III.

 

Mitten in seiner Ungewißheit, ob er sich bezwingen oder noch weiter sich um Kathi kümmern solle, erhielt Rother einen langen Brief seines Münchener Freundes, des genialen Genremalers Knorrer. Der Brief lautete:

 

»Lieber Kamerad!

 

Ich sitze hier in der Nähe von Meran, in Ulten. – Bis zum Gardasee war ich in den Früh-Frühling Südtirols hineingebummelt. Hei, Früh-Frühling, sanfte Himmelstochter! Wie überall ein neues Wesen aus Allem weht und flüstert! Die Stelle am Bache, wo das Vergißmeinnicht deutungsvoll uns mahnen soll, wird erst geahnt. Froh erstaunt schleicht man hin durchs Brautgeheimniß der Natur.

Verzeih diesen lyrischen Schwulst! Aber hier wird man, hol mich' der Teufel, par ordre de Mufti ein poetischer Duselfritze. 's ist doch hier alles wie sonstwo auch. Das Weibervolk (›aha, da kommt's!‹ hör' ich Dich lachen), das Weibervolk, meine spezielle ägyptische Plage, ist doch hier dasselbe wie überall.

Ein großes Mutterschaf ohne andre Bestimmung, als – –, das dabei von ätherischen Gefühlen blökt! Meine Wirthin geilt mich an. Ihr Mann sei u.s.w. Die Natur ist eine infame Kupplerin. Man gruselt sich heimlich vor der ganzen Schmutzerei. O ich fühle es: Keuschheit allein macht stark. Und diese stumpfsinnige Selbstverständlichkeit, womit diese Cochonnerien sich in Scene setzen! Meine Aufwärterin hier, ein äußerlich anständiges Mädchen, nahm einen Zehn-Gulden-Schein verständnißinnig entgegen und besucht mich Nachts. Nachher gestand sie mir, sie nahe dem Kap der guten Hoffnung, und da komme es auf Einen mehr oder weniger nicht an. Jaja, das sind so unsre kleinen Ehebrüche!

Pfui, Pfui darüber! Und neben uns klebrigen Erdwürmern diese leblose Natur in ihrer vornehmen Ruhe, so keusch, so ernst, so stolz!

Von Mori fuhr ich nach Riva an den Gardasee – wie wurde mir da!

Diese grauen Kalkfelsen, die senkrecht in die wunderbare Bläue des Seespiegels hineinstürzen! Diese Schneefäden, sich von den Bergen, die noch wie spitze Zuckerhüte herübernicken, in die Rebenterrassen hineinschlängelnd! Rings das feine Silbergrau der zierlichen Olivenblätter, das helle Grün der Maulbeerbäume, das frische Weinlaub, der saftig derbe Ton des Citronenbaumes. Und auch unser heißgeliebtes Feigenblatt hängt überall in seiner fünfzackigen Helle, wie ein Panier der Unnatur, eine Selbstironie der Natur. Das Alles von einem durchsichtigen silbrigen Schleier umsponnen, der sich über See, Bergkette, Maisfelder, Villen und Bastionen schlingt. Riva's kleine Festungswerke bilden die letzte Grenzmark Oesterreichs, der Dampfer auf dem See bedeutet schon italienischen Boden.

Ach, man schwelgt in malerischen Motiven. Mein Skizzenbuch füllte sich, ich male jetzt hier in Ulten nach meiner dortigen Studie den Ponale-Fall am Gardasee.

Weiße Gartenmauern. Feurig glühende Rosen. Moosbewachsene Mühlen. Dunkeläugige Bübchen und Mädel in entzückend schmutzigen Röckchen, die uns eine Bastonada auf die Fußsohlen versprechen, falls wir ihnen nicht einen Soldo verabreichen. Mächtige Stier-Fuhrwerke, Schiffe im Hafen, alte bröckelnde Thürme und Thore. All das hart an die Felsen angeklext, deren großartige Linien der Schöpfungsmeister so ›klassisch‹ componirte. Hier und da in die Landschaft ein paar spitze Cypressen mit ihren dunkeln pyramidenförmigen Laubkegeln oder ein Häuschen mit rothem Dach oder ein zerfallenes Gemäuer als ornamentale Sprengsel hineingesetzt. Wirkt wahrhaftig, als habe die Natur hier mal im größten Stil der Renaissance (denk' an den landschaftlichen Hintergrund aus Cadore's Gebirgen in Tizian's Gemälden!) ein monumentales Landschaftsbild kunstvoll angelegt. Welcher pastose Farbenvortrag, wie markig auf die Aether-Leinwand des Horizonts aufgetragen, und dann wieder wie fein mit dünnem Pinselvortrag abgetönt! Aber so gar nicht Impressionalistisch, weiß der Teufel! Dicke Massen Bleiweiß mit dem Spachtel nebeneinander kleben und dann unter einer falsch gewertheten Perspektive der Lichtreflexe mit Finger und Pinsel dran herumschmieren – das verschmäht diese italienische Natur. Sie hat doch einen ganz besonderen antiken Charakter, diese sonnendurchgohrene Italia, einen gewissen altrömischen Faltenwurf ihrer Toga, den ihr Germania mit ihren Tannenzöpfen nicht nachmacht. Man merkt hier überall den Michelangelesken Formensinn, die klare Würde Rafael'scher Composition, die markig satte Farbentiefe der Venetianer.

