Kapitel 23

 

 

Tom sah aus dem Fenster in die sich dem Ende zu neigende Farbenpracht des Indian Summer. Es war ein schöner Herbst gewesen. Für ihn der erste, der ihn weiter an Vermont binden würde. Und die Liebe, ja die Liebe war ihm auch zugeflogen. Aber nur weil er einen Liebesbrief an eine Frau geschrieben hatte, die er für immer lieben wollte. Die am Ende aber sein Herz herausgerissen hat, als sie ihn so verließ.

Er war früh aufgestanden um für Cooper Holz zu hacken. Sie sprachen nur kurz miteinander. Er sagte ihm dabei nochmals, dass er in Donnas Augen etwas sah, das ihn sehr beunruhigte. Was, das wollte er nicht weiter ausführen, und Tom fragte nicht weiter nach. Er hatte sich verliebt. Da sind Worte von dritten oft nur wie Seifenblasen, die kurz nach dem sie ausgesprochen wurden, zerplatzen.

Am späten Vormittag lud er die Bilder von seiner Digitalkamera auf sein Notebook. Er betrachte die Bilder von Donnas schönem Rücken und dann die beiden mit ihrem Profil. Es machte ihn glücklich, sie „wiederzusehen“. Ihre Augen, ihre Haare, ihren Körper, aber vor allem ihre Seele und ihre Liebe, die Tom auch auf den Bildern sehen konnte.

Den Nachmittag verbrachte er damit, einige Werbezeilen zu verfassen. Er saß seit einigen Stunden über einer Werbezeile, die er für morgen dem Zapfsäulenbesitzer Louis Gustavsson aus Hardwick versprochen hatte. Der Geschäftsmann wollte sich positionieren. Dieses Wort hatte er von Tom gelernt. Eine interessante Werbebotschaft wäre da doch nicht falsch, sagte Gustavsson zu ihm. Obwohl er der einzige Inhaber einiger Zapfsäulen in Hardwick war, fand er die Idee von dem neu zugezogenen Fremden durchaus ansprechend. Tom dürfte für einen tollen Slogan, den der Zapfsäulenbesitzer auf Plakate drucken konnte, einen Monat umsonst tanken. Was soll‘s, dachte sich Tom, wegen des Geldes mache er es soundso nicht. Endlich hatte er den passenden Satz zusammen.

 

Wer sagt, dass Hardwick nur Louis Stop hat, der hat Recht. Doch wer möchte denn schon bei den Großen, Unpersönlichen tanken. Ist Ihr Auto denn auch etwas Unpersönliches für Sie?

 

Es war nicht die beste Idee, die ihm im Kopf herumschwirrte, aber Louis Gustavsson würde sich über diesen Slogan freuen. Er wird mit Garantie sagen, dass er da nie draufgekommen wäre. So gut kannte Tom ihn bereits.

Als Nächstes sollte er noch ein Plakat für ein Straßenfest in Morrisville entwerfen. Die Stadt war auf ihn aufmerksam geworden, weil Louis wieder mal zu viel geredete hatte. Er wollte das doch nicht professionell machen, sondern nur so zum Zeitvertreib. Aber nein wollte er auch nicht sagen. So machte er sich an den ersten Entwurf für dieses Plakat. Sie warteten dringend darauf, die Plakate für das Straßenfest drucken zu können. Doch ihm fiel die Headline nicht ein. Dieser Satz, der die Leute in Scharen zu dem Fest treiben würde. Seine Gedanken waren allein bei Donna. Er hätte ihr in diesen Minuten, in denen der Wind leise um sein Haus wehte, so viel zu sagen gehabt. Er musste raus in die Wildnis. Er konnte sich jetzt auf einfach nichts anderes mehr konzentrieren.

