EPILOG

 

MIT STERNEN AN DEN HIMMEL GESCHRIEBEN 

 

Dich habe ich geliebt, deshalb zog ich diese

Männerfluten an mich und schrieb mit Sternen 

meinen Willen droben an den Himmel

 

T. E. LAWRENCE

 

 

Der Rauch stieg in einer trägen Spirale auf und zeichnete feine schwarze Linien an den klaren Himmel. Jace saß allein auf dem Hügel oberhalb des Friedhofs, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und beobachtete die nach oben steigenden Schwaden. Welch eine Ironie des Schicksals: Das war alles, was von seinem Vater übrig geblieben war. 

Von seinem Platz aus konnte er die von Flammen und Qualm umgebene Totenbahre sehen und die kleine Gruppe von Trauergästen, die sich darum versammelt hatte. Jocelyn erkannte er sofort an ihren leuchtend roten Haaren; neben ihr stand Luke, eine Hand auf ihrer Schulter. Jocelyn hatte den Kopf abgewandt, fort von dem brennenden Scheiterhaufen. 

Jace hätte zu dieser Gruppe gehören können, wenn er es gewollt hätte. Er war am Morgen aus dem Krankenhaus entlassen worden, wo er die letzten Tage verbracht hatte, und hatte sich sofort auf den Weg zur Einäscherung gemacht. Doch als er sich dem Scheiterhaufen näherte - einem Stapel entrindeter Baumstämme, so weiß wie Knochen -, war ihm schlagartig bewusst geworden, dass er keinen Schritt weitergehen konnte. Er hatte auf dem Absatz kehrtgemacht und war den Hügel hinaufgeklettert, statt dem Trauerzug zu folgen. Luke hatte ihm noch nachgerufen, doch Jace hatte sich nicht mehr umgedreht. 

Schweigend hatte er vom Hügel zugesehen, wie sich die Trauergemeinde um die Totenbahre versammelte und wie Patrick Penhallow in seiner pergamentweißen Robe den Holzstapel mit einer Fackel entzündete. Es war das zweite Mal innerhalb einer Woche, dass Jace einer Einäscherung beiwohnte, aber im Gegensatz zu Max’ herzzerreißend kleiner Kinderleiche waren Valentins sterbliche Überreste - selbst flach auf dem Rücken liegend, mit verschränkten Armen vor der Brust und einer Seraphklinge in der Faust - überraschend groß. Wie es die Tradition verlangte, hatte man ihm die Augen mit einem weißen Seidenband für immer geschlossen und auch sonst alle Riten beachtet - trotz allem, was Valentin getan hatte, überlegte Jace. 

Sebastian hatte man dagegen nicht bestattet. Eine Gruppe Schattenjäger war zum Tal aufgebrochen, hatte seinen Leichnam aber nicht finden können - vermutlich war er vom Fluss fortgespült worden, hatte man Jace erzählt, doch er war sich dessen nicht so sicher. 

Jace hielt in der Menge um die Totenbahre nach Clary Ausschau, konnte sie aber nirgends entdecken. Seit den Ereignissen am See vor zwei Tagen hatte er sie nicht mehr gesehen und er vermisste sie mit jeder Faser seines Körpers. Es war nicht ihre Schuld, dass sie sich danach nicht gesprochen hatten: In jener Nacht am See hatte sie zu Recht befürchtet, dass er für einen Portaltransport nach Alicante zu schwach war. Als die ersten Schattenjäger bei ihnen eintrafen, hatte er sich bereits in einem komaartigen Dämmerzustand befunden. Erst am nächsten Tag war er im Krankenhaus aufgewacht, mit Magnus Bane an seinem Bett, der ihn mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck musterte - allerdings ließ sich bei dem Hexenmeister nur schwer sagen, ob es sich um tiefe Besorgnis oder reine Neugier handelte. Magnus erzählte ihm, dass der Erzengel Jace zwar körperlich geheilt hatte, aber dass sein Geist und sein Verstand derart erschöpft waren, dass nur noch ausgiebige Bettruhe half. Jedenfalls fühlte Jace sich nun deutlich besser - gerade noch rechtzeitig für die Bestattung. 

Nach einer Weile kam Wind auf und blies den Rauch fort. In der Ferne konnte Jace die schimmernden Türme Alicantes erkennen, deren Kräfte vollständig wiederhergestellt waren. Er war sich nicht sicher, was er sich davon versprach, hier oben zu sitzen und die Einäscherung seines Vaters zu beobachten - oder was er möglicherweise gesagt hätte, wenn er bei der Trauergemeinde geblieben wäre und ihre letzten Worte an Valentin mit angehört hätte. Du warst nie mein richtiger Vater,hätte er vielleicht gesagt oder Du warst der einzige Vater, den ich je gekannt habe. Beide Aussagen trafen gleichermaßen zu, auch wenn sie sich gegenseitig zu widersprechen schienen. 

Als Jace am See die Augen aufgeschlagen hatte - im Wissen, dass er tot gewesen, nun aber wieder unter die Lebenden zurückgekehrt war -, konnte er nur an einen Menschen denken: Clary, die wenige Meter von ihm mit geschlossenen Augen im blutüberströmten Sand lag. Von plötzlicher Panik erfüllt war er zu ihr gekrochen, in der Annahme, dass sie verletzt oder vielleicht sogar tot war. Und als sie dann die Augen geöffnet hatte, war er nur von einem Gedanken beherrscht gewesen: Sie lebte! Erst viel später, als andere Schattenjäger ihm auf die Beine halfen und ihre Verwunderung über die Szenerie gar nicht fassen konnten, sah er Valentins Leichnam zusammengekrümmt am Seeufer liegen, und die Erkenntnis, dass er wirklich tot war, traf ihn wie ein Faustschlag in den Magen. Jace hatte sich zwar gewünscht, dass Valentin tot war - er hätte ihn schließlich selbst gern töten wollen -, doch der Anblick seiner sterblichen Überreste schmerzte ihn trotz allem sehr. Clary hatte ihn mit traurigen Augen angesehen und in dem Moment hatte er gewusst, dass sie trotz ihres Hasses auf Valentin - zu dem sie allen Grund besaß - dennoch Jace’ Verlust spürte. 

Langsam schloss Jace die Augen und eine Flut von Bildern zeichnete sich auf der Innenseite seiner Lider ab: Valentin, der ihn schwungvoll aus dem Gras hochhob und in die Arme nahm; Valentin, der ihn im Bug eines Kanus festhielt und ihm zeigte, wie man das Boot im Gleichgewicht hielt. Aber auch andere, düstere Erinnerungen kehrten zurück: Valentins Hand, die ihm ins Gesicht schlug; ein toter Falke; der in Ketten geschlagene Engel im Keller des Wayland-Herrensitzes. 

»Jace.«

Überrascht schaute Jace auf. Vor ihm stand Luke, eine schwarze Silhouette vor der blendenden Sonne. Er trug eine Jeans und sein übliches Karohemd - keine Zugeständnisse an die traditionelle weiße Trauerkleidung. 

»Die Zeremonie ist vorbei«, erklärte Luke. »Das Ganze ging ziemlich schnell über die Bühne.« 

»Kann ich mir vorstellen.« Jace grub die Finger in das Gras neben seinen Beinen und begrüßte den Schmerz, den die Erde und die Steine unter seinen Fingernägeln verursachten. »Hat irgendjemand etwas gesagt?« 

»Nur die üblichen Worte.« Bedächtig ließ Luke sich neben Jace auf dem Boden nieder und zuckte dabei leicht zusammen. Jace hatte ihn nicht gefragt, wie die Schlacht verlaufen war - er hatte es gar nicht hören wollen. Ihm reichte das Wissen, dass der Kampf schneller vorüber gewesen war, als alle erwartet hatten: Nach Valentins Tod waren die von ihm heraufbeschworenen Dämonen schlagartig geflohen und aus dieser Welt verschwunden wie Nebel in der Sonne. Doch das bedeutete nicht, dass es keine Toten zu beklagen gab. Valentins Leichnam war nicht der einzige Leichnam, den man in den vergangenen Tagen in Alicante verbrannt hatte. 

»Und Clary war nicht… ich meine, sie ist nicht…« 

»Zum Begräbnis gekommen? Nein. Sie wollte nicht.« Jace spürte, dass Luke ihm einen Seitenblick zuwarf. »Hast du sie denn nicht mehr gesehen? Nicht seit…« 

»Nein, seit den Ereignissen am See nicht mehr«, erklärte Jace. »Ich bin erst heute Morgen aus dem Krankenhaus entlassen worden und musste einfach hierherkommen.« 

»Das hättest du nicht tun müssen«, erwiderte Luke. »Du hättest auch fortbleiben können.« 

»Ich wollte es aber«, räumte Jace ein. »Was immer das auch über mich aussagen mag.« 

»Beerdigungen sind für die Lebenden, Jace, nicht für die Toten. Valentin war eher dein Vater als Clarys, auch wenn ihr beide nicht miteinander verwandt wart. Du bist derjenige, der sich verabschieden muss … derjenige, der ihn vermissen wird.« 

»Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn vermissen darf.« 

»Stephen Herondale hast du nie kennengelernt und zu Robert Lightwood bist du erst gekommen, als du den Kinderschuhen schon fast entwachsen warst«, sagte Luke. »Valentin war der Vater deiner Kindheit. Er sollte dir fehlen.« 

»Ich muss ständig an Hodge denken«, überlegte Jace laut. »Oben in der Garnison hab ich ihn wieder und wieder gefragt, warum er mir nie gesagt hat, wer ich wirklich bin. Damals hab ich noch geglaubt, ich hätte Dämonenblut in meinen Adern. Und Hodge hat darauf geantwortet, er hätte nichts gesagt, weil er es nicht gewusst hätte - was ich für eine Lüge hielt. Doch jetzt denke ich, dass er es ernst gemeint hat. Er war einer der wenigen Menschen, die überhaupt von der Existenz des Herondale-Babys wussten, davon, dass es lebte. Und als ich Jahre später im Institut auftauchte, hatte er keine Ahnung, welchen Sohn Valentin ihm geschickt hatte. Den leiblichen oder den adoptierten. Schließlich hätte ich beides sein können - Dämon oder Engel. Und ich glaube, es ist ihm erst klar geworden, als er Jonathan in der Garnison sah. Das heißt also, dass er all die Jahre lang sein Bestes getan hat, um mich zu erziehen - zumindest so lange, bis Valentin wieder aufkreuzte. Das muss ein ziemliches Gottvertrauen erfordert haben, meinst du nicht?« 

»Stimmt«, bestätigte Luke. 

»Hodge meinte, er hätte gehofft, dass die Erziehung möglicherweise die entscheidende Rolle spielte - ganz gleich welches Blut auch in meinen Adern floss. Daran muss ich immer wieder denken: Wenn ich bei Valentin geblieben wäre … wenn er mich nicht zu den Lightwoods geschickt hätte, wäre ich dann genauso geworden wie Jonathan? Wäre das der Mensch, der ich jetzt wäre?« 

»Spielt das denn eine Rolle?«, fragte Luke. »Du bist, wer du bist - und zwar aus einem ganz bestimmten Grund. Und wenn du mich fragst, hat Valentin dich zu den Lightwoods geschickt, weil er wusste, dass das für dich das Beste war. Sicher, möglicherweise hatte er auch andere Gründe. Aber du kommst nicht um die Tatsache herum, dass er dich zu Menschen geschickt hat, von denen er wusste, dass sie dich lieben und liebevoll erziehen würden. Möglicherweise war dies das Einzige, was er jemals für einen anderen Menschen getan hat.« Luke klopfte Jace aufmunternd auf die Schulter - eine solch väterliche Geste, dass Jace fast grinsen musste. »Wenn ich du wäre, würde ich das niemals vergessen.« 

Clary schaute aus Isabelles Fenster und beobachtete den Rauch, der den Himmel über Alicante mit Schlieren überzog, wie eine schmierige Hand auf einer Glasscheibe. Sie wusste, dass in dieser Stunde Valentin verbrannt, dass ihr eigener Vater eingeäschert wurde, draußen in der Nekropole vor den Toren der Stadt. 

