IV.

 

Krastinik und Rother wurden binnen wenigen Tagen die besten Freunde. Letzterer hatte bald bemerkt, daß er es mit einem Original zu thun habe, und Ersterer studirte heimlich seinen neuen Bekannten als Modell seiner Novelle. Die reine Wahlverwandtschaft. Beiden war, als hätten sie sich lange gekannt: Sie schienen auf dem besten Weg, »Inseparables« zu werden – wie Krastinik es ausdrückte, der als Aristokrat immer noch in gräulichen Fremdwörtern sprach und das gute deutsche Wort »Unzertrennliche« für phrasenhaft und formlos gehalten haben würde.

Von der sonderbaren Affaire, die sie zusammengeführt, sprachen sie nur wenig. Rother meinte freilich, er müsse nun abreisen, und bitte den Grafen, sich zu entschließen. Allein dieser wich noch immer aus: Kommt Zeit, kommt Rath.

Also er solle ein schriftliches Zeugniß in Form eines Privatbriefes an Rother ablegen, das ihm als Waffe gegen die weibliche Tückeboldin diene?

Besser wäre also wohl ein mündliches Zeugniß?

Ja, darauf wagte Rother nicht zu hoffen. – Nun, man könne ja nicht wissen, was noch geschehe. Warum solle Krastinik nicht selbst einen Abstecher nach Berlin machen?

»Eigentlich erinnert mich die ganze Geschichte an den berühmten Prozeß Gräf. Na, jene Bertha scheint denn doch ein viel schlimmeres Kaliber als unsre Kathi. Herrgott, hat Die eine Reklame aus ihrem Prozeß herausgeschlagen! Nun, Theuerster, wenn nicht Kathi, so will ihr Herr Prinzipal jedenfalls diesem Beispiel folgen. Freilich, was liegt denn da weiter vor! Gar nichts. Sie sind ja ein junger lediger Mann – ob Sie a bissel lächerlich werden, das schad't nix. Und wenn ich erst für die Wahrheit Ihrer Angaben zeuge – – nein, nein, wie komisch ist das Alles! Haben Sie auch Gedichte an Ihre Flamme gemacht à la Gräf?«

Rother erröthete. Er konnte ja nicht leugnen, daß Gräf's lyrisches Tagebuch über seine ideale Bertha auch ihn angesteckt hatte. Es schien ihm gleichsam mit dazu zu gehören. Als Krastinik, seine Verlegenheit bemerkend, in ihn drang, zog Rother sein Notizbuch und vertraute ihm drei Lieder an, die sich auf der Ueberfahrt nach London als Stoßseufzer ihm entpreßt hatten.

 

Nie entweicht aus meinem Auge

Deine herrliche Gestalt.

Und auch Du kannst nie entrinnen

Meiner Augen Allgewalt.

 

Ewig flammt in mir Dein Auge,

Und in ewigem Zauberbann

Folgt durchs Leben Dir mein Auge,

Nur das Grab Dich retten kann.

 

Weißt Du, was süßer als die Liebe ist,

Und süßer als des Ruhmes eitle Mache?

Es ist der Haß, der sich am Bösen mißt:

Gerechte Rache!

 

Du, die auf mich geschnellt der Tücke Pfeil,

Du bist verdammt und ich, Dein Teufel, lache.

Ich war Dein Engel und Dein Seelenheil.

Gerechte Rache!

 

Starb der Stolz tiefinnen Dir,

Mag ihn Eitelkeit ersetzen.

Starb die Liebe, Sinnengier

Mag Dir das Gefühl ergetzen.

 

Immer höher steige ich

Sonnempor auf Aetherschwingen.

Nur das Haupt hier neige ich,

Dir den letzten Gruß zu bringen.

 

Krastinik hatte aufmerksam zugehört. »Ei den Kukuk, Sie Hallodri! Sie scheinen mir ein begnadeter Lyriker. Das ist selbsterlebt, selbsterlebt, aus dem Innern gequollen!«

»Ach bitte, nicht so!« wehrte Rother bescheiden ab. »Es ist ja nicht mein Metier. Ich fühle nur ab und zu das Bedürfniß, auszusprechen, was mich quält.«

»Hm, hm!« Der Graf blies nachdenklich blaue Ringel aus seiner Trabuco. »Sagen Sie mir doch ... verkehren Sie viel in Berlin in sogenannten litterarischen Kreisen?«

»O ja. Ich kenne Manchen.«

»Ei, da könnten Sie sich bei mir revanchiren.«

»Wie das?«

»Sie würden mir einen großen Dienst erweisen, falls Sie ...« Der Graf stockte, setzte mehrmals an, dann ging er entschlossen in media res, indem er Rother ausführlich seine merkwürdige Lage und seine literarischen Pläne anvertraute. Dieser staunte.

Endlich fühlte der gräfliche Autor sogar das dringende Bedürfniß, dem Maler etwas von seinen Produktionen zu verlesen. Er lege (natürlich) den bekannten »hohen Werth« auf das Urtheil eines so hochgebildeten Mannes. Da habe er sich z.B. in die mystische Ehescheidungsgeschichte Lord Byrons vertieft und sei zu seltsamen Schlüssen gelangt. Ob Rother ihn ermuntere, folgenden Anfang eines projektirten Romans fortzusetzen. Auf Rothers Bitte, die wirkliches Interesse verrieth, las er nun folgende Schnitzel ab. Eins seiner gewöhnlichen Fragmente, die nie ein fertiges Ganze werden wollten.

 
Größenwahn
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