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Der Mri stand immer noch unter dem Einfluß von Beruhigungsmitteln. Er wurde ständig darunter gehalten, betäubt und verwirrt an diesem Ort, der von menschlichen Stimmen und seltsamen Maschinen widerhallte.
Sten Duncan kam herbei und blieb neben dem Bett des Mri stehen, wie er es jeden Tag zweimal machte, unter den Augen des Sicherheitsoffiziers, der außen dicht vor dem Fenster des abgeteilten Raumes stand. Er kam, um Niun zu besuchen, was ihm erlaubt war, weil er der einzige in der Kesrith-Basis war, der ihn kannte. An diesem Tag zeigten die goldenen Augen mit der großen Iris eine nebelhafte Bewußtheit. Duncan hielt diesen Blick für vorwurfsvoll.
Niun hatte Gewicht verloren. Seine goldene Haut war an vielen Stellen von heilenden Wunden bedeckt, hart und entzündet. Er hatte einen Kampf um sein Leben gekämpft und gewonnen, den er bei vollem Bewußtsein sicherlich nicht hätte gewinnen wollen; jedoch bemerkte Niun nach wie vor nicht die Menschen, die um ihn herum kamen und gingen, die Wissenschaftler, die ihn in Zusammenarbeit mit seinen Ärzten seiner Würde beraubten.
Sie waren Feinde der Menschheit, die Mri. Vierzig Jahre des Krieges, der zerstörten Welten und der Toten, die in Millionen gezählt wurden – und doch hatten die meisten Menschen den Feind niemals gesehen. Noch weniger hatten das unverschleierte Gesicht eines lebenden Mri erblickt.
Sie waren ein schönes Volk, groß und schlank und golden unter ihren schwarzen Gewändern: goldene Mähnen mit einem Hauch Bronze; feine, humanoide Gesichtszüge; lange, schmale Hände. Die Ohrläppchen hatten kleine, blasse Flaumbüschel, und die Augen hatten die Farbe glänzenden Bernsteins und verfügten über eine Nickhaut, eine Membran, die sie vor Staub und blendendem Licht schützte. Die Mri waren menschenähnlich und gleichzeitig beunruhigend fremdartig. So war es auch mit ihrem Verstand, der die Wege von Fremden begreifen konnte und es doch standhaft ablehnte, mit ihnen Kompromisse einzugehen.
Im angrenzenden Raum, wo sie ähnlich behandelt wurde, lag Melein, She'pan genannt, Anführerin der Mri, eine junge Frau und während Niun barsch und finster war, ein Krieger seiner Rasse, so war Melein vornehm und elegant. Beide Mri trugen Narben im Gesicht, drei feine Linien aus winzigen blauen Farbflecken, die schräg über jede Wange verliefen, vom inneren Augenwinkel bis zum äußeren Rand des Backenknochens, Markierungen von einer Bedeutung, die kein Mensch kannte. In Meleins schlafendem Gesicht verliehen die feinen blauen Linien den mit bronzenen Wimpern besetzten Augen eine exotische Schönheit; sie schien zu zerbrechlich zu sein, um Anteil an der Grausamkeit der Mri zu haben oder die Last der Mri-Verbrechen zu tragen. Von denen, die mit den Mri umgingen, wurden sie freundlich behandelt; sie senkten sogar die Stimme, wenn sie bei ihr im Zimmer waren, berührten sie so wenig wie möglich und vorsichtig. Sie schien weniger ein gefangener Feind zu sein als vielmehr ein liebliches, trauriges Kind.

Es war Niun, den sie für ihre Untersuchungen wählten – Niun, unzweifelhaft der Feind, dessen Gefangennahme einen hohen Preis erfordert hatte. Er war von Anfang an stärker gewesen, die Behandlung seiner Wunden einfacher; und trotzdem erwartete man offiziell nicht, daß er überlebte. Man bezeichnete die Untersuchungen als medizinische Behandlung und trug sie als solche in die Berichte ein, aber im Namen dieser Behandlung hatte man Niun holographiert, innen und außen abgetastet, ihm Gewebeproben und Blut entnommen, alles, was die Forscher haben wollten, und Duncan hatte mehr als einmal gesehen, wie er mit gefühlloser Grobheit behandelt wurde, wie man ihn auf dem Tisch liegenließ, während sich die Menschen Zeit ließen bei dem, was sie mit ihm machten.
Duncan verschloß die Augen davor, fürchtete, daß jeder von ihm vorgebrachte Protest ihn gänzlich aus der Nähe der Mri verbannen würde. Sie waren trotz ihrer schweren Verletzungen am Leben gehalten worden. Sie überlebten; sie heilten; und für Duncan war dies von größter Bedeutung. Die persönliche Ethik der Mri wies Außenstehende zurück, verabscheute Medizin, lehnte das Mitleid ihrer Feinde ab; aber in nichts war diesen beiden Mri eine Wahl gelassen worden. Sie gehörten den Wissenschaftlern, die die Mittel gefunden hatten, ihr Leben zu verlängern. Es wurde ihnen nicht erlaubt, aufzuwachen – und auch das geschah zu dem Zweck, sie am Leben zu erhalten.
»Niun«, sagte Duncan sanft, denn der Posten draußen blickte im Moment anderswo hin. Er berührte den Rücken von Niuns langgliedriger Hand, unterhalb der Fessel. Der Mri war ständig sorgfältig festgebunden, denn man befürchtete, daß Niun an den Wunden zerren würde, wenn er die Möglichkeit dazu fand. Andere gefangene Mri hatten das gemacht und sich auf diese Weise selbst getötet. Keiner war jemals am Leben erhalten worden.
»Niun«, wiederholte er, beharrlich in dem, was zu einem zweimal täglichen Ritual geworden war – um dem Mri zu zeigen, wenn schon nichts anderes, daß es noch jemanden gab, der seinen Namen aussprechen konnte; um ihn zum Denken zu bringen, an welch fernen Ort sein Bewußtsein auch wanderte; um einen Kontakt zu seinem betäubten Verstand herzustellen.
Niuns Augen schienen sich kurz auf ihn einzustellen und gaben es wieder auf, verschleierten sich, als die Membran sich über sie legte.
»Ich bin Duncan«, beharrte er und schloß die Hand kräftig um die des Mri. »Niun, hier ist Duncan.«
Die Membran glitt zurück, die Augen wurden klar. Die schlanken Finger zuckten und schlossen sich fast. Duncans Herz hüpfte hoffnungsvoll, denn dies war der erste Hinweis darauf, bei Bewußtsein zu sein, den der Mri gegeben hatte, ein Beweis dafür, daß der Verstand und der Mann, den er kannte, unversehrt waren. Duncan sah, wie die Augen des Mri durch den Raum wanderten, auf der Tür verweilten, wo der Posten war.
»Du bist noch auf Kesrith«, sagte Duncan leise, damit der Posten nichts mitbekam. »Du bist an Bord der Sonde FLOWER, dicht außerhalb der Stadt. Kümmere dich nicht um diesen Mann. Er bedeutet nichts, Niun – es ist alles in Ordnung.«
Möglicherweise verstand Niun, aber die bernsteinfarbenen Augen verschleierten und schlossen sich wieder, und er glitt zurück in den Griff der Drogen, frei von Schmerz, frei von Begreifen, frei von Erinnerungen.
Sie waren die letzten ihrer Rasse, Niun und Melein – die letzten Mri, nicht nur auf Kesrith, sondern überhaupt. Das war der Grund, warum die Wissenschaftler sie nicht gehen lassen wollten. Dies war die Möglichkeit, das Rätsel der Mri zu lösen, die sich hiernach nie wieder bot. Hier auf Kesrith waren die Mri gestorben, in einer Nacht des Feuers und des Verrats – alle, alle außer diesen beiden, die als traurige Kuriositäten in den Händen ihrer Feinde überlebten.
Und sie waren durch Duncan da hineingeraten, durch Duncan, dem sie vertraut hatten.
Duncan drückte Niuns gefühllose Schulter und wandte sich ab, hielt inne, um durch das dunkle Glasabteil in den Raum zu blicken, wo Melein im Schlaf lag. Er besuchte sie nicht mehr, nicht seitdem sich ihr Zustand gebessert hatte. Unter Mri war sie heilig gewesen, unantastbar; ein Außenstehender sprach mit ihr nicht direkt, sondern durch andere. Was sie unter ihren Feinden auch an Einsamkeit und Schrecken ertrug, war nicht schlimmer als die Erniedrigung. Sie mochte ihre Feinde hassen und mißachten; aber ihm gegenüber, dessen Namen sie kannte, der sie gekannt hatte, als sie frei war, empfand sie vielleicht tiefe Scham.
Sie schlief friedlich. Duncan betrachtete für einen Moment das sanfte Heben und Senken ihrer Brust, überzeugte sich davon, daß sie es gut und bequem hatte, drehte sich dann um und öffnete die Tür, murmelte dem Posten abwesend Dankesworte zu, und der Mann ließ ihn aus dem Bereich, der Restriktionen unterlag, in den äußeren Korridor hinaus.
Duncan stieg auf das Hauptdeck des überfüllten Forschungsschiffes hinauf, wich weiß-uniformierten Wissenschafts-Techs und blauuniformiertem Stabspersonal aus, ein Mann, der nicht auf die FLOWER gehörte. Sein eigenes Khaki-Braun war die Uniform der ObTak, der Taktischen Oberflächenwaffe. Wie das wissenschaftliche Personal der FLOWER war er ein Experte; seine Fähigkeiten wurden jedoch nicht mehr benötigt, weder auf Kesrith noch sonstwo. Der Krieg war vorbei.
Er war geworden wie die Mri – überholt, ohne Verwendung.
