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Der Befehl wurde am Abend ausgegeben. Duncan las die Fotokopie wieder und immer wieder über einem einsamen Abendessen in seinem Quartier im Nom, auf einem mit anderen Aufzeichnungen übersäten Tisch, seinen handgeschriebenen und sorgfältig zusammengetragenen Materialien.

Besonderer Verbindungsoffizier: das war der Titel, den Stavros ausgesucht hatte, um seinen Wechsel in die enge Gemeinschaft der FLOWER zu erleichtern. Der Befehl wies ihn dem unentbehrlichen zivilen Stab des Gouverneurs zu, und nicht der militärischen Prä- senz, die sich in Verbindung mit der Station im Orbit befand, und Duncan verstand diese Unterscheidung zu würdigen, die ihm größere Gunst beim Personal der FLOWER verschaffen würde. Es wurden ihm bestimmte Vollmachten zugestanden, Nachforschungen anzustellen, aber nicht, über Gegenstände, Berichte oder Personen zu verfügen. Er konnte tatsächlich bestimmen, in welche Richtung andere nachzuforschen hatten: größtmögliche Kooperation bei der Verfolgung seiner Untersuchungen... fing dieser Absatz des Befehls an. Er las diesen letzten Teil immer wieder und fand darin keine Ausnahme, und er war verblüfft darüber, daß so etwas von Stavros stammte.

Und er begann, sich zu fragen, warum, und fand keine Antwort darauf.

Noch in derselben Stunde kam ein Paket mit Dokumenten an – nicht auf Film, und demzufolge auch nicht dazu vorgesehen, die Rezeptoren des Nom zu füttern, wo sie vielleicht für die Regul zugänglich geworden wären. Sie kamen durch Boten, und Duncan unterzeichnete dafür und setzte sich, verschiedene Hefter in seinem Schoß. Es handelte sich um umfangreiche Akten, die alles zu umfassen schienen, was bezüglich der Mri-Gefangenen bekannt war und gemacht worden war. Duncan las sie immer wieder, nahm alles auf, das er auch nur entfernt begreifen konnte.

Dann kamen Botschaften, von der einen oder anderen Abteilung innerhalb der FLOWER – von der Sicherheit, der Biologie, von Dr. Luiz, dem weißhaarigen Chef der Chirurgie, der während Duncans Aufenthalt auf der FLOWER für ihn Sorge getragen hatte. Luiz' Nachricht war warm: Es war Luiz gewesen, der es ihm stillschweigend erlaubt hatte, seine täglichen Besuche auf der FLOWER durchzuführen, während seine Behandlung genauso einfach im Nom, weitab von den Mri, hätte durchgeführt werden können. Es war Luiz, der die Behandlung der Mri so anständig gehalten hatte, wie sie war, der sie am Leben gehalten hatte, als man es für unmöglich hielt; und diesem Mann vertraute Duncan. Von anderen gab es mehr formale Anerkennungen, in Höflichkeiten eingepackte Kälte.

Der vom Gouverneur Ernannte brachte die Macht mit, Dinge zu ändern, die gewissen Herzen lieb waren. Er begann, sich zu überlegen, als was die Wissenschaftler ihn betrachteten, als Eindringling, der nichts über die Untersuchungen und Operationen wußte, für die diese Zivilisten zu einer so fernen Grenzwelt gekommen waren. Er fand es nicht überraschend, daß er abgelehnt wurde. Er wünschte, daß ihm die Macht gegeben worden wäre, die Verhältnisse der Mri zu ändern, und weniger Macht, andere Projekte zu bedrohen. Das eine wünschte er sich ernsthaft; dem anderen mißtraute er, weil es übermä- ßig und unvernünftig war; und er kannte Stavros nicht als Mann ohne Maß, und sicherlich nicht als einen Mann, der ohne Grund handelte.

Er wurde auf jemanden oder etwas gezielt; er begann zu fürchten, daß das der Fall war. Er war wieder passend für Stavros geworden, eine Waffe, die erneut benutzt werden sollte, in einer neuen Art der Kriegsführung gegen einen von Stavros' Feinden, ob das nun die Regul waren oder es um einen Befehlsstreit zwischen Zivilisten und dem Gouverneursbüro ging oder um komplexere Pläne, die sie alle einschlossen.

Er befand sich jetzt außer Stavros' unmittelbarer Reichweite und konnte nachdenken – außerhalb dieser Aura der Vertraulichkeit, die einen Mann so leicht in Stavros Hände treiben konnte – und fand heraus, daß er immer noch willens war, jeden Verdacht zurückzustellen und den Köder zu schlucken, denn der war alles, was er wollte, alles, das für ihn eine Rolle spielte.

Besessenheit, hatte Stavros es genannt.

Er stimmte dem zu und ging.

* * *

Am Morgen warteten auf dem Dienstschreibtisch in der FLOWER mehr Nachrichten, jede von einem Abteilungsleiter, der darauf wartete, mit ihm zu sprechen. Duncan fing an, sich unbehaglich zu fühlen. Er schob es auf, sich damit zu beschäftigen, und ging zuerst hinunter in die medizinische Sektion, am meisten von allem auf die Mri versessen, darauf, sich täglich zu vergewissern, daß es ihnen gut ging und sie es so bequem hatten, wie unter diesen Umständen möglich – und jetzt vor allem, daß kein übereifriger Forscher sich entschlossen hatte, sich als erster um sie zu kümmern, eine Untersuchung zu beenden oder einzuleiten, bevor sie verboten werden konnte.

Aber bevor er mehr getan hatte, als nur die Tür zu dieser Sektion zu durchqueren, grüßte ihn Dr. Luiz, und er fand sich von den Mri abgelenkt und zu einer einberufenen Konferenz der verschiedenen Abteilungen der FLOWER gedrängt.

Es verdroß ihn, bei dieser Zusammenkunft beteiligt zu sein. Er haßte Prozeduren dieser Art. Er wurde denen formell vorgestellt, die ihn bisher eher als ein Muster wie die Mri gekannt hatten, als Objekt einiger ihrer Forschungen, als er halb am Leben aus der Wü- ste gerettet worden war, in der an und für sich kein Mensch hätte überleben dürfen. Er zwang ein Lächeln auf sein Gesicht, antwortete auf ihre Einführungen, lehnte sich dann in seinem Sessel zurück und bereitete sich auf die kommende Langeweile vor, den langwierigen Austausch von Daten und Wortklaubereien über Absichten und Einzelheiten der Versorgung. Er hielt es für vorsätzlich, für eine kleine administrative Rache, daß er zu solchen Vorgängen zugezogen worden war, von denen er keine Ahnung hatte und für die er noch weniger Interesse aufbrachte. Er saß da und studierte heimlich die Verhaltensweisen und Gesichter der übrigen Teilnehmer, lauschte den kleinlichen Auseinandersetzungen und zeichnete sie innerlich auf, um sich an die Anzeichen von Eifersüchteleien und Freundschaften erinnern zu können, die sich als nützlich herausstellen mochten.

