KAPITEL 3
Xylos konnte nicht sagen, ob er sich mehr darüber ärgerte, dass Fee im Club auf ihn wartete – ihre Anwesenheit war wie ein Schneidbrenner in der Nacht, schmerzhaft und immer ein wenig zu hell, ebenso wie sie immer ein wenig zu aufreizend war – oder darüber, dass die beiden Frauen nicht einmal bemerkt hatten, dass er gegangen war, und an seiner Stelle Gorgias das Geschehen übernommen hatte.Xylos seufzte. Nicht einmal in seiner langen Existenz hatte eine Frau Einspruch erhoben, nicht einmal den Austausch der hübschen Vampire bemerkt, oder es nicht als „egal“ abgetan. Sie verließen sich einfach auf ihre eigene Schönheit und darauf, dass ihnen deswegen nichts geschehen würde. Sie glaubten, durch ihr Aussehen alle Fäden in der Hand zu halten, selbst, wenn er ihnen schon beim Sex zeigte, dass dem nicht so war.
Seine Verachtung für Schönheit und schöne Frauen flammte erneut auf. Ebenso lodernd und heiß und zornig, wie am letzten Tag seines alten Lebens. Heute wurde sie noch genährt von den Jahrhunderten, seinem Beruf und seiner Erfahrung – und projizierte sich auf Fee.
*** Sofia konnte einen Schauer nicht unterdrücken. Das letzte Mal, als sie hier gewesen war, hatte der damalige Clubbesitzer Lysander gar nicht gentlemanlike versucht, sie mit Geld in sein Bett zu kaufen und versucht, sie nach ihrer Ablehnung – ebenfalls nicht gentlemanlike – mit Hilfe von Mornas Magie in seine Kette zu zaubern.
„Na, therapeutischer Sex?“, schlug Edward vor und gab seiner Stimme einen verführerischen Klang.
Sofia stupste ihn leicht mit dem Ellbogen. „Wie wäre es mit therapeutischer Kastration?“, konterte sie, konnte sich aber ein Lachen nicht verkneifen.
Heute und in Edwards Gegenwart würde es zu keiner weiteren Katastrophe kommen. Die Schatten, die elitäre und uralte Leibwache der Vampirkönigin, hatte Stellung um den Club bezogen, und da ihre Anführer Joel und Hasdrubal anderen Aufträgen nachgingen, oblag es Edward in seiner Funktion als Magistrat der Königin, sie zu befehligen.
„Wartest du hier?!“, fragte Edward. Sofia ahnte, dass es sich nicht um eine Frage handelte, sondern um eine weitere seiner so genannten therapeutischen Maßnahmen. Er wollte ihr helfen, ihr Vertrauen in die Menschen an sich und die Vampire insbesondere zurückzugeben.
Sofia nickte stumm, während sie dagegen ankämpfte, ihrem Geliebten vors Schienbein zu treten. Er meine es gut mit ihr, sie konnte es mit jeder Faser ihres Herzens spüren, seit sie den ewigen Bund mit ihm eingegangen war. Trotzdem war sie verärgert, wusste sie doch bereits zu viel von den sexuellen Obsessionen der Vampire.
Und ich hasse es, wenn er das tut!, dachte sie, während sie verärgert auf die leere Stelle vor sich starrte. Wahrscheinlich würde sie sich in hundert Jahren noch nicht daran gewöhnt haben – obwohl sie als Vampir dieselbe Fähigkeit besaß.
Ihr stummer Ärger wurde noch intensiver, als sie hochblickte. Direkt auf eine Gruppe gut aussehender Männer – ausschließlich gut aussehender Männer. Seit Sofia wusste, dass die Bluttransfusion immer, tatsächlich immer, mit sexuellen Trieben oder Jennifer Schreiner Honigblut Handlungen einherging, war ihr auch klar geworden, warum. Wer hatte schon gerne Sex mit einem Menschen, den er nicht attraktiv fand? Zumindest, wenn er die Wahl hatte?
‚Club Perfect‘ könnte draußen stehen! Missmutig drehte sich Sofia zur Balustrade, um nach Edward Ausschau zu halten. Doch selbst die sterblichen Frauen sahen perfekt aus. Jede für sich genommen eine Schönheit und für jeden Geschmack war eine große Auswahl dabei. Die Auslese war vollkommen.
