Damals hatte Rother darauf nicht geachtet; es widersprach seiner nobeln Natur, gleich das Schlimmste zu glauben. Jetzt aber, wie von einem plötzlichen Blitz erleuchtet, lag der Charakter dieses Pseudo-Weltschmerzlers (Pessimystiker sind immer die schlausten Geschäftsleute) ihm bis in die innersten klaffenden Spalten vor Augen.

»Wissen Sie,« brach Annesley das Schweigen, während sie an einer zugigen Ecke zögernd stillhielten, »ich bin immer noch ganz paff über diesen Leonhart. Das ist ja ein ganz communer Bursche, ohne alle Vornehmheit. Hatte mir den immer gedacht als ein enfant gâté, als einen ›Löwen‹ der Berliner Salons – wissen Sie, so eine Art Lord Byron. Nein, diese Enttäuschung! Ein ganz schmutziger gewöhnlich aussehender Dutzendlitterat, so ein richtiger Scribeler und Schmierfink!«

»Hm, nein!« Rother war, wie alle bildenden Künstler, aufs Beobachten von Physiognomieen eingeschult. »Er sieht eigentlich doch recht bedeutend aus.«

»Wie, sind Sie toll? Diese unbedeutende Erscheinung, diese mittelmäßige Figur! – Und was für eine schlotkerige Haltung! Wie er schon dasitzt! Und dabei dieser Größenwahn! ›Sie Lump, prahlen Sie doch nicht so!‹ wollte ich ihm schon zurufen, hihi.«

Rother besann sich vergeblich, ob Leonhart geprahlt hätte. Es war bezeichnend, daß Schmollers offenkundige Ueberhebung wegen ihrer Pöbelhaftigkeit Niemanden beleidigte, während Leonharts stiller Hochmuth jede verkniffene Eitelkeit verletzte.

»Denken Sie an meine Worte,« stieß Annesley hervor, »Der wird noch mal vor Größenwahn im Irrenhause enden!« Dabei rollte er so dämonisch seine Augen, daß Rother sofort die bekannte Wahrnehmung einfiel, daß Geisteskranke immer die Andern ihrer eignen Laster und Fehler bezüchtigen. Indem er im kalten Licht des Wintermonds einen festen prüfenden Blick auf den unheimlichen Jüngling warf, las er jetzt, worüber seine Gutmüthigkeit sich weggetäuscht, mit psychologischer Klarheit. Dieser lauernde verschleierte Blick, die studirt sanfte verschleierte Mollstimme, das unnennbare Weltleid dazu gerechnet, ergaben ihm das Resultat:

Zu allem fähig.

»Also ich komme nicht weiter mit. Adieu!« rief der ideale Schmerzenreich. »Wenn wir uns nicht wiedersehn sollten, wünsch' ich Ihnen ein besseres Loos, als das meine auf diesem Hundeerdeball. Ich habe keine Empfindung mehr. Verzeihen Sie also, wenn ich Ihr freundschaftliches Liebeswerben« Rother runzelte die Stirn, »nicht immer gleich warm erwidern konnte. Ich schleppe mein Martyrium weiter auf meiner Dornenbahn. Ja, hätte man in andere Lebenskreise meine strebende Jugend gestellt! In alle Höhen und Tiefen wäre mein bescheidener Geist gedrungen. Doch – Arma parata fero! Durch Nacht zum Licht! Wir stehen im sausenden Kampfe der Zeit, eine Welt in Waffen wider uns! O selig, Blutzeuge des Lichtes zu sein! So mein Urtheil über die Welt. Ich habe mich Ihnen heut ganz erschlossen. Uebrigens dürfte demnächst mein Tagebuch erscheinen: ›Aufzeichnungen eines verrückten Musikers‹, natürlich pseudonym. Darin werden Sie schreckliche Dinge aus meiner Vergangenheit finden. Ich sage Ihnen ...« er machte dabei eine Handbewegung, indem er die Stimme dämpfte, als vertraue er einem Geheimbündler schaurige Staatsgeheimnisse an. »Hier finden Sie den Schlüssel zum Verständniß meiner Irrsal. Ja, wäre ich als Lord geboren wie der selige Byron! Aber so! Leben Sie wohl! Falls ich nicht in einer Kaltwasserheilanstalt meine Gemüthskrankheit heilen muß, bitte ich alle Briefe nach Venedig zu adressiren, wohin ich im Frühjahr reise. Nachher mache ich wohl mit meiner Tante eine Tournée durch alle Badeorte Deutschlands, um meine Prachtausgabe zu verbreiten und mich als Sänger probeweise hören zu lassen. Man sagt mir, Niemann werde alt; ich dürfte wohl an seine Stelle treten.« So phantasirte der eisige Egoist in seiner brennenden Eigenliebe drauf los; seinen Freund hatte er längst vergessen. »Doch was für eine Zugluft hier!« Er hielt sich das Taschentuch vor den Mund. »Meine Stimme, meine Stimme! Ich muß sie schonen. Also glückliche Reise, lieber Freund!«

Der unheimliche Jüngling stolzirte mit langen Beinen in die Nacht hinein. Rother lachte bitter – jenes messerscharfe Lachen, das wie ein Dolch in die Seele sticht und schärfer brennt als Thränen. Die Menschenwüste dehnte sich vor ihm hin – öde, öde, öde.