Aber die zentrale Angelegenheit berührte plötzlich sein Interesse: die Neuigkeiten vom militärischen Flügel, daß es Ankünfte an der Station gegeben hatte. Dieser Teil der Neuigkeiten machte ihm zunehmend Sorgen, während er zuhörte. Das Forschungsschiff FOX war zusammen mit dem Kriegsschiff HANNIBAL und dem Beiboot SANTIAGO von Gurgain zurückgekehrt, einer Welt des Sterns Lyltagh in der Nachbarschaft von Arain, einer Minenkolonie mit luftlosen Monden und reichen Ablagerungen, von den Regul nur dürftig erschlossen. Neue Informationen kamen herein, von besonderem Interesse für die Geologen: die FLOWER schickte eine Mannschaft zur FOX hinauf. Personal wurde umgeschichtet und unter neuen Prioritäten neu eingeteilt; das Mri-Projekt verlor einiges Schlüsselpersonal. Duncan, der anfing, die neue Organisation zu erkennen, empfand unbehaglich, daß seine Befehlsgewalt ausreichen mochte, um die Verschiebung zu beeinflussen. Er dachte, daß er etwas sagen sollte, daß man von ihm erwartete, etwas zu tun und in Fragen des Stabes und der Politik und der Wünsche Stavros' gut informiert zu sein. Er war es nicht.

Er saß da und blickte finster, während die Angelegenheiten zur Zufriedenheit der bestehenden Mächte auf der FLOWER geregelt wurden, und erkannte elend, daß er für die Stellung, die man ihm gegeben hatte, ungeeignet war, daß er zumindest zum Nutzen Stavros' hätte Notizen machen sollen – und er hatte nichts getan, war sich erst zu spät dessen bewußt geworden, was geschah, daß ein größerer Teil des Direktoriums sich um ihn herum aufgelöst hatte, vielleicht unzufrieden mit der Einmischung des Gouverneurs in ihre Untersuchungen. Kräfte, die ihre Unabhängigkeit von Stavros geltend machen wollten, zielten damit auf ihn, während andere Abteilungen vergeblich auf seine Unterstützung warteten.

Universität und Politik: er war für beide nicht geeignet. Er war sich der Gestalt bewußt, die er unter den anderen abgab, Khaki zwischen ihrem Blau und Weiß, ein rauhbeiniger Soldat außerhalb seines Elementes, eine gehaßte und lächerliche Gegenwart. Sie kamen mit ihren Angelegenheiten in seinem ärgerlichen Schweigen zum Abschluß und vertagten sich. Ein paar blieben noch, um oberflächliche Höflichkeiten mit ihm auszutauschen diejenigen, die für die FOX bestimmt waren, mißachteten gezielt solche Liebenswürdigkeiten und gingen hinaus, ohne von seiner Anwesenheit Notiz zu nehmen. Er akzeptierte die Höflichkeiten, die ihm angeboten wurden, ohne jedoch Freund und Feind bereits zu kennen, verbittert in seiner Unwissenheit. Er war freundlich, hatte von Stavros gelernt, zu lächeln, ohne es freundlich zu meinen.

Danach jedoch, als er gehen wollte, fand er Luiz' Hand auf seiner Schulter, und Dr. Boaz von der Xenologie, die mit mehr als nur beiläufigem Interesse zu ihm herauflächelte, eine behäbige Frau, die mit dem Akzent von Haven sprach und deren Kopf mit graublonden Flechten gekrönt war.

»Stavros«, sagte Boaz, »hat sich daran erinnert, daß Sie einen Mri-Schrein erwähnt haben.«

Er betrachtete sie, dieses Paar, das bereits die Existenz der Mri in Händen hielt, den medizinischen Stabschef und diese kleine plumpe Frau, deren Abteilung über den gesamten ehemaligen Besitz der Mri verfügte. Boaz' Interesse war ihren Augen deutlich abzulesen: Lust an der Gelehrsamkeit. Ihre kleine Abteilung hatte die Auflösung tatsächlich intakt und voll funktionsfähig überstanden, während Luiz' biomedizinischer Stab durch die Umschichtungen Schlüsselpersonal verloren hatte, wütendes medizinisches Personal, das sich für das bequemere Leben der Station entschieden hatte, unter dem Vorwand, Systeme für weitere Forschungsmissionen auszuarbeiten.

Boaz und Luiz blieben auf der FLOWER und nahmen jetzt in deren geschrumpftem Stab die Positionen von Dienstältesten ein.

Und Luiz schloß sich ihr an. Duncan suchte das Gesicht des Chirurgen und blickte dann wieder zu Boaz.

»Ich war an solch einem Ort«, gab er vorsichtig zu. »Ich weiß nicht, ob es möglich wäre, ihn wiederzufinden.«

»Am besten unterhalten wir uns in meinem Büro«, meinte Boaz.

* * *

»ObTak Duncan«, sagte der Lautsprecher zum zweitenmal, »Sie werden an der Schleuse erwartet.«

Das Flugzeug wartete. Es konnte warten. Duncan drückte den Kom-Knopf auf der Schalttafel und beugte sich vor. »Hier Duncan. Teilen Sie ihnen mit, daß ich in einigen Minuten da bin.«

Dann ging er, wozu Luiz ihm die Erlaubnis erteilt hatte, in die bewachte Sektion des Krankenreviers, nicht mehr durch eine Übertretung der Bestimmungen, sondern mit einer roten Marke, die ihm Zugang zu allen Bereichen des Schiffes gewährte, außer denen mit einem Stimmschloß. Es befriedigte ihn, den Unterschied in der Reaktion der Sicherheit auf ihn zu sehen, die Schnelligkeit, mit der Türen für ihn geöffnet wurden.

Und als er Niuns Zimmer betrat, hatte ihm der Posten davor den Rücken zugewandt und damit ein Ungestörtsein gewährt, dessen er sich nur selten erfreut hatte.

Er berührte den Mri, beugte sich hinab und rief seinen Namen, wünschte sich ein letztesmal, andere Möglichkeiten gehabt zu haben. Er hatte wieder eine Position mit einiger Macht gewonnen; er hatte Gunst zurückerlangt, wo es darauf ankam; er hatte mit jeder Verschlagenheit gekämpft, die er kannte; aber als er in das dünne, nackte Gesicht des Mri blickte, verspürte er keinerlei Triumph.

Er wünschte, sie würden Niun die Bedeckung seines Gesichts erlauben; die Mri lebten hinter Schleiern, ein bescheidenes, stolzes Volk. Nach einigen Tagen mit ihm hatte sich Niun schließlich in seiner Gegenwart befreit genug gefühlt, ihm das Gesicht zu zeigen und direkt mit ihm zu sprechen, ein Mann zu einem Mann von ähnlicher Berufung.

Für uns gibt es keinen anderen Weg, hatte Niun ihm gesagt, die angebotene Hilfe zurückgewiesen, zu einer Zeit, in der der Mri in der Lage gewesen war, für sich selbst Entscheidungen zu treffen. Entweder überleben wir, wie wir waren, oder wir sind im Überleben gescheitert. Wir sind Mri; und das ist mehr als der Name einer Rasse, Duncan. Es ist ein sehr alter Weg. Es ist unser Weg. Und wir werden ihn nicht ändern.

