22

Tierbewußtsein, Tiergespür. Es beschützte. Duncan inhalierte vorsichtig die kalte Luft und stolperte, während er einen leichten Abhang hinabging – beinahe knickte ihm der Knöchel um: Tod in den Ebenen. Er ließ sich das eine Warnung sein und ruhte sich aus, ließ sich auf dem kalten Sand nieder, lehnte sich an das Dus und ließ die Müdigkeit aus seinen Gelenken fließen. Ein kleines Stück des blaugrünen Stengels war noch in der Gürteltasche. Er zog sein Av'tlen und schnitt sich etwas davon ab, kaute darauf herum und spürte, wie die heilende Süße seiner Kehle wohltat.

Während der brennenden Tage hatte er erkennen müssen, daß sein Versuch verrückt war – es war eine verrückte Vorstellung, das Wrack rechtzeitig erreichen zu können, anzunehmen, daß die Landetruppen dort geblieben waren, wo es kein Leben gab.

Er hatte jedoch keine Wahl. Beim Volk war er ein Nichts und gleichzeitig ein Problem, auf das Niun verzichten konnte, ein Streitpunkt, wegen dem er vielleicht hätte töten müssen. Er war ein Problem für Melein, die ihn erklären mußte.

Er diente der She'pan. Das stand für ihn jetzt nicht mehr in Frage: wenn er ging und nichts fand, erwies das doch nur, daß seine Bemühungen nichts wert waren, wie die von An-ehon nichts gewesen waren – jemand anders würde dann die Last tragen. Die She'pan hatte andere Kel'ein.

Er rappelte sich auf und ging weiter, stolperte, als das Dus ihn plötzlich zähnefletschend ansprang. Er blinzelte in stumpfem Erstaunen, als eine Sandwolke neben einem Stein emporgeblasen wurde und sich etwas unterhalb des Sandes bewegte; es war nicht wie der flatternde breite Mantel eines Gräbers, sondern etwas Geschmeidiges und Schmales, das wie ein Gräber eine kleine Grube schaufelte, einen Trichter aus Sand.

»Yai!« rief er das Dus mit rauher Stimme zurück, als es Anstalten machte, sich daraufzustürzen und es mit seinen langen Giftklauen ans Licht zu zerren. Was immer dort war, Duncan kannte weder seine Größe noch seine Gefährlichkeit. Er empfing den Jagdimpuls des Dus, rang ihn mit seiner Willenskraft nieder. Sie umrundeten das Gebiet und kletterten einen nahen Kamm hinauf. Als er hinabsah, erkannte er, daß die Gegend mit solch kleinen Gruben übersät war. Sie waren regelmäßig angeordnet, wie Punkte auf konzentrischen Kreisen. Sie bildeten eine Anordnung, die groß genug war, um ein Dus zu umfassen.

»Komm!« forderte er das Tier auf, und sie gingen weiter, wobei das Dus unbefriedigt schnaubte, weil es immer noch umkehren wollte.

Aber von irgendeiner anderen Gegenwart hatte es kein Anzeichen gegeben. Es gab die Kälte und den Wind und das strömende Licht Na'i'ins; es gab ihre eigenen Spuren, die der Wind rasch verwischte, und einmal – nur ein einzigesmal – eine hochgewachsene schwarze Gestalt auf einem Dünenkamm.

Einer der Kel'ein, ein Läufer des Volkes, vielleicht von einer anderen Gruppe, der sich in Überheblichkeit sehen ließ. Duncan hatte sich dem ausgesetzt gefühlt, an sein mangelndes Geschick mit den Yin'ein gedacht... das Unbekannte unter dem Sand erschreckte ihn nicht halb so sehr, wie der Gedanke an ein Zusammentreffen mit anderen Mri...

... an ein Zusammentreffen mit einer anderen She'pan. Es war, dachte er, Furcht von einer Art, wie Mri sie verspürten – ein Zögern, aus der Vertrautheit mit Meleins Gesetz auszubrechen. Aus dieser Furcht heraus hielt er sich mit der Umsicht eines Mri an tiefe Stellen, an Abhänge, an Deckung, wie das Land sie bot; und seine Augen, durch das gesenkte Visier behindert, beobachteten vorsichtig den nackten Horizont, wenn er sich wieder über eine ebene Stelle wagen mußte.

Um die Mittagszeit kam die mächtige Schneise des verdunstenden Meeres in Sicht. Er starrte in die dunstige Tiefe hinab, in die hinein sich windgetriebene Sandschleier ergossen, und angesichts derartiger Dimensionen verlor er seinen Sinn für Höhe und Tiefe. Als er jedoch forschend zum Horizont blickte, wußte er, wo er sich befand, gar nicht weit von seinem Ziel.

Er ging weiter, und inzwischen quälte der Mangel an fester Nahrung seinen Magen. Der Schmerz in seiner Seite war ständig gegenwärtig, und der in seiner Brust pochte im Rhythmus mit der Ebbe und Flut seines Lebens.

Dus.

Er spürte es und sah auf, als hätte ihn jemand beim Namen gerufen. Niun? fragte er sich beim Umschauen und glaubte es doch nicht. Niun war beim Volk, sicher hatte er weder Melein noch die ihm Anvertrauten verlassen. Da waren Kath und Sen, die einen solchen Weg nicht zurücklegen konnten, wie er es getan hatte, der er Kel'en war und unbehindert.

Und doch gab es die Dus-Gefühle.

Links. Rechts. Prüfend betrachtete er den Horizont, streichelte die samtpelzigen Fleischmassen im Nakken seines Tieres, befragte dessen Geist. Er empfing einen Schutzimpuls von ihm.

Also war es keine Einbildung.

Die Haare auf seinem Nacken kribbelten, während er weiterging und sich ständig des Gewichtes bewußt war, das auf seinen Sinnen lastete.

Bruder-Gegenwart.

Dus-Bruder.

Das Dus neben ihm fing an, ein Lied der Zufriedenheit zu singen, der Harmonie, das Duncan den Schmerz und die Sinne raubte, bis er feststellte, daß er eine weite Strecke zurückgelegt hatte und den Weg nicht mehr kannte.

Nein, sendete das Tier, nein, nein, nein! Er dachte an das Schiff, immer wieder, sehnte sich danach, drängte in seine Richtung.

Bestätigung.

Und Drohung!

Dann kam Dunkelheit, plötzlich und sanft und tief, voller Drohung und voller reißender Klauen und beißender Fänge, und über allem eine Gegenwart, die Duncan nicht loslassen wollte. Immer noch gehend erlangte er wieder das Bewußtsein, erschauerte periodisch im trockenen, kalten Wind. Seine Hände und Arme waren sandverbrannt und blutig und informierten ihn so darüber, daß er einmal gestürzt war, ohne es zu wissen.

Das Schiff, sandte er seinem Dus einen Gedanken.

Feindselige Gefühle hüllten ihn ein. Er schrie in der Dunkelheit auf, und das Dus warf sich ihm in den Weg und stoppte ihn. Er stand zitternd da, während es an ihm reibend um seine Beine strich – eine gewaltige, schwere Kreatur, die ihn umkreiste und ein Muster aus Schritten wob.