»Du weißt doch von dem Fest heute Abend, oder?«, hörte Clary in dem Moment Isabelles Stimme. Die junge Schattenjägerin stand hinter ihr und hielt zwei Kleider hoch, ein blaues und ein stahlgraues. »Was meinst du, welches soll ich anziehen?«, fragte sie. 

Für Isabelle würde Kleidung immer wie eine Therapie wirken, dachte Clary und zeigte auf das linke Kleid: »Das blaue.« 

Sorgfältig legte Isabelle die beiden Kleider auf das Bett. »Und was willst du tragen? Du kommst doch zu dem Fest, oder?« 

Clary dachte an das silberfarbene Seidenkleid auf dem Boden von Amatis’ Truhe, an den federleichten Stoff mit den feinen Trägern; aber wahrscheinlich würde Amatis es ihr niemals leihen. »Keine Ahnung«, erklärte sie. »Vermutlich Jeans und T-Shirt und darüber meinen grünen Umhang.« 

»Wie langweilig«, schnaubte Isabelle und warf Aline einen Blick zu, die in einem Sessel neben dem Bett saß und las. »Findest du das nicht auch furchtbar langweilig?« 

»Ich finde, du solltest Clary tragen lassen, was sie will.« Aline schaute nicht einmal von ihrem Buch auf. »Außerdem ist es ja nicht so, als würde sie sich für jemand Besonderen zurechtmachen.« 

»Sie macht sich für Jace zurecht!«, erwiderte Isabelle, als wäre es das Naheliegendste der Welt. »Und dazu hat sie auch allen Grund.« 

Verwirrt blickte Aline auf, blinzelte ein paarmal und lächelte dann. »Oh ja, stimmt. Das vergesse ich immer wieder. Muss doch merkwürdig sein zu wissen, dass er nicht dein Bruder ist, oder?«, wandte sie sich an Clary. 

»Nein, überhaupt nicht«, erklärte Clary mit fester Stimme. »Die Vorstellung, er sei mein Bruder, war merkwürdig. Aber das hier fühlt sich … fühlt sich richtig an.« Sie drehte sich wieder zum Fenster. »Allerdings hab ich ihn danach nicht mehr gesehen - nicht seitdem wir wieder in Alicante sind.« 

»Eigenartig«, sagte Aline. 

»Das ist überhaupt nicht eigenartig«, widersprach Isabelle und warf Aline einen bedeutungsschwangeren Blick zu, den diese aber nicht zu bemerken schien. »Jace war im Krankenhaus und ist erst heute entlassen worden.« 

»Und dann ist er nicht direkt zu dir gekommen?«, fragte Aline Clary. 

»Er konnte nicht«, sagte Clary. »Er musste zu Valentins Beerdigung. Das ist doch wohl selbstverständlich.« 

»Ja, vielleicht«, erwiderte Aline unbekümmert. »Aber vielleicht interessiert er sich auch nicht mehr für dich. Jetzt, da es nichts Verbotenes mehr ist. Manche Leute wollen nur das, was sie nicht haben können.« 

»Jace aber nicht«, warf Isabelle rasch ein. »So ist er nicht.« 

Aline stand auf und ließ das Buch auf das Bett fallen. »Ich sollte mich langsam mal umziehen. Wir sehen uns nachher?«, fragte sie und spazierte, ohne eine Antwort abzuwarten, summend aus dem Zimmer. 

Kopfschüttelnd schaute Isabelle ihr nach. »Glaubst du, sie mag dich nicht?«, fragte sie. »Vielleicht ist sie ja eifersüchtig - eine Weile schien sie zumindest an Jace interessiert zu sein.« 

»Ha!«, stieß Clary hervor, einen kurzen Moment amüsiert. »Nein, sie interessiert sich nicht für Jace. Ich denke, sie gehört einfach nur zu der Sorte von Leuten, die mit allem herausplatzen, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Und möglicherweise hat sie ja sogar recht.« 

Isabelle zog eine lange Haarnadel aus ihrem Knoten und ließ die Haare auf die Schultern herabfallen, während sie den Raum durchquerte und sich neben Clary ans Fenster stellte. Der Himmel hatte sich inzwischen gelichtet und der Rauch war verschwunden. »Glaubst du denn, dass sie recht hat?«, fragte sie. 

»Ich weiß es nicht. Vermutlich muss ich das Jace fragen. Ich schätze, ich sehe ihn heute Abend bei der Party … bei der Siegesfeier oder wie das auch immer heißt.« Clary wandte sich Isabelle zu. »Hast du eine Ahnung, was da genau passieren wird?« 

»Na ja, auf jeden Fall wird eine Parade stattfinden und vermutlich auch ein Feuerwerk«, erklärte Isabelle. »Außerdem Musik, Tanz, Spiele, diese Sorte von Vergnügungen. Wie eine große Straßenparty in New York.« Mit einem wehmütigen Ausdruck in den Augen schaute sie aus dem Fenster. »Max hätte das geliebt.« 

Vorsichtig streckte Clary eine Hand aus und strich Isabelle übers Haar, so wie sie einer Schwester über die Haare gestrichen hätte. »Ich weiß. Das hätte er ganz bestimmt.« 

 

Jace musste zweimal an der Tür des alten Kanalhauses klopfen, ehe er eilige Schritte hörte, die durch den Flur zum Eingang hasteten. Sein Herz machte einen Satz, beruhigte sich aber, als die Tür geöffnet wurde und Amatis Herondale vor ihm stand und ihn erstaunt musterte. Sie sah aus, als wollte sie sich gerade für die Feierlichkeiten umziehen: Sie trug ein bodenlanges taubengraues Kleid und helle Metallohrringe, die die silbernen Strähnen in ihrem Haar gut zur Geltung kommen ließen. »Hallo, Jace«, sagte sie und schaute ihn fragend an. 

»Clary«, setzte Jace an, verstummte dann aber, da er sich nicht sicher war, was er sagen sollte. Wohin war nur seine Redegewandtheit verschwunden? Die war ihm eigentlich immer geblieben, auch wenn er sonst nichts mehr besaß; doch jetzt kam er sich vor, als hätte man ihn aufgeschlitzt und als wären sämtliche klugen, eloquenten Worte aus ihm herausgepurzelt. »Ich … ich hab mich gefragt, ob Clary vielleicht hier ist«, stammelte er. »Ich wollte mit ihr sprechen.« 

Bedauernd schüttelte Amatis den Kopf. Der fragende Ausdruck auf ihrem Gesicht war verschwunden und sie musterte ihn nun so eingehend, dass Jace nervös wurde. »Nein, sie ist nicht hier. Ich glaube, sie ist bei den Lightwoods.« 

»Oh.« Jace war überrascht, wie sehr ihn diese Antwort enttäuschte. »Tut mir leid für die Störung.« 

»Du hast mich nicht gestört. Genau genommen bin ich sogar froh, dich zu sehen«, erwiderte Amatis lebhaft. »Da gibt es nämlich etwas, das ich mit dir besprechen wollte. Komm rein, ich bin gleich wieder da.« 

Während Amatis im Flur verschwand, trat Jace ein und fragte sich, worüber um alles in der Welt sie wohl mit ihm reden wollte. Vielleicht war Clary ja zu dem Schluss gekommen, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, und überließ es nun Amatis, ihm diese Nachricht zu übermitteln. 

Eine Sekunde später kehrte Amatis wieder zurück. Zu Jace’ Erleichterung hielt sie allerdings keinen Brief oder etwas Derartiges in der Hand, sondern ein kleines, elegantes Metallkästchen mit einem zierlichen Vogelrelief. »Jace«, setzte Amatis feierlich an. »Luke hat mir erzählt, dass du Stephens … dass Stephen Herondale dein Vater war. Er hat mir erzählt, was passiert ist.« 

Jace nickte - mehr bedurfte es seiner Ansicht nach nicht. Die Neuigkeit verbreitete sich nur langsam und das kam ihm gerade recht. Hoffentlich war er wieder zurück in New York, bevor ganz Idris davon wusste und jeder ihn neugierig anstarren würde. 

»Du weißt ja, dass ich Stephens Frau war, ehe er deine Mutter geheiratet hat«, fuhr Amatis mit angespannter Stimme fort, als würden die Worte sie schmerzen. Jace starrte sie sprachlos an. Wollte sie mit ihm über seine Mutter reden? Verübelte sie ihm etwa, dass er schlimme Erinnerungen an eine Frau weckte, die gestorben war, noch bevor er das Licht der Welt erblickt hatte? »Von allen noch lebenden Menschen habe ich deinen Vater vermutlich am besten gekannt«, fügte Amatis hinzu. 

»Ja«, murmelte Jace und wünschte sich ganz weit weg. »Ich bin mir sicher, da hast du recht.« 

»Ich weiß, dass du ihm gegenüber wahrscheinlich gemischte Gefühle empfindest«, überraschte sie ihn, weil sie damit den Nagel auf den Kopf traf. »Du hast ihn ja nie kennengelernt und er war auch nicht der Mann, der dich großgezogen hat, aber du siehst genau so aus wie er - bis auf die Augen. Die hast du von deiner Mutter. Und vielleicht bin ich ja ein wenig verrückt, dass ich dich mit alldem hier belästige. Vielleicht willst du ja gar nichts über Stephen erfahren. Aber er war nun mal dein Vater, und wenn er dich gekannt hätte…«Abrupt hielt Amatis Jace das Metallkästchen entgegen, so ruckartig, dass er fast einen Satz zurück gemacht hätte. »Hier drin sind ein paar Sachen von ihm, die ich über die Jahre aufbewahrt habe. Briefe, Fotos, ein Familienstammbaum. Sein Elbenlichtstein. Und vielleicht hast du ja im Moment noch keine Fragen, aber wenn eines Tages doch welche auftauchen sollten, dann … dann hast du zumindest dieses Kästchen.« Sie stand vollkommen reglos da und bot ihm das Kästchen wie einen kostbaren Schatz an. Wortlos nahm Jace es entgegen; das Kästchen war schwer und das Metall fühlte sich kalt auf seiner Haut an. 

