15

Duncan wandte sich vom Schirm und den darauf sichtbaren Sternen ab und entdeckte hinter sich das Dus – es war wirklich immer bei ihm, Schatten, Herold und Teilnehmer an jeder Intimität seines Lebens. Er hielt es nicht für nötig, es zu berühren. Es seufzte und lehnte sich an seinen Rücken. Er spürte seine Zufriedenheit.

Es war seltsam, daß, wenn ein Schmerz aufhörte, eine beträchtliche Zeit vergehen konnte, bevor man ihn vermißte.

Und daß wenn der Schmerz vorüber war, man sich nicht genau an ihn erinnern konnte.

An diesem Ort, in der Kel-Halle, hatte Duncan in einem bestimmten Moment entdeckt, daß er keinen Schmerz mehr empfand: hier, auf dem Boden sitzend, hatte er es erkannt; und er konnte sich an diesen Augenblick erinnern, an die Einzelheiten, an den Platz, wo das Dus gelegen hatte, die Tatsache, daß Niun genauso dagesessen hatte, jenseits des Raumes – er hatte an jenem Tag genäht, eine merkwürdige Beschäftigung für einen Mri-Krieger, aber Duncan hatte nur zu genau erfahren, daß ein Mann im Kel sich selbst um all seine Bedürfnisse kümmerte – abgesehen die Nahrung, die gemeinsam eingenommen wurde.

Niun hatte ein konzentriertes Gesicht gemacht und mit der Nadel einen stetigen Rhythmus verfolgt. Er hatte mit Geschick gearbeitet, wie Niuns schlanke Hände über so viele Geschicklichkeiten verfügten. Es würde Jahre dauern, um die Hälfte von dem zu lernen, was bei Niun die natürlichen Reflexe und die Lehren seiner Meister ausmachten.

Niun war nicht arrogant – stolz vielleicht, aber er rühmte sich nie seiner Fähigkeiten – abgesehen hin und wieder, wenn sie mit den Waffen übten, mit den Yin'ein, die Duncan gefertigt hatte, um der Schönheit von Niuns alten Waffen gleichzukommen. Dann fühlte sich Niun manchmal bewegt – vielleicht aus bloßer Langeweile über das Über mit einem Mann, an dem er sich nicht wirklich abschätzen konnte – eine so rasche Bewegung zu machen, daß das Auge ihr nicht folgen konnte, so winzig und geschickt und versteckt, daß Duncan kaum wußte, wie ihm geschah. Niun tat dergleichen auch, hatte er bemerkt, wenn er beim Üben mit Niun in Eitelkeit verfiel. Der Mri belehrte so seinen Schüler darüber, daß er sich immer noch zurückhielt.

Zurückhaltung.

Sie beherrschte das ganze Dasein eines Kel'en.

Und Niuns Zurückhaltung schuf Frieden, wo keiner war, erstreckte sich zu einem Menschen, der ihn provozierte, zu Dusei, die in ihrer Eingeschlossenheit manchmal unruhig und zerstörerisch wurden – erstreckte sich sogar bis zu Melein.

Keiner von ihnen, reflektierte Duncan mit plötzlichem und grimmigem Humor, wollte Niun belästigen, weder der Mensch noch die Dusei noch die Kindkönigin, die auf ihn vertraute.

Es war Niuns Frieden, der sie alle beherrschte.

Die wirkungsvollsten Killer in der gesamten Schöpfung , hatte Stavros die Mri genannt.

Er hatte vom Kel gesprochen, von Mri wie Niun.

Er hatte das gesagt, bevor die Menschheit auch nur etwas von der Öde der Sterne geahnt hatte, die sie jetzt umgab.

Menschenschiffe würden den Aufzeichnungen nachgehen, ihnen von einer toten Welt zur anderen folgen; und für die Havener, die diese Schiffe bemannten, würde es keine andere Folgerung geben, als daß sie etwas Monströsem zu seinem Ursprung folgten.

