6
Es war nichts Außergewöhnliches daran, wenn ein ObTak an Bord eines Militärschiffes ging; sollte es eigentlich nicht, aber die Gerüchte machten unter der Besatzung rasch die Runde. Duncan vermutete das aufgrund der Blicke, die ihm zugeworfen wurden, während er zum Kommandanten eskortiert wurde: eskortiert, ohne die Erlaubnis, sich frei zu bewegen, mit Mannschaftsangehörigen Worte auszutauschen. Selbst das Interkom schwieg, eine unübliche Stille auf einem Schiff wie der SABER.
Er wurde ins zentrale Stabsbüro geführt, keine Kommandostation, und direkt vor die Augen des amtierenden Befehlshabers über die militärischen Operationen in der Zone von Kesrith R. A. Koch. Duncan fühlte sich unbehaglich bei der Begegnung. ObTaks hatten auf dem Papier einen Rang, der ausreichte, den Gehorsam von Seiten der regulären Laufbahn sicherzustellen, und dieser Umstand wurde bitter übelgenommen, um so mehr, weil die Spezialisten diese Privilegien mit völliger Verachtung der Etikette und Würde der regulären Offiziere zur Schau stellten: der unter dem Galgen zur Schau gestellte Mut ihres meist kurzlebigen Dienstes. Duncan erwartete keine Höflichkeit; aber Kochs Stirnrunzeln schien von Gedanken herzurühren, nicht von Feindseligkeit, dem üblichen Ausdruck seines narbigen Gesichtes.
»Freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, ObTak Duncan.« Der Akzent war der eines Haveners, wie bei den meisten, die nach Kesrith gekommen waren, die Flotte des noch jüngst bedrohten Elag/Haven.
»Sir«, sagte er. Er war nicht eingeladen worden, sich zu setzen.
»Wir stehen unter Druck«, meinte Koch. »Ein Schiff der Regul ist im Anflug, die SIGGRAV. Glücklicherweise scheint es ein Doch-Alagn-Schiff zu sein. Bai Hulagh hat die Mannschaft warnend darauf hingewiesen, Zurückhaltung an den Tag zu legen; und wahrscheinlich wird es hier andocken. Die Regul sind ausgelassen. Sehen Sie zu, daß Sie mit Ihren Mri so schnell wie möglich wegkommen. Sie werden die Sonde FOX erhalten. Wahrscheinlich sind Ihre Instruktionen im Augenblick klarer als meine.« Ein Stachel des Mißtrauens an dieser Stelle, des Unmuts über Stavros: Duncan spürte es deutlich. »Die Mannschaft der FOX wird im Moment überführt: einige sind da ziemlich aufgebracht. Die SIGGRAV ist noch ein Stück entfernt. Der Ausgang dieser Operation ist für Sie eine Frage des Starts, sobald Sie fertig sind.«
»Sir«, sagte Duncan, »ich möchte die Dusei. Ich kann mit ihnen umgehen; ich werde mich darum kümmern, daß sie auf die FOX gebracht werden. Ich möchte auch die Mri-Handelsgüter, die auf der Station lagern, soviel, wie sie mir zu verladen helfen können.«
Koch runzelte die Stirn, und diesmal geschah es nicht in Gedanken. »In Ordnung«, sagte er nach einem Moment. »Ich werde sofort eine Abteilung dafür einsetzen.« Er betrachtete Duncan lange, während dieser sich wieder dessen bewußt wurde, daß sein Gesicht durch die Sonnenbräunung einer Hälfte gekennzeichnet war, daß der Admiral jemanden sah, der in mehr als nur einem Sinn ein Fremder war. Hier war eine Macht, die der von Stavros gleichkam, ein Mitarbeiter, der nicht unter Stavros' Befehl stand, außer wo es politische Entscheidungen betraf. Und die Entscheidung, mit der die FOX Kochs Kommando entzogen wurde und die zur Überbemannung seines eigenen Schiffes mit unzufriedenen, kürzlich überführten Mannschaften und Wissenschaftlern führte, paßte Koch nicht. Er sah nicht wie ein Mann aus, der daran gewöhnt war, solche Einmischung zu akzeptieren.