Sogar die Weiber – – (›ah, da sind sie wieder!‹ lacht mein Freund Eduard, nicht?) – Da sah ich in Trient, eskortirt von einem schlangenäugigen Abbate (o wieviel Grandezza und Weltgeschichtlichkeit steckt in jedem italienischen Pfaffen!) eine fette Wildsau mit lüstern schmatzenden Lippen, aber doch einem großen Zug im Profil. Aber die Tochter – ah, diese ungesuchte Vornehmheit einer alten Race, einer uralten Cultur, im italienischen Typus! Diese versteckte schläfrige Glut, diese schwärmerische Inbrunst, diese göttliche Faulheit und glückliche Beschränktheit in den süßen Augen! – –

Die Tyrolerinnen sind rohe Töpferwaare dagegen. Da hast ein Liedl zum Fidibus-Anstecken!«

 

Das »goldne Dachl«.

Keusche Margaretha Maultasch,

Landesmutter und Regent,

Deines Innern Lücken stopfte

Nur ein ganzes Regiment.

Neidisch schaut Dein goldnes Dachl

Jede Jungfrau in Tyrol –

Liebevolles Gretchen Maultasch,

Warft, vielleicht nur ein Symbol!

 

Weißt, man kommt wahrhaftig hier in die Stimmung zur Dichteritis hinein – hier, wo die alten Minnesänger geweilt, wo immer noch ein Geigenstrich, stahlscharf wie von Volker's Fiedelbogen, über die Thäler hinzutönen scheint; hier wo Walter von der Vogelweide geboren, dem seine Heimathstadt Bozen endlich ein Denkmal gesetzt. Ich liebe Bozen. Ich liebe diesen Fruchtmarkt, diesen dunklen Wein in Krystallflaschen (die öl-verpichten Stroh-Amphoras in Wälschland sind freilich einem Künstlerauge anheimelnder), diese Mischung von echtem Risotto und Mehlknödelei – soll heißen: von Italienischem und Tyrolisch-Bajuvarischem. Ich liebe die bogigen schattenkühlen Arkaden der heißen Thalkessel-Stadt. Ich liebe den spitzen Thurm auf dem großen Platz, der sich in den Aether bohrt mit all den Spitzbogen und Schildereien mittelalterlichen Meißels, wenn der Mond an ihm vorbeischifft mit dem Wolkensegel. Wie reist er so schnell! Eben stand er noch links, nun steht er rechts vom Thurm. Wie, Närrchen? Nicht der Mond, wir selber reisen ja. Die Erde kreiste und uns alle riß er fort, der Sturm des tauben Weltgesetzes, während wir sicher zu ruhen wähnen beim Schöppchen Wein! Holla, Kamerad, es ist doch zum – zum metaphysisch werden. So spielt er mit uns Kegel, wahrhaftig, der große Unbekannte, der Welt-Regisseur, der die Coulissen verschiebt und die Aktschlüsse arrangirt und die Stichworte soufflirt!

Die Stichworte! Ja, da komm' ich nun auf eine tolle Geschichte. Den großen Männern gelten solche Rollen-Stichworte zum Auf- und Abtreten doch zumeist. Und da ist nun hier, wo ich heut grad sitze, in Ulten, ein solches Stichwort gefallen. 's ist eine seltsame Geschichte und ich will sie Dir erzählen. Weiß der Henker, die Sache klingt mir so plausibel und der Stoff ist so patent, daß ich in einer Frühlingslaune mal den Pinsel wegwarf und sie Dir ganz schriftstehlerig demonstriren werde. Vielleicht bringst den Krempel irgendwo an in eurem geschäftsmäßigen Berlin, wo man goldne Eier legt und gackert und bei jedem winzigen Ei ein Wesens macht, als müsse ein Phönix herauskriechen. Da hast meine Stümperei – lies sie halt als Kamerad und College als ein ulkiges G'spaß Deines handfesten Knorrer.

Man könnte mein Geschreibsel etwa überschreiben:

 

Der Jugendtraum eines großen Mannes.

Es war Mai in Ulten, diesem entlegenen Seitenthale Merans, wo der thauige Hauch der grünen Schluchten an die Nordalpen erinnert. Im »Mitterbad« zogen die Gäste ein, um die Glieder in dem vitriolischen Eisenwasser der berühmten Quelle zu erfrischen.

Der Mai und Südtirol – die zwei Dinge gehören zusammen. Die ersten rothen Pfirsichblüten flackern unter den duftwarmen Bogengängen der Gärten auf, die Wiesen gleißen in blendendem Smaragd, und die Schatzkammern König Laurins, den die Sage hier sucht, thun sich in den Nebengewölben auf.

Von allen Höhen donnerten Böllerschüsse, die sich im schläfrigen Echo der Thäler melodisch fortsetzten, aber die Holzhäuser erzittern machten. Glockenklänge durchschwammen die stille, heißbrütende Morgenluft. Von der Kirche her mahnten Orgel und Posaunen, das heute das große Freudenfest der katholische Kirche, Frohnleichnam, sei. Rings auf den sanft Bergpfaden wand sich die Prozession entlang, mit bunten Fahnen und quirlendem Weihrauch.