Duncan liebkoste abwesend die Schulter seines Dus und dachte nach, hegte dieselben angstvollen Gedanken, die während der letzten Tage in seinem Gehirn gekreist waren – starrte hilflos auf Niun, dessen Vorstellungsvermögen sicherlich dafür ausreichte zu wissen, was ihnen folgte.

Und doch erwähnte er nichts davon; und Melein, die ihre Fragen gestellt hatte, kam mit keinen weiteren; Niun ging zu ihr, was Duncan jedoch nicht erlaubt war, der weiterhin bei ihr in Ungnade stand.

Die Mri hatten sich entschlossen zu ignorieren, was ihnen folgte, keine weiteren Fragen zu stellen und nichts zu tun. Niun lebte bei ihm, schlief nachts in offensichtlichem Vertrauen neben ihm – und pflegte nur die altertümlichen Fähigkeiten seiner Rasse, die Waffen der Rituale und Duelle, als ob sie ihm am Ende nützen würden.

Die Yin'ein, antike Klingen, gegen Kriegsschiffe wie die SABER.

Niun hatte sich wohlüberlegt entschieden.

Eine Vorstellung überkam Duncan: Nacht, Feuer und Mri-Sturheit. Duncan wehrte sie ab, und sie kam zurück, die Erinnerung an die Hartnäckigkeit von Mri, die sich nicht ergeben und keine Kompromisse schließen wollten, deren Konzept von Modernität eingebettet war zwischen Zeiten der Dunkelheit und des Dazwischen und den Wegen von Tsi'mri, die nur Augenblicke in den Erfahrungen des Volkes waren.

Moderne Waffen.

Duncan spürte den Makel dieses Wortes, die im Hal'ari darin enthaltene Verachtung, und er haßte den Menschen in sich, der zu blind gewesen war, es zu erkennen.

Der letzte Kampf des Volkes.

Ihm mit modernen Waffen zu begegnen – wenn es dazu kam, wenn es für das Volk zu einem hoffnungslosen Kampf kommen sollte...

Also plante Niun nicht zu überleben: der letzte Mri würde sich zu den Dingen entschließen, die in seiner Logik einen Sinn ergaben – das war genau das, was er tat.

Die Heimatwelt suchen.

Seine alten Wege wiederfinden.

Mri sein, bis der Holocaust es beendete.

Das war alles, was Niun machen konnte, wenn er es recht bedachte, außer sich den Tsi'mri zu ergeben. Duncan überlegte, wie weit die Geduld des Mri ging, der es mit einem Außenstehenden unter diesen Bedingungen aushielt – sogar die Meleins, die Niuns Toleranz gegenüber einem Tsi'mri ertrug, selbst die ihre war beachtlich.

Und Niun übte sich nur im Duell mit ihm, geduldig und freundlich, als könne er vergessen, wer er war.

Die Yin'ein. Sie waren für Niun die einzig vernünftige Wahl.

Duncan stützte den Arm auf das Knie und nagte auf seiner Unterlippe, spürte die Bestürzung des Dus an seinem Rücken, streckte die Hand aus und beruhigte es – fühlte sich seines Menschseins schuldig, das Niun Sorgen machte. Und doch beunruhigte ihn der Gedanke und ließ ihn nicht mehr los – daß er als Mensch nicht das machen konnte, was Niun tat.

Daß es für ihn Alternativen gab, die Niun nicht hatte.

Vielleicht würde ihn der Mri letztendlich gehen lassen.

Oder von ihm erwarten, die Waffen gegen andere Menschen zu erheben. Er versuchte sich das vorzustellen; und alles was er sich in seiner Hand vorstellen konnte, war die Dienstpistole, die bei seinen Sachen lag – für seinen Tod im großen Maßstab Tod auszuteilen: diese Neigung erwachte in ihm. Er konnte kämpfen, wenn in die Ecke getrieben; er würde sich wünschen, ein Dutzend Leben derer zu nehmen, Menschen oder nicht, die seines nehmen wollten. Aber zu den Yin'ein greifen... dazu war er nicht Mri genug.

Es gab Mittel zum Kämpfen, die die Mri nicht benutzten.