»Ich werde fertig sein, Sir«, sagte Duncan ruhig, »wenn ich gerufen werde.«
»Am besten gehen Sie jetzt zur FOX hinüber und bleiben dort«, sagte Koch. »Wenn sie losfliegt, wird hier der Druck nachlassen. Sie werden Ihre Vorräte bekommen; wir werden bei den Dusei so gut helfen wie wir können. Höchste Eile wird gewürdigt.«
»Danke, Sir«, sagte Duncan. Er wurde entlassen, verabschiedete sich, nahm von der Tür an seine Eskorte wieder mit.
Koch hatte vierzig Jahre über den Mri zugebracht, rechnete Duncan; er sah alt genug aus, um den Krieg seit dessen Ausbruch miterlebt haben zu können, und zweifellos empfand er nicht die geringste Zuneigung für diese Rasse. Man konnte von keinem Havener, der erlebt hatte, wie seine Welt von den Regul zurükkerobert worden war, erwarten, daß er irgendein Mitgefühl für die Regul hegte oder die Mri-Kel'ein, die ihre Befehle ausgeführt hatten.
Dasselbe konnte vielleicht von den Kiluwanern gesagt werden, wie Stavros einer war; aber das abgelegene Kiluwa an der Grenze des menschlichen Siedlungsbereichs hatte einen anderen Schlag hervorgebracht, keine Kämpfer, sondern ein eigensinniges Volk, das sich der Vernunft, der Wissenschaft und der Analyse widmete – ein wenig, hatte man annehmen müssen, wie die Regul selbst. Überrannt, zerstreuten sie sich und suchten vielleicht nie wieder die Rückkehr. Die Havener waren leichter zu verstehen. Sie haßten einfach. Es würde lange dauern, bis sie mit dem Hassen aufhörten.
Und der Krieg hatte auch Menschen wie ihn hinterlassen, tausende wie ihn, die nicht wußten, was sie waren oder von welcher Welt sie stammten: kriegsgeboren, kriegsorientiert. Der Krieg war sein ganzes Leben; er hatte ihn durch die Flucht vor den Feinden immer wieder in Bewegung gebracht, eine Serie von Flüchtlingskinderhorten auf Rückzugsplaneten, mit müden, überarbeiteten Frauen; und dann in Schulen, die ihn nicht auf Wirtschaft und Handel vorbereiteten, sondern auf die Front. Sein Akzent war unbestimmbar, ein Gemisch aller Orte, an denen er gelebt hatte. Er hatte keine Heimat. Jetzt hatte er keine andere Bindung mehr als die an seine menschliche Abstammung.
Und sich selbst.
Und, mit beträchtlichen Vorbehalten, den ehrenwerten G. Stavros.
Er verließ die SABER über die Rampe auf das breite Dock hinab, ließ seine Eskorte zurück, blieb stehen, um sich den Verkehr von Männern und Frauen zu betrachten, die mit ihren eigenen Belangen beschäftigt waren.
Havener.
Reguläre.
* * *
In der Kommandozentrale der FOX fand sich Duncan zwischen sämtlichen Offizieren des Schiffes wieder, unglücklich dreinblickende Männer und Frauen, die mit pflichtgemäßem Anstand Höflichkeiten austauschten.
»Versiegelte Befehle«, unterrichtete ihn der scheidende Kapitän. »Mission ohne Besatzung. Das ist alles, was ich weiß.«
»Es tut mir leid deswegen«, bot ihm Duncan ungeschickt sein Mitgefühl an.
Der Kapitän zuckte die Achseln, was zweifellos weit weniger zeigte, als der unglückliche Mann fühlte, und streckte die Hand aus. »Man hat uns eine andere Sonde versprochen, die im Anflug ist. Die FOX ist ein gutes Schiff und in gutem Zustand – ein biß- chen ungewiß, was die Atmosphäre angeht, aber trotzdem ein gutes Schiff. Wir gehören zur SABER, und dieser steht auch die Ersatzsonde zu, sobald sie hereingebracht worden ist. Also werden wir sie bekommen, das ist sicher genug. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Kommando, ObTak Duncan – oder mein Beileid, was eben eher zutrifft.«
Duncan akzeptierte das Händeschütteln und beschäftigte sich im Geist bereits mit der Frage, was die versiegelte Kuriersendung enthalten mochte, die mit einem Shuttle heraufgekommen war und jetzt in den Händen des scheidenden Kapitäns der FOX lag – in seinem eigenen Besitz, sobald die Befehlsübertragung abgeschlossen war. Duncan akzeptierte die allseitigen Höflichkeiten, das Logbuch wurde ein letztesmal aktiviert, um die Befehlsübertragung aufzuzeichnen; und dann wurden, wie das bei ObTak-Missionen üblich war, die Logbänder herausgenommen und dem scheidenden Kapitän übergeben. Auf Duncans Flug würde kein Logbuch geführt werden.
