Kapitel 18

 

 

Sie wollte gerade aus der Viper aussteigen, als ein Song ertönte, der sie zum Tanzen aufforderte. Donna war plötzlich wieder eine andere. Sie bewegte ihren Oberkörper im Auto hin und her und sprühte Funken der Freude und des Glücks, wie die Stunden zuvor. Tom parkte die Viper vor seinem Haus.

Donna ging voraus und machte es sich derweil auf dem Sofa bequem. Sie hatte die hohen Pumps ausgezogen und die Jacke abgelegt. Tom ging zum Kamin und machte ein Feuer. Er legte einige Scheite mehr auf. Er erhob sich aus der Hocke, drehte sich um und sah Donna in ihrer schwarzen Hose und dem Top an.

Was würde jetzt geschehen?

Der Augenblick war umzingelt von dem Wort Romantik und allem was dahinter steckt. Er kannte seine Gefühle. Die von Donna, die kannte er jetzt nicht. Er wusste nicht, was geschehen würde.

Er legte eine CD mit Balladen ein und setzte sich neben sie aufs Sofa. Sie sahen sich lange Zeit nur tief in die Augen.

 

»Mir tun meine Füße weh!«, war Donnas erster Satz in Toms Haus – in dieser Nacht.

»Soll ich sie dir massieren?«

Sie zog ihre Füße näher zu sich. Sie saß wie ein abwartendes Kätzchen auf dem Sofa.

»Okay, wenn du nicht willst.«

Vom Schlafzimmer kamen J. F. K. und Nixon die Treppen herunter. Sie schnurrten bereits. Tom hatte ihnen gefehlt. Donna lockte die Katzen mit Miaulauten zu sich.

Die Katzen rahmten Donna nun ein, wie zwei goldene Löwen einen königlich prunkvollen Palast. Tom freute sich, dass auch seine Katzen mit Donna einen Pakt zu schließen schienen.

Nach dreißig Minuten zähen Wortwechsels und unscheinbaren bis hocherotischen Blicken streichelte Donna Toms Gesicht.

»Deine Haut ... Tom, deine Haut ist so schön rein und weich. Du ziehst meine Hände magisch an. Du bist so klug ... und doch so rein«, sagte sie

Tom wurden so viele schöne Worte an einem einzigen Abend nur sehr, sehr selten gesagt.

»Puh! Donna ... Donna ...«

»Ich schminke mich jetzt ab und zieh mich fürs Schlafen um«, sagte sie schnell.

»Ja, ja ... selbstverständlich. Ich zieh mich auch schnell legerer an.«

Donna verschwand im Bad.

Tom ging ins Schlafzimmer hinauf. Seine Katzen folgten ihm und legten sich aufs Bett wie Könige. Er sah sich im Spiegel an. Es war kurz nach zwei und er war noch nicht müde. Das Blut schoss immer noch schnell durch seinen Körper. Er ohrfeigte sich zweimal selbst, da er nicht glauben konnte, was bisher alles geschehen war. Donna war unten in seinem Bad. Was würde sie da nur machen? Die unglaublichsten Fantasien gingen ihm durch den Kopf. Er zog sich schnell eine bequeme Jeans und eine weites Hilfiger-Shirt an.

Tom nahm erneut auf dem Sofa platz und las vor dem Einschlafen einige Seiten des Pferdeflüsterers. Er hörte die Badetür knacken. Donna kam zurück. Sein Blick verweilte im Buch.

Er vernahm ein lautes Klacken auf dem Holzboden. Was war das? Wie in Zeitlupe hob er den Kopf und sah ... und sah Donna am Kaminsims angelehnt stehen. Der Roman rutschte ihm aus den Händen. Seine Atmung blockierte für einige Sekunden. Gab es sie tatsächlich, die Erscheinung, dort neben dem Kamin. Sie wollte sich doch fürs Schlafen fertig machen. Doch was er sah, sah nicht nach einfach nur schlafen aus.

 

Donna hatte ein cremefarbenes hautenges, bis knapp unter den Po reichendes Seidennachthemd an und glänzend weiße Pumps umschlangen ihre nackten Füße. Ihr Slip spitzte hervor. Sonst war nur ihre zarte braune Haut zu sehen.

