10

Der Mensch schlief.

Niun, an die warmen Körper der Dusei gelehnt, sein Geist erfüllt mit dem Frieden der Tiere, betrachtete Duncan im dämmrigen Licht des Sternenschirms, zufrieden mit dem Warten. Es gab ein zweites Bett in Duncans Quartier, aber er lehnte es ab, zog den teppichbedeckten Boden vor, die Nähe der Dusei – die Dinge, die er schon im Kel gekannt hatte. Er hatte genug geschlafen; das lange Warten im Dämmerlicht machte ihn jetzt nur schläfrig, und er kämpfte gegen den Impuls, zurück in den Halbschlaf zu gleiten, fand es zum erstenmal wirklich angenehm, in dieser neuen Welt wach zu sein. Er trug wieder seine Waffen; die Dusei waren im Besitz des Pan'en und des Schiffes.

Ihres Schiffes.

Er nahm an, daß sie diesem Menschen viel schuldeten, beschämend viel; aber er war froh, daß Melein sich entschlossen hatte, das auf sich zu nehmen und zu leben. Es war ein Maß für Meleins Dankbarkeit, daß sie sich irgendwie beugte, daß sie die Bestimmung von Zeitpunkten in Niuns Händen ließ. Wenn du meinst, daß er wieder fit ist, hatte sie gesagt, und sogar gestattet, den Schiffsplan so anzupassen, daß sie in einen verfrühten Nachtzyklus eintreten konnten, worauf sie nicht angewiesen waren; Duncan jedoch brauchte den Schlaf, den er sich selbst versagt hatte, als er für sie sorgte.

Andernorts schlief Melein sicherlich, oder arbeitete ruhig. Das Schiff folgte seinem Kurs, erforderte keine Bedienung. Sie hatte eine weite, unglaublich weite Reise vor sich. Der Bezugsstern, der blaß und fern im Mittelpunkt des Schirmes leuchtete, war nicht ihr Ziel. Sie waren nur in den Randbereich des Systems eingedrungen und würden wieder hinausgleiten, in die Transition.

Und Sterne auf Sterne würde es geben – so hatte Melein gesagt.

Während der Nacht hatte eine zweite Transition stattgefunden, ein Raum, in dem sie waren und nicht waren und wieder waren und wo Substanzen wie Wasser flossen. Niun war nicht in Panik geraten, weder diesmal noch beim erstenmal, obwohl selbst Duncan, der in diesen Dingen erfahren war, mit einem wilden Aufschrei aufgewacht war und sich anschließend schlecht gefühlt hatte; er hatte überreichlich geschwitzt und es kaum geschafft, ins Labor zu gehen, wo er die Drogen fand, die ihn beruhigten. Schließlich war er unter ihrer Wirkung eingeschlafen, was auch jetzt noch andauerte. So besorgniserregend der Vorfall war, hatte Niun doch versucht, ihn nicht wahrzunehmen; er schrieb ihn der gestörten Verfassung des Menschen zu. Es war möglich, dachte er, daß die Mri in diesem Zustand einen natürlichen Vorteil hatten; oder vielleicht war es die Schmach, die einen Mri davon abhielt, solcher Schwäche nachzugeben. Er wußte es nicht. Andere Schmach hatte er erlitten, durch die Hände von Menschen und Regul ihm zugefügt; aber dies waren sein eigener Körper und seine eigenen Sinne, und beides hatte er unter Kontrolle.

Ihr Schiff, ihre Reise und das Pan'en, das sie führte: dies waren die einzigen Umstände, unter denen sich das Leben lohnte – daß sie über sich selbst herrschten, so sehr diese Tatsache ihn auch immer noch verwirrte. Er hatte nicht damit gerechnet, obwohl Melein es vorhergesehen hatte, ihm gesagt hatte, daß es so kommen würde. Er hatte es nicht geglaubt: Melein, die einfach nur Sen Melein gewesen war, seine Wahrschwester – mehr zu sein hatte er ihr nicht zugestanden, als eine arme, hauslose She'pan, verloren und machtlos, und er hatte getan, was er konnte um sie durchzubringen.