Eine weitere, letzte Runde der Zeremonien: er sah zu, wie die Offiziere und die kleine Besatzung das Schiff verließen, bis niemand mehr übriggeblieben war außer der allgegenwärtigen Sicherheitsabteilung an der Luke – vier Männer mit geladenen und tödlichen Waffen.
Es war still. Duncan ließ sich in das vertraute Polster sinken und schlüsselte das Kommando ein, das das Nur-einmal-Band von Stavros abspielte: unter seinem Sicherheitsverschluß zerstörte es sich beim Abspielen selbst.
Solche Maßnahmen stellten sicher, daß die Befehlsgeber keine Aufzeichnungen zurückerhielten, die sie verfolgten: so lautete ein stehender Ausdruck während des Krieges, als die ObTaks routinemäßig die Vernichtung aller Aufzeichnungen erwarteten, die sie zum Gegenstand hatten – nicht nur aus Furcht vor dem Feind, sondern, wie sie bitter vermuteten, um die Namen der Männer zu verschweigen, die sie ins Feld schickten, sollte eine Mission scheitern: Befehlshaber, die verloren, verloren auch das Kommando.
Stavros' Gesicht füllte den Schirm aus.
»Meine Entschuldigung«, sagte er ruhig, »für das, was ich fragen werde. Ich mache meinen Vorschlag; und nachdem Sie ihn gehört haben, können Sie – wenn Sie wollen – das Kommando der FOX wieder abgeben und zeitweilige Zuweisung auf die Station akzeptieren, bis sich die hiesige Situation stabilisiert hat.
Inzwischen haben Sie das Kommando über die FOX. Sie sind ermächtigt, die Mri zusammen mit all ihren Besitztümern und dem Artefakt an Bord zu nehmen. Die Sonde wird entsprechend Ihren Anforderungen ausgerüstet werden. In Ihrem Navigationsspeicher gibt es ein Band mit dem Code Null Eins. Es stammt von dem Artefakt. Nehmen Sie einen Kurs nach draußen, der am weitesten von den anfliegenden Regul entfernt liegt, und bewahren Sie Geheimhaltung soweit wie möglich. Sie müssen dem Band bis zu seinem Ziel folgen. Es gibt keine Wahl mehr, sobald es einmal aktiviert worden ist; das System wird hermetisch sein. Sammeln Sie alle Daten, die Sie über die Mri kriegen können, sowohl militärische wie auch persönliche. Das ist der Inhalt Ihrer Mission. Verhandeln Sie mit ihnen, wenn möglich. Wir sind uns immer mehr dessen sicher, daß es in unserem Interesse liegt, dieses Band zu verstehen. Für dieses Interesse sind wir bereit, ein beträchtliches Risiko einzugehen. Sie werden Daten sammeln und das Abkommen mit den Mri treffen, das möglich ist.
Wenn Sie sich jetzt entschlossen haben, davon Abstand zu nehmen, warten Sie bis zum Ende dieses Bandes und treten Sie mit der SABER in Verbindung. Wenn Sie sich andererseits entschlossen haben, weiterzumachen, dann machen Sie so schnell, wie Sie nur können!
In jedem Fall werden Sie nichts vom Inhalt dieser aufgezeichneten Nachricht weitergeben. Bei der Anfertigung von Aufzeichnungen während Ihres Fluges werden Sie äußerte Vorsicht walten lassen. Wir wollen nicht, daß zufällig etwas mit Ihnen zurückkommt. Sie verfügen über eine scharfgemachte Selbstzerstö- rung, und Sie werden unter der Priorität operieren, nicht gefangengenommen zu werden. Wenn Sie nach Ihrem besten Urteilsvermögen in eine Situation geraten sind, in der Ihr Schiff in feindliche Hände gerät, zerstören Sie es! Das ist ein Befehl. Welche Wahl Sie auch treffen, ob Sie diese Mission annehmen oder ablehnen, ist eine freie Entscheidung. Sie können ohne Nachteil für sich ablehnen.«
Das Band lief aus. Duncan saß immer noch da und starrte auf den grauen Bildschirm, wußte, daß er ablehnen wollte, zurück nach Kesrith gehen wollte, seinen Frieden mit den Vorgesetzten machen – ein sicheres Leben in den Hügeln von Kesrith finden wollte.
