KAPITEL 33

Langsam wich die Dunkelheit von Xylos‘ Geist und offenbarte ihm die volle Tragweite von Nemesis demütigendem Spiel: Alle waren da.

 

Alle Rebellen, die unter der Führung des alten Vampirs überlebt hatten, und die nun gewillt schienen, weiter gegen die Königin vorzugehen. Er war überrascht, weder Charon´s noch Styx´s Anwesenheit zu spüren.

 

Der Callboy öffnete die Augen und beobachtete die Zeugen seiner Niederlage; die Position, in die ihn die Liebe zu einer Frau gebracht hatte. Langsam, als machte ihn das öffentliche Zurschaustellen nichts, ließ er seinen Blick über die Versammelten gleiten und blieb kurz an der Gestalt der Frau hängen, die er liebte. Sie sah ihn nicht an. Wenigstens das! Sie verriet ihn zwar, fand seine Situation aber immerhin nicht auch noch interessant. Die Wut in seinem Inneren brodelte so hoch, dass er keinen ernstzunehmenden, logischen Gedanken fassen konnte, der sich mit seinem blonden Engel beschäftigte.

 

Stattdessen erkannte er nun die Präsenz, die ihm seit dem ersten öffentlichen Aufruhr so vehement verfolgt hatte, und richtete seine Aufmerksamkeit auf den jungen Vampir. Gorgias hat es also tatsächlich getan?! Verächtlich betrachtete er Fee, die neben ihm am Kopfende stand. Sehr nahe, und deren Blick voller Reue war.

 

Sein Blick glitt zurück zu Gorgias. Dem jungen Vampir, den er beinahe als Freund eingestuft hatte. Xylos konnte und wollte nicht verstehen, wieso ausgerechnet der Vampir ihn verriet, für den er sogar dessen Frauenkette verteidigt und versteckt hatte. „Wieso?“ Die Frage war ihm entschlüpft, bevor er sie zurückhalten konnte.

 

Hass und Wut verzogen für einen Sekundenbruchteil das schöne Gesicht des rothaarigen Blutsaugers, ließen es zu einer Maske des Zorns werden, bevor er den Mund öffnete, um zu antworten. Er kam nicht mehr dazu.

 

„Weil du weich bist, mein Freund. Wir haben einen Insider bei der Königin, und ihr seid alle zu nett, um ihn zu erkennen. Du bist und bleibst eben naiv! In Bezug auf deine Freunde und in Bezug auf deine Frauen!“ Nemesis riss Melanie zu sich und küsste sie. Ein Kuss, der selbst für Xylos ekelerregend erschien. Lang und feucht, eher ein nasses Schlabbern als ein erotischer Zungentanz. Doch der blonden Vampirin schien es zu gefallen. Als sich Nemesis wieder von ihr löste, glühte ihr Gesicht vor Leidenschaft, und der ältere Vampir warf dem Callboy einen triumphierenden Blick zu. Das Lächeln auf seinem Gesicht zollte der Schlange im Paradies Respekt.

 

„Frauen sind dazu da, dominiert zu werden – einzig und allein dazu!“ Nemesis Hände glitten über Melanies Körper, streichelten und drückten, prüften und nahmen Maß, während er die Vampirin so ausrichtete, dass sie Xylos ansehen musste. Ihr Gesicht war ausdruckslos.

 

„Glaub nicht, dass ich sie großartig manipulieren oder überreden musste!“ Nemesis lachte. „Zumindest nicht mehr, als Mettelus deine Helena!“

 

Woher weiß er das alles? Der alte Vampir strich den Stoff von Melanies Gewand zur Seite, genug, um ihren Busen zu entblößen. „Willst du noch ein letztes Mal ihr verzücktes Gesicht beim Orgasmus sehen?“ Er kniff der Vampirin in den Busen, woraufhin diese einen entzückten Laut von sich gab.

 

Wie Helena. Konnte sich Xylos so sehr geirrt haben – zwei Mal?

