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Die Mehrheit des Personals der FLOWER hatte sich nach der ersten Aufregung durch den Erhalt der Aufzeichnungen zur Nacht begeben. Die Laboratorien waren wieder geschlossen, die reduzierte Nachtmannschaft war im Dienst. Das Schiff zeigte sich nachts von einer anderen Seite, eine geisterhafte Ruhe außer dem Flüstern der Maschinen und der Ventilation, ganz anders als die hektische Aktivität in seinen engen Korridoren bei Tag.

Duncan fand die Aussicht auf ein Bett, eine ruhige Nacht in seinem eigenen sicheren Quartier und ein Bad (selbst das chemische Abschrubben, das unter der Rationierung erlaubt war) außerordentlich attraktiv nach einer dreistündigen Befragung. Es war 0100 Uhr nach lokaler Zeit, der Zeit, nach der er lebte.

Die späte Stunde hinderte ihn nicht daran, in die medizinische Sektion hinabzusteigen und in Niuns Zimmer stehenzubleiben. Es gab weder Tag noch Nacht für den Mri, der schlaff dalag und trotz der an seinen Gliedern angewandten Therapie durch den Einfluß der Beruhigungsmittel verfiel. Luiz hatte versprochen, eine Verringerung der Sedation in Erwä- gung zu ziehen; Duncan hatte mit ihm über diesen Punkt hitzig gestritten.

Er erhielt jetzt keine Antwort, als er den Mri ansprach. Er packte Niuns Schulter und schüttelte ihn sanft, haßte es, zu fühlen, wie hinfällig der Mri wurde.

Spannung kehrte in die Muskeln zurück. Der Mri atmete tiefer, bewegte sich gegen die Gurte, die ihn ständig festhielten, und seine goldenen Augen öffneten sich, halb bedeckt durch die Nickhaut. Die Membran zog sich zurück, aber nicht gänzlich. Die Einstellung der Augen war unkoordiniert und ihr Blick verwirrt.

»Niun«, flüsterte Duncan – dann laut: »Niun!«

Der Kampf dauerte an, und doch schien der Mri seiner Anwesenheit kaum bewußt zu sein, trotz des Griffes seiner Hand. Es war etwas anderes, etwas Inneres, das Niun beschäftigte, und die großen goldenen Augen waren erschreckt geweitet.

»Niun, hör auf! Ich bin Duncan. Duncan ist bei dir. Sei ruhig und sieh mich an!«

»Duncan?« Der Mri war plötzlich ohne Kraft, die Brust hob und senkte sich heftig vor Erschöpfung, als sei er von einem unmöglich fernen Ort hergelaufen. »Die Dusei sind verloren.«

Solche Phantasterei war mitleiderregend. Niun war ein Mann von klarem Verstand und mit schnellen Reflexen. Jetzt sah er völlig verstört aus. Duncan hielt seinen Arm, und da er den Stolz der Mri kannte, zog er eine Ecke der Bettdecke über dessen untere Gesichtshälfte, eine Verhüllung, hinter der sich der Mri stets sicherer fühlte.

Langsam, langsam kehrte der Verstand in diesen fremden Blick zurück. »Laß mich gehen, Duncan!«

»Ich kann nicht«, sagte er elend. »Ich kann es nicht, Niun.«

Die Augen fingen an, wieder ihren Brennpunkt zu verlieren, wegzugleiten. Die Armmuskeln fingen an, sich zu lockern. »Melein«, sagte Niun.

»Sie ist in Sicherheit.« Duncan preßte die Hand zusammen, bis sie sicherlich schmerzte, versuchte, ihn zum Zuhören zu zwingen. Aber der Mri war wieder in seinen Traum zurückgesunken. Sein Atem ging rasch. Sein Kopf wandte sich im Delirium von einer Seite zur anderen.

Und schließlich wurde er wieder ruhig.