»Danke«, sagte er - zu mehr fühlte er sich nicht in der Lage. Doch nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Da wäre noch eine Sache. Etwas, das ich mich die ganze Zeit gefragt habe.« 

»Ja?« 

»Wenn Stephen mein Vater war, dann war die Inquisitorin - Imogen - meine Großmutter, richtig?« 

»Ja, das war sie. Sie war eine …«Amatis schwieg einen Moment. »Eine sehr schwierige Frau. Aber sie war deine Großmutter.« 

»Sie hat mir das Leben gerettet«, sagte Jace. »Eine ganze Weile hat sie zwar so getan, als würde sie mich abgrundtief hassen. Aber dann hat sie das hier gesehen.« Er zog den Kragen seines Hemdes beiseite und zeigte Amatis die weiße sternförmige Narbe auf seiner Schulter. »Und daraufhin hat sie mir das Leben gerettet. Aber ich verstehe nicht, welche Bedeutung die Narbe für sie gehabt haben könnte.« 

Amatis musterte ihn aus großen Augen. »Du erinnerst dich nicht daran, wie du dir diese Narbe zugezogen hast, oder?« 

Jace schüttelte den Kopf. »Valentin hat mir erzählt, sie stamme von einer Verletzung, als ich noch ganz klein gewesen war, aber jetzt… habe ich Zweifel, ob ich das glauben soll.« 

»Das da ist keine Narbe, sondern ein Muttermal - ein Muttermal, um das sich eine alte Familienlegende rankt: Es heißt, einem der ersten Herondales, die zu Schattenjägern gemacht wurden, sei im Traum ein Engel erschienen. Der Engel habe ihn an der Schulter berührt und nach dem Aufwachen habe der Mann dieses Mal auf seiner Haut entdeckt, das auch sämtliche seiner Nachfahren nun tragen.« Amatis zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, ob an der Geschichte etwas Wahres ist, aber alle Herondales haben dieses Muttermal. Auch dein Vater hatte eines … hier oben.« Sie berührte eine Stelle auf ihrem linken Oberarm. »Es heißt, das Mal bedeute, dass du Kontakt zu einem Engel gehabt hast. Dass du irgendwie gesegnet wärst. Imogen muss das Mal gesehen und erkannt haben, wer du wirklich bist.« 

Jace blickte in Amatis’ Richtung, schaute aber eigentlich durch sie hindurch: Er erinnerte sich wieder an die Nacht auf Valentins Schiff, an das feuchte schwarze Deck und an die Inquisitorin, die zu seinen Füßen starb. »Sie hat irgendetwas zu mir gesagt«, murmelte er, »während sie im Sterben lag. Sie sagte: >Dein Vater wäre stolz auf dich.< Damals hielt ich das für eine bösartige Bemerkung. Ich dachte, sie würde Valentin meinen …« 

Amatis schüttelte den Kopf. »Sie hat Stephen gemeint«, erklärte sie leise. »Und sie hatte recht. Er wäre stolz auf dich gewesen.« Clary drückte die Haustür auf und dachte darüber nach, wie vertraut ihr Amatis’ Heim geworden war. Sie musste nicht länger über die verschiedenen Wege im Haus nachdenken oder darüber, wie sie den klemmenden Türknauf zu drehen hatte, damit die Tür aufsprang. Auch der Anblick der glitzernden Sonne auf dem Kanal und die Aussicht über Alicante waren ihr vertraut und sie konnte sich fast vorstellen, hier zu leben, für immer in Idris zu bleiben. Allerdings fragte sie sich, was sie wohl als Erstes vermissen würde. Den chinesischen Schnellimbiss? Das Kino? Oder den Comicladen? 

Sie wollte gerade die Treppe hinaufgehen, als sie die Stimme ihrer Mutter aus dem Wohnzimmer hörte - sie klang schroff und angespannt. Aber was konnte Jocelyn derart verärgert haben? Eigentlich war doch jetzt alles in bester Ordnung, oder etwa nicht? Ohne lange nachzudenken, lehnte Clary sich gegen die Wand in der Nähe der Wohnzimmertür und hörte zu. 

»Was meinst du mit >ich bleibe hier<?«, fragte Jocelyn. »Soll das heißen, du kommst nicht nach New York zurück?« 

»Man hat mich gefragt, ob ich nicht in Alicante bleiben und die Werwölfe in der Kongregation vertreten will«, erklärte Luke. »Ich habe den Ratsmitgliedern gesagt, ich würde ihnen meine Entscheidung heute Abend mitteilen.« 

»Aber kann das denn nicht jemand anderes machen? Einer der Anführer der hiesigen Rudel?« 

»Ich bin der einzige Leitwolf, der früher einmal ein Schattenjäger war. Deshalb wollen sie mich auf diesem Posten.« Luke seufzte. »Ich habe all das hier angefangen, Jocelyn, jetzt sollte ich auch hierbleiben und es zu Ende bringen.« 

Es entstand eine kurze Stille, doch schließlich räusperte Jocelyn sich. »Wenn du das so siehst, solltest du natürlich bleiben«, sagte sie, aber in ihrer Stimme schwang Unsicherheit mit. 

»Ich müsste natürlich zuerst die Buchhandlung verkaufen … meine Sachen in Ordnung bringen.« Lukes Stimme klang rau. »Es ist ja nicht so, als ob ich gleich morgen umziehen würde.« 

»Darum könnte ich mich kümmern. Nach allem, was du getan hast…« Jocelyn schien nicht mehr die Kraft zu besitzen, weiterhin einen heiteren Ton anzuschlagen, und verstummte. Stille breitete sich im Raum aus - eine Stille, die so lange andauerte, dass Clary bereits überlegte, sich laut zu räuspern und das Wohnzimmer zu betreten, um Luke und Jocelyn über ihre Anwesenheit zu informieren. 

Doch eine Sekunde später war sie froh, dass sie gewartet hatte. »Hör zu«, setzte Luke an, »ich möchte dir etwas sagen - etwas, das ich dir schon vor langer Zeit sagen wollte, wozu ich aber nie den Mut hatte. Ich wusste, es würde keinen Unterschied machen, weil ich nun mal so bin, wie ich bin. Du hast nie gewollt, dass diese Welt ein Teil von Clarys Leben wird, aber jetzt weiß sie davon und daher spielt es vermutlich keine Rolle mehr. Und deshalb kann ich es dir jetzt ebenso gut auch sagen: Ich liebe dich, Jocelyn. Ich liebe dich seit zwanzig Jahren.« Er schwieg einen Moment und Clary spitzte die Ohren, um die Antwort ihrer Mutter nicht zu verpassen, doch Jocelyn blieb stumm. Schließlich fuhr Luke mit schwerer Stimme fort: »Ich muss zurück zur Halle und der Kongregation mitteilen, dass ich hierbleiben werde. Hör zu, Jocelyn, wir brauchen über dieses Thema nie wieder zu reden, aber ich fühle mich einfach besser, jetzt, da ich es nach all den Jahren endlich ausgesprochen habe.« 

Clary drückte sich flach gegen die Wand, als Luke eine Sekunde später mit gesenktem Kopf aus dem Wohnzimmer kam und an ihr vorbeistürmte, scheinbar ohne sie überhaupt wahrzunehmen. Mit einem Ruck riss er die Haustür auf, blieb einen Augenblick blinzelnd in der Sonne stehen, deren Strahlen vom Kanalwasser reflektiert wurden, und war im nächsten Moment verschwunden, während die Tür hinter ihm krachend ins Schloss fiel. 

Clary blieb wie angewurzelt stehen, den Rücken flach an die Wand gepresst. Das Ganze tat ihr furchtbar leid, sowohl für Luke als auch für ihre Mutter. Anscheinend erwiderte Jocelyn Lukes Gefühle nicht und vielleicht würde sie das auch niemals können. Es war genau wie bei ihr und Simon - nur mit dem Unterschied, dass Clary keine Möglichkeit sah, wie Luke und ihre Mutter wenigstens ihre Freundschaft retten konnten. Nicht, wenn Luke hier in Idris bleiben würde. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie wollte sich gerade von der Wand abdrücken und ins Wohnzimmer gehen, als sie hörte, wie die Küchentür geöffnet wurde und eine weitere Stimme erklang, eine müde und leicht resignierte Stimme: Amatis. 

»Tut mir leid, dass ich euer Gespräch mitbekommen habe, aber ich bin froh, dass Lucian bleibt«, sagte sie. »Nicht nur, weil er dann in meiner Nähe ist, sondern, weil es ihm die Chance bietet, über dich hinwegzukommen.« 

Jocelyn versuchte, sich zu verteidigen: »Amatis, ich …« 

»Es ist so viel Zeit vergangen, Jocelyn«, fuhr Amatis unbeirrt fort. »Wenn du ihn nicht liebst, solltest du ihn gehen lassen.« 

Jocelyn schwieg. Clary wünschte, sie könnte den Gesichtsausdruck ihrer Mutter sehen. Wirkte sie traurig? Wütend? Resigniert? 

Doch in dem Moment stieß Amatis erstaunt hervor: »Es sei denn … du liebst ihn doch?!« 

»Amatis, ich kann nicht…« 

»Du liebst ihn! Du liebst ihn ja doch!« Ein lautes Geräusch ertönte, als hätte Amatis in die Hände geklatscht. »Ich wusste es! Ich habe es immer gewusst!« 

»Aber es spielt keine Rolle«, erwiderte Jocelyn müde. »Es wäre Luke gegenüber nicht fair.« 

»Komm mir doch nicht mit so einem Unsinn!« Ein lautes Rascheln drang durch die Wohnzimmertür und Jocelyn protestierte unterdrückt. Clary fragte sich, ob Amatis ihre Mutter vielleicht bei den Schultern gepackt hatte. »Wenn du ihn liebst«, rief Amatis, »dann gehst du ihm nach und sagst es ihm! Jetzt sofort, noch bevor er mit der Kongregation sprechen kann.« 

»Aber sie wollen ihn doch als Repräsentanten der Werwölfe! Und er will es auch …« 

»Das Einzige, was Lucian will, bist du«, entgegnete Amatis mit fester Stimme. »Du und Clary. Etwas anderes hat er nie gewollt. Und jetzt lauf!« 

Bevor Clary sich auch nur rühren konnte, kam Jocelyn bereits in den Flur gestürmt, auf dem Weg zur Haustür. Doch als sie ihre Tochter bemerkte, blieb sie abrupt stehen und starrte sie überrascht an. 

»Clary!« Jocelyn klang, als bemühte sie sich um eine fröhliche, heitere Note, doch sie versagte kläglich. »Ich hab gar nicht gewusst, dass du hier bist.« 

Clary drückte sich von der Wand ab, packte den Knauf der Haustür und riss sie weit auf. Strahlendes Sonnenlicht fiel in den Flur. Jocelyn stand wie angewurzelt im hellen Schein und musterte blinzelnd ihre Tochter. 

»Wenn du Luke nicht sofort nachläufst, dann muss ich dich leider persönlich umbringen«, sagte Clary mit klarer und deutlicher Stimme. 

Einen Moment lang wirkte Jocelyn verwirrt, doch dann lächelte sie. »Tja, wenn du es so formulierst…«, sagte sie. 

Eine Sekunde später war sie bereits aus dem Haus und lief den Kanal entlang in Richtung Abkommenshalle. Langsam schloss Clary die Tür hinter ihr und lehnte sich dagegen. 

Amatis kam aus dem Wohnzimmer, marschierte zum Flurfenster und drückte die Nase neugierig gegen die Scheibe. »Denkst du, sie schafft es, ihn einzuholen, ehe er die Halle erreicht?« 

»Meine Mutter hat ihr halbes Leben damit verbracht, mir hinterherzurennen«, erklärte Clary. »Sie ist verdammt schnell.« 

Amatis warf Clary einen Blick zu und lächelte. »Ach, da fällt mir ein … Jace war eben hier; er wollte mit dir reden. Ich glaube, er hofft, dich nachher bei der Siegesfeier zu sehen.« 

»Wirklich?«, erwiderte Clary nachdenklich. Vielleicht sollte ich sie doch fragen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. »Amatis«, setzte sie an und Lukes Schwester wandte sich vom Fenster ab und sah sie neugierig an. 

»Ja? Was denn?« 

»Du hast doch dieses silberfarbene Kleid in deiner Truhe«, sagte Clary. »Würdest du es mir vielleicht leihen?« Die Straßen der Stadt füllten sich bereits mit den ersten Feiernden, als Clary zum Haus der Lightwoods aufbrach. Kurz zuvor hatte die Abenddämmerung eingesetzt und die Straßenlaternen erleuchteten die Gassen mit ihrem rosafarbenen Schein. Weiße Blüten ergossen sich von den Blumenkörben an den Fensterbänken und gaben ihren aromatischen Duft an die ungewöhnlich milde Abendluft ab. An jeder Haustür, die Clary passierte, brannten dunkelgoldfarbene Feuerrunen, die von Triumph und Freudenfesten erzählten. 

