Sechstes Buch.

 

I.

Bei seiner Rückkehr hatte Rother folgenden Brief gefunden:

 

»Geehrter Herr,

 

Verzeihen Sie, daß ich es wage, dieße Zeilen an Sie zu schreiben, es ist ja nur betreffs meines Bildes, um dessen Rückgabe ich Sie einst bat. Ich weiß, daß Sie mir zürnen. Denn wenn Sie Charakter haben, müssen Sie das thun, denn Ursache haben Sie vollauf, und eben weil ich das annahm, glaubte ich damals nicht eine wunde Saite bei Ihnen zu berühren, Erinnerungen bei Ihnen wachzurufen – – wenn ich Sie um Rückgabe meines Bildes bat, weil ich Selbes für Sie längst wertlos wähnte und außerdem sind Sie in ganz Deutschland der einzige Besitzer eines Bildes in dieß Genre, da ich seiner Zeit bloß drei machen ließ und die zwei andern in Händen meiner Familie sind.

Da ich nun aber aus Ihren Zeilen ersehen daß Ihnen noch ein klein wenig an dem Bilde liegt behalten Sie es als Erinnerung an eine traurige Zeit für Sie und mich und wenn es Ihnen manchmal aus versehen in die Hände kommt, urtheilen Sie nicht zu strenge über daß Original, welches auch ein schlagendes Herz in der Brust hat und auch recht deutlich fühlt was wohl und wehe thut ... Mit dem Kohlrausch bin ich fertig für ewige Zeiten mein Ohr wird beleidigt wenn ich von ihm höre. Fragen Sie mich nicht wie es gekommen, sondern ziehen Sie den Charakter dieses K. in Betracht. Dann können Sie sich selbst Antwort geben. Nun sende ich Ihnen meinen letzten Gruß und wünsche Ihnen all das gute was man Jemand wünscht, für den man die größte Achtung im Herzen hegt«

 

Rother stützte sein Haupt in beide Hände. Große Thränen quollen aus seinen Augen und jede Thräne brannte.

Dann stürzte er sich auf sein Schreibzeug und entwarf in einem Zuge folgenden Brief:

»Verzeihen Sie, wenn Ihr Brief mich drängt, auf einige Punkte desselben noch einmal zu antworten.

Hätte ein Mann diesen Brief mit seiner ruhigen Vornehmheit der Gesinnung, in ehrlichem Eingestehen eigener Verschuldung und doch Bewahrung der eigenen Würde, geschrieben, so würde ich nicht anstehen zu urtheilen: Diesen Brief hat ein Gentleman geschrieben.«

Sie täuschen sich aber in zweierlei Dingen.

Sie meinen, ich müsse auf Sie »böse sein«, wenn ich Charakter hätte. »Charakter« zeigt sich aber nicht in kleinlichem Nachtragen, sondern in großmüthigem Verzeihen und vor allem in Beherzigung des französischen Sprüchworts: »Alles verstehen heißt alles verzeihen.« – Ich bin eigentlich nie »böse« gegen Sie gestimmt gewesen, sondern habe nur Mitleid und Bedauern empfunden. Daß ich wie gewöhnlich auf den ersten Blick den Charakter jenes K. durchschaute, ist ja natürlich; daß Sie meine Warnung so sehr berechtigt finden mußten, freut mich wahrlich nicht, sondern betrübt mich tief. Es ist aber ein altes Porrecht der Frauen, oft den erbärmlichsten Wicht dem Besten vorzuziehen. »Schwachheit, dein Name ist Weib.«

Wenn Sie aber wähnen, daß ich jedes Interesse für Sie verloren hätte, so irren Sie sich leider sehr über die Tiefe der Empfindung, welche Sie mir eingeflößt haben. Stolze Naturen wie die meine, welche innerlich stets einsam sind, pflegen Liebe und Haß nicht täglich wie ein Hemd zu wechseln. Die landläufige Verliebtheit ist, bei Männern wenigstens, eine Sache, die mit Essen und Trinken auf einer Stufe steht. Solche »Liebe« ist Eitelkeit und Sinnlichkeit, wenn sie nicht Wahnsinn ist. Bei meiner großen Geringschätzung der weiblichen Natur habe ich das stets nur als Spiel und Sport betrachtet und behandelt. Bei Ihnen aber liegt die Sache anders. Ich glaube kaum, daß ich je wieder fähig bin, ähnlich selbstlose Gefühle für irgend ein weibliches Wesen zu hegen. Die Liebe hat ein sehr sicheres Warum, sie ist ein Naturtrieb. Ich zweifle daher nicht, daß Sie eine naturnothwendige Ergänzung meiner Natur geworden wären.

Doch das Leben ist rauh und erbarmungslos, und die Verhältnisse meist unüberwindlich, – wenn sie es auch im äußersten Nothfall für Menschen von meiner Energie niemals sind. Doch – geschehn ist geschehn und vorüber ist vorüber.

Doch werden Sie begreifen, daß nach solchen Erlebnissen ein völliges Vergessen unmöglich ist und daß ich, wann und wo ich Sie auch je im späteren Leben wiedersehen mag, Sie niemals ganz gleichgültig für mich sein werden, ebenso wie Sie nie meinen Namen lesen werden, ohne daß ein seltsames Erinnerungsgefühl Sie beschleicht.

Jedenfalls aber danke ich Ihnen herzlich für Ihren Brief, und danke Ihnen, daß Sie mir »größte Achtung im Herzen« bewahrt haben. Ich erwiedere diese Achtung und bleibe Ihr schweigender Freund, der Ihnen für alle Zukunft aufrichtige Theilnahme ohne alles Nebeninteresse heimlich bewahrt und Ihnen mehr Glück und Seelenfrieden wünscht, als Ihr Schicksal es bisher Ihnen bescheert hat.