Duncan ließ Niuns Arm los und ging, zuerst langsam, dann schneller. Das Seltsame an diesem Vorfall schmerzte ihn; aber Niun kämpfte gegen die Sedation, kam immer stärker aus ihr heraus, hatte ihn erkannt, hatte mit ihm gesprochen. Vielleicht hatte Luiz – der Gedanke kam ihm – die Höhe der Sedation dem fremden Stoffwechsel angepaßt, war vernünftiger gewesen, als er sich im Streit über dieses Thema gezeigt hatte.

Er ging zur Hauptschleuse, zu dem Wachtposten, der das Kommen und Gehen aller beobachtete, die das Schiff betraten und verließen. Er unterschrieb im Logbuch und reichte den Stift zurück.

»Anstrengende Sitzung, Sir?« fragte die Nachtwache, aus Sympathie, nicht aus Neugier. Tereci kannte ihn.

»Ein bißchen, ein bißchen«, sagte er und blinzelte Tereci mit Augen an, die, wie er wußte, rot waren, und betastete sein Kinn, das unrasiert war. »Nachricht für Luiz, sobald er aufwacht: ich möchte so rasch wie möglich mit ihm sprechen.«

»Aufgezeichnet, Sir«, sagte Tereci und kritzelte es auf das Nachrichtenblatt.

Duncan ging auf die Schleuse zu, erwartete, daß Tereci sie für ihn öffnete. Er tat es nicht.

»Sir«, sagte Tereci, »Sie sind nicht bewaffnet. Die Bestimmungen.«

Duncan fluchte erschöpft, erinnerte sich an den gültigen Befehl für Personal, das nachts hinausging. »Können Sie mir Handwaffen heraussuchen?«

»Unterzeichnen Sie«, sagte Tereci, öffnete einen Schrank und reichte ihm eine Pistole, wartete, während Duncan seinen Namen auf ein anderes Formular setzte. »Es tut mir leid«, meinte Tereci, »aber hier war in der Nacht einiges los. Auch abgesehen von den Bestimmungen ist es besser, etwas bei sich zu tragen.«

»Regul?« wollte Duncan wissen, aufgeschreckt durch diese Neuigkeit, die er in den Berichten nicht gelesen hatte. Regul war alles, das ihm unmittelbar einfiel, und wäre er nicht so müde gewesen, wäre er diplomatischer vorgegangen.

»Tiere, die um die Grenzen der Wachstrahler herumgeschlichen sind. Sie kommen niemals in deren Bereich, aber ich würde nicht unbewaffnet dort hinausgehen. Wollen Sie eine Begleitung, Sir? Ich könnte jemanden vom Nachtdienst der Sicherheit auftreiben...«

»Nicht nötig«, erwiderte Duncan müde. »Nicht nö- tig.« Er war aus dem Freien gekommen, und obwohl damals bewaffnet, hatte er niemals an den Einsatz von Waffen gedacht. Er war in Gesellschaft von Mri durch das Land gegangen. Er beachtete keine Warnungen von seiten dieser Menschen, die auf die Sicherheit der FLOWER und des Nom angewiesen waren, die niemals das Land gesehen hatten, das zu besetzen sie gekommen waren.

Sie konnten inmitten von Sil'athen stehen und es doch niemals sehen, die Menschen von Galeys Art – solide, anständige Menschen. Die nicht staunen konnten.

Er schnallte sich die Pistole um, ein schweres Gewicht, ein Angriff auf den müden Rücken, widmete Tereci ein müdes Dankeslächeln und ging hinaus in die kalte, ätzende Luft. Ein Geysir war respektlos nahe an der FLOWER ausgebrochen. Der Dampf machte die Luft feucht und neblig. Duncan sog sie tief ein, kümmerte sich nicht um ihren fauligen Geruch, war dankbar dafür, seinen Weg allein zurückzulegen, schweigend, ohne Galey. Er hatte Kopfschmerzen, stellte er gerade fest. Er ließ sich Zeit und empfand nichts als Freude an der Nacht unter dem größeren von Kesriths Monden, mit kalter Luft und glitzernden Sternen; und weit, weit jenseits der Ebenen beleuchteten Lampen die Geysire, die fast ständig spien. Das Land hatte sich in ein kochendes und unbegehbares Hindernis verwandelt, das die Zugänge zu den Ruinen der Mri-Türme bewachte, die bisher nur die unerschrockensten von Boaz' Forschern aus der Luft abgetastet hatten.