Zahlreiche Schattenjäger strebten bereits in Richtung des Engelsplatzes, doch keiner von ihnen trug die übliche Kampfmontur. Stattdessen hatten sie sich in Festkleidung unterschiedlicher Stilrichtungen gekleidet - neben modernen Anzügen und Kostümen entdeckte Clary auch elegante Abendroben, die fast an historische Gewänder erinnerten, und viele Frauen trugen Ballkleider, deren weite Röcke bei jedem Schritt hin und her schwangen. Als Clary in die Gasse einbog, in der das Haus der Lightwoods lag, überquerte vor ihr eine schlanke dunkle Gestalt die Straße - Raphael, Hand in Hand mit einer groß gewachsenen dunkelhaarigen Frau in einem roten Cocktailkleid. Der junge Vampir warf Clary über die Schulter einen Blick zu und schenkte ihr ein Lächeln - ein Lächeln, das ihr einen leichten Schauer über den Rücken jagte. Es stimmte tatsächlich, überlegte Clary, manchmal hatten Schattenwesen wirklich etwas Exotisches an sich, etwas Exotisches und Furchteinflößendes. Aber nicht alles Furchteinflößende musste notwendigerweise auch schlecht sein. Allerdings hatte Clary bei Raphael so ihre Zweifel … 

Die Haustür der Lightwoods stand sperrangelweit offen und verschiedene Mitglieder der Familie warteten bereits auf dem Gehweg. Maryse und Robert Lightwood unterhielten sich mit zwei anderen Erwachsenen, die sich zu Clarys Überraschung als die Penhallows entpuppten, Alines Eltern. Maryse lächelte Clary zu, als sie an ihnen vorbeiging; die große Schattenjägerin trug einen eleganten Hosenanzug aus dunkelblauer Seide und hatte ihre Haare mit einem breiten Silberband zurückgebunden. Trotz des Lächelns wirkte Maryse furchtbar traurig und ähnelte dadurch Isabelle so sehr, dass Clary fast eine Hand ausgestreckt und sie ihr auf die Schulter gelegt hätte. Sie denkt an Max, genau wie Isabelle, dachte Clary. Sie denkt daran, wie sehr der kleine Junge all das hier genossen hätte. 

»Clary!« Mit wehenden Haaren sprang Isabelle die Stufen hinunter. Sie trug keines der beiden Kleider, die sie Clary am Nachmittag gezeigt hatte, sondern ein schillerndes goldfarbenes Satinkleid, das ihren Körper wie geschlossene Blütenblätter eng umschmiegte. 

Als Clary die mit Eisenspitzen versehenen Sandalen der jungen Schattenjägerin sah, musste sie an eine frühere Bemerkung von Isabelle denken - über Dämonenjagd und Mode - und innerlich lächeln. 

»Du siehst umwerfend aus«, sagte Isabelle. 

»Danke.« Ein wenig verlegen zupfte Clary an dem durchscheinenden Stoff ihres silbernen, schulterfreien Seidenkleides herum - es handelte sich wahrscheinlich um das Femininste, das sie je getragen hatte. Und jedes Mal, wenn ihre Haare die nackte Haut ihrer Schultern streiften, musste sie einen fast unbezwingbaren Drang unterdrücken, sich eine Jacke oder einen Kapuzenpullover zu greifen und sich hineinzukuscheln. »Du aber auch«, fügte sie, an Isabelle gewandt, hinzu. 

Isabelle beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Jace ist nicht hier.« 

Bestürzt wich Clary zurück. »Und wo …?« 

»Alec meint, er könnte schon auf dem Platz sein, wo gleich das Feuerwerk stattfindet. Es tut mir leid, aber ich hab keine Ahnung, was mit ihm los ist.« 

Clary zuckte die Achseln und versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Ist schon okay.« 

Im nächsten Moment traten Alec und Aline aus der Haustür. Das Mädchen trug ein leuchtend rotes Kleid, das ihre Haare blauschwarz schimmern ließ, während Alec gekleidet war wie immer - dunkle Hose unter dunklem Pullover. Allerdings musste Clary ihm zugute halten, dass der Pullover dieses Mal wenigstens keine sichtbaren Löcher hatte. Alec schenkte Clary ein freundliches Lächeln und sie stellte überrascht fest, dass er trotz der üblichen Kleidung dennoch verändert wirkte - irgendwie erleichtert, als wäre ihm eine schwere Last von den Schultern genommen. 

»Ich war noch nie bei einer Feier, an der auch Schattenweltler teilgenommen haben«, bemerkte Aline und warf einen nervösen Blick auf eine junge Elfe, die ein paar Meter weiter stand. Ihre langen Haare waren mit Blüten durchflochten -nein, überlegte Clary bei näherem Hinsehen, ihr Haar bestand aus Blüten, die durch zarte grüne Ranken miteinander verwoben waren. Die Blumenelfe zupfte ein paar weiße Blüten aus einem der Fensterkörbe, betrachtete sie andächtig und schob sie sich dann in den Mund. 

»Ach, das wird dir bestimmt gefallen«, erklärte Isabelle. »Schattenweltler wissen, wie man eine anständige Party feiert.« Dann winkte sie ihren Eltern noch einmal kurz zu und brach mit den anderen Jugendlichen zum Platz des Engels auf. Auf dem Weg dorthin kämpfte Clary weiterhin gegen den Drang an, ihre Arme vor der Brust zu verschränken, um die obere Körperhälfte zu bedecken. Der Rock ihres Kleides umwirbelte ihre Füße wie schwerer Rauch im Wind. Unwillkürlich musste sie an den Qualm denken, der noch vor wenigen Stunden den Himmel über Alicante verdüstert hatte, und erschauderte. 

»He, seht mal!«, rief Isabelle in dem Moment und deutete auf Simon und Maia, die ihnen aus einer Seitenstraße entgegenkamen. Clary hatte Simon fast den ganzen Tag nicht zu Gesicht bekommen; er war bereits mittags zur Halle gegangen, um der vorbereitenden Sitzung der Kongregation beizuwohnen - er wollte wissen, wen man als Repräsentanten der Vampire gewählt hatte. An Simons Seite ging Maia, die Clary sich überhaupt nicht in so etwas Mädchenhaftem wie einem Kleid vorstellen konnte. Und tatsächlich trug das Werwolfkind dunkelgrüne Armeeshorts und ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck WÄHLE DEINE WAFFE! Darunter war ein Würfel abgebildet. Ein Gamer-Shirt, dachte Clary und fragte sich, ob Maia sich wirklich für Computerspiele interessierte oder dieses T-Shirt nur trug, um Simon zu beeindrucken. Falls ja, hatte sie eine gute Wahl getroffen. »Seid ihr auch auf dem Weg zum Platz des Engels?«, rief Isabelle den beiden entgegen, die gleichzeitig nickten. 

Nachdem Maia und Simon sich ihnen angeschlossen hatten, setzte sich die ganze Gruppe in Bewegung und schlenderte in Richtung Engelsplatz. Nach ein paar Metern ließ Simon sich zurückfallen, lächelte Clary kurz an und ging dann schweigend neben ihr her. Es tat gut, wieder in seiner Nähe zu sein, überlegte Clary - er war der Erste gewesen, den sie nach ihrer Rückkehr nach Alicante hatte sehen wollen. Sie hatte ihn fest in die Arme genommen und lange an sich gedrückt, unendlich erleichtert, dass er noch lebte. Vorsichtig hatte sie das Runenmal auf seiner Stirn berührt. 

»Hat es dich beschützt?«, hatte sie ihn gefragt, weil sie unbedingt wissen wollte, ob seine Kennzeichnung mit dem Mal nicht umsonst gewesen war. 

Doch Simon hatte nur geantwortet: »Ja, es hat mich beschützt.« 

»Ich wünschte, ich könnte es von dir nehmen«, hatte Clary erklärt. »Ich wünschte, ich wüsste, was dir deswegen vielleicht noch alles bevorsteht.« 

Doch Simon hatte nur ihre Hand genommen und behutsam von seiner Stirn fortgezogen. »Wir werden sehen«, hatte er erwidert. 

In den Tagen danach hatte Clary ihn genau beobachtet und festgestellt, dass das Mal offensichtlich keine negative Wirkung auf ihn ausübte. Er wirkte vollkommen normal, so wie immer, wie Simon eben. Allerdings trug er die Haare jetzt etwas anders: leicht in die Stirn gekämmt, um das Mal zu verdecken. 

»Wie war die Versammlung?«, fragte Clary ihn nun und musterte ihn von Kopf bis Fuß, um seine Kleidung zu begutachten. Simon hatte sich nicht umgezogen, aber deswegen konnte Clary ihm kaum einen Vorwurf machen: Etwas anderes als die Sachen, die er am Leibe trug - Jeans und T-Shirt - hatte er ja nicht mitbringen können. »Und, wen haben sie zum Repräsentanten der Nachtkinder gewählt?« 

»Jedenfalls nicht Raphael«, erklärte Simon und klang ziemlich zufrieden. »Irgendeinen anderen Vampir… mit so einem pompösen Namen. Nightshade oder so ähnlich.« 

»Der Rat hat mich gefragt, ob ich das Emblem für die Neue Kongregation entwerfen wolle«, platzte Clary heraus. »Das ist eine große Ehre. Ich hab sofort zugesagt. Das neue Emblem soll die Rune der Kongregation zeigen, umgeben von den Symbolen der vier Schattenweltler-Familien. Ein Mond für die Werwölfe; dann dachte ich an ein vierblättriges Kleeblatt für die Feenwesen und ein Zauberbuch für die Hexenmeister. Aber für die Vampire will mir einfach nichts einfallen.« 

»Wie war’s mit einem Eckzahn?«, schlug Simon vor. »Von dem vielleicht Blut herabtropft.« Er bleckte die Zähne. 

»Vielen Dank. Du bist mir eine echte Hilfe«, grinste Clary. 

»Ich bin froh, dass der Rat dich gefragt hat«, sagte Simon, nun wieder ernster. »Du hast diese Ehre wirklich verdient. Eigentlich müsstest du einen Orden bekommen für das, was du getan hast… die Allianz-Rune und all das.« 

Clary zuckte die Achseln. »Ach, ich weiß nicht. Ich meine, die Schlacht hat doch nur zehn Minuten gedauert… Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich so eine große Hilfe gewesen bin.« 

»Ich habe an dieser Schlacht teilgenommen, Clary«, entgegnete Simon. »Und auch wenn sie nur kurz gedauert hat, waren das die schlimmsten zehn Minuten meines Lebens. Und ich möchte wirklich nicht darüber sprechen, deshalb nur so viel: Selbst in diesen zehn Minuten hätte es noch viel mehr Tote geben können, wenn du nicht gewesen wärst. Außerdem war die Schlacht nur ein Teil des Ganzen. Wenn du nicht gehandelt hättest, gäbe es jetzt keine Neue Kongregation. Wir wären noch immer Schattenjäger und Schattenweltler, die einander hassen würden, statt Schattenjäger und Schattenweltler, die gemeinsam zu einer Party gehen.« 

Clary spürte einen Kloß im Hals und starrte stumm geradeaus, um nicht in Tränen auszubrechen. »Danke, Simon«, brachte sie schließlich hervor und zögerte dann einen Moment - so kurz, dass niemand es bemerkt hätte, bis auf Simon. 