Tom krallte seine Finger in ein Kissen auf dem Sofa. Er musste sich irgendwo festhalten. Schweiß schoss aus seinen Poren, wie Kugeln aus einem Revolver. Sein Shirt färbte sich im Rücken dunkel. Sie stolzierte wie ein Model auf dem Laufsteg auf ihn zu. Er fuhr sich mit den Händen über sein Gesicht und über die Haare. Nein, es konnte nicht wahr sein.

Donna stand vor ihm. Sie schwieg weiterhin. Tom formte ihre Körperrundungen nach.

»Du ... du bist so wunderschön!«

Ein leises Stöhnen war Donnas Antwort. Sie zog ihre Pumps aus und setzte sich neben ihn. Wie ein kleines Vögelchen, das aus dem Nest gefallen war und jetzt auf Hilfe wartete, sah sie Tom an. Die Beine winkelte sie an ihren Körper an. Ein kissenbreit weg saß Tom, weiter in Jeans und seinem Hilfiger-Shirt.

Er fühlte sich noch nie so schlecht gekleidet!

Donna begann an ihrem Finger zu knabbern. Aus dem Knabbern wurde ein Lecken. Die Scheite im Kamin knisterten. Auch die Luft im Raum knisterte. Der Wald draußen vor der Tür würde bald Feuer fangen. Tom ließ das Kissen nicht los.

Im flackernden Licht waren ihre neckischen Sommersprossen das erste Mal an diesem Abend zu sehen. Sie waren unter Make-up verborgen geblieben. Sie sah damit hübsch aus, dachte er. Zu hübsch!

Kann ich sie so einfach berühren?

Er zögerte. Das darfst du nicht. Er blieb ein Gentleman, egal, wie heiß und schweißtreibend es wurde. Wenn, dann müsste sie ihn zuerst berühren. Blicke trafen sich, stärker und intensiver als je zuvor. Sie tauschten mit Blicken Gedanken aus. Sie wirkte so schüchtern und zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe. Weg waren ihre aufbrausende Art und das Fordernde in jedem Augenblick, in dem man sie beobachten konnte. Welche Wandlung hatte sie nun vollzogen?

Ihm schwirrten viele Gedanken durch den Kopf. Spielt sie mit mir? Schauspielert sie? Ist ihr ganzes Leben nur eine Rolle, die sie ausgezeichnet spielt?

»Tom, du hast so schöne Augen. So grün und tief wie die Wälder hier in Vermont«, hauchte Donna in einem lieblichen Ton.

Tom vergaß schnell seine aufgeworfenen Fragen.

Er intensivierte seine Blicke. Sie kam näher. Sie machte die Andeutungen eines Kusses, zog den Kopf aber wieder zurück. Sie wartete kurz und beobachtete ihn. Was machte er? Forderte er einen Kuss oder wartete er auf den Genuss, bis sie es wollte?

Tom wartete weiter. Er schloss seine Augen. Sie näherte sich seinem Mund, bis sich beider Lippen trafen. Der Kuss war kurz, aber innig. Er ließ die Augen geschlossen. Seine Körpertemperatur hatte sich schnell erhöht. Was war das nur für ein Kuss? Er fuhr sich über seinen Mund, um es zu begreifen. Er sog ihren Duft aus seiner Handfläche ein. Er hatte sie berührt. Es war kein Traum, es war Wirklichkeit!

Tom fuhr langsam über Donnas nackte Schenkel. Er wollte ihr die Füße massieren.

»Ich will das nicht«, sagte sie und zog sich sofort wieder in ihr kleines Gedankenreich zurück.

Sie war so stark, aber auch so zerbrechlich.

Sie biss sich auf die Unterlippe und zog den Kopf nach unten. Sie sah ihn mit fordernden Blicken an. Ein weiterer Kuss folgte. Er dauerte diesmal länger. Doch sie zog sich wieder zurück.

Ihm schwirrte ein absurder Gedanke durch den Kopf: War er die Beute einer starken Löwin, die ihn erst antestete, bevor sie ihn mit Haut und Haaren verspeisen würde?

Die sanften Balladen im Hintergrund gingen zu Ende. Es war nur noch ein Luftzug zu spüren, der durch ein geöffnetes Fenster in das Haus drang.

In diesem Moment wäre jedes Wort ein Wort zu viel gewesen. Er streichelte wieder über ihre Beine, die so seidenweich waren wie ihr Nachthemd.