Er meldete sich von der FLOWER ab, eine klerikale Formalität. Die Sicherheit kannte ihn gut genug, wie alle Menschen auf Kesrith ihn kannten – den Menschen, der unter Mri gelebt hatte. Er ging hinaus auf die Rampe und diese hinab auf den Straßendamm, Teil eines Netzwerks aus Metall, das die Menschen über die pulverige Erde von Kesrith geworfen hatten.
Nichts wuchs draußen auf der weißen Ebene, soweit das Auge reichte. Leben war überall spärlich auf Kesrith mit seinen alkalischen Ebenen, seinen toten Bergketten, seinen wenigen und flachen Meeren. Die Welt wurde von einer roten Sonne beleuchtet, Arain genannt, und von zwei Monden. Kesrith war einer von sechs Planeten des Systems, der einzige wenigstens teilweise bewohnbare. Die Luft war dünn, im Schatten kalt und in Arains direktem Licht brennend heiß; und der Regen, der sie durchzog, hinterließ die Haut brennend und trocken. Pulveriger, brennender Staub kroch in alles hinein, auch durch die dichtesten Versiegelungen, peinigte die Menschen und zerstörte schließlich die Maschinen. An den meisten Stellen war Kesrith für Menschen unbewohnbar, abgesehen hier von dem Tieflandbecken um Kesriths einzige Stadt, am Ufer eines giftigen Meeres: ein kleines Gebiet, in dem es reichlich Feuchtigkeit gab, zwischen Geysiren und dampfenden Teichen und Erdkrusten, die eines Menschen Gewicht nicht trugen.
Es gab keine auf Kesrith geborenen Menschen. Die Welt hatte zuerst den Dusei gehört, großen braunen Vierfüßlern von entfernt bärenhafter Erscheinung, samthäutig, mit langsamen Bewegungen und starken Klauen. Dann waren die Mri gekommen, deren Türme sich einst zu den hohen Bergen hin erhoben hatten, wo es jetzt nur noch einen Haufen Steine gab, ein Grab für die, die darin gestorben waren.
Und dann waren die Regul gekommen, hungrig nach Land, Mineralien, und Wohlstand, und hatten die Mri zum Kampf gegen die Menschenrasse angeheuert.
Es war die Regulstadt, die die Menschheit als letzter Erbe von Kesrith übernommen hatte: eine flache Ansammlung häßlicher Gebäude, deren höchstes nur zwei Stockwerke hatte, und diese Stockwerke waren niedriger, als der menschliche Standard vorsah. Die Stadt war rechteckig angelegt: das Nom, das einzige zweistöckige Gebäude, stand ganz außen, und die anderen Gebäude bildeten die Umrandung des quadratischen Platzes vor ihm. Alle Straßen folgten diesem Bogen um den Nom-Platz – enge, für den Regul Transport entworfene Straßen, nicht für Menschenfahrzeuge, gekreuzt von Ausläufern weißen Sandes, der überall auf Kesrith fortwährend Einlaß suchte. Links von der Stadt lag das Alkali-Meer, das den Abfluß von Kesriths mineralischen Ebenen aufnahm. Vulkanisches Feuer schwelte und brodelte unter der Oberfläche dieses Meeres, genauso wie unter dem ganzen Tal, das einstmals ein zerbrechliches Land aus dünnen Krusten und mineralischen Spitzformationen gewesen war – ein Land, das jetzt durch die Narben des Kampfes zerfurcht und zerstört war.
Es gab eine Wasserwiedergewinnungsanlage, deren Türme sich ins Meer hinaus erstreckten. Reparaturen waren dort im Gange, mit denen versucht wurde, die Stadt von ihrer strengen Rationierung zu befreien. Auch einen Raumhafen hatte es hier gegeben, an der gegenüberliegenden Seite der Stadt, aber der war jetzt völlig zerstört, ein Gebiet verbrannter Erde und mit Ruinen aus verzogenem Metall, die einmal ein Regul-Schiff und ein Mri-Schiff gewesen waren.
An Schiffen gab es auf dem Planeten jetzt nur die FLOWER – eine für hafenlose Landungen entworfene Sonde für Außenweltler –, die sich auf eine Kuppe aus hartem Fels duckte, die sich neben der Straße zur Wasseranlage erhob. Neben ihr hatte man durch das Auslegen von Stahlnetzen, durch Füllungen und Härtung der unstabilen Oberfläche ein Flugfeld improvisiert – eine Arbeit, die schon bald den ätzenden Regenfällen zum Opfer fallen würde. Auf Kesrith war nichts von Dauer. Alles hielt solange, wie es ständige Wartung und Reparaturen erfuhr; aber das Wetter und der Staub überwanden es am Ende doch immer. Die gesamte Oberfläche Kesriths schien unter den wolkenbruchartigen Regenfällen zu schmelzen und zu zerfließen; die gesamte Sturmlage des Kontinents wurde durch Bergbarrieren zu diesem Becken hin kanalisiert und erweckte es zum Leben, machte das Leben dort jedoch gleichzeitig schwierig.
Dies war eine Umwelt, in der nur die Dusei und die Mri jemals ohne den Schutz künstlicher Umgebungen gediehen waren; und die Mri hatten das durch Vertrauen auf die Dusei geschafft.
Ein solches Erbe hatte die Menschheit angetreten, späte Invasoren im Krieg gegen die Mri und jetzt im Krieg mit ihrer Welt befindlich, beinahe aus ihrem Angesicht vertrieben durch die Stürme, belästigt von den wilden Dusei, in Freundschaft nur mit den Regul, die die Mri, ihre einstmaligen Verbündeten, ihre Söldner, für die Menschheit ausgerottet hatten, ein Akt des Völkermordes, nur um den Eroberern einen Gefallen zu erweisen.
Duncan schritt in der ihm eigenen langsamen Gangart über den Straßendamm und schmeckte die saure Luft. Sein nacktes Gesicht und die Hände wurden durch Arains heftige Strahlung schmerzhaft angegriffen, sogar auf diesem vergleichsweise kurzen Weg. Es war Mittag. Wenig regte sich in der Wildnis während der Stunden von Arains Zenith; die Menschen jedoch ignorierten die Sonne, geschützt innerhalb ihrer künstlichen Umwelt mit gefilterter und gekühlter Luft. Menschliche Autorität auferlegte Kesriths Tag einen menschlichen Zeitplan, zerteilte ihn in leicht verlängerte Sekunden, Minuten und Stunden zur Bequemlichkeit derer, die in der Stadt wohnten, wo das Tageslicht sichtbar und von Bedeutung war – aber das waren nur wenige. Der Universale Standard lieferte immer noch den Maßstab für die wissenschaftliche Gemeinde der FLOWER und für das Kriegsschiff, das sich in einer Kreisbahn um den Planeten befand.
Duncan ging einher mit Augen, die für das Land offen waren, erblickte den getarnten Körper eines ledrigen Jo, eines der fliegenden Geschöpfe von Kesrith, das, um die Hitze auszuhalten, im Schatten eines großen Felsens ruhte – sah auch die Spur einer Sandschlange, die vor kurzem den Boden neben dem Straßendamm überquert hatte auf der Suche nach der Unterseite irgendeines Felsens, um sich vor der Sonne und vor Raubzeug zu schützen. Das Jo wartete geduldig auf die ihm bestimmte Beute. Solche Dinge zu sehen, hatte Niun Duncan gelehrt.
Jenseits der mineralischen Ebenen rauchte ein Geysir in den Trümmern des Kampfes. Das war ein alltäglicher Anblick. Die Welt reparierte den Schaden, nahm geduldig weitere Äonen des Formens in Angriff; jedoch würden hiernach mehr Menschen in immer größerer Zahl kommen und eine Möglichkeit finden, alles wieder rückgängig und Kesrith zu ihrer Welt zu machen.
Am Rand der Stadt wich das Netzwerk dem Beton, eine Grenze, die wandernder Sand teilweise bedeckt hatte. Duncan betrat den festen Untergrund, vorbei am Beobachtungsdeck des Nom, wo ein Überwachungssystem montiert worden war, um den Straßendamm zu beobachten, und hinauf zur Hintertür, das zum Haupteingang für das menschliche Personal geworden war, da sie der FLOWER zugewandt war und dem Flugfeld und dem Landeplatz der Fähren.
Zischend öffnete und schloß sich die Tür. Die Nom Luft kam wie ein Schock, so duftete sie nach den ihr eigenen gefilterten Ausdünstungen von Menschen und Regul, befeuchtet und süßer als die Luft draußen, diese Sonnenlicht-über-Kalt-Hitze, die gleichzeitig brannte und frieren machte. Hier jedoch gab es Gärten, die während der Rationierung teilweise bewässert wurden, botanische Musterstücke von Regul Welten und deshalb wichtig: eine leberfleckige weiße Kletterpflanze, die unter Streß ihre Lavendelblüten verloren hatte; ein traurig aussehender Baum mit spärlichen Silberblättern; ein kräftiges graugrünes Moos. Und die von den Regul errichteten Hallen – im Zentrum hoch, zumindest nach Regul-Begriffen – vermittelten einem Menschen ein Gefühl der Einschließung. Die Korridore waren abgerundet und hatten eine Vertiefung, die sich an einer Seite entlangzog, wo schimmernde Geleise den Regul-Schlitten entlang der Seite, die keine Türen hatte, eine schnellere und ungefährliche Bewegung ermöglichten. Als Duncan sich der Rampe zuwandte, huschte einer vorbei, fast zu schnell, um ihn auszumachen, raste um eine Ecke und war verschwunden. Bei dieser Geschwindigkeit handelte es sich um einen Versorgungsschlitten, der Lasten trug, aber kein Personal.