»Was ist los?«, fragte er. 

»Ich muss die ganze Zeit daran denken, was wir machen werden, wenn wir wieder zu Hause sind«, sagte Clary. »Ich weiß zwar, dass Magnus sich um deine Mom gekümmert hat, sodass sie deine Abwesenheit gar nicht bemerkt hat, aber was ist mit der Schule? Wir haben wahnsinnig viel Stoff verpasst. Und ich weiß nicht einmal …« 

»Ob du dorthin zurückkehren wirst?«, beendete Simon den Satz für sie. »Glaubst du ernsthaft, ich wüsste das nicht? Du bist jetzt eine Schattenjägerin. Du wirst deine Ausbildung am Institut fortsetzen.« 

»Aber was ist mit dir? Du bist ein Vampir. Willst du denn einfach so an unsere alte Schule zurückkehren?« 

»Und ob!«, überraschte Simon sie. »Auf jeden Fall. Ich will ein normales Leben führen, zumindest soweit das möglich ist. Ich will meinen Abschluss machen, dann studieren … das ganze Programm.« 

Clary drückte Simons Hand. »Dann solltest du das auch tun«, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln. »Natürlich werden alle völlig ausflippen, wenn du wieder an der Schule auftauchst.« 

»Ausflippen? Warum?« 

»Weil du jetzt viel cooler bist als früher«, erwiderte Clary achselzuckend. »Ehrlich. Das muss wohl an dieser Vampirsache liegen.« 

Simon musterte sie verblüfft. »Ich bin jetzt viel cooler?« 

»Na klar. Ich meine, sieh dir doch nur mal die beiden an: Die sind total in dich verknallt.« Clary deutete auf Isabelle und Maia, die ein paar Schritte vor ihnen gingen und die Köpfe zusammengesteckt hatten. 

Simon warf einen erstaunten Blick auf die beiden Mädchen und Clary hätte schwören können, dass er errötete. »Wirklich?«, fragte Simon. »Mir ist zwar aufgefallen, dass sie manchmal zusammenhocken und tuscheln und mich dann ansehen. Aber ich hatte keine Ahnung, worum’s dabei geht.« 

»Natürlich nicht«, grinste Clary. »Du armer Kerl, da hast du gleich zwei hübsche Mädchen, die um deine Liebe wetteifern. Du bist wirklich nicht zu beneiden.« 

»Okay. Dann sag du mir, welche ich nehmen soll.« 

»Kommt nicht infrage! Das bleibt allein dir überlassen«, erwiderte Clary. Dann senkte sie die Stimme: »Hör mal, du kannst dich verabreden, mit wem du willst - du hast meine volle Unterstützung. Ich bin sozusagen die Unterstützung in Person.« 

»Ach, deswegen hast du mir nie verraten, wer du wirklich bist. Ich dachte mir schon, dass es etwas Hochpeinliches sein müsse.« 

Clary ignorierte Simons spöttische Bemerkung. »Aber du musst mir eines versprechen, okay? Ich weiß, wie Mädchen sein können. Ich weiß, wie sehr sie es hassen, wenn der beste Kumpel ihres Freundes ein Mädchen ist. Versprich mir einfach, dass du mich nicht vollständig aus deinem Leben ausschließen wirst. Und dass wir manchmal noch was gemeinsam unternehmen können.« 

»Manchmal?« Simon schüttelte den Kopf. »Clary, du bist vollkommen verrückt.« 

Clary spürte einen Stich in ihrem Herzen. »Du meinst…« 

»Ich meine, dass ich niemals mit einem Mädchen zusammen sein würde, das darauf besteht, dich aus meinem Leben auszuschließen. Das steht nicht zur Debatte. He, wer auch immer ein Stück von diesem fabulösen Kerl will …« - Simon deutete auf sich selbst - »der bekommt meine beste Freundin gratis dazu! Ich würde dich niemals aus meinem Leben ausschließen, Clary, eher würde ich mir die rechte Hand abhacken und jemandem als Valentinsgeschenk überreichen.« 

»Igitt!«, kicherte Clary. »Muss das wirklich sein?« 

Simon grinste. »Oh ja, das muss sein.« 

 

Der Platz des Engels war kaum wiederzuerkennen. Am hinteren Ende der Parkanlage leuchtete die Abkommenshalle in einem sanften Weiß, das teilweise von einem kunstvoll angelegten Hain in der Platzmitte verdeckt wurde. Die Baumriesen waren eindeutig das Ergebnis magischer Kräfte. Andererseits musste Clary bei ihrem Anblick an Magnus’ Fähigkeit denken, im Handumdrehen Möbel und dampfenden Kaffee herbeizuzaubern - also vielleicht waren die Bäume ja doch echt, wenn auch von einem anderen Ort hierher verpflanzt. Ihre Kronen reichten fast bis zur Spitze der Dämonentürme und ihre silbern schimmernden Zweige in dem dichten Blattwerk waren mit fröhlichen Bändern und bunten Lichterketten geschmückt. Der gesamte Platz, der nach weißen Blüten, Rauch und frischen Blättern duftete, war mit langen Tischen und Bänken bestückt, und überall saßen Schattenjäger und Schattenweltler, lachten, tranken und unterhielten sich. Doch trotz des Stimmengewirrs lag eine gewisse Melancholie in der Luft, verbunden mit einer feierlichen Stimmung - eine Mischung aus Trauer und Freude. 

Die Geschäfte am Platz hatten ihre Türen weit geöffnet, sodass warmes Licht auf die Gehwege fiel. Aus den Gassen strömten immer mehr Feiernde herbei, in den Händen Teller mit Speisen und langstielige Gläser mit perlendem Wein und anderen leuchtend bunten Getränken. Simon beobachtete einen Wassergeist, der mit einer blauen, schwappenden Flüssigkeit in einem hohen Glas an ihnen vorbeikam, und zog fragend eine Augenbraue hoch. 

»Keine Sorge, das ist hier nicht wie bei Magnus’ Party«, versicherte Isabelle ihm. »Hier sollten alle alles gefahrlos trinken können.« 

»Sollten?« Aline zog ein bedenkliches Gesicht. 

Alec schaute in Richtung des Miniwäldchens, dessen bunte Lichter sich in seinen blauen Augen spiegelten: Im Schatten eines der Bäume stand Magnus und unterhielt sich mit einem weiß gekleideten Mädchen mit üppigen hellbraunen Haaren. Als Magnus zu den Jugendlichen herüberblickte, drehte sie sich um und einen kurzen Moment trafen sich ihr und Clarys Blick quer über den Platz. Das Mädchen kam ihr irgendwie bekannt vor, doch sie konnte nicht sagen, woher sie sie kannte. 

Magnus beendete die Unterhaltung und machte sich auf den Weg zu ihnen, während das Mädchen sich in den Schatten der Bäume zurückzog und im nächsten Moment darin verschwand. Der groß gewachsene Hexenmeister war wie ein viktorianischer Gentleman gekleidet: mit einem langen schwarzen Gehrock über einer violetten Seidenweste, aus deren Brusttasche ein besticktes Taschentuch mit den Initialen M. B. herausragte. 

»Hübsche Weste«, sagte Alec lächelnd, als Magnus zu ihnen trat. 

»Möchtest du vielleicht auch so eine?«, hakte Magnus direkt nach. »Natürlich in einer anderen Farbe.« 

»Eigentlich mach ich mir nichts aus Mode«, protestierte Alec. 

»Und genau das liebe ich an dir«, verkündete Magnus. »Allerdings würde ich dich natürlich auch lieben, wenn du vielleicht einen Designer-Anzug besäßest. Was hältst du davon? Wie war’s mit Dolce? Zegna? Armani?« 

Alec stammelte hilflos, während Isabelle laut auflachte und Magnus die Gelegenheit ergriff, um Clary etwas ins Ohr zu flüstern: »Auf den Stufen der Abkommenshalle. Los, los.« 

Verblüfft wollte Clary ihn fragen, was er damit meinte, doch Magnus hatte sich Alec und den anderen bereits wieder zugewandt und außerdem hatte sie eine leise Ahnung, worauf er hinauswollte. Bevor sie ging, drückte sie rasch noch einmal Simons Hand, der ihr ein kurzes Lächeln schenkte und sich dann weiter mit Maia unterhielt. 

Clary bahnte sich einen Weg durch den glitzernden Miniwald auf die andere Seite des Platzes. Die Bäume reichten bis an den Fuß der Hallentreppe, was möglicherweise erklärte, warum die Stufen leer und verlassen dalagen. Doch dann fiel Clarys Blick auf die großen Türen, wo sie im Schatten einer der Säulen eine vertraute dunkle Gestalt erkannte. Ihr Herz machte einen Satz. 

Jace.

Sorgsam raffte sie den Rock ihres Kleides - aus Furcht, sie könnte beim Besteigen der Stufen auf den Saum treten und den zarten Stoff zerreißen - und wünschte sich fast, sie hätte ihre eigenen Sachen angezogen, als sie sich Jace näherte. Er saß auf dem Boden, mit dem Rücken gegen eine Säule gelehnt, und schaute über den Platz. Im Gegensatz zu den letzten Tagen trug er ganz normale Kleidung: Jeans, ein weißes T-Shirt und darüber eine dunkle Jacke. Und zum ersten Mal seit ihrer ersten Begegnung schien er keine Waffen bei sich zu führen, überlegte Clary. 

Plötzlich fühlte sie sich viel zu feierlich gekleidet und blieb ein paar Schritte von ihm entfernt stehen, unsicher, was sie sagen sollte. 

Als würde er ihre Anwesenheit spüren, schaute Jace zu ihr hinüber. Er hielt etwas in seinem Schoß - ein silbernes Kästchen, wie Clary bei genauerem Hinsehen erkannte. Ein müder Ausdruck lag auf seinem Gesicht; er hatte dunkle Ringe unter den Augen und seine hellblonden Haare wirkten zerzaust. Als er Clary sah, weiteten sich seine Augen. »Clary?« 

»Hast du jemand anderen erwartet?«, fragte Clary lächelnd. 

Doch er erwiderte ihr Lächeln nicht. »Du siehst nicht aus wie du.« 

»Das liegt an dem Kleid.« Verlegen strich Clary den Stoff glatt. »Normalerweise trage ich nicht so was … so was Hübsches.« 

»Du siehst immer wunderschön aus«, erwiderte er und Clary erinnerte sich an den Moment, als er sie zum ersten Mal wunderschön genannt hatte, damals im Gewächshaus des New Yorker Instituts. Seine Worte kamen ihm jedoch nicht wie ein Kompliment über die Lippen, sondern eher wie eine unumstößliche Tatsache - vergleichbar der Tatsache, dass sie rote Haare hatte und gern zeichnete. »Aber du wirkst irgendwie… distanziert. So, als könnte ich dich nicht anfassen«, fuhr er fort. 

Clary zögerte nicht länger und setzte sich neben ihn auf die oberste Stufe der Treppe. Die Kälte des Marmors drang augenblicklich durch ihr dünnes Kleid. Entschlossen hielt sie Jace ihre Hand entgegen, die kaum merklich zitterte. »Hier, fass mich an«, sagte sie. »Falls du willst.« 

Jace nahm ihre Hand, drückte sie kurz an seine Wange und legte sie dann wieder in ihren Schoß zurück. Mit einem leichten Frösteln musste Clary an Alines Worte denken: Vielleicht interessiert er sich ja nicht mehr für dich. Jetzt, da es nichts Verbotenes mehr ist. Er hatte zwar gesagt, sie würde distanziert aussehen, aber seine Augen schienen in eine weit entfernte Galaxie zu blicken. 