Er dachte ein Stöhnen zu hören. Sie kam auf ihn zu und drückte ihn mit ihrem Gewicht auf das Sofa. Sie lag auf ihm. Sie wollte das, was sie bereits zweimal für sehr gut befunden hatte.

Heiß ... innig ... liebevoll ... erotisch ... saugend ... fordernd ... leckend ... stoßend ... feucht ... abwartend – beendend. Ein Beben ihrer Körper waren die Nachwirkungen dieses lang andauernden Kusses. Sie ließ einige Sekunden danach noch ihre Zunge um ihren Mund kreisen. Nahe an seinem Gesicht. Tief war sie in ihn gedrungen; sehr tief und innig erforschte sie seinen Mund. Er schmeckte gut.

Donna rutschte von Tom herunter und setzte sich wieder aufs Sofa. Ihre nackten Füße glitten in ihre Pumps. »Ich geh dann mal ins Bett«, sagte sie.

Toms Augen wurden größer. Er dachte kurz nach.

Das wird das Beste sein, sonst passiert in der ersten Nacht bereits das, was er niemals so früh machen wollte.

»Tatsächlich? Einfach so, jetzt?«

»Ja. Warum?«

»Nur so«, sagt er beiläufig, »dann wünsche ich dir eine gute Nacht, Donna.«

Sie stolzierte wie eine Elfe die Treppe zum Schlafzimmer hinauf. Ihr Po wackelt wie eine süße Frucht. Tom holte die Decke, die er zuvor neben das Sofa auf den Boden gelegt hatte, nun zu sich hoch. Er schlief auf dem Sofa, wie er das zuvor gedacht hatte. Der Gast schlief in seinem Bett; das war selbstverständlich.

Ein letztes Klacken ihrer Pumps war zu vernehmen. Sie war in seinem Schlafzimmer angelangt.

Tom rief hoch, dass er auch schlafen gehe. Er schlafe hier unten auf dem Sofa, rief er in die Stille des Raumes. Die CD spielte nicht mehr. Im Kamin war nur noch Glut zu sehen.

»Gefällt es dir da unten so gut?«, rief Donna von oben herunter.

Tom überlegte. War das eine Falle?

»Eigentlich nicht. Aber ich dachte ...« Er ging zur Treppe, so dass er nicht mehr schreien musste. Er sah sie nicht mehr. Sie musste bereits im Himmelbett ihren betörenden Duft im Bettzeug hinterlassen haben. Als Teenager würde er das Bettzeug nie wieder waschen. Doch aus diesem Alter war er raus. Aber einige Tage nach Donnas Abreise würde er sie noch neben sich wähnen. Eng von ihr umschlungen, sobald er sich in die Bettdecke wickelte.

»Ich finde, das Bett ist groß genug für zwei.«

Sie hatte nicht Unrecht.

»Wenn ich dich nicht weiter störe, dann kannst Du hochkommen und bei mir schlafen.«

War sagte Sie da? Sie – mich – stören.

»Wenn es dir nichts ausmacht, gerne.«

 

»Hol‘ dir lieber deine eigene Decke, denn wenn ich diese in Beschlag habe, dann gebe ich sie nicht wieder her«, sagte Donna äußerst liebreizend.

Tom holte sich aus dem Schrank eine quietschgelbe Baumwolldecke hervor, die er sonst zum Picknicken mitnahm. Sie war frisch gewaschen und duftete nach einem Gemisch vieler Baumarten. Der Duft von Vermont!

Er legte sich neben sie und ließ einen solch gebührenden Abstand, dass er beinahe aus dem Bett gefallen wäre.

Donnas erste Worte waren, dass ihr immer noch die Füße von den Schuhen wehtaten. Danach schwieg sie wieder.

Die Decken waren ungerecht verteilt. Sie hatte alleine eine Decke, unter die bequem zwei gepasst hätten, und er streifte eine schon oft gewaschene Picknickdecke über den Körper. Donna zeigte eine Schwäche, sie fror.

»Tom, jetzt ist mir kalt. Wenn du vielleicht den Kamin noch etwas ...« Sie blickte ihm sehr tief in die Augen.

