II.

»Dies Tagebuch ist – wirklich – recht – interessant, lieber Xaver.« Lady Dorrington gähnte leicht, als die Lectüre beendet.

»Ja,« meinte Mrs. O'Donnogan. »Nur die vielen Gedichte hätte ich weggewünscht. Das versteht man oft gar nicht! Das heißt – natürlich – vielleicht verstehe ich doch nicht Deutsch genug..«

»O ich bitte.« Krastinik verbeugte sich, etwas pikirt. Perlen vor die Säue! dachte er respektlos. Er hatte bei seinem Versuch offenbar an Heine's »Reisebilder« und Sterne's. »Sentimental Journey« gedacht. Etwas Einheitliches kam dabei nicht heraus. Einiges klang frisch, Andres geziert. Der forcirte Humor sowie die Trivialität solcher gereimten Prosa wie »Falkirk« und ähnlicher Chronik-Reimereien stach unschön ab von der wirklichen poetischen Kraft einzelner Parthieen. Aus allem aber athmete die Weltflucht eines müden byronischen Weltbummlers und zugleich der Dünkel eines Menschen, der plötzlich einer inneren Sendung bewußt geworden: der Größenwahn einer noch unklar gährenden Begabung.

»Ja, offen gestanden,« fiel Lord Dorrington ein. »Ich hätte gehofft, Du würdest uns irgend eine Novelle von schönen Hochländerinnen mitbringen oder so.«

»Ach ja!« Miß Egremont sah ganz sehnsüchtig von ihrer Handarbeit auf.

»Eine Novelle! Du mein Gott, das schüttelt man doch nicht so aus dem Aermel! Allerdings habe ich etwas Aehnliches begonnen..«

»Sieh da, sieh da, Timotheus!« lachte der freundliche alte Herr, indem er einen, lose am Schluß des elegant gebundenen Tagebuchs anliegenden, Papierbogen erspähte. »Dort steckt es wohl. Nun, lieber Poet, wie wäre es denn, wenn wir auch dies Getränke kosteten?«

»Ich weiß nicht, ob..« Krastinik zögerte.

»Vortrefflich!« rief Lady Dorrington, indem sie dem eintretenden Diener zugleich, den Auftrag gab, »Pale Sherry« zu bringen. »Das muß dem Dichter doch sehr nützlich sein, schon gleich beim Anfang seiner Arbeit ein Urtheil zu hören.«

»Ja, er mag dann ermessen, ob sie weitere Ausführung verdient,« orakelte die hübsche Irländerin, indem sie mit zwo zarten Fingern das Theetäßchen zu den zarten Lippen hob und langsam schlürfte, wobei sie zugleich, gleichsam mechanisch, ein zartes Füßchen vorstreckte.

Das wirst Du gerade ermessen können, kleiner Salonpapagei! dachte Krastinik. Aber die Dichtereitelkeit kitzelte ihn doch zu sehr, und als nun gar Miß Alice Egremont ihre tiefen seelenvollen Augen mit ruhigstummer Bitte zu ihm aufschlug, verbeugte er sich. »Ich fürchte nur, daß Manches darin den Damen nicht gefallen wird.«

»Ei, kommen Sie, zieren Sie sich nicht!« Lady Dorrington tippte befehlend mit dem Zeigefinger auf seinen Arm. »Diese Damen werden sich gewiß sehr freuen. Und prüde sind wir auch nicht so, wie die Continentalen uns verschreien. Wie, liebe O'Donnogan?«

»Durchaus nicht,« beeilte sich diese zu versichern.

»Na und übrigens,« raunte Dorrington ihm mit schelmischem Augenzwinkern zu, »wenn Zweideutiges oder auch Eindeutiges darin vorkommt, so brauchen sie's ja nicht zu verstehen, weißt Du. Sind mit dem Deutschen noch nicht so intim bekannt. Mein Frau wird Dich auch nicht gleich fressen.«

»Meinethalben,« capitulirte Krastinik. »Uebrigens sind's nur wenige Seiten, sozusagen die Exposition des Ganzen. Also, meine Damen, diese schrecklich naturalistische Novelle soll heißen: Nachhülfe wird gesucht

»Was für ein sonderbarer Titel!« Lady Dorrington schnitt ein etwas befremdetes Gesicht, kreuzte aber die Arme, setzte die Füße auf einen Schemel und schickte sich an, mit Spannung zuzuhören. Alice ließ ihre Arbeit ruhen, die O'Donnogan warf auf den Grafen einen Brillant-Blitz aus ihren holden Augen, und dieser Musagetes beichtete den drei Grazien folgende poetische Sünde.

Da es ihm wie allen Dilettanten an einer ausgeprägten dichterischen Physiognomie gebrach, so schien er naturgemäß auf die Nachahmung angewiesen. Mehr nachempfindend als schöpferisch beanlagt, ließ er seine Vorbilder mit jedem Tage wechseln. So suchte denn unser Eklektiker, von der Lectüre Maupassant's angeregt, diesmal im schlammigsten Fahrwasser des Zolaismus vorwärts zu steuern.

 
Größenwahn
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