 

Es war Abend. Er war zwei Stunden in den Wäldern rund um Mackville spaziert und hatte seine Gedanken schweifen lassen. Als er dann wieder Zuhause war, musste er feststellen, dass Donna immer noch nicht angerufen hatte. Sein Anrufbeantworter zeigte keinen Anruf an. Sicher würde Donna im Hotel zu viel um die Ohren haben, um ihn anzurufen. Tom dachte nicht weiter darüber nach. Er holte aus einer Schublade des selbstgezimmerten Holzschreibtisches einige strahlend weiße Blätter Papier und den silbernen Kugelschreiber hervor. Er brauchte nicht lange zu überlegen. Seine Hand fing wie von Geisterhand selbst an zu schreiben.

 

Eine Hommage an einen Menschen, der meine Sinne und mein Herz verzauberte

 

 

 

Um Dir das alles zu sagen, was ich Dir in diesem Brief schreibe, zu dem würde ich die nächsten Tage nie kommen, wenn ich mit Dir telefoniere oder Dir gegenüber sitze, da Du alleine mit deiner Anwesenheit mir raubst, was ich brauche, um mit Dir zu sprechen.

 

Wo soll ich nur anfangen bei den vielen Eindrücken, die Du bei mir hinterlassen hast? Ich greife einfach mal ein Thema auf, um den Anfang zu finden.

 

Wie Du von Deiner Tochter schwärmtest, einfach wundervoll; und mir die Geschichte des kleinen Mädchens erzähltest, das ihren Ball in den Himmel warf und ihn nicht wieder zurück bekam, und daraufhin der Engel ihr Flügel schenkte, um sich den Ball wieder zu holen, finde ich so beglückend. Das ist Donna, der Engel, der ihre Gefühle als Mutter zeigt, dort wo immer ihr Herz zu ihr spricht.

 

Als Du mir deine Fantasie mitteiltest, über den Verstand, die Einsamkeit und alle anderen psychischen Elemente des Körpers, war ich nur noch fasziniert. Du sprühst so vor Leben und Ideen, die einfach danach schreien umgesetzt zu werden. Die Geschichte arbeitest Du noch ein wenig aus, und dann gehe ich ans Werk, und werde einen, hoffentlich auch für Dich tauglichen Roman für Groß und Klein daraus machen. Meine beste Kritikerin habe ich ja in Dir gefunden.

 

Apropos Können: Deine Stimme ist wahrlich die eines himmlischen Engels. Was waren das für Sekunden, in denen du mir im Regen von Hardwick einige Strophen vorsangst. Wow! Das ist Donna, der Engel, der so viel kann, dass sie es selbst nicht einmal zu glauben vermag.

 

Ich bin von Deiner Begeisterungsfähigkeit und Deiner natürlichen, ehrlichen, liebenswürdigen und zuvorkommenden Art so angetan, wie ich das bis jetzt nie von einem Menschen war. Debbi war anders als Du. Wenn auf der Welt einmal alle Lichtquellen erlöschen sollten, dann überstrahlst Du mit Deiner Erscheinung den ganzen Planeten. Das ist Donna, der Engel, der einfach nur lebt.

 

Wie Du und ich von Filmen sprachen ... ich bin einfach fasziniert. Deine genauen Analysen der Charaktere und Figuren in Filmen, die zum Lachen oder auch zum Nachdenken sind, waren einzigartig. Ob bei Pulp Fiction, Manche mögen‘s heiß, Bram Stokers Dracula oder auch Interview mit einem Vampir. Du machst mich einfach verrückt – nach Dir – mit deiner Intelligenz Sachen zu fühlen oder zu erkennen, an denen alle anderen vorbeiblicken. Das ist Donna, der Engel, der denkt wie kein anderer.

 

In dem Tanzlokal durfte ich die Bewegungen Deines erotischen Körpers bewundern. Das ist Donna, der Engel, dessen Körper sich schwungvoll und geschmeidig zu allen Klängen bewegt.