Für die sich Menschen entschieden.

Ganz langsam begannen die zertrümmerten Stücke von dem, was ein ObTak gewesen war, sich wieder zusammenzufinden.

»Niun«, sagte er.

Der Mri war damit beschäftigt, ein Stück Metall zu etwas zu formen, das wie Schmuck aussah. Er arbeitete seit mehreren Tagen daran, gewissenhaft in seiner Aufmerksamkeit.

»A?« antwortete Niun.

»Ich habe mir überlegt: wir haben ein Versagen der Instrumente erlebt. Wenn die She'pan es erlaubt, möchte ich gerne wieder an die Kontrollen und die Instrumente testen.«

Niun hielt inne. Ein finsterer Ausdruck lag auf seinem Gesicht, als er den Blick hob. »Ich werde die She'pan fragen«, sagte er.

»Ich möchte ihr gerne«, sagte Duncan, »den Nutzen aus den Fähigkeiten zukommen lassen, die ich besitze.«

»Sie wird nach dir schicken, wenn sie dich braucht.«

»Niun, frag sie!«

Das Stirnrunzeln vertiefte sich. Die Hände des Mri ruhten auf den Knien, hatten die Metallbearbeitung vergessen; dann stieß er einen langen Atemzug hervor und nahm seine Arbeit wieder auf.

»Ich möchte Frieden mit ihr haben«, sagte Duncan. »Niun, ich habe alles getan, um das ihr mich gebeten habt. Ich habe versucht, einer von euch zu sein.«

»Du hast andere Dinge getan«, meinte Niun. »Das ist das Problem.«

»Sie tun mir leid. Bitte vergeßt sie! Bitte sie, mich wieder zu empfangen, und ich gebe dir mein Wort, daß ich sie nicht beleidigen werde. Es gibt keinen Frieden auf diesem Schiff ohne Frieden mit ihr – auch mit dir nicht.«

Für einen Moment sagte Niun nichts. Dann gab er ein langes Seufzen von sich. »Sie hat darauf gewartet, daß du sie fragst.«

Die Mri konnten ihn immer noch überraschen. Duncan setzte sich zurück, und alle seine Überlegungen über sie waren über den Haufen geworfen. »Dann wird sie mich empfangen?«

»Wann immer du dich entscheidest, sie zu fragen. Geh und sprich mit ihr! Die Türen sind nicht verschlossen.«

Duncan blieb noch für einen Moment sitzen – der ganze Impuls war ihm genommen. Und dann raffte er sich auf und ging zur Tür, das Dus hinter ihm.

»Duncan.«

Er wandte sich um.

»Mein Bruder im Kel«, sagte Niun sanft, »in jeder Hinsicht für dich – bedenke, daß ich die Hand der She'pan bin, und daß, wenn du ihr gegenüber fehlgehst, ich das nicht dulden darf.«

Für eine Moment war ein Abwehr-Impuls im Raum spürbar: das Dus wich zurück und legte die Ohren an. »Nein«, sagte Duncan und es blieb stehen. Er zog das Av'tlen aus seinem Gürtel und hätte alle seine Waffen abgelegt. »Nimm sie, wenn du so etwas von mir erwartest!« Es war erniedrigend, Waffen zu übergeben; Duncan bot sie im Bewußtsein dessen an, und Niun zuckte sichtlich zusammen.

»Nein«, sagte er.

Duncan steckte die Klinge wieder an ihren Platz und ging, das Dus hinter ihm. Niun folgte ihm nicht; vielleicht verbot es ihm der Stich des letzten Wortwechsels, und sein Verdacht würde ihm für eine Weile Sorgen machen – Duncan rechnete damit, daß Meleins Sicherheit, obwohl Niun neben ihm schlief, obwohl er beim Waffen-Üben seine Abwehr öffnete, um ihm etwas beizubringen, auf einem anderen Blatt stand. Der Kel'en war außerordentlich tief beunruhigt.

Einem bewaffneten Tsi'mri Zugang zur She'pan zu gewähren, das ging sicherlich gegen die Instinkte des Mri.