An der Hecke des Gartens am Wirthshaus des Badedorfes, wo die Rosen in dichtem Flore einander grüßten und Gluthnelken, Schwertlilien und Windrosen farbig im leisen Morgenwinde wogten, schritt ein einsamer Wanderer entlang, abseit dem Festlärm der Prozession.

Die Wolken standen in glänzenden Lichtballen über den Bergen, wo spätgefallener Schnee unzerichmolzen glitzerte. Sie glichen einer Lawine, welche vom türkisblauen Aether sich auf die winzigen Joch herabsenkt. Der Silberdunst, welcher wie Weihrauchdampf in Becken und Schalen zwischen den Abhängen sich gestaut hatte, löste sich. Und über dem bunten Mummenschanz da unten flammte die Hostie der Schöpfung, flammte die Sonne empor.

Die ganze Landschaft funkelte in der verschwenderischen Gluth des Maimorgens wie eine Goldmine. Ein ungeheures Netz von goldigem Dunste und zartem Sonnenstaub, dessen Millionen Maschen millionenfach wie ein Meer von Leuchtkäfern und Glühwürmchen auf- und niederzitterten, spann sich in verwirrendem Strahlentanz über die Matten. Es schien ein wundersamer Feenschleier, den die Natur sich in dieser blumigen Einsamkeit gewoben – als harre sie, in züchtige Bräutlichkeit vermummt, auf ihren Liebsten, den alles belebenden Sonnengott.

Aber von alledem sah der Wanderer nichts. Hastig, wie von innerer Unruhe gepeinigt, schritt er dahin, weit ausholend mit den mächtigen Gliedern, daß die Eidechsen, die hier in Rudeln listig äugelnd ihre zierlichen Schuppen sonnten, nicht rasch genug in die Steinabhänge senkrecht hinuntergleiten und sich im rankenden Epheu verstecken konnten. Nur eine alte Eidechse trotzte selbst dem Stöckchen, das der Wanderer mechanisch schwang, so daß der Kies umherstäubte. Auf einem Felsblock hockend, stierte sie den großen Menschen mit boshafter Ironie an. Errieth er den bemitleidenswerthen Geisteszustand des großmächtigen Thierbruders? Machte sie als erfahrenes, vielgereistes, kühles Schuppenwesen sich über die thörichte Krankheit des menschlichen Säugethiers lustig und verglich damit die stille Seligkeit amphibienhafter Kälte? Ach ja, Eidechsen sind nicht verliebt, sie lieben nichts als den Sonnenschein und nahrhafte Insekten. Eidechsen sind gar glücklich.

Der junge Mann in städtischer Kleidung gehörte sicher nicht zum Ort, er war Curgast. Kein Tiroler, wohl nicht einmal ein Süddeutscher. Seine eckigen und doch strammen Bewegungen ließen auf einen Sprößling unsres Nordens schließen. Seine Gestalt erschien hünenhaft. »Der Held war wohlgewachsen, von Schultern breit und Brüsten, von Beinen war er lang,« gleich dem grimmen Hagen. Und war auch sein blondes Haar keineswegs »gemischt mit einer greisen Farbe,« so konnte man die schöne Bezeichnung »und schrecklich von Gesichte« in gewissem Sinne wohl auf seine Züge deuten. Denn ein seltsam überraschender Ausdruck hartnäckiger Entschlußkraft und unbeugsamer Energie ballte diesen Mund so ehern, blähte die Nüstern der kurzen etwas aufgeworfenen Nase, prägte sich in dem massiven Kinn aus. Aber noch etwas mehr, wie diese Eigenschaften rücksichtsloser Activität, blitzte in dem hellblauen durchdringenden Auge unter buschigen Wimpern hervor. Dieser Blick hatte etwas Fascinirendes, wie überhaupt die ganze Erscheinung des Menschen. Trotz der markigen Festigkeit des Ausdrucks ließ sich jedoch keineswegs ein damit gepaarter träumerisch-weicher Zug verkennen, der auf reich entwickeltes Gemüthsleben und Empfindungsvermögen schließen ließ. Jeder Einsichtige mußte sofort erkennen, daß eine ungewöhnliche Originalnatur in diesem etwa vierundzwanzigjährigen Jüngling schon durch die Erscheinung sich anzeige Etwas eminent Männliches sprach aus diesem Auge, das selbst, wenn ungebundener Humor in den Mundwinkeln zuckte, von einer eigenthümlichen meertiefen Schwermuth umdunkelt schien – jener bekannten Melancholie bedeutender Menschen in früher Jugend.

Indem er rastlos die Hecke umkreiste, lugte er fortwährend nach einem Fenster des Wirthshauses hinauf. Umsonst, es blieb verschlossen.

Der Morgen wandelte höher am Himmel empor. Die Mehrzahl der Prozessionswaller kehrte heim durch die Dorfgasse, welche die Mädchen des Zuges mit Blumen bestreut hatten. Ein schwerer Tritt ließ sich vor dem Wirthshaus hören, die Thür ward aufgerissen, zugleich hörte der Horchende einen scharfen Wortwechsel, nachher ein Geräusch, als ob ein Protestierender unsanft hinausgeworfen würde. Dann wurde die Thür zugeschlagen. – Aber es blieb nicht still, sondern eine jammernde Stimme ließ sich in einem halblauten Selbstgespräch vernehmen, indem sie näher und näher zu des Lauschenden Standpunkt vorüberkam. Wie, was? War das nicht der »Badhiesl« aus St. Paukraz, der immer als Botenläufer von Obermals (Meran) der eifrige Vermittler der Liebeskorrespondenz gewesen, welche der junge Norddeutsche mit der schönen Bewohnerin dieses Ultener Wirthshauses, Josefa Holzner, der Wirthstochter, unterhielt? Hören wir!