Am andern Vormittag, als er eben seinen Koffer in die Droschke steckte, die ihn zum Lehrter Bahnhof trug, erhielt er noch ein parfümirtes Billetdoux von Henry Francis Annesley, in eigenthümlich gemessenem Stil:

 

»Hochgeehrter Herr,

Bei unserm gestrigen Beisammensein entschlüpften mir allerlei Andeutungen betreffs eines Büchleins, das pseudonym in Leipzig soeben erschien. Ich erlaubte mir, verzeihen Sie, eine kleine Mystifikation. Das Büchlein ist nicht von mir, sondern von einem Studienfreunde aus der hiesigen Musikalischen Hochschule (Conservatorium). – Ergebenst grüßt Ihro Genie Gnaden der Adonis und Schmerzens-Lazarus

Henry Francis Annesley.

 

P.S. Vielleicht interessirt es Sie zu vernehmen, daß ich im Laufe nächsten Frühjahrs ein Concert im Leipziger ›Gewandhaus‹ veranstalten werde. Sie erwähnen das wohl gelegentlich in Ihren etwaigen Privat-Correspondenzen nach Deutschland. Auch darf ich wohl darauf rechnen, daß Sie, falls Sie von London über dortige Gallerieen an eine Kunstzeitung correspondiren, auch meiner Wenigkeit irgend wie dabei gedenken werden. Sie wissen, wie dankbar ich Ihnen bin.

P.P.S. Anbei eine soeben erschienene Recension über das oben erwähnte Büchlein.«

 

Dieser Zeitungsausschnitt lautete:

 

Tagebuch eines verrückten Musikers von F.H. Hummerscheere. Obschon ein literarisches Erstlingswerk, athmet es die Reife des Genies. Hier wird die erbliche Nervenkrankheit oder »Paranoia« mit wunderbar pathologischem Realismus zergliedert. Herrlich sind die Streiflichter, welche auf den großen unglücklichen Monarchen Ludwig II. fallen, den Hummerscheere so schön anredet: »Du warst ein Kind und ein Genie.« Hummerscheere ist auch ein Meister der Satire; das beweist die drollige Figur des liebeskranken Malers Emil Knothe.

Harold Theopol Mokamaute.

 

Rother zerriß das Gewäsch mit einer Miene des Ekels. Das war selbst seiner Sentimentalität zu viel. – Den Sinn des Unbegreiflichen verstand er freilich erst später, als ihm das »Tagebuch« vor Augen kam und er in dem Maler Emil Knothe lauter Aeußerungen und Züge von sich selbst wieder erkannte, die ihm der liebe Wunderknabe während ihrer Intimität abgelauscht. Was interessirte ihn überhaupt jetzt das Alles! Auf nach London!

 

Leonhart bummelte langsam fürbaß. Der Gedankengang, den er damals in der Kneipe abgebrochen, setzte sich unabgerissen wieder fort: Er dachte an das Leben Napoleons. Wie oft verschmilzt sich erotische Leidenschaft mit dem politischen Schicksal, wie oft bestimmt ein Weib durch den verliebten großen Mann die Geschicke der Welt!

Es wäre ein tragikomischer Spaß, die Briefe des eifersüchtigen Siegers von Italien an die Citoyenne Bonaparte neben die Eifersuchtsbriefe der Kaiserin Josefine an den Sieger von Austerlitz und Jena, der ihr verbot mit ihm ins Feld zu reisen, um erotisch frei zu sein – kurz, die Zeugnisse eines durch physiologisch-psychologische Processe genau umgestülpten Liebesverhältnisses nebeneinander zu drucken. O Mann, o Weib! Dies Weib, das er für sein Schicksal, für sein Spieler-Glück hielt – verstieß er, um die Tochter der Habsburger an seine Seite zu fesseln, mit welcher ihn Schritt für Schritt Fortuna verließ, so wie die Elende ihn selbst verlassen hat. Was er als Opfer seines persönlichen Glückes seinem Ehrgeiz zur Sättigung hinwarf, grade das schuf den Sturz seiner Herrschaft. Er scheuchte sein altes Glück, sein geliebtes Schicksal, von seiner Seite – das Schicksal rächte sich.

Ueber dem Schlößchen Malmaison stand sein kaiserlicher Stern zuerst nah dem Zenith. Dort verlebte er mit Josefine den Honigmond seiner Allmacht als Erster Consul. Und eben dort erlosch sein Stern, hier hauchte sie ihren letzten Odem aus – er folgte. Eh er sich England überlieferte, verweilte er die letzten Tage dort – in der Todtenkammer, die einst sein Ehegemach gewesen. Im nie endenden Orkan seines Lebens war dies die letzte Oase, die ihn einlullte mit der Fata Morgana vergangenen Glücks. So verbindet sich Alles in räthselhaftem Kreislauf, Anfang und Ende. Das Schicksal der Liebe, die Liebe des Schicksals. Erhaben der Ruhm, erhabener die Liebe.

Welch ein Traum, dies Leben! welch ein Traum, von dem die Aeonen weiterträumen werden!

Dem Sieger von Italien schwenkte man einst eine Siegesfahne entgegen, worauf die Schlachten der Armee von Italien eingeritzt. Am Ziel seiner Laufbahn aber schwebte über seinem Haupte geisterhaft eine schwarze Trauerfahne – darauf stunden sie eingegraben in blutigen Lettern, die Schlachten der Großen Armee: Marengo, Austerlitz, Jena, Friedland, Wagram, Borodino, Dresden – Leipzig, Laon, Waterloo! Der Mensch ist Nichts, sein Schicksal Alles. Er war das Schicksal selbst und hatte sich erfüllt.

Er fiel, aber die Erde wurde sein Monument. Mit einem einzigen Sprunge schwang er sich hoch auf des Sieges Donnerwagen und sein Triumph durchblitzte die schwüle Erde.