Aber die Türen waren nicht verschlossen.

Die Türen waren nie verschlossen gewesen, vermutete Duncan auf einmal; er hatte niemals daran gedacht, es auszuprobieren. Melein selbst hatte hinter unverschlossenen Türen geschlafen, hatte ihm vertraut; und das erschütterte ihn tief, daß die Mri in dieser Hinsicht so unvorsichtig ihm gegenüber sein konnten.

Und doch nicht unvorsichtig.

Gefängnisse, verschlossene Türen, versiegelte Dinge, einen Mann seiner Waffen zu berauben – all dies verstieß gegen ihre Natur. Er hatte es von Beginn seines Umgangs mit ihnen an gewußt: keine Gefangenen, keine Gefangennahme – und selbst im Schrein war das Pan'en nur abgeschirmt, nicht abgeschlossen.

Sogar die Kontrollen, sogar sie waren ihm jederzeit zugänglich gewesen, zu jedem Zeitpunkt, an dem er sich dazu entschlossen hätte, dort hinzugehen, wo es ihm verboten worden war; er hätte ruhig gehen und die Türen verschließen können und hätte das Schiff in der Hand gehabt – konnte es, in diesem Augenblick.

Er tat es nicht. Er ging zu der Tür, die zu Melein führte, zu dieser matterleuchteten Halle, mit Symbolen bemalt und ohne Einrichtung außer einem Stuhl und den Sitzmatten. Er trat ein, die Schritte laut auf den Fliesen.

»She'pan!« rief er, stand und wartete: stand, denn es war die She'pan, die zum Sitzen einlud oder nicht. Das Dus setzte sich neben ihm schwer auf das Hinterteil, sank schließlich nieder und legte den Kopf auf die Fliesen. Ein Seufzen brach aus ihm hervor.

Und plötzlich hörte Duncan leichte Schritte hinter sich. Er drehte sich um und sah sich einer geisterhaften Gestalt im Schatten gegenüber, weißgewandet und schweigend. Er war nicht verschleiert. Er war sich nicht sicher, ob das unhöflich war, und senkte den Blick, um seinen Respekt zu zeigen.

»Warum bist du hier?« fragte sie.

»Ich möchte dich um Verzeihung bitten«, sagte er.

Sie antwortete nicht, sondern starrte ihn nur an, als ob sie auf weitere Erklärungen wartete.

»Niun hat gesagt«, fügte er hinzu, »daß du dazu bereit wärst, mich zu empfangen.«

Sie preßte die Lippen zusammen. »Du hast immer noch Tsi'mri-Manieren.«

Zorn überkam ihn; jedoch war diese Feststellung die simple Wahrheit. Er unterdrückte den Zorn und senkte den Blick ein zweitesmal zu Boden. »She'pan«, sagte er sanft, »ich bitte dich um Verzeihung.«

»Ich gebe sie dir«, sagte sie. »Komm, setz dich!«

Ihre Stimme klang plötzlich huldvoll; das brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und für einen Augenblick starrte er sie an, wie sie zu ihrem Stuhl ging und sich daraufsetzte, darauf wartete, daß er sich zu ihren Füßen niederließ.

»Mit deiner Erlaubnis«, sagte er, und als er sich an Niun erinnerte: »Ich sollte zurückgehen. Ich denke, daß Niun mir folgen wollte. Laß mich gehen und ihn holen!«

Ein finsterer Blick legte Meleins glatte Stirn in Falten. »Das würde ihn mit Schande bedecken, Kel Duncan, wenn du ihn wissen läßt, warum. Nein, bleib! Wenn Frieden im Hause herrscht, wird er es wissen. Und wenn nicht, dann wird er es auch wissen. Und nenne ihn mir gegenüber nicht bei seinem Namen; er ist der erste im Kel.«

»Es tut mir leid«, sagte er, kam herbei und setzte sich ihr zu Füßen, und auch das Dus kam und sank zwischen ihnen zu Boden. Das Tier fühlte sich unbehaglich. Er beruhigte es mit der Hand.