Regul neigten sehr zu Automatisierung. Sie bewegten sich langsam und bedächtig, ihre kurzen Beine unfähig dazu, ihr Körpergewicht auch nur über irgendeine kleinere Entfernung zu tragen. Die Regul, die zu Fuß umhergingen, waren noch Junglinge, geschlechtslos und noch beweglich, hatten noch nicht die Körpermasse eines Erwachsenen erreicht. Die Älteren, deren Beinmuskeln verkümmert waren, bewegten sich fast gar nicht, außer mit der künstlichen Beweglichkeit ihrer Schlitten.
Und Menschen, fremd an diesem Ort, gingen durch die Korridore des Nom, schreitende Gestalten von seltsam wirkender Hast zwischen den geduckten, langsamen Regul.
Duncans Privatquatier befand sich auf der zweiten Etage. In einem Sinn war es luxuriös: Alleinsein war ein Komfort, den er für sehr lange Zeit nicht gekannt hatte, denn er war als Assistent des Gouverneurs nach Kesrith gekommen. Er war sich jedoch überaus deutlich dessen bewußt, was dieser kleine, einzelne Raum bedeutete: den Sturz aus der Vertrautheit mit den bedeutenden Mächten von Kesrith, im besonderen mit Stavros, dem Ehrenwerten George Stavros, Gouverneur der neuen, von den Menschen eroberten Gebiete. Duncan hatte sich auf seinem Posten still durch einen militärischen medizinischen Gehilfen ersetzt gefunden, einem Evans, E. Er war aus den Hinterlanden von Kesrith und dem Lazarett zurückgekehrt, um diese Situation vorzufinden, und obwohl er es gehofft hatte, hatte er keine Aufforderung dazu erhalten, in sein altes Quartier im Vorraum von Stavros' Apartment zurückzukehren, diesen Posten des Regul Protokolls, den die Menschen inmitten ihrer unterworfenen Gastgeber doch noch peinlich genau in der Öffentlichkeit wahrnahmen. Ein Ältester von Stavros' hohem Rang mußte zumindest einen Jungling haben, der sich um seine Bedürfnisse kümmerte und unwillkommene Besucher abwies; und diese Pflicht oblag jetzt Evans. Duncan wurde auf Abstand gehalten; sein Kontakt mit Stavros, einst eng, war plötzlich formell: ein gelegentlicher Gruß, wenn sie in der Halle aneinander vorbeikamen, das war schon alles. Selbst die Befragung nach seiner Mission war von anderen durchgeführt worden, durch die Wissenschaftler, die Mediziner und die Militärs.
Duncan begriff seine Ungnade jetzt als dauerhaft. Sie war Stavros' Konzession an die Regul, die ihn haßten und seinen Einfluß fürchteten. Und welches seine Position auf Kesrith hiernach sein würde, wußte er nicht.
Für seine persönlichen Hoffnungen war es das Ende. Durch die Pflege von Stavros' Gunst hätte er sich in eine Position im kolonialen Stab hinaufarbeiten können. Ihm stand immer noch aufgrund seiner Anstellung für fünf Jahre während des gefährlichen Stadiums der Kesrithi-Mission eine lukrative Bezahlung zu – Gehalt, Prämie und Transport zu der Welt seiner Wahl, oder Niederlassung auf Kesrith selbst, wenn der Gouverneur zustimmte. Einst hatten solche Hoffnungen, die er halb glaubte, ihn kurz angelockt. Er hatte den Posten angenommen, weil er ein Angebot war, in einem Gebiet und zu einer Zeit, wo Angebote selten waren; und weil er sich seinem statistischen Überlebenslimit bei gefährlicheren Missionen genä- hert hatte. Damals war ihm der Posten als Möglichkeit zum Überleben erschienen, wenigstens knapp – wie er immer überlebt hatte.
Er hatte wieder überlebt, war zernarbt, sonnenverbrannt und geistig erschüttert von Stavros' Dienst zurückgekehrt, nach einem Marsch durch die Kesrithi Hinterlande, den die kürzlich angekommenen regulä- ren Truppen nie überlebt hätten. Er hatte Kesrith kennengelernt, wie es kein anderer Mensch nach ihm tun würde; und er war unter Mri gewesen und lebendig zurückgekehrt, was kein Mensch vor ihm geschafft hatte.
Und in seinem Schmerz hatte er Stavros die Wahrheit von dem berichtet, was er erfahren hatte, direkt und vertrauensvoll.
Das war sein großer Fehler gewesen.
* * *
Er ging an der Tür von Stavros und Evans vorbei und öffnete sein eigenes Apartment, spartanisch eingerichtet und ohne den kleinen Vorraum, der für den Status im Nom wesentlich war, was die Regul anging. Er berührte den Schalter, der die Tür schloß, und öffnete an derselben Schalttafel die Sturmschilde. Die Fenster gewährten Ausblick auf den Weg, den er gekommen war, auf die FLOWER auf ihrer Kuppe, ein geducktes halbes Ei auf Stelzen; auf den Himmel, der zumindest im Augenblick wolkenlos war und von rostigem Blaßrot. Seit Tagen hatte es keinen Sturm mehr gegeben. Wie die verschiedenen Bewohner von Kesrith schien auch die Natur ihre Gewalt verausgabt zu haben; es lag eine erschöpfte Ruhe über der Welt.
Duncan zog sich aus und wusch sich mit einer Spezial-Lotion ab, eine Praxis, die wegen des ätzenden Staubes von Kesrith ratsam war, auf der sein Arzt nach wie vor bestand, und zog sich dann seine leichtere Uniform an. Er wollte in die Bibliothek gehen, in das Gebäude jenseits des Nom-Platzes, das durch einen unterirdischen Tunnel zu erreichen war, ein Teil des Universitätskomplexes der Regul, den jetzt die Menschen hielten.
Dort verbrachte er seine Nachmittage und Abende; und jeder, der Sten Duncan zu Hause in den Heimatterritorien der Menschheit gekannt hatte, hätte das unglaublich gefunden. Er war kein Gelehrter. Er war in seinem Beruf gut ausgebildet: er kannte die Mechanik von Schiffen und Waffen, verstand etwas von Geologie und Ökologie und der Arbeitsweise von Computern – von allen Gebieten, die für wirksamen Kampf notwendig waren, und in denen er von einer Kriegszeitjugend an ausgebildet worden war, elternlos, bezüglich der Richtung seines Lebensweges mit nur einem Ziel im Kopf. Sein ganzes Wissen war praktisch, bei Bedarf angesammelt, in seinen Kopf gestopft von Ausbildern, die nur daran interessiert waren, daß er überlebte und den Feind tötete.
So war es gewesen, bis er gesehen hatte, daß sein Krieg zu Ende war, bevor er gesehen hatte, wie sein Feind von den Regul hinterrücks ermordet wurde; und mit den Überlebenden ein Lager geteilt hatte; und gesehen hatte, wie die stolzen Mri von menschlicher Barmherzigkeit abhingen.
Zweitausend Jahre in Berichten, Karten und Bändern lagen in der Regul-Bibliothek, Wahrheiten, verschlossen hinter Regul-Sprache und Regul Unverständlichkeiten. Duncan studierte. Er erforschte, was die Mri auf Kesrith gewesen waren, was sie anderswo gewesen waren, mit einem Interesse, unendlich persönlicher als das der Wissenschaftler von der FLOWER.
Stavros mißbilligte das. Es trug Einstellungen und Interessen zur Schau, die die Regul fürchteten und denen sie mißtrauten. Und die Regul zu beleidigen, lief der neuen Annäherungspolitik der Menschheit entgegen. Es brachte Stavros in Verlegenheit; es ärgerte ihn, der auf Kesrith und in seinen neuen Territorien enorme Autorität besaß.
Aber immer noch blieb die Bibliothek das, wofür sich Duncan in seinen freien Stunden entschied und die seine nutzlose Existenz weitgehend ausfüllte. Er wurde bald zu einem Ärgernis für das wissenschaftliche Personal der FLOWER, das selbst die Bibliothek nach dem untersuchte, was daraus gewonnen werden konnte, und unterschiedslos Bänder und Berichte kopierte, damit sie später zu Hause in den Laboratorien von Elag/Haven und Zoroaster ausgewertet werden konnten. Duncan suchte sich die speziellen Berichte heraus, die mit den Mri zu tun hatten, und machte sich für bestimmte Leute von der FLOWER nützlich, die überredet werden konnten, sein Interesse zu teilen. Mit seiner eigenen stockenden Beherrschung der Regul-Sprache konnte er selbst nur wenig dafür tun, die Bänder zu verstehen oder die Karten zu interpretieren; aber er sprach mit den Wissenschaftlern, die es konnten. Er diskutierte mit ihnen; er versuchte mit all seiner Beharrlichkeit, sie begreifen zu machen, was er selbst nicht begriff. Zu lernen, was das gewesen war, mit dessen Zerstörung er sein Leben verbracht hatte, was er vollständig auszutilgen gewünscht hatte.
Er raffte seine Aufzeichnungen zusammen und sein handgeschriebenes Wörterbuch und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.
Das Licht auf der Schalttafel blitzte.
»Kose Sten Duncan«, sagte eine Regul-Stimme, gab ihm immer noch seinen alten Titel als Stavros' Assistent, was ihn überraschte. »Kose Sten Duncan.«
Er drückte den Antwortknopf und verspürte ein vages Unbehagen darüber, daß jemand im Nom sich entschieden hatte, ihm dazwischenzukommen, seine Verborgenheit zu stören. Seine ernsthafte Absicht war jetzt einfach: alleingelassen zu werden, solche Aufgaben zugeteilt zu bekommen, die ihm untere Kanäle geben konnten, und bei den höheren vergessen zu werden.
»Ich bin hier«, berichtete er dem Regul.