Welch ein Mensch! Die Sporen seiner Stiefel bohrte er der trägen Menschheit in die Weichen, aus ihrem Schlamme peitschte er sie auf als Gottesgeisel, er fuhr dahin auf seinem fahlen Renner wie der Todesengel der Apokalypse, er riß die Schollen auf wie eine brennende Pflugschar für den Samen der Zukunft. Ja, er hat dem Heros den Charlatan, dem Löwenherz den Falstaff, der Wahrheit die Lüge gepaart; er war ein Gigant mit thönernen Füßen. Aber mit alledem hat er der Welt gezeigt, was ein einzelner Mann vermag vermöge des höchsten Herrscherrechts, das von Gott selber begnadet, kraft der Souverainität des Genies.

Mag sein, er war ein falscher Messias und wurde an sich zum Judas. Aber sein Schicksal wollte es so. Er folgte einfach dem eingeborenen Dämon seiner Bestimmung, der ihn unaufhaltsam fortriß. Ein Größerer denn er war über ihm – wer sich von ihm gerufen fühlt, kann nicht widerstehen.

Ja, er war der feurige Wetterstrahl, der die stickig dumpfe Atmosphäre des morschen Europa von einem Ende zum andern durchzuckte, der durch den Gewitterhimmel der Revolution leuchtete wie eines Racheengels Flammenschwert. Der Orkan, mit dem er die Welt durchrüttelte, durchtobte ihn selber und schleuderte ihn wie eine entfesselte Naturgewalt über zerstampfte Völkerleichen hin. Millionen fluchten ihm, Millionen wurde sein Name ein Talisman der Begeisterung. Man kann das Eine nicht loben, das Andere nicht tadeln. Denn er war wie ein blindes taubes Naturgesetz, wie eine eiserne Nothwendigkeit. Das Splitterrichtern der neidischen Mittelmäßigkeit, der zwerghafte Neid verklagt ihn vor dem Richtstuhl der Geschichte. Aber er hatte der Welt in sich ein Ideal gegeben, in der übermenschlichen Symbolik seines Schicksals – das gilt mehr wie alle Ideologie. – – –

Als ob der Zufall zu den Reflexionen Leonharts einen geheimen Zusammenhang beanspruche, stieß dieser plötzlich nahe an der Potsdamer Brücke auf ein seltsames Paar. Ein auffallend kleiner Mann, genau so groß wie Napoleon gewesen, schritt heftig gesticulirend neben einem Riesen her, der demüthig auf seine Worte wie auf prophetische Weissagungen zu lauschen schien.

»Sieh da, Doctor Paulus!«

Der kleine Herr blieb stehn und erwiderte Leonharts cordialen Gruß mit einer Verbindlichkeit, welche etwas Gezwungenes und Verlegenes nicht verleugnen konnte. »Ah, entzückt Sie mal wieder zu sehn. Wollen eben in den Café Boulevard. Kommen Sie mit? – Erlauben Sie, daß ich die Herrn bekannt mache – doch Sie kennen ja wohl Herrn –«

»Berthier? Gewiß.« Der Große verneigte sich, zustimmend, daß man sich kenne.

»Berthier?! Hahaha!« lachte Doctor Paulus auf. »Nein, Beuthin. Mein ehrlicher Beuthin als Generalstabschef – nicht übel.«

»Verzeihen Sie, Herr Beuthin, ich versprach mich Ideen-Assoziation! Weil Sie so 'was Napoleonisches haben, lieber Doctor.«

Doctor Paulus lachte kurz auf und schritt mit einem leichten imperatorischen »Kommen Sie!« den beiden Anderen voran. Leonhart, der sich anschloß, »um einen Schlummerpunsch zu genießen,« beobachtete ihn heimlich. Paulus war sehr elegant gekleidet, nach englischer Mode, einen breitkrämpigen Cylinder neuesten Londoner Stils auf dem interessanten Haupt. Obschon weit unter Mittelgröße von Statur, schien er nervig und muskulös. In seinen klar und scharf geformten Zügen lag etwas unverkennbar Füchsisches. Doch erinnerte er noch mehr an einen scharfspürenden behenden Jagdhund. In seinem Wesen trat eine hastige nervöse Unruhe hervor, als ob er stetig auf einen Fang laure. Seine breite, aber glatte niedrige Stirn, sein stechendes Auge, seine scharfe schnarrende Stimme konnten für den geübten Physigonomiker wenig Vertrauen erwecken. Ein Solcher hätte auf den ersten Blick in diesem »verdammt schneidigen Kerl« einen ausgezeichnet praktischen Kopf, jedoch ohne höhere geistige Veranlagung, erkannt. In seinen kräftig brutalen Kinnladen, seinem massiven Kinn verrieth sich eine eiserne Energie.

