17

Kutath.

Duncan sog die Luft ein, die in die Luke hereinblies, den ersten Atemzug von der Oberfläche des Planeten, kalt und dünn, mit schwachem Aroma. Er blickte durch die Luke auf den roten und bernsteinfarbenen Sand, auf den Kamm ferner, abgerundeter Berge, und eine Sonne, trübgefärbt und verzerrt in ihrem Himmel.

Und er ging nicht hinab. Das gebührte den Mri, als erste den Erdboden ihres Ursprungs zu betreten. Er stand im Schiff und sah zu, wie sie die Rampe hinabgingen, zuerst Melein und hinter ihr Niun – Kinder, die zu ihrer alten Mutter heimkehrten. Sie blickten sich um, und ihre Augen sahen die Dinge sicher anders als er, ihre Sinne empfanden die Berührung von Kutaths Schwerkraft als vertraut, das Aroma seiner Luft – etwas, das ihr Blut und ihre Sinne ansprechen und sagen mußte: dies ist die Heimat.

Traurig für sie, wenn das nicht so war, wenn die Reise des Volkes wirklich zu lange gedauert hatte, wenn alles verloren war, weswegen sie gekommen waren. Er glaubte nicht daran; er hatte den Blick in Niuns Augen gesehen, als sie der Welt jenseits der Luke gewahr wurden.

Er spürte die Spannung in seiner Kehle, und die Muskeln zitterten unter der schrecklichen Kälte des Planeten und vor Furcht. Wenn er etwas deutlich empfand, dann ein Gefühl des Verlustes – und er wußte nicht, warum. Er hatte es geschafft, hatte sie heimgebracht und sicher gelandet, und doch verspürte er Traurigkeit.

Es war nicht alles, was er getan hatte, dieser Dienst am Volk.

Jenseits des Systems pulsierte ein Signalfeuer, ein Hinweis auf dem Kurs für einfliegende Schiffe. Und auf Kutath diente das Schiff jetzt selbst als Signalfeuer. Es pulsierte schweigend, aber es sendete jetzt – würde das tun, solange ihm Energie verblieb. Und das würde über ihre kurzen Lebensspannen hinausgehen.

Freundschaft, Freundschaft, rief das Schiff den Himmeln entgegen, und wenn die Menschenschiffe die Signale näher begutachten würden, dann gab es da noch mehr.

Er hatte das Niun und Melein gegenüber verschwiegen. Er rechnete nicht damit, daß sie irgendeine Geste Tsi'mri gegenüber billigen würden, und deshalb hatte er nicht nach ihrem Einverständnis gefragt.

Er sah, wie die Dusei gingen, schnaubten und in der Luft schnupperten, als sie auf ihre krummzehige Gangart die Rampe hinabtrotteten – sie schwabbelten vor Fett nach ihrer langen gutgefütterten Inaktivität auf dem Schiff, glänzten und leuchteten im Licht der matten Sonne. Sie erreichten den Sand und rollten sich freudig darin, schüttelten Wolken roten Staubes von ihren Samtpelzen, als sie wieder aufstanden. Das größte Tier türmte sich auf die Hinterbeine, sank wieder herab, spielte und blies Staubwolken auf die Mri; Niun unterband das durch eine Schelte.

Die Tiere machten sich dann eigenmächtig auf den Weg, umkreisten die Gegend, erforschten ihre neue Welt. Sie würden keiner Gefahr erlauben, sich den Mri zu nähern, ohne Alarm zu schlagen, und ihr momentanes Verhalten war eines von großem Behagen. Unbeschädigt durch den Luftzug des Schiffes wuchs nahebei eine Ansammlung blaugrüner Stengel. Die Dusei zerstörten sie, schmatzten die Pflanzen mit offensichtlichem Genuß. Ihre Verdauung wurde mit allem fertig, sogar den meisten Giften; darum kümmerten sie sich nicht.

Wo Pflanzen wuchsen, gab es sicherlich Wasser, sei es auch noch so spärlich. Duncan betrachtete das kümmerliche Gewächs mit Befriedigung und Stolz, denn er hatte für die Mri einen Platz gefunden, wo in diesem weitgehend öden Land Leben existierte, hatte ihr kleines Schiff in Reichweite von Wasser gelandet...

Und nahe bei der Energiequelle, die der Scanner aufgespürt hatte.

