Kapitel 15

 

 

Sie betraten das Moffit’s und ihnen wurde der reservierte Platz zugewiesen. Das Restaurant war eine feste Institution in Hardwick. Es wurde bereits in der dritten Generation geleitet. Die Wände waren alle mit dunklen Holzpaneelen verziert, auf denen landschaftliche Ölgemälde von Künstlern aus Vermont hingen.

Tom deutete auf das elegante Besitzerpaar des Moffit’s, das jeden Abend im Restaurant weilte. Er erzählte Donna, dass die beiden sehr ruhige und verschwiegene Menschen seien und dass er sie noch nie hatte lachen sehen.

Sie bestellten Getränke und das Menü bei dem zuvorkommenden Kellner.

Sie führten ihr Gespräch dort fort, wo sie es im Café Hemingway‘s beendet hatten.

»Ich hoffe, du gestattest mir die Frage, warum du dich von Julias Vater getrennt hast. In einem deiner Briefe hast du geschrieben, dass etwas Schlimmes vorgefallen war. Willst du jetzt darüber reden?« Toms Stimme klang weich und ohne Aufforderung.

»Tom, ich bin fassungslos über mich selbst. Ich erzähle dir mein Leben und kenne dich erst einige Stunden. Mein Herz schlägt schneller als sonst und ich habe solch ein instinktives Vertrauen zu dir, wie noch zu keinem Menschen zuvor. Ich wollte dir das nur sagen.«

Toms Gesicht erhellte sich mit jedem Wort von Donna mehr. Noch nie hatte eine Frau zu ihm gesagt, dass sie ein instinktives Vertrauen zu ihm habe. Nicht einmal seine große Liebe Debbi hatte das zu ihm gesagt. Er drückte einen Kuss in die Innenfläche seiner Hand und fuhr dann über ihre Hände. Ihr Lächeln wurde noch schöner, als ob ein schwarzer Vorhang gegen einen weißen ausgetauscht wurde. Es war so ein ehrliches und frisches Lächeln. Ihre Seele sprach zu ihm.

»Julias Vater, Maurice, hat mich betrogen. Ich kam nach Hause und er lag mit einer ehemaligen Freundin von mir im Bett. Ich werde diesen Anblick nie vergessen. In mir stürzte eine ganze Welt zusammen. Wir trennten uns kurze Zeit später. Er verschwand aus meinem Leben. Ab diesem Zeitpunkt war klar, wie mein Leben verlaufen würde. Ich würde alles geben, alles geben für Julia.«

Tom gab ihr Zuspruch in allem was sie noch über den Vater und über Julia selbst erzählte. Sie schilderte auch ihre vielen kurzen Beziehungen bis dann Peter kam. Der Bericht von Peter erschütterte Tom. Er dachte, Donna hatte in irgendeiner Form ein Gespür für solche Menschen, in die sie sich dann auch verliebte. Peter starb in einer Toilette mit einer Nadel in der Vene.

Ihre Stimme wurde zittrig bei diesen Erzählungen. Es folgte ein Freund, der sie immer nur versuchte klein zu kriegen, jetzt bettelt er darum nochmals eine Beziehung mit ihre beginnen zu dürfen. Ihr letzter Freund vor Dillon, dessen Geschichte sie unter den Tisch fallen ließ, war ein Psychopath. Er schrieb ihr zum Schluss nur noch verstörte Brief und griff sie in ihrem Stammclub so heftig an, dass sich Donna gewehrt hatte. Sie gab ihm zwei Boxhiebe mitten ins Gesicht und schlug ihn K.O.

»Wie bitte? K.O. Wie hast du denn das angestellt? War der kleiner als du?«, fragte Tom verblüfft.

»Er war zwanzig Zentimeter größer. Doch wenn ich in Fahrt bin, weil ich belästigt werde, dann entwickle ich ungeahnte Kräfte. Er zeigte mich daraufhin wegen Körperverletzung bei der Polizei an.«

»Er muss sich doch lächerlich vorgekommen sein, gegen dich zartes und kleines Geschöpf eine Anzeige wegen Körperverletzung zu stellen?«

»Er war ein erbärmlicher Feigling. Michelle und ich brachten ihn auch dazu, seine Anzeige zurückzuziehen, da ich ja die psychopathischen Drohbriefe von ihm hatte. Er hätte den Kürzeren gezogen.«

Tom war von Donna begeistert. Jede Minute erzählte sie ihm eine neue, unglaubliche Geschichte aus ihrem Leben. Was würde ihn in den nächsten Stunden noch alles erwarten?