Aber sie hatte gewußt.

Es war gesagt worden, daß die größten She'panei über die Voraussicht verfügten, die größten und heiligsten, die jemals das Volk geführt hatten. Und ein Gefühl der Ehrfurcht ergriff von ihm Besitz, als er erkannte, daß Melein solch eine war, sie, die eines Blutes mit ihm war. Diese Verwandtschaft erschreckte ihn, die Überlegung, daß ihre Erbschaft auch die seine war, daß auch in ihm etwas ruhte, das er nicht begriff und über das er keine Macht hatte.

Sie führte sie heim.

Die bloße Vorstellung schon war ihm neu: Heimat – A'ai sa-mri, die Anfänge des Volkes. Er wußte, wie es sicherlich alle Mri immer gewußt hatten, daß es einmal eine andere Welt gegeben haben mußte als die verschiedenen Heimatwelten nach eigenem Gutdünken, obwohl gesungen wurde, daß das Volk aus der Sonne geboren war. Sein ganzes Leben lang hatte er immer nur zur roten Scheibe Arains aufgeblickt, und unter der Disziplin des Kel und den Belangen seines vorherigen Lebens hatte er es seiner Neugier niemals erlaubt, sich hinter dieser Grenze seines kindhaften Glaubens zu ergehen.

Es war ein Mysterium, und keines, das zu seiner Kaste gehörte.

Aus der Sonne geboren. Eine goldene Haut hatten die Mri, bronzene Haare und goldene Augen: es war ihm nie zuvor in den Sinn gekommen, daß in diesem Lied die Anspielung auf eine Sonne von anderer Färbung verborgen lag, und daß es mehr erklärte als nur den Brauch des Kel, dessen Angehörige vorzugsweise Raumfahrer waren, die ihre Toten in das Feuer der Sterne warfen, auf daß nicht die dunkle Erde von Ihnen Besitz ergriff.

Er hielt den Blick auf den vor ihnen liegenden Stern gerichtet, fragte sich, wo sie sich wohl befanden, ob immer noch im Regul-Raum oder anderswo. Dies war ein Ort, der Generationen vor Kesrith bekannt gewesen war, von dem die Hände gewußt hatten, die diese Aufzeichnung des Pan'en angefertigt hatten. Und auch hier hatte das Volk gedient. Regul-Raum oder nicht, es mußte so gewesen sein: das Kel hatte sich zum Kämpfen anheuern lassen, wie immer es gewesen war – Söldner, von deren Gold das Volk lebte. Etwas anderes konnte Niun sich nicht vorstellen.

Sterne über Sterne.

Und von einem nach dem anderen hatte das Volk Abschied genommen; so geschah es in den Dunkelheiten. Es war undenkbar, daß es zersplitterte. Alle, alle waren immer gegangen – und was sie bewegt haben mochte, ging über Niuns Vorstellungsvermö- gen hinaus, abgesehen davon, daß die Vision einer She'pan sie geführt hatte. Entweder waren sie zu einer anderen, nahegelegenen Welt gegangen oder in eine Dunkelheit; und in dieser Dunkelheit, auf dieser Reise, vergaßen sie stets alles, was mit dem verlassenen Stern zu tun hatte und dem früheren Dienst; sie hatten die nächste Sonne erreicht und einen anderen Dienst; und danach kehrten sie in die Dunkelheit und ein weiteres Vergessen zurück, ein Kreislauf ohne Ende.

Bis Kesrith, bis sie beide heimzukehren begannen – eine Reise, mit der die Ära des Dienstes an den Regul, die zweitausend Jahre, die er für die gesamte aufgezeichnete Geschichte gehalten hatte, ein bloßes Zwischenspiel wurde.

Von der Dunkelheit am Anfang Zur Dunkelheit am Ende,

So sang das Volk im heiligsten aller Lieder.

Dazwischen eine Sonne, Aber nach ihr Dunkelheit, Und in dieser Dunkelheit, Ein Ende.