Es gab immer weniger Wahlmöglichkeiten für sie.

Nur ein Freund, dachte Duncan bitter, konnte sie mit solcher Gründlichkeit verraten. Er hatte entschieden, daß sie überleben sollten: ihre Freiheit würde wieder etwas anderes kosten; und auch dessen Begräbnis hatte er vorbereitet, ein weiterer Verrat... an Dingen, die die Mri als heilig erachteten. Mit solcher Münze hatte er die Kooperation von Leuten wie Boaz und Luiz erkauft; und er fragte sich schließlich, zu wessen Wohl er handelte, ob Niun seine Gründe auch nur begreifen konnte, oder ob es nur Selbstsucht war, die ihn, Duncan, antrieb.

»Niun«, drängte er ihn, sehnte sich nach irgendeiner Berührung des Erkennens, nach einer Bestätigung für das, was er tat. Aber an diesem Mittag war Niun viel weiter weg: es gab keine Reaktion auf seinen Namen oder die Berührung seines Arms.

Duncan konnte nicht länger zögern. Er zog sich zurück, hoffte immer noch.

Da war nichts.

* * *

Er hatte mit keinem Piloten gerechnet, hatte erwartet, selbst zu fliegen. Aber als er an Bord kletterte, fand er die Kontrollen von einem Mann mit sandfarbenem Haar besetzt, der die Bezeichnung der SABER auf dem Ärmel trug. GALEY, besagte der Taschenaufsatz, LT.

»Tut mir leid, daß ich mich verspätet habe«, sagte Duncan, denn die Luft war durch die Mittagshitze aufgeheizt. »Wußte nicht, daß jemand mitfliegt.«

Galey startete, zuckte die Achseln, während die Motoren pochend zum Leben erwachten. »Macht nichts. Es ist heiß hier, aber bei der Reparaturabteilung unten an der Wasseranlage auch. Da ist mir das Flugzeug lieber, danke.«

Duncan setzte sich auf den Platz des Copiloten, brachte seine Ausrüstung, mit der Boaz ihn versorgt hatte, zwischen den Füßen unter und legte die Gurte an.

Das Flugzeug stieg senkrecht empor und drehte sofort mit einer scharfen Wendung in Richtung der Berge ab. Kühle umwehte sie jetzt, wo sie sich in der Luft befanden, ein herrlicher Luxus nach der Ofenhitze im geparkten Flugzeug.

»Wissen Sie, wohin es geht?« fragte er Galey.

»Ich kenne die Route. Ich fliege Sie dort hinaus.«

Duncan widmete ihm einen zweiten Blick, versuchte, sich an ihn zu erinnern, und konnte es nicht. Es war dunkel gewesen, und es war auf zuviele andere Dinge angekommen. Er blinzelte und bemerkte, daß Galey ihm etwas gesagt hatte, während er in Gedanken gewesen war.

»Tut mir leid«, sagte er. »Haben Sie etwas gefragt?«

Galey zuckte wieder die Achseln. »Spielt keine Rolle. Macht nichts. Wie steht es mit den Kel'ein? Noch am Leben, wie ich höre.«

»Sie leben noch, ja.«

»Hat dieser Ort, wo wir hinfliegen, etwas mit ihnen zu tun?«

»Ja.«

»Gefährlich?«

»Ich weiß nicht«, sagte er und dachte zum erstenmal darüber nach. »Vielleicht.«

Galey verarbeitete diesen Gedanken in einem für mehrere Kilometer anhaltenden Schweigen, während die weiße Wüste, mit Felsen durchsetzt, unter ihnen dahinglitt. Duncan blickte hinaus und machte unten schwarze Punkte aus.


»Dusei«, sagte er. Galey drehte die Maschine und hielt Ausschau.

»Scheußliche Biester«, meinte er.

Duncan antwortete nicht und stritt nicht mit ihm. Die meisten Menschen würden dasselbe sagen, würden sich die übriggebliebenen Mri tot wünschen, aus gerechtfertigtem Grund. Duncan sah zu, wie die Wü- ste unter die Nase des Flugzeugs glitt und sich die Landschaft zum rauheren Hügelland wandelte, das er unter hohem Preis und großen Schmerzen durchquert hatte – es war wie im Traum, diese Geschwindigkeit, das Herabblicken auf eine Welt, in der die Zeit langsamer verstrich und die Wirklichkeit anders war, unmittelbar, und wo er gelernt hatte, für eine Zeit zu leben.

Sie drehten hinaus über Sil'athen, das lange T-förmige Tal, fern im Hochland, ein Schlitz in der Hochebene, stark erodiert, eine Schlucht voll seltsamer Formen, die der ätzende Regen gestaltet hatte und der ständige Wind, der der Länge nach hindurchfuhr. Es gab dort Schiffstrümmer, die man noch nicht geborgen hatte, Flugzeuge, die Niun zum Preis für seine Gefangennahme gemacht hatte; und auch Trümmer der Natur, denn viele der äonen-alten Sandsteinformationen waren vom Wind zu bizarren Fragmenten geformt worden.

Als sie an der Kreuzung des hohen Tales landeten und an diesem Ort aus dem Flugzeug traten, in die volle Hitze von Arains rotem Licht, überfiel beide urplötzlich die Stille, ein Gewicht, das den Atem raubte. Duncan spürte die Luft sofort, eine heftige Änderung nach der gefilterten Druckluft im Flugzeug, und fing an, so schmerzhaft zu husten, daß er sofort Zuflucht zur Feldflasche nehmen mußte. Filtermasken und Sonnenbrillen waren Teil ihrer Ausrüstung; Duncan legte seine an und zog die Uniformkapuze über, um den Kopf vor der Sonne zu schützen. Galey tat desgleichen. Die Maske beseitigte jedoch nicht den Hustenreiz; er nahm wieder einen kleinen Schluck.

»Alles klar mit Ihnen?« Galeys Stimme klang verändert durch die Maske. Duncan blickte in das breite, sommersprossige Gesicht und fühlte sich in jemandes Gesellschaft besser in solch einer Stille. Galey gehörte jedoch nicht hierher, in keiner Weise. Duncan warf sich die Feldflasche über die Schulter, sammelte seine Ausrüstung und versuchte, nicht auf die Stille zu hö- ren.

»Mit mir ist alles in Ordnung«, sagte er. »Hören Sie, es ist ein langer Weg die Schlucht hinab und dann in diese Felsen hinauf. Sie müssen nicht mitkommen.«

»Meine Befehle lauten anders.«

»Vertraut man mir hierbei nicht?« Duncan bedauerte den Ausbruch sofort, als er sah, wie Galey ihn anblickte, erschrocken und bestürzt. »Kommen Sie!« sagte er daraufhin. »Passen Sie aber gut auf, wo Sie hintreten!«

Duncan ging los, so langsam, wie es die dünne Luft nötig machte, während Galey mit schweren Schritten neben ihm herging. Die Mri lagen mit der von ihnen gewählten Kleidung richtig: es war nicht weise, in diesem Sonnenlicht irgendeine Hautstelle unbedeckt zu haben; aber als Galey anfing, dem einladenden Schatten der Klippen zuzustreben, folgte Duncan ihm nicht, und Galey kehrte zu ihm zurück.