»Die Verehrung Bai Stavros übermittelt Ihnen den Befehl, ihn sofort in seinem Büro aufzusuchen.«
Duncan zögerte, das Herz verkrampft durch das Vorauswissen, daß seine Zeit der Gnade vorüber war. Irgendwo im Labyrinth der FLOWER mußten Papiere unterzeichnet worden sein, die ihn als dienstfähig erklärten; irgendwo im Nom wurden Papiere vorbereitet, die ihn in ähnlicher Weise für jemandes Dienst einteilten. Auf dem kolonialen Kesrith konnte nichts ohne einen bestimmten Nutzen bleiben.
»Teilen Sie der Verehrung mit«, sagte er, »daß ich sofort komme.«
Der Regul erwiderte eine kurze Silbe und beendete die Verbindung; das zeigte Mangel an Respekt. Duncan schleuderte seine Aufzeichnungen auf den Tisch, öffnete die Tür und schritt auf den Korridor hinaus.
Es war kein Zufall, daß Stavros ihn zu dieser Stunde zu sich gerufen hatte. Duncan war in seinen Gewohnheiten minutiös geworden und damit berechenbar: von seiner Behandlung am Vormittag dann mittags zu seinem Apartment, und nach einer Viertelstunde vom Apartment zur Bibliothek. Und was die Bibliothek anging, hatte er seine Warnung erhalten.
Fiebrig in seiner Ängstlichkeit fing er an, die schlimmsten Dinge vorwegzunehmen, die ihn erwarten mochten: einen Verweis; einen direkten Befehl, seine Besuche in der Bibliothek aufzugeben – oder eine Ausschließung von der FLOWER und den Mri. Er hatte Stavros' angedeutetem Mißvergnügen bereits getrotzt; und wenn er einen direkten Befehl erhielt und mißachtete, würde er sich als dauerhaft auf die Station überführt wiederfinden, auf der SABER, Kesriths militärischer Bewachung.
Wo Sie hingehören, konnte er sich Stavros' Stimme vorstellen. Überlassen Sie die Mri den Wissenschaftlern.
Er schritt steifbeinig durch den Korridor, der sich die Rampe hinabwand, stieß in der Kurve einen schwerfälligen Regul-Jungling mit der Schulter zur Seite und entschuldigte sich nicht dafür. Auch würde sich der Regul nicht bei ihm entschuldigen, einem Menschen, den er nicht zu fürchten brauchte. Ein wütendes Zischen folgte ihm, und andere Junglinge blieben stehen und funkelten ihn an.
Stavros' Büro befand sich im Erdgeschoß des treppenlosen Nom – wieder eine Statusfrage innerhalb einer Regul-Gemeinschaft –, hinter breiten Türen, die den Regul-Schlitten leichten Zugang gewährten.
Die Bürotüren standen offen. Der Sekretär in Stavros' Empfangszimmer war ein Mensch, wieder jemand vom Personal der SABER, ein KomTech, dessen spezialisierte linguistische Fähigkeiten auf diesem Posten vergeudet waren; aber letztlich dachte Stavros an die Sicherheit und setzte keinen Regul-Jungling auf diesen äußerst empfindlichen Posten, wo zuviel mitgehört werden konnte. Der Tech räkelte sich in seiner Langeweile, erkannte Duncan mit einem Ausdruck plötzlicher Zurückhaltung. Als ObTak stand Duncan außerhalb des regulären Militärs, jedoch gebührte ihm der Respekt eines KomTech.
»Der Gouverneur sagt hineingehen«, sagte der Tech; und mit dem Zucken eines kurzen Blicks zur geschlossenen inneren Tür und wieder zurück: »Der Bai ist da drin, Sir.«
Hulagh! Ältester der Regul auf Kesrith.
»Vielen Dank«, sagte Duncan mit zusammengebissenen Zähnen.
»Sir«, sagte der KomTech. »Mit Entschuldigung: der Gouverneur empfiehlt Ihnen, leise hineinzugehen. Seine Worte, Sir.«
»Ja«, sagte Duncan und zügelte seine Gereiztheit mit einer sichtbaren Anstrengung zugunsten des KomTech. Er wußte, wie man ihn auf der Kesrith Basis einschätzte – als unbesonnen und von offizieller Ungnade gezeichnet. Er kannte auch den Umgang mit Diplomaten besser als jeder Schreibtischtech.
Dies war nicht der Augenblick für Gereiztheit. Seine Überführung auf die SABER würde ein vollständiger Sieg des Regul-Bai sein. Er konnte auch noch den letzten verbleibenden Einfluß wegwerfen, den er bezüglich der Mri hatte, mit nur wenigen schlechtgewählten Worten zwischen sich und Stavros oder zwischen sich und dem Bai, und er war entschlossen, sie nicht auszusprechen. Die Regul würden irgendeine Meinungsverschiedenheit zwischen Älterem und Jungling nicht verstehen; jede Andeutung einer anderen Meinung würde auf Stavros zurückfallen, und das würde Stavros nicht hinnehmen, nicht auf einer persönlichen Basis und nicht auf einer offiziellen.
Der Sekretär öffnete durch Fernbedienung die Tür, und Duncan trat mit sanftem und leisem Schritt ein, mit einer Verbeugung und angemessener Ehrerbietung gegenüber den beiden Herrschern von Kesrith.
»Duncan«, sagte Stavros laut und nicht unfreundlich. Beide, der Mensch und der Regul Bai, waren von schimmerndem Metall umschlossen, glichen einander, bis das Auge auf dem Fleisch ruhte, das im Zentrum der Schlittenkonstruktion enthalten war. Stavros war von außerordentlich fortgeschrittenem Alter, teilweise gelähmt, und sein Leiden – das ihm auf Kesrith zugestoßen war – behinderte sein Sprechen immer noch in solchem Ausmaß, daß er den Kommunikationsschirm des Schlittens benutzte, um sich mit den Regul in ihrer komplizierten Sprache zu unterhalten. Menschen gegenüber hatte er jedoch wieder angefangen zu sprechen. Die betroffenen Glieder hatten wieder etwas Kraft gewonnen, aber Stavros blieb nach wie vor im Schlitten, von den Regul gefertigt, das Prestige eines Regul-Älteren. Geschwindigkeit, Kraft, sofortiger Zugang zu jeder Schlittenbahn im Nom: Duncan verstand die praktischen Überlegungen, aus denen heraus es Stavros ablehnte, die Maschine aufzugeben, aber er haßte die Politik, die sie repräsentierte – menschliche Anpassung an die Regul, menschliche Nachahmung der Regul-Wege.
»Sir«, sagte Duncan ruhig, erwiderte den Gruß, wandte mit dem nächsten Atemzug das Gesicht Bai Hulagh zu, höflich und gelassen und innerlich vor Wut zitternd, lächelte, während er in die kleinen dunklen Augen des Regul-Ältesten blickte. Ein großes ungeschlachtes Monster in feiner Gaze mit silbernen Rändern, das Fleisch vor lauter eingelagertem Fett zu Wülsten aufgeworfen, unter dem die Muskeln fast völlig verkümmert waren, besonders in den unteren Gliedern. Duncan verabscheute seinen Artblick. Das Gesicht des Regul war eine knochige Platte, so dunkel wie der Rest seiner Haut, und glatt, unähnlich dem Rest der Haut. Die Zusammensetzung der Gesichtszüge, ihre Symmetrie, vermittelte eine Illusion der Menschlichkeit; einzeln genommen entsprach jedoch kein Zug dem Menschen. Die Augen waren braun und rund, versunken in Vertiefungen der faltigen Haut. Die Nase bestand nur aus Schlitzen, die aufgebläht oder völlig geschlossen werden konnten. Die Lippen waren nach innen gewandt, im Moment nur ein fest zusammengepreßter Schlitz, von der Knochenplatte gesäumt. Hulaghs Nasenlöcher waren gegenwärtig eng zusammengezogen, abgesehen vom raschen Aufblähen beim Ausatmen, ein Zeichen des Mißvergnügens über die Begegnung, so bedrohlich wie ein menschliches Stirnrunzeln.
Hulagh drehte seinen Schlitten abrupt zur Seite, eine scharfe Abweisung eines anmaßenden Junglings, und lächelte Stavros an, wobei sich Augen und Nasenlöcher entspannten und sich der Mund leicht öffnete. Es war ungewiß, ob eine solche Geste für Regul natürlich war oder den Versuch darstellte, eine menschliche Geste nachzuahmen.
»Es ist gut«, sagte Hulagh in seinem polternden Basic, »daß der Jungling Duncan wiederhergestellt ist.«
»Ja«, sagte Stavros laut in der Regul-Sprache. Der Kom-Schirm des Schlittens drehte sich Duncan zu und blitzte in Basic auf, in menschlichen Symbolen und Buchstaben. Setzen Sie sich! Warten Sie!
Duncan entdeckte an der Wand einen Stuhl, setzte sich und lauschte, fragte sich, warum er zu dieser Konferenz gerufen worden war, warum Stavros sich entschlossen hatte, ihn zu Hulaghs Nutzen vorzuführen. Duncans unvollkommene Beherrschung der Regul-Sprache machte es ihm unmöglich, viel von dem aufzuschnappen, was der Regul Bai sagte, und er konnte nichts von dem verstehen, was Stavros antwortete, denn obwohl er den Kom-Schirm aus diesem Winkel sehen konnte, konnte er nur wenige Worte der komplizierten Schriftsprache lesen, welche die eidetischen Regul selbst fast nie benutzten.
Einmal etwas hören, so komplex es auch war, und die Regul vergaßen es niemals wieder. Sie benötigten keine Aufzeichnungen. Ihre Berichte waren mündlicher Natur, auf Bändern aufgezeichnet, nur dann auf Geschriebenes reduziert, wenn als von dauerhafter Bedeutung eingeschätzt.