»Was ist denn da drin?«, fragte Clary schließlich und warf einen Blick auf das silberne Kästchen, das er noch immer fest umklammerte. Das Objekt wirkte kostbar und besaß ein feines Vogelrelief. 

»Ich bin am Nachmittag bei Amatis gewesen, auf der Suche nach dir«, setzte er an. »Aber du warst nicht da. Also habe ich mich mit Amatis unterhalten und sie hat mir das hier gegeben.« Er zeigte auf das Kästchen. »Es hat früher meinem Vater gehört.« 

Einen Moment schaute Clary ihn verständnislos an. Das da hat Valentin gehört?, dachte sie, doch dann wurde ihr mit einem Schlag bewusst: Nein, das hat er gar nicht gemeint. »Natürlich«, nickte sie. »Amatis war ja mit Stephen Herondale verheiratet.« 

»Ich habe mir all seine persönlichen Sachen angesehen«, erklärte Jace. »Seine Briefe gelesen, die Tagebucheinträge studiert. Ich dachte, ich würde dann eine Art Verbindung zu ihm verspüren. Etwas, das mich zwischen den Zeilen anspringen und mir zurufen würde: Ja,genau, das ist dein Vater. Aber ich empfinde überhaupt nichts. Das ist einfach nur Papier. Diese Dinge hätte jeder schreiben können.« 

»Jace«, warf Clary leise ein. 

»Und da ist noch was«, fuhr er unbeirrt fort. »Ich hab jetzt überhaupt keinen Namen mehr, oder? Ich bin nicht Jonathan Christopher - das war jemand anderes. Aber es ist der Name, an den ich gewöhnt bin.« 

»Wer hat sich denn Jace als Spitznamen ausgedacht? Bist du darauf gekommenen?« 

Jace schüttelte den Kopf. »Nein. Valentin hat mich immer Jonathan genannt. Und deshalb hat man mich bei meiner Ankunft im Institut ebenfalls mit diesem Namen angesprochen. Eigentlich hätte ich nie auf den Gedanken kommen dürfen, mein Name wäre Jonathan Christopher - das war ein Versehen. Diesen Namen hatte ich in den Aufzeichnungen meines Vaters entdeckt, dabei hatte er mich überhaupt nicht gemeint. Nicht meine Fortschritte hatte er in seinen Tagebüchern festgehalten, sondern die von Seb… die von Jonathan. Und als ich Maryse dann erzählte, mein zweiter Name sei Christopher, hat sie sich wohl gedacht, sie müsse sich falsch erinnert haben - schließlich war Christopher auch der zweite Name von Michaels Sohn und seit ihrer letzten Begegnung waren immerhin zehn Jahre vergangen. Na, jedenfalls hat sie mich ab da Jace genannt. Es schien, als wollte sie mir einen neuen Namen geben, etwas, das zu ihr gehörte, zu meinem neuen Leben in New York. Und der Name gefiel mir. Jonathan hatte ich nie gemocht.« Nachdenklich drehte er das Kästchen in seinen Händen. »Heute frage ich mich, ob Maryse schon damals etwas gewusst oder geahnt hatte, es aber einfach nicht wahrhaben wollte. Sie liebte mich … und wollte es einfach nicht glauben.« 

»Das war dann wahrscheinlich auch der Grund, weshalb sie so bestürzt war, als sie herausfand, dass du >tatsächlich< Valentins Sohn warst«, überlegte Clary laut. »Weil sie dachte, sie hätte es wissen müssen. Und irgendwie hat sie es ja auch gewusst. Aber derartige Dinge wollen wir von den Menschen, die wir lieben, nie glauben. Und sie hat recht behalten, Jace - sie spürte wohl instinktiv, wer du wirklich bist…« Clary hielt einen Moment inne und fuhr dann fort: »Außerdem hast du einen Namen. Du heißt Jace. Nicht Valentin hat dir diesen Namen gegeben, sondern Maryse. Und das Einzige, was bei einem Namen eine Rolle spielt, ist die Tatsache, dass man ihn von jemandem bekommen hat, der einen liebt.«

»Jace und weiter?«, fragte er. »Vielleicht Jace Herondale?«

»Ach, ich bitte dich«, widersprach Clary. »Natürlich Jace Lightwood. Das weißt du doch.« 

Jace schaute sie an; seine dichten Wimpern ließen das Bernsteingold seiner Augen dunkler erscheinen. Irgendwie kam er Clary etwas weniger distanziert vor, aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. 

»Möglicherweise bist du ja jemand anderes, als du früher gedacht hast«, fuhr sie fort, in der Hoffnung, er verstünde, was sie meinte. »Aber niemand verwandelt sich über Nacht in einen vollkommen anderen Menschen. Nur weil du jetzt weißt, dass Stephen dein leiblicher Vater war, heißt das noch nicht, dass du ihn jetzt auch automatisch liebst. Und das musst du auch nicht. Valentin war nie dein richtiger Vater - nicht, weil ihr nicht dasselbe Blut habt, sondern weil er sich nie wie ein richtiger Vater verhalten hat. Er hat sich nicht um dich gekümmert. Es waren immer die Lightwoods, die sich um dich gekümmert haben. Sie sind deine Familie. Genau wie meine Mutter und Luke meine Familie sind.« Zögernd streckte Clary eine Hand aus, um ihn an der Schulter zu berühren, ließ sie aber wieder sinken. »Tut mir leid«, sagte sie. »Hier sitze ich und halte dir Vorträge, während du doch wahrscheinlich hergekommen bist, um allein zu sein.« 

»Du hast recht«, bestätigte Jace. 

Clary spürte, wie ihr der Atem stockte. »Okay, dann geh ich wohl besser.« Überstürzt stand sie auf, wobei sie vergaß, ihr Kleid zu schürzen, und fast über den Saum gestolpert wäre. 

»Clary!« Hastig legte Jace das Kästchen beiseite und rappelte sich auf. »Clary, warte. Das habe ich überhaupt nicht gemeint. Ich wollte damit nicht sagen, dass ich allein sein will, sondern dass du recht hast, was Valentin betrifft … und die Lightwoods …« 

Langsam drehte Clary sich um und schaute ihn an. Er stand halb im Schatten und die bunten Lichter der Feier malten seltsame Muster auf seine helle Haut. Sofort musste Clary wieder an ihre erste Begegnung denken. Damals hatte sie gedacht, dass sein Erscheinungsbild sie an das eines Löwen erinnerte - wunderschön und extrem gefährlich. Doch jetzt wirkte er auf sie ganz anders: Die harte, abweisende Haltung, die er wie eine Rüstung eingesetzt hatte, war verschwunden; stattdessen trug er seine Verletzungen sichtbar und stolz. Er hatte noch nicht mal seine Stele benutzt, um die Blutergüsse zu beseitigen - weder die im Gesicht noch die entlang des Kinns oder die an seiner Kehle, wo seine Haut unter dem T-Shirt-Kragen zum Vorschein kam. Aber für sie war er noch immer wunderschön - eigentlich noch mehr als je zuvor, weil er nun menschlich wirkte, menschlich und real. 

»Weißt du, Aline hat mir heute Nachmittag etwas gesagt«, hob Clary an. »Sie hat gesagt, dass du dich vielleicht nicht mehr für mich interessieren würdest. Jetzt, wo es nicht mehr verboten ist. Jetzt, da du mit mir zusammen sein könntest, wenn du es nur wolltest.« Sie fröstelte ein wenig in ihrem dünnen Kleid und schlang zitternd die Arme um ihren Körper. »Stimmt das? Hast du kein … Interesse mehr?« 

»Interesse? Als ob du ein … ein Buch wärst oder irgendein Zeitungsbericht? Nein, ich habe kein Interesse. Ich bin …« Jace verstummte und suchte verzweifelt nach den richtigen Worten, so wie jemand in völliger Dunkelheit nach einem Lichtschalter tastet. »Kannst du dich noch erinnern, was ich dir in deinem Zimmer in Amatis’ Haus gesagt habe?«, setzte er erneut an. »Ich hab dir gesagt, die Tatsache, dass du meine Schwester bist, sei mir wie eine Art kosmischer Witz erschienen. Als würde Gott mir ins Gesicht spucken … uns ins Gesicht spucken.« 

»Ja, daran erinnere ich mich.« 

»Aber ich habe das nie geglaubt«, erklärte Jace. »Ich meine, irgendwie hab ich es schon geglaubt - es hat mich fast zur Verzweiflung getrieben! Aber ich habe es nie gespürt. Ich habe nie gespürt, dass du meine Schwester bist. Weil ich für dich nicht die Gefühle empfand, die man gegenüber seiner Schwester zu empfinden hat. Doch das hat nicht bedeutet, dass ich nicht das Gefühl gehabt hätte, du wärst nicht ein Teil von mir. Denn dieses Gefühl hatte ich immer.« Als er ihren verwirrten Gesichtsausdruck sah, unterbrach er sich ungeduldig. »Ich hab das nicht richtig formuliert: Clary, ich habe jede einzelne Sekunde gehasst, in der ich dachte, du wärst meine Schwester. Ich habe jeden Augenblick gehasst, in dem ich glaubte, meine Gefühle für dich würden bedeuten, dass mit mir etwas nicht stimmte. Aber…« 

»Aber was?« Clarys Herz schlug nun so schnell, dass ihr ganz schwindlig wurde. 

»Ich hab gesehen, welch gehässige Freude Valentin an meinen Gefühlen für dich empfand. Und an deinen Gefühlen für mich. Er hat unsere Gefühle als Waffe gegen uns benutzt. Und dafür habe ich ihn gehasst. Mehr als für alles andere, was er mir jemals angetan hat. Und das hat dazu geführt, dass ich mich gegen ihn gewandt habe - und vielleicht war das ja der Anstoß, den ich noch benötigt hatte. Denn es gab Zeiten, in denen ich nicht wusste, ob ich ihm folgen wollte oder nicht. Es war eine schwere Entscheidung, schwerer als ich mir vielleicht eingestehen möchte.« Jace’ Stimme klang angespannt. 

»Vor langer Zeit habe ich dich einmal gefragt, ob ich denn eine Wahl hätte«, erwiderte Clary. »Und du hast damals geantwortet: >Wir haben immer eine Wahl.< Du hast dich gegen Valentin entschieden. Letztendlich war das die Wahl, die du getroffen hast, und es spielt keine Rolle, wie schwer sie dir gefallen sein mag. Das Einzige, was wirklich zählt, ist die Tatsache, dass du sie getroffen hast.« 

»Ich weiß«, bestätigte Jace. »Ich will damit nur sagen, dass ich mich teilweise deinetwegen so entschieden habe. Seit ich dich kenne, habe ich alles teilweise deinetwegen getan. Ich kann mich nicht von dir lösen, Clary - weder mit meinem Herzen noch mit meinem Blut oder meinem Verstand oder sonst irgendeinem Teil von mir. Und das will ich auch gar nicht.« 

»Das willst du nicht?«, flüsterte Clary. 

Jace ging einen Schritt auf sie zu. Seine Augen waren auf ihr Gesicht geheftet, als könnte er den Blick einfach nicht von ihr abwenden. »Ich habe immer gedacht, Liebe würde einem das Hirn vernebeln. Einen schwächen. Zu einem schlechten Schattenjäger machen. Lieben heißt zerstören. Das habe ich immer geglaubt.« 

Clary biss sich auf die Lippe, konnte aber ebenfalls nicht den Blick von ihm abwenden. 