»Für dich würde ich auch einen ganzen Landfleck mit einem Vulkan darauf erobern, damit dir warm wird.« Tom schmunzelte, stand auf, ging hinunter ins Wohnzimmer und legte zu den glühenden Scheiten nochmals frische dazu. Das Feuer knisterte wieder. Er schloss auch das Fenster in der Küche, welches noch gekippt war.

 

Er lag wieder neben ihr, und war so aufgeregt, dass er nicht einschlafen konnte. In dieser Nacht wäre der Schlaf eine Strafe, denn wenn er Donna ansah, war das ein Gefühl von Geborgenheit. Vor gut zwölf Stunden stieg sie aus ihrem silberfarbenen Ford und behandelte ihn zu Anfang wie einen Fremden. Und nun! An diesem Tag hatte sich vieles verändert.

Im Schlafzimmer spendete nur noch eine ballonartig anmutende weiße Keramiklampe auf dem Nachttisch Licht.

Tom rutschte zu Donna und beugte sich über sie. Sie sah zu ihm auf. Er wollte ihr einen Kuss geben. Sie drehte sich weg.

»Ich will schlafen«, sagte sie nur.

Er wunderte sich, versuchte es aber noch dreimal – vergebens. Tom wollte wieder zu seinem Teil vom Bett zurück, als Donna ihn stürmisch auf das Kopfkissen drückt und ihre Zunge in seinen Mund eindringen ließ. Sie schmeckte so gut.

»So, jetzt ist gut. Jetzt schlafen wir!« Donna sprach ein Machtwort.

Er hatte bekommen, was er wollte, einen einzigen Gute-Nacht-Kuss. Wie lange war es her, als er solch einen aus Liebe geschenkt bekam? Sehr lange.

Miteinander zu schlafen – in der ersten Nacht – wäre der größte Fehler. Daher ließen sie es.  Sie waren sich seelisch so nahe, dieses Gefühl übertraf alles. Sex rückte da in den Hintergrund.

Er sah sie weiter an. Sie lag mit dem Rücken zu ihm, halb aufgedeckt, aber das reichte ihm. Ihm kam es vor, als ob er in einem Museum ein wertvolles Kunstwerk betrachtete. Egal was man sah, wenn man nur einen Blick auf das seltene Stück erhaschte. Donna war ein seltenes Stück. Ein Unikat, in das er sich verliebt hatte. Schmetterlinge zogen überall ihre Runden. Er war glücklich wie nie zuvor in seinem Leben. Er hatte hier und heute sein Gegenstück gefunden, nachdem er einunddreißig Jahre hatte suchen müssen.

»Tut mir leid, Tom, dass ich jetzt so schüchtern bin, aber das bin nun mal Ich«, sagte sie für ihn überraschend und drehte sich zu ihm um.

»Das verstehe ich doch, Donna. Mach dir keine Gedanken darüber. Ich mag dich so, wie du bist.«

»Machst du bitte das Licht aus.« 

»Ich will dich noch ein bisschen ansehen. Du bist ungeschminkt genauso schön wie mit der Verzierung im Gesicht.«

»Danke, Tom, aber schalte bitte trotzdem das Licht aus, es ist drei Uhr durch.« Sie drehte sich von ihm weg.

Das Dunkel der Nacht würde alles Schöne ertränken.

Er drehte ihr auch den Rücken zu und schaltete die Nachttischlampe aus. Fünf Minuten vergingen, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Er sah schemenhaft, wie durch eine getönte Sonnenbrille blickend, die Umrisse ihres Körpers, nachdem er sich ihr wieder zugewandt hatte. Zwanzig Minuten vergingen.

»Schläfst du schon?«, flüsterte er.

Er bekam keine Antwort.

»Schläfst du schon?«, wiederholte er seine Frage.

»Nein!«, sagte sie zornig.

Sie drehte sich wieder zu ihm, kam ihm näher, hob die Decke etwas und schlug ein Bein um seinen Unterleib. Seine innere Ruhe war auf einen Schlag weg. Ihre Gesichter kamen sich näher. Sie küsste ihn zart, beißend und liebevoll. Er küsste mehrere Stellen ihres Gesichts. Die Nase, die Augen, die Stirn. Das erste Mal fuhr er mit seinen Händen durch ihre Rastalocken. Ein unbeschreibliches Tastvergnügen. Seine Hände suchten automatisch ihren Körper. Sie war warm und weich. Er streichelte die Arme, den Bauch und Rücken. Sie atmete schneller.