 

Dein Leben war härter als ein Mensch das normal verkraften kann. Dass Du nie die Zuneigung bekamst, die Du suchtest, waren für mich schockierend, aber zugleich eine Aufforderung an mein Herz, ab sofort immer für Dich da zu sein, wenn Du mich brauchst.

 

Egal, ob es sich um deine physischen oder psychischen Probleme handelt, ich bin Dein Engel, so wie du meiner bist, der Dich weg von der dunklen Wolke zerrt, hinauf auf die, die näher an der Sonne ist.

 

Wir haben beide kurz vor der Kurve gerade noch halt gemacht, und nun uns gefunden.

 

Vor einigen Wochen dachte ich noch, in meinem Leben würde kein Engel mehr erscheinen, der mich versteht und liebt, doch das Schicksal hat mir gehörig einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zum Glück!

 

Dass Du Dich nicht nach fünfundzwanzig Stunden seelisch komplett öffnen kannst, ist mir doch klar, Du sagtest ja immer, Dir tut es leid, dass es für Dich nicht so leicht ist (bitte zitiere mich jetzt nicht – ob Du es genau in diesem Wortlaut gesagt hast – dein Gedächtnis ist unschlagbar, ich weiß).

 

Du weißt, dass alles was Du mir anvertraust, in meinen Tresor, mein Herz wandert und darin für alle anderen verschlossen bleibt. Reden hilft – auch Dir. Wie schrieb ich Dir im ersten Brief (glaub‘ ich, oder war es der zweite?): Lass dich fallen – ich bin da. Was antwortest Du mir: Wie kann ich jemandem widerstehen, der das schreibt.

 

Das ist Donna, der Engel, der verletzlich sein kann, der aber mit IHREM Engel alle schweren Lebensphasen überstehen wird.

 

Die knappe Stunde, in der Du meinen kompletten Vorrat an Taschentüchern benötigtest, weil ich ... was war es doch gleich ... dummer Hund ... Idiot ... usw. Dich weggestoßen habe. Ich kann Dir nochmals sagen, dass das, das letzte war, was ich jemals wollte. Ich habe mich doch in dieses Miststück mit den Engelszügen verliebt! Natürlich können wir noch nicht von dieser Liebe sprechen, die ein ganzes Leben umfassen wird, doch wie soll ich es sonst ausdrücken? Wenn ich schrieb, dass ich Dich „nur“ mag, dann wäre das gelogen. Es wäre zu wenig, denn meine Gefühle sprechen andere Worte.

 

Ich hoffe trotzdem, Donna, dass Du meine Einstellung jetzt etwas nachfühlen kannst. 

 

Was war ich doch für ein ... Ich würde mir nichts sehnlicher wünschen, als Deinen Körper an meinem zu spüren. Nur dich! Geborgenheit und Wärme; Gefühl und Zärtlichkeit; von dir, und du von mir, will ich täglich erleben. Es ist wie eine Droge, die den Tag erst zum Tag werden lässt.

 

Das mit dem dreimal am Tag müssen wir nochmals bereden, da ich danach dann blutleer wäre. Obwohl Du dies in einer Tonlage sagtest, wie einst Julia Roberts in „Pretty Woman“: „Du wirst aufstehen können, glaube mir, Du wirst aufstehen können.“ Puh. Was machst Du nur mit mir?

 

Deine schüchterne Art, wenn Augenblicke nahten, die nicht nur Dich verlegen machten. Wenn Du kokett Deinen Zeigefinger in den Mund nahmst und Deine Lippen ein Erdbeben in mir auslösten.

 

Ich bin schon wieder so nervös, wenn ich nur an diese Situationen zurückdenke. Dein Finger im Wein; mit dem Eiswürfel bewaffnet oder einfach nur Dein wohliger Duft; alles das durfte ich mit meinen Lippen spüren und mit meiner Nase riechen. Es war wunderschön!