»Gehen Sie nie im Schatten«, riet Duncan. »Sie könnten dort Dinge übersehen, die Sie vielleicht nicht übersehen. Es ist dunkel genug, wo wir noch entlanggehen müssen, ohne unnötige Risiken einzugehen.«

Galey betrachtete ihn unbehaglich, stellte aber keine Fragen. Der Wind sang sein seltsames Lied durch die Felsnadeln aus Sandstein.

Es war ein Ort der Geister: Sil'athen, Begräbnisstätte der Mri. Duncan lauschte dem Wind und sah sich im Gehen um, betrachtete die hohen Klippen und die Höhlen mit ihren Geheimnissen.

Ein totes Volk, eine tote Welt. Uralte Gräber umgaben sie hier, die im Osten durch verwitterte Säulen markiert, die im Westen ohne solche. Dort gab es Inschriften, von denen man viele bereits nicht mehr lesen konnte, abgeschmirgelt durch den Sand, und so manche Säule war in dem Kampf, der auf und ab durch Sil'athen getobt hatte, umgestürzt und zerstört worden.

Und im Sand fanden sie die nackten Knochen eines großen Dus.

Traurigkeit überfiel Duncan, als er sie sah, denn diese Tiere waren die treuen Gefährten der Mri gewesen, und so gefährlich sie auch sein konnten, so freundlich konnten sie auch sein: mit traurigen Gesichtern, langsame Beschützer ihrer Meister.

Auch dies fügte sich zur Zerstörung einer Spezies.

Galey trat gegen den Schädel. »Die Aasfresser arbeiten schnell«, meinte er.

»Lassen Sie das!« sagte Duncan scharf. Galey blinzelte, richtete sich auf und verhielt sich ihm gegenüber jetzt formeller.

Trotzdem stimmte die Beobachtung, daß es in der anscheinend leblosen Öde Aasfresser in großer Zahl gab; nichts fiel in den Sand, ohne daß etwas Nutzen daraus zog. Nichts zauderte oder irrte sich, ohne daß irgendein Raubzeug auf diesen Irrtum lauerte. Selbst die Mri gingen nachts nicht durch die Wüste, ohne daß die Dusei sie führten. Selbst bei Tag war es unumgänglich, zu beobachten, wo man hintrat, und ein Auge auf die Felsen zu halten, die einen Hinterhalt verbergen mochten. Duncan kannte die kleine Senkung, die die Lauer eines Gräbers kennzeichnete, und wußte, wie man stets die Sonne zwischen sich und den Felsen hielt, um die giftigen Stränge von Anemonen zu vermeiden. Er wußte auch, wie man Wasser fand, wenn man es brauchte, oder wie man sich verstecken konnte – das letztere in Sil'athen eine leichte Aufgabe, wo der ständige Wind die Spuren jedes Vorübergehenden verwischte und die Sandfläche beinahe im selben Moment glättete, da der Fuß von ihr abhob. Schrill klingende Staubwirbel zogen wie Nebel über den Boden hinweg und wurden gelegentlich von pfeifenden Windböen aufgerührt, die den Sand in Wolken davontrugen.

Solch einen pfadlosen, abgelegenen Ort hatten die Mri gewählt... solch ein Ende hatte Niun gewählt, als ob sie selbst im Dahingehen jede Spur zu verwischen wünschten, daß es sie gegeben hatte.

Sie waren, so hatte er durch sein langes Studium gelernt, durch sein Beschwatzen der Übersetzer, seit vielen Jahrhunderten hier gewesen und hatten den Regul gedient. Hier und in der Umgebung hatten sie gekämpft – gegeneinander, denn zu Anfang hatten die Regul sie gegen die Söldner anderer Regul angeheuert, Söldner, die, wie es sich ergab, ebenfalls Mri waren. Die Konflikte standen in den Regul-Berichten endlos aufgezählt, nur die Namen änderten sich: Der Mri des Doch Holn besiegte die beiden Mri des Doch Horag; Horag (nicht zu entziffern) floh aus dem (nicht zu entziffern)-Gebiet.

So hatte es hier begonnen – bis Holn die Mri nicht mehr gegen Mri warf, sondern gegen die Menschheit. Einsame, seltsame Kämpfer: die Menschheit hatte erlebt, wie einzelne Mri menschliche Außenposten verhöhnten, um eine Reaktion zu provozieren, die manchmal dazu führte, daß die Menschen bei ihrer Tötung weit höhere Verluste erlitten, als sie verkraften konnten. Weise Befehlshaber, die die selbstmörderische Wildheit dieser Mri-Berserker kannten, hielten ihre Männer von einer Antwort zurück, egal, wie schamlos die Provokation war, bis der Mri in großartiger Arroganz in sein eigenes Gebiet zurückgekehrt war.

Vielleicht eine Herausforderung zu einem gleichartigen Gegenzug?

Niun war zu solch unbesonnenem Verhalten fähig.

Niun, dessen Waffen, an zwei Gürteln über Brust und Hüfte getragen, von einem Laser bis zu einem dünnen Krummschwert reichten, ein Anachronismus in dem Krieg, in dem er kämpfte.

Ein sehr alter Weg, hatte Niun ihn genannt.

Hier war alles, was davon geblieben war.

Dieser Ort flößte aus seinen tieferen Schatten heraus ein Gefühl der Bedrohung ein, dort, wo die Sandsteinklippen sie enger einzuschließen begannen, ein Gefühl von Heiligkeit und Geschichte und eines Todes, der der Menschheit unbekannt war. Und es gab tiefere Stellen, wo Mri-Wachen beobachtet hatten und gestorben waren, treu ergeben in eine Pflichterfüllung, wie sie nur ihnen bekannt war, und wo die Felsen Dinge verbargen, die bedrohlicher waren als der Tod.

Duncan hatte sie erblickt.

Dort lag es, weit über den Klippen am Ende der Schlucht, wo Steinhaufen in einer gewaltigen Zerstö- rung niedergestürzt waren.

»Wie weit müssen wir noch gehen?« wollte Galey wissen, der die Klippen vor ihnen mit nervösem Blick betrachtete. »Klettern wir da hinauf?«

»Ja«, sagte Duncan.

Galey blickte ihn an, wurde wieder still und ging vorsichtig hinter ihm her, als er anfing, nach dem Weg zu suchen, den er kannte, oben zwischen den Felsen, ein Dus-Pfad und wenig mehr.

Dort war es, erinnerte er sich, der Weg hinauf, verborgen in gefährlichem Schatten. Er folgte ihm sorgsam mit den Augen und fing an, langsam hinaufzugehen.