Duncan spitzte die Ohren, als er seinen Namen erwähnt hörte und die Wendung vom Dienst befreit. Er saß still, die Hände um die Kante des dicken Regul Stuhles geklammert, während die beiden Diplomaten endlos Höflichkeiten austauschten, bis Hulagh endlich Anstalten machte, sich zu verabschieden.
Der Schlitten des Bai drehte sich. Diesmal widmete Hulagh sein falsches Lächeln Duncan. »Guten Tag, Jungling Duncan«, sagte er. Duncan war geistesgegenwärtig genug, aufzustehen und sich zu verbeugen, was die höfliche und angemessene Antwort eines Junglings an einen Älteren war; und der Schlitten huschte die offene Tür hinaus, während er dastand, die Fäuste geballt, und auf Stavros hinabblickte.
»Setzen Sie sich!« sagte Stavros.
Die Tür glitt zu. Duncan kam herein und setzte sich auf den Stuhl, der Stavros' Schlitten am nächsten stand. Die Fenster wurden schwarz, schlossen die Außenwelt aus. Nur noch die Zimmerbeleuchtung spendete Licht.
»Meinen Glückwunsch«, sagte Stavros. »Gut gespielt, wenn auch offensichtlich unaufrichtig.«
»Werde ich hinaufgeschickt?« fragte Duncan direkt, eine Abruptheit, die ein Flackern des Mißvergnügens in Stavros' Augen brachte. Duncan bedauerte sie sofort – ein weiterer Beweis seiner Unsicherheit, den Stavros lesen konnte. Vor allem diesen Eindruck hatte er vermeiden wollen.
»Geduld«, riet ihm Stavros. Dann sprach er mit dem KomTech draußen, gab den Befehl, daß Anrufe weiterhin zurückgehalten werden sollten, und entspannte sich seufzend, wobei er Duncan immer noch aufmerksam musterte. »Hulagh ist überredet worden«, sagte Stavros, »auf Ihren Kopf zu verzichten. Ich habe ihm erzählt, daß Ihre Entbehrungen in der Wüste Ihren Verstand aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Hulagh scheint das als eine Möglichkeit der Entschuldigung zu akzeptieren, die seinen Stolz nicht beeinträchtigt. Er hat sich entschlossen, Ihre Gegenwart wieder zu akzeptieren; es gefällt ihm jedoch nicht.«
»Dieser Regul«, sagte Duncan und wiederholte hartnäckig die Behauptung, die ihn ruiniert hatte, »hat Völkermord begangen. Wenn er den Knopf nicht selbst gedrückt hat, so hat er dem, der es tat, den Befehl dazu gegeben. Ich habe Ihnen berichtet, was in jener Nacht dort draußen passiert ist. Sie wissen, daß ich die Wahrheit sage. Sie wissen es.«
»Offiziell«, sagte Stavros, »weiß ich es nicht. Duncan, ich werde versuchen, vernünftig mit Ihnen zu reden. Die Dinge sind nicht so einfach, wie Sie sie gerne haben möchten. Hulagh selbst erlitt Schaden durch diese Aktion: er verlor sein Schiff, seine Junglinge, seinen gesamten Wohlstand, sein Prestige und das Prestige seines Doch. Vielleicht kommt ein Regul Doch zu Fall, eines, das für die Menschheit von Bedeutung ist. Begreifen Sie, was ich Ihnen sage? Hulaghs Doch ist die Friedenspartei. Wenn sie stürzt, wird es für alle von uns gefährlich, nicht nur für die, die sich auf Kesrith befinden. Wir sprechen über den Frieden, verstehen Sie das?«
Sie befanden sich wieder auf vertrautem Grund. An diesem Punkt setzten die Argumente an und führten zu den bekannten Positionen. Duncan öffnete den Mund, um zu reden, um beharrlich neu zu formulieren, was Stavros wußte, was er seinen Befragern unzählige Male berichtet hatte. Stavros schnitt ihm mit einer ungeduldigen Geste das Wort ab, bewahrte ihn vor der Mühe, deren Vergeblichkeit er bereits wußte. Duncan stellte fest, daß er müde war, seine Hoffnungen und sein Glaube an die Mächte, die Kesrith regierten, waren erschöpft, zum größten Teil sein Glaube an diesen Mann, dem er einmal gedient hatte.
»Hören Sie«, sagte Stavros scharf, »auch Menschen sind gestorben – bei Haven.«
»Ich war dabei«, erwiderte Duncan, voll bitterer Erinnerung. Er fügte nicht hinzu, was ebenfalls der Wahrheit entsprach, daß Stavros nicht dort gewesen war. So mancher ObTak hatte seine unbegrabene Leiche auf Elag/Haven zurückgelassen und auf zehn anderen Welten dieses Sternsektors, während sich die Diplomaten sicher hinter den Linien befanden.
»Menschen starben«, fuhr Stavros fort, versessen darauf, seinen Punkt vorzubringen, »da und hier, von Mri-Hand. Menschen wären in Zukunft gestorben – werden sterben, wenn der Frieden zusammenbrechen sollte, wenn irgendwo die Regul, die den Krieg wollen, politische Macht erlangen und noch mehr solcher Söldner wie die Mri finden. Oder kann das in Ihren Überlegungen keine Rolle spielen?«
»Es spielt eine Rolle.«
Stavros schwieg für eine Weile. Er bewegte seinen Schlitten, um nach einer Tasse Soi zu greifen, die an der Kante eines Tisches stehengelassen worden war. Er trank und starrte Duncan über den Rand der Tasse hinweg an, setzte sie wieder ab.
»Ich weiß, daß es eine Rolle spielt«, sagte er schließlich. »Duncan, ich habe es bedauert, Sie ersetzen zu müssen.«
Es war das erstemal, daß Stavros so etwas gesagt hatte. »Ja, Sir«, sagte Duncan. »Ich weiß, daß es notwendig war.«
»Es gab verschiedene Gründe«, meinte Stavros. »Erstens, weil Sie Bai Hulagh direkt ins Gesicht hinein beleidigt haben, und Sie wissen, daß Sie Glück hatten, als Sie dabei lebend davonkamen. Zweitens wurden Sie mit einer unbestimmten Prognose ins Lazarett gebracht, und ich brauchte Hilfe...« Er wies auf seinen eigenen, in Metall eingefaßten Körper. »Sie sind kein Arzt. Dazu hatten Sie sich nicht verpflichtet. Evans ist in dieser Hinsicht nützlich. Ihre Fähigkeiten sind anderswo wertvoll.«
Duncan hörte zu und war sich schmerzhaft dessen bewußt, daß mit ihm gespielt wurde, daß er auf etwas vorbereitet wurde. Man machte keine Schachzü- ge mit George Stavros; Stavros machte mit anderen Züge. Darin war er ein Profi; und der Verstand in dieser gefesselten Schale hatte nur sehr wenige menschliche Abhängigkeiten, ein alter Mann, der länger mit weltenumspannenden Krisen umgegangen war, als ObTaks zu leben pflegten, der Familie und einen bequemen Ruhestand weggeworfen hatte, um einen Gouverneursposten auf einem Frontplaneten wie Kesrith zu bekleiden. Für eine kurze Zeit hatte Duncan eine gewisse Bindung an Stavros empfunden; er hatte Stavros verschwenderisch Mühen und Treue zuteil werden lassen – hatte sogar genug an ihn geglaubt, um ihm die Wahrheit anzubieten. Aber andere mit Gerissenheit zu steuern, sogar mit Rücksichtslosigkeit, das war die Fähigkeit, für die Stavros seine Ernennung erlangt hatte. Duncan entschied sich dafür, ihm weder zu glauben noch wütend darüber zu sein, daß er benutzt worden war – und er wußte, daß selbst so Stavros die Fähigkeit besaß, ihn wiederum anzulügen.
»Ich habe Ihr Vorgehen entschuldigt«, sagte Stavros, »und es gedeckt, soweit ich konnte. Aber Sie haben Ihre Nützlichkeit für mich in der Stellung verloren, für die Sie sich verpflichtet haben. Hulagh kann dazu überredet werden, Ihre Anwesenheit hinzunehmen; aber der Verdacht, Sie seien in eine Position zurückgekehrt, die Ihnen direkten Einfluß verleiht, wäre mehr, als er ertragen könnte, und er könnte Ihr Leben gefährden. Ich will diese Art von Schwierigkeiten nicht haben, Duncan, und auch nicht die Komplikationen, die durch Ihre Ermordung auftreten würden. Regul sind einfach nicht in der Lage zu glauben, daß die Tötung eines Junglings unter uns Menschen ebenso ernst ist wie die Tötung eines Älteren.«
»Ich will nicht vom Planeten geschickt werden.«
»Das wollen Sie nicht.«
»Nein, Sir, das will ich nicht.«
Stavros starrte ihn an. »Sie haben diese persönliche Bindung an die beiden Mri. Bindung? – Besessenheit! In dieser Sache sind Sie kein rational denkender Mann mehr, Duncan! Denken Sie nach! Erklären Sie es mir! Was hoffen Sie zu tun oder zu finden? Was ist der Punkt bei dieser plötzlichen – Gelehrsamkeit von Ihnen, dieser Stunden in der Bibliothek, voll im Blickfeld der Regul? Wonach suchen Sie?«
»Ich weiß es nicht, Sir.«
»Sie wissen es nicht. Aber es umfaßt jeden Mri Bericht, den Sie finden können.«
Duncan preßte die Kiefer zusammen, lehnte sich zurück und zwang sich zu flachem Atmen. Stavros bewahrte Schweigen, wartete auf ihn. »Ich möchte wissen«, sagte Duncan schließlich, »was sie gewesen sind. Ich habe sie sterben gesehen. Ich habe eine ganze Spezies dort draußen sterben sehen. Ich möchte wissen, was das war, das ich zerstört sah.«
»Das ergibt keinen Sinn.«
»Ich war dort. Sie nicht.« Duncans Geist war erneut von der Nacht erfüllt, der Dunkelheit, dem blendenden Licht der Zerstörung. Ein Mri-Körper drückte sich an seinen, zwei Männer, die gleichermaßen vor den Gewalten erzitterten, die eine Lebensform, eine intelligente Rasse ausgelöscht hatten.