Stahl klang unter seinen Stiefeln, die Vergitterung, die die Oberfläche des Straßendammes befestigte. Es war das einzige Geräusch. Er blieb stehen, nur um für einen Moment völlige Stille zu erleben, und ließ den Blick über den gesamten Horizont schweifen, das glitzernde Wasser des Alkali – Meeres, die Lichter der Stadt, die dampfenden Geysire, die Kämme jenseits der FLOWER.

Etwas schlurfte über Stein und röchelte. Das Geräusch ergriff sein Herz und hielt es eingeschnürt. Er hörte es wieder, wirbelte herum und sah einen vierfüßigen Schatten, der von einem Kamm herabwatschelte.

Er traf auf die Wachstrahler und scheute zurück, brüllte vor Angst. Dann stieg er vor dem Himmel auf die Hinterbeine, erreichte die doppelte Höhe eines ausgewachsenen Menschen, ein großes Tier mit langen Klauen.

Die Dusei sind verloren, hatte Niun gesagt.

Duncan stand mit klopfendem Herzen still. Er versuchte, die von diesen großen Allesfressern, diesen Eingeborenen von Kesrith ausgehende Gefahr einzuschätzen. Die Klauen waren giftig und stark genug, um einen Menschen in Fetzen zu reißen. Dieses Tier probierte den Strahl erneut, dann noch einmal, mochte das vermittelte Gefühl nicht, hatte aber nur ein Ziel im Sinn.

Ein zweites Tier erschien oben vor dem Abhang und kam herab. Die Scheinwerfer der FLOWER leuchteten auf und fügten sich zu dem Durcheinander, die Luke ging auf und Menschen strömten heraus.

»Halt!« schrie Duncan. »Nicht weiter! Nicht schießen!«

Das Dus warf sich wieder in den Strahl, schob seine Masse vorwärts, und diesmal spielten die Energien des Abwehrsystems nutzlos über seine mächtigen Flanken. Es brach durch, richtete sich auf und schrie stöhnend, ein hohler Schrei, der an den Wänden von Kesriths Nom widerhallte.

Ein Gewehrstrahl durchschnitt die Dunkelheit.

»Nicht schießen!« schrie Duncan.

Das zweite Tier brach durch, Lichter prasselten über seine Flanken, und es stank nach angesengtem Fell. Sie drängten sich aneinander, die beiden Eindringlinge, ein Rumpf am anderen, und fuhren fort, sich nervös hin- und herzuwiegen. Niuns Tiere.

Duncan sah, wie sie auf die Rampe zugingen, auf die offene Tür, wo Menschen standen – sah das Feuer von Schüssen. Die Tiere scheuten zur Seite.

»Nein!« rief er, und die Tiere zogen sich zurück, drehten sich um und kamen auf ihn zu, schnüffelten in der Luft. Hinten an der Luke schrien ihm Männer etwas zu. Sie konnten nicht schießen; er war zu nah bei den Tieren. Scheinwerfer fuhren über sie hinweg und blendeten. In ihrer neugierigen Sturheit kümmerten die Dusei sich nicht darum. Sie kamen heran, die Klauen schabten über das Netzwerk des Bodens, die Köpfe gesenkt – bärenartige Monster mit schrä- gen Schultern, beinahe komisch in ihrem abwesenden Verhalten.