Während des Anstieges war er gezwungen, oft anzuhalten, hustete, trank ein wenig und wartete, denn die Luft war in den höheren Regionen noch dünner, und er litt trotz der Maske. Auch Galey fing an zu husten und trank zuviel von ihrem Wasser. Duncan überlegte, ob Galey, der nicht wie er einen Lazarettaufenthalt hinter sich hatte, einen größeren Teil der Ausrüstung tragen sollte; aber Galey, der aus der sterilen und automatisierten Umwelt der SABER kam, mühte sich qualvoll.

Endlich erreichten sie den Kamm und das Sonnenlicht zwischen hohen Felsspitzen, einem weglosen Irrgarten, in dem es kein Anzeichen mehr davon gab, daß Mri hier gegangen waren: an diesem Ort verteilte der Wind den Sand, wie in Sil'athen.

Duncan stand da, erwog das Sinken des roten Arain hinter den Spitzen, sog vorsichtig die Luft ein und spürte die Gegend mit all seinen Sinnen. Er hatte einen Sinn für Landschaften, entwickelt in zwanzig weglosen Umwelten, und der nagte jetzt an ihm, schleichend und unterhalb der Vernunftschwelle. Galey wollte etwas sagen, aber Duncan befahl ihm knapp, zu schweigen, stand für eine Weile da und lauschte. Der allgegenwärtige Wind zerrte an ihnen, trieb seine Possen, sang zwischen den Felsspitzen. Duncan wandte sich nach links.

»Folgen Sie mir!« sagte er. »Sprechen Sie nicht mit mir! Letztesmal bin ich den Weg in der Dunkelheit gegangen. Die Gegend sieht jetzt anders aus.«

Galey brummte zustimmend, atmete immer noch heftig. Danach schwieg er, und Duncan schaffte es, seine Anwesenheit zu vergessen, während sie weiterstapften. Er hätte Galey gerne verlassen; er war nicht gewöhnt, auf einer Mission Gesellschaft zu haben, war nicht an Pläne oder Berichte gewöhnt oder an Betroffenheit über eine im Freien verbrachte Nacht – und ein ObTak wie er hatte wenig Respekt vor den Regulären, wenn sie ihrer schützenden Schiffe und ihres Kontaktes zu Vorgesetzten beraubt waren.

Es fiel ihm ein, daß der Stab der FLOWER nicht die Befehlsgewalt besaß, ihm einen Regulären von der SABER als Begleitung zuzuteilen. Aber Stavros besaß sie.

* * *

Auf dem Plateau holte sie die Dunkelheit ein, wie es Duncan im voraus gewußt hatte, an einer Stelle, wo es nur wenig Felsspitzen gab und sich eine große Sandfläche zwischen ihnen und den ferneren Klippen erstreckte.

»Wir könnten weitergehen«, schlug Galey freiwillig vor, obwohl seine Stimme bereits erschöpft klang.

Duncan schüttelte den Kopf, suchte eine sichere Stelle aus und ließ sich nieder, um dort bis zur Dämmerung zu bleiben, eingewickelt in eine Wärmedecke und weit bequemer als in seiner letzten Nacht an diesem Ort. Sie setzten die Masken ab und aßen, obwohl Galey nur wenig Appetit hatte; dann setzten sie sie zum Schlaf wieder auf und für die abwechselnden Wachen.

Ein Jo flog kurz durch die Luft, ein Schatten vor dem Nachthimmel. Einmal erwachte Duncan von Galeys beharrlichem Flüstern, er habe etwas in den Felsen sich bewegen gehört. Er hielt daraufhin sitzend Wache, während Galey schlief oder zu schlafen vorgab, und weit über den Sand hinweg erkannte er den dunklen Schatten eines jagenden Dus, das sich in den tieferen Schatten der Felsspitzen hineinbewegte und verschwand.

Er lauschte dem Wind und betrachtete die Sterne und kannte jetzt unzweifelhaft seinen Weg.

* * *

Sobald die Landschaft wieder Farbe anzunehmen begann, falteten sie ihre Decken zusammen und machten sich wieder auf den Weg, zitterten in der frühen Dämmerung. Galey war steif und hinkte durch die Anstrengung des vorigen Tages.

Die Felsnadeln umschlossen sie wieder, vom Licht der rötlichen Sonne mit Farbe übergossen, und das Gefühl der Vertrautheit dauerte immer noch an. Sie waren auf dem richtigen Weg; keine Spur eines Zweifels blieb in Duncans Geist, aber er genoß die Stille und brach sie nicht durch ein Gespräch.


Und schließlich lag dort vor ihm diese Lücke in den Felsen, unscheinbar wie ein Dutzend andere ringsherum, abgesehen von der kennzeichnenden Felsplatte, die zur Linken schräg abfiel, und der Tiefe des Schattens, der dahinter lag.

Duncan blieb stehen; es fiel ihm ein, daß er selbst jetzt noch Zeit hat, um zu bereuen, was er tat; daß er Galey in Kreisen herumführen konnte, bis ihnen die Vorräte ausgingen; die anderen überzeugen konnte, daß sein Gedächtnis versagte, daß der Ort für ihn verloren war. Es würde Boaz' kleinem Stab große Anstrengung und Geschicklichkeit kosten, die Stelle ohne ihn zu finden. Sie mochte für Generationen der Menschen auf Kesrith unauffindbar bleiben.

Aber Relikte leisteten einem toten Volk keine Dienste. Daß alles vergehen sollte, was es gewesen war, daß eine intelligente Lebensform aus dem Universum verschwinden sollte, ohne etwas zu hinterlassen – das war nicht richtig.

»Hier«, sagte er und führte Galey den Weg entlang, an den er sich erinnerte, den er später in seinen Alpträumen gesehen hatte, dieser lange, enge Durchgang zwischen Sandsteinklippen, die sich aneinanderlehnten und den Himmel ausschlossen. Der Durchgang war gewunden und schien in Spiralen zu verlaufen, hinab in Dunkelheit und Kälte. Duncan benutzte seine Taschenlampe, und ihr winziger Strahl zeigte die Schlangenlinien von Inschriften auf den Wänden, Kurve um Kurve hinab in die Tiefen.

Blendend und sichtverschleiernd brach das Tageslicht herein, als sie die Sackgasse erreichten, wo ihr Abstieg zu Ende war. Sie standen in einem tiefen Schacht aus lebendem Stein, der zum Himmel hin offen war. Auch hier waren die Wände mit Symbolen beschrieben und geschwärzt durch die Spuren von Feuer, sowohl der Stein als auch die Metalltür, die an der gegenüberliegenden Seite der Vertiefung offenstand.

Galey fluchte; das Geräusch der menschlichen Ehrfurchtslosikeit schmerzte in Duncans Ohren, und er blickte nach links, wo Galey hinstarrte. Eine unordentliche Masse aus Knochen und verbrannten Fetzen aus schwarzem Stoff lag in einer Nische im Gestein. Es war der Wächter des Schreins. Niun hatte ihm Respekt gezollt; Duncan fühlte sich bewegt, dasselbe zu tun, und wußte nicht, wie.

