Kapitel 13

 

 

Die Stunden bis zu Donnas Ankunft wollten einfach nicht verstreichen. Es war üblich – auch in fast allen Liebesromanen stand es so geschrieben. Die erste Verabredung, und das Warten auf den anderen, war eine ernst zu nehmende Gefahr für die eigene Gesundheit. Eine dauerhafte Anspannung, wie an solchen Tagen, würde einen in Kürze zum Herzinfarktpatienten machen.

Zwei Stunden war Tom heute Morgen mit Shawn im Tal des Woodbury Mountain gelaufen. Beide fuhren mit Shawns Pickup zu dem fünfzehn Meilen entfernten Berg. Es war eine schöne Strecke zum Laufen. Nichts, außer einem ausgewachsenen Bären, lief ihnen über den Weg. Der war aber zu sehr mit Fressen beschäftigt um sie zu bemerken.

Tom hatte sich danach länger unter die Dusche gestellt. Die Erfrischung tat gut. Die restlichen Stunden verbrachte er auf der Veranda. Er genoss die Sonne, die es heute gut mit ihm und Donna meinte. Nichts würde diesen Tag trüben können. Im Hintergrund liefen leidenschaftliche Songs. Die passende Einstimmung auf diesen Tag.

Er sah auf seine Armbanduhr. Es war zehn nach drei. Sie hatte sich verspätet. Hoffentlich war nichts passiert. Die Dorfbewohner sahen ihn mit schrägen Blicken an, da er komplett in Schwarz einen perfekten Eindruck hinterließ. Aber nicht für Mackville. Er wirkte auf dem trockenen Sandboden wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Die aus Mackville, sie waren die wahren Erdenbewohner, aber nicht er, solch Geschichten erzählten die Gesichter, die an ihm vorüberschritten.   

Tom hatte sich die letzten Tage immer überlegt und in Zeitschriften nachgesehen, wie Donnas Größe und Gewicht in Natur aussehen könnte. Das Foto, das sie ihm geschickt hatte, lies das nicht erkennen. Knapp über einen Meter fünfzig und dazu nur dreiundvierzig Kilo. Musste er vorsichtig sein, sie zu berühren? Das hatte er schnell wieder vergessen. Sie war solch eine wunderbare Frau mit einer unermesslichen Tiefe in all ihrem Tun, das alles andere keine Rolle mehr spielte. Er musste sich mit irgendwelchen Gedanken einfach die Zeit vertreiben. Und an Donna zu denken, egal was, war eine ausgefüllte, keine wertlos verloren gegangene Zeit. Tom flog bei diesen Gedanken ein Lächeln übers Gesicht.

Es war fünfzehn Minuten nach drei. Wo war sie nur?

Kurz darauf bog ein Fahrzeug mit keinem Vermonter Nummernschild von der Carry Road in Richtung Mackville. Tom sah es schon über eine weite Entfernung. Das Warten neben dem Druckstore könnte jetzt endlich ein Ende haben. Endlich!

Es war ein silberfarbener Ford, der nach Mackville abgebogen war. Er passierte die typisch weiße Holzkirche und ein paar farbig gestrichene Familienhäuser. Es waren nur noch Sekunden. Tom wischte mit der Sohle seiner frisch geputzten Schuhe über den trockenen Untergrund. Rund herum strahlte alles und er stand auf dem einzigen Fleck, der braun war. Der Ford wurde langsamer. Tom winkte der vermeintlichen Fahrerin. Er konnte sie hinter den getönten Scheiben nicht erkennen. Er formte mit dem Mund T – O – M. Sie hatte verstanden. Sie folgte seinen Anweisungen und stellte den Wagen neben dem Druckstore ab.

Toms Hände schwitzten und auch sonst war sein Körper ein einziges Lagerfeuer. Sein Magen schmerzte vor Anspannung.

Er ging auf die Fahrertür des Ford zu und öffnete sie. Er zitterte bei dieser Bewegung. Der Moment war gekommen. Wie würde sie aussehen?

 

Auch Donna hatte die Farbe Schwarz gewählt. Sie trug eine hautenge Hose und ein passendes bauchfreies Top. Auf dem Beifahrersitz lag eine Lederjacke.

Sie war barfuss Auto gefahren. Nun zog sie sich schwarze Pumps an und stieg aus.

»So siehst du also aus«, sagte Donna streng.

»Ja«, gab Tom mit einem fragenden Unterton in der Stimme zur Antwort.