Stavros starrte ihn lange an. Sein Gesicht wurde sachlich, sogar mitleidsvoll, und das war ungewohnt bei Stavros. »Was denken Sie? Daß Sie es gewesen sein könnten, der ihnen den Angriff einbrachte? Ist es das, was an Ihnen frißt – daß Sie verantwortlich sein könnten für den Völkermord, so sehr wie Hulagh?«
Das traf den Punkt nah genug. Duncan saß still, wußte, daß er nicht in der Lage sein würde, vernünftig darüber zu sprechen. Stavros ließ das Schweigen für einen Moment im Raum hängen.
»Vielleicht«, sagte er schließlich, »wäre es besser für Sie, wenn Sie eine Zeitlang hinauf zur SABER gehen würden, in eine Umgebung, die Ihnen vertrauter ist und wo Sie mit Ihrem Nachdenken ins Reine kommen können.«
»Nein, Sir, das wäre nicht besser. Sie haben mich aus meiner Stellung bei Ihnen entlassen. Gut, ich akzeptiere das. Aber geben Sie mir etwas anderes dafür. Ich verzichte auf meine Rückführung nach Hause und auf meine Entlassung. Geben Sie mir einen anderen Posten hier auf Kesrith.«
»Das ist ein Ersuchen, nehme ich an.«
»Ja, Sir, das ist ein Ersuchen.«
»Da Sie mir zugeteilt waren, wird alles, was Sie machen, von den Regul beobachtet und als Zeichen verstanden. Sie haben die Situation beharrlich verschärft. Sie sind hierhergekommen, um zu assistieren, ObTak Duncan, nicht, um Politik zu machen.«
Duncan hatte keine Antwort darauf. Sie wurde auch nicht erwartet. Stavros' Mund arbeitete unter der Anstrengung, die lang andauerndes Sprechen von ihm forderte; er holte schwer Atem und Duncan verspürte Betroffenheit, erinnerte sich daran, daß Stavros ein kranker Mann war, daß er versuchte, sich inmitten all der anderen Anforderungen an etwas von seinen persönlichen Schulden zu erinnern. Duncan legte seiner Gereiztheit Zügel an.
»Sie haben es sich selbst zugezogen«, sagte Stavros endlich, »als Sie Bai Hulagh des Mordes anklagten. Sie haben einen Zwischenfall provoziert, der fast die gesamten diplomatischen Mühen um Kesrith zum Scheitern brachte. Vielleicht denken Sie, daß Sie im Recht waren. Nehmen wir einmal an...« Stavros rauhe, angespannte Stimme wurde einen Hauch freundlicher. »Nehmen wir zum Zweck der Argumentation einmal an, daß Sie völlig im Recht wären. Man trifft jedoch so keine Entscheidungen, ObTak Duncan, und Sie müssen das wissen, irgendwo am Grund Ihrer Selbstgerechtigkeit.«
»Ja, Sir«, sagte er sehr ruhig.
»Wie die Sache steht«, meinte Stavros, »zweifle ich nicht an Ihnen. Und ich bin sicher, daß der Bai trotz all meiner Bemühungen, ihn zu beruhigen, versucht hat, sie zu töten. Als er Sie zwischen Mri fand, war das zuviel für ihn. Ich denke, Sie wissen das. Ich denke, daß Sie diese Möglichkeit beschäftigt, und ich wünschte, ich könnte Ihren Verstand erleichtern und sagen, daß es nicht so war. Ich kann es aber nicht. Hulagh hat wahrscheinlich genau das getan, dessen Sie ihn beschuldigt haben. Aber das sind Beschuldigungen, die zu verfolgen für mich im Augenblick absolut nicht erfolgversprechend wäre. Ich habe Sie lebend zurückgewonnen. Das war das äußerste, was ich tun konnte, bei all dem, was passiert ist. Ich habe auch Ihre Mri gerettet, ganz zufällig.«
»Was von ihnen geblieben ist. Die Ärzte...«
»Ja. Was von ihnen geblieben ist. Aber Sie können das nicht ungeschehen machen. Sie können nichts dazu tun!«
»Ja, Sir.«
»Die Ärzte haben mir berichtet, daß Sie geheilt sind.«
»Ja, Sir.« Duncan holte tief Atem und entschied schließlich, daß Stavros versuchte, ihn zu erleichtern. Er beobachtete, wie der Gouverneur ungeschickt versuchte, eine saubere Tasse in den Spender zu setzen, stand auf und übernahm selbst diese Aufgabe, füllte die Tasse, die der Gouverneur ihm anbieten wollte. Stavros erwies ihm die Gunst eines schiefen Lächelns in seinem halb gelähmten Gesicht.
»Immer noch nicht wieder das, was ich früher war«, meinte Stavros wehmütig. »Die Ärzte machen keine verschwenderischen Versprechungen, aber die Übungen sind hilfreich. Zumindest erleichtern sie die Handhabung dieses Metallungeheuers. Hier, füllen Sie bitte auch meine Tasse auf, ja?«
Duncan tat wie gebeten, reichte sie ihm und setzte sich wieder, die eigene Tasse mit den Handflächen umfaßt. Nach einem Moment nahm er den ersten Schluck und genoß die angenehme Wärme. Soi war leicht anregend. In diesen letzten Tagen hatte er mehr davon getrunken als wahrscheinlich gut für ihn war, aber seit seinem Aufenthalt in der Wüste war ihm der Geschmack an Speisen vergangen. Er nippte an der heißen Flüssigkeit und entspannte sich, wußte dabei, daß er Stavros' talentierten Manipulationen zum Opfer fiel, erleichtert, bewegt und dirigiert wurde. Er wurde jedoch auch gehört, und das war es immerhin auch wert. Er glaubte, wenn auch nichts anderes, daß Stavros anfing, zuzuhören – und sich den Regul aus Gründen widmete, die nichts mit Naivität zu tun hatten.
»Es war ein Fehler, als ich es ausgesprochen habe«, gab Duncan zu, was er zuvor noch nie zugegeben hatte, nicht gegenüber seinen verschiedenen Befragern oder in einem der geschriebenen Berichte, die er zu den Akten gegeben hatte. »Nicht, daß ich nicht gewußt hätte, was ich sagte; ich wußte es. Aber ich hätte es nicht vor den Regul sagen dürfen.«
»Sie befanden sich im Zustand des Zusammenbruchs. So verstehe ich es.«
Duncans Mund zuckte. Er setzte die Tasse ab. »Die Sicherheit hat mir ein Sedativ verabreicht, damit ich den Mund halte, und Sie wissen das. Ich bin nicht zusammengebrochen.«
»Sie haben von einem heiligen Ort gesprochen«, sagte Stavros. »Aber in der Befragung haben Sie nichts mehr davon gesagt, nicht einmal, um die Frage zu lenken. War das, wo Sie das Artefakt gefunden haben, das Sie mitbrachten?«
Duncans Blick wurde abwesend, sein Herz beschleunigte sich. Seine Hände zitterten. Er versuchte, dies zu verbergen, indem er die Plastiktasse mit beiden Händen fest umklammerte.
»Duncan?«
Dunkelheit und Feuer, ein schimmerndes Metallovoid in Niuns Armen, kostbar für die Mri, mehr als ihr Leben, die die letzten ihrer Rasse waren. Tue nichts! hatte Melein ihm befohlen, als er an jenem für die Mri heiligen Ort stand. Berühre nichts! Sieh nichts! Er hatte dieses Vertrauen verletzt, die verwundeten Mri menschlichem Gewahrsam ausgeliefert, um ihre Leben zu retten, indem er das Metallovoid in menschliche Hände legte, damit selbst es von menschlicher Willenskraft untersucht würde. Er hatte im Delirium gesprochen. Er blickte auf Stavros, schaffte es nicht, die Sache mit einem Achselzucken abzutun; er wußte nicht, wieviel er gesagt hatte oder welche Details er erwähnt hatte. Es gab das Artefakt selbst, in den Laboratorien der FLOWER, um jedes Ableugnen Lügen zu strafen.
»Am besten überarbeite ich die Berichte«, sagte Duncan. Er wußte nicht, was er sonst sagen sollte. Ein Kolonial-Gouverneur verfügte über diktatorische Macht in diesem Stadium, bevor es Parlamente und Gesetze gab. Er, Duncan, war selbst kein Zivilist, und vor jeder Instanz ohne Schutz. Es gab wenig, das Stavros nicht tun konnte – einschließlich der Exekution, sicherlich einschließlich seiner Verschiffung zu einer Station irgendwo, fort von den Mri, fort von allen Hoffnungen des Zugangs zu ihnen oder zu Kesrith, für immer.