Zigmale hatte er das Ritual gesungen, das Shon'jir, den Gesang des Erlöschens, des Vergehens, gesungen bei Geburten und Todesfällen, Anfängen und Enden. Für einen Kel'en hatte es nur von Geburt und Tod von Einzelpersonen gesungen.

Begreifen dämmerte vor ihm, verwirrend in der Perspektive. Mehr Sterne erwarteten sie, und jeder von ihnen war von den Kel'ein seines Zeitalters für die Sonne gehalten worden, jedes Zeitalter für die gesamte aufgezeichnete Geschichte – bis sie beide auf ihrer eigenen Heimreise vorbeikommen sollten, heim, zur Sonne selbst.

Zum Ursprung des Volkes.

Zur Hoffnung, der schwächsten aller Hoffnungen, daß noch andere verblieben sein mochten: Niun hegte diese Hoffnung, wußte, daß sie sich sicherlich als falsch herausstellen würde. Nachdem soviel Unglück sie befallen hatte, war es unmöglich, daß es noch so ein Gutes geben würde. Sie beide waren die letzten Kinder des Volkes, geboren, um das Ende von allem zu sehen, Ath-ma'ai, Grabwächter nicht nur für eine She'pan, sondern eine ganze Rasse.

Und doch waren sie frei und besaßen ein Schiff.

Und vielleicht – ein religiöses Gefühl regte sich in ihm und eine große Furcht – war es etwas anderes, für das sie geboren worden waren.

Niun liebkoste die samtpelzige Schulter des Dus und betrachtete den Menschen, dessen Gesicht im weißen Licht des Schirmes lag. Der Mann schlief in drogenbetäubter Vergessenheit, nachdem er ihnen das Schiff, sein Leben und seine Person gegeben hatte. Niun rätselte darüber und sorgte sich, dachte an all die Worte und Taten, die jemals zwischen ihnen stattgefunden hatten und daran, daß er den Menschen zu solch einer verzweifelten Handlung getrieben haben konnte. Entgegen der Weisheit des Volkes hatte er einen Gefangenen gemacht; und dies war das Resultat davon – daß Duncan ihnen jetzt verbunden war, hartnäckig wie die Dusei, die einfach einen Mri wählten und bei ihm blieben oder aus Kummer starben.

Sicherlich liefen die Instinkte der Menschen nicht in diese Richtung. Vierzig Jahre lang hatte das Volk gekämpft, um die Menschen zu erledigen, und war dafür gemordet worden; Kel'ein, hingeschlachtet durch diese Rasse, die nur in Massen und mit Fernwaffen kämpfte. Vierzig Jahre, und schließlich, mit dem Sieg der Menschen, kam Duncan, der, schlecht behandelt, die gesamte lähmende Maschinerie menschlicher Barmherzigkeit über sie brachte, der sich und seine Freiheit zu ihrem Ermessen in ihre Hände legte.

Tsi'mri-Dummheit, tobte Niun innerlich und wünschte, sich überhaupt von allen Tsi'mri fernhalten zu können.

Und doch erinnerte er sich an einen langen und schrecklichen Traum, in dem Duncan eine treue Gegenwart gewesen war, in dem er um seine geistige Gesundheit und sein Leben gekämpft hatte und Duncan bei ihm geblieben war.

Sühne?

Vielleicht, dachte Niun, hatte das, was Duncan bewegte, die Gelegenheit aufgegriffen, die das von den Mri Gebliebene bot; vielleicht gab es letztlich bei den Tsi'mri einen seltsamen Sinn für Ehre, der sich nicht mit dem vertragen konnte, was die Regul getan hatten – als ob Menschen einen so übel gewonnenen Sieg nicht haben wollten; als ob der Untergang des Volkes eine Verkleinerung des Universums wäre, die auch die Menschen empfanden und die sie aus Furcht um sich selbst wiedergutzumachen trachteten.

Eine Reise, wie sie sie jetzt machten, war nichts für Tsi'mri; aber wenn ein solcher jemals einen Anspruch gegenüber den Mri gehabt hatte, unentrinnbar in die Belange des Volkes verwickelt gewesen war, dann Duncan – von dem Zeitpunkt an, als er selbst, Niun, das Leben dieses Menschen in der Hand gehabt und die Chance versäumt hatte, es ihm zu nehmen.