 

„Oder willst du noch einmal Sex vor deinem Tod? Gnadensex sozusagen?“ Jennifer Schreiner Honigblut

 

Das Lachen der versammelten Vampire war kakophonisch und hallte nicht nur in Xylos Ohren, sondern auch in seiner Seele. Selbst Melanie lachte. – Und du hast sie verschont!

 

Sein Blick wanderte zu Nemesis. Oder hat er sie doch seinem Willen unterworfen? Plötzlich wusste er mit Gewissheit, dass der Alte Melanie töten würde, sobald er mit dem Callboy fertig war. Doch erst würde er mit ihr spielen.

 

Gefesselt musste er mit ansehen, wie Nemesis der Vampirin den Stoff von den Schultern strich und ihren reizenden Anblick genoss: in Unterwäsche und Strapsen. Er sah die Gier in den Augen des Alten – und in denen der anderen – und begriff, dass erst Nemesis Melanie ficken würde, dann alle anderen, und erst dann würde sie sterben. Vielleicht sogar noch vor ihm, denn Nemesis hatte bemerkt, dass Xylos bei allem Verrat nicht in der Lage war, seinem Geschöpf zu schaden.

 

Doch sie schien es nicht zu ahnen. Plötzlich sah sie auf, sah ihn an, und ihr Blick war so abfällig, als sei er eine Motte, die bald in Melanies schönem Licht verbrennen würde. Der Blick traf ihn, trotz der bestehenden Möglichkeit, dass sein Geschöpf nur noch Nemesis Marionette war, und ihn und ihre Liebe nicht freiwillig verraten hatte.

 

„Hast du wirklich gedacht, ich gehe den Bund mit dir ein?“, höhnte sie unter dem zustimmenden Gemurmel der Rebellen. „Ausgerechnet mit dir? Dein Vater hatte recht …“ Er sah sie ebenso prüfend an wie Nemesis. Und obwohl ihr Gesichtsausdruck unlesbar blieb, begriff er, dass sie versuchte, ihm etwas mitzuteilen. Etwas, das sie sich auf anderem Weg nicht traute und niemand erfahren sollte.

 

Der Bund?! Die Erkenntnis versetzte ihn in Euphorie, und als Nemesis sich davon überzeugt zu haben schien, dass die Vampirin immer noch seiner mentalen Kontrolle unterlag, strich Xylos mit seinem neuen Sinn die Verbindung entlang. Dabei beobachtete er aufmerksam, ob die Rebellen – Nemesis! – etwas bemerkten.

 

Lediglich Fee sah auf und warf ihm und Melanie einen überraschten Blick zu.

 

Fee öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Melanies flehender Blick ließ sie verstummen. Ihr Schuldgefühl wuchs. Hätte sie Xylos nicht so hartnäckig verfolgt, um ihn in einem geeigneten Moment zur Rede zu stellen, wäre es Nemesis nie gelungen, dem Callboy auf die Schliche zu kommen – und dieser Frau, die Xylos ganz offensichtlich liebte.

 

Fee nickte kaum merklich und konnte die tiefe Dankbarkeit der blonden Vampirin beinahe körperlich spüren. Ebenso wie die Überraschung und die Verwirrung Xylos.

 

Xylos konnte es kaum glauben. Nicht nur, dass Fee den Bund zwischen ihm und Melanie erkannt hatte, sie schien sogar gewillt, ihnen zu helfen.

 

Er aktivierte die Verbindung gänzlich und erkannte nun die volle Wahrheit: Nemesis hatte Melanie überrumpelt, sie seinem Willen unterworfen, bevor sie überhaupt begriffen hatte, was geschah, und ihr Informationen über Xylos Leben gewaltsam entrissen, um den Callboy mit Melanie als weiblichen Lockvogel zu demütigen und zu brechen. Erst die körperliche Berührung hatte sie aus der Trance gerettet.

 

Er spürte den kurzen Druck, als Fee seine Handfesseln löste – unbemerkt von den anderen Vampiren, die alle Aufmerksamkeit auf Melanie gerichtet hatten. Die Vampirin hatte begonnen, sich zu Helenas Melodie zu bewegen. Schließlich stoppte sie und sah Nemesis direkt an.

