tod – Nichtsein – Strafe – Ende – kein Genuß mehr – Schmach,

Pein, ewige Pein – Vermodern – – Ah, so schlag' herab

Du Blitz des Rächers! Stürze nur, Damoklesschwert!

Was schwebt die Klinge über mir? Stoß zu!

Verflucht sei Deine Hand! – Nein, gieb mir einen Kuß!

Ich lechze noch nach einer Neige Sinnlichkeit! –

Was, ich verschmäht? Du lachst mir in die Augen, Knecht,

Stöß'st mich zurück? – Wie sollst Du büßen! – Nein, ich irrte mich,

Du bist ein braver Bursch. Wie mild Dein Lächeln ist!

So laß mich noch ein kleines Weilchen leben, Freund,

Im angenehmen Sonnenlicht, ein Stündchen nur! –

Zu lang schon wartest Du? So laß mich winselnd Dir

Den Fuß umschlingen, mit Verzweiflungswuthgeheul

Nach etwas Leben schrein! – Kein weiterer Verzug?

So muß ich denn hinab? Nie darf ich buhlen mehr,

Nie süßer Sünde fröhnen? – – Schuld gebiert den Tod,

Das größte Uebel – Leben ist das höchste Gut.

Tod – gräßlich! – – Ah, das traf! –

Ein Schmerz noch – – und dann – Nichts.

 

Rechtsanwalt Isidor Knaller hatte mit Andacht den Kelch zur Neige geleert und leckte sich unwillkührlich die schmalzigen Lippen ab. War er doch ein gebüldeter Mann, der mit Vorliebe in Goetheana herumschnüffelte und die Liebesabenteuer jenes alten Herrn am Schnürchen auswendig wußte. Ob Goethe in platonischen oder andern Beziehungen zu Frau von Stein gestanden, darüber verlautbarte er schon manch schneidiges Wörtlein.

»Nein, nein, mein Hochverehrtester, auch das steht schlimm. Sie treiben's aber auch zu arg. Sie machen aus Ihrem Herzen keine Mördergrube und nennen ja alle Dinge beim rechten Namen. Aber ich bitt' Sie, so 'was geht doch nimmer an! War denn das je erhört? Bei Ihrer ›Messalina‹ wird man ja ganz aufgeregt.«

»Ei, das bedaure ich! Ich selbst verfolgte nur den sittlichsten Zweck, die Nichtigkeit der Sinnengier zu zeigen und ihre Strafe. Außerdem aber, was kümmert sich die Kunst um die Anstandsbücher einer Gouvernante! Ja, dies sind nicht die Geheimnisse der Alten Mamsell, dies sind die Geheimnisse der Messalina. Wem bin ich Rechenschaft schuldig, ich der Schöpfer? Ich thue was mir beliebt und singe, wie mir der Schnabel gewachsen ist.«

»Aber ich bitt' Sie!« Knaller schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Wer soll denn Ihre Werke lesen?«

»Die Männer.«

»Ach herje, wir haben doch alle zu viel zu thun, jeder in seinem Amt. Abends ist man müde, da spielt man Skat und trinkt sein Schöppchen Bier. Aber unsre Damen, die holden Schützerinnen der Litteratur –«

»Pfui Teufel!« Leonhart spie aus. Schreckliche Pause.

Der Rechtsanwalt saß geknickt da und murmelte: »Herr Doctor, Sie sind mir ein Räthsel. – Ja, aber die Gerichte, verehrter Herr, die Rechtspflege dieses Landes müssen Sie doch anerkennen. Unter dem Gesetz stehen doch auch Sie, Sie – Schöpfer. Nehmen Sie mir's nicht übel, aber die Herrn Dichter haben manchmal sonderbare Begriffe. Sie z.B. –«

Leonhart unterbrach ihn: »Ja, ich gebe es zu, ich habe mich nie als Bürger und sozusagen als Mensch, sondern immer nur als Dichter gefühlt, dem Dämon meiner inneren Mission alle Säfte meiner Jugend geweiht.«