Er wußte nicht, welche Verrücktheit ihn daran hinderte. Vielleicht etwas so Selbstsüchtiges und Sinnloses wie Stolz, vielleicht, weil er sich für danach keinen Nutzen für sich vorstellen konnte, ausgenommen möglicherweise, die Hinterlande für menschliche Besiedlung zu erschließen. Und die Welt würde sich verändern.
Er schaltete den Bildschirm aus, blickte sich in der kleinen Kommandozentrale um, die ihm vielleicht für den Rest seines Lebens gehören würde, in der er für kurze Zeit leben konnte. Das war genug.
* * *
Er betrat die FLOWER mit unveränderten Abzeichen, ohne ein sichtbares Zeichen der veränderten Umstände; aber die Offiziere der FLOWER waren offensichtlich über die ihm übertragene Befehlsgewalt unterrichtet worden, denn es gab keinen Einwand, als er die Überführung seiner Ausrüstung und Vorbereitungen auf dem Dock forderte.
Und als er das getan hatte, ging er zu Luiz und zuletzt zu Boaz.
Das war das schwerste von allem, ihr die Nachricht zu überbringen, daß alle ihre Arbeiten ergebnislos bleiben würden, bis auf das, was die Sicherheit sie jemals wissen lassen würde; daß er ihr ihre Aufgaben nahm, für immer – er, der ihr assistiert hatte, und der jetzt zu dem militärischen Flügel zurückkehrte, den sie haßte.
»Die Gründe sind geheim«, sagte er. »Es tut mir leid, Boss. Ich wünschte, ich könnte sie erklären.«
Ihr breites Gesicht zeigte ein leichtes Stirnrunzeln. »Ich denke, ich habe eine Idee, worauf es hinausläuft. Und ich finde, es ist Wahnsinn.«
»Ich kann es nicht diskutieren.«
»Wissen Sie, worauf Sie sich eingelassen haben?«
»Ich kann es nicht diskutieren.«
»Wird mit den Mri alles in Ordnung gehen? Sind Sie mit den für sie getroffenen Arrangements zufrieden?«
»Ja«, sagte er, bestürzt darüber, daß sie so genau zu vermuten schien, was vorging. Aber Boaz hatte schließlich die Forschungen an dem Artefakt betrieben. Zweifellos hatten viele auf der FLOWER eine Vorstellung davon und vermuteten auf die eine oder andere Weise, was das Militär mit den Informationen tun würde, die sie gefunden hatten. Duncan erduldete Boaz' forschenden Blick für einen Moment, schuldbewußt, als ob er etwas verriete; und er wußte nicht, welche Macht ihn beanspruchte – ob Freund oder Feind von Boaz' Prinzipien – und wem er diente; und auch nicht, ob sie das verstehen würde.
Sie lächelte traurig, eine Maske, die andere Gefühle verbirg. »Na ja«, sagte sie, »schwer für uns, aber daran kann man nichts ändern. Sten, seien Sie vorsichtig!« Das Lächeln erstarb. »Passen Sie auf sich auf! Ich werde mir darüber Sorgen machen.«
Das rührte ihn, denn wenn er irgendwo auf oder um Kesrith einen Freund hatte, dann war es Boaz, Mittvierzigerin und die einzige Frau von Rang im zivilen Bereich. Er faßte sie an den Händen und auf einen Impuls hin an den Schultern und küßte sie neben den Mund.
»Boss, ich werde Sie vermissen.«
»Ich werde mir ein paar neue Dusei besorgen müssen«, sagte sie. Sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Ich kann mir vorstellen, daß Sie auch sie mitnehmen werden.«
»Ja«, sagte er. »Seien Sie vorsichtig mit diesen Tieren, Boss!«
»Achten Sie auf sich!« sagte sie rauh. Für einen Moment schien es, als könnte sie noch etwas sagen. Schließlich blickte sie zu Boden und zur Seite, und gemeinsam machten sie sich an die notwendigen Aufgaben für die Überführung der Dusei.