Es gab keinerlei Reaktion auf ihre Anwesenheit, nicht bei der Landung und auch jetzt nicht. Die Instrumente des Schiffes tasteten immer noch den Himmel ab, bereit, die Sirenen auszulösen und seine Passagiere zu warnen, in Deckung zu gehen. Der Himmel blieb jedoch leer – sie war gleichzeitig erwünscht und unerwünscht, diese über allem liegende Stille.

Duncan spürte die Wohlgefühle der Dusei wie Lotusbalsam und gab sich ihnen hin.

Beinahe schüchtern ging er die Rampe hinab, empfand sich als fehl am Platz und als Fremder. Er nä- herte sich schweigend den Mri, hoffte, daß sie seine Gegenwart nicht als Beleidigung erachten würden: er kannte Niun genug, um ihn dessen einem Tsi'mri gegenüber für fähig zu halten.

»She'pan«, hörte er Niun sanft sagen, und sie drehte sich um und bemerkte ihn und streckte ihm die Hand entgegen. Sie legten ihre Arme um ihn wie um einen Bruder, und Duncan verspürte einen Impuls zu weinen, wie es ein Kel'en nicht tun würde. Er senkte für einen Moment den Kopf und spürte ihre Wärme an ihm. Ein starker Wind blies und peitschte ihre Gewänder. Duncan legte seinerseits die Arme um die beiden Mri, spürte an einer Seite Meleins Zerbrechlichkeit und an der anderen Niuns magere Kraft. Und sie waren fremd, tierwarm, und genossen die Kälte, die ihn zittern ließ.

Die Dusei durchschweiften die Gegend in immer größerer Entfernung und äußerten ihr Jagdstöhnen, das jedes Wesen mit Schrecken erfüllte, das Ohren hatte, es zu hören.

Und Duncan und die Mri blickten sich um, und außer der fremdartigen Gegenwart des Schiffes gab es nur die Erde und den Himmel: in einer Richtung flach, und jenseits davon erhoben sich Berge an der Grenze des Himmels, abgerundet und erodiert durch Äonen. Und in der anderen Richtung fiel das Land hinab in einen rotgelben Dunst mit Purpurschleiern, zeigte eine nackte Tiefe, die am Auge sog und die Sinne verwirrte – nicht einfach ein Tal, sondern eine Kante, die den Rand der Welt bildete, eine Entfernung, die sich bis zum Horizont erstreckte und dort in den Himmel überging; und sie reckte Klippenarme empor, die in der Nähe leuchtend rot waren und in den undeutlichen Himmel am fernen Horizont hinein verblaßten.

Duncan hauchte einen Ausruf in seiner Sprache; etwas Verbotenes, aber die Mri schienen es nicht zu bemerken. Er hatte den Abgrund von oben gesehen, hatte sie in der Nähe davon gelandet, weil es der beste Platz zu sein schien. Hinabsteigen war leichter als Emporklettern, hatte er gedacht, als er sich für das Hochland als Landeplatz entschied, aber er war in sicherem Abstand von der Kante geblieben. Von oben hatte es gefährlich genug ausgesehen; aber hier, wo sie selbst auf ihre natürliche Perspektive reduziert waren, klafften dermaßen gewaltige Tiefen, daß sie am Grund in Dunst verschwammen; Terrassen, Abhänge und Simse, erodierte Spitzen und Berge... und ganz in der Ferne, rotgelb und silbern, schimmerte etwas, das ein See sein mochte, ein ausgetrockneter Seitenarm dessen, was vielleicht einst ein Meer gewesen war.

Sicherlich ein Salzsee und tot; seit Äonen würden sich dort Mineralien und Salze angesammelt haben wie in Kesriths flachen, austrocknenden Meeren.

Sie standen für eine Weile reglos und betrachteten die Welt um sich herum, bis selbst die Mri in der Kälte zu zittern begannen.

»Wir müssen die Energiequellen finden, von der du gesprochen hast«, sagte Melein. »Wir müssen nachsehen, ob es noch andere gibt.«

»Wir sind nahe dran«, sagte Duncan und hob den Arm in die Richtung, in der, wie er wußte, die Energiequelle lag. »Ich bin so nahe daran gelandet, wie ich mich getraut habe.«

»Es hat keine Antwort auf deine Kontaktversuche gegeben.«

»Keine«, sagte Duncan und erschauerte.