Andere kamen, zwei, fünf, sechs Dusei, ein Drittel so groß wie das Tier, das Schutz um ihn wob. Duncan zitterte vor Angst, als sie dicht an ihn herankamen und ihn umzingelten, als eines nach dem anderen sich auf Mannshöhe aufbäumte und wieder herabsank, wobei sie den Sand in Wolken aufstäuben ließen.

Ein Sturmgefühl lag in der Luft, eine schwer mit Drohung beladene Wahrnehmung.

Sturmfreunde wurden sie von den Mri genannt, die großen, massigen Brüder des kalten Windes.

Und kein derartiges Wesen hatte es zuvor auf dem unfruchtbaren Kutath gegeben, kein solches Monster hatte diese Welt gekannt.

Sie sind mit eigenen Absichten hergekommen, dachte Duncan auf einmal, kalt und erschrocken. Er erinnerte sich, wie sie das Schiff betreten hatten, sie, deren Herzen er nie erreicht hatte und die auf der langen Reise mit ihnen gelebt hatten.

Eine Zuflucht vor Menschen und Regul. Sie waren von ihrer Welt geflohen. Sie hatten sich eine neue erwählt, sich für die ihnen offenstehende Flucht entschieden, die er ihnen ermöglicht hatte.

Sie kamen dichter heran, und sein Dus strahlte Dunkelheit aus. Körper berührten sich und ein betäubender Puls erfüllte die Luft, grollend wie ein Sturm oder ein Erdbeben. Sie drehten ihre Kreise, immer weiter, berührten sich. Duncan warf sich auf die Knie und legte die Arme um den Nacken seines Tiers, hielt es so fest, spürte die Nase eines fremden Dus in seinem Nacken, roch den heißen Atem des Tieres, die Hitze, die ihn umhüllte und fast erstickte.

Das Schiff, fiel ihm ein, ihnen zuzusenden; er warf ihnen den Untergang An-ehons mit seinem Geist zu und die einstürzenden Türme Kesriths. Vergnügen wurde erwidert und entsetzte ihn.

Nein! schrie er auf, erst innerlich, dann laut. Sie flohen ihn.

Er sandte ihnen Bilder einer wasserlosen Wüste, einer sterbenden Sonne, von Dusei, die in nutzloser Verlassenheit lebten.

Ihr Zorn überflutete ihn, und sogar sein eigenes Tier erschauerte und wich zurück. Es floh, und er konnte es nicht halten.

Er war allein, verlassen und blind. Plötzlich kannte er keine Richtung mehr, hatte keinen Sinn mehr für die Welt. Seine Sinne waren klar, eisklar, und doch war er abgeschnitten und ohne die innere Richtung, die er so lange gekannt hatte.

»Komm zurück!« schrie er dem zögernden Dus zu.

Er sandte ihm Bilder eines Edun, Bilder von fließendem Wasser, von Kesriths Stürmen und landenden und startenden Schiffen. Ob es auf dieser Ebene etwas empfing, wußte er nicht. Er warf Begehren nach ihm, verzweifeltes Verlangen und das Abbild des Schiffes.

Es gab ein versuchsweises Tasten, keinen Schutzimpuls.

»Komm!« rief er das Tier laut, streckte die Hände nach ihm aus. Er sandte ihm die Gefährtenschaft der Mri – das Zusammengehen von Mann und Dus. Leben, sendete er.

Das Tier zögerte. Der Schutzimpuls warf peitschende Furcht über Duncans Sinne, aber er weigerte sich, sie zu akzeptieren.

Leben, beharrte er.

Es kam. Überall um sich herum spürte er den Schutzimpuls, stark und voller Angst, so daß ihm der Schweiß ausbrach, der im Wind sofort wieder trocknete. Aber dieses Dus war da. Es begann, neben ihm herzugehen, schützte ihn mit aller Kraft.

Verräter an seiner Art. Menschenverräter und Dusverräter. Duncan hatte es korrumpiert, und es diente ihm, ging mit ihm, fing an, wie er zu sein. Furcht hüllte sie in Dunkelheit, und die Nachmittagssonne schien eine Zeitlang matter zu leuchten; dann waren die anderen Dusei verschwunden, und schließlich tauchten schwarze Punkte auf einem fernen Kamm auf und beobachteten sie.

Sie waren Kinder Kutaths, diese Dusei, Fleisch vom Fleisch derer, die von Kesrith gekommen waren, ohne in irgendeiner Weise daran teilzuhaben.

Nur das alte Tier erinnerte sich – nicht an die Ereignisse, sondern an die Person Duncans, und blieb bei ihm.

* * *

Am späten Nachmittag wurde der Wind stärker. Zuerst wirbelten kleine Böen pfeifend den Sand von den Dünenkämmen und transportierten ihn in großen Strömen über den Abgrund des toten Meeres. Dann erhoben sich Sandgestöber von zerschmetternder Gewalt, die das Gehen erschwerten, die gegen das schützende Visier prasselten und Duncan veranlaß- ten, sich den Mez zweifach um das Gesicht zu wikkeln. Selbst das Dus ging halbblind einher und Trä- nenspuren liefen an seinem Gesicht hinab. Es stöhnte wehmütig, erhob sich in plötzlicher Gereiztheit auf die Hinterbeine, schüttelte sich, blies Staub auf und sank wieder herab, um erneut gegen den Wind anzugehen.

Die anderen tauchten von Zeit zu Zeit auf und wanderten die Kämme entlang, hielten dabei ihr Tempo mit. Sie wirkten wie dunkle Schatten in dem Sandvorhang, der mit dem Wind einhertrieb, erschienen manchmal als Kopf, manchmal noch weniger, oder als eine sich zurückziehende Flanke. Was sie aussandten, war immer noch feindselig und voller Blut.

Duncans Tier knurrte und schüttelte den Kopf, und sie gingen weiter, obwohl es mittlerweile schien, als ob Duncans Glieder mit Blei behangen wären und die Muskeln mit Feuer umschnürt. Er hustete, und Blut kam hervor; er wurde sich des Gewichtes seiner Waffen bewußt, die dort nutzlos waren, wohin er unterwegs war, noch nutzloser für einen Toten, und doch wollte er sie nicht aufgeben. Er umklammerte mit einer Hand das einzige J'tal, das er trug, erinnerte sich an den Mann, der es ihm gegeben hatte, und wollte nicht weniger sein.

Su-she'pani kel'en. Der Kel'en der She'pan.

Schmerz schoß in einem Bein empor. Er stürzte, umgeworfen durch die verräterische Drehung des Steins, rappelte sich vorsichtig wieder auf und stützte sich auf das Dus. Das Bein war nicht verletzt. Er versuchte, an der Wunde zu saugen, die der Stein seiner Hand zugefügt hatte, aber sein Mund war trocken, und so konnte er es nicht. In dieser Gegend gab es keine Stengel. Er hortete die ihm noch verbliebene Feuchtigkeit und entschied nicht auf sie zurückzugreifen – noch nicht.

