Kapitel 28

 

 

Mindestens vier Bars waren es gewesen, in denen er Geld gelassen hatte, und so die Nacht an sich vorbeiziehen ließ. Er wusste es nicht mehr so genau, wie viele es waren. Es half alles nichts. Mit Whiskey konnte er den Schmerz nur kurz betäuben, aber nicht besiegen. 

Um vier Uhr morgens entschloss er sich, wieder nach Mackville zurück zu fahren. Boston hinter sich zu lassen und einfach nur noch zu schlafen. Vielleicht konnte er jetzt endlich schlafen. Was konnte nun noch geschehen? Er konnte gerade noch fahren. Eine Streife hätte ihn aber nicht aufhalten dürfen. Dann wäre er im Gefängnis gelandet. Trunkenheit am Steuer.

Nach einem Stopp um sieben an einer Tankstelle, wo er einen grässlichen Kaffee trank und einen fetten Hot Dog aß, fuhr er weiter. Um kurz nach neun stellte er den Motor seiner Viper ab. Er parkte direkt vor seinem Haus. Den Weg von Mackville herauf jetzt zu Fuß bestreiten, das konnte er jetzt nicht. Er wäre unterwegs zusammengebrochen.

Das Gras war trocken. Die Sonne schien nicht mehr so kräftig. Der Indian Summer verabschiedete sich endgültig. Der Winter würde bald mit großen Schritten in Vermont Einzug halten. Alles Schöne ist vergänglich. So vergänglich wie die Liebe.

Tom ging mit behutsamen Schritten auf seine weiß gestrichene Veranda zu. Sein Briefkasten lächelte ihn an.

Tom rieb sich die Augen und sah nochmals genau hin. Er lächelte tatsächlich. Er lächelte! Ein Brief war gekommen. Dieser Brief konnte nur von einer einzigen Person sein.

Tom lief schnell auf die Veranda und zog den Brief heraus. Er setzte sich auf die oberste Stufe der Veranda und öffnete das weiße Kuvert.

 

Tom!

 

Zuerst mein Mitgefühl für Coopers Tod. Er wird es dort oben sicherlich gut haben, glaube mir zumindest das. Der folgende Brief wird Dich sicher an meinen Worten zweifeln lassen. Aber vielleicht verstehst Du mich doch.

Du hast selbst gesagt, dass ich ein „Seelensadist“ bin. Ich will es nicht wirklich, trotzdem tue ich es. Ist es wirklich „DAS“ was du willst? Selbst bezeichnest Du Dich unkompliziert und willst das Leben „locker“ und „leicht“ gestalten. Doch ich bin das absolute Gegenteil von Dir. Zu viel Tränen, Unklarheiten, Verwirrungen, Leid und Kampf. Bin ich das wert?

Findest Du trotz allem, ich bin eine Herausforderung? Nein, ich glaube nicht. Sicherlich, könnte ich jetzt den Vorschlag machen, dass Du sehr viel Geduld mit mir haben musst. Oder aber Verständnis, obwohl ich sehr schwer zu verstehen bin. Doch Du wirst an mir verzweifeln, wirst aufgeben. Von meinem „Lebenshunger“ ist momentan nichts zu spüren. Somit stehe ich auch noch als Lügnerin da. Willst Du wirklich von Anfang an ein seelisches Wrack an Deiner Seite? Das kann ich mir nicht vorstellen.

Du hast meinen „leeren Blick“ erkannt. Warum lässt Du mich dann trotzdem in Dein Herz? Deine Katzen J. F. K. und Nixon haben mir ewig und intensiv in die Augen gesehen. Ich glaube, die haben auch die „Leere“ in mir gesehen. Ich fühle nichts, absolut überhaupt nichts, als wäre ich tot.

Natürlich lassen mich Deine Tränen nicht kalt. Aber es ist nichts mehr in mir drinnen, was ich Dir geben könnte. Immerhin muss ich Dich sehr gerne haben, sonst würde ich Dich nicht „frei“ lassen. Nie würde ich verlangen, dass Du mir verzeihst – das wäre zu viel verlangt.

Es sind viele Fragezeichen in Deinem Kopf – aber die Antworten kann ich dir nicht geben. Ich weiß ja selbst nicht einmal, was ich da tue. Wie Du schon sagtest, bin ich im Zwiespalt. Mein Kopf ist wirr, meine Seele im Gefängnis, meine Kraftreserven sind verbraucht. Ich war immer stark – doch jetzt kann ich nicht mehr. Aus dem Sog der negativen Dinge, die auf mich zukommen und mich belasten, finde ich nicht heraus. Nie will ich Hilfe annehmen, zeigen wie viel Träumerei und Herz in mir ist, wie schwach ich jetzt bin, und will auch keine Last sein. Das weißt jetzt nur Du. Du hast mich weinen sehen – das hätte nicht passieren dürfen. NIEMAND sieht mich weinen. So viele halten mich für die coole, starke Frau. So weit bin ich jetzt schon!

Du hast es auch nicht böse gemeint, mich nicht körperlich an Dich zu lassen. Es war nicht der pure Sex, den ich wollte. Nur das Gefühl nicht alleine zu sein und Geborgenheit wie Verbundenheit zu spüren. Doch Du wolltest mich nicht. Ich fühle mich schon erniedrigt genug, aber abgelehnt zu werden ist wohl noch schlimmer. Also hat sich doch irgendetwas in Dir gewehrt, mich als Ganzes zu nehmen. Nun, ich merke gerade, dass es doch weh tut.

Entschuldige diesen geschmierten Brief. Bitte sei nicht traurig.

 

Glaube an Deine Träume – für mich!

 

Donna

 

Tom ließ den Brief in die herabgefallenen Blätter dieses ehemals farbenprächtigen Indian Summer gleiten. Er nahm die Hände vor die Augen und weinte.

Alles war vergänglich.

 

 

ENDE

Blätter treiben im Wind
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