Als Leonhart die Bekanntschaft des Doctor Paulus machte, führte dieser eine ziemlich dunkle Existenz als eine höhere Art von Abenteurer. Er hatte als Doktor promovirt mit einer Disputation über die Schelling'sche Philosophie, die zwar nichts Positives beibrachte, sich aber durch ätzende Kritik und schneidende Logik hervorthat. Seither trieb er sich in Berlin umher, ohne daß Jemand wußte, wovon er lebe. Er erzählte stets merkwürdige Geschichten aus seiner Londoner Vergangenheit, wie er als man of fashion drei Jahre lang sein ererbtes Vermögen aufgezehrt habe. Englisches Halbblut mütterlicherseits, behauptete er sogar eine hypothetische Verwandtschaft mit einem bekannten britischen Staatsmann. Von seiner Londoner Aera wollte er auch die Vorliebe für Brandy mitgebracht haben. »Let's have a drink!« bedeutete bei ihm, wie sich Leonhart erinnerte, das Hinunterstürzen etlicher Gläser Cognac. Auch im Biere leistete er Großes. Leonhart lernte ihn zuerst kennen, als der rührige Streber eine Zeitung gründen wollte. Diese Idee schien jedoch mehr als Lockvögelei berechnet und zerann spurlos im Sande. Im »Feudalen Klub« trat er als ständiger Gast mit stolzer Sicherheit auf. Einmal klagte er Leonhart gegenüber voll Entrüstung, daß der Klub-Vorsitzende Graf Bärme, der sogenannte Mephisto mit der schwarzen Ledermappe (in welcher alle Collekten-Geheimnisse der Konservativen Partei schlummerten), ihn erst später, nachdem er mit einem fremden Herrn eine Viertelstunde am Tisch gesessen, näselnd vorgestellt: »Da es nun ja doch nicht mehr zu umgehen ist: – Sr. Excellenz Minister von X. – Doctor Paulus.« Noch mancher andren Ueberhebung hatte Graf Bärme (der hochwohllöbliche Ordensjäger und Kammerherr, der sich vom einfachen »von« zum »Baron« und nachher zum »Grafen« emporschwang und die unerwartete Millionen-Erbschaft eines Onkels durch tausenderlei Geldgeschäfte und schmutzigen Geiz noch vermehrte) sich gegen den kleinen Paulus schuldig gemacht. Das kerbte dieser ihm gründlich an, und sobald er ein großer Mann geworden, mußte Bärme dafür büßen.

Ein großer Mann – ja, das wurde er bald genug.

Leonhart gehörte zu den Wenigen, die es voraussahen. Sein tiefer psychologischer Scharfblick sagte ihm, daß aus dieser kleinen Schlange sich ein geflügelter Drache entpuppen werde. Er erkannte eine moderne Conquistadoren-Natur und sprach es Anderen gegenüber aus, die ihn darob belächelten. Doch die Ereignisse sollten ihm überraschend Recht geben. Paulus warf sich in die Colonialbewegung und klomm hier binnen kürzester Frist zu den höchsten Höhen des Erfolges empor. Meisterhaft verstand er es, seine Freunde auszunützen und ihnen dann einen Tritt zu versetzen. Intrigant vom Scheitel bis zur Sohle, liebte er die Taktik, alle Leute gegen einander zu hetzen und als beliebige Werthe auszuspielen. Vortrefflich berechnet wirkte auch sein Verhalten gegen seinen früheren herablassenden Gönner Graf Bärme. Er warf nämlich durch einen Staatsstreich diesen alten Herrn spornstreichs aus dem Vorstand der »Teutonischen Monopol-Colonial-Actiengesellschaft« hinaus, in den sich Bärme wie gewöhnlich hineingeschmuggelt hatte: Das kindliche Vergnügen, seinen Namen als Comité bei allen unpassenden Gelegenheiten gedruckt zu lesen, schien ihm gar zu süß! Sobald nun Paulus seiner kleinlichen Nachsucht Genüge gethan, hob er den Zerknirschten sammt seiner schwarzen Ledermappe huldvoll wieder auf und bugsirte ihn aufs neue an hervorragender Stelle in den Vorstand. Der gräfliche Mephisto fühlte sich überwunden. Feig und demüthig dem Stärkeren gegenüber, wie alle brutalen Naturen, kroch er jetzt den großen Mann bereitwillig an und wurde sein ergebenster Sclave. Paulus brauchte einen gräflichen Namen bei seiner Actien-Unternehmung und Bärme, den er aus diesem Grunde auf allen Geschäftsreisen als Adjutanten mit sich als Bärenführer herumschleppte, sonnte sich gern in der Ruhmessonne, die den schneidigen Colonial-Pfadfinder umstrahlte. Dieser erlaubte ihm sogar, einzelne Catilinarier auf Gesellschafts-Unkosten in weißen Stoffen, als Colonialreisende auszurüsten, damit Bärme in allen Straßen das Naturwunder ausschreien konnte (auch Leonhart genoß von ihm diese werthvolle Mittheilung): Er, Bärme, rüste auf seine Kosten Reisende aus. – –

»Ich erlaube mir ...« hob der Gewaltige an, indem er sein Cognac-Gläschen grüßend gegen Leonhart schwenkte, sobald sie sich auf einem Sammetsopha des Café Boulevard niedergelassen. »Haben uns ja so lange nicht gesehn.«

»Sie sind mittlerweile ein großer Mann geworden. Dachte mir's immer. Aber eine so glänzende Carriere wie Ihre ist mir doch wirklich in meiner Praxis noch nicht vorgekommen.«

Paulus lachte kurz auf, als ob er das Gesagte für überflüssig halte. Schien ihm seine Carrière jetzt doch ganz selbstverständlich. »Und Sie, lieber Herr Leonhart? Haben indeß viel publizirt, nicht? Ach, wer kommt heut zum Lesen!«

»Das hat man schon zu Adams Zeiten gesagt, um sich zu entschuldigen!« warf jener bitter ein.

»Ja, mag sein. Doch wirklich, das ist heut ein trauriger Beruf. Ich bitt' Sie, kann man denn davon leben like a gentleman? – Wissen Sie was, Sie sollten doch mal Ihre schneidige Stahlfeder in den Dienst unsrer patriotischen Sache stellen. Wollen Sie? Ich lade Sie hiermit feierlich ein, als Gast der ›Teutonischen Monopol-Kolonial-Actiengesellschaft‹«, er sättigte sich mit Behagen an dem volltönenden Titel, »bei uns in Afrika zu verweilen. Wir stellen Ihnen große Blätter zur Verfügung für Berichte. Allerdings, haha,« er zwinkerte verständnißvoll mit den Augen, »würde man von Ihrer wohlbekannten Unpartheilichkeit erwarten, daß Sie gerecht, aber wohlwollend über unsere Verhältnisse urtheilen. Natürlich unpartheilich, unpartheilich! Nun, was sagen Sie dazu?«

»Das ließe sich hören,« meinte Leonhart sinnend. Er hätte gern einmal dem ganzen Europa-Krempel Valet gesagt.