Und eines der kleinen Dusei kam dicht an ihn heran und erhob sich auf die Hinterbeine, so daß sein eigenes Tier den Körper dazwischenschob. Mächtige Lungen schnaubten, und das Kleinere wich zurück.

Schiff, dachte er plötzlich und aus keinem besonderen Grund.

Verlangen.

Es kam kein Schutzimpuls von dem fremden Tier. Duncan fing nur Richtungsweisung auf, spürte eine Gegenwart.

Leise rief er nach seinem Dus, mit einer Kehle, die das Lautbilden fast vergessen hatte; er ging weiter, spürte eine Gegenwart links von sich, einen warmen Atem auf der Hand, die an der Seite herabhing.

Jetzt hatte er zwei Begleiter. Ein weiteres Tier war bei ihnen, dachte an ihr Ziel und verlangte nach demselben wie sie.

Menschen.

Gestalten wanderten durch Duncans Unterbewußtsein. Es war keine Erinnerung, sondern anderswo sah jemand etwas, sendete ihm das Bild, führte ihn. Er war sich dessen bewußt.

Hinter Sandschleiern verhüllte Gestalten, eine Halbkuppel. Kiefer schlossen sich sanft, sehr sanft um seine Hand... er erkannte, daß er auf dem Boden lag und das Dus ihn drängte. Er rappelte sich wieder auf und ging weiter, geriet ins Stolpern, als sein Stiefel auf etwas im Sand Vergrabenes trat und etwas auf das Leder peitschte; es drang jedoch nicht durch und huschte in Schlangenlinien durch die Bernsteindü- sterkeit davon. Dus-Zorn tobte hinterher und kümmerte sich dann nicht weiter darum, bevorzugte Duncans Begleitung.

Nacht war um sie herum, die Nacht des Sturmes und der Welt, und sie war freundlich zu ihnen und verbarg sie. Duncan wußte, daß das Schiff in der Nä- he dieser Stelle gewesen war, stolperte über Wrackstücke, über Stellen hitzegeschmolzenen Sandes, bevor die fremdartige Masse hinter Sandstreifen Gestalt annahm, und er erblickte die Verwüstung, die hier angerichtet worden war.

Und eine Halbkuppel, ein gedrungenes Halbei auf Stelzen, blinzelte mit roten Signallichtern durch die Dunkelheit.

Dusei umringten ihn, sie alle; Furcht-Verlangen Furcht strahlten sie aus.

»Yai!« schrie er ihnen mit einer Stimme zu, die im Wind verlorenging. Sein Tier blieb jedoch, trottete mit seiner krummzehigen Gangart neben ihm her, als er auf jene Stelle zuging, zu dieser fremden Form an Kutaths toter Meeresküste.

* * *

Er erkannte sie im Näherkommen, so gewaltig und blind sie auch war, erkannte das Muster ihrer Lampen...

Und für einen Augenblick fiel ihm der Name nicht ein.

FLOWER.

Das Wort kehrte zurück, ein Überwechseln von einer Realität zur anderen.

»FLOWER«, grüßte er das Schiff, ein gebrochenes und unerkennbares Geräusch im heftigen Wind. »FLOWER – öffnen Sie die Luke!«

Aber es kam keine Antwort. Er sammelte einen faustgroßen Stein auf und warf ihn gegen die Hülle; dann noch einen, und nichts antwortete. Der Sturm wurde heftiger, und er wußte, daß er bald Zuflucht finden mußte.

Und dann sah er das Schwenken einer Kamera, und ein Lichtstrahl folgte ihr und richtete sich auf ihn und das Dus gemeinsam. Das Tier scheute und protestierte. Duncan riß den Arm hoch, um die Augen hinter dem Visier abzuschirmen, und regte sich weiter nicht. Seine Erinnerung flog zu einer anderen Nacht zurück, in der zusammen mit diesem Dus er vor Gewehren und im Licht gestanden hatte.

Lange herrschte Schweigen.

»FLOWER!« schrie er.

Die Scheinwerfer blieben auf ihn gerichtet. Er schwankte in den Windböen und stützte sich mit einer Hand auf den Rücken des Dus, damit das Tier dablieb.

Plötzlich ging die Luke auf und die Rampe senkte sich herab, lud ihn ein.

Er ging darauf zu, setzte den Fuß auf das hallende Metall, und das Dus blieb an seiner Seite. Er hob die Hände und ging langsam, um Mißverständnisse zu vermeiden.

»Boss«, redete er sie mit ihrem alten Spitznamen an. Es war seltsam, hier und jetzt die Boaz wiederzusehen,

* * *

das Grau in ihrem Haar jetzt stärker betont; es erinnerte ihn an die verflossene Zeit. Er war sich der Gewehre bewußt, die ihn umgaben, der Männer, die sie auf ihn und das Dus gerichtet hielten. Er nahm Mez und Zaidhe ab, damit sie ihn erkannten. Er glättete sich das Haar, das er sich hatte lang wachsen lassen; Bartstoppel zeigten sich auf seinem Gesicht, was bei einem Mri nie der Fall sein würde. Er fühlte sich nackt vor diesen Menschen, vor Boaz und Luiz. Er blickte ihnen in die Gesichter und sah die Bestürzung sich in ihren Augen spiegeln.

»Wir haben mit der SABER gesprochen«, sagte Luiz. »Man will Sie dort haben.«

Er sah die Härte in ihren Blicken: er war zum Feind übergelaufen; nicht einmal Boaz war bereit, das zu verstehen.

Und sie hatten die Spur der Mri gesehen, die Wüste der Sterne.

»Ich werde gehen«, sagte er.

»Legen Sie die Waffen ab«, forderte Luiz, »und schicken Sie das Dus hinaus.«

»Nein«, erwiderte Duncan ruhig. »Sie würden die Waffen sonst beschlagnahmen müssen – und das Tier bleibt bei mir.«

Es war klar, daß einige der Männer bereit waren, sich auf ihn zu stürzen. Er stand ruhig da, spürte den Schutzimpuls des Dus und die Furcht, die dick im Raum lag.

»Es gibt Argumente, die Sie zu Ihrer Verteidigung vorbringen können«, meinte Boaz. »Aber keines davon ist etwas wert, wenn Sie jetzt Schwierigkeiten machen. Sten, auf welcher Seite stehen Sie?«

Er überlegte einen Moment lang. Die menschliche Sprache fiel ihm auf einmal schwer, eine seltsame Déjà-vu-Beziehung, in der er sich orientieren konnte, aber nur ganz entfernt. Es gab Vorstellungen, die sich weigerten, deutliche Formen anzunehmen. »Ich werde meine Waffen nicht ziehen, solange ich nicht angetastet werde«, sagte er. »Die SABER soll entscheiden. Bringen Sie mich dorthin! Friede.« Er fand das Wort, das ihm eine Zeitlang verloren gewesen war. »Ich bringe Frieden, wenn sie ihn haben wollen.«

»Wir werden uns besprechen«, sagte Luiz.