Sie bekamen das Essen und die Getränke serviert und speisten in Ruhe. Aber nur einige Minuten.

 

»Wie sah dein Liebesleben aus, außer Debbi?«, fragte Donna.

»Da gab es zuvor nur noch Tracy LeBlanc. Die ersten drei Monate war es Liebe. Und die restlichen eineinhalb Jahre war es nur noch Sex, sonst nichts. Sie war eine Frau, deren Herz bei der Geburt vergessen wurde. Keine Drohbriefe! Sie verließ mich, ohne Gründe. Aber es war besser so. Doch halt, sie sagte, ich sei zu warmherzig.«

»Das war wohl das einzig Wahre, das sie jemals über dich in ihren Mund nahm.« Donnas Blicke erforderten keine weiteren Erklärungen. Sie hatte damit die Wahrheit in Worte gefasst.

»Um deiner Musikkarriere etwas entgegenzusetzen, ich war im Fernsehen. Ich spielte eine Statistenrolle in Emergency Room. Einen Mann, der mit Mode zu tun hat, was sonst.«

»Tatsächlich? Das finde ich ja toll. Ich liebe George Clooney.«

»Der ist ein guter Schauspieler und ein netter Kerl. Die Frauen sind zu verstehen, die ihn anhimmeln.«

Donnas Lippen zogen sich leicht nach oben. »Du stehst ihm aber in nichts nach. Ihr habt sogar eine gewisse Ähnlichkeit, wenn ich dich so von der Seite ansehe.« Sie beugte sich zur Seite.

»Jetzt übertreib‘ mal nicht. Donna, du bist schuld, dass ich nicht mehr essen kann. Bei deinem Anblick und deinen Worten bringe ich keinen weiteren Bissen mehr hinunter. Du wärst eine gute Diät.«

»Es gibt auch noch andere Möglichkeiten wie man Kalorien verliert«, sagte Donna mit einem Lächeln.

Tom nahm seine Hände unter den Tisch. Er konnte nicht mehr anders. Er presste seine Hände zusammen. Donnas Anblick und ihre Worte brachten ihn immer heftiger durcheinander.

Donna öffnete ihre Handtasche und zog die erste Zigarette an diesem Abend aus der Schachtel. Sie rauche sonst nicht, sagte sie, aber wenn sie aufgeregt war, dann kam die Sucht immer wieder durch.

»Stört es dich, Tom?«

»Nein. Nur zu.« Obwohl Tom kein Freund von Alkohol und Zigaretten war, freute er sich jetzt wie ein Kind. Sie war aufgeregt. Wegen ihm!

Wie sollte es anders sein. So konnte auch dieser einfache Akt, sich eine Zigarette anzuzünden, nicht normal verlaufen. Donna rollte die Zigarette kokett mit ihren Lippen und wollte gerade das Feuerzeug aus ihrer Jackentasche holen, als plötzlich der Kellner mit einem bereits brennenden Feuerzeug bereitstand und ihr Feuer gab. Doch wo war er hergekommen? Tom sah ihn nicht, Donna sah ihn nicht. Doch er war da. Was ist mit den Menschen nur los, sobald sie mit dem Donnavirus infiziert wurden? Er wurde durch die Luft übertragen. Diese Gattung war sehr, sehr gefährlich. Toms Herz hatte er bereits befallen. Schnell, viel zu schnell.

»Was gefiel dir denn bei meinen Briefen besonders?«, fragte Tom. Er ließ Donna keine Sekunde aus den Augen.

»Deine Offenheit, deine Ehrlichkeit, dein Sinn für Humor, deine romantische Ader, deine vielen Interessen, dein Aussehen, dein ... Soll ich weiter machen?«

Donna wusste wie sie jemanden mit Worten ins Grab bringen konnte. Wenn Tom jetzt in ihrer Hand gewesen wäre, er wäre geschmolzen wie ein Karamellbonbon. Er war so glücklich. Noch keine Frau hatte so schön über ihn gesprochen.