»Gut. Basta. Herr Beuthin!« Der hochgewachsene Generalsekretär der »Teutonischen Monopol-Colonial-Aktiengesellschaft« fuhr auf den herrischen Wink des kleinen Mannes zusammen, murmelte wie unbewußt »Zu Befehl« und riß eine gelbe Brieftasche heraus. »Notiren Sie! Herr Doctor Leonhart wird für uns wirken. – Ach und wie hochpoetisch!« fuhr er fort. »Diese Gebirgsscenerieen, diese Meeresufer! Sie werden dort Stoff in Fülle finden. Schreiben Sie uns ein Colonial-Epos!«

»Nicht übel!« lachte der Dichter. »›Die neuen Conquistadoren,‹ eine Heldenmär in zwölf Gesängen. Da soll ich wohl mit Ihrer Expedition ins Innere beginnen, wie?« Der boshafte Klang dieser Frage entging dem Gewaltigen. Leonhart wußte nämlich, daß er gar nicht an Land gekommen und fieberkrank an Bord geblieben war, als man an der Küste in seinem Namen drauflosannektirte und »entdeckte«. Später aber, als er sich wirklich einer Expedition angeschlossen und angeblich Verträge mit Sultanen beschworen hatte, war er frühzeitig umgekehrt, weil den Strapazen nicht gewachsen. Seine Gefährten wollten sogar einen Mangel an persönlichem Muthe bei ihm bedauert haben.

Arglos schwadronirte Paulus jedoch drauf los und schloß sein Jagdlatein nochmals mit der großartigen Aufforderung: »Ein für allemal, sind Sie hiermit eingeladen. Beuthin!« Der maschinenhafte Berthier notirte gehorsam. »Tragen Sie in Ihr Merkbüchlein ein: Herr Friedrich Leonhart ist permanenter Ehrengast der ›Teutonischen Monopol-Colonial-Actiengesellschaft‹. Die Reise dorthin kostet nur 1300 Mark; noch neulich sandten wir auf unsere Kosten einen jungen Maler, um Skizzen zu entwerfen.«

»Zu Reklame-Zwecken?«

»Gewiß. Ich bin immer offen, wie Sie wissen. Sobald Sie erst bei uns in Uhahuba sind, steht Ihnen Alles zur Verfügung, Betrachten Sie sich dort wie zu Hause, mein theurer Herr Leonhart.« (Das mochte nun freilich seine Schwierigkeit haben, da überhaupt noch kein Haus in Uhahuba stand, wie Paulus am besten wußte. Das nächste Blockhaus in der Nähe eines pantherreichen Dschungels empfahl sich auch recht freundlich als Sommeraufenthalt.) »Haben Sie die Sache zur genauen Kenntniß genommen, Herr Beuthin?« schnarrte er im Commandotou.

»Zu Befehl, Herr Doctor,« murmelte sein dienstbeflissener Berthier. Der Gestrenge, lächelte holdselig und schwenkte ein neues Cognacgläschen: »Ich erlaube mir ... auf Ihr Spezielles! Sagen Sie, neulich hat ja unser Freund Doctor Wurmb über Ihr neues Werk eine begeisterte Besprechung losgelassen. (Studire übrigens grade das Werk; kaufte es natürlich. Das ziemt sich. Nein, keinen Dank! Die Bücher seiner Freunde kauft man.) Freute mich recht, weil es sich um Sie handelte. War aber sonst ... hm ... nicht besonders geistreich geschrieben, wie?« Da Leonhart nicht mit der Sprache herauswollte, fuhr er eilig fort: »Nun, jedenfalls war es verdienstlich, daß er für einen Mann wie Sie in die Schranken trat. Ach ja, in all meinen praktischen Beschäftigungen beneide ich Sie um Ihre ideale Thätigkeit. Sie wissen, ich studirte früher exacte Philosophie. Noch heute brüte ich in meinen Mußestunden über die Skala der Lust- und Unlust-Empfindungen.«

»Welche sich gegenseitig aufheben.«

»Ach nein, doch wohl nicht!« Paulus stieß einen elegischen Seufzer aus. »Die Unlust-Empfindungen überwiegen durchaus.«

»Daß ich nicht wüßte! Die Unlust wird selbst zur Lust, als Bethätigung des Willens zum Leben, worin Lust und Unlust gleichwerthig. Man muß nur die Wonne des Leids in sich ausbilden.«

»Sie habe ich natürlich bei meinem allgemeinen Urtheil nicht im Auge gehabt,« versetzte der Gestrenge, sich leicht verbeugend. »Schopenhauer sagt, die Genies seien stets abnorm. Sie als abnorme Natur darf ich nicht in den Kreis meiner Betrachtung ziehen.«

Leonhart stutzte zuerst, dann wollte er sich innerlich vor Lachen auf dem Fußboden rollen. Offenbar ging der praktische Cyniker von dem richtigen Grundsatz aus, daß jeder Mensch eine unglaubliche Menge Schmeichelei vertragen könne; ahnte aber bei seiner Menschenverachtung nicht, daß es auch Menschenkenner geben könne, die ihn selbst durchschauten. Doch seltsam! Während er ironisch lächelte, fühlte sich der junge Dichter dennoch angenehm von dieser geschickt applizirten Flatterduse gekitzelt.