»Wir können starten und uns später besprechen. Die Zeit drängt.«

Boaz nickte langsam. Luiz sah sie an und stimmte zu. Durch Gesten wurden Befehle vermittelt, und ein Mann ging.

»Wo sind die anderen?« fragte Luiz.

Duncan gab keine Antwort. Langsam und vorsichtig, damit niemand eine Bewegung mißverstand, brachte er das Zaidhe wieder an, mit dem er sich wohler fühlte. Und während Luiz und Boaz sich miteinander besprachen, legte er sich auch den Schleier wieder um. Das Dus stand neben ihm, und die Männer mit den Gewehren bleiben, wo sie waren.

Aber anderswo im Schiff erhoben sich die Geräusche arbeitender Maschinen – Vorbereitung für den Start, dachte er, und Panik befiel ihn. Er war ein Gefangener; sie hatten ihn wieder; Türen waren verschlossen und ließen ihn nicht mehr hindurch.

Von oben begannen Warnlampen zu blitzen. Duncan sah sich verstehend um, als drei weitere Soldaten mit auf ihn gerichteten Gewehren den Raum betraten. Luiz ging.

»Setzen Sie sich!« empfahl ihm Boaz. »Setzen Sie sich da drüben hin und beruhigen Sie das Tier beim Start! Wird es sich ruhig verhalten?«

»Ja.« Er zog sich zu der gepolsterten Bank zurück und ließ sich auf ihr nieder, beugte sich vor, um die Hand auf das Dus zu legen, das zu seinen Füßen saß.

Boaz zögerte und blickte auf Duncan hinab, die blonde, plumpe Boaz, die dünner und grauer und deren Gesicht von finsteren Blicken faltig geworden war – und die sich jetzt, so dachte er, wunderte und nicht begriff.

»Sie sprechen mit einem merkwürdigen Akzent«, sagte sie.

Er zuckte die Achseln. Vielleicht stimmte es.

Die Warnsirene ertönte. Sie stiegen auf. Boaz ging auf die gegenüberliegende Seite des Raumes, zu der dortigen Bank. Dort versammelten sich auch die Soldaten mit den Gewehren, die Waffen sorgfältig über den Schoß gelegt. Als der Andruck einsetzte, sank das Dus zu Duncans Füßen nieder, um ihm besser standzuhalten.

Der Aufstieg erfolgte hart und rücksichtslos. Duncan spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach und der Kopf schwirrte, als das Schiff abhob. Das Dus strahlte Angst aus... fürchtete sich, dachte Duncan, vor diesen Männern mit ihren Gewehren. Die Furcht ließ seine Hände kalt werden, und doch war die Hitze im Raum erstickend.

Es dauerte lange, bis der Andruck aufhörte, bis zum Einsetzen der neuen Orientierung und der Möglichkeit, sich wieder zu bewegen. Duncan saß still da, wollte die anderen nicht provozieren, indem er aufstand. Er wollte nichts von ihnen. Boaz saß reglos und starrte ihn an.

»Stavros hat Ihnen das angetan«, meinte sie schließlich mit einem Blick, der Mitgefühl ausdrückte.

Wieder zuckte er die Achseln, hielt die Augen ins Leere gerichtet, im Warten verloren.

»Sten«, sagte sie.

Bekümmert blickte er sie an, wußte, daß sie eine Antwort von ihm erwartete und es keine gab. »Sten ist tot«, sagte er dann, um es ihr begreiflich zu machen.

Schmerz stand in ihren Augen; vielleicht Verständnis.

»Ich empfinde keine Bitterkeit, Boss«, sagte er.

Sie biß sich auf die Lippen und starrte ihn aus einem blassen Gesicht heraus an.

Luiz rief an; es gab einen für Duncan unhörbaren Wortwechsel, und die Soldaten standen mit tief gehaltenen und ständig auf ihn gerichteten Gewehren dabei. Er saß nur da, streichelte das Dus und besänftigte es.

Die Wachen schwitzten sichtlich. Einem erregten Dus gegenüberzustehen, das erforderte etwas von einem Mann. Aber sie waren standhaft. Es gab keine Panik. Boaz wischte sich über das Gesicht.

»Es dauert nicht mehr lange bis zum Ankoppeln«, sagte sie. »Wollen Sie etwas Wasser oder etwas zu essen?«

Das war das erste derartige Angebot. Er zögerte noch etwas, dachte daran, daß Verpflichtungen das Ergebnis wären, hätte es sich bei ihnen um Mri gehandelt.

Aber Verpflichtungen würde es auch hier geben.

»Wenn es frei vor mich hingesetzt wird«, sagte er, »werde ich es nehmen.«

So geschah es. Boaz gab den Befehl, und ein Posten setzte einen Pappbecher mit Wasser und ein in Kunststoff gewickeltes Sandwich in Reichweite Duncans ab. Duncan nahm den Becher und hielt ihn unter den Schleier, um langsam davon zu trinken. Das Wasser war eiskalt und schmeckte nach Tagen des Wassers in der Wüste seltsam aseptisch.

Ebenso riß er mit den Fingern Stücke aus dem Sandwich und aß, ohne den Schleier abzunehmen. Er wollte sein Gesicht nicht der Neugier der anderen aussetzen. Ihm fehlte die Kraft, um dazusitzen und Haß mit ihnen auszutauschen; der Schleier verhinderte Fragen. Trotzdem zitterten seine Hände. Er versuchte es zu verhindern, aber es handelte sich einfach um Schwäche. Zu lange hatte er sich nur von den Stengeln ernährt. Sein Magen rebellierte bei mehr als nur ein paar Bissen. Was übrigblieb, wickelte er wieder in den Kunststoff und steckte es in die Gürteltasche, sparte es sich für Notfälle auf.

Und er faltete die Hände und wartete. Er war mü- de, unbeschreiblich müde. In der Eintönigkeit des Anfluges wollte er schlafen und tat es auch, die Augen geschlossen, die Hände gefaltet und im Wissen, daß das Dus drohend die anderen beobachtete, die im Raum waren und ihre Besucher betrachteten.

Boaz kam und ging. Luiz kam und bot ihm an – ein aufrichtiges Angebot, dachte Duncan –, den Husten zu behandeln, der ihn manchmal peinigte.

»Nein«, sagte er ruhig. »Danke, nein.«

Diese Antwort brachte Luiz zum Schweigen, wie er auch Boaz zum Schweigen gebracht hatte. Duncan war erleichtert darüber, alleingelassen zu werden, und atmete ruhig. Er starrte den Mann an, der die Soldaten befehligte – kannte dessen Geisteszustand ohne die Hilfe des Dus, das kalte Mißtrauen, den Beinahe-Haß, der den Menschen zum Töten veranlaßte. Tote Augen, unähnlich denen der Mri unter Brüdern: ein Havener, der viel Übles gesehen hatte. Er hatte eine Brandnarbe auf einer Wange, die er nicht hatte beseitigen lassen. Also ein Mann von der Front, kein Offizier aus der Etappe. Duncan hatte Respekt vor ihm.