Donna konnte sich nicht weiter bändigen und streichelte jede Stelle seines Oberkörpers. Sie fühlte sich bei ihm so aufgehoben, so lieb behandelt, so verstanden.

Tom zog sein Shirt aus. Alles geschah einfach ohne weitere Gedanken. Als sein Oberkörper nackt war, umschlang ihn Donna mit ihrem ganzen Körper. Sie stieß ihre Bettdecke weg. Er sah ihre Umrisse. Die nachtblaue Dunkelheit raubte ihm weitere, detaillierte Ansichten. Seine Decke hatte sich irgendwo verhakt. Er versuchte sie mit den Beinen wegzuziehen. Der Moment setzte alle Sinne außer Gefecht. Er glitt mit den Händen über ihre Brüste. Sie öffnete den Mund und versuchte zu sprechen, konnte aber nicht. In Windeseile streifte sie ihr seidenes Nachhemd über den Kopf.

»Bitte Tom, ich möchte mit dir schlafen«, haucht sie zart.

Er begriff erst einige Sekunden später was sie gesagt hatte. Sie bat ihn, mit ihr zu schlafen! Soweit wollte er es doch nicht kommen lassen. Nicht am ersten Tag. Nicht in der ersten Nacht. Es durfte nicht passieren. Nein. Nein. Nein!

»Ja, Donna, aber ...«

Er kam im ersten Atemzug nicht dazu seinen Satz auszusprechen.

»Was?« Sie atmete schnell.

»Ich habe keinen Schutz, das wäre doch unklug von uns.«

»Was soll das heißen?«, stach sie ihn an, und sah auf ihn herab.

Ich will mit ihm schlafen, und er, er denkt an Schutz.

Er wollte kein böses Blut. »Ja, Donna. Ich will auch!«

Sie fuhr mit den Händen über seinen Oberkörper entlang bis hinunter zum Po. Sie streifte ihm die Short vom Körper. Gleichzeitig küsste sie ihn und knetete mit der anderen Hand seine Brustmuskulatur. Sie verstand es, ihre Waffen gleichzeitig einzusetzen.

Er war nackt, und wusste nicht, wie es geschehen war. Durch eine kurze Drehung von ihr auf ihm, um ihren Slip abzustreifen, erkannte er eine acht Zentimeter lange Narbe unter ihrer rechten Brust. Er konnte in diesen Sekunden nicht mehr denken als: Misshandlung! Donna, du gepeinigte und verletzte Seele.

Sie streichelte ihn dort, wo es ihn am meisten stimulierte. Das Feuer der Nacht war kurz vor ihrem Höhepunkt.

»Bitte ... Tom ... komm ... komm in mich!«

Ihre nackten Körper rieben sich aneinander. Schweiß floss aus ihren Poren. Er vermischte sich zu einer einmaligen Essenz. Die Essenz dieser Nacht.

J. F. K. und Nixon lagen neben dem Himmelbett und schnurrten. Sie vernahmen vom Bett über ihnen nur noch leises Stöhnen.

Tom strömte in den fünf Sekunden, seit er und Donna sich verbunden hatten, viele Gedanken durch den Kopf. Vielleicht zu viele.

Ich kenne sie doch erst seit heute Nachmittag. Genau genommen weiß ich in dieser intimen Sache von ihr noch überhaupt nichts. Sie sprach immer so angeregt von ihrer Tochter. Was, wenn sie sich nur ein zweites Kind wünscht? Und ich, ich soll der Vater sein. Ja, aber doch nicht jetzt. In der ersten Nacht. Lass uns doch erst noch besser kennen lernen, Donna, und uns noch mehr ineinander verlieben.

Oder, war es ein Test? Wollte sie mich nur testen, ob ich auch nur das eine von ihr wollte. Nur Sex. Sie hatte bereits viele Bettgesellen, und stieß sie alle weg. Was, wenn sie das mit mir nun auch machte, nur weil ich ihr in der ersten Nacht verfallen bin. Ich bin doch nicht so. Sie hatte die zehnfache Anzahl an männlichen Sexualpartner als ich an weiblichen.