»Wir müssen zusätzliche Gewänder anziehen«, meinte Niun. »Und wir müssen einen Schlitten mit Ausrüstung beladen. Wir werden uns soweit umsehen, wie wir können – nicht wahr, She'pan? –, und dabei finden, was zu finden ist.«


»Ja«, sagte Melein. »Wir werden sehen.«

Duncan setzte an, sich abzuwenden und das Nötige in die Wege zu leiten, und da er keine bessere Zeit fand, zögerte er und zog den Schleier beiseite, den er als Schutz vor der Kälte getragen hatte. »She'pan«, sagte er, »es wäre besser – wenn ich im Schiff bliebe.«

»Wir werden nicht zurückkommen«, sagte Melein.

Duncan blickte von einem zur anderen, fand Schmerz in Niuns Augen, erkannte plötzlich den Grund für das Gefühl des Verlustes.

»Es ist nötig«, meinte er, »daß ich im Schiff bleibe – um für euch Wache zu halten, She'pan. Ich werde diesen Stern nicht verlassen. Ich werde bleiben. Aber möglicherweise kann ich sie aufhalten.«

»Die Marker, die du zurückgelassen hast – sind sie dafür gedacht?«

Er erschrak in der Erkenntnis, daß Melein nicht getäuscht worden war.

»Ja«, sagte er rauh. »Um sie wissen zu lassen, daß hier Freunde sind. Und vielleicht hören sie darauf.«

»Dann wirst du nicht im Schiff bleiben«, sagte sie. »Die zurückgelassene Botschaft genügt. Wenn sie sie nicht beachten, gibt es nichts mehr zu sagen. Das Schiff hat keine Waffen.«

»Ich könnte mit ihnen reden.«

»Sie würden dich zurückholen«, sagte sie.

Das stimmte. Er starrte sie an, durchfroren bis auf die Knochen durch den Wind, der sie peitschte.

»Du könntest nicht kämpfen«, sagte sie, wandte den Blick zum weiten Horizont und streckte den Arm dorthin aus. »Wenn sie in all dieser Weite nach uns suchen, dann würden sie dir nicht zuhören; und wenn sie uns nicht suchen, ist alles gut. Komm mit uns, Kel Duncan!«

»She'pan«, sagte er ruhig, akzeptierte es.

Und er drehte sich um und stieg die Rampe hinauf.

* * *

Sie holten die Vorräte vom Schiff. Niun gab an, was gebraucht wurde, und gemeinsam fügten sie Aluminium-Rohrwerk zu etwas zusammen, das einen recht guten Schlitten abgab. Sie luden ihn in den Frachtfahrstuhl und sicherten die Ausrüstung darauf, die Niun aussuchte: Wasserbehälter, Nahrung, die leichten Matten, die zum Schlafen dienten, Aluminiumstangen zum Errichten eines Zeltes und Wärmedekken. Wenn sie auch Tsi'mri-Luxus darstellten, so fand doch sogar Niun die Kälte draußen das überzeugendere Argument.

Sie suchten sich Extrakleidung aus und Stiefel zum Wechseln und zogen sich zweite Siga über die ersten.

Und als letztes und wichtigstes von allem suchten sie den Schrein des Pan'en auf, und Niun nahm das Ovoid ehrfürchtig in die Arme und trug es zum Schlitten hinab, verstaute es dort an der Stelle, die dafür vorgesehen war.

»Bring uns hinab!« sagte Melein.

Duncan drückte den Schalter, und der Frachtfahrstuhl senkte sich langsam zum Erdboden hinunter, wo sie hinaus auf den roten Sand traten.

Es war bereits später Nachmittag.

Hinter ihnen stieg der Fahrstuhl wieder auf und hielt krachend an seinem Platz, ein fremdartiges Geräusch in dieser Ödnis, und danach gab es kein anderes Geräusch mehr als das des Windes. Die Mri stapften los und wandten den Blick kein einzigesmal zurück; aber einmal, zweimal, ein drittesmal konnte Duncan nicht an sich halten und sah über die Schulter zurück. Die gewaltige Masse des Schiffes wurde kleiner hinter ihnen, und sie nahm dabei eine seltsame, gefrorene Qualität an, schimmerte in dem rotgelben Licht, verschwamm mit der Landschaft: kein Licht, keine Regung, kein Geräusch.