Und dieser Mann schätzte ihn vielleicht ab. Blicke bohrten sich ineinander. Verräter, war der Gedanke, der aus dem Blick des Mannes gelesen werden konnte; er wunderte sich, aber er verzieh nicht. Duncan verstand so einen Mann gut.

Diesen würde er als ersten töten, wenn sie Hand an ihn legten. Um die anderen würde sich das Dus kümmern.

Laß nicht zu, daß sie mich anfassen! dachte er daraufhin immer wieder, denn ihm fiel ein, weshalb er gekommen war und was von seinem Leben abhing. Aber nach außen behielt er nach wie vor seine Ruhe bei, hielt die Hände gefaltet und die Augen ins Leere gerichtet, manchmal geschlossen. Im Augenblick benötigte er nichts als Ruhe.

Schließlich erfolgte das Andockmanöver, kam der sanfte Ruck. Weder Boaz noch Luiz waren seit einiger Zeit dagewesen – besprachen sich zweifellos mit einer vorgesetzten Dienststelle.

Und Luiz wies mit dem Kopf zur Tür.

»Sie werden Ihre Waffen hierlassen müssen«, sagte er. »Das ist die einfachste Methode. Sonst werden sie Sie dazu zwingen, und das hätten wir lieber nicht.«

Duncan stand auf und erwog die Situation, löste schließlich den Gürtel mit den Yin'ein und den kleineren mit den Zahen'ein, drehte sich um und legte beide auf die Bank, auf der er gesessen hatte.

»Boss«, sagte er. »Tragen Sie sie für mich. Ich werde sie wohl nicht brauchen.«

Sie ging hin und hob sie vorsichtig auf.

»Und das Dus bleibt hier!« sagte Luiz.

»Das ist weise«, erwiderte Duncan, denn er wollte das Tier nicht dem Streß der kommenden Situation aussetzen. »Es wird hierbleiben. Haben Sie alle Vorbereitungen getroffen?«

Luiz nickte, und die Wachen nahmen ihre Positionen ein, um Duncan hinauszubegleiten. Er fühlte sich seltsam leicht ohne seine Waffen. Er blieb stehen, betrachtete das Dus, redete mit ihm, und es stöhnte und ließ sich unglücklich nieder, den Kopf auf den Tatzen. Dann wandte er sich wieder Boaz zu. »Wenn ich Sie wäre, würde ich niemanden das Tier anfassen lassen«, sagte er und ging mit den Wachen.

* * *

Die glänzenden Metallkorridore der SABER erklangen unter den Geräuschen auf- und zugehender Tü- ren. Duncan wartete, bis ein weiteres Kommando Soldaten aufmarschierte, um seine Begleitung zu übernehmen.

Und so wenig Aufmerksamkeit er diesen Profis geschenkt hatte, so sehr widmete er sie dem sommersprossigen Mann, der bei der Gruppe von der SABER das Kommando hatte.

»Galey«, sagte er.

Der Soldat betrachtete ihn, versuchte den Rücken steifzumachen und wandelte es in ein Achselzucken um. »Man hat mich beauftragt, weil ich Sie kenne, Sir. Kommen Sie mit! Der Admiral will mit Ihnen sprechen. Lassen Sie uns das friedlich erledigen, okay?«

»Ich bin gekommen, um mit ihm zu sprechen«, sagte Duncan. Galey wirkte erleichtert.

»Alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sind zu Fuß gekommen, wurde gesagt. Kommen Sie aus eigenem Antrieb?«

Duncan nickte nach Mri-Art. »Ja«, bestätigte er. »Es war meine eigene Entscheidung.«

»Ich muß Sie durchsuchen.«

Duncan sagte sich, daß Galey selbst keine Wahl hatte, und nickte zustimmend – stand mit ausgebreiteten Armen da, während Galey die oberflächliche Durchsuchung selbst ausführte. Als er damit fertig war, rückte Duncan seine Gewänder wieder zurecht und stand reglos.

»Ich habe eine Uniform, die passen könnte«, sagte Galey.

»Nein.«

Galey wirkte darüber bestürzt. Er nickte den anderen zu. Sie setzten sich in Bewegung; Duncan ging neben Galey, und von vorn und hinten waren Gewehre auf ihn gerichtet.

Die Luft wies einen alten und vertrauten Geruch auf, feucht und moschusartig. Menschen, dachte Duncan; aber es gab darin eine kleine Spur, die er auf dem anderen Schiff nicht bemerkt hatte.

Regul!

Duncan blieb stehen. Ein Gewehrlauf stieß in seinen Rücken. Er holte tief Luft und ging weiter, hielt sich neben Galey.

Die Bürotür stand offen; Duncan wußte, wohin er sich zu wenden hatte, und Galey begleitete ihn in das Büro und die Anwesenheit des Admirals.

Koch saß hinter dem Schreibtisch.

Und neben ihm saß eine Regul in ihrem Schlitten. Duncan betrachtete ihr knochiges Gesicht, während ihm das Herz gegen die Rippen hämmerte. Das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit. Die Nasenlöcher der Regul schlossen sich ruckartig.

»Ein Verbündeter, Sir?« wollte Duncan von Koch wissen, bevor er zum Sprechen aufgefordert worden war, bevor überhaupt jemand etwas gesagt hatte.

»Sharn Alagn-ni.« Die Augen des Admirals waren dunkel und schmal wie die der Regul. Sein Kopf mit dem weißen, kurzgeschorenen Haar wirkte noch kahler als früher, das Gesicht dünner und härter. »Setzen Sie sich, ObTak!«

Duncan setzte sich auf einen Stuhl an einer Ecke des Schreibtisches, lehnte sich zurück und ließ den Blick von Koch zu der Regul schweifen. »Muß ich meinen Bericht in Gegenwart einer Fremden erstatten?«

»Einer Verbündeten. Dies ist ein gemeinsames Unternehmen.«

Teile formten sich zu einem System. »Eine Verbündete«, sagte Duncan und blickte Sharn voll an, »die versucht hat, uns zu töten, und die mein Schiff zerstört hat.«

Die Regul zischte. »Bai Koch, er ist ein Mri. Er ist keiner von Ihren Leuten. Er spricht für seine eigenen Absichten, dieser Jungling-ohne-ein-Nest. Wir haben den Weg gesehen, den diese Mri genommen haben, die Orte ohne Leben. Wir haben ihr Werk gesehen. Dieser formbare Jungling ist von ihnen beeindruckt worden und jetzt einer von ihnen.«

»Ich hatte Signalbojen hinterlassen«, sagte Duncan mit Blick auf Koch, »die etwas erklären sollten. Haben Sie sie gehört? Hat irgend jemand auf die Botschaften gehört, bevor Sie das Feuer eröffneten? Oder hat sich jemand gleich zu Anfang um die Bojen gekümmert?«

Kochs Augen flackerten auf, nicht mehr. Sharns grobe Haut färbte sich dunkler.