Oder, was das Ende bedeuten könnte, sie hat AIDS. War alles nur Show am heutigen Tage, um mir den Tod weiterzureichen, weil ihr so viel Leid im Leben zugefügt wurde. Alle sollten nun mit in den Tod gerissen werden, die in sie kamen. Dann wäre es jetzt schon sehr spät. Tom, warum bist du nur so schwach gewesen? Nein, du hast immer noch die Chance, ihr zu beweisen, dass du anders bist wie alle anderen in ihrem Leben. Du kannst ihr nun beweisen, dass du sie sehr gerne hast und nicht nur Sex von ihr willst. Du kannst sie im Arm halten und sie deine Nähe spüren lassen. Nicht nur Sex. In drei Sekunden ist mein Testament für diesen Abend unterschrieben, ich habe noch die Chance alles herumzureißen.

»Donna, ich kann nicht!«

Er umarmte sie und verließ ihre Mitte.

»Was soll das jetzt?«, maulte sie ihn an.

»Lass uns doch schützen, okay?«

»Wieso?«

»Ich kann einfach nicht ...«

»Du kannst nicht? Bist du verrückt! Ich will dich, und du willst mich nicht. Ich dachte, du willst mein Ganzes.«

»Will ich doch auch, Donna, aber wir können uns doch schützen.« Er klang verzweifelt.

Sie wurde immer lauter. »Bist du verrückt? Ich will dich so, und du mich nicht. Noch nie wurde ich so gedemütigt!«

Sie drehte sich von ihm weg, zog sich zusammen wie ein Igel, schnappte sich die Bettdecke, ihren Slip und ihr Nachthemd. Es dauerte keine zehn Sekunden bis er ein erstes Schluchzen vernahm.

Er drehte sich von ihr weg, und dachte nach.

Sie kann doch jetzt nicht weinen. Ich hab‘ ihr doch nichts getan. Ich wollte ... Ich wollte ... Du denkst, du tust Gutes, dass sie dich in einem besseren Licht sieht, und was kommt dabei heraus? Eine weinende Schönheit.

Er konnte keine Frau weinen sehen. Dafür war er zu sensibel. Er musste vorsichtig sein, nicht selbst Tränen zu vergießen, aus dem Inneren seiner Seele. Ihm tat alles so leid. Er wollte doch nur ...

Er drehte sich ihr zu, und legte die Hand auf ihre Schulter.

»Lass mich in Ruhe!«

»Bitte, Donna.«

»Berühre mich nicht! Nie mehr!«

»Was soll das jetzt, bitte. Donna, ich habe doch kein Verbrechen gegenüber dir begangen.«

Ihr Weinen wurde lauter und intensiver. Sie wischte sich die Tränen mit der Bettdecke ab. Er drehte sich schnell zum Nachttisch um und nahm aus der oberen Schublade Taschentücher und reichte sie ihr. Er schaltete die Lampe an.

»Du wolltest mich nicht. Du magst mich überhaupt nicht«, schluchzt sie. Sie schneuzte sich. Jede Minute benötigte sie ein neues Taschentuch. Ihre Tränen nahmen lange kein Ende.

»Das stimmt doch nicht, Donna. Ich mag dich sehr.«

»Deswegen stößt du mich auch weg, ja. Lass mich in Ruhe!«

Er versuchte nochmals seine Hand auf ihren bedeckten Oberkörper zu legen, um sie zu streicheln, ihr nahe zu sein und um sie zu beruhigen. Ihr zu zeigen, dass er sie sehr mochte. Ihr sein Herz zu geben. Ihr vielleicht alles geben.

Sie stieß mit den Ellenbogen um sich.

»Berühre mich nie mehr! Ich hasse dich. Ich gehe ins Wohnzimmer schlafen.«

»Das kannst du doch nicht machen.«

Er versuchte erneut die Hand auf ihre Schulter zu legen.

»Lass – mich – in – Ruhe!«, schrie sie zwischen dem Tränenfluss hervor, und schlug mit ihren Fäusten um sich. Sie traf Tom knapp unterhalb des linken Auges. Er drehte schnell den Kopf weg, hielt sich das pochende Auge mit einer Hand zu und versuchte so dem Schmerz die Luft zum Atmen zu nehmen.

Donna schlug die Bettdecke weg und machte erste Anstalten aufzustehen. Sie lag zur Wand hin und rutschte nach unten.