»Was«, wollte Melein wissen, »hat dich veranlaßt, zu mir zu kommen?«

Die Frage schlug ihn mit Verwirrung – sie war grob und abrupt und dazu angetan, in ihn zu lesen. Er zuckte die Achseln und versuchte, an etwas am Rand der Wahrheit zu denken, aber es gelang ihm nicht. »She'pan, ich bin eine Hilfsquelle für dich. Und ich wünschte mir, daß du einen Nutzen aus dem ziehst, was ich weiß – solange noch Zeit ist.«

Die Membran zuckte über ihre Augen, und das Dus hob den Kopf. Sie beugte sich vor und besänftigte das Tier, ihre Finger fuhren zärtlich über den samtigen Pelz. »Und was weißt du, Kel Duncan, das dich so plötzlich mit Sorgen erfüllt?«

»Daß ich euch lebendig heimbringen kann.« Er legte die Hand auf das Dus, verspürte dabei keine Angst, und blickte der She'pan in die goldenen Augen. »Er hat mich unterwiesen; ist nicht die Bedienung von Schiffen Teil der Fähigkeiten eines Kel'en? Wenn er lernen will, werde ich ihn unterrichten; und wenn nicht – dann werde ich mich selbst um das Schiff kümmern. Sein Geschick liegt bei den Yin'ein, und darin wird meines nie an ihn heranreichen – aber dies kann ich machen, dies eine. Meine Gabe an dich, She'pan, und für dich von großem Wert, wenn du die Heimatwelt erreichst.«

»Handelst du?«

»Nein. Es gibt kein wenn dabei. Eine Gabe, sonst nichts.«

Ihre Finger streichelten weiterhin den warmen Pelz des Dus. Ihr Blick hob sich. »Bist du mein Kel'en, Kel Duncan?«

Für einen Augenblick stockte ihm der Atem. Das Hal'ari, das Kel-Gesetz hatte begonnen, in seinem Verstand zu strömen wie Blut in den Adern. Die Frage stand im Raum, es gab nur Ja oder Nein, und danach gab es kein zurück mehr.

»Ja«, sagte er, und das Wort kam fast unhörbar über seine Lippen.

Ihre schlanken Finger glitten zu seinen, nahmen seine breite Menschenhand. »Wirst du dich nicht gegen uns wenden, wie du dich gegen deine eigene Rasse wendest?«

Das Dus bewegte sich unter Duncans Schock; er hielt es fest, beruhigte es mit beiden Händen und blickte nach einem Moment Melein in die klaren Augen.

»Nein«, urteilte sie in Beantwortung ihrer eigenen Frage, und wie sie darauf kam, aus welcher Quelle sie schöpfte, wußte er nicht. Ihre Sicherheit bestürzte ihn.

»Ich habe einen Menschen berührt«, sagte sie, »und gerade in diesem Augenblick tat ich es nicht.«

Ihn fror. Er hielt sich am Dus fest, bezog Wärme von ihm und starrte Melein an.

»Was willst du machen?« fragte sie.

»Gib mir Zugang zu den Kontrollen! Laß mich die Maschinen warten, tun, was nötig ist! Wir hatten eine Fehlfunktion. Eine weitere können wir uns nicht leisten.«

Er erwartete Ablehnung, rechnete mit langen Tagen, mit Monaten der Auseinandersetzung, um das von ihr zu erreichen.

Aber die Kontrollen, dachte er, waren nie abgeschlossen gewesen. Und Melein senkte die Bernsteinaugen und gab ihm durch diese schweigende Geste die Erlaubnis. Sie hob die Hand und wies zur Tür.

Er zögerte, raffte sich dann auf, widmete ihr eine ungeschickte Geste der Höflichkeit und ging.

Sie folgte ihm. Er hörte ihre leichten Schritte hinter dem Dus. Und als er sich im hellerleuchteten Kontrollraum an die Konsole setzte, stand sie an seiner Schulter und sah zu. Er konnte ihr weißgewandetes Spiegelbild auf den Schirmen sehen, die das Sternenfeld zeigten.