»'s is a Sünd und a Schand!« jammerte der Hinausgeworfene vor sich hin. »Solch 'an Staatskerl und solch a fein's Madli! Himmelherrgottsakerment, das reut euk (euch) noch. – Ach und gar so gut 'zahlt hat er mich!«

»Badhiesl!« rief der junge Mann hastig. »Was hast?« Dieser aber fuhr erschrocken auf, starrte seinen Auftraggeber einen Augenblick trostlos an und stieß dann krampfhaft hervor:

»Rausg'schmissen hat mi der Alte. Aussi is, aussi!« Und damit macht er als weichmüthiger Naturbursche sich plötzlich auf die Hacken und lief davon.

Tief aufathmend blieb der Norddeutsche vor der Schwelle des Wirthshauses stehen. Er hatte so etwas geahnt. Wäre es möglich, daß der alte Holzner die grenzenlose Ehre, deren man ihn würdigen wollte, verschmähte? Schwiegervater eines preußischen Junkers zu werden – giebt es eine süßere Aussicht?!

Wie lange hatte der junge Junker mit sich selbst gerungen, ehe er zu dem Entschluß kam:

Josefa Holzner, das schönste Mädchen in Ulten, die Perle von Tirol – sie muß sein eigen werden, koste es was es wolle. Vor zwei Jahren hierher verschlagen, hat ihn der goldne Pfeil Amors aus ihren Augen durchbohrt. Und er ist regelmäßig wiedergekommen, Jahr für Jahr – und jetzt weiß er's: Sie oder keine!

»Sie liebt mich wieder, so sollt ich doch denken. Ja, sie thut es. Und ob uns stärkere Schranken trennen, als die Mainlinie leider Süd- und Norddeutsche spaltet – diese Schranken will ich wenigstens brechen, wenn ich auch die Deutschen nicht eins machen kann. Die Kerls alle, meine Nebenbuhler, diese schmachtlappigen Zierbengel von Kurgästen, die um sie herumschwenzeln – ich hab sie alle eingeschüchtert und 'rausjejrault. Holla, ich bin ein Mann! So will ich denn jetzt das letzte und äußerste thun. Meine Geliebte wird Josefa nicht, denn ich liebe sie. Meine Frau soll sie werden, und ob all' meine hochadligen Sippen und Magen sich vor Schreck die Hälse ausrecken! Qu'est que cela, la noblesse?! Was ist's mit dem ›Adel‹. Meine Mutter ist eine Bürgerliche, gar keine ›Geborene‹. Sie nennen mich junkerhaft – weil ich stolz bin, nicht auf meine Junkerei, sondern auf meine Mannheit. Ja, ich bin preußischer Junker, ich ehre den Adel, dessen Glied ich bin – aber der wahre Adel, der steckt im Menschen selbst. Im Volke steckt die wahre Kraft. ›Bildung‹ – ich pfeife was drauf! Ob Josefa französisch parliren und das Klavier stümpern kann, das ist mir gleichgültig. Sie ist schön, sie ist klug, sie ist gut und ich liebe sie. Das ist genug ... Ja, Kampf wird's kosten. Aber ich will ihn schon durchfechten, ich! Ich hab' Schneid' genug, mir allein durchs Leben zu helfen. Habt's a Schneid'! sagen wir hier, wir Tyroler. – Nun so laßt doch seh'n, was der Alte will.«

Er hatte am vorigen Abend an den Alten per Badhiesl geschrieben, als dieser ihm gedroht, man werde nun Josefa einsperren und ihr jeden Umgang mit ihm untersagen, er wolle in allen Ehren um ihre Hand werben. Er bitte hiermit ihm Josefa zur Frau zu geben, und werde dankbar dafür sein! Nach der Frohnleichnamprocession werde er sich die Antwort holen.

Was mußte ihn, einen obskuren märkischen Adligen ohne Vermögen und Konnexionen, aufgewachsen in altererbten nichtigen Vorurtheilen des sogenannten »Standesgefühls« und Kastenunfugs, dieser Entschluß gekostet haben, der vielleicht seine ganze Zukunft zerriß! War er »sentimental« oder »poetisch«? Gott bewahre! Eine eminent praktische Natur. Aber er trug jene elementare Leidenschaft in sich, welche bedeutende Menschen besonders in der »Liebe« zu Thorheiten verleitet, die mittelmäßigen Durchschnittsnaturen stets erspart bleiben. Ob »praktisch« oder »poetisch«, ob Dichterling oder Staatshämorrhoidarius bleibt sich gleich – auf die Bedeutendheit kommt es an. »Sentimental«! Das Genie ist nie sentimental, aber es scheint für kleinlich rechnende Gemüther darum oft etwas Kindlich-Jugendliches und darum Lächerliches auszustrahlen, weil es den Maßstab einer eigenen Wahrheit und Wahrhaftigkeit in sich beschlossen fühlt und daher die Anschauungen der Welt verachtet. Das Genie ist nie lächerlich, denn es ist sein eignes Gesetz. Es stellt einen geistigen Vollblutmenschen andrer Ordnung dar, der das ewig Menschliche in höherer Form und energischer zum Ausdruck bringt, als die andern.