»Ihr Bericht war demzufolge nicht genau.«
Duncan warf alles in die Waagschale. »Ich war erschüttert. Nachdem ich die erste Zeit zum Schweigen verurteilt war, war ich mir nicht sicher, wieviel wirklich aufgezeichnet werden sollte.«
»Erzählen Sie mir nicht diesen Unsinn!«
»Ich war zu der Zeit nicht bei Verstand. Um ehrlich zu sein – um ehrlich zu sein, Sir, ich hatte das Gefühl, daß Sie alles über die Mri begraben wollten, alles, was passiert ist. Ich war mir nicht sicher, ob ich nicht von Kesrith verwiesen werden würde, weil ich zuviel wußte. Ich bin mir immer noch nicht dessen sicher, daß das nicht passiert.«
»Sie kennen die Ernsthaftigkeit dessen, was Sie vorbringen?«
»Dies ist eine Grenze«, sagte Duncan. »Ich weiß, daß Sie machen können, was Sie wollen. Sogar mich erschießen lassen. Ich kenne den Umfang dessen nicht, was ich weiß – oder wie wichtig es ist. Wenn eine ganze Rasse vom Tisch gefegt und vergessen werden kann – was bin dann ich?«
Stavros runzelte die Stirn, nippte an seinem Getränk, verzog das Gesicht und setzte die Tasse wieder ab. »Duncan, die Regul leben; ihre Opfer nicht. Also beschäftigen wir uns mit den Regul, die immer noch eine gefährliche Macht sind – und die Mri...« Er setzte seinen Schlitten in Bewegung, drehte ihn und betrachtete Duncan aus geringerem Abstand. »Sie haben Ihre Ansichten über die Mri, ganz offensichtlich. Was würden Sie mit ihnen machen?«
»Sie freilassen. In Gefangenschaft werden sie nicht lang überleben.«
»So einfach? Aber danach ist es nicht mehr ganz so einfach. Was ist mit den Regul?«
»Die Mri werden nicht mehr für die Regul kämpfen – und es gibt nur noch zwei von ihnen. Nur zwei...«
»Ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben sind selbst zwei Mri ein beachtlicher Faktor. Und sie haben einen beachtlichen Groll gegen Bai Hulagh – den Kopf der Regul-Friedenspartei, ObTak Duncan.«
»Ich kenne diese beiden Mri«, sagte Duncan. »Sie haben niemandem auf dieser Welt etwas getan, außer, daß sie sich selbst verteidigt haben. Sie haben nur versucht, sich in Sicherheit zu bringen, und wir wollten sie nicht lassen. Lassen Sie sie jetzt frei, und sie werden gehen. Das ist alles, was sie wollen.«
»Für jetzt.«
»Für sie gibt es kein Morgen«, meinte Duncan, und daraufhin betrachtete Stavros ihn seltsam. »Es wird keine weiteren Generationen geben. Es gibt ein Tabu zwischen diesen beiden. Aber selbst dann, wenn dem nicht so wäre, würden selbst zehn, sogar zwanzig Generationen aus ihnen keine ernstzunehmende Bedrohung machen.«
Stavros runzelte die Stirn, setzte den Schlitten zurück, öffnete die Tür. »Gehen Sie mit mir!« sagte er. »Nach oben. Ich vertraue darauf, daß Sie nirgendwo anders hingehen.«
»Ja, Sir«, stimmte Duncan zu. Stavros hatte unzweifelhaft vorgehabt, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, und er hatte es erreicht. Er war aufgefordert, Stavros in der Öffentlichkeit zu begleiten, vor den Regul. Es war eine Demonstration von etwas, eine Wiederherstellung des Vertrauens: er war sich nicht sicher, welches. Vielleicht wurde er auf subtile Weise bestochen, wurde ihm ein Status angeboten – und die Alternative war die Überführung auf die SABER. Stavros machte es sehr schwierig, die Debatte fortzusetzen.
Der Schlitten fuhr gemächlich durch die Bürotür, vorbei an dem KomTech, durch die äußere Tür in den Korridor. Duncan holte ihn ein, als Stavros auf ihn wartete. Stavros setzte den Schlitten nicht auf die Geleise, auf denen er mit einer Geschwindigkeit einherschießen konnte, der kein Mann zu Fuß gewachsen war, sondern rollte in einem sehr gemächlichen Tempo neben Duncan her.
»Das erste ist«, sagte er, »keine Bibliothek mehr!« Und als Duncan sofort den Mund zum Protest öffnete: »Da drüben müssen Sie sich zwischen Regul bewegen, und das möchte ich lieber nicht. Der Stab der FLOWER kann finden, was Sie benötigen, wenn Sie es beschreiben. Verstehen Sie mich?«
»Nein, Sir.«
Sie legten eine gewisse Entfernung schweigend zurück, bis eine Gruppe von Regul an ihnen vorbei war, und sie nahmen die Kurve zum aufwärtsführenden Korridor. »Ich möchte«, sagte Stavros, »daß Sie soviel wie möglich von Ihrer Zeit auf der FLOWER zubringen. Bleiben Sie den Regul völlig fern. Gehen Sie Ihrer privaten Besessenheit durch Kanäle nach, und schreiben Sie mir einen anständigen Bericht – diesmal einen vollständigen!«
Duncan blieb auf der Rampe stehen. »Ich verstehe Sie immer noch nicht.«
Stavros drehte seinen Schlitten, um ihn zu betrachten, eine Seitwärtsbewegung der Augen. »Doch, das tun Sie! Ich möchte, daß Sie Ihre Talente einsetzen und mir einen vollständigen Bericht über die Mri anfertigen. Geben Sie jeden Befehl, den Sie wollen, der nicht erfordert, die Mri selbst zu berühren.«
»Welchen Wert hat das?« fragte Duncan. »Ich bin kein Wissenschaftler.«
»Ihre praktische Erfahrung«, meinte Stavros, »macht solch einen Bericht wertvoll: nicht für die Forscher, aber für mich.«
»Ich werde dort drüben freien Raum benötigen.«
Stavros machte ein finsteres Gesicht. »Ich werde Ihnen etwas sagen, Duncan, und Sie hören mir zu! Ich teile nicht Ihre Begeisterung für die Erhaltung der Mri. Sie waren eine Plage im Universum, eine Pest, bestenfalls ein Anachronismus zwischen Lebensformen, die ihre Lektionen an Zivilisation zu besserem Vorteil gelernt hatten. Sie sind wahrscheinlich die effizientesten Killer in der gesamten Schöpfung; aber wir haben sie nicht ausgelöscht, noch taten es die Regul – noch Sie. Sie sterben, weil sie kein Interesse daran haben, irgendeine andere Lebensart zu verstehen. Kein Pardon, keine Gefangenen, keine Verhandlungen, keine Kompromisse: in ihren Augen ist alles schwarz und weiß, nichts ist grau. Sie sind absolut unflexibel. Ich mache ihnen deswegen keine Vorwürfe; aber ihre Lebensart war die Zerstörung, und sie sterben jetzt nach demselben Muster, das sie auf andere angewandt haben. Eine Neigung der Natur, wenn Sie so wollen, nicht meine. Überzeugen Sie mich vom Gegenteil, wenn Sie können! Und seien Sie vorsichtig mit ihnen! Wenn Sie sie nicht als das respektieren, was sie sind, sondern als die Erinnerungen Ihres Deliriums, dann werden diese beiden Mri damit enden, daß sie jemanden töten: sicherlich sich selbst; Sie, wahrscheinlich; andere, durchaus möglich.«
»Dann wird mir der Zutritt zu ihnen erlaubt sein.«
»Vielleicht.«
»Geben Sie mir die Erlaubnis jetzt, und ich kann mit ihnen reden, wie es der Stab nicht kann. Halten Sie die Ärzte und ihre Drogen von ihnen fern, solange sie noch einen Rest von Geist übrig haben.«
»Duncan...« Stavros setzte sich wieder in Bewegung, langsam, fuhr um die Ecke am oberen Ende der Rampe. »Sie waren die eine Ausnahme ihrer Keine Gefangenen-Regel, die einzige Ausnahme in vierzig Jahren. Natürlich haben Sie das Bewußtsein, daß dort ein gewisses irrationales Gefühl der Abhängigkeit erzeugt worden sein könnte, in der Wüste, in ihrer Umwelt, in Ihrem unerwarteten Überleben. Sie haben Ihnen Nahrung und Wasser gegeben, Sie am Leben erhalten, entgegen Ihrer eigenen natürlichen Erwartung; Sie haben jede Lebensnotwendigkeit aus ihren Händen erhalten. Wenn Sie Schlechtes erwarten und stattdessen Gutes erhalten, hat das einen gewissen emotionalen Effekt, selbst wenn Sie in Wirklichkeit nichts über die Motive der beteiligten Leute wissen. Wissen Sie, wovon ich rede?«
»Ja, Sir. Ich bin mir dieser Möglichkeit bewußt. Sie könnte zutreffen.«
»Und das ist es, was Sie herausfinden wollen, nicht wahr?«
»Das, unter anderem.«
Sie erreichten die Tür von Stavros' Apartment. Stavros öffnete sie durch Fernbedienung, glitt hinein und riß den Schlitten herum, betrachtete Duncan, der im Eingang stand. Evans befand sich im Zimmer und schien über ihre Ankunft überrascht zu sein: Er war ein junger Mann, Evans – Duncan betrachtete ihn, der Brennpunkt einer bitteren Eifersucht gewesen war, und entdeckte einen ruhigen, nicht besonders stattlichen jungen Mann.
»Nehmen Sie sich den Nachmittag frei«, sagte Stavros zu Duncan. »Bleiben Sie im Nom. Ich werde einen Befehl ausarbeiten, der Sie auf die FLOWER überstellt und die Gefühle der Zivilisten da drüben beschwichtigt. Ich werde Ihnen eine Kopie davon schicken. Und ich erwarte von Ihnen, zu erkennen, daß es mir nicht recht ist, wenn dort drüben beim wissenschaftlichen Stab Gefühle verletzt werden; sie mögen das Militärische nicht sonderlich. Seien Sie taktvoll. Damit werden Sie mehr aus ihnen herausbekommen.«
»Ja, Sir.« Duncan zitterte fast vor Eifer, denn fast alles, was er sich gewünscht hatte, hatte er nun in Händen, alles. »Und Zugang zu den Mri selbst...«
»Nein. Noch nicht. Noch nicht. Geben Sie mir Zeit.«
Duncan versuchte, irgendeine Geste zu machen, ein Zeichen der Höflichkeit; aber das war selbst zu den besten Zeiten zwischen ihm und Stavros nie einfach gewesen. Schließlich murmelte er nur etwas Unartikuliertes, verabschiedete sich unbeholfen und ging.