»Ach, Donna, du ... ich ... was ...«

»Fängst du wieder an zu stottern?«

»Garantiert nicht. Nicht am heutigen Tag. Nie mehr. Donna du bist so wahnsinnig lieb. So geistreich. Donna ...«

»Psst, Tom!«

Es kam plötzlich. Kaum wahrnehmbar. Donna war in einem Sekundenbruchteil eine andere. Verändert. Katzengleich. Anschmiegsam. Sie tauchte langsam, sehr langsam ihren Zeigefinger in ihr Weinglas ein.

Alle Gäste im Lokal sahen soundso andauernd zu ihnen herüber. Donna war etwas Besonderes. Die sehnsüchtigen Blicke aller Männer und Frauen im Moffit’s erstarrten jetzt zu Stein.

Donna fuhr sich mit ihrem Zeigefinger lasziv über ihre Lippen. Ihr Finger glänzte im matten Licht des Restaurants. Wie ein Rubin. Sie kreiste mit dem Finger behutsam auf Toms Mund zu.

Tom griff ein Tischbein. Er hielt es fest.

Was macht sie nur mit mir?

Sie war angelangt. Tom öffnete den Mund. Seine Körpertemperatur erhöhte sich. Er ging Donnas Finger einige Zentimeter entgegen. Sie zog ihn wieder ein wenig zurück. Einmal. Zweimal. Toms Pulsschlag drehte Sonderrunden. Sie ließ ihn gewähren. Ihre Finger streichelten zuerst einige Sekunden Toms Lippen bevor sie ihren Finger in seinen Mund steckte. Sie kreiste wieder. Zart.

Die Münder der Gäste standen weit offen, wie die Tore ihrer Scheunen zu Hause.

Sie zog ihren Finger zurück und schleckte ihn selbst ab.

Eine Sekunde später war sie wieder das brave Mädchen von nebenan.

»Und was hat dir an meinen Briefen gut gefallen?«, fragte Donna.

»Was?«

»Meine Briefe, was hat dir gefallen?«

Tom musste schlucken. Er beließ es nicht bei einem Mal.

»Deine Worte waren wie eine Blütenpracht im Frühling. Dein Satz mit Freud, fantastisch. Deine Definitionen von Wasser, unglaublich. Dein Satz über die Seele, berührend. Deine Lieblichkeit mit der du jedes einzelne Wort auf das Papier gebracht hast, nie gesehen. Donna, du bist einzigartig, in allem.«

»Jeder von uns ist einzigartig.«

»Ja, natürlich. Du weißt, wie ich das meine.«

»Ich weiß.«

Donna konnte mit nur einem Gesicht fünfzig verschiedene Masken darstellen. Sie spielte mit Worten, Gesten, mit ihrer Mimik und mit ihrem Körper. Alles so unnatürlich unglaublich.

Donna entschuldigte sich schnell. Sie ging sich frisch machen. Sie kam nach fünf Minuten zurück und strahlte übers ganze Gesicht.

»Was ist? War es so schön?«, scherzte Tom.

»Es war eine weitere Erfahrung.«

»Mmh?«

»Am Waschbecken sah eine ältere, schon ergraute Dame in den Spiegel. Ich fragte sie, wieso sie sich denn so intensiv betrachte? Ich bin nicht mehr so jung und hübsch wie du, mein Kind, sagte sie nachdenklich und betrübt. Ich drückte sie an mich und gab ihr einen Kuss und sagte ihr, wenn ich in ihrem Alter noch so aussehe, dann werde ich täglich mit einem Lächeln erwachen.«

»Du verzauberst einfach alle Generationen. Deine Gesten ... ich bin begeistert. Wie machst du das nur?«

»Ich bin ich!«

Das sagte alles. Sie beschrieb sich exzellent. Sie war einfach nur sie selbst.

»Warst du schon außerhalb in Urlaub?«, fragte Tom.