Mit schnellem, entschlossenem Schritt betrat er Schwelle, drückte auf die Klinke der Gaststubenthur und – stand dem alten Holzner gegenüber. Im selben Augenblick verschwand eine weibliche Gestalt auf ein barsches »Geh' ?naus!« durch eine Nebenpforte. Nur eine Sekunde lang traf das glühende Auge des jungen Mannes den in Thränen schwimmenden Blick des Mädchens. Ihre Züge waren klassisch geschnitten – die zartliniirte gebogene Nase, der kleine Mund, die wunderschön geformten Schläfen und Augen. Obwohl die Innsbruckerinnen im ganzen als die schönsten in Tirol gelten, findet man doch die vornehmsten und feinsten Profile in Südtirol. Es ist die alte gothische Nasse. – Aber dies schöne Bild entschwand wie eine Vision, und die rauhe Stimme des alten Wirths, einer sechs Schuh langen Hünengestalt, über gewöhnliches Leibesmaß wie er selber, weckte ihn aus dem minutenlangen süßen Delirium seiner Leidenschaft. Als die beiden sich so gegenüberstanden und wie Kämpen vor dem Zweikampf maßen, schienen sie selbst zwei auferstandene Gothen, Dietrich von Bern und der alte Hildebrand!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Abgewiesen! Schmählich; für immer!

Einen langen Blick warf er nach den verschlossenen Fenstern im Oberstock empor: dort in der Ecke lag ihr Kämmerlein. Aber nichts regte sich, nichts. Vielleicht schluchzte sie dort auf den Knieen, vielleicht starrte sie verstohlen hinaus, um die geliebte Gestalt, bis sie entschwand, zu verfolgen. Aber sie zeigte sich nicht mehr. War wohl auch besser so. Es konnte ja doch nichts werden! Bauern sind praktisch und Bäuerinnen erst recht. »Gelten's?« Der Vater hat es wohl lange gesagt und erst der Herr Pater – nur gleich und gleich gesellt sich gut ...

In stummem, kochendem Grimm schritt er fürbaß, immer drauf los. Er wollte zur nächsten Stellwagen-Station; seine Sachen waren gepackt, er konnte sie sich nachschicken lassen. Nur fort, fort!

»Einem Ketzer, der vielleicht nicht mal ein Christ sei und an Gott glaube – leichtfertig genug rede er ja dazu – seine Tochter geben?« Das sollte dem alten Holzner einfallen! Nein, nein und dreimal nein! Versuche der Ketzer nicht, sich noch mal Josefa zu nähern – sein feierlicher Fluch solle sie treffen. Er habe mit dem hochwürdigsten Pater Eusebius gesprochen. Na! der sei ganz außer sich gewesen. Eher sterben und verderben solle die Josefa, als in die Krallen des Satans fallen! Und somit Gott befohlen! – Und sie? Nun, sie fügte sich!

Verwünschung auf Verwünschung knirschte der abgewiesene Freier zwischen den fest aufeinander gepreßten Zähnen hervor, als er seinen einsamen Weg fortsetzte, und sein Stöckchen tobte sich an Bäumen, Sträuchern und Blumen in schneidigen Hieben aus. Wer ihn jetzt beobachtet hätte, den würde das Löwenhaft-Wilde, fast Brutale seines Wesens frappirt haben.

Schmetterlinge und schillernde Käfer schwirrten durch die Obstbäume und Farnkräuter, durchs roth-weiß-gelbe Gewimmel der Wiesen und das unabsehbare Wirrsal des allüberfluthenden Grüns.

Citronenfalter flatterten über neu entfalteten Knospen. Ueber dem Vergißmeinnichtblau der Berge zuckten goldige Glorien auf, während jene in rhythmischen Linien wie eine weihevolle Farben-Symphonie zu verschwimmen schienen. Das Wasser sickerte melodisch in seinen launenhaften Windungen. Aus sonnverbranntem Gestrüpp der Halde klingelten die Ziegenglöckchen. Der betäubende Geruch blühender gelb-blumiger Berberizen quoll durch die grünen Ackergassen. Dünne Säulen milchigen Rauches, aus der Thalmulde aufqualmend, zeigten an, wo in breitem Bogen Wasserfälle geschmeidig über rothe Porphyrhänge rollen, sich in der Luft überschlagend und mit metallischem Aufdröhnen millionenfach wie in Elfenbeinspäne zersplitternd. Der endlose schnellende Bühel hohen Grases schien die unermeßliche Maikraft, den Keimmonat, zu versinnbildlichen. Es war, als ob Wesen und Dinge in stiller Seligkeit verschmölzen.

Aber ein nahendes Gewitter tummelte seine kupferrothen Wolken um die jähen Spitzen, welche ihren Kegelschatten tiefer senkten. Ueber den weinbestandenen Terassen des schrägen Gebirges, über dem Kirchlein, zu dem sich einzeln Hütte an Hütte hinanzog – an die Bergwand angeklext und vom Wetterschein jetzt geisterhaft bemalt – thürmte sich, starr und blaß wie der Tod, die eisbekrustete zerrissene Dolomitenkette empor. So starrt die Leidenschaft, eine Medusa, in den Frieden der Gotteswelt hinein.