Das größere Dus stieß ihn mit der Nase an, schnaufte geräuschvoll durch seine Boxernase. Duncan stand reglos, das Herz klopfte so heftig, daß ihm das Blut durch die Adern raste. Das Tier stieß ihn an, keineswegs freundlich, und er fiel nicht um. Es stieß mit der Nase an seine Hand und untersuchte sie mit dem beweglichen Inneren der Lippe.

Und sie drehten vor ihm Kreise, erst das eine, dann das andere, veränderten ihre Stellung in einem seltsamen Ballett, immer zwischen ihm und den Männern mit den Gewehren, wobei sie tiefe, stöhnende Schreie hervorstießen. Er verpfändete sein Leben und setzte sich in Bewegung, entdeckte, daß sie mit ihm gingen. Er blieb stehen, und sie taten dasselbe.

Es waren sicherlich Niuns Tiere, die den langen, harten Weg von Sil'athen bis hier zurückgelegt hatten – ein Weg, der für sie viel viel weiter war als für die Maschinen der Menschen. Und mit unheimlicher Genauigkeit hatten sie Niun gefunden, über Hunderte von Meilen Wüste hinweg, und hatten den Ort herausgefunden, wo er eingesperrt war.

Duncan hatte Mri mit Dusei arbeiten sehen, hatte die Reaktionen der Tiere beobachtet, so empfänglich für die Stimme und die Gesten eines Mri. Er hatte gesehen, wie der Mri das Tier anblickte und das Tier reagierte, als bestünde ein unausgesprochenes Übereinkommen zwischen ihnen.

Er spürte, wie sie ihn berührten, die Hitze ihrer gewaltigen, samtpelzigen Körper an ihn weitergaben. Es war fast unmöglich, sie zu töten, die Dusei, die immun waren gegen die Gifte von Kesriths Raubzeug, ungeheuer stark, freundlich und komisch bei ihrem scheinbar gedankenverlorenen Umgang mit Schwierigkeiten. Er fühlte sich für einen Moment benommen durch die Nähe der Tiere, ihre Wärme, seine so große Erschöpfung; für einen Augenblick fürchtete er sich vor den Männern mit den Gewehren, vor den Lichtern.

Er dachte an Niun, und wieder trat eine Benommenheit ein, ein Begehren, überwältigend stark, warm, bestimmt.

Die Männer, die Lichter, die Gewehre.

Schrecken/Begehren/Schrecken.

Er blinzelte und legte eine Hand auf einen der warmen Rücken, entdeckte, daß er unkontrolliert zitterte. Er fing an, langsam zu gehen, auf den offenen Eingang zu, auf die Crew von der Sicherheit, die ihre Gewehre im Anschlag hielt, Gewehre, die dem massiven, langsamen Körper eines Dus nur wenig antun konnten, seinem aber viel.

Er fühlte den Geschmack von Blut und Hitze.

»Nein!« sagte er zu den Dusei. Sie wurden ruhig.

Er blieb in müheloser Rufweite vom Sicherheitspersonal stehen.

»Gehen Sie da weg!« rief ihm einer zu. »Gehen Sie da weg!«

»Gehen Sie wieder hinein«, sagte er, »und verschließen Sie alle Korridore außer denen, die hinab zu den Frachträumen führen! Geben Sie mir einen Weg zu einem sicheren Abteil für sie! Beeilen Sie sich!«

Sie blieben nicht stehen, um darüber zu diskutieren. Zwei eilten hinein, zweifellos, um sich mit Vorgesetzten zu beraten. Duncan blieb bei den Dusei, jedem eine Hand auf den breiten Rücken gelegt, und beruhigte sie. Sie spürten Niun und Melein. Sie wußten Bescheid. Sie wußten Bescheid.

