Kapitel 25

 

 

Tom musste raus in die Natur. Heute war kein Tag um zu schreiben und zu recherchieren. Er brauchte heute die Freiheit. Er hoffte jede Minute auf Donnas Anruf, doch es passierte nichts.

Es waren nun schon siebenundsechzig Stunden vergangen, seitdem er ihr einen Klaps auf den Po gegeben hatte. Sie war in den Ford eingestiegen und hatte nicht gewunken. Der Fond des Wagens war zu dunkel, vielleicht hatte sie ihm doch noch mal ein Zeichen des Abschieds gegeben. Er glaubte es aber nicht. Was war nur mit den Rosen geschehen? Wenn sie sie bekommen hatte, dann hätte sie sich doch auch melden müssen. War ihr etwas zugestoßen? Hatte sie mit ihrer Tochter vielleicht einen Autounfall?

Oh Gott, nein, schreckte Tom auf und sah in die Wipfel eines Ahornbaumes. Er stand inmitten von Bäumen. Die Nacht war nicht so stürmisch wie die vorherige gewesen. Doch ein Regenschauer hatte die Wälder rund um Hardwick wieder kräftig getränkt. Der Waldboden war tiefer als sonst.

Shawn hatte diese Woche keine Zeit, um mit ihm weiter über die Liebe und ihre Folgen zu sprechen, da er in der Farm seines Vaters unentbehrlich war. Am Wochenende wieder, vertröstete er ihn. Er sagte auch noch, sie wird schon anrufen. Shawns Aufmunterung half Tom. Er würde sie nicht anrufen. Das wäre falsch. Er hatte Blumen sprechen lassen. Blumen der Liebe. Das sagt mehr, als jedes Wort – zumindest in diesem Moment.

Was würde Cooper wohl sagen, wenn er ihm die Geschichte seiner fünfundzwanzig schönsten Liebesstunden erzählte? Ein alter Mann mit einem solch erlebnisreichen Leben konnte ihm doch sicherlich Ratschläge mit auf dem Weg geben. Tom fühlte sich bei diesen Gedanken wie ein Teenager. Doch Donna war so ungewöhnlich, und seine Erlebnisse mit ihr auch, dass er einfach ausführlicher mit Cooper darüber sprechen wollte.

 

Tom konnte Cooper Cheetwoods Haus auf dem Hügel bereits erkennen. Einige Minuten musste er noch durch den schweren Boden stapfen. Auch Coopers letzte Worte, ihre Augen, musste er ausführlicher hinterfragen.

Cooper liebte die Ruhe, so wie er. Sicher würde er auch bei diesen kälteren Temperaturen, in einen Mantel gehüllt, auf seiner Veranda sitzen und im See Diadoras Antlitz erkennen. Cooper liebte Diadora, ein Leben lang. Er hielt seinen Schwur, den er einmal gegeben hatte, ein Leben lang. Ein Leben lang tat er alles für die Liebe und Diadora.

Tom sah den alten dunkelgrünen Honda von Dr. Ryan McGinley vor Coopers Haus stehen. Er hatte den Doc gestern in dem Restaurant, in dem er mit dem Indianer sprach, getroffen. Er grüßte ihn. Kurze Verwunderung kam bei ihm auf, woher der ihn denn kannte. Aber wer in Hardwick ein Auto besaß tankte bei Louis Gustavsson, und der zackige Haudegen einer vergangenen Generation war kein Schweiger.

Die Autoreifen des Honda hatten tiefen Spuren im Waldboden hinterlassen. Der Doc musste mit schneller Geschwindigkeit angekommen sein. Was war mit Coop?, dachte Tom schlagartig. 

Nun lief er so schnell er konnte. Er rutschte zweimal auf dem nassen Waldboden weg, bevor er endlich in Tritt kam. Die zuvor so schöne Farbe der Bäume verblasste, bei dem Gedanken daran was mit Cooper passiert sein konnte.

Tom erreichte die erste der drei Stufen, die auf die kleine Veranda vor dem Haus führten, nach einem hastigen Spurt. Er war außer Atem. Sein Herz schlug schnell. Er schwitzte. 

»Cooper!«, rief er. Er bekam keine Antwort, und rief dann den Namen des Arztes. Wieder nichts. Er wiederholte seinen Ruf nach Cooper und Dr. McGinley . Endlich bekam er eine Antwort.

»Kommen Sie herein, Tom«, vernahm er eine gedämpfte Stimme aus dem Inneren des Hauses.

Tom rannte die Stufen hinauf. Auf dem Federweiß der Veranda zeichneten sich die Abrücke von Schuhsohlen ab. Die Reinheit war befleckt worden. 

»Was … was ... ist … passiert?« Tom stand unter Schock. Er atmete schnell.

»Es steht sehr schlecht um Mr. Cheetwood.«

»Bitte, Tom, komm her«, flüsterte Cooper.

Toms Augen wurden glasig. Trauer, nicht Freude sprach diesmal aus ihnen.

Cooper lag in seinem Schlafzimmer auf dem Bett. Zaghaft hatte der Doktor die Bettdecke über seinen schwachen Körper gelegt. Coopers Gesicht war weißer als Schnee. Aus seinen Augen war der Wille des Lebens gewichen. Seine Hände zitterten. Ein erschütterndes Bild eines großen Mannes.

»Ja«, sagte Tom mit zittriger Stimme.

»Junge, du ...« Cooper hustete.

Tom sah verzweifelt Dr. McGinley an. Sein leerer Blick verhieß nichts Gutes.

»Du ... sollst das Haus hier bekommen. Der Doc soll Zeuge sein.«

McGinley nickte schnell.

»Die letzten Monate meines Lebens warst du für mich da. Hast mir ...« Er hustet wieder. Seine Augen schlossen sich.

Tom legte seine Hand auf Coopers Brust. Seine Hände zitterten immer stärker.

»Bringe diesem Ort bitte immer die Würde entgegen, die ich dir ...« Wieder hustete er. »Nur du kennst die Magie dieses Hauses.«

Cooper schloss die Augen.

»Cooper!«, schrie Tom ihn an. Er packte ihn an den schmalen Schultern. Zuerst rüttelte er ihn zaghaft, als er nicht reagierte bedeutend stärker. »Cooper, du kannst hier nicht einfach weggehen. Das Haus braucht DICH!«

Dr. McGinley legte die Hand auf Toms Schulter. Tom dreht sich schnell um. Er sah, dass McGinley den Kopf schüttelte.

»Neiiiiiiiiin!«

Tom kniete sich neben Coopers Bett. Er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Cooper war in ein anderes, friedliches Reich gewechselt. In Diadoras Reich.

Blätter treiben im Wind
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