MITTWOCH NACH LAETARE

Platzmeister Friedrich zum Rad las den Brief mehrmals durch, den sein Bote aus Frankfurt gebracht hatte: ťEs ist daher unsere Überzeugung, dass den Toten ob seines Gott ungefälligen und vor den Menschen unwürdigen Lebens die Strafe des Himmels ereilt hat. Das Wirken eines Menschen oder eines von Menschen angerufenen Dämons erachten wir nicht als erwiesen. Daher ist keine Anklage zu erheben.Ť

Er blickte von dem Pergament auf den Boten und wieder zurück. Der Mann stand müde und gleichgültig vor ihm, wahrscheinlich wusste er gar nicht, was er da abgeliefert hatte.

ťGeh hinunter zu Bertel, er soll den Spielmann und seine Hure freilassen, und dann zu den Franziskanern, dass sie den anderen begraben können.Ť

Der Bote blieb stehen und schaute ihn an, als ob er nichts verstanden hätte. Geldgieriger Lump. Meister Friedrich griff in die Lade und nahm die Heller heraus, die für einen Ritt nach Frankfurt üblich waren.

Der Mann hatte die Stirn, nachzuzählen. ťAlso zu Bertel und zu den Franziskanern?Ť, fragte er noch einmal.

Der Platzmeister nickte. ťAch ja, sag Bertel, er soll alle gemeinen Weiber aus der Stadt schaffen, die sich auf den Straßen herumtreiben.Ť

 

Franz hatte aufgegeben zu überlegen, ob es wohl Tag oder Nacht war, oder wie viele Tage vergangen waren. Hin und wieder öffnete sich die Tür zu ihrer Zelle, für einen Augenblick drangen Licht und Luft herein. Er bekam ein Stück Brot und eine Kanne Wasser. Das teilte er mit Else und hütete es vor den Ratten und Mäusen.

Else war anfangs bei jeder Berührung zusammengezuckt, doch im Dunkeln hatte er sonst keine Möglichkeit, ihr zu essen und zu trinken zu geben. Daher ließ sie es sich bald wieder gefallen.

Wenn er glaubte, die Luft sei dünn genug, sang er von der Welt draußen, um nicht zu vergessen, dass es sie gab.

Nun öffnete sich die Tür wieder. Ein Ratsknecht trat ein, die Schlüssel in der Hand. ťIch soll euch freilassenŤ, sagte er und schritt gleich zur Tat. ťWeiß der Himmel, was sich die Herren da wieder ausgedacht haben.Ť

Else hatte seine Worte offenbar nicht verstanden. Mit einem Schrei fuhr sie zurück, als er nach ihrem Bein griff, um die Fußeisen zu lösen. ťHalt still, dummes Huhn!Ť Er fasste derber zu und schloss auf. Sie blieb sitzen, bis der Schließer die Zelle verlassen hatte.

ťJetzt kommt schon, sonst schließe ich wieder ab.Ť

Franz half Else beim Aufstehen und schob sie sanft zur Tür hinaus. Draußen stand ein Wächter des Herrn von Alzey. Er führte die beiden ohne ein weiteres Wort die Treppen hinauf und hinaus auf die Gasse.

Obwohl die Dämmerung schon weit fortgeschritten war und ihr Begleiter seine Laterne anzündete, erschien Franz die Welt wie taghell. Er hatte Mühe, dem voraneilenden Waffenknecht nachzukommen. Die frische, kalte Luft machte ihn schwindelig. Else erging es nicht besser, doch sie ließ sich nicht helfen.

Schließlich erreichten sie den Hof des Herrn von Alzey. Der Wächter, der sie begleitet hatte, ließ sie eine Weile im Hof stehen. Dann kehrte er mit Ewald zurück, dem Knappen, der immer mit Herrn Heinrich in den Wilden Mann gekommen war. Else versteckte sich hinter Franz vor dem Fremden. Doch der führte sie nur in die Küche und ließ ihnen zu essen geben, bis das Bad bereit sei.

Franz zwickte sich selbst in den Arm, um sicher zu sein, dass er nicht träumte. Dann ließ er sich den Kohleintopf schmecken. Gegen ein Stück trockenes Brot am Tag war dieses eintönige Fastenessen ein Festmahl. Sogar Else aß etwas davon. Der dünne Wein, den sie dazu tranken, stieg ihnen gleich zu Kopf.

 

Nach dem Bad, mit sauberen Kleidern versehen, wurden Franz und Else zu Herrn Heinrich gebracht.

ťGott sei Dank, dass ihr wieder frei seidŤ, begrüßte er sie.

ťWie ist es dazu überhaupt gekommen? Und wo ist Alheit?Ť, fragte Franz.

ťAlheit und euer fahrender Schüler sind am Donnerstag nach Frankfurt gezogen. Und von dort kam heute ein Bote mit der Weisung, dass man euch freilassen soll.Ť

Franz atmete auf.

ťEs sollte mich nicht wundern, wenn das eine mit dem anderen zu tun hätteŤ, fuhr Herr Heinrich fort.

ťHaben sie den gefunden, der es getan hat?Ť, wollte Franz wissen.

Der Ritter zuckte die Achseln. ťErzbischof Balduin ist überzeugt, dass Elbelin nicht durch Gift oder Zauberei gestorben ist. Also gibt es keine Anklage.Ť

ťOh.Ť Hatten sie doch alles nur geträumt? In den letzten dunklen Tagen hatte Franz sich so oft ausgemalt, was gewesen wäre, wenn er nur bei manchen Gelegenheiten ein klein wenig anders gehandelt hätte, dass er kaum noch wusste, was wirklich geschehen war.

ťDas ist umso besser für euch, denn nun kann man euch nichts Böses mehr nachsagen und auch eure Freunde nicht verfolgenŤ, nahm Herr Heinrich den Faden wieder auf. ťBleibt noch ein paar Tage hier und ruht euch aus. Dann könnt ihr ebenfalls weiterreisen nach Frankfurt.Ť

Franz nickte, obwohl ihm die Sache nicht ganz behagte. Mochte der Erzbischof auch anderes beschlossen haben, Alheit war überzeugt, dass Meister Wolfram Elbelin vergiftet hatte, und würde ihn verfolgen. In Frankfurt würde er sie wohl nicht mehr antreffen, selbst wenn er sofort aufbräche.

ťHat sie unsere Instrumente mitgenommen?Ť, fragte er.

ťIch weiß es nicht.Ť Herr Heinrich wurde rot. ťSie sind etwas überstürzt aufgebrochen am Donnerstag. Vielleicht sind die Sachen noch bei Burkhard.Ť Als Franz erwartungsvoll nickte, fügte er hinzu: ťIch schicke morgen früh meinen Knappen hin, er soll alles holen. Bis dahin nimm meine Laute.Ť

Gierig griff Franz nach dem Instrument, stimmte ausgiebig und sang ein Lied zu Ehren der heiligen Dorothea, die bei falschen Anschuldigungen die Wahrheit ans Licht bringt.