»Sir?«
Stavros drehte den Schlitten herum, erinnerte sich daran, daß er das Mittagessen für den Zeitpunkt seiner Rückkehr bestellt hatte. Er akzeptierte den angebotenen Becher mit Suppe und runzelte die Stirn über Evans Versuch, ihm dabei zu helfen, nahm ihn in die eigenen Hände. Die zurückkehrende Funktionsfähigkeit der beeinträchtigten Glieder machte ihn arrogant in seiner wiedergewonnenen Unabhängigkeit. Er analysierte seinen Ärger als Ungeduld mit seinen eigenen teilnahmslosen Muskeln und Evans als einen bloßen bequemen Brennpunkt. Er brummte mürrische Dankesworte.
»Akten über die Mri«, befahl er Evans, »und über Sten Duncan.«
Evans ging gehorsam. Stavros lehnte sich zurück und trank die Suppe, genoß etwas, das nur von Menschen zubereitet worden war, gewürzt mit menschlichem Gewürzverständnis. Es war ein Luxus, zu neu nach dem langen Aufenthalt in Regul-Gewahrsam, um als völlig selbstverständlich aufgefaßt zu werden, aber nach einem Moment ruhte der Becher vergessen in seiner Hand.
Es war eine Tatsache, daß er Duncan vermißte.
Er vermißte ihn bitter, und hielt ihn immer noch für besser verwendet, als wenn er ihn sich einfach vom Hals geschafft hätte. Der ObTak war in seinen Dienst getreten als Leibwächter, der als Diener verkleidet war, am Ende des Krieges aus dem Kampf abgezogen, um einem Diplomaten aufzuwarten. Duncan war ein junger Mann, sofern man überhaupt einen Mann, der das Geschehen bei Elag/Haven erlebt hatte, jemals wieder als jung bezeichnen konnte. Berichten zufolge, die Duncan wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen hatte, war er bemerkenswert intelligent – auch einer der jungen Männer, die der Krieg aufgeschnappt und verschluckt hatte, bevor sie jemals gewußt hatten, was aus ihnen hätte werden können. Duncan hatte gelernt, Befehle entgegenzunehmen, aber nach ObTak-Art: die Männer dieses Dienstes waren Einzelgänger, nicht an unmittelbare Führung gewöhnt. Gewöhnlich nannte man ihnen ein Angriffsziel von begrenztem Umfang und wies sie an, es zu erreichen: der Rest lag beim ObTak selbst, einem Spezialisten für fremde Umwelten, für Überleben und die Kriegführung hinter den feindlichen Linien.
Stavros hatte den ObTak selbst ausgeschickt, um Kesrith kennenzulernen.
Und Kesrith hatte Duncan beinahe getötet. Selbst sein Anblick hatte sich verändert, neugeformt unter der Gewalt der Wüste von Kesrith. Etwas war verschwunden, das dagewesen war, bevor Duncan in diese Wildnis hinausging – vielleicht seine Jugend; möglicherweise sein Menschsein. Er trug die Narben davon, das Gesicht halbgegerbt durch das Tragen von Mri-Schleiern im sengenden Sonnenlicht; Runzeln, eingebrannt in die Augenwinkel, machten seine Augen hart und fremdartig. Er war mit schmerzenden Lungen durch die dünne Luft und den ätzenden Staub zurückgekehrt, mit beträchtlich gesunkenem Körpergewicht und einem seltsamen, vorsichtig tastenden Schritt, als ob er stets dem Boden mißtraute. Während der Tage im Lazarett waren seine körperlichen Verletzungen behandelt worden, war er mit dem gesamten Aufgebot an fortschrittlicher Ausrü- stung, das auf dem Forschungsschiff zur Verfügung stand, wiederhergestellt worden. Aber es gab einen Schaden, der niemals repariert werden konnte, der den jungen ObTak zum Fanatiker geprägt hatte.
Der Regul-Bai hatte recht, wenn er Sten Duncan als Feind empfand. Die Lebensform der Regul hatte keinen tödlicheren Feind als ihn – außer den Mri selbst. Duncan haßte sie, und Duncan kannte die Regul besser als jeder andere lebende Mensch außer Stavros, denn sie beide waren mit den Regul hierhergekommen, die ersten Menschen, die hier auf Kesrith die Grenzen des Kontaktes zwischen Regul und Menschen durchbrochen hatten.
Und im besonderen haßte Duncan den Bai Hulagh Alagn-ni: Hulagh, der genau das getan hatte, wessen ihn Duncan beschuldigte, der die Mri getötet hatte, die der Regulrasse als Söldner dienten, der eine vernunftbegabte Lebensform ausgelöscht hatte. Hulagh hatte das aus verzweifelter Angst und aus Gier getan, was beides ineinander verschlungen war. Aber den Bai Hulagh bewegte jetzt die Furcht vor der Ungnade seiner eigenen Rasse, und die dämmernde Hoffnung auf Gewinn durch die Menschen. Er war auf der Welt gestrandet, die zu plündern er gehofft hatte, unter Menschen, die zu betrügen und zu entehren er gehofft hatte. Und so wurde Bai Hulagh verletzlich und wertvoll.
Tatsache war, daß man nicht, wie Duncan es versuchte, Regul sagen und mit diesem Wort die Motive und Handlungen eines bestimmten Angehörigen der Regulrasse meinen konnte. Die Regul waren eine Quasi-Nation von Händlern und Gelehrten; aber ihre Docha, ihre Verbindungen der Geburt und des Handels, waren in den meisten Belangen wie gesonderte Nationen unabhängig. Hulagh gehörte zum Doch Alagn; und Alagn, eine neue Macht in der Regul Politik, hatte den Krieg beendet. Die Auftraggeber der Mri-Söldner, die im Gebiet der Menschheit soviel Zerstörung angerichtet hatten, waren vom Doch Holn, dem großen Rivalen und Feind der Alagn.
Doch Holn hatte Kesrith gegen Kriegsende abgetreten, genötigt durch das Abkommen; und während der Übergabe von Kesrith an die Herrschaft der Menschen war Holn unter Alagn gefallen. Aber Holn hatte seine Rache gehabt: es hatte Hulagh Alagn-ni den Befehl über Kesrith überlassen, ohne daß dieser etwas über die Mri und die Natur Kesriths gewußt hatte. Der Wind hatte gedreht: Alagn war mit dem Zusammenbruch seiner Bemühungen konfrontiert worden, Kesrith zu evakuieren und zu plündern; und als die Menschen ankamen, war Hulagh in Panik geraten. In dieser Panik und dem Versuch, den Zorn der Menschen von sich abzulenken, hatte Hulagh gemordet.
Es war möglich, daß Hulagh durch diesen Mord, diese Vernichtung der Mri, die Leben dieser ankommenden Menschen gerettet hatte, die Besatzungen der SABER und der FLOWER, der FOX und der HANNIBAL. Möglicherweise schuldete die Menschheit Bai Hulagh Dankbarkeit für eine Säuberungsaktion, die die menschliche Politik niemals hätte durchführen können.
Duncan, der an eine absolute Gerechtigkeit glaubte, konnte solch einen Gedanken nicht akzeptieren; aber es entsprach der Wahrheit, daß Doch Alagn und sein Herrscher, Hulagh, in jener Beziehung für Kesrith nützlich waren, vor allem durch ihr Vertrauen in die Menschheit und ihren brennenden Haß auf Doch Holn, das sie in diese unglücklichen Umstände getrieben hatte. Für Duncan, wie für die Mri, gab es nur Schwarz und Weiß, richtig und falsch. Es war unmöglich, Duncan zu erklären, daß Alagn gehegt und gestärkt werden mußte und auf Holn gezielt, ein Prozeß, zu langfristig und zu wenig ehrlich für den Ob Tak.
Und mehr: die Mri waren von Holn angeheuert und gelenkt worden, ihre ganze Geschichte hindurch – und es war vor allem erforderlich, daß endgültig blieb, was Bai Hulagh auf Kesrith getan hatte: daß die Mri-Rasse tatsächlich vergessen wurde, und daß Holn nicht an einem geheimen Ort eine weitere Streitmacht dieser Brut unterhielt, dieser äußerst wirkungsvollen und geschickten Killer, für die Duncan eine so innige Sympathie empfand. Ohne die Mri waren die Regul nicht zum Krieg befähigt, konstitutionell und körperlich unfähig. Mit den Mri waren die Regul dazu in jedem Ausmaß fähig. Wenn irgendein Mri überlebte, würde er keine Liebe zu Doch Alagn empfinden können, wegen dem, was Hulagh seiner Rasse zugefügt hatte. Und persönlicher Eintritt der Mri in einen Krieg, aus ihren eigenen Motiven heraus und nicht als Söldner, war ein Gespenst, das sowohl über Alagn als auch der Menschheit hing.
Die Suppe wurde sauer in Stavros' Mund, während er darüber nachdachte, was sich schließlich mit den beiden verbliebenen Mri an Maßnahmen als notwendig erweisen mochte – mit Duncans Mri. Duncan war ein Mann von gerader Sicht und geradem Vorgehen, auf seine Art unschuldig; und das war etwas, das zu tun Stavros nicht wünschte – den ObTak zu vernichten, der ihm einst ein wertvoller Ratgeber und verläßlicher Agent gewesen war.
Er liebte Duncan wie einen Sohn.
Bei einem seiner Söhne hätte er weniger Reue empfunden.