„Hey Baby!“ Sofia wirbelte auf dem Absatz herum, so dass die besitzergreifende Hand des Vampirs statt auf ihrer Schulter zu landen ins Leere griff.
Ein kleiner Vampir, der sie an ein reißzahnbewehrtes Monchichi erinnerte, lächelte sie pausbäckig an.
„Sorry, ich bin in Begleitung hier!“ Sofia griff auf eine freundliche Ablehnung zurück. Inzwischen hatte sie begriffen, dass alles andere – direkte Abfuhr, Offenbarung, dass sie selbst ein Vampir war oder Höflichkeit – dazu führte, dass der entsprechende Vampir trotzdem wie eine Klette an ihr hing.
„Ich denke, dein Vampir dürfte nichts gegen ein bisschen rummachen haben!“ Der Ton des Monchichi änderte sich kaum merklich und enthielt mit einem Mal eine unterschwellige Botschaft.
Sofia behielt ihr freundliches Lächeln bei. „Nein, aber trotzdem danke für das Angebot!“
„Zwing sie oder überlass sie mir!“ Selbst die befehlsgewohnte Stimme des anderen Vampirs klang alt und mächtig.
Sofia seufzte, als das Monchichi erschrocken zusammenzuckte, kommentarlos verschwand und sie mit einem unbekannten Gewalttäter zurückließ. Soviel zur Therapie!
„Ich habe wirklich versucht, nett zu sein und mich zu benehmen!“, behauptete die Vampirin – mehr für das Protokoll als für den Neuankömmling und wandte sich dem Fremden zu.
Er erinnerte sie an Hasdrubal.
Doch Hasdrubals Haare wurden von silbernen Strähnen durchzogen, während die langen Locken des Fremden zu einem dunklen Zopf zusammengefasst waren und in dem schummrigen Licht glänzten, als hätten sie ein Eigenleben.
Sofia schätzte, dass er mit Mitte Dreißig zu einem Vampir geworden war. Sein Gesicht wirkte deutlich jünger als Hasdrubals, und wo der Schatten der Königin einen schwarz-silbrigen Dreitagebart aufwies, war der große Vampir makellos rasiert.
Einen Schritt näher kommend lenkte er ihren Blick auf seinen Körper. Anders als Edward wirkte er sehnig und zäh, nicht wie ein Krieger aus der Antike, sondern wie ein Führer auf taktischer Ebene.
Sie ahnte, dass sie ihn nicht unterschätzen durfte. Wenn das Monchichi bereits ein alter Vampir gewesen war, musste dieser noch älter – und damit vermutlich auch mächtiger – sein. Ihr Blick glitt von seiner schwarzen Lederhose, die eng um die Beine saß und sie vorteilhaft betonte, über sein weißes Hemd, dessen oberste drei Knöpfe offen waren und den Blick auf eine gebräunte Brust freigaben.
„Eine gebräunte Brust?“ Sofia sah den Vampir direkt und prüfend an, obwohl sie es nicht geplant hatte.
Auch sein Gesicht wies mehr Farbe auf als bei den meisten anderen Vampiren. Wahrscheinlich ein Südländer?, vermutete Sofia. Ihr fiel es trotz ihrer guten Jennifer Schreiner Honigblut Geschichtskenntnis immer noch schwer, Vampire ihrer Zeit zuzuordnen. Karthago, beschloss sie wegen seiner Ähnlichkeit zu Hasdrubal, bevor sie ihn weiter betrachtete. Er war unbestreitbar attraktiv. Mit einer schönen, aristokratischen Nase, die im wahren Leben sicherlich bereits einmal gebrochen gewesen war, mit hohen Wangenknochen und vollen Lippen, für die Frauen töten oder Unmengen an Geld ausgeben würden. Statt auf Sofias Bemerkung einzugehen, musterte er sie ebenso eindringlich, wie sie ihn betrachtet hatte. Ließ seinen durchdringenden und herablassenden Blick von ihrem Busen zu ihrer Halsschlagader gleiten und zu ihrem Gesicht.
„Kommst du freiwillig mit oder magst du es eher gewaltsam?“ Seine schöne, melodische Stimme passte ebenso wenig zu seiner Frage, wie das betörende Lächeln, welches auf seinem Gesicht erschien und nahezu jede Frau ob seines anmaßenden Auftretens besänftigt hätte.