»Halt!« Er umklammerte, trotz seines heftigen Schmerzes am Auge, ihren Oberkörper und drückte sie ganz nah an sich. Er streichelt über ihre Rastalocken und wischt ihr, mit seinem Shirt, das er wieder übergestreift hatte, eine Träne nach der anderen aus ihrem Gesicht.

Tom sprach nun die Worte, die er am ersten Tag vermeiden wollte. »Ich hab‘ mich doch in dich verliebt, Donna. So, jetzt ist es raus. Ich will dich nicht wegzustoßen. Glaube mir bitte.«

»Warum machst du es dann?«

»Ich hab‘ doch nur gesagt mit ...«

»Interessiert mich nicht.«

»Brauchst du noch ein Taschentuch?«

Sie schniefte weiter. »Ja.«

Welchen Gedanken von vorhin konnte er nun in Worte fassen, um ihr seine Bedenken verständlich zu machen. 

»Meine vorletzte Freundin, Tracy, wollte mir einreden, dass sie ein Kind von mir bekommt. Sie meinte, sie ist so weit, und ging zum Frauenarzt.«

»Und?«

»Es war Nichts.«

»Na siehst du.«

»Aber das hat sich in meinem Gehirn eingeprägt. Verstehe mich doch auch ein wenig, bitte.«

Tom hielt die weinende Donna weiter im Arm. Sie nahm gerade das achte Taschentuch.

»Ich kann nicht mehr. Ich bin so leer«, flüsterte sie, »mein Körper ist so schwach.«

»Rede, Donna. Lass es raus.«

Sie zögerte. Es war deutlich spürbar. Doch dann brach es aus ihr heraus. Der Satz, der nun folgte, kam tief aus ihrem Inneren. Sie würde ihn nie, nie wieder sagen. Kein Mensch würde diesen einen Satz jemals wieder zu hören bekommen. Die Wahrheit. Ihr Gefühl, dass ihren Verstand nicht besiegen konnte.

 

»Tom, ich war endlich von zuhause weg. Endlich raus aus der Hölle. Dann lernte ich Maurice kennen. Ich mochte ihn zu Anfang, aber warum musste er mir, in meiner neu gewonnen Freiheit, die ich das erste Mal in meinem Leben genießen konnte, ein Kind aufhalsen. So sehr ich Julia liebe, sie nahm mir meine Freiheit. Meine Luft zum Atmen. Mein Ich.«

Es war gesagt, einmal. Niemals wieder würden solch Worte über Donnas Lippen kommen. Ihre wahren Gefühle. So sehr sie ihre Tochter liebte und praktisch nur für sie lebte, so sehr belastete sie ihr eigenes Leben. Doch für Julia würde sie ihr Leben geben. Jetzt, und in Zukunft. Ihre wahren Träume, Gefühle und Sehnsüchte waren bereits bei Julias Geburt abgestorben.

»Ach, Donna. Du kannst dein Leben doch leben und für Julia trotzdem eine gute Mutter sein.«

»Nein! Nein! Nein! Ich liebe Julia. Julia ist mein Ein und Alles. Sie hält mich am Leben. Ohne sie wäre ich bereits tot. Unter der Erde, verstehst du das, Tom.«

Es hörte sich an, als ob sie diese Worte niemals zuvor ausgesprochen hatte. Zu ihm sprach nicht die Donna, die in seinen Armen lag, sondern die, die gestorben war, als Julia das Licht der Welt erblickte.

Sie erzählte ihm weiter von den Misshandlungen ihrer Mutter. Im Alter von sechzehn war sie bis auf dreißig Kilogramm abgemagert. Sie kam ins Krankenhaus und wäre beinahe gestorben, wenn sie nur einen Tag später eingeliefert worden wäre. In einer halbjährigen Kur musste sie das Essen erst wieder neu erlernen. Ihr Körper tat sich schwer, auch nur das kleinste Stück Nahrung bei sich zu behalten.

Tom fing an zu zittern. »Donna, das ist grausam. Du bist so eine verdammt starke Frau. Dir kann niemand das Wasser reichen. Lebe doch dein Leben, jetzt. Bitte tu‘ es, bevor du noch tiefer in Depressionen versinkst. Du hast so viele Träume und ein unverschämtes Können auf so vielen Ebenen des Lebens, bitte wirf das jetzt, mit vierunddreißig, nicht einfach so weg.«

»Du verstehst nichts, Tom. Julia. Mein Leben ist Julia. Du verstehst nichts ...«

Sie boxte ihn in die Seite. Ihm tat immer noch sein Auge weh. Er sah ein, dass er ihr nicht weiter einreden konnte, wie talentiert sie ist. Wenn sie es nicht wollte, was hatte es dann für einen Sinn? Er versuchte, das alles jetzt hinter sich zu lassen, und ein anderes Thema aufzugreifen.