»Ich habe in diesen Botschaften berichtet, daß die Mri zur Freundschaft bereit sind. Das wir eine Übereinkunft getroffen haben.«

Sharn zischte plötzlich. Die Farbe verließ sie. »Verrat!«

»In unseren beiden Häusern«, sagte Duncan. »Bai Sharn, ich bin gesandt worden, um mich den Mri anzunähern, wie Sie sicherlich gesandt wurden, um mich aufzuhalten. Wir sind vielleicht die einzigen in diesem Raum, die einander wirklich verstehen.«

»Sie tun sich selbst nichts Gutes«, meinte Koch.

Duncan zuckte die Achseln. »Habe ich recht mit den Signalbojen? War es Sharn, die entschieden hat, gegen die Städte vorzugehen?«

»Es wurde auf uns gefeuert«, sagte Koch.

»Von meinem Schiff? Waren nicht die Regul die ersten?«

Koch schwieg.

»Sie haben gemordet«, sagte Duncan. »Die Mri hätten sich dafür entschieden, zu verhandeln, aber Sie haben die Regul vorangehen lassen. Sie haben Verteidigungsanlagen aktiviert. Sie kämpfen gegen Maschinen. Und wenn Sie aufhören, werden die Maschinen auch das Feuer einstellen. Wenn Sie weitermachen, werden Sie einen Planeten auslöschen.«

»Das wäre vielleicht der sicherste Weg.«

Duncan zog sich an einen fernen, kalten Ort in sich selbst zurück, starrte den Admiral weiterhin an. »Die FLOWER ist Zeuge dessen, was Sie tun. Was Sie hier tun, wird berichtet werden, und es wird die Menschheit verändern. Vielleicht begreifen Sie das nicht, aber es wird Sie verändern, wenn Sie es tun. Sie werden letzte Hand an die Wüste der Sterne legen, die Sie durchreist haben. Sie werden die Monster sein.«

»Unfug!«

»Sie wissen, was ich meine. Die FLOWER ist Ihr Gewissen. Stavros oder wer immer sie mitgeschickt hat, hat richtig gehandelt. Es wird Zeugen geben. Der Leutnant hier und andere aus Ihrer Besatzung werden Zeugen sein. Sie führen Krieg gegen ein sterbendes Volk, vernichten eine uralte Welt.« Sein Blick wanderte zu Sharn, deren Nasenschlitze völlig geschlossen waren. »Und Sie ebenso. Bai Sharn, denken Sie, daß Sie die Menschheit ohne Mri wollen? Denken Sie an Hammnis und Gleichgewicht. Betrachten Sie sich ihre gegenwärtigen Verbündeten. Einer ohne den anderen ist für die Regul gefährlich. Glauben Sie nicht, daß die Menschheit Sie liebt. Sehen Sie mich an, Bai Sharn.«

Die Nasenlöcher der Bai flatterten rasch. »Töten Sie diesen Jungling! Befreien Sie sich von ihm und seinen Ratschlägen, Bai Koch! Er ist Gift!«

Duncan wandte den Blick wieder zu Koch, zu dessen kalten Augen, die es ablehnten, durch ihn oder Sharn verstimmt zu werden. Und als er plötzlich wieder an die Menschen dachte, wußte er dieses eine: die Havener waren voller Haß. Ein Mri konnte nicht die Haltung einnehmen, wie Koch es tat. Ein Mri war Untertan einer She'pan, und eine She'pan dachte in Äonen.

»Sie wollen sie töten«, sagte er zu Koch, »und Sie denken vielleicht daran, mich als eine Informationsquelle festzuhalten. Ich werde Ihnen sagen, was ich weiß. Aber ich würde es vorziehen, es nicht in Gegenwart der Bai zu sagen.«

Er hatte Koch in Nachteil gesetzt. Er würde Sharn wegschicken oder dabehalten müssen, und für beides war eine Entscheidung erforderlich.

»Geben Sie Ihre Erklärung gegenüber dem Sicherheitschef ab«, sagte Koch. »Der Bericht wird an mich weitergeleitet.«

»Denen werde ich nichts sagen«, wies Duncan zurück.

Koch saß da und starrte ihn an, glaubte ihm vielleicht sogar. Röte überzog sein Gesicht und blieb darin; an der Schläfe pulsierte eine Ader. »Also, was haben Sie zu sagen?«

»Als erstes, daß ich wieder gehe, wenn ich fertig bin. Ich bin aus dem Dienst ausgeschieden. Ich bin zweiter hinter dem Kel'anth der Mri. Wenn Sie mich festhalten, ist das Ihre Entscheidung, aber ich unterstehe nicht mehr der Befehlsgewalt von Stavros oder Ihres Dienstes.«

»Sie sind ein Deserteur!«

Duncan atmete leicht aus. »Ich bin an Bord eines Mri-Schiffes geschickt worden, um mit den Mri Kontakt zu halten, als ein Köder. Ich bin von euch weggeworfen worden. Die She'pan hat mich aufgenommen.«

Koch schwieg für eine geraume Weile. Schließlich öffnete er den Schreibtisch, holte einen Bogen Papier heraus und schob ihn über den Tisch. Duncan langte danach und stellte fest, daß die Druckbuchstaben für seine Augen ungewohnt geworden waren.

Zahlencode. Einer davon war seiner. Beglaubigungen, Sonderzuweisung Sten X Duncan: abkommandiert von Dienst 9/4/21 zu Mission mit Code Prober. Autorisierungscode Phönix, Beschränkungen in verschlüsselter Akte SS-DS-34. Kraft meiner Befehlsgewalt, heutigen Datums, George T. Stavros, Gouverneur, Zone Kesrith.

Duncan blickte auf.

»Ihre Vollmachten«, sagte Koch, »enthalten Vermittlung – nach meinem Ermessen. Ihr Treuebruch ist erwartet worden.«

Duncan faltete das Papier sorgfältig zusammen, steckte es in den Gürtel, und Wut baute sich währenddessen in ihm auf. Er unterdrückte den Impuls. Wenn ich dich wütend machen kann, hatte Niun einmal gesagt, bin ich wieder an deiner Abwehr vorbeigekommen. Ich habe dir dann außerhalb des Spiels etwas zum Nachdenken gegeben.

Er betrachtete Sharn, deren Nasenlöcher zitterten, deren knochige Lippen zusammengepreßt waren.

»Wenn nicht weiter gefeuert wird«, sagte Koch, »werden auch wir aufhören.«

»Das erleichtert mich«, sagte Duncan.

»Und wir werden landen und dafür sorgen, daß die Dinge dauerhaft geregelt werden.«

»Ich werde die Einstellung des Feuers arrangieren. Bringen Sie mich wieder auf den Planeten!«

»Tun Sie es nicht«, sagte Sharn. »Dieser Bai wird zu jeder Verständigung mit diesen Kreaturen eine harte Haltung einnehmen.«

»Fürchten Sie«, fragte Duncan zynisch, »das Gedächtnis eines Mri?«

Sharns Nasenlöcher schnappten zu, Farbe kam und ging auf ihrer Haut. Ihre Finger fuhren rasch über die Konsole, und immer noch starrte sie beide Männer an.