Da ließ sich der Ruf eines Kuckucks auf dem lautlosen Nadelgehölz vernehmen, die lautlosen Einsiedler-Monologe der ruhenden Natur unterbrechend und störend.

»Verfluchter Kuckuck!« rief der finstre Wanderer, indem er seine verschmähte Freierschaft mit der symbolischen Bedeutung des Vogelrufes unwillkürlich in Verbindung setzte.

Aber der Kuckuck ließ sich nicht das Wort verbieten; er schlug fort. Da huschte auf einmal, wie ein plötzlicher Sonnenstrahl, ein schalkhaftes Zucken frisch erwachenden Humors um den ehernen Mund, und während er sich reckend mit dem Arm eine Bewegung machte, als streife er etwas Lästiges ab, kam es plötzlich über seine Lippen: »Hol's der Kuckuck, ich bleibe doch der Otto Bismarck!« Basta.

 

So geschehen anno domini eintausendachthundertneununddreißig. Josefa heirathete einen biedern, katholischen Schreiber, Alois Schmid, in Salzburg. Dort liegt sie begraben.

 

Na, was sagst dazu? Wär's nicht hübsch, wenn's so gewesen wär'?

Als ich die Anecdote niederschrieb, stützte ich mich auf völlig genügende Berechtigung dazu. Denn nicht nur ist die Affaire in dieser Form in ganz Tirol bekannt, nicht nur wird sie in Meran jedem Fremden erzählt, sondern sie ist in alle möglichen Bücher über Meran und Tirol übergegangen. Eine Autorität wie Noë erzählt sie in seinem »Frühling in Meran« als absolut feststehend. Baillie Grohmann, der zuverlässige Kenner Tirols und Autor von »Tyrol and the Tyrolese« hat in seinen »Gaddings with a primitive people« (1879) die Sache mit äußerster Breite behandelt, sogar in einer Extraanmerkung versichert, er habe alle Details persönlich untersucht und könne sich dafür verbürgen. Es sei nicht die geringste romantische Zuthat dabei. Ich war also vollauf berechtigt, diese Geschichte, deren ›Entdecker‹ ich ja keineswegs bin, in dieser Form niederzuschreiben, und begehe damit nicht die geringste Indiscretion.

Nun muß ich aber zur Steuer der Wahrheit erklären, daß von Eingeborenen, die genau unterrichtet sind, mir seither feierlich versichert wurde, es sei ein andrer Herr von Bismarck gewesen. Obwohl mir dies psychologisch nicht plausibel scheint, indem ich annehme, nur eine geniale Natur sei solcher liebenswürdigen Jugendtollheit fähig, so will ich also hiermit einfach die Frage offen halten.

Aber wahrhaftig, es ist doch immer die alte Geschichte: Wo ist die Katz, wo steckt die Frau! Kennst Du das famose Tagebuch des Nürnberger Scharfrichters aus dem 14. Jahrhundert? Darin wird erzählt, wie ein Freudenmädchen als ewig rückfällig durch Erregung öffentlichen Aergernisses endlich zum Tode verurtheilt wurde, sintemal sie sich in unanständiger Stellung auf der Straße entblößet und dazu geschrieen habe: ›Hui, ..., friß den Mann!!‹ Friß den Mann! welche Welt liegt in diesem erotischen Lakonismus. Ja, hui! Siehst Du sie nicht ordentlich schleckern, dem Mann das Mark aus den Knochen saugen, he? Ja, an der Schürze hängt, zur Schürze drängt doch alles, o wir Armen! wie Papa Altmeister so schön irgendwo singt.

Na lebwohl! Das ist der längste Brief, den ich jemals schrieb, sacré nom de dieu! Ich fühle halt das freundschaftliche Bedürfniß, hier aus meiner olympischen Einsamkeit von den Inseln der Seligen her, als glücklicher Lotosesser Deiner Berliner Nervensaft-Vergeudung ein Maulvoll frischer Bergluft zu schicken. A rivederci! Dein

Knorrer der Keusche.«

 

Dies Schreiben wirkte auf Rother giftig aufregend, wie grünlich schäumender Absynth. Das Grünen und Schäumen einer hoffnungsüppigen Lebenslust schmeckte darin zugleich nach bitterer pessimistischer Hefe. Man mußte den Schreiber des Briefes kennen, um den Inhalt zu würdigen.