* * *
Die gesamte Sektion war für den Fußgängerverkehr gesperrt und alle Fahrten auf den Schienen gestoppt, während die Überführung durchgeführt wurde – zuerst die der versiegelten Versorgungskanister und von Duncans eigenem kärglichen Gepäck; und dann die Mri von der SABER in verschlossenen Automeds, die für die Evakuierung von Verwundeten benutzt wurden. Es gab nicht einen Menschen auf den Docks, der nicht vermuten konnte, wer unter solch außergewöhnlichen Sicherheitsmaßnahmen transportiert wurde. Aber diese Maßnahmen dienten ebensosehr dem Schutz der Mri als auch dem Verbergen ihres Transports. Mri wurden bitter gehaßt, und die Blicke, die diesen plombierten Einheiten folgten, waren in vielen Fällen mörderisch.
Und zuletzt, nachdem die Docks völlig geräumt worden waren, kamen die Dusei, bei denen eine solche schützende Umfassung unpraktisch war. Duncan hatte die Frage ihres Transportes eingehend mit Boaz besprochen, den Einsatz von Frachtkanistern erwogen, und schließlich nach dem Verwerfen aller Möglichkeiten dieser Art einfach jedermann zum Verlassen der Korridore aufgefordert, die Verlademannschaften hinter verschlossene Türen befohlen und die Luken öffnen lassen.
Dann ging er hinab zu den Dusei, berührte und besänftigte sie, beunruhigt durch ihre Unruhe, bekämpfte seine eigene Furcht – und spürte auch ihre Ungeduld, als er die Tür öffnete, die sie völlig freiließ.
Sie gingen mit ihm, in ihrer watschelnden, rollenden Gangart, schnupperten die seltsame Luft mit den breiten Nasen, als sie das Dock betraten. Um sie herum erstreckte sich die große Ausdehnung des Dockbereiches, ein ungeheurer Raum für ihr Umherstreunen, in dem sie außer Kontrolle geraten und in eine Freiheit ausbrechen konnten, die nur in Schaden für sie enden würde. Duncan versuchte, nur an die FOX zu denken, an die Mri, an die gehenden Dusei – versuchte, sie begreifen zu lassen, wenn sie begreifen konnten.
Sie gingen, das Große etwas vor ihm und das Kleine so dicht neben ihm, daß es ihn ständig berührte. Einmal stieß das Große einen Schrei aus, der im gesamten riesigen Stationsdock widerhallte, ein Geräusch, das Kälte den Rücken hinablaufen ließ.
In diesem Moment fürchtete Duncan, daß er dabei war, die Kontrolle über sie zu verlieren; aber nach einem Moment der Lebhaftigkeit stiegen sie fügsam die Rampe zur FOX hinauf und ins Schiff hinein. Türen standen offen und gaben den Weg frei, dem sie folgen mußten; unerwünschte Alternativen waren verschlossen. Duncan führte sie in den Laderaum hinab, der für sie vorbereitet worden war, ließ sie hinein, zögerte im Eingang, um sicherzugehen, daß sie sich niederließen. Sie waren aufgeregt, zitterten nach Aktivität, gingen schnüffelnd umher und schaukelten ihre gewaltigen Leiber in der Erwartung, die sie durchströmte. Eines fing mit diesem rollenden Ton des Behagens an, der betäubte und die Sinne lockte.
Duncan floh davor, schloß die Türen, versiegelte sie, zog sich in die Normalität der Korridore und tödlichen Ruhe des Schiffes zurück, das von jetzt an seines war.
* * *
»Frei«, informierte ihn die SABER-Kontrollstelle. Das Bild auf seinem Schirm zeigte rundum freien Raum; ein zweiter Schirm zeigte ein schematisches Bild des Systems, mit einem roten Punkt an dessen Grenze, der die Regul darstellte, und Schwierigkeiten signalisierte. Ein zweiter Punkt erschien am Rand, gleichfalls rot, und blitzte alarmierend.
»SABER«, fragte er auf dem Kriegsschiff an. »Ist Ihr System-Schema genau?«
Es gab eine lange Pause, in der jemand ohne Zweifel die mögliche Freigabe der Antwort begutachtete. Duncan wartete mit beschleunigtem Puls und wußte bereits, daß der Schirm sich längst selbst berichtigt hätte, wenn ein Fehler vorliegen würde.