Dann geriet eine Bodenerhebung dazwischen, und das Schiff verschwand aus dem Blickfeld. Duncan spürte einen plötzlichen Stich der Verlassenheit, spürte die Berührung der Mri-Kleidung auf seiner Haut, die für ihn natürlich geworden waren, spürte die scharfe Kälte des Windes, die er sich ersehnt hatte, und war sich immer noch dessen bewußt, daß er allein war. Sie gingen auf die Sonne zu, auf die Quelle der Energie, die die Instrumente aufgespürt hatten, und es kam Duncan in den Sinn, daß er, sollten sie andere Mri finden, es schwer haben würde, seinen Gefährten seine Anwesenheit unter ihnen zu erklä- ren.

Daß eine Zeit kommen konnte, wenn seine Anwesenheit sich für Niun und Melein mehr als nur unbequem erweisen würde.

Das wäre ein schlechtes Ende, allein und als Fremder.

Es traf ihn, daß er in seiner Verrücktheit mit denen die Plätze getauscht hatte, die er bemitleidet hatte, und am schmerzlichsten von allem war, er mochte nicht glauben, daß Niun ihn willentlich im Stich lassen würde.

* * *

Na'i'in ging unter und versorgte sie mit einem rötlichen Dämmerlicht, das das sterbende Meer in dunstige Vergessenheit tauchte, ein großer und erschrekkender Abgrund zu ihrer Linken, mit Felsspitzen, die durch den Dunst hochragten und den Eindruck vermittelten, als ob sie nicht in der Erde verankert wä- ren. Zu Beginn dieses Sonnenuntergangs legten sie eine Pause ein, trugen zweifache Gewänder gegen die Kälte und waren noch warm vom Gehen, und sie nahmen gemeinsam eine Mahlzeit ein. Die Dusei tauchten nicht auf, obwohl sie geglaubt hatten, daß der Duft des Essens sie anlocken würde. Niun sah sich während der Rast oft um, blickte ebenso wie Duncan auf ihrer Spur zurück und sorge sich um die fehlenden Tiere.

»Sie stammen von einer Welt, die nicht weniger rauh ist«, meinte Niun schließlich, »und wahrscheinlich schweifen sie auf der Suche nach ihrer eigenen Mahlzeit umher.«

Aber er machte ein finsteres Gesicht und beobachtete immer noch den Horizont.

Und ein seltsames Phänomen trat auf, als die Sonne schwächer wurde. Durch den schwachen Dunst in der Luft erhoben sich Berge ins Blickfeld, die vorher nicht sichtbar gewesen waren, und das Land wuchs und dehnte sich vor ihnen aus, schuf sich neue Grenzen, als die Sonne hinter die Hügel sank.

An den Ufern des sterbenden Meeres erhoben sich Türme und schlanke Spitzen, nur eine Nuance dunkler als der rotgelbe Himmel.


»Ah!« hauchte Melein und stand auf, und auch die beiden Männer erhoben sich und blickten zum Horizont, auf die wundersame Stadt, die vor ihnen hing. Sie war nur für wenige Momente klar erkennbar und schwand dann im Schatten, als der Rand Na'i'ins unter den Horizont glitt und die Dunkelheit brachte.

»Das war sicherlich, was die Instrumente aufgespürt haben«, meinte Duncan.

»Etwas ist dort lebendig.«

»Vielleicht«, sagte Niun. Sicher verlangte ihn danach, es zu glauben, aber er ließ sich weder Hoffnung noch Furcht anmerken. Zu allererst akzeptierte er das Schlimmste – das hatte er immer getan. Dieses Verhalten schien die Mri geistig gesund zu erhalten durch eine Geschichte hindurch, die außer Zerstö- rung wenig enthielt.

Melein setzte sich wieder auf ihre Matte, schloß die Arme um die Knie und sagte überhaupt nichts.

»Es könnte sehr weit weg sein«, meinte Duncan.

»Wenn es die Quelle von dem ist, was du entdeckt hast?« fragte Niun.