»Berühren Sie nichts«, sagte er und erinnerte sich sofort an ähnliche Worte, die Melein an ihn gerichtet hatte, ein Echo in dem tiefen Schacht, das in frösteln ließ.

Er versuchte, den Verstand anderen Dingen zuzuwenden – kniete im Sonnenlicht auf dem Sand nieder und packte die Ausrüstung aus, die er mitgebracht hatte: photographische Instrumente, und vor allem ein Signalgerät. Er aktivierte es und wußte, daß von diesem Moment an menschliche Anwesenheit an diesem Ort unvermeidlich war. Suchende Flugzeuge würden ihn schließlich finden.

Dann stand er mit der Kamera auf und photographierte alles um sie herum, die Schriften, den Wächter, den Eingang mit dem zerbrochenen Siegel, die Spuren des zerstörerischen Feuers.

Und als letztes wagte er sich in die Dunkelheit, in den Schrein, den selbst Niun sich nicht zu betreten erlaubt hatte. Nur Melein hatte das getan, und Niun hatte die Tür bewacht. Galey machte Anstalten, ihm zu folgen, trat ein.

»Gehen Sie zurück«, befahl Duncan. Seine Stimme hallte fürchterlich wider in der metallenen Kammer, und Galey blieb unsicher im Eingang stehen – zog sich zurück, als Duncan ihn anstarrte. Duncan holte daraufhin vorsichtig Luft, aktivierte die Kamera und ihre Lampe, in deren Licht er die Zerstörung ringsum begutachtete.

Schrein – es war eher ein Ort feuergeschwärzten Stahls, zerstörter Vertäfelungen, Bänke lebloser Maschinen, nüchtern und lieblos. Er hatte gewußt, was er hier finden würde, hatte den Klang davon gehört, das Arbeiten der Maschinen in der Nacht, in der dieser Ort gestorben war, vernichtet durch die Mri.

Und doch hatten die Mri, die Maschinen sehr gut begriffen, ihn verehrt – verehrten auch den Gegenstand, den sie von hier weggebracht hatten.

Mißtrauen kehrte in ihn zurück, menschliches Mißtrauen, die Erinnerung daran, daß die Mri ihm niemals Zusicherungen gemacht hatten: sie hatten lediglich keine Hand an ihn gelegt.

Maschinenbänke, keine Spur von Heiligkeit. Das Ding, das Niun so liebevoll von hier weggetragen hatte, das jetzt im Bauch der FLOWER ruhte, schien plötzlich unheimlich und bedrohlich zu sein... vielleicht eine Waffe, die durch Sondierung ausgelöst werden konnte. Die Neigung der Mri, bei ihrer Selbstvernichtung Feinde mitzunehmen, machte dies durchaus möglich, machte ebenfalls verständlich, daß Niun dieses Ding wie einen Schatz gehütet hatte. Und doch schienen Boaz und die Sicherheit offensichtlich einiges Vertrauen darin zu haben, daß es sich um keine Waffe handelte.

Sein Ursprung befand sich hier – hier, vielleicht in diesem Gestell ruhend, das jetzt entblößt und leer war. Duncan hob die Kamera und vollendete seine Arbeit zwischen den toten, verbrannten Bänken, erforschte Nischen, wo das Licht tiefe Schatten durchschnitt und wo der Wind die Asche noch nicht weggefegt hatte. Als nächstes würden Boaz' Leute hierherkommen; einige der Computerspezialisten würden mit wenig Hoffnung die Wracks der Bänke begutachten. Melein war gründlich gewesen, hatte diesen Ort vor den Menschen geschützt, was auch immer er einst gewesen war.

Er hatte alles, was er brauchte, alles, was er haben konnte. Er kehrte zum Eingang zurück und zögerte dann doch wieder, nahm den Ort mit einem letzten Blick in sich auf, als ob dadurch alles in seinem Geist festgehalten wurde, alles in sein Herz eindrang, was Mri war.

»Sir?« sagte Galey aus dem Schacht.

Duncan drehte sich abrupt um und gesellte sich im Tageslicht zu Galey, schob die Atemmaske zur Seite, die ihm plötzlich den Sauerstoff zu rauben schien, war froh, die ätzende, taghelle, windgereinigte Luft einzuatmen. Galeys breites, ängstliches Gesicht schien auf einmal einer anderen, willkommeneren Welt anzugehören.

»Gehen wir«, sagte er dann zu Galey. »Gehen wir weg von hier!«

* * *

Der untere Canyon lag bereits tief im Schatten, als sie den Rand des Plateaus erreichten, diesen Pfad zwischen den Felsen, der hinab nach Sil'athen führte. Dort, wo sie standen, war es später Nachmittag, und die Dämmerung lag unter ihnen im Canyon.

»Die Dunkelheit wird uns wieder einholen, bevor wir das Schiff erreichen«, sagte Duncan.

»Gehen wir trotzdem den ganzen Weg?« fragte Galey.

Duncan schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn es dämmert, lassen wir uns nieder, wo wir auch sind.«

Galey sah nicht erfreut aus. Wer ihm auch seine Befehle gegeben hatte, hatte ihn wahrscheinlich nicht gut auf die Möglichkeit im Freien verbrachter Nächte vorbereitet. Duncans Nase hatte auf dem Rückweg wieder zu bluten begonnen, hervorgerufen durch die dünne, trockene Luft. Galeys Husten war schlimmer geworden, und wenn sie eine weitere Nacht im Freien zubringen mußten, würde er dasselbe durchmachen wie Duncan.

Der Reguläre nahm den Abstieg zuerst in Angriff, verstreute Steinchen, rutschte halb in seiner Entschlossenheit zur Eile. Und plötzlich blieb er stehen.

Duncan hörte das Flugzeug im selben Augenblick, ein fernes Brummen, das lauter wurde, über ihnen vorbeizog und wieder abdrehte. Er blickte Galey an, und auch dieser sah verstört aus.

»Vielleicht ein Wetter, das sich über uns zusammenbraut«, meinte Galey. »Oder vielleicht gibt es am Hafen etwas Dringendes.«

Duncan hatte einen Kommunikator; er betastete ihn nervös und überlegte, daß, wenn eine der beiden Vermutungen zutraf, ein Anruf vom Flugzeug hätte kommen müssen. Es herrschte Schweigen.

»Gehen Sie!« sagte er zu Galey.

Es gab kein Zeichen von dem Flugzeug, während sie sich den gefährlichen Abhang hinabarbeiteten. Sie ruhten sich kaum aus; Duncan spürte, wie Blut seine Atmung behinderte, nahm die Maske ab und wischte sich über das Gesicht, schmierte einen roten Streifen über die Hand. Benommenheit ließ die Felsen verschwimmen. Er tastete sich hinter Galey seinen Weg und taumelte auf den Talboden, auf den weichen und hindernden Sand.