Donna erzählte von ihren zwei wilden Wochen in Spanien und auf Mallorca. Sie wurde von einem europäischen Sender wegen ihres Charterfolgs gefilmt und durfte sogar einen kurzen Bericht kommentieren. Wie hätte es auch anders sein sollen? Auch dort verdrehte sie den Männern reihenweise den Kopf. Sie wären ihr alle zu Füßen gelegen, wenn sie es gewollt hätte. Doch sie wollte einfach nur zwei Wochen Urlaub mit ihren Freundinnen machen. Der Schluss der Geschichte war zu erwarten. Die Orte, die sie besucht hatte kannten den Namen Donna und ihr Äußeres. Ihr Herz, das kannte keiner. Verstehen, nein, verstehen würde es auch keiner. Tom verstand sie und die Sprache ihres Herzens.

»Hast du die Sprache gelernt?«

»Wenn ich in ein fremdes Land fliege, dann muss ich auch die dortige Sprache ein wenig beherrschen. Sonst fliege ich nicht hin.«

Sie rief einen braungebrannten Kellner an den Tisch. Hatte sie zuvor schon mit ihm gesprochen? Sie unterhielt sich mit ihm auf jeden Fall einige Minuten angeregt auf Spanisch.

Toms Augen wurden wieder größer.

»Okay, ich hab‘ kein Wort verstanden, aber deine Demonstration, die hab‘ ich verstanden.«

»Und du, warst du schon außerhalb der Staaten?«, fragte Donna.

»Leider nein. Washington, New York und Boston, das war’s.« Er seufzte. »Asien möchte ich gerne bereisen. In fremde Kulturen eintauchen. Es ist dort alles so anders.«

Donna schmunzelte. »Das hast du ja geschrieben.«

Sie fügte noch eine Geschichte mit an, in der sie einem Soap Star aus den Staaten, der auch auf Mallorca im Urlaub war, mit ein paar Eiswürfeln heiß machte. Er wollte etwas von ihr. Sofort. Sie stand auf und ließ ihn sitzen und sagte, mach es dir selbst, du bist doch ein Star!

Donna stülpte die Nudeln ihres Menüs nur noch um die Gabel und ließ sie dann wieder herunterrutschen. Sie hatte auch keinen Appetit mehr.

Nachdem sie gespeist hatten und der Tisch abgeräumt war, sprach Tom ein anderes Thema an. Donna schien durchaus daran gefallen zu finden, über das Thema zu sprechen.

»Jetzt, da wir mit dem Essen fertig sind, ein ganz anderes Thema. Welchen Sex bevorzugst du?«, fragte Tom kess. Er wunderte sich über sich selbst. Er sprach mit ihr seit Nachmittag, und jetzt am Abend fiel bereits das Wort. Darüber sprechen ist doch nicht verfänglich, dachte er zu seiner eigenen Beruhigung.

Donna schien das erste Mal von einer Frage von Tom leicht irritiert zu sein.

»Sex? Eine schöne Sache, ohne die ich nicht leben könnte!«

»Schön gesagt. Doch was gefällt dir besonders?«

Tom, was machst du?

»Also, SM auf keinen Fall. Wem es gefällt, bitte schön, der soll es machen. Ist ja jetzt neuerdings in Mode. Shades of Grey und so. Aber wie viele das dann wirklich zu Hause machen, ich weiß nicht«, sagte Donna.

»Allerdings finde ich es schon prickelnd, den Bettpartner mit Handschellen am Bettpfosten zu fesseln. Wenn ich mir das so bildlich vorstelle. Ja, das gefällt mir. Die Kuschelvariante liebe ich über alles, wenn ich dazu aufgelegt bin. Was mich sehr reizt ist Sex an verrückten Orten. Ich sage nur Aufzug, Küchentisch oder im Wald.« Sie sah Tom dabei tief in die Augen.

Tom erwiderte ihren Blick.

»Was mir auch sehr gefallen würde, wäre das Kamasutra einmal rauf und einmal runter zu praktizieren.«

Tom schluckte. War er dieser Frau gewachsen? Sie sprach nicht nur mit dem Mund, sondern mit ihrem ganzen Körper. Alleine Donna dabei zuzusehen, wie sie über Sex sprach war erträglicher, wie mit manch anderer Frau tatsächlich Sex zu haben.

»Du hast ja mein Himmelbett gesehen, Donna. Zwei Pfosten wären ja sehr gut geeignet für die Handschellen oder doch eher einen Seidenschal? Der lässt den Lack noch am Holz.«

»Du kennst dich aus, ja?«

Tom machte ein unschuldiges Gesicht. »Allgemeinbildung.«

Es war wieder wie verhext, das Gesprächsthema wechselte von vergleichbarer lauter Rockmusik zu sanften und ruhigen klassischen Klängen.