Schon wollte Rother diesen Brief absenden – natürlich an die alte Adresse in der Gerichtsstraße –, als sein Blick zufällig auf das Couvert fiel, das er natürlich nach Erkennung der Handschrift sofort erbrochen hatte, ohne den Poststempel zu beachten. Jetzt fiel ihm dieser ins Auge: – Hamburg! Was bedeutete das? Sie hatte sich dieses Kohlrauschs entledigt und ging nun dennoch nach Hamburg zurück?!

Ohne zu zögern, eilte er sofort zu Frau Lämmers.

Diese empfing ihn mit größter Verlegenheit.

Sie habe Herrn Rother aufgesucht, um ihm Mittheilung zu machen – obschon sie ihn ja kaum kenne, sei dies doch ihre Pflicht gewesen. Und nun grade mußte sie erfahren, daß er verreist sei!

Worum es sich handele? O ganz einfach. Erstlich wollte Kathi durchaus nicht dulden, daß Rother in Ungelegenheiten gebracht werde, und erklärte, dabei werde sie nie gegen ihn zeugen. Und dann, sobald sie unter den dringenden Umständen mit Kohlrausch wirklich Ernst machen wollte, habe sich dieser unter allerlei Vorwänden »glatt wie 'n Aal« zurückgezogen. Endlich sei es klar geworden, daß er im Grunde auch nur darauf spekulirt hatte, das schöne Mädchen herumzukriegen. Endlich in einer heftigen Scene, als sie ihm Vorwürfe machte, erklärte er brutal gradheraus, daß es ihm nicht einfallen werde, ein Mädel ohne einen Pfennig in der Tasche zu heirathen. In einer Aufwallung wahnsinniger Wuth hatte sie ihn darauf geohrfeigt, ihm die Thür gewiesen und einen heiligen Eid geschworen, sie wolle ihn niemals wiedersehn. – Stundenlang, erzählte Frau Lämmers, habe sie sich auf dem Sopha in Weinkrämpfen gewälzt und immer wieder gerufen: »Das ist die Strafe! O Rother, Rother!«

Daraufhin sei sie, die Wirthin, heimlich zu Rother gegangen. Als sie dann Kathi mittheilte, was sie gethan – worüber diese aufgefahren sei: »Ich sterbe vor Scham!« – habe diese, sobald sie erfuhr, Rother sei nach England gereist (also jedenfalls für lange), sich würdig gefaßt. Das freue sie. Er sei nun wenigstens erlöst und gerettet. Nie werde sie ihm mehr unter die Augen treten können.

Was aber nun! Wovon leben! Wieder die alte Geschichte, wie im vorigen Sommer! Einen ihrer alten Verehrer beglücken – ja, dazu war noch immer Zeit. Aber ehe sie das that, eher sterben!

Da führte ihr in einem Café der Zufall einen jungen eleganten Herrn in den Weg, mit dem sie in ein Gespräch kam. »Ja und was wollen Sie! In den hat sie sich verliebt! Und nun ist's obendrein ein sehr reicher junger Herr. Kurzum –«

»Kurzum! – Aha!« Es war Rother, als ob eine andre Stimme so dumpf aus ihm antworte. »Und da sind sie nun sozusagen auf der Hochzeitsreise?«

»Ja natürlich! Hier hätt' ich das Verhältniß nie geduldet und Kathi selbst wollte nicht – hier wäre sie ja doch leicht ausgespürt worden. Wohin sie sind, weiß ich nicht recht. Doch glaube ich –« Sie zögerte.

»Nur heraus mit der Sprache!«

»Ich hörte mal, wie er viel von Norwegen erzählte, wo er hin wollte. Das sei jetzt bei den Herrn Touristen so beliebt. Und sie ließ sich viel von ihm erzählen darüber.«

»Stimmt. Poststempel Hamburg. Und ... und – wie heißt ihr neuer Amoroso?«

Frau Lämmers zögerte. »Ja, ich weiß nicht ... Sie müssen mir versprechen, mich nie zu verrathen ...«

»Mein Ehrenwort.«

»Also gut. Er heißt Eugen Wolffert

»Eugen Wolffert! Der Sohn des Kommerzienrath Wolffert – des Waffenfabrikanten, des fortschrittlichen Reichstagsabgeordneten?«

»Derselbe.«

Rother stand einen Augenblick regungslos. Es durchschauerte ihn jählings der Gedanke, daß es wohl gar keinen Zufall gebe, sondern alle Dinge innerlich aus Nothwendigkeit in einem abgezirkelten Kreise zusammenlaufen. Berg und Thal kommen nicht zusammen, aber wohl die Menschen in Berlin.

Er faßte sich jedoch rasch und that möglichst unbefangen. Daß die Sache nun also endlich aus und zu Ende sei, befriedige ihn. So sei Kathi denn besorgt und aufgehoben. Somit empfehle er sich Frau Lämmers und danke ihr für die vielen Unannehmlichkeiten, deren sie dieser Geschichte halber sich unterzogen.

Zu Hause steckte er sich eine Cigarre an und überließ sich Träumereien, die an seine Vergangenheit anknüpften.

Eugen Wolffert! Ja, den hatte er gekannt. Er dachte an eine Episode seines Jugendlebens zurück, an den Tag seiner Abiturientenprüfung.

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Größenwahn
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