»Hm, sehr – sehr interessant,« näselte Knaller. »Aber paßt das wohl noch in unsere nüchtern praktische Zeit? Da sind Sie doch schief gewickelt. Und dann – hehe – wenn Sie so ganz Ihren schönen Idealen leben, so sollten Sie doch eben das unpoetische Weltleben ganz unberücksichtigt lassen. Sehen Sie, unsere Damen – ich weiß das von meinen Cousinen her – hassen Sie ja gerade, weil Sie so – so realistisch, so unpoetisch denken. Sehen Sie, Julius Wolff – das ist ein gottbegnadeter Poet, der das Schöne pflegt. Aber Sie – sehen Sie, die Politik und die sociale Frage gehören doch nicht in das Reich des Schönen, der göttlichen Kunst.«

Leonhart hielt mit Mühe an sich. Ruhig erwiderte er: »Ja, mein lieber Herr Rechtsanwalt, ich begreife, daß Sie, ein so reichbesaittes poetisches Gemüth, das Ideale vertheidigen. Schönheit lebt nur in dem Reich der Träume, in Wolkenkuckucksheim. Aber wir Armen gehen einer ernsten furchtbaren Zeit entgegen, wo der hohle Schönheitscultus, die ästhetische Formfexerei sich endlich verkriechen müssen. Nur die Feder gilt dann noch, welche von Stahl ist – Gänse-und Schwanenfedern zerbrechen. In Bereitschaft sein ist alles.«

»Na, ich grüße Ihre Schwertfeder!« Der Rechtbeflissene räusperte sich vielsagend. »Aber Ihre Sache steht faul, so viel kann ich Ihnen nur sagen. Ich widerrathe Ihnen zu appelliren. Es kostet Ihnen nur ein schmähliches Geld und der hohe Gerichtshof« Knaller sprach dies Wort immer mit ehrfürchtiger Salbung, »kann ja nicht anders entscheiden als der Herr Staatsanwalt. Denn Ihre ›Messalina‹ – darüber sind wir uns ja alle wohl klar – ist ein unsittliches Erzeugniß, hehe!« Er kniff schelmisch ein Auge zu und zwinkerte den Dichter an, als handle es sich um ein vertrauliches Privatzugeständniß zwei schlauer Bierbrüder.

»Herr,« schrie Leonhart wüthend, »ich verbitte mir jedes weitere Urtheil darüber. Was verstehn Ihre verstaubten Codices von der höheren Moral eines Dichters? Ich Ihre Gesetzbegriffe respektiren? Nein und dreimal nein. Sie haben überhaupt keine Competenz, Höheres nach Ihrer Buchstaben-Elle zu messen. Ich kenne das: Das ist so der rechte juristische Größenwahn

Knaller sprang erregt auf. »Ich muß mir ernstlich verbitten, Herr Doctor –! Und Sie reden von Größenwahn – erlauben Sie, das ist günstig! Wie, Sie bestreiten die Competenz der Rechtskunde?«

»Gewiß thu ich das. Was versteht ihr Buchstabenkrämer vom Geist des Rechts? Alles glaubt ihr mit strenger Amtsmiene beschnüffeln zu dürfen und verstoßt doch in jedem Fall, wo ihr mit Buchstaben-Frevlern zu thun habt, gegen alle Rechtsmoral.«

»Das wäre! Demonstriren Sie das doch gefälligst an einem Beispiel!«

Leonhart sann einen Augenblick nach. »Ich hab's!« rief er dann. »Positus gesetzt den Fall, ein junger idealangelegter rechtsunkundiger Mensch –«

»Unkenntniß der Gesetze entschuldigt nicht,« fiel Knaller eilfertig ein.