»Bei mir,« versicherte der große Colonialpriester mit düsterem Stirnrunzeln und weltschmerzlichem Stimmfall, »überwiegen die Unlust-Empfindungen stets – soviel weiß ich. Kellner, einen Eierpunsch!«

Ei, dachte Leonhart, nachdem er aller Welt durch seine rücksichtslose Streberei Unlust-Empfindungen bereitet, sitzt er hier dick und fett am Biertisch und philosophirt über die Unlust! – Paulus schien jedoch wirklich von sentimentaler Aufwallung übermannt.

»Ach, mein Freund, schon allein ... Die Weiber!« Und nun fing er an, englisch – Leonhart, der sehr gut Englisch sprach, begünstigte diese Affektation – von seinen Liebesgeschichten erzählen. Man mußte denken, daß hier Erstaunliches vorlag, wenn man ihm Glauben schenkte. Verlobte Mädchen aus guter Familie besuchten ihn in einer Wohnung und verriethen seinetwegen ihre Bräugams, Aerzte oder Assessoren – zur beliebigen Auswahl.

»Jaja«, Leonhart wiegte nachdenklich den Kopf. »Der Geist übt eben dämonische Anziehungskraft auf die Frauen aus.«

»Hm, ja, aber eben nur der praktische Geist,« schnarrte Paulus rasch, als ob er einen Eingriff in seine Privatrechte zurückweise. »Die Energie – das imponirt. Das Weib verachtet den unpraktischen Idealismus. Tata, das Dichten und Denken! Die Energie – das ist die Hauptsache.«

»Energie! Glauben Sie etwa, daß nicht die höchste Energie erforderlich ist, wie Goethe ein Leben lang die Idee des Weltwerkes ›Faust‹ mit sich herumzutragen und unablässig daran mitzureifen? Offen gestanden, wär' ich ein Genie, wie Sie sagen – kraft der inneren Untheilbarkeit des Genies, das ja Alles kann, was es anpackt möcht' ich mich dann wohl verpflichten, unfähigen Gegnern gegenüber die Campagne Bonapartes von 1796 zu leisten – aber den ›Faust‹ zu schreiben möchte wohl über meine Kräfte gehen.«

»Ah! Na! Darüber läßt sich streiten.« Paulus sprang rasch von dieser Frage ab, die ja seine Eitelkeit kaum interessiren konnte, und fing statt dessen an, eine schreckliche Mordsgeschichte zu berichten. Er theilte Leonhart im Vertrauen mit, daß er heut früh ein Duell gehabt habe. Er sei mit einer Dame, einer schönen Dame, in einem Café gewesen. Da habe ein Dandy am Nebentisch anzügliche Bemerkungen über ihn und die Dame verlautbart. Er gleich hin – schneidig Rechenschaft verlangt – verweigert – Forderung – sofort am andern Morgen im Grunewald. »Und da hab ich ihm nun heut Morgen eine Kugel ins Bein geschossen!« schnarrte er, indem er zugleich eine unnachahmliche Miene des Bedauerns und gekränkter Würde annahm.

Leonhart starrte ihn sprachlos an. Glaubte der kleine Mann denn wirklich, daß solche Fabeln, die in sich als unmöglich zerfielen, Anklang finden konnten? Eigentlich lag doch eine beleidigende Geringschätzung für Den darin, dem er solche wilde Märe auftischte. Als sein Blick zugleich auf den Chef des Colonial-Generalstabs fiel, der mit gehorsamem Maschinengesicht die englische Conversation, von welcher er kein Wort verstand, über sich ergehen ließ, – ergriff den Dichter ein solcher Ekel, daß er sich plötzlich empfahl. Der große Mann biederte ihn beim Abschied verbindlich an, brach aber seinem Seïden gegenüber los: »Ist das ein widerwärtiger Mensch! Ich machte noch gestern dem Wurmb Vorstellungen, wie er den Menschen so überschätzen könne. Sein neues Buch –«

»Herr Doctor haben es gekauft?«

»Ich? Gott soll mich bewahren!«

»Aber Sie äußerten doch vorhin ...«

»Gewöhnen Sie sich dies doch endlich ab, Beuthin,« schnarrte der kleine Mann in seinem vernichtendsten Nasalton, »Sie mißverstehen mich immer. Nicht mit Augen gesehn hab' ich das dumme Buch. Dies Gedichteln überhaupt! Als ob wir nicht schon an den ollen Klassikern übergenug hätten! – Uebrigens, denken Sie an meine Worte, der Mensch wird noch im Irrenhause enden. Will die Campagne von 1796 auch machen – ein Mensch, der nicht mal Militär ist. Haarsträubend! Der pure Größenwahn! – Was, wie, sind Sie nicht auch meiner Ansicht, Sie?«

»Zu Befehl, Herr Doctor,« stammelte der hochgewachsene Chef des Generalstabs mit der gelben Notiztafel, unter dem Blick seines Empereurs erzitternd in seines Nichts durchbohrendem Gefühl. Dieser aber fing in kreuzfideler Stimmung zu trällern an: »Mutter, der Mann mit dem Coaks ist da!«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Was für ein Mensch, dieser kleine Duodez-Napoleon! dachte Leonhart, indem er sich zu Haus entkleidete. Aber was für ein Beweis, wozu man es bringen kann mit Glück und strebernder Energie! Waren Napoleons Anfänge denn anders? War er minder verlogen und grundsatzlos? Ist dies nun Größe?