Niun, er ist Tsi'mri, hatte Melein argumentiert, und was immer er auch getan hat, er gehört nicht zu uns, nicht in der Dunkelheit.

Und doch nehmen wir die Dusei mit, hatte er gesagt, und auch sie gehören zum Dazwischen; und sollen wir sie töten, die, die uns vertrauen?

Melein hatte darüber die Stirn gerunzelt; allein der Gedanke war furchtbar, denn die Partnerschaft zwischen Mri und Dusei war so alt wie Kesrith. Und schließlich hatte sie das Gesicht abgewandt und nachgegeben. Du kannst ein Dus nicht in einen Mri verwandeln, hatte sie als letztes gesagt, und ich denke, daß du damit auch bei deinem Menschen keinen Erfolg haben wirst. Du wirst die Dinge nur qualvoll verzögern; du wirst ihn gegen uns bewaffnen und uns in Gefahr bringen. Aber versuche es wenn du dich fest entschlossen hast; mache einen Mri aus ihm, mache einen Mri aus ihm, oder wir müssen eines Tages etwas Grausames und Furchtbares tun.

»Duncan«, sagte Niun in die Dunkelheit und sah, wie sich Duncans lichtgebadetes Gesicht reagierend straffte. »Duncan.«

Augen gingen auf, Schattenbrunnen im matten Licht des Schirms. Langsam, als ob die Droge immer noch seine Sinne umwölkte, setzte sich der Mensch auf. Er war nackt bis zur Hüfte, und seine seltsame Behaarung bildete einen merkwürdigen Kontrast zu seinem Gesicht. Er beugte den Kopf auf die Knie und fuhr mit der Hand durch das unordentliche Haar. Dann wandte er den Blick Niun zu.

»Es ist eigentlich Zeit«, sagte Niun. »Du siehst nicht gut aus, Duncan.«

Der Mensch zuckte die Achseln, und Niun ersah daraus, daß seine Krankheit ebenso eine des Herzens war wie des Körpers. Das konnte er gut verstehen. »Es gibt Dinge, die getan werden müssen«, meinte Niun. »Du hast gesagt, daß sich Handelsgüter an Bord befinden.«

»Ja«, sagte Duncan, dessen Geister sich etwas hoben, als hätte er etwas Abscheulicheres gefürchtet. »Nahrung, Kleidung, Metalle, alles, was es auf der Station gab und was für den Mri-Handel vorgesehen war. Ich fand, daß es eigentlich euch gehört.«

»In erster Linie benötigst du Kleidung.«

Duncan überlegte und nickte zustimmend. Er war lange genug mit ihnen zusammengewesen, um zu wissen, daß sein nacktes Gesicht eine Beleidigung war, und vielleicht lang genug, um eine angemessene Scham zu empfinden. »Ich werde mich darum kümmern«, stimmte er zu.

»Mach das zuerst!« sagte Niun. »Bringe dann den Dusei etwas zu essen und uns beiden! Ich werde jedoch das Essen der She'pan zu ihr bringen.«

»In Ordnung«, sagte Duncan. Niun sah zu, wie sich der Mensch aufrappelte und in einen Bademantel hüllte – einen blauen, was die Farbe des Kath war, für einen Mann nicht angemessen. Niun überlegte, wie ungehörig das war, welch gewaltige und unschuldige Unterschiede es zwischen Mri und Mensch gab, und was er da auf sich genommen hatte. Er protestierte nicht gegen Duncans Bekleidung, noch nicht. Es gab andere und ernsthaftere Dinge.

Niun versuchte nicht, aufzustehen, nicht, bevor Duncan den Raum verlassen hatte, denn er wußte, daß es schwierig und beschämend sein würde. Mit Hilfe der Dusei schaffte er es und stand schwer atmend an die Wand gelehnt, bis ihn seine Beine tragen wollten. Er konnte nicht gegen den Menschen kämpfen und gewinnen, noch nicht: und Duncan wußte das, wußte es und lehnte es immer noch ab, den Zorn der Dusei zu riskieren oder einen Streit mit ihm oder seine Kenntnis des Schiffes dazu zu nutzen, ihnen eine Falle zu stellen und die Kontrolle zurückzugewinnen.