Er fing an, die Testreihen zu durchlaufen, nach denen ihn verlangt hatte, und verbannte Meleins Anwesenheit aus seinen Überlegungen. Seitdem er das letztemal von den Kontrollen geschickt worden war, hatte er gefürchtet, daß das Schiff nicht in der Lage sein würde, gänzlich unter Automatik eine so lange und schwere Reise zu machen; aber zu seiner Erleichterung erwiesen sich alle Systeme als funktionsfähig, nichts versagte, und es gab keine haarbreiten, ruinösen Felder, durch die sie für immer in diesem nicht kartographierten Raum verloren sein würden.

»Alles in Ordnung«, berichtete er Melein.

»Hast du etwas besonderes gefürchtet?«

»Nur Vernachlässigung, She'pan«, sagte er.

Sie stand neben ihm und schien gelegentlich das Spiegelbild seines Gesichtes zu betrachten, wenn er hin und wieder in das ihres Gesichtes blickte. Er war zufrieden damit, dort zu sein, wo er jetzt war, und die Dinge zu tun, an die sich seine Hände so gut erinnerten. Er wiederholte Durchläufe, die er bereits gemacht hatte, nur um zusätzliche Zeit zu gewinnen, bis Melein des Stehens müde wurde, sich von seiner Schulter löste und den Platz des Kopiloten jenseits der Konsole einnahm.

Sie war einsam und vielleicht interessiert an dem, was er tat. Ihm fiel ein, daß ihr derlei Geräte nicht unbekannt waren, nur die von Menschen gefertigten, und er traute sich nicht, in ihrer Anwesenheit zuviel zu versuchen. Sicherlich wußte sie, daß er Operationen wiederholte.

Er ergriff die Chance.

VERSTRICHENE ZEIT, befragte er den Datenspeicher.

Ablehnung blitzte als Antwort. KEINE AUFZEICHNUNGEN.

Er fragte nach anderen Einzelheiten. KEINE AUFZEICHNUNGEN, KEINE AUFZEICHNUNGEN, antwortete der Speicher.

Etwas Kaltes und Hartes schwoll in seiner Kehle. Vorsichtig checkte er den Status der Navigationsbänder, ob der entgegengesetzte Kurs verfügbar war, um ihn wieder heimzubringen.

UNTER VERSCHLUSS, blitzte ihm der Schirm zu.

Er hielt inne, dachte an die mit dem Bandmechanismus verbundene Selbstzerstörung. Ein schrecklicher Verdacht kroch durch seine Erinnerungen.

Wir wollen nicht, daß zufällig etwas mit Ihnen zurückkommt.

Stavros' Worte!

Schweiß sickerte an seiner Seite hinab. Er spürte, wie er auf dem Gesicht kribbelte, wischte sich mit der Handkante über den Mund und versuchte, die Geste zu verbergen.

Das Dus kam näher, trat schnüffelnd zwischen sie und schob seine Nüstern dicht an die feinen Instrumente heran. »Verschwinde von hier!« forderte Duncan. Es legte sich nur nieder.

»Kel'en«, sagte Melein, »was siehst du, das dir Sorgen macht?«

Er befeuchtete die Lippen und blickte sie an. »She'pan – wir haben kein Leben gefunden... ich kann die Welten nicht mehr zählen, und wir haben kein Leben gefunden. Was läßt dich damit rechnen, daß es auf eurer Heimatwelt anders aussieht?«

Ihr Gesichtsausdruck wurde unlesbar. »Findest du da einen Grund, Kel'en, zu denken, daß dies nicht der Fall sein wird?«

»Ich habe hier einen Grund gefunden – zu glauben, daß dieses Schiff gegen meine Eingriffe abgesichert worden ist. She'pan, wenn dieses Band durchgelaufen ist, kann es sein, daß wir keine navigatorischen Unterlagen mehr haben.«

Die Lider über den Bernsteinaugen zuckten. Sie saß still, die Hände im Schoß gefaltet. »Hast du geplant, uns zu verlassen?«

»Wir werden vielleicht flugunfähig sein. Wir werden keine Wahl mehr haben, She'pan.«

»Wir hatten nie eine.«

Er holte tief Luft, wischte sich den auf seinen Wangen kaltgewordenen Schweiß ab und ließ den Atem wieder fahren. Ihre Ruhe war unerschütterlich und völlig rational: Shon'ai... für sie war der Wurf gemacht, schon mit der Geburt. Es war wie bei Niun mit seinen Waffen.