»Schreibst du gerade an einem Buch?«, fragte Donna.

»Derzeit beschäftige ich mich noch als Werbetexter für die Dorfgemeinde. Als Entlohnung darf ich um sonst Lebensmittel aussuchen. Nicht die Erfüllung, aber momentan bin ich zufrieden. Ein Thema beschäftigt mich schon seit langem. Die Vertreibung der Indianer von ihrem Land. Filme, wie Der mit dem Wolf tanzt haben mich tief bewegt. Ich habe bereits eine Geschichte ausgearbeitet, die einen modernen Thriller mit der Problematik der Indianer mischt. Ich sprach einmal bei einer Party im T-T Glamour darüber, unter anderem war auch ein Literaturagent zu Gast. Der interessierte sich für die Story. Ich solle ihm Bescheid geben, wenn ich den ersten Umriss habe. Also, werde ich in den nächsten Wochen mit meinen Recherchen beginnen.«

»Das klingt doch toll. Ich freue mich für dich. Wenn es so weit ist, dann will ich auch ein Exemplar.«

»Nicht gleich nach den Sternen greifen, Donna, das ist meine Devise. Lass mich den Roman erst einmal schreiben, dann werden wir weitersehen.«

»Trotzdem darf ich mich doch mit dir freuen, oder nicht?«, sagte sie betrübt und rückte ihre Unterlippe nach unten. Sie verstand das Spiel.

»Aber natürlich.«

»Mir schwebt schon seit Jahren eine Geschichte vor.«

»Erzähl«, forderte Tom sie auf.

»Ich weiß nicht.«

Ihr Gesicht zeigte eine unschuldige Mine, so unschuldig, wie es das der Heiligen Madonna nie sein wird.

»Mich interessiert es. Also ...«

»Ich möchte die Elemente im Körper zu einer Geschichte für Kinder verknüpfen, dass sie so lernen, wie sie mit Gefühlen umgehen können. Sie würde unter anderem die Figuren Einsamkeit, Freude, Ehrlichkeit und Glück enthalten. Die Einsamkeit will die Macht an sich reißen, doch sie wird vom Glück bekämpft. Die Ehrlichkeit wird über die Lüge siegen. Ich habe mir schon so vieles dazu ausgedacht. Ich sprühe nur so vor Energie, Tom.«

»Auf was wartest du dann? Fang an zu schreiben, die Geschichte hört sich super an. Ich helfe dir dabei, wenn du willst. Machen wir ein Gemeinschaftsprojekt daraus.«

»Du bist lieb, Tom. Aber ich habe keine Zeit. Ich schiebe im Hotel immer mehr Schichten als die anderen um genügend Geld mit nach Hause zu bringen und dann gilt meine ganze Aufmerksamkeit Julia. Sie ist mein ein und alles. Wie ein See, in den ich eintauche, wenn es mir schlecht geht. Zusammen sind wir ein starkes Team, das niemand besiegen wird.«

Tom dachte über die Aufopferung von Donna für Julia nach. Es würde doch immer Mittel und Wege geben, um zumindest ein, zwei Stunden am Tag etwas für sich selbst zu tun. Wie sollte er ihr das sagen? Er würde vieles in ihr zerstören. Er unterbreitete ihr auch nochmals, dass sie doch wieder zu singen anfangen sollte. Nach ihren grandiosen Erfolgen wäre es schade, wenn sie ihr Talent einfach verkommen ließ.

Sie war nicht umzustimmen.

»Donna, gönn dir bitte zumindest ein, zwei Stunde am Tag, in der du dich dem Buch und deinen anderen Träumen widmest.«

»Ich kann nicht, Tom. Julia. Hab‘ ich dir übrigens schon ein Foto von ihr gezeigt?«

»Nein. Los, her damit«, sagte er mit einem Lächeln.

Donna kramte in ihrer schwarzen Handtasche. Sie zog ihr Portemonnaie heraus. Ein Bild kam zum Vorschein. Ihr Bild.

»Willst du ein Bild von mir?«

Toms Augen glänzten – vor Freude.