»Bestätigung«, informierte ihn die SABER. »Nähere Einzelheiten noch nicht verfügbar. Sie unterliegen keiner Kursbeschränkung, FOX. Offiziell ist außer Ihnen niemand da draußen. Klar zum Ablegen, schlagen Sie Kurs Ihrer Wahl ein!«
»Danke, SABER«, erwiderte Duncan und bemerkte das Aufleuchten von Daten auf seinem Schirm. »Bereithalten.«
Er fing an durchzuchecken, einige Durchgänge, obwohl das wichtigste erst auf der Probe stand, sobald er unterwegs war. Die FOX war kürzlich von einem Flug durch unsicheren Raum zurückgekehrt, doch ihre Verkleidung war in einwandfreiem Zustand.
Er warnte die SABER und löste die letzte Verankerung zur Station. Es war ein heikles Gefühl, während er die winzige FOX durch das Nadelöhr des Freiraums zwischen der Station und der SABER hindurchsteuerte. Die HANNIBAL versperrte seinen Blick, als er über die obere Kante kam, fiel dann nach unten weg.
Die FOX flog jetzt unter den Hauptsystemen, ausgerichtet auf den kürzesten Weg fort von Kesrith und Arains zermalmender Anziehungskraft. Er hielt den Planeten zwischen sich und den anfliegenden Regul. Über die Station als Zwischensender hörte er Stimmen: das Regul-Schiff stand in Verbindung, die Stimmen waren rauh und sprachen Dialekt. Er hörte die Antwort der Station und der SABER. Er bekam mit, daß es sich um Doch-Alagn-Schiffe handelte, gekommen zur Rettung der Verehrung Bai Hulagh Alagn-ni. Zumindest das war eine Erleichterung, zu wissen, daß die ankommenden Schiffe nicht Doch Holn gehörten. Er war dankbar dafür, daß man sich entschieden hatte, ihn mithören zu lassen, eine Beachtung, die er bei seinem Status nicht erwartet hatte.
Er schaffte es, tief Atem zu holen, rechnete damit, daß die Menschen auf der Kesrith-Basis im Moment sicher waren, auf der Messerschneide der Sicherheit balancierend, die Stavros vorbereitet hatte, indem er sich um die Verehrung Bai Hulagh kümmerte.
Und indem er die Mri wegschickte, die jetzt geheimgehalten im Bauch einer sehr verletzlichen und sehr kleinen abfliegenden Sonde schliefen.
Unsichtbar bleiben! las er im Geist den Wunsch, der mit der Relais-Nachricht gekommen war, eine Mitteilung, die man ihm jetzt nicht auf andere Weise zu schicken wagte. Er hielt sich für sicher, überlegte mit grollender Bewunderung, daß Stavros im Recht gewesen sein könnte. Wenn Stavros' den Frieden gefährdete, indem er den Regul zuwiderhandelte, würde es auf Haven Aufschreie geben, sobald es bekannt würde – Forderungen nach seiner Ablösung, selbst wenn Kesrith sicher blieb. Wenn Stavros bei diesem augenblicklich verrückten Wagnis die Mri und die FOX verlor, würden Fragen gestellt werden, aber dann wäre der Zwischenfall vorüber und vergessen. Die Mri standen jetzt außerhalb der Vorgänge um Kesrith. Sonden widerfuhren Unfälle, und sie wurden abgeschrieben. Die Mri waren nur zwei Gefangene, und niemals hatte jemand erfolgreich Mri-Gefangene gehalten. Mri-Artefakte waren Kuriositäten, die jetzt bedeutungslos waren, denn die Rasse war tot, ausgerottet: diese Nachricht wäre von Kesrith mit größtmöglicher Schnelligkeit heimwärts geeilt, eine Freude für die Menschheit, Ruhm für Stavros, der nichts getan hatte, um ihn sich zu erringen, und der seine Hände in dem Massaker rein gehalten hatte. Berichte, die von Kesrith kamen, waren zweifellos vorsichtig formuliert und würden es auch in Zukunft sein.
Es blieb nur zu sehen, ob Stavros mit den Regul zurechtkommen würde. Es war sehr gut möglich, daß er Erfolg hatte.