»Gefällt mir, was ich sehe!«

Tom ließ die Luft aus seinen Mund entweichen. Ein nettes Wort – von ihr. Der Frau, von der er jetzt noch viel schneller alles erfahren wollte, um die Fäden der Liebe weiterzuspinnen.

Donnas Rastalocken glichen goldenen Samtkordeln. Sie benutzte eine schwarze Sonnenbrille als Haarreif. Ihre Haut war rein und seidenbraun. Sie hatte wenig Make-up aufgetragen. Ihr dezenter, purpur glitzernder Lippenstift lud ein, ihr einen Kuss zu geben. Und sie hatte perfekt manikürte lange Fingernägel.

Tom durchfuhr ein komisches Gefühl. Er trug ordentliche Kleidung und auch seine nackenlangen Haare hatte er perfekt frisiert, doch neben Donna fühlte er sich plötzlich so unattraktiv. Donna verkörperte ein erotisches Energiebündel mit dem Herz einer Nonne und dem Aussehen eines charismatischen Hollywoodstars. Wie kann sich so viel nur in einer Person vereinen?

Donna nahm ihre Lederjacke und ihr Sporttasche aus dem Ford und sperrte ihn ab.

»Lass uns zu meinem Auto gehen. Es ist nur drei Häuser weiter. Mit dem fahren wir dann zu meinem Haus«, sagte Tom.

»Wie weit weg wohnst du? «

»Nur drei Meilen, aber ich will nicht, dass wir die mit deinem Gepäck zu Fuß gehen.«

»Gute Entscheidung«, antworte Donna mit etwas respektlosem Unterton in der Stimme.

Bis jetzt passt sie sich dem schmalen Vermonter Wortschatz an. War sie etwa so aufgeregt wie er? Sicher doch, nur sah man es ihr nicht an.

Die Bewohner von Mackville trauten ihren Augen nicht. Es waren nur einige Meter bis zu Toms roter Viper. Ein Überbleibsel aus seinen Washingtoner Tagen. Damals benötigte er ein Auto, das etwas aussagte. Eine rote Viper sagte etwas aus. Die Mackviller waren schon geschockt genug von Toms Auto und ihm selbst. Aber jetzt auch noch diese Frau. Was war in ihrem ansonst so ruhigen Ort nur los?

»Wow, eine Viper«, sagte Donna nachdem Tom die Garage geöffnet hatte.

Er ließ sein Auto im Dorf, da er keine Garage an seinem Haus mit angebaut hatte. Und für was benötigt er hier ein Auto, fragte er sich nach seinem ersten Tag in Vermont.

»Gefällt sie dir?«

»Gefallen? Ein Auto, das Kurven hat wie Marilyn Monroe und den Sexappel einer Sharon Stone in Basic Instinct soll mir nur gefallen? Alleine schon vom Hinsehen bekomme ich weiche Knie«, schwärmte Donna.

»So habe ich das bisher noch nicht gesehen, Donna. Interessante Ausführung.«

Beide waren sehr zurückhaltend, fast schüchtern. Es war plötzlich alles anders. Sie sprachen zum anderen bisher nur in Briefen und nun standen sie sich in Fleisch und Blut gegenüber. Die fünfundzwanzig Stunden hatten erst begonnen.

Donna war die kurze Strecke zu Toms Haus sehr still gewesen. Tom hatte die schlimmsten Befürchtungen. Gefalle ich ihr doch nicht? Habe ich bisher etwas Falsches gesagt? Roch ich nach dem falschen Duft? Was war es, das Donna so schweigen ließ?

»Gleich sind wir da. Nur noch den kurzen Teerweg entlang.«

Donna nickte nur.  

»Voilà!«, sagte Tom.

»Voilà tout?«, fragte Donna.

Französisch beherrschte sie auch noch.

»Eigentlich, ja.«

»Das war ein Scherz, Tom.«

Tom lächelte.

Tom wollte Donnas Tasche nehmen und sie ins Haus tragen.

»Das schaffe ich schon alleine«, sagte sie mit spitzer Stimme. »Danke!«

Tom wurde immer mulmiger. War der Tag schon zu Ende, bevor er begann? Es sah fast so aus. Wenn Donna weiterhin so wenig sprach, dann würde das Treffen das erste und wahrscheinlich letzte bleiben. Tom ging vor und sperrte die Tür auf. Mit ein paar Schritten standen sie im Wohnzimmer neben dem Sofa.