Und er hatte die Aufgabe übernommen, den Menschen zu zerstören.

Wenn er vergessen hat, daß er ein Mensch ist, hatte Melein gesagt, wenn er ein Mri geworden ist, dann will ich sein Gesicht sehen.

Duncan hatte dem zugestimmt. Niun war darüber bestürzt, wußte mit Sicherheit, daß er lieber gestorben wäre, als solche Bedingungen von Menschen zu akzeptieren. Wenn andere Dinge es nicht geschafft hatten, ihn zu töten, dann wäre es dabei geschehen, vom Herzen ausgehend.

Und eines Tages, wenn Duncan ein Mri geworden war, dann würde er nicht mehr fähig sein, sich zu beugen. Seine Ergebenheit war Tsi'mri und mußte zusammen mit allem anderen abgelegt werden: der naive, kindliche Mann, der sich ihnen angeschlossen hatte, würde nicht mehr existieren.

Niun dachte insgeheim, daß er den Mann vermissen würde, den sie gekannt hatten; und allein diese Erkenntnis ließ ihn sich unbehaglich fühlen, daß ein Tsi'mri seinen Verstand und sein Herz so erweicht haben sollte. Die schlimmsten Taten, sagte er sich, mußten sicherlich aus Unentschlossenheit hervorgehen, aus halbherzigem Tun. Melein hatte Angst vor dem gehabt, was er vorschlug, hatte sich dagegen ausgesprochen mit etwas, das – wie er verzweifelt hoffte – keine Voraussicht war. Sie hatte es ihm nicht verboten.

Behutsam ging er mit seinen erschöpften Beinen ins Bad und begutachtete dort die Dinge, die Duncan gehörten. Sie mußten verschwinden, die Kleidung, die persönlichen Dinge, alles: wenn er nicht mehr durch die Dinge, die ihn umgaben, an Menschen erinnert wurde, dann würde auch Duncan nicht mehr erinnert werden.

Und wenn es dem Menschen möglich war, sich zu ändern, dann war es am besten, es schnell herauszufinden. Neuformung war eine Sache, und eine andere war es, zu zerstören und nichts an seinem Platz zu lassen. Als Mri hatte Niun es nicht von seinen Meistern gelernt, grausam zu sein, sondern nur mitleidlos und ohne Wunsch nach Mitleid.

Er sammelte auf, was er von Duncans Sachen finden konnte, und brachte sie ins Labor, wo es, wie er wußte, einen Müllschacht gab: er warf sie hinein und fühlte einen Stich der Scham über das, was er tat; es schien ihm jedoch falsch zu sein, Duncan zu zwingen, das selbst zu machen, aufzugeben, worauf er Wert gelegt hatte – eine Erniedrigung des Mannes, und das würde er nicht tun.

Und als das erledigt war, blickte Niun sich im Labor um, sah das Schränkchen, aus dem Duncan seine Medikamente geholt hatte, und entschloß sich noch zu anderen Dingen.

Die Tür wollte seiner Hand nicht nachgeben, also zog er die Pistole und zerstörte das Schloß, und danach ging sie leicht auf. Ladung auf Ladung schleppte er Tsi'mri-Medizin und -Ausrüstung zum Müllschacht und warf sie hinein, während die Dusei dabeisaßen und mit ernsten und glitzernden Augen zuschauten.

Und plötzlich standen die Tiere alarmiert auf, scheuten zur Seite vor Duncans Gegenwart im Eingang.

Niun, die Hände voll mit den letzten Medikamenten, warf sie in den Schacht und stellte sich erst dann Duncans Zorn, der die Dusei bestürzt hatte und eine drohende Haltung einnehmen ließ.

»Diese Dinge sind überflüssig«, sagte er zu Duncan.