»Sie kommen gerade erst aus dem Lazarett«, meinte Galey, faßte an die Riemen und bot damit an, die Last zu übernehmen, die Duncan trug. »Vertrauen Sie mir zumindest die Ausrüstung an. Sie sind sicher erschöpft.«

»Nein«, erwiderte Duncan stur. Er setzte blindlings einen Fuß vor den anderen und stapfte los, von Furcht überwältigt. Galey mühte sich, mit ihm Schritt zu halten.

Einen weiteren Kilometer die Schlucht hinauf – soviel schaffte Duncan, bevor er mit seiner Last die Grenze erreichte und schmerzvoll hustete; er übergab Galey die Ausrüstung, der sich mit ihr voranmühte; selbst er litt unter der kalten Luft und schnappte heftig nach jedem Atemzug. Es vermittelte ein nacktes Gefühl schrecklicher Verlassenheit, durch diese schattigen Tiefen zwischen den Gräbern zu gehen und Aufzeichnungen zu tragen, die nicht der Menschheit gebührten, nach denen andere verlangten.

Und da kam ein Regul-Fahrzeug schwerfällig den Canyon herabgerumpelt, langsam und bedächtig. Galey fluchte. Duncan sah einfach zu, wie es herankam.

Sie konnten nichts tun, nirgendwo hingehen, hatten nicht einmal mehr eine Stelle, wo sie die Ausrü- stung verstecken konnten. Sie waren weit weg von den Felsen, inmitten der weiten Sandfläche und unter Beobachtung der Regul.

Der Schlitten rumpelte auf sie zu und hielt an. Der Windschirm fuhr zurück. Ein Regul-Jungling lächelte sie beide mit einem Regul-Lächeln an, eine bloße Öffnung des Mundes, das den Zahnwulst dahinter zeigte.

»Kose Sten Duncan«, sagte der Regul. »Wir haben uns Sorgen gemacht. Alles in Ordnung? Alles in Ordnung?«

»Völlig«, sagte er. »Verschwinden Sie! Wir brauchen keine Hilfe.«

Das Lächeln blieb. Die runden braunen Augen zuckten über sein Gesicht, seine Hand, die Ausrü- stung, die er trug. »Dünne Luft. Schwer zu tragen vielleicht? Steigen Sie hinten ein, Gnade. Ich fahre Sie. Hier sind viele schlechte Dinge, Abend kommt. Ich bin Koi Suth Horag-gi. Bai Hulagh hat mich geschickt. Die Verehrung empfindet tiefe Besorgnis, wünscht einer menschlichen Gruppe, Kose Sten Duncan, keinen Unfall hier der Wüste. Wir bringen Sie zurück.«

Es war ein kleines Fahrzeug, ein Schlitten mit einer Ablage für Frachten, wo man unbeengt sitzen konnte. Es war nicht unmittelbar bedrohlich, und es wäre sinnloser Stolz gewesen, abzulehnen und weiterzugehen, wo doch der Schlitten leicht ihre schnellste Gangart erreichen konnte.

Aber Duncan glaubte den Worten des Regul nicht, empfand über die Anwesenheit von Regul tiefstes Mißtrauen. Galey ging nicht von selbst, stand da und wartete auf seinen Wink; und mit großen Befürchtungen kletterte Duncan auf die Ablagefläche des kleinen Fahrzeuges. Er machte Platz für Galey, der sich zu ihm gesellte und die Ausrüstung vorsichtig auf seinem Schoß hielt. Das Fahrzeug vollführte holpernd eine langsame Drehung auf dem Sand.

»Sie müssen bei unserer Maschine gelandet sein«, brüllte ihm Galey ins Ohr. Duncan begriff, was er meinte: Regul überall in ihrem Flugzeug, das sie nicht gesichert hatten, weil es hier keinen lebenden Feind gegeben hatte, mit dem sie vernünftigerweise hätten rechnen müssen. Er verfluchte sich selbst für diese übergroße Zuversicht.

Sie waren beide bewaffnet. Die Regul waren nicht bei Sinnen, wenn sie glaubten, in einer direkten Konfrontation menschliche Reflexe übertreffen zu können. Aber es war eine Tatsache, daß die Regul solche Junglinge wie diese hier bedenkenlos zu opfern pflegten.

Und die Verehrung Bai Hulagh hatte sie geschickt – Hulagh, dessen Furcht vor den Mri eine Besessenheit war und für Mord ausreichte.

Duncan faßte Galey am Arm, benutzte das System von Handsignalen für Notsituationen im Weltraum. Vorsicht. Feinde.

Freunde, signalisierte Galey zurück, widersprach hoffnungsvoll. Natürlich gab es ein funktionierendes Abkommen, das äußerste an höflicher Zusammenarbeit überall in der Kesrith-Basis. Galey war verwirrt. Die Menschen mochten die Regul nicht, aber ›Feinde‹ war ein Begriff, der nicht mehr gebraucht wurde.

Schwierigkeiten möglich, erwiderte Duncan. Aufpassen!

Schießen? wollte Galey wissen.

Möglich, antwortete Duncan.

Der Landschlitten rumpelte mit einer ordentlichen Geschwindigkeit dahin, schnell genug, daß sie ihre Mühe hatten, auf der Ablage sitzenzubleiben. Aber was in Kesriths Atmosphäre ein langer und mörderischer Gang gewesen wäre – und wahrscheinlich ein Nachtlager –, wurde eine relativ kurze und bequeme Fahrt.

Duncan versuchte, seine Befürchtungen innerlich wegzurationalisieren, es für möglich zu halten, daß aus den verschlungenen Pfaden der Regul-Motive heraus diese Regul versuchten, sie zu beschützen, aus Furcht vor Stavros' Mißvergnügen über ihren Verlust.

Er konnte sich nicht überzeugen. Sie waren allein mit den Regul, weit weg von jeder Hilfe.

Sie umrundeten die Biegung und sahen, daß tatsächlich ein Regul-Flugzeug neben ihrem eigenen gelandet war. Sie fuhren direkt darauf zu. Duncan zog an den Riemen in Galeys Händen, übernahm die Ausrüstung wieder selbst – die gesamte –, rollte sich dann, nachdem er Galey zugenickt hatte, ab und landete auf den Füßen im Sand – eine Bewegung, die den schweren Regul nicht möglich war.

Sie hatten bereits einen beträchtlichen Teil der Strecke zur Sicherheit ihres Flugzeuges hin zurückgelegt, bevor der Regul-Fahrer reagierte und den Schlitten umdrehte, um ihnen den Weg zu versperren; und weitere Junglinge kamen die Rampe aus dem Regul-Flugzeug herab.

»Alles in Ordnung mit Ihnen? Sind Sie gefallen?« fragte der Regul-Fahrer.

»Nein«, sagte Duncan, »kein Problem. Wir kehren jetzt zur Basis zurück. Vielen Dank.«

Es funktionierte nicht. Die anderen Junglinge gingen schwerfällig um sie herum, schlossen sie ein, lä- chelten mit klaffender Freundlichkeit und versperrten ihnen dabei gleichzeitig den Weg.