»She'pan«, sagte er ruhig, »du hast jede Welt benannt, an der wir vorbeigekommen sind. Kennst du die Zahl derer, die noch vor uns liegen?«

Sie nickte nach Art des Volkes, ein Neigen des Kopfes nach links. »Bevor wir die Heimatwelt erreichen«, sagte sie, »kommen noch Mlara und Sha, Hlar und Sa'o-no-kli'i.«

»Vier«, sagte er, wie gelähmt durch die plötzliche Kenntnis vom Ende der Reise. »Hast du es ihm gesagt?«

»Das habe ich.« Sie beugte sich vor, die Arme auf den weißverhüllten Knien verschränkt. »Kel Duncan, eure Schiffe werden kommen. Sie kommen.«

»Ja.«

»Du hast deinen Dienst gewählt.«

»Ja«, sagte er. »Am Volk, She'pan.« Und als sie ihn weiterhin betrachtete, besorgt über seinen Verrat: »Auf ihrer Seite, She'pan, gibt es so viele Kel'ein, daß einer nicht vermißt werden wird. Aber auf Seiten des Volkes gibt es nur einen – oder zwei, mit mir. Die Menschheit wird einen Kel'en nicht vermissen.«

Melein blickte ihm mit schmerzlicher Intensität in die Augen. »Deine Mathematik ist ohne Fehl, Kel Duncan.«

»She'pan«, sagte er sanft, bewegt durch die Dankbarkeit, die er in ihr erkannte.

Sie erhob sich und ging.

Überließ ihm das Schiff.

Er saß für einen Moment reglos, stellte fest, daß alles in seiner Hand lag und er plötzlich eine Last trug, mit der er nicht gerechnet hatte. Hätte er einen Verrat vorgehabt, dachte er, hätte er ihn jetzt nicht mehr begehen können. Und mit ihnen noch einmal das zu machen, was er auf Kesrith getan hatte, sei es auch nur, um ihr Leben zu retten...

Das wäre keine Handlung der Liebe, sondern der Selbstsucht, jetzt und hiernach. Er kannte sie zu gut, um zu glauben, daß es gut für sie wäre.

Er untersuchte die Speicherbänke, die ihre furchtbaren Geheimnisse verbargen, Programme, die seinem Zugriff verschlossen waren, Dinge, die vielleicht in dem Moment ausgelöst worden waren, an dem er gegen seine Befehle verstoßen hatte und frühzeitig auf den gespeicherten Kurs gegangen war.

Oder vielleicht – wie ObTaks schon immer geopfert worden waren – war von Anfang an geplant worden, daß die FOX nur als Reiter der SABER zurückkehren würde.

Da war das Pan'en mit den Aufzeichnungen darin; aber angesichts der Feuerkraft der SABER war die FOX ein Nichts – und es war nicht ausgeschlossen, daß der Navigationscomputer am Ende des Bandes zerstört wurde und sie dadurch verkrüppelte.

Er langte wieder zum Pult, gab erneut die Schlüssel ein und erhielt immer wieder KEINE AUFZEICHNUNGEN und UNTER VERSCHLUSS.

Und schließlich gab er die Versuche auf, stieß sich ab, kam auf die Füße, langte abwesend nach dem Dus, das sich sehnsüchtig an ihn drängte, seinen Schmerz spürte und versuchte, ihn davon abzulenken.

Vier Welten.

Ein Tag oder mehr als ein Monat: die Spannen zwischen den Sprüngen waren unregelmäßig.

Die Zeit wirkte plötzlich sehr kurz.