Dieser hatte versucht, sich als Mri zu kleiden: mit den Stiefeln und dem E'esin war er zurechtgekommen, mit dem inneren Gewand. Aber das Siga, das äußere, trug er lose, und den Schleier hielt er in der Hand – ihn anzubringen, hatte er noch nie leicht gefunden. Mit nacktem Gesicht zeigte er seine Angst, eine Verzweiflung, die verwundete.

»Du hast mich getötet«, sagte er mit dünner Stimme, und Niun spürte den Stich davon – in diesem Moment nicht von der Rechtschaffenheit seines Tuns überzeugt. Er vertraute darauf, daß der Mensch ihn nicht herausfordern würde, es nicht konnte. Die Dusei stöhnten und drängten sich in die Ecke. Unter ihrem Gewicht fiel ein Behälter krachend von einem Tisch.

»Wenn diese Medikamente dein Leben bedeuten«, sagte Niun, »dann kannst du nicht mit uns überleben. Aber du wirst überleben. Wir brauchen solche Dinge nicht, auch du nicht.«

Duncan verfluchte ihn. Niun versteifte sich, widerstand strikt solcher Tsi'mri-Wut und lehnte es ab, sich provozieren zu lassen.

»Sieh ein«, sagte Niun, »daß du zugestimmt hast! Dies ist ein Mri-Schiff, Kel Duncan. Du wirst lernen, ein Mri zu sein, wie es ein Kind des Kath lernt. Ich weiß keinen anderen Weg, als dich zu lehren, wie ich gelehrt wurde. Wenn du das nicht willst, werde ich gegen dich kämpfen. Aber begreife, wie es alle Mri tun, die dem Kel beitreten, daß das Kel-Gesetz vom Ältesten über den Geringeren zum Letzten arbeitet. Du wirst verwundet werden, bevor du fertig bist; so ist es einst auch mir geschehen. Und wenn du es in dir hast, ein Kel'en zu sein, wirst du überleben. Das ist, was meine Meister im Kel mir einst sagten, als ich das Alter erreichte, um dem Kel beizutreten. Ich habe gesehen, wie zwölf von meinem Kel nicht überlebten, niemals die Seta'al erhielten, die Narben der Kaste. Es ist möglich, daß du nicht überlebst. Es ist möglich, daß du nicht werden kannst, was ich bin. Aber wenn ich davon überzeugt wäre, daß du es nicht kannst, dann hätte ich nicht getan, was ich getan habe.«

Der Mensch beruhigte sich. Die Dusei schnauften laut und wiegten sich, immer noch unruhig. Aber Duncans Gesicht nahm einen ruhigen, unbesorgten Ausdruck an, das mehr dem Mann entsprach, den sie kannten.

»In Ordnung«, sagte er. »Aber, Niun, ich brauche diese Medikamente. Ich brauche sie.«

Furcht. Niun spürte sie immer noch im Raum.

Und er machte sich Sorgen, nachdem Duncan gegangen war, ob er wirklich einen Mord begangen hatte. Er hatte als Mri gedacht und vergessen, daß fremdes Fleisch vielleicht wirklich nicht zu dem in der Lage war, was Mri möglich fanden.

Und war es dann falsch, daß Fremde brauchten, was das Mri-Gesetz verbot?

Das war kein Kel-Gedanke, und für seine Kaste war es nicht richtig, ihn zu denken oder Fragen zu stellen. Er wagte es nicht einmal, es im geheimen Melein zu überbringen, wußte, daß dieser Gedanke zu hoch für ihn war und respektlos gegenüber einer jungen und weniger als sicheren She'pan, selbst von ihrem Kel'anth, dem Ältesten des Kel – soweit sie eines hatte.

Er hoffte verzweifelt, Duncan nicht getötet zu haben.

Und mit diesem Gedanken erkannte er deutlich, daß er Duncan am Leben haben wollte, nicht allein der Richtigkeit wegen, sondern weil nur zwei eine verlassene Art von Haus darstellten und weil die Stille in der Halle des Kel sehr tief und sehr lang werden konnte.

Er rief die Dusei zu sich, besänftigte sie mit seinen Händen und seiner Stimme und ging, um herauszufinden, wohin Duncan gegangen war.