»Ah«, sagte Suth Horag-gi und stieg aus dem Schlitten. »Sie haben Bilder gemacht. Mri-Schätze?«

»Eigentum von Stavros«, sagte Duncan mit schneidener Stimme, und mit der Schnelligkeit, die er als menschlichen Vorteil gegenüber den langsamen Regul kennengelernt hatte, rammte er einen Jungling mit der Schulter beiseite, durchbrach den Kreis und ging rasch auf die Rampe ihres eigenen Flugzeuges zu, mißachtete einen Jungling, der versuchte, ihn zu überholen.

»Viel Glück«, sagte dieser eine mit der angemessenen Junglingsunterwürfigkeit. »Viel Glück bei Ihrer sicheren Rückkehr, Kose Sten Duncan.«

»Ja, danke für Ihre Anteilnahme. Meine Empfehlungen an die Verehrung Bai Hulagh.«

Er sprach auf Regul, wie der Regul die menschliche Sprache gebraucht hatte. Er rammte den schweren, ungeschickten Jungling mit brutaler Kraft, die für einen Regul fast überhaupt nicht schmerzhaft war. Der Stoß warf ihn etwas aus dem Gleichgewicht, und Duncan ging an ihm vorbei. Galey, der fast rannte, holte ihn auf der Rampe ein.

Sie gingen an Bord und entdeckten einen weiteren Jungling im Flugzeug.

»Hinaus«, befahl Duncan. »Kehren Sie bitte in Ihr eigenes Flugzeug zurück. Wir starten jetzt gleich.«

Der Regul blickte zweifelnd und bequemte sich endlich dazu, an ihnen vorbeizugehen, vollzog das Lufteinsaugen, das unter Regul als Höflichkeit erachtet wurde, lächelte dieses klaffende Lächeln und watschelte mit vornehmem Mangel an Eile die Rampe hinab.

Duncan setzte die Ausrüstung auf den Boden und schlug auf den Schalter, der die Rampe einfahren ließ, noch in demselben Moment, in dem der Jungling von ihr war; während Galey die Tür schloß und das Rad drehte, das sie versiegelte.

Duncan entdeckte, daß er zitterte. Er dachte, daß es Galey genauso ging.

»Was wollten sie?« fragte dieser, seine Stimme eine Spur zu schrill.

»Unser Flugzeug durchsuchen, bevor wir starten«, meinte Duncan. »Alles untersuchen, das man sabotieren könnte.« Und Galey streifte die Atemmaske ab und den Sichtschutz und fluchte leise, starrte ihn an, warf dann beides zur Seite und machte sich an die Arbeit, fing an, die Schalttafeln und ihre inneren Systeme mit größter Vorsicht zu untersuchen.

Er fand nichts, das nicht stimmte, auch nicht bei sorgfältigster Inspektion. »Ich wünschte, wir könnten etwas finden«, meinte er, und Duncan stimmte dem inbrünstig zu. Die Regul warteten immer noch draußen.

Galey startete die Motoren, probierte die Kontrolle aus und drehte das Flugzeug langsam, ließ es ein paar Fuß über den Boden abheben und folgte einem Kurs, der das Regul-Flugzeug rachsüchtig mit Staub bedeckte und die außerhalb befindlichen Regul bedächtig krabbelnd und stolpernd Deckung suchen ließ.

Als dienstälterer Offizier hätte ihm Duncan dafür einen Verweis erteilen sollen, aber er tat es nicht. Er lehnte sich ins Polster zurück, während das Flugzeug emporstieg, biß die Zähne zusammen und hielt die Polsterung mit solcher Kraft im Griff, daß, als er es erkannte – lange nachdem sie eine Höhe erreicht hatten, die ausreichend war für andere Möglichkeiten, wenn etwas schiefging –, seine Finger taub waren und tiefe Eindrücke im Polster hinterlassen hatten.

»Nervenkrieg«, sagte er zu Galey. »Nervenkrieg – oder was immer sie vorhatten, sie hatten nicht genug Zeit.«

Galey betrachtete ihn. Er hatte Aufkleber von einem halben Dutzend Welten am Ärmel seines Anzugs, so jung er auch war. Aber er war erschreckt, und es war eine Story, die unter dem regulären Militär der SABER die Runde machen würde, dieses Zusammentreffen mit Regul.

»Das ist Stavros' Angelegenheit«, unterrichtete ihn Duncan um seinetwillen, nicht wegen der Regul und nicht einmal wegen Stavros. »Je weniger Lärm darum, desto besser. Nehmen Sie mich als Beispiel.«

Sein Ruf war, das wußte er, unter den Regulären weitverbreitet: der ObTak, der den Kopf verloren hatte, der hysterisch geworden war und einen Verbündeten von hohem Rang des Mordes angeklagt hatte. Zweifellos würde das für immer in seinem Bericht stehen, außer, wenn Stavros eingriff oder er auf Kesrith so hoch befördert wurde, daß der Bericht ihm nicht mehr schaden konnte – und das war im Moment unwahrscheinlich.

Galey schien ihn zu verstehen und deswegen verlegen zu sein. »Ja, Sir«, sagte er ruhig. »Ja, Sir.«

Die Lichter der Kesrith-Basis kamen schließlich ins Blickfeld. Sie umkreisten das Gebiet nach der Landemöglichkeit in größter Nähe der FLOWER und setzten auf, riefen die Sicherheit mit dem Dringlichkeitscode. Duncan löste die Schnallen und holte die Photo Ausrüstung aus ihrer gepolsterten Aufbewahrung im Schrank neben der Tür. Galey öffnete die Luke und ließ die Rampe ausfahren, und Duncan schritt hinab zur bewaffneten Eskorte von der menschlichen Sicherheit und verspürte dabei solch eine Erleichterung, daß ihm die Knie weich wurden.

Jenseits des Feldes sah er ein anderes Flugzeug herankommen, nahe der Nom-Seite des Flugfeldes, wo die Regul ihrer eigenen Autorität am nächsten sein mochten.

Ein Sicherheitsagent versuchte, Duncan die Ausrü- stung aus der Hand zu nehmen. »Nein«, sagte Duncan scharf, und dieses eine Mal gab die Sicherheit nach.

Irgendwo verlor er Galey, vermißte ihn im Gedränge und bedauerte, den Regulären nicht höflich verabschiedet zu haben, ihn, der so fähig gewesen war. Aber vor ihm lag die Rampe der FLOWER, die offene Luke mit ihrem Lichterschein in der umgebenden Nacht. Er ging zwischen den Männern von der Sicherheit ins Schiff und die Korridore entlang zur Wissenschaftssektion.

Boaz wartete dort, im weißen Kittel und unruhig. Da die Ausrüstung schwer war, reichte er sie ihr nicht direkt, sondern legte sie auf den Tisch.

Danach gab es für ihn nichts mehr damit zu tun. Er hatte seinen Auftrag für die menschliche Macht auf Kesrith vollendet und das verkauft, was für die Mri das Kostbarste auf der Welt war. Das Wissen davon, auch von dem Ovoid, das hier hinter Türen mit Stimmschlössern lag, war in menschlichen Händen und nicht in denen der Regul, und das war unter den Umständen das Beste, was er hatte tun können.