»Brauchst du noch Taschentücher?«

Donna hatte alle aufgebraucht. Im Bett sah es aus, als ob dort große Hagelkörner eingeschlagen waren.

»Ja, bitte.«

»Gut, dass ich einen großen Vorrat habe, da ich ja auch so viel weine«, sagte er schmunzelnd.

Sie rutschte wieder hoch, weit weg von ihm, auf die andere Seite des Bettes. Im schwachen Schein der Nachttischlampe, dachte er, ein schwaches Lächeln über ihr aufgelöstes Gesicht huschen zu sehen.

Er reichte ihr eine neue Packung Taschentücher.

»Lass mich jetzt in Ruhe. Ich will schlafen.«

»Komm, ich hab‘ dich doch so gern.«

»Du bist ein dummer Hund«, sagte Donna und zog dann verspielt ihre Lippen nach oben.

»Und du dann wohl ein blödes Schaf.«

»Hey, das kannst du doch nicht zu mir sagen.«

»Du siehst doch, dass es geht.«

»Du bist ein Idiot, weißt du das?«

Sie lächelte. Donna lächelte tatsächlich wieder.  

Wenn sie nach diesen eineinhalb Stunden wieder lachte, dann konnte sie sagen was sie wollte, dachte er.

»Ich bin glücklicher, wenn du lachst.«

Er hatte den heutigen Tag vor eineinhalb Stunden abgehakt. Sie würde um acht aufstehen und mit ihrem gemieteten Ford zurück nach Boston fahren. Nie wieder von sich hören lassen, und Tom hätte nicht einmal gewusst warum. Doch nun lachte sie wieder.

»Mir geht es etwas besser. Lass mich aber jetzt bitte schlafen.«

Er wollte ihren Arm greifen, aber sie zog ihn weg, dann schmiegte er sich in seine Picknickdecke. Sie rollte sich in die große Bettdecke ein.

 

Tom dachte intensiv nach, was er Schlimmes getan hatte.

Muss ich mir das antun? Ich wollte etwas richtig machen und machte es in ihren Augen komplett falsch. Ich wusste, warum ich für einige Jahre keine Beziehungen mehr wollte. Das macht mich fertig, den anderen zu gern zu haben oder sogar, noch intensiver, zu lieben, und falsch verstanden zu werden. Ich hatte das bereits zu oft durchgemacht, warum musste Donna das nur falsch verstehen?

Er sah auf die untrüglichen Quarzziffern des Weckers. Es leuchtete 5 Uhr 07 auf. Er hatte in dieser Nacht noch keine Sekunde geschlafen und nun war er zu aufgewühlt um einschlafen zu können.

Er schaltete die Nachttischlampe aus und Dunkelheit überzog den Raum. Einige Minuten war Ruhe, bis J. F. K. und Nixon sich gegenseitig fangen wollten. Der Krach ließ Donna hochschrecken.

»Ich bete, dass die beiden endlich ruhig sind.«

»Verzeih ihnen, Donna. Ich hör‘ die schon nicht mehr.«

Donna wirkte weiter aufgelöst und nervös, als sie die Geräusche noch einige Minuten mit anhören musste. Tom drehte sich zu ihr und betrachtete ihren Rücken. Sie sah ihn nicht an. Nie mehr?

Es vergingen unruhige Stunden die weder dem Wachsein noch dem Schlaf nahe kamen. Er schwebte zwischen den Sphären.

Blätter treiben im Wind
titlepage.xhtml
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_000.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_001.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_002.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_003.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_004.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_005.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_006.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_007.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_008.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_009.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_010.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_011.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_012.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_013.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_014.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_015.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_016.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_017.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_018.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_019.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_020.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_021.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_022.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_023.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_024.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_025.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_026.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_027.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_028.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_029.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_030.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_031.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_032.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_033.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_034.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_035.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_036.html
CR!NRVWKE5S754WK4ERSWP8J1FJ7CDX_split_037.html