Er war bei ihnen sicher. Es waren die Männer mit den Gewehren, die er fürchten mußte. »Machen Sie die Tür frei!« forderte er die verbliebenen Männer von der Sicherheit auf. »Sie sind keine Gefahr für mich. Sie gehören den Mri.«

»Duncan?« Das war Boaz' weibliche Stimme, schrill und ängstlich. »Duncan, verflixt, was geht hier vor?«

»Sie sind wegen Niun gekommen. Es sind seine Dusei. Diese Geschöpfe – sind halbintelligent, vielleicht mehr als nur halb. Ich möchte die Erlaubnis haben, sie hineinzubringen, bevor sie jemand erschießt.«

Es gab ein wildes Durcheinander von Besprechungen. Duncan wartete und streichelte die beiden mächtigen Rücken. Die Dusei hatten sich gesetzt, saßen wie Hunde. Auch sie warteten.

»Kommen Sie!« rief Boaz. »Bug-Frachtraum Nummer Eins, Abteilung für Ausrüstungen. Er ist frei.«

Duncan stieß für die Dusei den tiefen Laut hervor, den er Niun hatte äußern hören, und ging weiter. Die Dusei erhoben sich wieder auf die Füße und gingen weiter, ganz beiläufig, als wäre es für sie eine alltägliche Sache, menschliche Schiffe zu betreten. Aber kein Mensch war geblieben, um ihnen gegenüberzutreten: selbst Boaz floh, als die Neugier von der Klugheit überwältigt wurde, und nichts grüßte sie außer verschlossenen Türen und leeren Korridoren.

Sie gingen, sie drei, einen sehr langen Weg hinab, ohne Lifts zu benutzen, einen Weg, der für die Dusei schwer zu begehen war – gingen vorbei mit einem langsamen, gemessenen Klicken der Klauen auf dem Boden. Duncan hatte keine Angst. Es war unmöglich, Angst zu haben, wenn man solche Wesen als Begleiter hatte. Sie hatten ihn gesucht und fürchteten ihn nicht; und obwohl im Hintergrund seines Bewußtseins der Verstand versuchte, ihm einzuschärfen, daß er zu recht Angst vor den Tieren gehabt hatte, fing er an, sich dessen sicher zu sein, daß die Tiere völlig einverstanden mit dem waren, was er tat.

Er betrat den Frachtraum und liebkoste die zu ihm hingestreckten Nasen, die stoßenden schweren Köpfe, die ihm mit weniger Freundlichkeit die Rippen zerschmetterten oder das Rückgrat brechen konnten; und wieder überkam ihn dieses Schwindelgefühl, diese Sicherheit, daß er ihnen etwas gegeben hatte, was ihnen gefiel.

Er zog sich zurück und verschloß die Türen und zitterte danach, als er daran dachte, was er getan hatte. Nahrung, Wasser, andere Bedürfnisse hatten sie im Moment nicht. Sie hatten hereingewollt, und durch ihn hatten sie es erreicht.

Er floh, als die Furcht ihn überflutete. Er keuchte, als er die letzte Strecke zum medizinischen Flügel rennend zurücklegte. Er sah die Tür, durch die er wollte – verschlossen, wie alle anderen Türen während der Alarmsituation. Er öffnete sie von Hand und schloß sie wieder.

»Sir?« fragte der diensthabende Posten.

»Sind sie wach?« fragte Duncan, rauh und heftig. Der Posten sah verwirrt aus.

»Nein, Sir, ich glaube nicht.«

Duncan schob sich an ihm vorbei, öffnete die Tür und blickte auf Niun. Die Augen des Mri waren auf die Decke gerichtet. Duncan trat ans Bett und packte heftig Niuns Arm.

»Niun. Die Dusei sind gekommen.«

Feiner Schweiß bedeckte die Stirn des Mri. Die goldenen Augen blickten in die Unendlichkeit.

»Sie sind hier!« schrie Duncan ihm fast zu. Niun blinzelte.

»Ja«, sagte er. »Ich spüre sie.«

Und danach antwortete Niun auf nichts mehr, reagierte auf nichts, und die Augen gingen zu, und er schlief mit entspanntem und ruhigem Gesichtsausdruck.