 

Nicht daran zu denken, was ich am Sonntagnachmittag sehen durfte: Dein seidenzarter Körper bedeckt mit nur wenig.

 

Das ist Donna, der Engel, den ich nur lieben kann.

 

Ein Satz kommt mir noch in Gedanken. Noch nie hat mich jemand so schön zum Frühstück gebeten wie Du. „Komm setz‘ dich zu mir Schatz.“ Das machte mich sehr glücklich.

 

Wenn Du mit Deiner erotischen Stimme solche Dinge von Dir gibst, machst du mich schwach wie ein Koalababy.

 

Ich könnte Dir noch viel schreiben, was ich in diesen fünfundzwanzig Stunden Deiner Anwesenheit gefühlt, wie auch gedacht habe, aber das würde dann noch die Länge meiner ersten Briefe sprengen.

 

Ich freue mich nun, auf einen Besuch bei Dir und natürlich auch wieder, wenn Du mein Haus und die Viper, die Dir so gut gefallen hat, mit Deiner besonderen Ausstrahlung und Deinem träumerischen Duft beglückst. Wie Du gelernt hast, bei meinen zwei Lieblingen - nach fünfundzwanzig Stunden – in die Seele zu blicken, beachtlich.

 

J. F. K. und Nixon vermissen Dich genauso wie ich!

 

 

 

Tom       

 

 

Toms Hand zitterte als er den letzten Buchstaben seines Namens aufs Papier schrieb. Seine Augen waren glasig. Er presste seine Lippen fest zusammen. Alle Energie, die er zur Verfügung hatte, widmete er diesem Brief an Donna. 

Tom faltete den Brief und steckte ihn in ein graues Kuvert. Er hatte bereits heute Morgen vier Kuverts mit Donnas Anschrift in Boston versehen. Er konnte nach dem Aufstehen nichts anderes tun. Vier Briefe würden es sein, die er ihr schrieb, bis sie sich wieder sehen würden. So wusste er, dass er trotz ihrer Abwesenheit vier Begegnungen mit ihr haben würde. In jeder Zeile, die er schrieb, sah er Donna vor sich am Fenster vorbeigehen. Ihre ausgefallenen Rastazöpfchen unter einem feuerroten Tuch verborgen. Ihr Körper, gehüllt in den Mantel einer erotischen Unschuld. Sie lächelte ihn an. Seine und ihre Seele trieben wie Blätter im Wind. Tom schwankte zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, auch darum, weil sich Donna immer noch nicht gemeldet hatte. Er fuhr nach Hardwick, um den Brief an Donna abzuschicken. Was und vor allem wann würde sie ihm antworten?

 

Die Rosen müsste sie doch nun schon längst erhalten haben, und Zeit, um ihn kurz anzurufen, sollte sie doch auch gehabt haben. Warum meldete sie sich dann nicht? Tom suchte eine Möglichkeit sich abzulenken. Warum sollte er jetzt nicht beginnen, seinen ersten Roman zu schreiben. Das erste Kapitel konnte er schreiben, ohne das Recherchematerial über die Indianer.

Nächste Woche beginne ich mit den Recherchen, nach dem Besuch bei Donna, dachte er.

Er holte sein Notebook hervor und begann mit den ersten Sätzen zu seinem Heldenepos über ein vertriebenes Volk. 

 

Wie soll ich meine Geschichte beginnen? Mit dem Tod meiner Familie? Mit dem Tod meiner Freunde und Verwandten? Welcher Anfang soll gewählt werden, um mein tragisches Leben zu schildern, das in diesen Minuten, in denen ich diese Zeilen niederschreibe, nur noch an einem seidenen Faden hängt ...

 

Tom schreckte auf. Er war unter dem Schreiben eingeschlafen. Es war zwei Uhr nachts. Seinen ersten Roman hatte er begonnen. Fünf Seiten hatte er bereits geschrieben, doch das Telefon hatte nicht geläutet.

Blätter treiben im Wind
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