Donna fand seine ländliche Einrichtung, gemischt mit modernen Möbelstücken aus Washington, D.C. sehr interessant. Das hier erinnerte sie etwas an die Farm ihres Onkels. Ihre Mietwohnung in Boston hatte leider nicht diesen besonderen Glanz.

»Hier wohnst du also.«

»Ja.«

»Darf ich den Rest des Hauses auch sehen?«

Tom ging voraus und zeigte ihr die Küche und das Bad. Dort stellte Donna ihre Tasche ab. Dann gingen sie nach oben, dort zeigte Tom Donna dann noch sein Schlafzimmer. Das Himmelbett gefiel ihr besonders.

Zurück im Wohnzimmer hatte Tom auf einem Holzstuhl und Donna auf dem Sofa Platz genommen. Beide sahen sich seit Minuten an und keiner sagte etwas. Zuvor redete Tom am Stück und versuchte ein Gespräch in Gang zu bringen. Doch Donna erwiderte immer nur kurze Sätze.

»Du siehst sehr hübsch aus«, sagte Tom mit einem besonders liebevollen Lächeln.

»Danke. « Donna legte dabei ihre Stirn in Falten.

»Warum warst du vorhin im Wagen so still?«

»Darüber möchte ich nicht sprechen«, wimmelte Donna ab.

»Warum? So schlimm?«

»Ich will darüber nicht sprechen!«

»Okay. Okay.«

Wer saß mir hier gegenüber, dachte Tom. War das wirklich die Frau, die ihm die Briefe geschrieben und mit der er gestern über zwei Stunden angeregt telefoniert hatte? Es war schwer zu glauben.

»Gefällt dir die Umgebung?«, fragte Tom und wartete kurz. »Und Mackville, wie findest du das?«

»Ich finde es toll hier.« Donna fuhr sich mit den Händen durch ihre Rastalocken.

»Ja, das hier ist einer der schönsten Flecken, die ich jemals gesehen habe. Was machen wir jetzt? «, fragte Tom.

»Das liegt bei dir. Du bist hier zuhause. Wenn du bei mir zu Besuch wärst, dann könnte ich dir sagen, wohin wir jetzt gehen würden.«

Ihrer Stimme und Gesten nach zu urteilen schien sie ihr Treffen als einen lästigen Job anzusehen.

»Gut, dann würde ich sagen, brechen wir gleich nach Hardwick auf.«

»Okay.«

Es tauchten unverhofft, aber sehnlichst erwartet, Toms Katzen auf. Donna sah den weißen und den schwarzen Wollknäuel auf sich zukommen.

»Das sind meine beiden Mitbewohner. J. F. K. und Nixon«, sagte Tom erleichtert, als sie die Treppe herunterkamen. Vielleicht würde Donna nun etwas gelöster werden.

Donna huschte, so glaubte es Tom zu erkennen, ein Lächeln übers Gesicht. Sie streichelte die Katzen einige Minuten.

»Witzige Namen für Katzen.«

»Ich habe bei Moffit’s einen Tisch für acht Uhr dreißig reservieren lassen. Zuvor können wir noch in der sehr schönen Stadt spazieren gehen. Und ein tolles Café wartet auch auf uns. Das Hemingway’s.«

»Dann nichts wie los!«

Donna sprühte plötzlich vor Energie.

Was war passiert?

 

Die Fahrt war wieder sehr ruhig. Donna schwieg. Tom erzählte. Was Tom leicht beunruhigte, aber zugleich irgendwie erregt stimmte, war, dass Donna ihn ständig ansah. Sie sah ihn einige Minuten an, dann sah sie einige Minuten wieder dem Indian Summer entgegen. Das ging die ganze Fahrt über so. Einige Details über die Viper und die Musik die Tom auf CD abspielte waren ihre einzigen Gesprächsbeiträge. Tom hatte sich mittlerweile darauf eingestellt. Wenn sie nicht reden wollte, dann rede eben ich.

Sie waren kurz vor Hardwick auf der Staatsstraße 14.

»Warum lachst du so?«, fragte er sie.

»Lass mich doch. Ich finde dich einfach süß!«

Sie findet mich süß? Wie? Was hab‘ ich gesagt?

»Das ist lieb von dir. Ich könnte dich jetzt ...«

»Was? Ich habe dir gestern am Telefon schon gesagt, dass ich keine unvollendeten Sätze ausstehen kann.«

»Entschuldige. Ich könnte dich jetzt einfach nur umarmen, für diesen Satz.«

Donna schenkte Tom nur ein Lächeln.

Blätter treiben im Wind
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