Duncan zuckte die Achseln. »Vielleicht ein Tagesmarsch weit.«

Niun runzelte die Stirn und senkte den Mez etwas, um den größten Teil seines Gesichtes freizulegen. »Sag mir die Wahrheit: Schaffst du einen solchen Weg?«

Duncan nickte auf Mri-Art. »Die Luft ist dünn, aber nicht zu dünn für mich. Die Kälte macht mir am ehesten zu schaffen.«

»Wickle dich ein! Ich denke, daß wir über die Nacht hier bleiben.«

»Niun, ich werde keine Last für dich sein.«

Niun dachte darüber nach und nickte dann. »Mri sind keine Lastenträger«, sagte er. Duncan hielt es für Kel-Humor – und die exakte Wahrheit. Er grinste, und Niun tat es ebenfalls, eine plötzliche und überraschende Geste, die schnell verging.

Die Schleier wurden wieder angebracht. Duncan legte sich in eine Wärmedecke gewickelt zum Schlafen nieder und empfand mehr Frieden im Herzen, als – wie er wußte – unter solchen Umständen rational war. In der kalten Luft gaben Decke und Gewänder zusammen herrlich viel Behaglichkeit und Wärme. Über ihm bildeten seltsam wenige Sterne am klaren Himmel unvertraute Muster. Er erfand eigene: ein Dreieck, eine Schlange und ein Mann mit einem großen Dus an den Fersen. Die Anstrengung erschöpfte sein schwindendes Bewußtsein, und er schlief ein. Er erwachte wieder, als Niun ihn an den Schultern schüttelte und davon unterrichtete, daß er mit dem Wachehalten an der Reihe war. Die Dusei waren noch nicht zurückgekommen.

Er saß für den Rest der Nacht in Wärme eingewikkelt und blickte zum Horizont, der seltsam wirkte durch das Wachsen von Stengeln auf dem die Ebenen beherrschenden Kamm, beobachtete in Einsamkeit, wie Na'i'in über ihrer Spur aufging, ein Anblick von herzerfüllender Schönheit.

Das war mehr als ein fairer Handel, dachte er.

Als das Licht zunahm, regten sich die Mri; sie nahmen ein Morgenmahl ein, waren bedächtig in ihren Vorbereitungen und zufrieden damit, wenig zu sagen und sich oft umzuschauen.

Und mit dem auffrischenden Wind kam ein seltsamer ferner Ton, der sie in ihren augenblicklichen Haltungen erstarren und zuhören ließ; und dann lachten Niun und Melein laut und erleichtert.

Die Dusei waren in der Nähe auf der Jagd.

Sie packten und beluden den Schlitten. Duncan zog ihn. Niun, Kel'anth, Ältester des Kel, konnte eine solche Arbeit nicht übernehmen, solange es noch jemand anderen dafür gab. Dies war seit langem die Ordnung der Dinge, und Duncan akzeptierte sie, ohne Fragen zu stellen. Aber der Mri beobachtete ihn, und als sie sich der ersten Erhebung näherten, legte Niun schweigend die Hand auf das Seil und nahm es ihm weg, schlang es sich um die eigene Schulter.

* * *

Es war für den Mri keine harte Arbeit, denn das Land war relativ flach, und die Metallkufen glitten leicht über den pulverigen roten Sand hinweg. Die Kälte, die in der Dämmerung ihren Atem hatte gefrieren lassen, ließ immer mehr nach, bis am mittleren Vormittag Niun und Melein ihre Extragewänder ablegten und mit sichtlichem Behagen weitergingen.

Während einer Ruhepause erschien eines der Dusei am Horizont, stand dort für einen Moment, und das andere gesellte sich zu ihm. Immer wieder tauchten die Tiere auf und verschwanden ebenso schnell wieder. Während dieser letzten Abwesenheit waren sie schon seit einer Weile verschwunden. Duncan wünschte sich seines zurück, war um es besorgt und über sein irrationales Verhalten bekümmert, aber es kam nur den halben Weg und blieb dann stehen. Es sah anders aus, so daß er es nicht erkannt hätte, wä- ren mehr als nur zwei auf ganz Kutath vorhanden gewesen und das größere nicht weiter hinten auf dem Kamm des Abhangs. Beide sahen anders aus.

Magerer. Die Wohlgenährtheit war über Nacht verschwunden.

Das Dus warf sich plötzlich wieder herum und gesellte sich zu seinem Gefährten auf dem Kamm. Beide verschwanden hinter dieser niedrigen Bodenwelle. Beim Weitergehen hielt Duncan den Blick dorthin gerichtet, um sie wieder auftauchen zu sehen, und er blinzelte, denn es schien unmöglich zu sein, daß etwas so Großes in einem so flachen Land so leicht verschwinden konnte.