»Ich habe immer gedacht, ein guter Krieger zu sein, würde bedeuten, dass man sich um nichts kümmert. Um nichts und niemanden und schon gar nicht um sich selbst. Ich bin jedes nur erdenkliche Risiko eingegangen, hab mich Dämonen rücksichtslos in den Weg geworfen … Ich glaube, damit habe ich Alec ziemliche Komplexe bereitet«, sinnierte Jace. »Er hat sich bestimmt oft gefragt, was für eine Art Krieger er wohl sei, nur weil er am Leben bleiben wollte …« Jace lächelte schief. »Aber dann habe ich dich kennengelernt. Du warst eine Irdische. Schwach. Keine Kriegerin. Ohne jedes Waffentraining. Und ich sah, wie sehr du deine Mutter geliebt hast, Simon geliebt hast, und dass du bereit warst, für sie durch die Hölle zu gehen. Du bist tatsächlich in das Vampirhotel hineinmarschiert. Selbst Schattenjäger mit jahrzehntelanger Erfahrung hätten das nicht gewagt. Die Liebe hat dich nicht geschwächt, sondern stärker gemacht - stärker als jeden anderen Menschen, den ich bis dahin kannte. Und in dem Moment wurde mir bewusst, dass ich derjenige war, der schwach war.« »Nein«, protestierte Clary geschockt, »das bist du nicht.« 

»Vielleicht nicht mehr.« Jace ging einen weiteren Schritt auf sie zu und stand nun so dicht vor ihr, dass sie sich fast berührten. »Valentin konnte nicht glauben, dass ich Jonathan getötet habe«, sagte er. »Er konnte es nicht glauben, weil ich doch der Schwächere war und Jonathan der mit der längeren, besseren Ausbildung. Eigentlich hätte er mich töten müssen. Und das ist ihm auch fast gelungen. Doch dann dachte ich an dich: Ich sah dich genau vor mir, klar und deutlich, als ob du vor mir stehen, mich beobachten würdest. Und da wusste ich, dass ich unbedingt leben wollte, mehr als alles andere auf der Welt - und sei es auch nur, um dein Gesicht noch ein letztes Mal zu sehen.« 

Clary wünschte, sie könnte sich bewegen … eine Hand heben und ihn berühren, doch es gelang ihr nicht. Ihre Arme schienen an ihren Hüften wie festgefroren. Jace’ Gesicht war nun dicht über ihrem - so dicht, dass sie ihr eigenes Spiegelbild in seinen Augen erkennen konnte. 

»Und jetzt sehe ich dich an«, fuhr Jace fort, »und du fragst mich, ob ich dich noch immer will. Als ob ich einfach aufhören könnte, dich zu lieben! Als ob ich das Einzige auf der Welt aufgeben wollte, das mich stärker macht als alles andere. Ich habe mich nie getraut, viel von mir preiszugeben, habe mich nur gegenüber den Lightwoods, gegenüber Isabelle und Alec ein wenig geöffnet und selbst das hat Jahre gedauert. Aber seit ich dich zum ersten Mal sah, Clary, habe ich voll und ganz dir gehört. Und das tue ich noch immer. Falls du mich willst.« 

Für den Bruchteil einer Sekunde stand Clary reglos da. Doch dann hatte sie Jace irgendwie am Kragen gepackt und zog ihn zu sich hinunter. Und im nächsten Moment schlang Jace die Arme um sie, hob sie fast aus den eleganten Sandalen und küsste sie. Oder sie küsste ihn - Clary war sich nicht ganz sicher, aber es spielte auch keine Rolle. Die Wärme seiner Lippen war elektrisierend; ihre Hände packten ihn an den Oberarmen und zogen ihn fest an ihren Körper. Durch das T-Shirt hindurch spürte sie sein Herz wie wild schlagen und dieses Gefühl ließ sie schwindlig werden vor Freude. Kein anderes Herz schlug wie das von Jace - oder wäre jemals dazu in der Lage. 

Schließlich ließ er sie los und Clary schnappte nach Luft - sie hatte ganz vergessen zu atmen. Behutsam nahm er ihr Gesicht in die Hände und zeichnete die geschwungene Linie ihrer Wangenknochen mit den Daumen nach. Das Licht leuchtete wieder in seinen Augen, so hell wie am See, allerdings mit einem kleinen, amüsierten Funkeln. 

»Na also«, grinste er. »Das war doch gar nicht so schlecht, oder? Auch wenn es nicht verboten war …« 

»Ich hab schon Schlimmeres erlebt«, erwiderte Clary mit einem zittrigen Lachen. 

»Weißt du, was?«, murmelte er und beugte sich vor, bis seine Lippen ihren Mund streiften. »Falls du dir über den Mangel an Verbotenem Sorgen machst, könntest du mir ja immer noch manche Dinge verbieten.« 

»Welche Dinge denn?« 

Clary spürte, wie Jace seine Lippen mit einem breiten Grinsen auf ihre presste. »Na, das hier zum Beispiel.« 

 

Nach einer Weile stiegen sie die Stufen hinunter und überquerten den Platz, auf dem sich inzwischen eine riesige Menge versammelt hatte, in Erwartung des angekündigten Feuerwerks. Isabelle und die anderen hatten einen Tisch am Rand des Platzes gefunden und lagerten auf Bänken und Stühlen. Als Clary und Jace sich der Gruppe näherten, machte Clary sich bereit, ihre Hand Jace’ Griff zu entziehen - doch dann hielt sie inne. Sie konnten sich an der Hand halten, so oft sie wollten; daran war überhaupt nichts Falsches mehr. Der Gedanke ließ ihr fast den Atem stocken. 

»Da seid ihr ja!«, rief Isabelle und tänzelte auf sie zu, ein Glas mit einer fuchsiaroten Flüssigkeit in der Hand, das sie Clary entgegenstreckte. »Hier, probier das mal!« 

Misstrauisch beäugte Clary das Getränk. »Verwandle ich mich dann in ein Nagetier?«, fragte sie skeptisch. 

»Wo bleibt denn da das Vertrauen?«, protestierte Isabelle und fügte dann hinzu: »Ich glaube, das ist Erdbeersaft. Aber auf jeden Fall schmeckt es superlecker. Jace? Willst du mal probieren?« Fragend hielt sie ihm das Glas entgegen. 

»Ich bin ein Mann und Männer trinken keine rosafarbenen Getränke«, verkündete er kategorisch. »Mach dich von dannen, Weib, und bring mir etwas Braunes!« 

»Etwas Braunes?« Isabelle verzog das Gesicht. 

»Braun ist eine männliche Farbe«, erklärte Jace und zupfte an einer von Isabelles losen Haarsträhnen. »Wenn du bitte mal schauen würdest: Auch Alec trägt Braun.« 

Wehmütig blickte Alec an sich hinab. »Dieser Pullover war mal schwarz«, sagte er. »Aber dann ist er verblasst.« 

»Du könntest ihn mit einem paillettenbesetzten Stirnband aufpeppen«, schlug Magnus vor, während er seinem Freund ein blaues, funkelndes Getränk reichte. »War nur so ein Gedanke.« 

»Beherrsch dich lieber, Alec«, warf Simon ein; er saß auf einer niedrigen Mauer neben Maia, die sich angeregt mit Aline unterhielt. »Du würdest damit nur aussehen wie Olivia Newton-John in Xanadu.« 

»Es gibt Schlimmeres«, bemerkte Magnus. 

Simon erhob sich von der Mauer und gesellte sich zu Clary und Jace. Die Hände in den Gesäßtaschen seiner Jeans, musterte er beide nachdenklich, ehe er sich schließlich räusperte. 

»Du siehst glücklich aus«, wandte er sich zunächst an Clary und schaute dann zu Jace. »Und du kannst froh sein, dass sie glücklich aussieht.« 

Interessiert zog Jace eine Augenbraue hoch. »Kommt jetzt der Moment, wo du mir sagst, dass du mich töten wirst, falls ich ihr jemals wehtun sollte?« 

»Nein«, erwiderte Simon. »Wenn du Clary wehtust, ist sie absolut in der Lage, dich eigenhändig zu töten. Vermutlich mit einer Vielzahl von Waffen.« 

Bei dem Gedanken daran zog Jace eine zufriedene Miene. 

»Hör zu, ich wollte dir nur eines sagen«, verkündete Simon. »Es macht mir nichts, wenn du mich nicht magst. Solange du Clary glücklich machst, ist mir alles recht.« Entschlossen streckte er Jace die Hand entgegen, der seine Hand aus Clarys Griff löste und Simons schüttelte, einen verwunderten Ausdruck auf dem Gesicht. 

»Dabei ist es keineswegs so, als ob ich dich nicht mögen würde«, erklärte Jace. »Ganz im Gegenteil! Und weil ich dich mag, möchte ich dir einen Ratschlag geben.« 

»Einen Ratschlag?«, fragte Simon skeptisch. 

»Wie ich sehe, bedienst du diese Vampirschiene ziemlich erfolgreich«, sagte Jace und deutete mit dem Kopf auf Isabelle und Maia. »Respekt! Viele Mädchen lieben diese ganze >Sensibler-Untoten<-Nummer. Aber wenn ich du wäre, würde ich das mit der Band vergessen. Vampir-Rockstars sind längst überholt und außerdem kannst du unmöglich ein guter Musiker sein.« 

Simon seufzte. »Vermutlich besteht keine Chance, dass wir wieder zu dem Level zurückkehren, wo du mich einfach nur nicht gemocht hast, oder?« 

»Das reicht. Hört auf - alle beide!«, rief Clary. »Ihr könnt euch nicht ewig wie zwei Vollidioten benehmen!« 

»Genau genommen kann ich das schon«, meinte Simon. 

Jace stieß ein unelegantes Geräusch hervor und nach einem Moment erkannte Clary, dass er ein Lachen zu unterdrücken versuchte, allerdings mit gemischtem Erfolg. 

Simon grinste. »Erwischt.« 

»Na, wenn das nicht mal der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist… », bemerkte Clary und schaute sich nach Isabelle um, die wahrscheinlich ebenso erfreut war wie sie, dass Simon und Jace miteinander klarkamen, wenn auch auf ihre ganz eigene Weise. 

Stattdessen entdeckte Clary jedoch jemand anderen. 

Am Rand des illuminierten Miniwalds, wo sich die Schatten mit den Lichtern mischten, stand eine schlanke Frau in einem blattgrünen Kleid. Ihr langes scharlachrotes Haar war mit einem goldenen Reif zusammengefasst. 

Die Feenkönigin. Sie schaute direkt zu Clary hinüber, und als Clary ihren Blick erwiderte, hob sie eine schlanke Hand und winkte sie zu sich. Komm. 

Clary konnte nicht sagen, ob es ihr eigener Wunsch war oder ob es an der seltsamen Anziehungskraft des Lichten Volkes lag, aber sie murmelte eine leise Entschuldigung, löste sich von der Gruppe und schlängelte sich durch die überschwänglich Feiernden hindurch, bis zum Rand der Bäume. Als sie sich der Königin näherte, bemerkte Clary eine große Zahl von Feenwesen, die ihre Herrscherin in einem Halbkreis umstanden. Selbst wenn sie den Eindruck erwecken wollte, sie wäre allein erschienen, waren ihre Höflinge nie weit. 

Gebieterisch hob die Königin die Hand. »Das reicht! Bis hierher und nicht weiter«, verkündete sie kühl. 