Knorrer war eine prächtige Repräsentativfigur altbajuvarischen Kraftadelthums. Seine naturalistisch derben Kneipscenen hatten durch den virtuosen flotten Strich der Vortragsmanier Schule gemacht. Er hatte in Paris unter Courbet und Couture studirt und aus deren Ateliers die markige Frische seiner Palette mitgenommen. Weniger sein eigentliches Kunstvermögen – denn dies verkümmerte ein wenig neben dem agitatorischen Eifer seiner schulemachenden Reformbestrebungen –, als die ganze gesunde Verve seiner künstlerischen Persönlichkeit, gab ihm eine führende Stellung in der naturalistischen Strömung der neudeutschen Malerei, zu der auch Rother sich zählte. Wie es bei den meisten Originalmenschen der Fall zu sein pflegt, wohnten zwei Seelen in seiner Brust. Die eine gehörte einem Denker und Agitator, der mit wahrem sittlichem Eifer dem echten Ideal der Wahrheit anhing und wider conventionelle Verlogenheit einen tapferen Kreuzzug führte. Die andre hingegen gehörte einem Genüßling, dem seine Laune und Leidenschaft stets als oberstes Gesetz gegolten. Hier nun kam ein Umstand hinzu, der ihn erst recht in Zwiespalt mit seinem besseren Selbst brachte. Er galt nämlich mit Recht als einer der schönsten Männer Deutschlands. Und zwar nicht von jener charakterlosen verwaschenen Schönheit des Dandys konnte die Rede sein, die so wohlfeil wie Brombeeren. Sondern sein mächtiger Kopf mit den krausen trotzigen Locken, der breitgewölbten Stirn, dem kühnen Knebelbart zeigte große wuchtige Formen. Allerdings entsprach seinem Stiernacken ein düstrer Stierblick und rücksichtslose Sinnlichkeit lag in seinem kräftigen Ausdruck. Auch seine Gladiator-Gestalt wie sein Gesicht verloren mit den Jahren (er stand im besten Mannesalter) durch constante Verfettung an Ebenmaß, wenn er auch immer noch in seiner burschikosen Jovialität eine imponirende Erscheinung blieb. Diesen Vorzug hatte er stets an sich gekannt und geschätzt.

Allmählich bildete sich bei ihm der Wahn aus, weil so viele sinnliche Weiber seinem Mannesthum nicht widerstehen konnten, daß überhaupt beim Weibe nichts als die physische Begier der sogenannten Liebe mitspiele. Seine gänzliche Verachtung des schönen Geschlechts verrieth zwar einerseits den Größenwahn des »schönen Mannes« (diese bekannte Spezialität), andrerseits aber seinen verkappten Idealismus. Stolz auf seinen Geist und seine psychische Genialität, auch gleich stark zum geistigen Kampf wie zur Sinnlichkeit hingezogen, verachtete er seine eigene Unwiderstehlichkeit dem Weibe gegenüber, das in ihm nur eine Wollustmaschine suchte, das seine Schenkel und keineswegs sein Gehirn anbetete. Seine Eitelkeit wie sein berechtigter Mannesstolz, der dies durchschaute, fühlten sich tief davon verletzt. In ihm brannte dabei eine seltsame Scham, als ob auch die Jungfräulichkeit seines Innern durch diese Erotik plump in den Koth gezerrt sei. So litt er an einem ewigen seelischen Katzenjammer, den er nicht Wort haben wollte und den Niemand erkannte. Der gefallene Engel, der idealistische Heldenmensch rumorte in ihm, den der Sinnendienst so lange unterjocht hatte, bis ihm zum letzten Aufraffen fast keine Zeit mehr blieb. So erregte er denn ironisches Gelächter, wenn er in trotzigen Kampfreden vor allem die Keuschheit als Grundbedingung des echten Künstlerthums empfahl – ohne daß man erwog, wie er, der von einer Liebelei in die andern taumelte, ja am besten den Werth eines vermißten Gutes ermessen konnte.

Allein, auf der andern Seite wollte er wieder sein tiefes seelisches Unglück, seinen bitteren Sündenfall d.h. die Abtrünnigkeit von idealeren Zielen, zu denen er bestimmt schien, nicht Wort haben. Dann strich er geflissentlich die körperliche Tüchtigkeit heraus, verstieg sich zu Albernheiten, wie: Ihm seien Macher wie Meissonier und Sardon ein Ekel, schon weil diese persönlich kleine mickrige schwächliche Menschen sein, während ein Kerl wie Zola ihm schon durch seine Metzger-Figur imponire. Und dergleichen Dinge mehr, die eine feine sensitive Natur wie Rother mit staunender Verwunderung anhörte, ohne sich in seiner schwächlichen Anschmiegsamkeit zur Geringschätzung solcher Unreife erheben zu können. Auf ihn übte aber alles das einen verderblichen Einfluß aus. Wenn man einem Menschen unaufhörlich die Sinnlichkeit der Erotik als Höchstes preist und selbst, indem man darüber schimpft, diese Episode des Manneslebens als das eigentliche Epos und das einzig Lebenswerthe feiert, so muß das endlich auch dessen eigene Weltanschauung beeinflussen.

War es daher zu verwundern, daß Rother, nachdem er das saftige geistfunkelnde Schreiben Knorrers gründlich verdaut hatte, einen Anfall von Liebessehnsucht erhielt, der einen totalen Rückfall des Reconvalescenten in seine alte Krankheit bedeutete? Die Erzählung von der angeblichen Bismarck'schen Liebesaventüre umnebelte vollends seine geblendeten Augen. Ah, also selbst die großen Männer der That beugten sich der allmächtigen Venus. Um wieviel mehr also die Künstlernaturen. Rother's Größenwahn erwachte wieder: Sein besonderes Liebessiechthum schien ihm gleichsam ein besonderes Zeichen seines Ingeniums. Die aufreizenden erotischen Phrasen Knorrers fielen so auf fruchtbaren Boden und bald wucherte das Unkraut empor, daß es Rother über den Kopf stieg. Grade Kathi's anständiger Brief und die Andeutungen, die ihm Frau Lämmers gemacht, entfachten aufs neue in ihm die alte Liebe. Sollte er das herrliche Geschöpf nun also wirklich den Klauen eines solchen verlebten Kohlkopfs überlassen? So sollte das enden? Der alte Irrwahn betäubte ihn aufs neue. Trotz seiner bitteren Erfahrungen damit, construirte er sich Kathi wiederum als eine edle ungewöhnliche Natur zurecht. War es nicht gradezu seine Ritterpflicht, das arme unglückliche Wesen zu retten?

