16

Mlara und Sha und Hlar und Sa'o-no-kli'i.

Niun sah sie vorüberziehen, leblos wie sie waren, verspürte eine Erregung im Blut, die der nüchterne Anblick nicht gänzlich abtöten konnte.

Sie sprangen wieder, und kurz nach Mittag Schiffszeit erschien ein neuer Stern im Zentrum des Feldes.

»Das ist die Heimat«, sagte Melein sanft, als sie sich in der Halle der She'pan versammelten, um gemeinsam mit ihr zuzuschauen.

Auf Hal'ari hieß der Stern Na'i'in.

Niun betrachtete ihn, ein bloßer Lichtfleck auf die Entfernung, von der aus sie in das System eindrangen, und litt darunter, daß noch eine so lange Reise vor ihnen lag. Na'i'in. Die Sonne.

Und die Welt, die Kutath war.

»Mit deiner Erlaubnis«, murmelte Duncan, »ich gehe besser an die Kontrollen.«

* * *

Sie alle, sogar die Dusei, gingen in den kleinen Kontrollraum.

Und es lag etwas Unheimliches an der Dunkelheit jener Sektion der Pulte, die am aktivsten gewesen waren. Duncan stand davor und betrachtete sie für einen Moment, setzte sich dann an die Kontrollen und entfachte anderswo Aktivität, nicht jedoch in der ausgefallenen Sektion.

Niun verließ die Seite der She'pan und stellte sich rechts von Duncan an das Schaltpult: er kannte sich wenig genug mit den Instrumenten aus, nur soviel Duncan ihm gezeigt hatte – sein Wissen reichte jedoch aus, um sicher zu sein, daß etwas nicht stimmte.

»Der Navigationscomputer«, sagte Duncan. »Kaputt.«

»Du kannst uns landen«, sagte Niun ohne Zweifel.

Duncan nickte. Seine Hände fuhren über das Pult, und auf den Schirmen bildeten sich Muster und Strukturen um einen Punkt, der Na'i'in war.

»Wir sind auf Kurs«, sagte er. »Wir haben keine Sternflug-Navigation mehr, das ist alles.«

Das war nicht von Belang. Lange nachdem die She'pan in ihre Halle zurückgekehrt war, blieb Niun noch bei Duncan, saß im Sessel auf der anderen Seite der Konsole und beobachtete die Operationen, die Duncan durchführte.

* * *

Es dauerte weitere fünf Tage, bis Kutath selbst vor ihnen Gestalt annahm, der dritte Planet von Na'i'in... Kutath. Duncan führte sie, hielt sich öfter an den Kontrollen auf, als nötig gewesen wäre; er nahm seine Mahlzeiten in diesem Raum ein und betrat die Kel Halle nur zum Waschen und für ein wenig Schlaf während der Nachtzyklen. Ruhelos ging er immer schon wieder, bevor die Nacht vorbei war, und Niun wußte, wo er ihn dann finden konnte.

Nichts erforderte seine Anwesenheit an den Kontrollen.

Es gab keinen Alarm, gar nichts.

Es war, begann Niun mit wachsender Verzweiflung zu vermuten, dasselbe wie vorher auch. Melein machte sicherlich ihre eigene Einschätzung des anhaltenden Schweigens, Duncan tat es ebenfalls, und keiner sprach laut darüber.

Keine Schiffe.

Keine Reaktion.

Am sechsten Tag gab es die ersten deutlichen Bilder des Planeten, und Melein kam zu den Kontrollen, um sie sich zu betrachten. Niun legte seine Hand auf ihre, ein schweigendes Angebot.

Es war eine rote Welt, und sie war leblos.

Und alt. Sehr, sehr alt.

Duncan schaltete die Schirme aus. Es lag Schmerz in seinem Gesicht, als er die beiden Mri betrachtete, als ob er sich selbst die Schuld gäbe. Aber Niun holte tief Luft und ließ sie wieder fahren, unterwarf sich dem, was er bereits sein Leben lang gewußt hatte.

Daß sie schließlich doch die Letztgeborenen waren.

Irgendwo im Schiff stöhnten die Dusei, nahmen den Kummer in sich auf, der ihnen gesandt wurde.

»Die Reise des Volkes«, sagte Melein, »hat sehr, sehr lang gedauert. Wenn wir auch die letzten sind, so werden wir doch heimkehren. Bring uns dorthin, Duncan!«

»Ja«, sagte dieser einfach, senkte den Kopf und wandte sich dem Pult zu, damit er ihre Gesichter nicht sehen mußte. Niun empfand das Atmen als schwierig, spürte eine Enge um sein Herz, wie damals, als er das Volk auf Kesrith hatte sterben sehen; das war jedoch ein alter Kummer, und die Trauer lag bereits zurück. Er stand still, während Melein in ihre Halle zurückkehrte.

Dann zog er sich zurück, dorthin, wo er mit sich allein war, setzte sich zusammen mit seinem Dus nieder und weinte, wo doch das Kel nicht weinen konnte.