»Sir!« fragte der Posten und betrat den Raum entgegen gültiger Befehle. »Soll ich jemanden rufen?«

»Nein«, sagte Duncan rauh. Er drängte sich an dem Mann vorbei, ging hinaus auf den Flur und machte sich auf den Weg zu den oberen Schiffsdecks. Das Interkom meldete sich, der Alarm wurde aufgehoben. Er hörte, daß Boaz dringend nach ihm rief.

Er erinnerte sich hinterher nicht mehr an den Weg hinauf, zur Gänze eine leere Stelle in seinem Bewußtsein, als er den Bereich der Schleuse erreichte und die ängstlich wartende Boaz fand. Er fürchtete solche Zeitspannen, erinnerte sich an das Verschwimmen der Wahrnehmungen, das ihn zuvor überfallen hatte.

»Sind das Haustiere?« wollte Boaz von ihm wissen.

»Es – scheint so. Für die Mri sind sie es. Sie sind... ich weiß nicht... Ich weiß es nicht.«

Boaz musterte ihn kritisch. »Für heute sind Sie fertig«, sagte sie. »Keine weiteren Fragen. Wenn sie sicher untergebracht sind, keine Fragen.«

»Niemand soll da runtergehen. Sie sind gefährlich.«

»Niemand wird sich ihnen nähern.«

»Sie sind halbintelligent«, sagte er. »Sie haben die Mri gefunden. Über die ganze Wüste hinweg und unter all diesen Bauwerken hier haben sie sie gefunden!«

Er zitterte. Sie berührte seinen Arm, die blonde, plumpe Boaz, und in diesem Moment war sie das schönste und freundlichste Geschöpf auf ganz Kesrith. »Sten, gehen Sie nach Hause!« sagte sie. »Gehen Sie in Ihr Quartier und ruhen Sie sich aus! Einer der Sicherheitsoffiziere wird Sie begleiten. Gehen Sie hier hinaus!«

Er nickte, maß seine Kraft gegen die Entfernung zum Nom und kam zu dem Schluß, daß ihm genug verblieben war, um sein Zimmer zu erreichen, ohne ins Taumeln zu geraten. Er wandte sich um, blindlings, ohne ein Dankeswort für Boaz, erinnerte sich an nichts, bis es zur Tür hinaus und halb die Rampe hinab war, an seiner Seite ein Mann von der Sicherheit mit einem Gewehr in der Armbeuge.

Die mentalen Lücken erschreckten ihn. Müdigkeit, vielleicht. Er wünschte, das glauben zu können.

Aber er hatte sich nicht bewußt dazu entschlossen, die FLOWER mit den Dusei zu betreten.

Er hatte sich nicht entschlossen.

Er zog sein Bewußtsein weg, weit weg von den Dusei, kämpfte gegen eine schwindelnde Rückkehr zu der Wärme ihrer Berührung.

Ja, hatte Niun gesagt, ich spüre sie.

Ich spüre sie.

Er redete mit dem Mann von der Sicherheit, etwas, um die Stille zu überwinden, redete von banalen Dingen, von sinnlosen Dingen, mit undeutlicher Sprache und ohne spätere Erinnerung an das, was er gesagt hatte.

Daß kein Schweigen herrschte, war nur erforderlich, bis er in der hellerleuchteten Sicherheit des Nom war, in dessen echoerfüllten Hallen, wo es nach Regul und Menschen roch.

An der Tür verabschiedete sich die Wache von ihm, drückte ihm ein Plastikfläschchen in die Hand. »Ein Rat von Dr. Luiz«, sagte er.

Duncan fragte nicht, was die roten Kapseln darstellten. Sie töteten seine Träume, betäubten seine Sinne, ermöglichten es ihm, zu ruhen, ohne sich an etwas zu erinnern.

Er erwachte am nächsten Morgen und stellte fest, daß er das Licht nicht gelöscht hatte.