Zudem, war er selbst nicht, mitschuldig an allem? Hätte er damals nicht nach Hamburg so unzarte Beleidigungsbriefe geschrieben, so wäre gewiß der ganze Krach und Skandal mit all seinen Consequenzen verhütet worden.

Als sich Rother bis zu diesem Punkt hineingeredet hatte, hielt es ihn nicht länger und er suchte unverzüglich nach seinem Koffer. Was hatte er denn eigentlich auch zu versäumen und was interessirte ihn sonst auf der Welt? Er war ja als Künstler frei und ungebunden genug, um nicht an die Scholle gefesselt zu bleiben. Direkten Geldmangel kannte er nicht. Sein angefangenes Bild konnte er ruhig auf der Staffelei trocknen lassen. Eine Studienreise nach dem Norden (falls die Vermuthung von Frau Lämmers richtig) konnte ihm nur gut thun. So mochte er das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Die Hauptsache war vorerst, in Hamburg das entflohene Wild aufzuspüren.

Mit der trotzigen Afterstärke weichlicher Naturen setzte er mit aller Hast seinen Vorsatz ins Werk. Für Krastinik hatte er gethan, was in seinen Kräften stand. Dieser fand also richtig in dem jungen Verleger, der sein väterliches Erbtheil standesgemäß zu verputzen wünschte, den bekannten Dummen, der ihn druckte, zumal die Gedichtproben Krastiniks im »Bunten Allerlei« von dem großen Wurmb mit feierlicher Leutseligkeit in einer Randglosse angepriesen waren. Wurmb that sich nicht wenig darauf zu Gute, »dieses vielversprechende Talent in seiner Schule heranzuziehn und ihm stets die Spalten des ›Bunten Allerlei‹ offen zu halten.«

Als nun gar Graf Krastinik mit dem jungen Gentleman-Verleger mehrmals Skat spielte und einmal mit demselben spazieren ritt, auch die sehr kostspielige Maitresse desselben mit Kennerblicken lobte – verschwor sich der junge Mann, seinen gräflichen Freund zu »machen«. Demgemäß druckte er dessen sämmtliche Gedichte und drei Dramen-Fragmente dazu in unmäßig opulenter Ausstattung mit Schwabacher Lettern auf Velinpapier mit gothischen Initialen und ließ ganz besondere Einbanddecken zeichnen. Sodann inserirte er in allen Berliner Blättern diese herrlichen Einbände, im Reklame-Stil der »Goldnen hundertzehn«. Das Inserat fing an:

 

»Ein neuer großer Dichter

erstand

unstreitig

in Xaver Graf Krastinik

 

Man empfahl darin diese Dichtungen dem Busen sämmtlicher deutschen Jungfrauen. Das zündete. Dreizehn Familienblätter (– zuerst von allen die »Gartenlaube«, durch den Tod unsrer unvergeßlichen Marlitt noch in herbe Wittwentrauer versunken –) meldeten sich dem »hochgeborenen Herrn Grafen«. Dieser aber setzte sich hin und begründete in einem langen Schreiben an die Kommandantur seiner Kavalleriedivision, sowie in einem Brief an den ihm befreundeten Chef seines Regiments, sein Gesuch: fürs erste auf ein bis zwei Jahre zur Disposition gestellt zu werden. Er müsse sich seiner angegriffenen Gesundheit und gewissen litterarischen Arbeiten widmen. Das Gesuch konnte ihm nicht abgeschlagen werden. Uebrigens empfing er die Erfüllung seines Wunsches schon mehrere Wochen hernach.

Rother hatte also jetzt keinerlei Verpflichtung mehr gegen den Freund, den er auf so seltsame Weise erworben und dem er mit auf die Füße geholfen. Dieser war auf dem besten Wege, ein gemachter Mann zu werden, insofern es sich um Befriedigung seines litterarischen Ehrgeizes handelte. Rother hinterließ daher nur einen kurzen Brief an Krastinik, worin er um Verzeihung bat, daß eine Geschäftssache ihn zu plötzlicher Abreise zwinge. Er werde bald wieder zurückkehren. Da Krastinik nicht das geringste Interesse an Kathi's Wohl und Wehe bekundete, sondern nur Neugierde, wie sich Rother aus der Affaire wickeln werde, so theilte dieser ihm nur ganz allgemein mit, daß die Sache sich in Wohlgefallen aufgelöst habe. »Aha, ich wußt' es ja! Wer droht, thut nie 'was!« Damit hatte sich der gute Freund beruhigt. Auch war Rother viel zu vorsichtig, ihm etwa nähere Details z.B. die Wohnung der Frau Lämmers mitzutheilen. Derlei heimliche Liebesaffairen bilden einen Hang zum Versteckenspielen und steten Argwohn aus.

– Zum zweiten Mal binnen so kurzer Frist landete Rother's lecker Kahn an der Elbemündung.

 
Größenwahn
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