Phänomenales Glück, eine phänomenale Intelligenz und ein Gedächtnis, das nichts vergaß: nichts entging Stavros' Aufmerksamkeit, und seine scheinbaren Hasardspiele waren weniger Glücksspiel als vielmehr kalkuliertes Risiko. Während eine Hand zu den Regul ausgestreckt war, dirigierte eine andere die FOX, nahm auch diese Möglichkeit wahr, vertraute niemandem vollkommen.
Duncan runzelte die Stirn, fing an, sich unter den vertrauten Anblicken und Geräuschen des Schiffes zu entspannen – ungewohnte Muße, zu wissen, daß er nicht zum Kampf hinabflog, daß Kesriths rötliche Sichel nicht Bedrohung darstellte, sondern Schutz. Er machte es sich in der FOX bequem wie in seiner natürlichen Umgebung, zuhause in Schiffen, auf dunklen Welten, im Dschungel und den Wüsten und der Öde menschenleerer Welten, im freien Fall und hoher Schwerkraft und an jedem anderen Ort, wo Überleben kaum möglich war. Seitdem er zu Spezialdiensten abgeschoben worden war, in einem kriegszeitlichen Durcheinander von Transporten und Vernichtungsbefehlen gesichtsloser Männer von Stavros' Art, hatte er gewußt, daß er an einem solchen Ort sein Ende finden würde, Lichtjahre entfernt von der Sicherheit von Stavros' König. Auf diese Entfernung war Stavros nur noch einer in einer langen Reihe.
Kein besonderer.
Auf diese Entfernung, von jetzt an, gab es nur noch Sten Duncan.
Seine Scanner zeigten ihm, daß etwas anderes passiert war, daß ein weiteres Schiff von der Station abgelegt hatte. Es war die SANTIAGO, ein systeminterner Reiter, bewaffnet, aber nicht sternflugtauglich.
Er nahm dieses Wissen ruhig genug auf, ein wenig verärgert darüber, daß man ihn nicht gefragt hatte, ob eine solche Eskorte erwünscht war; aber mit Regul im Anflug ins System protestierte er nicht dagegen.
Und er blickte neben sich auf das Deck, wo ein silbernes Ovoid auf einem gepolsterten Ständer ruhte, seltsam unbeschädigt nach alldem, das ihm widerfahren war. Es sah gar nicht danach aus, als sei es jemals zwischen den Felsen von Sil'athen herumgepurzelt, als sei es jemals geöffnet und untersucht worden.
Aber es war nicht mehr einzigartig. Es war in Holos vervielfältigt worden – und würde vielleicht in noch stärker greifbarem Detail eines Tages auf Zoroaster mit entwickelterem Gerät vervielfältigt werden, eine Museumskuriosität für Menschen. Duncan langte hinab und betastete es mit den Fingern, spürte seine Glätte und Kälte, zog die Hand zurück und warf einen letzten Blick auf die Schirme, wo die SANTIAGO auf seiner Fährte zu kleben schien.
Er aß, während das Schiff mit Automatik weiterflog, schweigend und sicher vor Alarm. Die Scanner holten die SANTIAGO von ihrer jetzt gewohnten Entfernung herein, und die Maschinen erkannten einander. Kein anderes Schiff befand sich in bedrohlicher Nähe.
Endlich gab es Muße für menschliche Bedürfnisse.
Und es gab auch Muße, um mit dem Nachdenken über die Mri anzufangen, die bewußtlos in den Laboratorien des Schiffes lagen.
Er ging durch die Korridore der FOX, überzeugte sich davon, daß alles in Ordnung war, daß sich beim Wechsel von der Steuerung durch die Station zu freiem Flug nichts losgerissen hatte. Die Teile hatten sich selbst reorientiert, die Transition war reibungslos verlaufen. Die Dusei hatten sie ohne sichtbare Schwierigkeiten überstanden: er beobachtete sie durch die Kamera, wollte diesen Raum jetzt nicht betreten, so verstört und angespannt wie er war. Auch die Mri ruhten in ihren getrennten Quartieren. Die Ärzte hatten sie nicht aus den Automeds genommen.