Clary, die sich ihr bis auf wenige Schritte genähert hatte, blieb abrupt stehen. »Mylady«, sagte sie, da sie sich an die förmliche und höfliche Anrede erinnerte, die Jace am Lichten Hof gebraucht hatte. »Warum habt Ihr mich zu Euch gerufen?« 

»Ich möchte, dass du mir einen Gefallen erweist«, erwiderte die Königin ohne lange Vorrede. »Und natürlich würde ich dir im Gegenzug ebenfalls eine Gunst gewähren.« 

»Einen Gefallen? Ihr erbittet einen Gefallen von mir?«, fragte Clary erstaunt. »Aber… aber Ihr mögt mich doch noch nicht einmal.« 

Nachdenklich legte die Königin einen langen weißen Finger an ihre roten Lippen. »Im Gegensatz zu den Menschen befasst das Feenvolk sich nicht übermäßig mit solchen Gefühlen wie mögen. Lieben, vielleicht… und hassen. Beides sehr nützliche Emotionen. Aber mögen …«Sie zuckte elegant die Achseln. »Die Kongregation hat sich noch nicht entschieden, wen sie aus unserem Volk in ihre Reihen berufen will«, fuhr sie fort. »Ich weiß, dass Lucian Graymark für dich wie ein Vater ist. Er würde auf deinen Rat hören. Deshalb möchte ich, dass du ihn bittest, meinen Ritter Meliorn als Repräsentanten der Eiben zu wählen.« 

Clary dachte an den Abend in der Abkommenshalle zurück, als Meliorn verkündet hatte, er wolle erst kämpfen, wenn auch die Kinder der Nacht in die Schlacht zögen. »Ich glaube nicht, dass Luke ihn besonders mag«, gab sie zu bedenken. 

»Und wieder redest du von mögen«, entgegnete die Königin. 

»Als ich Euch zum ersten Mal an Eurem Hof kennenlernte, da habt Ihr Jace und mich als Bruder und Schwester bezeichnet«, setzte Clary an. »Dabei wusstet Ihr genau, dass wir keine Geschwister sind. Habe ich recht?« 

Die Königin lächelte. »In euren Adern fließt dasselbe Blut. Das Blut des Erzengels. All jene, die das Engelsblut in sich tragen, sind in gewisser Hinsicht Bruder und Schwester«, erwiderte sie. 

Clary erschauderte. »Trotzdem hättet Ihr uns die Wahrheit sagen können. Aber das habt Ihr nicht getan.« 

»Ich habe euch die Wahrheit gesagt, so wie ich sie gesehen habe. Wir alle erzählen die Wahrheit immer nur so, wie wir persönlich sie sehen, oder etwa nicht? Hast du dich je gefragt, welche Unwahrheiten in der Geschichte, die deine Mutter dir erzählt hat, verborgen liegen mögen, weil sie im Augenblick des Erzählens ihren Zwecken dienten? Glaubst du ernsthaft, du wüsstest nun jedes kleinste Geheimnis aus deiner Vergangenheit?« 

Clary zögerte. Plötzlich hörte sie wieder Madame Dorotheas Stimme in ihrem Kopf. Du verliebst dich in die falsche Person, hatte die Hexe Jace prophezeit. Clary war zu dem Schluss gekommen, dass Dorothea sich nur auf die vermeintliche Verwandtschaft zwischen ihnen beiden bezogen hatte. Andererseits wusste Clary, dass ihr Gedächtnis noch immer Lücken aufwies, dass sie sich selbst jetzt noch an manche Dinge, Ereignisse nicht erinnern konnte - Geheimnisse, deren Wahrheitsgehalt sie niemals würde überprüfen können. Sie hatte sie als für immer verloren und daher unbedeutend abgehakt, aber vielleicht … 

Nein. Clary spürte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten. Das Gift der Feenkönigin war subtil, aber sehr mächtig. Gab es irgendjemanden auf der Welt, der aufrichtig von sich behaupten konnte, jedes kleinste Geheimnis über sich selbst zu wissen? Und war es nicht besser, wenn man an manche Geheimnisse einfach nicht rührte? 

Entschlossen schüttelte Clary den Kopf. »Was Ihr in jener Nacht an Eurem Hof getan habt…«, setzte sie an. »Vielleicht war das keine Lüge. Aber Ihr wart herzlos. Und ich habe genug von Eurer und anderer Leute Herzlosigkeit.« Clary wandte sich zum Gehen. 

»Willst du wahrhaftig einen Gefallen der Königin des Lichten Volkes ausschlagen?«, fragte die Königin fordernd. »Nicht jedem Irdischen wird solch eine Gunst gewährt.« 

»Ich brauche keinen Gefallen von Euch«, erwiderte Clary. »Ich habe alles, was ich mir nur wünschen kann.« 

Und mit diesen Worten kehrte sie der Königin den Rücken und marschierte davon. 

 

Als Clary sich ihren Freunden wieder näherte, stellte sie fest, dass Robert und Maryse Lightwood sich zu ihnen gesellt hatten und zu Clarys Überraschung gerade Magnus Bane die Hand schüttelten. Der Hexenmeister hatte sein funkelndes Stirnband abgenommen und wirkte nun wie die Schicklichkeit in Person. Maryse hatte einen Arm um Alecs Schulter gelegt, während die anderen auf der niedrigen Mauer saßen und zusahen. Clary wollte sich gerade zu ihnen stellen, als sie spürte, wie ihr jemand auf die Schulter tippte. 

»Clary!« Es war ihre Mutter, die sie anstrahlte; neben ihr stand Luke, Jocelyns Hand in seiner. Im Gegensatz zu ihrer Tochter trug Jocelyn keinerlei Festgewand, sondern Jeans und ein weites T-Shirt, das aber wenigstens nicht mit Farbklecksern bespritzt war. Allerdings konnte Clary an Lukes Blick erkennen, dass sie in seinen Augen einfach perfekt aussah. »Ich bin froh, dass wir dich endlich gefunden haben«, sagte Jocelyn. 

Clary grinste Luke an. »Dann ziehst du also nicht nach Idris?« 

»Ach was«, winkte er ab. Er wirkte glücklicher, als Clary ihn je zuvor gesehen hatte. »Die Pizza ist hier einfach grauenhaft.« 

Jocelyn lachte und wandte sich Amatis zu, die bewundernd eine Glaskugel betrachtete, welche mit vielfarbigem Rauch gefüllt war. Fragend schaute Clary Luke an. »Hattest du eigentlich überhaupt vor, New York zu verlassen, oder hast du das nur gesagt, damit sie endlich den entscheidenden Schritt machte?« 

»Clary, ich bin geschockt, dass du so etwas auch nur denken kannst!«, protestierte Luke grinsend, wurde dann aber wieder ernster. »Das ist doch für dich kein Problem, oder? Ich weiß, dass das eine gewaltige Veränderung für dich bedeutet. Ich wollte deine Mutter fragen, ob ihr beide nicht zu mir ziehen wollt, da eure Wohnung im Augenblick ohnehin unbewohnbar ist …« 

Clary schnaubte. »Ein gewaltige Veränderung? Mein Leben hat sich bereits total verändert. Und das schon mehrere Male.« 

Luke schaute zu Jace, der sie von seinem Platz auf der Mauer beobachtete und ihnen mit einem amüsierten Lächeln um die Lippen zunickte. »Ja, damit hast du wohl recht«, bestätigte Luke. 

»Und Veränderung ist etwas Gutes«, sagte Clary. 

Luke hielt seine Hand hoch. Die Allianz-Rune war inzwischen verblasst, wie bei all ihren Trägern, doch die verräterischen weißen Spuren waren noch immer zu erkennen - eine Narbe, die nie mehr ganz verschwinden würde. Nachdenklich betrachtete er das Runenmal. »Da kann ich dir nur aus ganzem Herzen zustimmen«, sagte er. 

»Clary!«, rief Isabelle in dem Moment. »Das Feuerwerk!« 

Clary schlug Luke leicht auf die Schulter und gesellte sich zu ihren Freunden, die in einer langen Reihe nebeneinander auf der Mauer saßen: Jace, Isabelle, Simon, Maia und Aline. Clary stellte sich neben Jace. »Ich seh kein Feuerwerk«, sagte sie und warf Isabelle einen gespielt beleidigten Blick zu. 

»Geduld, Grashüpfer!«, sagte Maia. »Was lange währt, wird endlich gut.« 

»Und ich dachte immer, das hieße >Was lange gärt, wird endlich Wut<«, warf Simon ein. »Kein Wunder, dass ich mein ganzes Leben lang immer so verwirrt gewesen bin.« 

»>Verwirrt< ist eine nette Umschreibung dafür«, entgegnete Jace. Allerdings war er eindeutig nicht mit dem Herzen bei der Sache: Er streckte die Arme aus und zog Clary an sich, fast geistesabwesend, als wäre es eine Art Reflex. Clary lehnte sich an ihn, ließ den Kopf nach hinten gegen seine Schulter sinken und schaute hinauf zum Himmel. Doch bis auf die Dämonentürme, die ihr sanftes silberweißes Licht in die Dunkelheit sandten, war nichts zu erkennen. 

»Wo bist du gewesen?«, murmelte Jace Clary so leise ins Ohr, dass nur sie ihn hören konnte. 

»Die Feenkönigin wollte, dass ich ihr einen Gefallen tue«, erklärte Clary. »Dafür wollte sie mir im Gegenzug auch eine Gunst erweisen.« Sie spürte, wie Jace’ Muskeln sich verkrampften. »Entspann dich. Ich hab ihren Vorschlag abgelehnt.« 

»Nicht viele Leute würden eine Gunst der Königin des Lichten Volkes ausschlagen«, bemerkte Jace. 

»Ich hab ihr gesagt, dass ich ihren Gefallen nicht brauche«, erläuterte Clary. »Dass ich alles habe, was ich mir nur wünschen kann.« 

Bei diesen Worten lachte Jace leise und ließ seine Finger über Clarys Arm hinauf bis zu ihrer Schulter wandern. Gedankenverloren spielte er mit der Kette an ihrem Hals und Clary warf einen Blick auf das silberne Objekt, das sich glitzernd von ihrem Seidenkleid abhob. Sie hatte den Morgenstern-Ring von dem Moment an getragen, in dem Jace ihn für sie zurückgelassen hatte, und sich schon manches Mal gefragt, warum sie das eigentlich tat. Wollte sie wirklich an Valentin erinnert werden? Andererseits: Sollte man jemals die Vergangenheit einfach vergessen? 

Schließlich konnte man nicht alles auslöschen, das schmerzhafte Erinnerungen hervorrief. Außerdem wollte Clary Max und Madeleine auch gar nicht vergessen, genauso wenig wie Hodge oder die Inquisitorin. Nicht einmal Sebastian. Alle Erinnerungen waren wertvoll, selbst die schlimmen. Valentin hatte vergessen wollen. Er hatte vergessen wollen, dass die Welt sich ändern musste und mit ihr auch die Schattenjäger; dass Schattenweltler eine Seele besaßen und dass alle Seelen für den Fortbestand der Welt eine Rolle spielten. Valentin hatte immer nur an die Unterschiede gedacht, die die Schattenjäger von den Schattenwesen trennten. Doch gerade ihre Gemeinsamkeiten hatten ihn ins Verderben gestürzt. 

»Clary«, sagte Jace und riss sie aus ihren Gedanken. Er schlang die Arme fester um sie und Clary hob den Kopf. Die Menge jubelte den ersten Feuerwerkskörpern zu. »Sieh mal«, sagte er leise. 

Clary sah zu, wie die Feuerwerksraketen in einem sprühenden Funkenregen explodierten. Funken, die die Wolken am Nachthimmel aufleuchten ließen, während sie in großen Bögen aus goldenen Flammen auf die Erde hinabgingen - wie Engel, die aus dem Himmel herabfallen. 

Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
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