 

„Solltest du ihn nicht erst foltern?“, lockte sie ihn mit schmeichelnder Stimme und erntete Lachen und exzentrische Vorschläge der Umstehenden. Jennifer Schreiner Honigblut

 

„Ja, das sollte ich, nicht wahr?“ Die Freude in Nemesis Stimme war deutlich zu hören, als er ein Messer aus seinem Gürtel zog. Es sah beinahe so aus wie Mettelus liebstes Folterinstrument. Er verharrte unentschlossen, als sei ihm eine wundervolle Idee gekommen. „Oder willst du, meine Schöne?“

 

„Ich denke nicht, dass ich …!“

 

„Tu es!“ Nemesis riss Xylos Geschöpf herum und sah ihr in die Augen. Wie eine Marionette nickte sie und nahm ihm das Messer ab.

 

„Die Narben werden ewig bleiben, zumindest würden sie das, wenn du länger lebtest!“, informierte Nemesis, während Melanie wie in Trance auf Xylos zuging. Bei ihrem leeren Gesichtsausdruck musste der Callboy den kurz erwachenden Drang sich aufzusetzen und zu wehren, unterdrücken. Selbst, als der Bund ihm bestätigte, dass Melanies Geist frei war, machte ihre Haltung ihm Angst, erinnerte ihn an Helena.

 

Als sei der Gedanke ein Kommando, drehte sich sein Geschöpf um, und ohne zu Zögern fand das Messer seinen Bestimmungsort: Und verfehlte ihn gleichzeitig.

 

Nemesis bewegte sich schneller, als Melanie es je für möglich gehalten hätte, griff sie und warf sie zu Boden, bevor sie reagieren konnte. Er thronte über ihr und das Messer, welches lediglich in seiner Schulter steckte, riss er ungeachtet der Wunde aus seinem Fleisch, um die Klinge für Melanie zu benutzen.

 

Doch Xylos war schneller, selbst mit gefesselten Beinen. Durch die Geschwindigkeit, mit der er auf seinen Widersacher prallte, riss er ihn zu Boden und lenkte ihn von der Vampirin ab.

 

In dem erbitterten Ringkampf erhielt der Callboy die Antwort, die er in Gelsenkirchen schon beinahe bekommen hätte: Zwei Jahre Unsterblichkeit machten eine Menge aus. Wer zum Teufel ist sein Schöpfer?

 

Aus dem Augenwinkel heraus sah Xylos, wie sich sein Geschöpf aufrollte, und Gorgias nach ihr griff. Doch Fee war schneller. Sie musste der anderen Vampirin etwas gesagt haben, denn Melanies Gesichtsausdruck veränderte sich, als Fee absichtlich – als habe die andere sie gestoßen – stolperte und gegen Gorgias taumelte.

 

Chaos brach los, als die anderen Vampire endlich reagierten und Nemesis zu helfen versuchten, um Melanie zu greifen, oder Gorgias mit seiner gefallenen Fee zu unterstützen.

 

Xylos konnte die Machtzunahme durch den Bund spüren, und es gelang ihm, Nemesis zurückzudrängen und zu halten. Er würde ihn zwar nicht besiegen können, aber es war immerhin ein Patt. Melanie nutzte die Verwirrung des Alten ob des Unentschieden, um in die Schulterwunde zu schlagen, die sich im Heilungsprozess befand.

 

Den Schmerz seines Gegners ausnutzend, befreite sich der Callboy, und noch während die Rebellen sich formierten, um ihren Angriff effektiv zu gestalten, konzentrierte sich Xylos auf sein inneres Feuer. Doch Melanie zog an seiner Hand, bestand mental auf Flucht, nicht auf Angriff. Xylos Blick folgt ihrem, blieb an Fee und Gorgias hängen, und er entschied sich dafür, dass Melanie recht hatte.

 

Er war nicht gut genug, um alle zu vernichten. – Alle, außer ihrer Helferin. Jennifer Schreiner Honigblut