»Ja, wenn du mir eines schenkst, würde ich mich sehr freuen.«

Sie gab ihm ein zauberhaftes Bild von ihr. Sie trug darauf ein kurzes, hellblaues Kleid. Und ihr Lachen! Ihr Lachen könnte einen mit Asche bedeckten Landstrich in neuem saftigem Grün erblühen lassen.

Nun zog sie Julias Bild hervor. Sie sah ihrer Mutter im Gesicht ähnlich. Ein Lächeln, wie das einer süßen Frucht und braune Haare wie die Farbe der Haselnuss. Ein zartes und zur Liebe aufforderndes Geschöpf. 

»Julia hat ebenfalls eine sehr fantasievolle Ader, wie ich. Sie erfindet Geschichten in Bildern. Die mit dem Engel, ist eine der schönsten. Sie malte ein Bild, von einem kleinen Mädchen, das ihren Ball in den Himmel geworfen hatte und ihn nicht wieder zurückbekam, und der Engel ihr daraufhin Flügel schenkte, damit sie sich den Ball selbst holen konnte. Solche Bilder malte sie schon mit fünf Jahren, Tom. Ist das nicht wunderbar?«, schwärmte Donna. 

»Eine tolle Geschichte, Donna. Sie hat viel von dir, ohne Frage.«

Donna holte mittlerweile die fünfte Zigarette an diesem Abend hervor, und der Kellner war immer da. Egal wo er im Restaurant weilte, er war zu Stelle.

Die Stunden waren verzogen wie die Sandkörner in der Wüste.

»Entschuldigst du mich bitte, ich gehe nur schnell auf die Toilette, dann werden wir aufbrechen, wenn es dir recht ist. Das Tanzlokal wartet auf uns.«

»Okay. Ich warte.«

Tom überlegte sich auf der Toilette, wie er Donna sagen konnte, dass jeder sein Essen selbst bezahlen sollte. Er war nicht geizig, doch er hatte gelernt, dass Frauen es für besser fanden, dann selbst zu bezahlen, wenn sie nicht eindeutig eingeladen wurden. Ach, ich lade sie trotzdem ein, sagte er sich. Er kam nach fünf Minuten zurück.

Was er sah, verschlug ihm die Sprache. Donna stand an dem Tisch des Besitzerpaares und sie lachten. Sie lachten! Diese Menschen, die er noch nie zuvor hatte lachen sehen. Donna hatte sie zum Lachen gebracht. Tom eilte zu dem Tisch. Es saß noch ein dritter, gut gekleideter Mann mit am Tisch.

»Ist er das?«, fragte der Mann in Richtung Donna, als Tom neben ihr stand.

»Ja. Das ist er.«

»Ist er schon so weit?«, fragte der Mann weiter.

»Noch nicht. Ich werde ihm noch einiges beibringen müssen. Aber ich bin sehr zuversichtlich.«

Donna und die drei am Tisch lachten.

Tom schüttelte den Kopf. Er wusste nicht, wie ihm geschah.

»Was muss sie mir noch beibringen? Um welches Thema geht es hier?«

Sie lachten weiter.

»Aha. Ich habe verstanden. Sie ist ein heißes Eisen!«, scherzte Tom.

Alle Gäste des Restaurants blickten zu diesem Tisch und spitzten die Ohren.

Tom fand die Situation, im Mittelpunkt zu stehen, sehr erregend und zugleich auch wieder beklemmend. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte.

»Der Abend ist noch lang«, sagte Tom mit einem Lächeln.

Der gut gekleidete Mann wünschte Donna viel Glück mit dem. Sie verabschiedeten sich von Donna und Tom und sagten tatsächlich, dass sie sich über ein Gespräch freuen würden, wenn sie wieder im Moffit’s weilten. Tom wunderte sich nur noch. Als sie vom Tisch etwas entfernt waren, fragte er Donna: »Was hast du mit denen gesprochen?«

»Du musst nicht alles wissen.«

Tom biss auf die Zähne. Er musste sich wohl oder übel mit dieser Antwort zufrieden geben.

»Halt, wir müssen doch noch zahlen, ich ...«, sagte Tom als er Donna in die Jacke half.

»Hab‘ ich schon erledigt. Du bist eingeladen.«

Tom musste erneut lächeln. Was für eine Frau hatte er da nur an seiner Seite?

Blätter treiben im Wind
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