Und da der Dichter also sann, umspann sein Hirn ein wundersamer Traum. Gewaltig sah er an sich vorüberwallen – wie Banquo's Königsschatten, im Hermelin vermummt – die Schatten der vergangenen Thaten, die man als »Größe« pries. Doch was ist Größe?

Ihm war, als sehe er ihn vor sich, den Korsen. Bleichfarbig, hager wie dem Grab entstiegen, von Wuchs weit unter dem gewohnten Maß, von straffem Haar das Haupt umwallt, aus dem ein schicksalmächtiger Blick, dolchscharf wie blauer Stahl, dämonisch blitzt. Er ist allein und hungert. Jener Name, der einst die Himmelswölbung erschüttern wird, blieb im Sturm der Zeit noch ohne Echo. Die bunte Menge rennt an Ihm vorüber, auf den einst die Aeonen schauen werden, nur verächtlich musternd die Knechtsgestalt des unbekannten Gottes.

Und dennoch ist er ja glücklich, in dem Bewußtsein innerer Allmacht groß, der kleine Bonaparte! Groß war er ja als Knabe schon, da er dem Windeswehn und Meeresrauschen der Heimathinsel lauschte – er, aller Träumer Größter, Shakespeare der That, dem all sein Leben zu einer Schicksalsdichtung ward.

Horch, wie Posaunen schmettert's durch die Lüfte! Der Aar der Weltgeschichte rauscht herab, empor aus ruhmvoller Verborgenheit reißt es den großen Unbekannten, Diogenes aus seiner Bettlertonne, empor zum Sonnenfluge Alexanders. Die Brücke Lodi's und die Brücke von Arkole zimmert er zusammen zu einer riesigen Xerxesbrücke auf der er weiter nun und weiter stürmt zum Orient-Ufer Alexandrias, wo sich sein Ahn, der Welteroberer, ihm ähnlich an Jugend und Gestalt, ein ewiges Mal gesetzt.

Marengo! jauchzt die Erde siegestoll, und dann ununterbrochen, allbetäubend, gellt der Legionen Tuba: Heil dem Cäsar! Austerlitz, Jena, Wagram, Borodino!

Ja, das ist Größe – ist dies das Glück?

Horch, welch neuer grauenvoller Ton! Ein Trauermarsch von Millionen Trommeln, gerührt von florumwundenen Schlägeln auf eisumstarrter Steppe, geleitet nun zu Grab den Kaiseraar, den mit zerfetzter Trikolorenschwinge von seiner Sonnenhöhe dasselbe Schicksal bleiern niederwuchtet, das ihm zum Flug die Schwingen straffte. Das ist der Trauermarsch, der einst Beethovens Sehergeist entquoll, als ihm der allbewältigende Anblick des neugebornen corsischen Messias die »Symphonie Heroika« entpreßte. Doch da sich Jener als Judas am Ideale freier Menschlichkeit entschleierte, auf dem allein die wahre Größe wurzelt, verbannte er den Namen Bonaparte aus seiner Götter Tempel. Ob auch die Welt, die schnöd erbärmliche, die Sclavenheerde, die der Tag regiert, die früher dich mit Füßen trat, nun feige dir die Füße leckt und dich als »groß« anstaunt, du eherner Koloß – hohl bist du innen doch wie tönend Erz, du hast die Liebe nicht, die Liebe nicht, die Liebe nicht zum ewig Liebenswerthen – du bist verworfen von Schiller und Beethoven! Abtrünniger, du bist nicht groß.

Er ist nicht groß? Blickt her, ihr großen Seher, aufs ferne menschenöde Eiland, wo Prometheus einsam festgeschmiedet am Fels im Meer! Was wogt durch diese Seele wohl, bis sie gesänftigt, wie nach dem Sturm der wrackbesäte Ocean! Dies stolze unruhvolle Herz, dies Meer, in das Vulkane sich gebettet, sänftigt sich nun und dehnt sich weltenweit und ruhig wird's in ihm. Aus dem Giganten, der den Ossa auf den Pelion gethürmt, wird nun ein Gott, ein ruhig stolzer Gott, der im Bewußtsein seiner Ewigkeit mit unsterblich hehrem Leiden auf das Vergängliche herniederschaut.

Jetzt bist du groß! Wie einst der arme Unbekannte groß – jetzt, jeder Macht entkleidet, allein dem Schöpfer gegenüberstehend, allein in deiner Blöße, Mensch! Kleiner war der Kaiser, als einst der arme Lieutenant. Da er auf Throne als Schemel sich stützte, als Molochgötze der Gloire, war er kleiner als jetzt, wo er einsam an dem Grabstein seiner Größe lehnte, wieder allein mit den Träumen seiner Jugend, allein mit seinem Genie. Abgefallen sind Purpurtoga und goldner Lorbeerkranz und ellenhoher Kothurn, die Rolle Cäsars ist ausgespielt. Alles Andre war nur ein Fiebertraum im Scheintraum dieses Lügenlebens. Marengo, Austerlitz – das sind nur Namen, gelallt vom Weltgeist im Delirium – Kaiserthum, Weltreich und Gloire, das Gift von Fontainebleau und Elbas Schmach, der Flug gen Notredame, der Donnerschlag von Waterloo – alles nur Schatten, die der Wahn erzeugte, Leiden und Freuden eines Fiebertraums.

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Und auch aus diesem Traum fuhr der junge Dichter empor, dem Traum der Wahrheit. Verstand er die Wahrheit, die ihm aus dem Abgrund des Unbewußten mächtig entgegenquoll? Verstand er, daß Alles Irdische nichtig sei, keines Lächelns werth und keiner Thräne? Daß nur Eines wahr und echt bleibt im kreisenden Wechsel der Dinge: Das große Ich, die kleine Welt umfassend?