Wie kann ihm so ein Fehler unterlaufen?, fragte sich Sofia und horchte in sich hinein. Da war nichts. Absolut nichts, was auf Sterblichkeit hindeuten konnte.
„Vielleicht sollte ich mich kurz vorstellen?“, schlug sie deswegen vor, um den Vampir nicht in eine noch peinlichere Situation zu bringen.
Doch der schnaubte nur abfällig. „Es interessiert mich nicht, wie du heißt – oder wie irgendeine Frau heißt!“
Mr. Überheblich hat es einfach nicht anders verdient, beschloss sie. „Und trotzdem gehst du mit ihnen ins Bett und trinkst ihr Blut.“
Der Vampir reagierte nicht darauf, dass Sofia sich in ihrem Satz nicht mit einbezog, sondern argumentierte – beinahe als amüsierte sie ihn tatsächlich: „Ich habe Bedürfnisse, und ich muss essen.“
Komisch … das habe ich schon einmal gehört. Die Vampirin dachte an Xylos zurück und ihr Gespräch in London. Inzwischen war sie sich beinahe sicher, dass der Vampircallboy sie damals nur hatte foppen und provozieren wollen.
„Menschen. Sind. Kein. Vieh.“ Sie betonte jedes Wort überdeutlich.
„Doch!“, konterte der alte Vampir. Seine Augen wurden klar und leer, gaben nichts mehr wieder, als Sofias eigenes Spiegelbild.
Wieder musste sie an Hasdrubal denken, einen Vampir, der bereits alles gesehen und erlebt hatte und sich nur noch an Regeln und Gesetze hielt, weil er es schon seit Jahrhunderten machte.
„Verwandelt ihr euch mit den Jahrhunderten in Psychopathen, oder bist du schon vorher einer gewesen?“
Der Vampir trat drohend einen Schritt auf sie zu. Er mochte mit ihr argumentieren und auf ihre Zustimmung hoffen, aber er würde sich nicht beleidigen lassen. „Vorlaut und schön!“ Wieder schweifte sein Blick über ihren Körper. „Eine gefährliche Mischung!“
Plötzlich stutzte er. Sein Gesichtsausdruck zeigte Verwunderung. „Ein weiblicher Vampir?“ Sein anmaßender Blick wurde bedrohlich und triumphierend.
„Sofia!“, stellte sie sich vor, um keine weiteren Missverständnisse aufkommen zu lassen. Die Königin mochte andere weibliche Vampire verbieten, aber Sofia war geduldet.
„Ah, Sofia! Die Menschenfreundin!“ Der Spott in seinen Worten war überdeutlich.
Sofia schenkte ihm ein Lächeln. Sie wusste, dass er sie soeben in eine andere Kategorie eingeordnet hatte. In eine neue, ernstzunehmende. „Ich bin selber ein Mensch gewesen. Wie könnte ich hassen, was ich einst war? Wie es ausbeuten und benutzen?“ Jennifer Schreiner Honigblut
Die jüngere Version Hasdrubals leckte sich über die Lippen, befeuchtete sie und unwillkürlich folgte Sofias Blick der Bewegung seiner Zungenspitze, bevor sie begriff, dass sie der offensichtlichsten männlichen Manipulation aufgesessen war. Verfluchte Bastarde, allesamt!
Ihr Gegenüber lachte ein sehr zufriedenes Lachen. „Jetzt sind wir Vampire. Haben uns evolutionär – welch neumodisches Wort – über die Menschen erhoben und benutzen sie, um am Leben zu bleiben. Es ist nur ein natürlicher Prozess, dass wir überlegen sind und uns die Menschen untertan machen. So hat es Gott schon in der Bibel gewollt.“ Er zitierte: „Macht euch die Erde untertan.“
„Ich wette, die Bibel zitierst du auch nur, wenn dir die Argumente ausgehen, oder?“
Immerhin war er so ehrlich, um ein „Ja!“ zu murmeln, bevor er sich demonstrativ an ihre Seite stellte. So, dass er nach unten sehen konnte, wo sich zahlreiche hübsche Frauen auf der Tanzfläche tummelten. Jennifer Schreiner Honigblut