»Mri können sich auf Nicht-Mri einstellen«, meinte Duncan. »Ich bin der lebende Beweis, daß es möglich ist.«

Kochs dunkle Augen musterten ihn aufmerksam. »Senken Sie den Schleier, ObTak.«

Duncan gehorchte, starrte den Mann aus nacktem Gesicht heraus an.

»Es fällt Ihnen nicht leicht«, meinte Koch.

»Ich bin nicht so weit weg, daß Sie mit mir nicht mehr verhandeln könnten. Ich bin das, was Stavros vielleicht beabsichtigt hat. Ich bin nützlich für Sie. Ich kann eine She'pan des Volkes zum Verhandeln bewegen, und das ist mehr, als Sie mit irgendeinem anderen Mittel erreichen können.«

»Sie können einen Tag opfern. Das Feuer hat aufgehört, solange wir unseren Abstand halten. Sie werden sich besprechen.«

»Ja. Ich werde mit Boaz reden.«

»Sie ist nicht qualifiziert.«

»Sie ist qualifizierter als Ihre Sicherheitsleute. Ihre Arbeit qualifiziert sie. Ich werde mit ihr reden. Sie kann verstehen, was ich sage. Die anderen würden es nicht verstehen. Sie würden versuchen, zu interpretieren.«

»Jemand von der Sicherheit wird dabeisein. Er wird Fragen vorschlagen.«

»Ich werde beantworten, was ich für richtig halte. Ich werde nicht dabei helfen, die Mri zu lokalisieren.«

»Dann wissen Sie, wo ihr Hauptquartier ist.«

Duncan lächelte. »Felsen und Sand, Düne und Ebenen. Dort werden Sie sie finden. Mehr werden Sie von mir nicht erfahren.«

»Wir werden Sie wiederfinden, wenn wir wollen.«

»Ich werde leicht zu finden sein. Schicken Sie einfach die FLOWER zum selben Landeplatz und warten Sie. Ich werde schließlich kommen.«

Koch nagte an seiner Unterlippe. »Sie können eine Beilegung dieser Sache herbeiführen?«

»Ja.«

»Ich mißtraue Ihrer Zuversicht.«

»Sie werden auf mich hören. Ich rede mit ihnen in ihrer Sprache.«

»Zweifellos. Gehen Sie, reden Sie mit Boaz!«

»Ich möchte, daß Sie ein Shuttle für mich bereithalten.«

Koch runzelte die Stirn.

»Ich werde eins brauchen«, sagte Duncan. »Oder arrangieren Sie meinen Transport auf Ihre Weise. Ich empfehle Ihnen, das relativ rasch zu tun. Die Mri werden nicht leicht zu finden sein. Es kann seine Zeit dauern.«

Koch fluchte leise. »Boaz kann Sie für zehn Stunden haben. Gehen Sie! Sie sind entlassen!«

Duncan verschleierte sich und stand auf, kreuzte die Arme und neigte leicht den Kopf in einer Geste des Respekts.

Und zwischen den Wachen, die an der Tür gewartet hatten, ging er hinaus.

Ein gedrungener Schatten war dort. Er warf sich zurück. Eine Regul-Hand schloß sich mit zermalmender Kraft um seinen Arm. Der Regul schrie ihn gellend an, und Duncan wand sich in diesem Griff; eine Klinge fuhr ihm brennend über die Rippen.

Die Sicherheit reagierte. Menschliche Körper fuhren dazwischen, und der Regul verlor das Gleichgewicht, fiel zu Boden und zog Duncan mit sich. Galeys Stiefel trat immer wieder auf das Handgelenk des Regul in dem Versuch, das Messer daraus zu lösen.

Duncan warf sich herum, riß eine Pistole aus dem Halfter ihres Besitzers und drehte sich um. Männer griffen nach ihm, stürzten sich auf ihn.

Sharn.

Die dunklen Augen der Regul waren um die Ränder weiß vor Entsetzen. Duncan feuerte, ließ los, als ihn die Wachen ergriffen, ließ sie ihm die Pistole widerstandslos abnehmen.

Er hatte den Feind des Volkes beseitigt. Die anderen, die Junglinge, waren nichts. Er holte tief Atem, als die Wachen ihn wieder auf die Füße zogen, und betrachtete mit nüchternem Bedauern den im Schlitten zusammengesunkenen Körper.

Und Koch war mit rotem Gesicht aufgesprungen, die Nase weiß vor Entsetzen.

»Ich diene der She'pan des Volkes«, sagte Duncan ruhig, lehnte es ab, gegen die Hände zu kämpfen, die ihn festhielten. »Ich habe eine Hinrichtung ausgeführt. Nun führen Sie Ihre durch oder lassen Sie mich gehen und dienen so den Interessen beider Seiten. Die Regul wissen, was ich bin. Sie werden nicht überrascht sein. Das wissen Sie. Ich kann Ihnen jetzt zum Frieden mit Kutath verhelfen.«

In der Ecke kroch der losgelassene und entwaffnete Jungling neben den Schlitten. Er äußerte ein merkwürdiges gurgelndes Geräusch, Regul-Kummer. Dunkle Augen starrten zu Duncan hinauf. Er miß- achtete sie.

»Gehen Sie!« sagte Koch. Der Zorn auf seinem Gesicht hatte irgendwie nachgelassen. Sein Blick war seltsam berechnend. Er blickte zu den Wachen, zu Galey. »Er wird Sie begleiten. Rühren Sie ihn nicht an!«

Duncan schüttelte seine Arme frei, ordnete seine Gewänder und verließ den Raum, ging durch einen konfusen Haufen von Regul-Junglingen hindurch, die sich draußen versammelt hatten. Einer, eher erwachsen als ein Jungling, starrte ihn an, seine Nasenlöcher bebten in äußerster Erregung. Er versteckte sich hastig hinter einem anderen, als Duncan vorbeiging.

Ruhig und ohne den Menschen, die entlang des Korridors standen und ihn anstarrten, auch nur einen Blick zuzuwerfen, ging Duncan zur FLOWER zurück.

* * *

»Was wollen Sie jetzt machen?« fragte Boaz nach langem Schweigen.

Duncan betrachtete das Band, und Boaz schaltete es ab. Er saß mit gekreuzten Beinen auf dem großen Stuhl, Ellbogen auf den Knien, hatte sich aus Achtung vor Boaz dagegen entschieden, auf dem Boden zu sitzen.