O hüte, hüte dich, junger Gott! so hörte er entschlummernd eine unsichtbare Stimme. Reiße dir nicht das Ewige aus wundem Herzen! Laß den Fittich deiner Seele nicht hinschleifen im Staube, nicht frech emporkriechen an deines Geistes Postament das niedere Gewürm! Sei groß! Selbst im Orkan bewahre die kalte Wonne innerer Ruhe, wie Alpen ihren Schnee! Schüttle den eitlen Größenwahn ab, der die wahre Größe vergiftet! Sei groß!

Mit einem Lächeln entschlummerte der Träumer. Wie des Mondes goldiges Strahlenöl die Gewässer sänftigt, so gossen diese Gedanken Frieden in sein dunkles Sein. Noch im Schlaf trugen seine Züge den Ausdruck stolzer Unbeugsamkeit. Ein großer Mann oder ein großer Narr zu werden – beides war in seine Hand gelegt.

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Rother fuhr hinein in den reinen kaltklaren Wintermorgen mit verkümmertem welken Herzen. Dem Ideale innerlichst geweiht, verdammte ihn ein Dämon, nach Sinnlichem zu schmachten. Am Abgrund taumelnd, verlor er sich selber und schleppte, gemein nun mit Gemeinem, die innere Kette seines Wahnsinns mit, wie der Galeerensclave seine Fessel. Genuß! Drängt nicht nach Genuß jedes Wesen? Und nur dem Idealisten – ach, nur ihm soll der Schmerz als Genuß genügen. Wer aller Gabea zum Genusse bar, dem blüht nur noch ein Islandmoos am Kraterrande: Entsagung.

War er denn schuldig? Hatte eigene Schuld ihn verstrickt in lächerlichen Wahn? Nein, das Schicksal einzig hatte es so gefügt, das tief in ihn gepflanzt den Keim der Leidenschaft, die selbstvernichtend zugleich vernichtet, was sie wild erstrebt.

Höre den Winterwind, wie er brausend hinheult über die öden Felder! Aus dem Schnee heben sich die dunkeln Sträucher, wie Kuchenbrocken aus einer Schicht von Sahne und Zucker. Fern ist noch die lenzliche Stunde, wo diese kahlen Aeste sich mit hellgrünen Knospenspitzen besetzen werden, freundlich angelacht von der warmbestrahlenden Mittagssonne. In diese brachen Flächen, noch des Winters ganze frostige Starre athmend, werden sich kleine Inseln greller Grasstriche einsprengen. Ob auch droben in den Wipfeln noch Alles todt und kahl, drunten schießt das Gras in üppiger Fülle empor. Immer höher züngeln und klettern die Keimtriebe des Frühlings hinan, bis sie auf den Kronen der Wälder ihr grünes Laubpanier ausstecken und siegesfroh schwenken über die junge Welt. Die Sonnengluthen werden goldig glitzern, als wolle die Natur Hochzeitfackeln entzünden, und alle Vögel werden jubiliren, wenn der große Naturmaler die Palette anlegt und beginnt, die Natur zu untermalen.

Ja, das Alles wird sein. Aber noch ist er nicht da, der Frühling, noch herrscht der Winter. Der Wind heult ein Sterbelied der Vergänglichkeit in tollem Vernichtungsdrang, wo er durch ächzende Wälder psalmirt. Und im Winde vernahm Rother ein Sterberöcheln, das ihn durchschauerte wie das seiner eigenen Seele, die Selbstmord an sich beging. Ihm war, als müßte er aufschreien nach oben: O Geist der Schönheit, verlaß mich nicht! Wie flammte einst sein Herz zum Reinen empor, wie schaute er tief ins Herz des Alls! Und nun – ein Federball erbärmlicher Triebe. Das Weib, die Quelle der bösen Lust, des Satans Stellvertreterin, hatte ihn fortgedrängt vom Lichte, der Hölle zu. Wie Herodias mit des Täufers blutigem Haupt, tanzte der Liebesdämon um ihn her mit seinem blutenden zuckenden Herzen, dem lebendigen Leibe entrissen.

Das Weib? War das Weib so schuldig? Hatte er sich nicht selbst entmannt? Wahnsinniger, Unglückseliger! Dein Größenwahn ist's, der sich aufbäumt gegen dein winziges Leid eines versagten Genusses? Wie Othello nährst du deine Eifersucht mit deinem beleidigten Hochmuth und möchtest schäumen wie er: »Mit meinem Lieutenant!« Was für Tugenden besitzest du denn, eitler Wurm, die dir ein Recht geben, mit Deinem Schicksal zu hadern? Laß die vergnügten Motten an der ewigen Lampe des Daseins zirpend verbrennen – du aber lerne begreifen, daß die Schläge des Schicksals den Symplegaden gleichen, den schwimmenden Felsen, von denen die Griechen fabeln: Mechanisch, von Zeit zu Zeit, klappen sie zusammen und zermalmen das Schiff, das zwischen ihnen hindurch will. Einzelvölker und Einzelleben – zermalmt, je wie es die Umstände des Zufalls wollen! Laß dein Klagen, laß dein Fragen, was du dem Schicksal gethan! Der Weltgeist, der das All durchfluthet und glorreich durch die Pulse jedes Helden strömt, hat Besseres zu thun, als sich um deine moralische Schwindsucht zu kümmern. Ueberwinde dich, unterwirf dich, und wenn du dich selber züchtigst durch deinen Größenwahn, so verstehe Ihn und danke Ihm!

 
Größenwahn
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