* * *

»Warum sollten wir bekümmert sein?« fragte Melein, als sie sich an diesem Abend wieder trafen, zu ihrem ersten Gemeinsamen Mahl seit vielen Tagen und ihrem letzten vor der Landung. »Wir haben immer gewußt, daß wir die letzten sind. Eine Zeitlang glaubten wir etwas anderes und waren glücklicher, aber es ist nur dieselbe Wahrheit, die es immer gewesen ist. Wir sollten weiterhin glücklich sein. Wir sind schließlich heimgekehrt. Wir haben unseren Ursprung gesehen, und das ist ein angemessenes Ende.«

Dies war etwas, das der Mensch verstehen konnte. Er schüttelte einfach den Kopf wie unter Schmerzen, und sein Dus schnupperte trostlos an ihm.

Aber Niun schloß sich gänzlich Meleins Gedanken an: sie waren die Wahrheit. Es gab weit schlimmere Dinge als das, was vor ihnen lag: es gab Kesrith, es gab Menschen und Regul.

»Gräme dich nicht um uns«, sagte Niun zu Duncan und faßte ihn am Ärmel. »Wir sind da, wo wir sein wollen.«

»Ich werde wieder an die Kontrollen gehen«, sagte Duncan, sprang auf die Füße, verschleierte sich und verließ ihre Gesellschaft, ohne um Erlaubnis zu fragen oder zurückzublicken. Sein Dus folgte ihm und strahlte Kummer aus.

»Er kann dort nichts tun«, meinte Melein mit einem Achselzucken. »Aber es tröstet ihn.«

»Unser Duncan«, sagte Niun, »wird sich nicht abfinden. Er ist von Schuldgefühlen besessen.«

»Wegen uns?«

Niun zuckte die Achseln, preßte die Lippen zusammen und sah zur Seite.

Sie streckte die Hand aus und faßte ihm ins Gesicht, lenkte seine Aufmerksamkeit zurück und betrachtete ihn traurig. »Ich habe gewußt, daß das möglich war, daß es zu lange her gewesen sein könnte. Niun, es hat etwa achtzig Dunkelheiten gegeben, und in jeder ist mehr als eine Generation vorübergegangen; und es hat etwa achtzig Zeiten des Dazwischen gegeben, und die meisten davon haben etwa eintausend Jahre gedauert.«

Er versuchte ein mißbilligendes Lachen und schüttelte den Kopf – es kam nicht als Lachen heraus. »Ich kann mir das in der Entfernung vorstellen, aber nicht in Jahren. Zwanzig Jahre sind schon viel für einen Kel'en. Ich kann nicht mit tausend rechnen.«

Sie beugte sich herab und drückte ihm die Lippen auf die Stirn. »Niun, es geht nicht um das Zählen. Es geht auch über meine Vorstellung hinaus.«

In dieser Nacht und der folgenden schlief Niun im Sitzen, den Kopf an ihren Stuhl gelehnt. Melein bat ihn nicht darum. Er wollte sie einfach nicht alleinlassen. Und als Duncan von seiner einsamen Wache kam für die wenigen Stunden wirklichen Schlafes, die er suchte, rollte er sich in der Ecke an sein Dus gelehnt zusammen, hier und nicht in der Kel-Halle. Es war keine Zeit, in der auch nur einer von ihnen hätte allein sein wollen. Die Einsamkeit von Kutath selbst war überwältigend.

* * *

Am achten Tag wälzte sich Kutath unter sie und füllte alle Schirme in der Halle der She'pan aus – zornig, trocken, zernarbt vom Alter.

Und Duncan trat in die Gegenwart der She'pan, schoß herein wie ein Windstoß, riß sich Mez und Zaidhe vom Kopf, um sein Gesicht zu zeigen: es strahlte.

»Leben!« sagte er. »Der Scanner zeigt es. She'pan, Niun – eure Welt ist nicht völlig tot.«

Für einen Augenblick bewegte sich keiner von ihnen.

Und plötzlich schlug Melein die Hände zusammen und dankte den verschiedenen Göttern, und erst dann wagte Niun, Atem zu holen und zu hoffen.

Melein folgte Duncan zu den Kontrollen, hinter ihr kam Niun, und hinter allen trotteten die Dusei und schnaubten mächtig vor Aufregung. Melein setzte sich auf die Armlehne des Sessels, und Niun lehnte sich neben ihr an, während Duncan ihnen klarzumachen versuchte, worauf seine Suche gestoßen war, ihnen die Schirme und die Zahlen zeigte und den vibrierenden Datenstrom, der von Leben kündete.

Leben von Maschinen und sehr, sehr spärlich der Beweis für wachsende Dinge.

»Vom Raum aus wirkt es wie Kesrith«, sagte Duncan sanft, und seine Worte machten Niun frieren, denn oft genug hatte die alte She'pan Kesrith als die Schmiede bezeichnet, die das Volk vorbereiten würde – für alles, das vor ihnen lag. »Den Dusei«, meinte Duncan, »sollte es dort gut genug gehen.«

»Ein Mond«, las Niun vom Schirm ab und erinnerte sich mit Heimweh an die beiden, die über die Himmel von Kesrith zogen; erinnerte sich an seine Hügel und die vertrauten Orte, die er durchstreift hatte, bevor die Menschen kamen.

Diese Welt seiner Vorfahren würde ihre eigenen Geheimnisse haben, ihre eigenen Reize und Schönheiten und ihre eigenen Gefahren.

Und Menschen – schnell genug.

»Duncan«, sagte Melein, »bring uns hinab!«