»Was ich schon sagte. Genau, was ich sagte.«

»Vernünftig mit den Mri reden?«

»Sie halten das nicht für möglich.«

»Sie sind der Experte«, meinte sie. »Sagen Sie es mir!«

»Es ist möglich, Boss. Zu Mri-Bedingungen ist es möglich.«

»Nach einem Mord?«

Er blinzelte langsam. Er war verschleiert. Er fühlte sich unter den Menschen nicht wohl, nicht einmal hier unter den Bedingungen der Gastfreundschaft. »Ich habe getan, was getan werden mußte. Niemand sonst hätte es tun können.«

»Rache?«

»Praktische Erwägungen.«

»Die Mri verspüren keine Abneigung gegen die Regul, sagen Sie?«

»Sie haben die Regul vergessen. Das liegt eine Dunkelheit zurück. Ich habe eine aktuelle Angelegenheit bereinigt. Es ist vorbei, Boss, bereinigt.«

»Und Ihre Hände?«

»Kein Bedauern.«

Sie schwieg für eine Weile, und was immer sie sagen wollte, sie verschwieg es. Dieser plötzliche Abstand lag wie ein Schleier über ihren Augen. »Ja. Das kann ich mir vorstellen.«

»Es gab eine Frau, an deren Tod die Regul schuld sind. Sie war nicht die einzige.«

»Ich freue mich, daß wenigstens soviel in Ihnen erhalten blieb.«

»Ich habe die Regul nicht wegen ihr getötet.«

Boaz schwieg wieder. Es blieb immer weniger zu sagen.

»Ich werde den anderen Sten Duncan im Gedächtnis behalten«, meinte sie dann.

»Sie werden nur ihn begreifen können.«

Sie erhob sich, nahm seine Waffen vom Tisch auf und gab sie ihm zurück. »Galey wird Sie hinabfliegen. Er hat darum gebeten. Ich denke, er bildet sich ein, Sie zu kennen. Das Dus ist in der Schleuse eingeschlossen.«

»Ja.« Er wußte, wo sich das Dus aufhielt. Auch das Tier wußte von seiner Gegenwart und blieb ruhig. Er schnallte sich das vertraute Gewicht der Waffen um, faßte an sein J'tal, zog die Gürtel straffer. »Ich würde jetzt lieber aufbrechen.«

»Es ist alles arrangiert. Man hat einen Signalgeber in einer Gepäcktasche untergebracht, die Sie mitnehmen sollen. Sie sollen ihn benutzen, wenn Sie ein Treffen herbeiführen können.«

»Ich werde eine Weile brauchen.« Er ging zur Tür, blieb stehen und überlegte, ob er den Schleier ablegen sollte, ob er jemandem gegenüber, der für ihn ein Freund gewesen war, diese Geste machen sollte.

Aber er spürte, daß sie nicht willkommen sein würde.

Er trat hinaus zwischen die dort wartenden Wachen und blickte nicht zurück.

Und mit dem Dus neben sich stieg er zum Fährendeck hinab, nahm von der Sicherheit die vorbereitete Gepäcktasche entgegen. Dort verließ er die Wachen und ging über die Rampe ins Shuttle; es war der erste Moment, an dem er frei von ihnen war.

Er ging hinein und hindurch bis zu den Kontrollen, wo Galey wartete.

Ein tapferer Mann, dieser Galey. Duncan betrachtete ihn kritisch, als er aufstand, um ihn zu begrüßen und dem Dus Platz zu machen, das sich zwischen sie drängte. Angst; er spürte sie in den Dus-Gefühlen; aber etwas anderes hatte Galey trotzdem dazu getrieben, jetzt hier zu sein.

Loyalität?

Duncan wußte es nicht, zu was, warum oder wie er das in einem Mann bewirkt haben konnte, den er kaum kannte... nur, daß sie beide Sil'athen durchwandert hatten – daß auch dieser Mann das Hinterland von Kesrith gesehen hatte, wie nur wenige seiner Rasse.

Er reichte ihm nach Menschenart die Hand, und Galeys Hand war feucht.

»Haben Sie eine Idee, wo Sie hinwollen?«

»Lassen Sie mich beim zerstörten Schiff hinaus, auf dem vorherigen Landeplatz der FLOWER. Ich werde es schaffen.«

»Ja, Sir«, sagte Galey.

Er nahm seinen Platz an den Kontrollen ein. Duncan nahm den Sitz neben ihm und schnallte sich an, während das Dus sich energisch dazwischenzwängte, sich einen Halt verschaffte: es war raumerfahren, das Tier.

Lichter flammten auf. Duncan betrachtete Galeys eifriges und von den Instrumenten grün beleuchtetes Gesicht. Die Luke ging auf, und die Fähre schwang sich hinaus und auf den Planeten zu.

»Polar einfliegen«, empfahl Duncan. »Die Verteidigungsanlagen sind noch aktiv.«

»Wir kennen die Route«, sagte Galey. »Wir haben sie schon benutzt.«

Und danach gab es nur wenig zu sagen. Die Oberfläche stürzte auf sie zu, wurde zu Bergen und Dü- nen, über die die Landefähre mit abnehmender Geschwindigkeit hinwegflog.

Dort lag der Meeresgrund, ihr Wegweiser heimwärts. Das Dus, das sich tapferer fühlte, stand auf und stemmte sich auf seine vier Beine. Duncan besänftigte es mit den Fingern, und es fing an, den knurrenden Laut des Behagens zu äußern, das aufzufangen, was in Duncans Bewußtsein lag.

Das Shuttle setzte auf und stand still. Die Luke öffnete sich.

Die kalte, dünne Luft Kutaths drang herein. Duncan befreite sich von den Gurten, stand auf, ließ das Dus los, als er nach der Gepäcktasche griff, und ging dann nach hinten zur Schleuse. Er hörte, wie hinter ihm Galey aufstand, blieb stehen und wandte sich zu ihm um.

»Alles in Ordnung bei Ihnen?« fragte Galey mit seltsamer Stimme.

»Ja.« Er wickelte sich den Schleier doppelt um das Gesicht, um die Luftveränderung leichter zu ertragen, und wandte sich wieder der Wildnis zu, die hinter der Luke lag. Er ging hinaus, die Rampe hinab, und das Dus tappte an seinen Fersen hinterher, hinab auf den Sand, der nach der Welt dort droben ein angenehmes Gefühl der Wirklichkeit vermittelte.

Heimat.

Er ging zu Anfang auf den Meeresabgrund zu, schlug eine falsche Richtung ein. Er würde den richtigen Weg nehmen, sobald das Licht schwand, wenn er sicher war, daß niemand ihn beobachten konnte. Er würde die Gepäcktasche dort zwischen den Felsen vergraben, für eine zukünftige Notwendigkeit; er vertraute keiner menschlichen Gabe genug, um sie mit zu den Mri zu nehmen; auch seine Waffen würde er von den Hüllen befreien und untersuchen, miß- traute dem, was die Menschen vielleicht damit gemacht hatten, solange er sie nicht in Händen gehabt hatte. Sie würden ihm nicht folgen können.

Der Dienst an der She'pan. Das wilde, unberührte Land. Er sog die Luft tief ein, und erst nachdem er eine beträchtliche Strecke zurückgelegt hatte, fing er an, sich darüber Gedanken zu machen, daß er die Fähre nicht starten gehört hatte.

Er blickte zurück und sah eine kleine Gestalt in der Schleuse stehen, die ihn beobachtete.

Er drehte sich um und ging weiter, und schließlich hörte er den Start.

Das Shuttle flog über ihn hinweg. Er blickte auf und sah, daß es eine Schleife flog, als wolle es ihn grüßen, und dann verschwand.