»Aha, da haben wir's ja! – Nun also, der soll einen Wechsel unterschreiben, sagen wir mal: als Künstler für noch unbezahlte Leinwand oder Rahmen oder Farbentüben. Der Kaufmann aber, dem der Jüngling nicht ganz sicher scheint, gängelt ihn so beiläufig dahin, ob er nicht den Wechsel lieber im Namen seines Vaters oder Onkels oder Vormunds, bei dem er wohnt und dessen Erbe er ist, unterschreiben wolle.«

»Oho!« Der Rechtsanwalt spitzte die Ohren.

»Und der Jüngling in seiner Einfalt, begierig die Farben oder die Leinwand für sein Schaffen zu erhalten, da er zudem weiß, daß der Wechsel von dem Unterschriebenen honorirt werden wird, setzt arglos den Namen seines Vaters oder Onkels oder Vormunds darunter. Was sagen Sie dazu?«

»Hm,« Knaller wiegte nachdenklich sein Denkerhaupt. »Grobe Wechsel- und Urkundenfälschung. Zuchthaus ist das mindeste, was –«

»So und was bekommt der Händler, der ihn dazu verleitete, auf die Unwissenheit des Andern bauend?«

»Hm, so 'was ist schwer zu beweisen. Das Jus hält sich an Thatsachen.«

»Aha! Und wenn nun der Wechsel wirklich honorirt wird und sich herausstellt, daß der rechtsunkundige Urkundenfälscher im Grunde genommen nur pro cura geschrieben, etwa wie ein Redactionssecretär oder Verlagsprokurist sich als Redacteur oder Verleger unterzeichnet, falls er in deren Auftrage schreibt?«

»Bleibt ganz egal. Ein Wechsel ist kein Brief. Bekommt der Staatsanwalt das Dokument zu Händen, so geht die Klage von Rechtswegen ihren Gang und der harmlose Jüngling wird im Zuchthaus lernen müssen, daß ein deutscher Reichsbürger die Gesetze seines Landes zu kennen habe.« Knaller stand in majestätischer Pose da das eine Bein wie ein Ballettänzer vorgestreckt, unwillkührlich die Hand in der Brusttasche), als wolle er gerade eine Arie singen. Leonhart lachte laut und anhaltend auf.

»Dacht ich's doch! Ich habe dies Beispiel, das mir gerade durch den Kopf schoß, gut gewählt. Ich sag's ja: Was ist Wahrheit, fragt die Welt mit Pontius Pilatus. Buchstaben und Geist befehden sich in uraltem Kampf. Sie haben mich gar nicht verstanden, wie's scheint, wir wollen uns also nicht ereifern über ein Phantom. Der juristische Größenwahn, der für alle Fälle eine Formel im Futteral trägt und sich im Besitz der höchsten Weisheit wähnt, gleicht dem theologischen Größenwahn an Dummheit und dem Mediciner-Größenwahn an eingebildeter Selbstsucht – er disputirt über den ›schönen Fall‹ und doktert das kostbare Leben darüber zu Tode.«

»Erlauben Sie, mein Herr..«

»Jawohl, stellen Sie den Antrag auf Beleidigung der juristischen Fakultät! Ich selbst pfeife auf eine Rechtspflege, die z.B. noch nicht einmal die Entschädigung unschuldig Verurtheilter kennt. Recht! Wenn Allen geschähe nach Recht, wer wäre vor Schlägen sicher! Gott, der die Nieren prüft, urtheilt sicher gar verschieden und stellt manchen Mörder noch über seinen correcten Richter. Das Recht, das von den ewigen Sternen niederflammt – – Doch genug. Auf Wiedersehn, Herr Rechtsanwalt! Ich appellire bis ins Aschgraue – daß Sie's nur wissen! Also bitte bald den Termin zu betreiben!«

Als Isidor Knaller die Treppe hinabstieg, tippte er mit zwei Fingern gegen die Stirn, nachdem er den Kneifer abgenommen, sich die Augen gerieben und die Nase geschneuzt hatte: »Ein merkwürdiger Fall! Muß doch mit Sanitätsrath Niemeyer reden. Hochgradiger Größenwahn auf der Basis nervöser Zerrüttung.«

 
Größenwahn
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