»Was ist mit ihnen los?« fragte er Niun. Der Mri zuckte die Achseln und ging wieder hinter Melein her, was nach Duncans Vermutung bedeutete, daß er es nicht wußte.

Und wenig später, als ihr Weg sie in die Nähe einiger der blaugrünen Stengel führte, schnitt Niun ein Stück davon mit dem Av'tlen ab und sah, wie die Pflanzenwunde sich mit Wasser füllte.

»Ich würde das nicht probieren«, meinte Duncan unbehaglich.

Aber der Mri nahm wenig, sehr wenig davon in den Mund und spie es einen Moment später wieder aus. »Nicht so schlecht«, meinte er. »Süß. Vielleicht ist das Fruchtfleisch genießbar. Wir werden sehen, ob ich davon krank werde. Die Dusei waren nicht der Meinung.«

Es war ihm immer noch ein Geheimnis, wie es zwischen Dus und Mann eine Kommunikation von so deutlicher Natur geben konnte. Aber Duncan erinnerte sich an das Gefühl, das sie bei der ersten Entdeckung der Pflanzen gehabt hatten: intensives Behagen.

Niun wurde nicht krank. Nach Mittag probierte er noch etwas mehr, und verkündete am Abend, daß es akzeptabel sei. Duncan versuchte es, und es war süß und wie gezuckertes Obst, angenehm und kalt. Als letzte nahm Melein etwas davon zu sich, nachdem das Lager aufgeschlagen und es klar geworden war, daß weder Mri noch Mensch daran Schaden gelitten hatten.

Die Sonne glitt zum Rand des Abgrunds hinab und zerteilte sich in Streifen, verweilte für einen letzten Augenblick. Inmitten des Dunstes tauchte die Stadt wieder auf.

Sie war groß und ruhte fest auf dem Erdboden und war keine fließende Illusion. Die Türme zeichneten sich deutlich im Licht ab, bevor es verschwand.

»Es steht im Pan'en geschrieben«, sagte Melein sanft, »daß es eine Stadt der Türme gab – An-ehon mit den gelben Türmen. Auch andere Städte sind dort genannt: Zohain, Tho'e'i-shai und Le'a'haen. Das Meer war Sha'it und auch die Ebenen hatten ihre Namen.«

Da waren der Wind und das Flüstern der strömenden Sandkörner. Das war alles, was sich außer ihnen bewegte, die sie als Fremde kamen, und einer von ihnen als wahrhaft Fremder.

Aber Melein nannte ihnen die Namen, und Kutath erlangte um sie herum Substanz, so schrecklich es in seiner Verlassenheit auch war. Niun und Melein sprachen miteinander und lachten irgendwie in all dieser Stille, aber die Stille drang bis auf die Knochen und raubte den Atem, und Duncan konnte sich für einen Moment kaum bewegen, bis Niun sein Handgelenk packte und ihm eine Frage stellte, die zu wiederholen er den Mri verlegen bitten mußte.

»Duncan?« fragte Niun daraufhin, spürte die Bestürzung in ihm.

»Es ist nichts«, sagte Duncan und wünschte sich nutzlos das Dus zurück. Er starrte an den Mri vorbei in den sich verdunkelnden Abgrund eines sterbenden Meeres und wunderte sich darüber, daß sie an einem solchen Ort lachen konnten.

Und daß Melein in ihrem Geist die ungeheuren Wasser sah, die in dieser Leere geschwappt und gewogt hatten: das ließ ihm mehr als alles andere erneut gewahr werden, welche Zeitspanne diese beiden Mri durchquert hatten.

Niun drückte seinen Arm und zog sich zurück, wickelte sich in seine Decke und legte sich zum Schlafen nieder, wie auch Melein sich für die Nacht niederließ.

Duncan übernahm die Wache, hüllte sich in seine Wärmedecke und fühlte sich warm trotz der Luft, in der sein Atem gefror. Der im dritten Viertel stehende Mond war aufgegangen. Ein Streifen hoher Wolken zog im Norden auf, konnte aber die Sterne nicht verhüllen.

Einmal spürte er die Gegenwart des Dus. Es kam nicht nahe heran, aber es war da, als eine Beruhigung irgendwo in ihrer Nähe.