Duncan machte es, zuerst die zierliche, schmächtige She'pan der Mri, Melein, legte sie auf eine bequeme Unterlage, ein Bett im Labor. Ihre zierlichen Glieder fühlten sich nach Knochen und losem Fleisch an, waren bestürzend dünn und abgezehrt; die Augen waren eingesunken und dunkel umrandet. Sie reagierte nicht, als er ihr dünnes Gesicht anfaßte und die bronzene Mähne glättete, versuchte, sie wieder schön zu machen. Er hatte Angst um sie, beobachtete ihren Atem, sah, wie jeder Atemzug eine Anstrengung zu sein schien. Er fing an zu fürchten, daß er sie verlieren würde.
Und in Verzweiflung stellte er die Temperatur des Abteils niedrig ein und reduzierte den Luftdruck etwas auf den ungefähren Standard von Kesrith. Er wußte nicht – niemand wußte es –, welche Bedingungen für die Mri natürlich waren. Man wußte nur das eine mit Sicherheit, daß ihnen die Kesrithi Atmosphäre besser bekam als Menschen oder Regul.
Meleins Atem ging leichter. Nachdem er lange in ihrem Abteil gesessen und sie beobachtet hatte, wagte er es, sie zu verlassen; und in einem anderen Abteil öffnete er den Automed, um Niun herauszuholen.
Auch Niun befand sich fest im Griff der Sedativa und merkte nichts davon, daß er bewegt wurde, auf ein anderes Bett gelegt wurde; eine Hilflosigkeit, die den Mri tief beschämt hätte.
Es würde keine weiteren Drogen geben. Duncan las sorgfältig die an den Automeds angebrachten Instruktionen und stellte fest, daß die Ärzte für solche Drogen gesorgt hatten und daß sie im Laborlager zu finden waren – ausreichend, besagten die Instruktionen, für ausgedehnte Sedation. Da standen auch andere Dinge, dafür vorgesehen, ihm bei der Erhaltung der Mri zu helfen. Mit zwei Regul-Schiffen im System und der Wahrscheinlichkeit von Schwierigkeiten war es, dachte Duncan, sicherlich unverantwortlich, solche Vorsichtsmaßnahmen zu mißachten, zumindest vor dem Sprung; aber als er die Mri anfaßte und fühlte, wie dünn und schwach sie geworden waren, konnte er sich nicht dazu überwinden, sie durchzuführen.
Es waren noch Tage bis zum Sprung, Tage weiterer Sedation, damit die Mri in einem Zustand hindurchgelangen würden, in dem Fleisch und Lebensfunktionen erschreckend waren, verschlossen in ihren Automeds, Glieder ungeübt, Muskeln weiter verfallend.
Sie war nur vernünftig, diese Verlängerung der Vorsichtsmaßnahmen um wenige Tage; diejenigen, die ihm die Kontrolle über die Mri übertragen hatten, hatten sich ausgerechnet, daß diese bestimmten Maß- nahmen Verwendung finden würden.
Aber diejenigen, die diese Pläne gemacht hatten, wußten nichts von den Mri, die, wenn eingesperrt, einfach dasselbe tun würden, was alle Mri Gefangenen getan hatten, ob sie ihren Wärter nun kannten oder nicht – zu sterben, töten, wenn sie konnten. Untauglich gemacht und bei dem ihnen eigenen Abscheu vor medizinischer Hilfe, würden sie sicher dieselbe Entscheidung treffen. Duncan selbst hatte das von Anfang an begriffen; es belastete sein Gewissen, daß er es Stavros oder den anderen nie klargemacht hatte. Er konnte die Mri nicht festhalten, ohne sie zu töten; und mit den Dusei an Bord war es unwahrscheinlich, daß er sie überhaupt festhalten konnte.
Es gab nur eine Begründung, die bei den Mri Anwendung finden konnte zwischen all den Mächten, die auf sie hin zusammenliefen, Regul und Menschen, eine Sache, die die Mri nicht anfechten konnten.
Er untersuchte beide ein letztesmal, stellte fest, daß sie jetzt unbeschwert atmeten, und ging nach oben, nahm wieder den Kommandoposten ein.
Er aktivierte den Navigationsspeicher und tastete eine Zahl ein: Null Null Eins.
Die FOX schwang sich auf einen neuen Kurs, die Sensoren auf Arain ausgerichtet, analysierte und verglich mit Daten, die auf ihren Schirmen aufblitzten. Die Linien graphischer Abbildungen liefen zusammen, verschmolzen, blitzten heftig bei der Erkennung.